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Vorwort

›Ostern‹ (lateinisch pascha von hebräisch pessach) ist das höchste Fest der Christenheit. Gefeiert wird das Wunder der Auferstehung. Gottes Sohn hat den Tod überwunden.

Natürlich wollen wir keine religiösen Gefühle verletzen. Aber Tod und Auferstehung sind per se Steilvorlagen für Kri­minalautorinnen und -autoren.

Kunstvoll mit heimischen Osterbräuchen verwoben, ent­standen erstaunliche, skurrile, kulinarische, blutige, hoch­dramatische und selbstredend immer spannende Kriminal­geschichten.

Hier ein paar Kostproben. Die Liste ist nicht vollständig.

Osterfeuer gehören vielerorts in Deutschland zum festen Repertoire der Osterfeiertage. Holz wird zu hohen Haufen geschichtet, die dann die ganze Nacht brennen. Der Tanz ums Feuer hat etwas Heidnisches, Ursprüngliches. Und Tödliches, wenn man dem Feuer zu nahe gebracht wird.

In vielen Gegenden schmücken reich mit Blumen und bunten Ostereiern verzierte Osterkronen die Dorfbrunnen. Die Krone soll gegen Trockenheit und Wasserknappheit wirken. Oder sie tarnt ein feuchtes Grab.

Osterlämmer sind sehr niedliche Wesen: Große Augen, sanf­tes Naturell. Man muss sie lieben. Genau wie andere Tie­re, Kühe zum Beispiel. Aber bitte nicht zu sehr. Das nimmt kein gutes Ende.

Kulinarisch erfreuen Osterlämmer als Gebäck aus zartem Biskuitteig oder als leckerer Braten aus dem Ofen. Es wird überhaupt viel Gutes gekocht und verzehrt in diesen Tagen. An ein paar Pfunde zuviel auf den Hüften sollte man dabei nicht denken. Und vor allem bei anderen nicht daran herum mäkeln. Besser nicht.

Ostereier dürfen in keinem Osternest fehlen. Die buntge­färbten Eier haben eine lange Tradition. Schon seit dem 10. Jahrhundert schenkten sich koptische Christen gegenseitig die so genannte Pascha-Eier (von lat. pascha, s.o.) als Zei­chen der Auferstehung.

Die Sorben im Spreewald, eine sla­wische Volksgruppe, haben aus dem Verzieren ­der Hühner­eier eine Kunst ge­macht. Sie sind weithin berühmt für ihre sehr aufwendig be­stickten und kolorierten Ostereier.

Das klassische Osterei ist entweder leer, das heißt ausgeblasen, und schön vorsichtig gefärbt. Oder es ist betonhart gekocht und dann schwer ver­daulich. Final ungesund wird es allerdings, wenn man die Ostereier zum Beispiel als Golfbälle missbraucht, oder mit solchen verwechselt.

Ein wichtiger Oster-Kandidat fehlt noch: Der Osterhase.

Es ist das Osterfest alljährlich

für den Hasen recht beschwerlich

Dies dichtete der unvergleichliche Wilhelm Busch (1832-1908), recht hat er! Der stets auffallend gut gelaunte Osterhase hat es schwer. Sein Job ist es, Ostereier und aller­lei kleine Geschenke auf unzählige Osternester zu verteilen. Anders als das Christkind hat er keinen hilfreichen Gesellen wie Knecht Ruprecht an seiner Seite. Der Osterhase ist allein unterwegs. Und das kann gefährlich werden. Etwa, wenn er zwischen die Fronten im Krieg zweier Schwiegermütter ge­rät. Oder wenn er bei Fremden, die mit Geschenken kom­men, zu vertrauensselig ist. Als weiblicher Hase, auch Bun­ny genannt, bringt er vielen große Freude und sich selber besser aus der Gefahrenzone. Und Osterhasen aus Schoko­lade sind sowieso eine gefährdete Spezies.

Die 13 Ostermorde in diesem Buch bedienen fast alle For­men des Genres. Der klassische Whodunit ist genauso da­bei, wie psycho­logische Geschichten aus Täterperspektive. In einem beson­deren Fall lautet die Frage nicht »Wer war es?«, sondern »Was wäre wenn?«. Eine historische Persön­lichkeit kommt zu Tode. Laut den Geschichtsbüchern ein Unfall. Aber was, wenn das nicht stimmt?

Am besten, Sie machen es sich zu Hause mit diesem klei­nen Oster-Schatzkästlein der originellsten Todesarten ge­mütlich.

Feiern Sie die lustvolle Demontage der allzu idyllischen Osterbräuche. Naschen Sie Schokohasen und Fondanteier und genießen Sie die Feiertage mit einem wohlig kalten Schau­er über dem Rücken.

In diesem Sinne: Frohe Ostern.

Martina Arnold

Ist es Ostern schön und warm,

kommt die Verwandtschaft, frisst Dich arm.

Ist es Pfingsten warm und heiter,

kommt sie wieder und frisst weiter.

(Autor unbekannt)

Ulrike Bliefert

RISUS PASCHALIS

Das Osterlachen

»Man soll die Christen ermahnen, dass sie ihrem Haupte Je­sus Christus durch Kreuz, Tod und Hölle nachzufolgen sich befleißigen und also mehr durch viel Trübsal ins Himmel­reich zu gehen, als dass sie durch Vertröstung des Friedens sicher werden.«

»Die wievielte war das?«

»Die Vier- und die Fünfundneunzigste.«

»Puuuh!« Das Käthchen seufzt erleichtert. »Dann lass doch einfach gut sein, Martin. Mehr als fünfundneunzig liest eh kein Mensch.«

»Ich will aber die hundert voll machen! Immerhin kann sie dank unserem lieben Justus mittlerweile sogar Krethi und Plethi in ihrer Muttersprache lesen!«

»Krethi und Plethi haben mit Sicherheit kein Deutsch gesprochen.«

»Was?«

»Krethi und Plethi. Leibwachen von König David. Samu­el Zwei. Schon vergessen?«

»Wenn du nur alles besser weißt …«

Das Käthchen pustet in den Soßenlöffel und schweigt.

Das hat der Martin noch nie lange ausgehalten. »Dann eben Hinz und Kunz!«, poltert er, »oder Hans und Grete!«

Die Soße mundet vorzüglich, und das Käthchen fügt zur Abrundung lediglich noch ein Häuchlein Muskat hinzu.

Der köstliche Duft des Schweinebratens tut die erwartete Wirkung.

»Hundert ist nun mal runder als fünfundneunzig«, brummt der Martin, deutlich milder gestimmt. Aber das Käthchen wird von ihm nicht von ungefähr »mein Herr Käthe« genannt. Katharina ist nämlich eine gute Ehefrau und lässt nichts unversucht, wenn es darum geht, den Ange­trauten vor sich selbst zu schützen. »Aber Martin …«, gurrt sie und streicht ihm im Vorbeigehen liebevoll übers Haar, »du wiederholst dich doch eh schon die ganze Zeit.«

»Manche Dinge kann man eben nicht oft genug sagen.«

»Essen ist fertig.«

Ihr Gatte lacht und klopft sich auf den Bauch. »Quod erat demonstrandum.«

Ob es an Käthchen von Boras herrlich fetter Bratensoße oder vielleicht doch an ihren schnöden Bemerkungen lag, war nicht zu ergründen; jedenfalls ließ die Kritik seiner An­getrauten den guten Martinus einfach nicht mehr los.

»Eine«, murmelte er während seines heute ausnahmswei­se einmal sehr, sehr unruhigen Mittagsschläfchens. »Wenigs­tens eine noch …«

Doch wie der Nachwelt nicht verborgen bleiben konnte, kam der Martin einfach nicht dazu, seine berühmten fünf­undneunzig Theresen um diese eine zu erweitern: Im De­zember kam das zweite Kind und bald danach das dritte, vierte, fünfte und sechste, die Mittagsschläfchen wurden länger und das Käthchen wurde strenger, »Martin dies, Mar­tin das, und eingekauft werden muss heut´ auch noch«; kurz: Die Sache mit den hundert Thesen wurde aufgrund dringlicherer Aufgaben bis auf Weiteres ad acta gelegt.

Dann kam der Ostersonntag 1544. Er fiel auf einen 13., aber die Luthers waren nicht allzu abergläubisch und dachten sich nichts dabei: Die Sonne schien, überall herrschte Fest­tagsstimmung, und die Gänseblümchen blühten.

Und zu Katharinas Freude hatte sich der Martin tatsäch­lich darauf eingelassen, diesmal zum Ostergottesdienst nach Seegrehna raus zu fahren. Fast zwanzig Jahre war es her, dass Katharina dort für Bodensteins Söhnchen Andreas Pa­tin gestanden hatte. Das Ereignis hatte seinerzeit Furore ge­macht und als Seegrehnas hübsche, kleine Natursteinkirche neuerdings wieder ins Gerede kam, war Katharina neugie­rig geworden. Ein hoch begabter junger Prediger sollte dort angeblich ganze Heerscharen von Gläubigen anziehen; das wollte sie sich nicht entgehen lassen. Der Martin hatte – wenn auch widerwillig – dem geplanten Ausflug zuge­stimmt, und der Studiosus Wilbalt Ferber war nur allzu gern bereit gewesen, für das entsprechende Beförderungsmittel zu sorgen. Schließlich war sein Oheim Diethrich stolzer Be­sitzer des größten Transportunternehmens der Stadt Witten­berg. Und so stand sein Neffe an jenem Ostersonntagmor­gen gestiefelt und gespornt vor dem Haus und half den Luthers in des Oheims Reisewagen.

»Ich mag den Kerl nicht«, wisperte das Käthchen, nach­dem es dem Martin ein bequemes Kissen unters Hinterteil geschoben hatte. »Wenn ich´s nicht besser wüsste, würd´ ich schwören, der hat den bösen Blick.«

»Grmpf.« Mehr hatte der Martin dazu nicht zu sagen; ihn quälten wie üblich Magendrücken und Herzklabaster, und die Aussicht auf die unbequeme Fahrt in Diethrich Ferbers Pferdewagen beschäftigte ihn deutlich mehr als die Antipa­thie, die Katharina dem Studiosus Ferber entgegenbrachte.

Dem Käthchen war der Ferber mit dem irrlichternden Blick ein stetes Ärgernis. Seit zwei Jahren lebte er nun schon im Lutherschen Hospiz. Ein Musterschüler und glühender Verehrer seines Vermieters. An Katharina als Vermieterin hingegen ließ er kein gutes Haar: Da war die Suppe zu dick und das Leintuch zu dünn und es verging kaum kein Tag, an dem es einmal nichts zu bekritteln gab.

Mit einen kräftigen Ruck fuhr der Wagen an.

»Martin, der Ferber neidet mir ganz einfach deine Nähe«, fuhr das Käthchen fort, fest entschlossen, die Sache nicht weiter auf die lange Bank zu schieben, »das kann doch auf Dauer nicht gut gehen. Es wird sich gewiss einen andere Bleibe als die unsere für ihn finden lassen.«

»Was du nur immer hast.«

»Du musst ja nicht sein Nachtgeschirr leeren! Und an dir hat er ja auch rein gar nichts zu mäkeln! Ihm wär´ es in der Tat am liebsten, er könnte Tag und Nacht an deinen Lippen hängen.«

»Da nimm dir mal ein Beispiel dran!«, brummte der Mar­tin, senkte den Kopf auf die Brust und döste wenig später ein. Erst als sie auf dem Kirchplatz von Seegrehna angekom­men waren, wurde er wieder wach. Und sofort stürzte der Studiosus Ferber herbei, um ihm aus dem Wagen zu helfen. Dabei murmelte er sowas wie »Mein verehrter Meister …«

Um ein Haar wurde Katharina übel. »Der Kerl rutscht nochmal auf seiner eigenen Schleimspur aus«, versetzte sie angewidert und gab sich alle erdenkliche Mühe, zumindest den Anflug eines Lächelns auf ihre Lippen zu zaubern, wäh­rend sie nach allen Seiten grüßend die Kirche betrat.

Der Innenraum summte regelrecht vor freudiger Erwar­tung, doch das gespannte Raunen und Wispern erstarb auf der Stelle, als der Prediger erschien.

»Da ist er!«, hauchte eine junge Magd und lächelte ent­rückt.

»Der Moritz von Kieselbach!«

»Was für ein hübscher Kerl!«

Der Prediger hatte ein rotbackiges Apfelgesicht und ver­fügte trotz seiner kaum mehr als fünfundzwanzig Lenze be­reits über eine recht ansehnliche Körperfülle. Des­ un­ge­ach­tet hopste er munter die Stufen zur Kanzel hinauf und strahlte mit der Sonne, die durch die Fenster fiel, um die Wette. »Die Bäume des Herrn stehen voll Saft«, zitierte er aus dem 104. Psalm. »Die hohen Berge geben dem Steinbock Zuflucht …«, er machte eine Kunstpause, ging in die Knie und entschwand für einen Moment aus dem Sichtfeld der Gemeinde, »… und die Felsklüfte … dem Häschen!«

Blitzartig tauchte er wieder auf, eine Filzkappe mit lan­gen, braunen Zipfelohren auf dem Kopf und zwei Kienspä­ne als Nagezähne hinter die Oberlippe geklemmt. Und dazu schielte er mit weit aufgerissenen Augen auf seine knubbel­runde rosa Nase.

Das Käthchen prustete, und die gesamte Gemeinde brach in Gelächter aus. Der Martin jedoch starrte die pittoreske Er­scheinung einfach nur sprachlos an. Und noch ehe er seinen Abscheu in Worte fassen konnte, sprang bereits der Stu­diosus Ferber auf. »Klippdachs!«, brüllte er über das Ge­läch­ter der Kirchgänger hinweg. »Es muss Klippdachs hei­ßen!!!«

»Wath, bitte itht ein Klippdachth?!«

Der Prediger musste aufgrund seiner künstlichen Hasen­zähne lispeln, was bei den Gläubigen geradezu unbändige Heiterkeitsstürme hervorrief.

»Der Kirchenvater Hieronymus hat das falsch übersetzt«, ereiferte sich der Ferber weiter. »Wegen …, wegen …«

»Zahlensprüche 26«, soufflierte der Martin.

»Wegen der Zahlensprüche 26!«, blökte der Ferber. »Da hat der Hieronymus den Salomo falsch übersetzt! Da ist nicht von Häschen die Rede« – seine Stimme überschlug sich beinahe – »sondern von Klippdachsen!«

»AchTho? Hieronymuth? Thalomoth Thahlenthprüche Thechsundthwanthig?« Der junge Prediger verlor ange­sichts seiner der ›s‹-lastigen Fragen beinahe seine Hasen­zähne und schob sie hastig wieder in Position. Das wurde von einer weiteren Lachsalve quittiert, und als er lispelnd erklärte, er habe keine Ahnung, wie so ein Klippdachs aus­sehe und könne sich infolge dessen nun mal leider nicht als solcher verkleiden, wollte das Gelächter kein Ende neh­men.

Der spillerige Ferber erstickte fast an seinem Protestge­schrei. Schließlich nahmen sich drei starke Kerls des Stören­frieds an und expedierten ihn ins Freie.

Nachdem man den geifernden Spielverderber endlich los war, ging Moritz von Kieselbach zu immer deftigeren Scher­zen über: Natürlich habe er sich als Häschen ungesehen in Häusern, Ställen und sogar Klöstern einschleichen können. Und nun könne er »Theugnith« von allerlei »unthiemli­chen Miththetaten« ablegen, von denen »Normaltherbliche« nichtmal etwas ahnten.

Katharina lachte Tränen und hing wie alle anderen hin­gerissen an den Lippen des jungen Mannes.

Nicht so ihr Gatte.

Der harrte wie versteinert auf seinem Ehrenplatz aus und verzog keine Miene. Da half es auch nichts, dass der Predi­ger am Schluss auf die biblische Metapher der schwachen Häschen zurückkam und gütig lächelnd hinzufügte, dass – egal wie – neben ängstlichen Häschen bestimmt auch ängst­liche Klippdachse in Jesus Christus Schutz und Geborgen­heit fänden.

Der Rest des Ostergottesdienstes rauschte an Martin vor­bei, und er verließ die Kirche schneller als die Höflichkeit erlaubte.

Als der treue Ferber ihm in den Wagen half, klopfte er ihm anerkennend auf die Schulter. »Kein Irrtum ist so groß, dass er nicht seine Zuhörer hat«, erklärte er mit Leichen­bittermiene und würdigte sein Käthchen nicht mal eines »Dankeschön«, als es ihm sein Kissen unters Hinterteil schob.

»Duuu, Martin«, begann das Käthchen vorsichtig, nach­dem sich der Wagen in Bewegung gesetzt hatte, »du hast selbst geschrieben, der innerliche Mensch sei fröhlich und lustig um Jesu willen …«

»… um Christi willen«, unterbrach sie der Martin, »und ich hab außerdem gesagt, dass man mit Gottes Wort nicht scherzen darf.«

»Hat der von Kieselbach doch gar nicht.«

Der Martin ahnte, was auf ihn zukam und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sein Eheweib, wenn er nur mit gutem Beispiel voran ging, schweigen möge.

Doch warum sollte es nach beinah zwanzig Ehejahren ausgerechnet bei den Luthers anders zugehen als beim ge­meinen Volk? Martins oberster Dienstherr jedenfalls igno­rierte sein stummes Flehen: Das Käthchen gab – wie im­mer – keine Ruhe. »Das war die fröhlichste Ostermesse meines Lebens, Martin, und wie könnten wir die Auferste­hung unseres Herrn denn schöner und großartiger feiern als mit Jubeln und Lachen und heller Freude?«

»Grmpf!«, antwortete der Martin und wollte es damit be­wenden lassen. Aber da er gewohnt war, über alles und je­des zu disputieren setzte er – ganz gegen seine Absicht, das Käthchen durch Schweigen zum Schweigen zu bringen – hinzu: »Sollen demnächst etwa Esel und Ochsen von der Kanzel predigen?«

»Immerhin waren die bei Christi Geburt dabei«, versetzte das Käthchen schlagfertig.

»Was?! Wer?«

»Na, Ochs und Esel! Nur leider sind größere Huftiere nicht einmal halb so lustig wie ein Häschen.« In Erinnerung an Moritz von Kieselbachs Kienspanzähne entfuhr ihr ein unschuldiges, kleines Kichern, und das brachte den Martin erst recht in Rage. »Das Weib schweige in der Kirche!«, schnaubte er, »und – wenn ich bitten dürfte – auch auf dem Weg von der Kirche zurück nach Hause!«

»Wenn dir die Argumente ausgehen, wirst du laut, mein Lieber, das weißt du genau. Also hör mir jetzt einfach mal zu, ja?«

Der Wilbalt Ferber vorne auf dem Kutschbock verlang­samte – fassungslos angesichts so viel weiblichen Ungehor­sams – sein Gefährt, um besser lauschen zu können.

»Also,« fuhr das Käthchen fort, »das Osterlachen ist nun mal vielerorts ein beliebter Brauch, und bloß weil der risus paschalis zuallererst von den Kathol´schen gepflegt wird, ist er doch nichts Schlechtes.«

»Sola scriptura!«

»Schön und gut, aber von Lammschulter in Rotwein ist in der Bibel auch nirgendwo die Rede, und du freust dich trotz­dem drauf!«

»Was hat denn mein Mittagessen mit dem risus paschalis zu tun?«

»Wenn ich dein ›sola scriptura‹ wörtlich nehme, ist am heutigen Ostersonntag bei allen Verrichtungen strikt dem Bibelwort zu folgen, und in der Bibel steht nun mal weder was von Lammschulter in Rotwein, noch von lispeln­den …«

»Jajaja, ist ja gut!«, unterbrach sie der Martin, deutlich versöhnlich gestimmt. Ihm war bei »Lammschulter in Rot­wein« unwillkürlich das Wasser im Munde zusammenge­laufen, und dabei wurde ihm wiedermal klar, was für ein Glück ihm in Gestalt einer so begnadeten Köchin wie sei­nem Käthchen beschieden war.

»Siehst du, Martin«, gurrte die Seine zufrieden, »und deshalb hab ich auch gleich eine passende Idee …«

»Apfelküchlein zum Nachtisch?«

»Das auch. Ich dachte allerdings eher an deine fünfund­neunzig Thesen, und dass du unbedingt die hundert voll machen wolltest.«

»Ja. Und?«

»Wie wäre es denn stattdessen mit fünf nagelneuen? Wel­chen, die sich nicht um Ablass, Sünde, Trübsal, Hölle, Teu­fel, Not und Tod drehen.«

Der Studiosus Ferber spitzte die Ohren, und der Martin seufzte tief. Da war es wieder! Sein Käthchen und diese un­selige Sache mit »Ein feste Burg«! Jene beiden Liedzeilen trug ihm sein Käthchen scheinbar zeitlebens nach. Dabei hatte er sich seinerzeit mächtig über die treffsicheren Reime gefreut: »Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr´, Kind und Weib, lass fahren dahin, sie haben´s kein Gewinn …«

Aber Katharina fand die Schnödigkeit, mit der ihr Martin sich dabei über Familie und Gattin erhob, damals wie heute absolut inakzeptabel. »Was für einen Unsinn lässt du die Leute denn da singen?!«, hatte sie ihn angefahren, kaum hatte er ihr seinen als besonders gelungen erachteten Text präsen­tiert. »Wer tot ist, muss sich über Gut, Ehr´, Kind und Weib sowieso keine Gedanken mehr machen! Aber der, dem man den Leib noch nicht genommen hat, sollte sich gefäl­ligst sei­ner Gattin und Kinder freuen! ›Sie haben´s kein Ge­winn‹ ist eine Unverschämtheit!«

Trotz Käthchens vehementen Einspruchs war es bei den beiden Zeilen geblieben, nicht zuletzt, weil dem Martin er­satzweise auf »Eheweib« nur »Zeitvertreib« und auf »Freu­de« nur »Räude« eingefallen war.

Das Ganze war ewig her, aber das Käthchen ließ es sich anlässlich des Seegrehnaer Osterlachens mal wieder nicht nehmen, das leidige Thema »Entsagung und Schmerz ver­sus Freude und Lachen« auf´s Tapet zu bringen. Er hätte es ahnen können!

»Freude und Lachen« – Das Käthchen war nicht mehr zu bremsen – »Freude und Lachen sind Gottesgeschenke! Ewig nur gesenkten Hauptes und mit ›Weh!‹ und ›Ach!‹ durch´s Tränental zu wandern, ist gewiss nicht im Sinne unseres Schöpfers!«

»Aber wer sagt denn sowas?«, wandte der Martin halb­herzig ein; schließlich war er kein Dummkopf und wusste sehr wohl, dass man mit ›Weh!‹ und ›Ach!‹ und ewiger Ver­dammnis auf die Dauer niemand hinter ‘m Ofen hervor­locken konnte.

»Wer sowas sagt?!« Das Käthchen redete sich regelrecht in Rage, »Du! Du sagst das!«

»Ich?! Aber …«

»Nichts ›aber‹! Gib doch zu, dass du nicht müde wirst, Jammer und Elend zu einer Art Christenpflicht zu erklä­ren!«

»Also gut«, seufzte der Martin, als das Käthchen eine Atempause machte, »was schlägst du vor?«

»Fünf neue Thesen! Zum Beispiel: Gott hat dem Men­schen das Lachen zur Heilung der Herzen gegeben, und die Auferstehung seines Sohnes, unseres Heilands, mit Froh­sinn, Scherz und allerlei Vergnüglichkeiten zu begehen, ist dem Herrn unserem Gott ein Wohlgefallen.«

Der Martin wiegte pro forma skeptisch sein Haupt, doch dann ließ er sich – deutlich stolz auf sein Eheweib – zu einem »Nun denn, das ist – wie ich gestehen muss – recht wohl gesprochen, mein Herr Käthe«, herab.

Das Käthchen lächelte zufrieden, doch der Wilbalt Ferber auf dem Kutschbock wurde leichenblass vor Wut und Ohn­macht und Enttäuschung, und als er den Wagen zurück zu den Stallungen seines Oheims brachte, war sein Entschluss gefasst: Den üblen Gedanken und Worten, die das Luther­weib dem großen Reformator einflüsterte, musste Einhalt geboten werden!

In seinen Fantasien verglich er Katharina mit der Schlan­ge im Paradiesgarten. Dann wurde ihm klar, dass der Ver­gleich auf ziemlich tönernen Füßen stand, und er verlegte sich auf Eva und den Sündenfall an sich: Kam denn nicht alles Übel vom Weibe?

Als das Käthchen ihm am nächsten Morgen höflich, aber bestimmt das Mietverhältnis kündigte, war das in seinen Augen nur ein weiterer Beweis dafür.

Sein Oheim Diethrich bot ihm eine Stelle als Pferdeknecht an, und wenn sich der Ferber schlaflos im Stall auf seinem Strohlager wälzte, deklinierte er wieder und wieder die sie­ben Todsünden durch und kam zu dem Schluss, dass zu­mindest Wollust, Hochmut und – angesichts Käthchens Kochkunst – auch die Völlerei dem Lutherweib zur Last ge­legt werden mussten.

Und nun hub diese Ausgeburt der Hölle auch noch dazu an, den kränkelnden Gatten zu Thesen zu verführen, die die Wurzel allen Übels als Gottesgabe adelten? Lachen? Späße machen? Sorgenfrei den Augenblick genießen? Sich des Le­bens freuen, statt ständig gramgebeugt seiner Sünden zu gedenken?

Wieder und wieder las der Ferber die vier- und die fünf­undneunzigste These seines Meisters: »Man soll die Christen ermahnen, dass sie ihrem Haupte Jesus Christus durch Kreuz, Tod und Hölle nachzufolgen sich befleißigen und also mehr durch viel Trübsal ins Himmelreich zu gehen, als dass sie durch Vertröstung des Friedens sicher werden.«

»Tod und Hölle«, wiederholte der Ferber, und wenn er – wie so oft – nicht einschlafen konnte, wiegte er sich hin und her und wisperte wieder und wieder dieses eine Wort: »Höl­le, Hölle, Hölle …« ohne Erlösung zu finden.

Zwei Jahre später trug man den Martin zu Grabe. Katharina weinte und vergaß in ihrer Trauer ganz und gar, sich um die fünf neuen Thesen zu kümmern. Dann brach der Krieg aus und brachte sie beinahe um ihr schwer erkämpftes Erbe.

Doch das Käthchen baute die alte Abtei unverdrossen wieder auf, und erst als Pest und Hungersnot in Wittenberg Einzug hielten, entschloss sich die Lutherin, Haus und Hof zu verlassen und in Torgau Unterschlupf zu suchen.

Kaum machte das Gerücht ihrer geplanten Flucht die Run­de, klopfte auch schon ein Fuhrmann ans Tor und bot seine Dienste an. Wie hätte das Käthchen in dem abgerissenen Hungerhaken, der da vor ihr stand, den Studiosus Ferber wiedererkennen sollen? Sein Blick war wirrer als je zuvor, seine Kleider hingen an ihm herab wie totgeschoss´ne Ra­ben und machten ihn Jahrzehnte älter, und angesichts der vielen Fliehenden war Katharina viel zu dankbar für das Angebot, um näher hinzuschauen.

Ein teuflisches Lächeln auf den Lippen lenkte der Ferber das Luthersche Fuhrwerk kurz vor dem Ziel vom Weg ab in ei­nen Graben. Es stürzte um und begrub seine Insassin unter Truhen, Kisten und Möbelstücken.

Als das Käthchen aus seiner Bewusstlosigkeit erwachte, war der dürre, alte Fuhrmann verschwunden und mit ihm die Kassette, in der sich Luthers letzte Werke befanden.

»De de risu paschali – über das Osterlachen« lautete der Titel eines ungemein heiteren Traktätchens, das zuoberst lag, und gleich darunter lag eine Auflistung nicht minder vergnüglich zu lesender neuer Thesen, vier an der Zahl. Die fünfte begann mit: »Und so sag ich Euch, Ihr Christenleut´: Wer einem anderen die Trübsal vertreibt, ist dem Herrn ein Wohlgefallen, und wer dem Lachen einen Platz in Eurer Mitte gibt …«

Dahinter stand etwas Unleserliches, und die folgenden farblosen Kratzer auf dem Pergament ließen keinen anderen Schluss zu, als dass dem Martin hier die Tinte ausgegangen war.

Das alles kümmerte den Ferber wenig. Er sammelte Äste und Reisig, schürte ein Feuerchen und gab die Schriften sei­nes einst verehrten Meisters den Flammen anheim.

Katharina Luther starb drei Wochen später, am 20. Dezem­ber 1552, in Torgau an den Folgen ihrer Verletzungen. Sie nahm das Geheimnis um Luthers fünf letzte Thesen mit ins Grab.

Für die geneigte Leserin und den geneigten Leser hier drei klei­ne historische Anmerkungen:

1.) Der risus paschalis – das so genannte Osterlachen – blieb in manchen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert fester Bestandteil des Ostergottesdienstes. Bei den Reformierten hingegen war die­se Art von Belustigung bereits zu Luthers Lebzeiten verpönt.

2.) Dem Kirchenvater Hieronymus unterlief bei Salomos Zah­lensprüchen tatsächlich der Fehler, das hebräische »scha­fan« durch »lepusculus« (Häschen) zu übersetzen. Luther hin­gegen über­setz­te »schafan« korrekterweise in »Klippdachs«. Letzteres ist ein dickes, murmeltierartiges, in Afrika und Wes­tasien beheimatetes Vieh, bei uns eher als Klippschliefer be­kannt. Freundinnen und Freunde des Osterhasens sollten – korrekte Übersetzung hin oder her – dem Hieronymus für seinen Fehler dankbar sein: Wer glaubt schon an den Oster­klippdachs?

3.) Katharina starb in der Tat an den Folgen der Verletzun­gen, die sie sich zuzog, als ihr Fuhrwerk auf der Flucht nach Torgau verunglückte. Zuverlässige Beweise für die Existenz des Saboteurs und Ex-Studiosus´ Wilbalt Ferber sind der Nach­welt jedoch leider nicht erhalten geblieben.

Patricia Holland Moritz

Des Hasen letzte Zigarette

Ostern würde Heiner anstelle von Eiern einfach mal sich selbst verstecken.

Er hing diesem brauchbaren Gedanken noch nach, als eine Kundin so behutsam ihre Einkäufe aus dem Korb auf das Band packte, als wären es rohe Eier. Heiners Augen ver­engten sich. Jedes Piepen des Scanners hinterließ eine wei­tere Kerbe in seinem latent brüchigen Befinden. Slipeinla­gen, obwohl die Frau im Alter für Tena-Lady-Urinbremsen war. Toilettenpapier ›Maritim‹ mit Kompass und Anker be­druckt. Gefrierbeutel. Da wurde auch mal vorgekocht. Alle Produkte Hausmarke. Pragmatisch, spießig und sparsam. So sah sie auch aus, mit ihrer praktischen Kurzhaarfrisur und dem Kassengestell auf der Nase. Der Ehering an ihrem Finger schnitt ins Fleisch, so ewig, wie er da schon von ihr, ihrem Mann und von der Welt vergessen saß.

»Drei Euro siebenundvierzig.«

»Kann ich mit EC-Karte?«

Aus New York hatte sie das nicht. Sie war jemand, der nicht gerne Geld abhob, der keine zum Ausgeben verfüh­rende Scheine in der Tasche haben wollte, für die verlocken­den kleinen Straßencafés und Spätis, an denen man das heimliche Bier mit dem Klaren nur bar zahlen konnte.

»Was wollen Sie denn mit Ihrer EC-Karte machen?«

»Na, zahlen!«

»Dann reden Sie in ganzen Sätzen mit mir, und ich weiß, was Sie meinen. Und ja, Sie können natürlich mit der EC-Karte zahlen.« Heiner nahm der ratlos dreinblickenden Frau die EC-Karte aus der Hand und schob sie in den Schlitz des Kartenlesers. »Pin eingeben und bestätigen.«

»Manchmal ist ja mit Unterschrift.«

»Manchmal ist mit Unterschrift und manchmal ist Ostern. Wie jetzt.«

Ihre Ratlosigkeit wich Bestürzung, und nun schien ihr auch gleich die Pin-Nummer entfallen zu sein.

»Ich komm nicht drauf«, sagte sie schüchtern. Auf ihrer zierlichen Nase bildeten sich Schweißtröpfchen wie Mor­gentau. Es war neun Uhr morgens, sie schien also keiner geregelten Arbeit nachzugehen, zumindest keiner, die sich in der oberen Liga der Anstellungsverhältnisse abspielte. Wahrscheinlich staubsaugte sie nachts Büroraume, denn wie eine Chefärztin vor dem Nachdienst sah sie nicht aus.

»Es war eine Jahreszahl …«, überlegte sie laut.

»Ihr Geburtsjahr vielleicht? 1937?«, sprang Heiner ihr hel­fend zur Seite.

»Sie sind ganz …«, sie schüttelte ungläubig den Kopf im Anlauf auf das Wort, das sie nun gebrauchen würde, »ab­scheulich!«

Sie zog die EC-Karte aus dem Kartenleser und legte vier Euromünzen auf den Geldteller.

Während sie ihren Mikroeinkauf in dem Faltbeutel an ihrem Handgelenk verstaute, gab Heiner ihr das Wechselgeld in Kupfermünzen zurück, und die Frau verließ, immer noch kopfschüttelnd, den Laden.

Heiner lehnte sich entspannt in seinem Kassenstuhl zu­rück. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.

Gründonnerstag. Als er am Morgen die Wohnung verlas­sen hatte, saß seine Mutter aufrecht am Tisch. Etwas ab­wesend hatte sie gewirkt, genauso abwesend, wie sie es während seines ganzen Lebens gewesen war. Sie saß am Kopfende des Tisches, und blickte auf zwölf ihrer Puppen, die sie sich zu Dutzenden auf einem TV-Shopping-Kanal ge­kauft hatte. Heiner hatte die schönsten ausgesucht, denn so ein Gründonnerstag allein zuhause konnte ein langer, zer­mürbender und deprimierender Tag werden.

Er vernahm ein Räuspern. Nickte dem Mann zu, der un­geduldig eine Packung Einmalrasierer und eine Cola auf das Band legte. «Zwei Euro achtzehn.«