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Verlorene Gedanken

Herzbewegende Geschichten und Gedichte

Barbara Acksteiner

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2019 – Herzsprung-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten.

Erstauflage 2019

Coverbild gestaltet mit Fotos von Barbara Acksteiner

und © lapas77 (Hintergrund) – Adobe Stock lizenziert

Alle Fotos: Barbara Acksteiner

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-96074-042-1 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-097-1 – E-Book

*

Inhalt

Verlorene Gedanken

Heimat! Was ist das?

Das Herz blieb zurück0

Unbeliebt und ungeliebt3

Eines Tag’s - was dann?

Trümmerfrauen

Wenn das Meer ruft

Wärmender Glücksbringer

Innehalten

Die Lebensuhr steht nicht still

Der Morgen danach

Altersrente

Da war doch noch was

Kapitel 1: Allein und einsam

Kapitel 2: Die alte Frau und ihre Erinnerungen

Kapitel 3: Die kleine Anna und der Holzschuppen

Kapitel 4: Das alte Muttchen und ihre Lieben

Kapitel 5: Das kleine Mädchen und Heiligabend

Kapitel 6: Das alte Mütterlein im Hier und Jetzt

Spring über deinen Schatten!

Verzeiht mir bitte

Man sollte niemals NIE sagen

Gedanken kreisen

Wir brauchen uns doch so

Kapitel 1: Der Schneefall

Kapitel 2: Schippen ist angesagt

Kapitel 3: Kinder und Arbeit

Kapitel 4: Urlaub an der See

Kapitel 5: Die Pflegeschwester und Frau Ruhe

Kapitel 6: Das Christrosensträußchen

Kapitel 7: Gevatter Tod

Kapitel 8: Grüße von der Front

Kapitel 9: Die Beisetzung

Kapitel 10: Rostige Rosenschere

Kapitel 11: Wir brauchen uns doch so

Kapitel 12: Sein letzter Wunsch

Reise ohne Wiederkehr

Sein Freund - die Eiche

Herzenswunsch

Zwischenmenschliches

Fürs Zuhören danke ich dir

Im Weihnachtswunderland

Vermisster kleiner Freund

Zu guter Letzt - Papierfutter

*

Verlorene Gedanken

In Gedanken versunken geh’ ich ins Bett,

denke mir noch dabei: „Es wäre sehr nett,

wenn ich am frühen Morgen

aufstehe und mich ohne Sorgen

gleich an meinen Schreibtisch setze

und niederschreibe die paar Sätze,

die mir durch den Kopf grad gehen,

ob’s auch klappt? Ich werd’ es sehen.“

Am anderen Tag – ausgeschlafen und frisch,

setze ich mich gut gelaunt an meinen Tisch.

„Zum Donnerwetter“, ruf’ ich laut,

„gleich fahre ich aus meiner Haut!

Wo sind jetzt die Gedanken hin?

Sie zu suchen? Es macht keinen Sinn.

Noch im Traum – gestern Nacht

hab’ ich darüber nachgedacht,

wie ich am Tage alles bestens formulier’

und meine Gedanken bringe aufs Papier!“

Jetzt sitze ich hier und bin geschockt,

vor mir nur mein Hundchen hockt,

als wollt’ es sagen: „Mach dir nichts draus,

sondern geh’ jetzt besser mit mir raus.

Denn meine Blase, sie ist übervoll,

Frauchen, das finde ich nicht so toll!“

Ich stehe auf und denke dabei:

„Für heute lasse ich die Schreiberei!

Unter Druck macht’s eh keinen Sinn,

es ist ja auch nicht weiter schlimm.“

Kaum stehe ich draußen in dem Garten,

kann ich’s gar nicht mehr erwarten,

denn die Gedanken letzter Nacht,

werden plötzlich in mir wach.

Auf einmal sind sie wieder da,

vor Freude schreie ich: „Hurra!

Hundi, komm wir müssen rein,

sorry, aber es muss wirklich sein!

Ich will schnell aufschreiben, was ich spüre,

nicht, dass ich die Gedanken erneut verliere!“

Etwas später – ist’s vollbracht,

mein Herz voller Freude lacht.

Denn vor mir – auf dem Blatt Papier,

stehen jetzt all die Gedanken hier,

die verschollen waren für viele Stunden,

zum Glück hab’ ich sie wiedergefunden!

Ich lese noch einmal, was dort steht,

bevor der Text auf Reisen geht.

Es freut mich, wenn er gefällt,

vielen Autoren auf der Welt.

Ich schreibe – was mein Herz mir sagt,

wobei ich nur selten etwas hinterfrag’ …

Während Menschen ihr Herz oftmals auf der Zunge tragen,

möchte ich das, was ich denke, durch Geschriebenes sagen.

Schreiben ist mehr als ein Hobby – Schreiben befreit,

macht den Kummer erträglicher und auch das Leid.

Das schönste Lob für Autoren ist,

wenn man gern (s)ein Büchlein liest.

*

Heimat! Was ist das?

Das ist eine Frage, die ich gar nicht so leicht beantworten kann.

Ich werde es jedoch versuchen.

Meine Heimat ist da,

wo ich geboren bin,

wo ich meine geliebten Harzberge sehe,

wo ich die Kirchturmspitze erblicke,

wo ich die Kirchenglocken der Lutherkirche höre,

wo mir mein Innerstes sagt:

HIER ist mein Geburtsort.

Mein Zuhause ist da,

wo ich mich bis zum heutigen Tage geborgen fühle.

Wo meine Familie lebt,

wo ich jeden Stein und jede Straße kenne,

wo ich nette Menschen um mich habe,

wo ich all meine Lieben auf dem Friedhof besuchen kann,

wo ich letztendlich glücklich bin,

wo ich mich richtig wohlfühle,

wo ich aus vollem Herzen sagen kann:

HIER bin ich Daheim.

Obwohl ich manchmal gerne ausbrechen würde,

dennoch weiß ich nur zu gut:

Ich würde es woanders nicht lange aushalten,

ich würde in der Fremde unglücklich sein,

ich würde schnell Heimweh bekommen.

Nach meiner Familie,

nach meinem Zuhause,

nach meinem Bett.

Ja, nun weiß ich es:

Das ist mein Vaterland.

DAS ist für mich Heimat!

*

Das Herz blieb zurück

Hans und Ilse gehörten im Jahr 1938 zu dem Personenkreis, die zu der damaligen Zeit – wie viele andere auch – in Schlesien lebten und Land besaßen. Sie bewohnten ein Haus und hatten seinerzeit sogar einige Kühe, Schweine und Hühner. Jeden Tag wurde bis zum späten Samstagnachmittag auf dem Feld gearbeitet. Die Arbeit wurde in den meisten Fällen von den Frauen bewältigt.

Ilse arbeitete viel, obwohl die Feldarbeit sehr schwer war. Sie pflügte, eggte, erntete und zusätzlich versorgte sie die Kinder. Den jüngsten ihrer Buben musste sie mit aufs Feld nehmen. Er wurde noch gestillt und diese Tätigkeit konnte sie beim besten Willen keiner anderen Person übertragen. Die zwei älteren Kinder blieben zu Hause und wurden während der Abwesenheit ihrer Mutter von den Großeltern beaufsichtigt und betreut.

Jeden Samstag wurde, nach vollbrachter Arbeit, auf der Schwelle zum Hauseingang gesessen, und bis in die Abendstunden hinein über Gott und die Welt geredet. Dieses Ritual und das gesellige Zusammensein schweißte die Familie enger zusammen. Sonntags war immer Kirchgang angesagt, und im Anschluss daran gab es dann meistens ein sogenanntes besseres Mittagessen.

Weil es Hans’ Eltern nicht so gut ging, unterstützte der Sohn zudem seine alten Eltern, die im Sudetenland lebten. Regelmäßig brachte er ihnen Lebensmittel und half ihnen, wo er nur konnte. Doch nur von der Feldarbeit allein und den Tieren konnte die fünfköpfige Familie nicht leben. Darum vermieteten sie während der Urlaubszeiten an Sommerfrischler eins ihrer Zimmer und besserten mit den Mieteinkünften ihr Geld im Portemonnaie auf. Es kam zwar nicht viel dabei rum, aber dennoch half das, was sie dadurch einnahmen.

Das Leben hätte so schön sein können, denn Schlesien – ihre Heimat – war ein schönes Land. Die Grafschaft Glatz, das Riesengebirge, die Weite des Landes! Hans und Ilse liebten jeden Stein, jede Straße, jeden Hügel, einfach alles. Doch dann, über Nacht, sollte sich alles ändern!

Im Jahr 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus.

Und mit ihm begannen die bestialischen Verbrechen – und später die Flucht und Vertreibung aus ihrer Heimat – ihrem Land. Die Männer wurden an die Front einberufen und die allein gelassenen Frauen schufteten unterdessen in der Heimat weiter.

So auch Ilse. Sie war in ständiger Sorge um den Ehemann und Vater. Und diese Angst war nicht unbegründet. Denn im Juni 1942 bekam Ilses Schwägerin die furchtbare Nachricht, dass ihr Mann Werner – Hans’ Bruder – im Krieg gefallen sei.

Während des Krieges bekam Ilses Mann Hans zweimal Urlaub von der Front. Als Ilse schwanger wurde und später die Wehen einsetzten, radelte Hans mit dem Fahrrad in die Kilometer entfernte größere Ortschaft, um die Hebamme zu holen. Der Weg dorthin und zurück war für beide Parteien äußert schwer und zudem gefährlich. Die Hebamme kam mit Hans rechtzeitig bei Ilse an, sodass dank ihrer Hilfe Horst, ein dritter Bub, Anfang 1945 das Licht der Welt erblickte.

Die Zeiten wurden jedoch immer unruhiger.

Und täglich wuchs die Furcht. Der Zweite Weltkrieg dauerte immer noch an und war von Toten übersät. Dann kam der Tag, an dem bei einer Nacht- und Nebelaktion die Russen in Tschechien einmarschierten. Der Überfall geschah am 8. Mai 1945. Hans und Ilse konnten das Datum nie vergessen.

Der kleine Horst war erst wenige Wochen alt und der älteste Junge war bereits im schulpflichtigen Alter. Uwe bekam von daher schon alles bewusst mit, was sich innerhalb der zehn Tage in ihrem Heimatdorf abspielte, in dem die Russen ihr Unwesen trieben. Die russischen Soldaten erschossen die Kühe, verwüsteten die Gebäude, urinierten und erledigten ihre großen Geschäfte in Stuben und Küchen, plünderten die Vorräte und betranken sich sinnlos. Weil ihnen das alles noch nicht reichte, vergewaltigten sie die Frauen – auch vor den Augen ihrer Kinder und Ehemänner. Wollten die Männer ihren Frauen helfen, wurden sie brutal zusammengeschlagen.

Als die Russen die Stadt wieder verlassen hatten, war das ganze Ausmaß der Verwüstung erst zu erkennen. Und Hans und Ilse mussten feststellen, dass die abscheulichen Gräueltaten auch bei ihrem Uwe seelische Spuren hinterlassen hatte. Ihr Junge zog sich in sich zurück. Seine einstige Unbeschwertheit war verloren gegangen. Erst Jahre später erholte er sich von dem, was er als Kind miterleben und ansehen musste.

Während dieser schlimmen Zeit gelang es dennoch einigen Familien der überfallenen Orte, dass sie noch rechtzeitig nach Rosenthal flüchten konnten. Der fünfköpfigen Familie – Hans und Ilse mit ihren drei Kindern – war dieses Glück nicht vergönnt. Sie mussten in ihrem Heimatdorf aushalten!

Erst im Juni 1945 begann der Rückmarsch der Russen. Doch die Freude darüber währte nicht lange. Denn nachdem endlich die Russen weg waren, kamen die Polen. Jetzt ging es zwar den Frauen besser, dafür wurden die Männer schwer misshandelt. Davon blieb auch Hans nicht verschont. Als er an einem Tag auf dem Weg zu seinem Vater war, wurde er von mehreren betrunkenen Polen aufgegriffen und fast totgeschlagen. Es folgte in den kommenden Monaten ein reines Spießrutenlaufen.

Die Angst ging um und tagtäglich nahm diese zu. Obwohl am 8. Mai 1945 durch die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht der Krieg in Europa für beendet erklärt worden war.

Doch dann kam der Tag, der das Leben von Hans seiner Familie von heute auf morgen total auf den Kopf stellen sollte. Am 27. August 1946 wurden sie und alle anderen Familien von der polnischen Verwaltung Freiwalde davon in Kenntnis gesetzt, dass sie am nächsten Tag ihr Dorf zu verlassen hätten. In allerletzter Minute vergruben Hans und Ilse auf ihrem Grundstück schnell noch alle Wertgegenstände, die sie besaßen: Porzellan, Fotos und andere persönliche Dinge, die sie auf der Flucht aus der Heimat nicht mitnehmen konnten. Es handelte sich um Sachen, die ihnen ans Herz gewachsen waren und die Erinnerungen weckten. Und das alles wollten sie nach ihrer Rückkehr wieder ausgraben.

Damals – und zu diesem Zeitpunkt – konnten sie und niemand von den Verwandten, Bekannten und Freunden ahnen, dass es ein Abschied für immer sein würde.

Nur einen Tag später, am 28. August 1946 morgens gegen 8:30 Uhr, begann die Flucht in ein unbekanntes Leben. Einige wenige Habseligkeiten wurden eilends zusammengepackt und dann ging es mit einem beladenen Kuhgespann-Fuhrwerk von ihrem Heimatdörfchen ins nahe liegende Nachbardorf. Von dort aus ging es weiter in die nächstgrößere Stadt. Nach und nach trafen dort alle Familien ein und hier im Lager mussten die Frauen, Männer und Kinder zwei Tage lang ausharren. Beim Aufbruch durfte dann jeder Flüchtling nur noch so viel Gepäck mitnehmen, wie er selbst tragen konnte.

Die Kühe, Pferde und alle Fuhrwerke blieben herrenlos in Mittelwalde zurück. Anschließend ging es zu Fuß zum Güterbahnhof. Dort angelangt, wurden jeweils 16 Familien in einem Viehwaggon untergebracht. Hans, Ilse und ihre Kinder kamen sich – im wahrsten Sinne des Wortes – vor wie Vieh, weil sie recht unsanft in den Waggon gestoßen und dann abtransportiert wurden.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Hin und wieder gab es einen kleinen Halt. Ilse war oftmals der Verzweiflung nahe. Flüchten zu müssen, mit einem Baby und zwei größeren Kindern, es war eine schreckliche Zeit. Zu essen und trinken gab es so gut wie gar nichts. Ruhe gab es ebenfalls nicht, denn der Zug, mit völlig überfüllten Viehwaggons, fuhr auch während der Nächte. Das Rattern der Räder – sie konnte das Geräusch nie vergessen.

Den ersten größeren Halt gab es in Kohlfurt. Dort wurden alle Insassen entlaust, gepudert und es gab das erste warme Essen. Anschließend ging es weiter.

Der nächste Aufenthalt war am 7. September 1946 in einem Ort bei Salzgitter. Hier ging es erneut in ein Lager und dort wurde gesagt, dass Waldarbeiter gesucht würden. Hans meldete sich zusammen mit noch einigen Männer. Diese Männer wurden später mit ihren Familien auf die Ladefläche eines Lkw gebracht und in den Harz gefahren.

Am 9. September 1946 trafen sie am Zielort ein und wurden gleich bei den Familien einquartiert, die sich bereit erklärt hatten, Flüchtlinge aus Schlesien bei sich aufzunehmen. Was Hans, Ilse und ihre Kinder damals nicht ahnen konnten, war, dass dieser Ort im Harz auf Dauer ihre zweite Heimat werden sollte.

Die Flucht war beendet. Hab und Gut mussten sie zurücklassen. Geflohen – sie waren geflohen, weil ihnen keine andere Wahl blieb! Aber in ihrem Herzen blieb und bleibt Schlesien auf ewig ihr erstes Zuhause … ihre Heimat.

*

Unbeliebt und ungeliebt

Die Schlagzeilen, die mich erreichen,

sie sind wirklich zum Herz erweichen.

Menschen fliehen erneut aus ihrem Land,

in Länder, die ihnen nicht bekannt.

In der Heimat bangen sie um ihr Leben,

warum muss es das überhaupt geben?

Flüchtlinge kommen! Erwarten, erhoffen Asyl, sie wollen rein.

Man fragt sich von Neuem: Wird das Fliehen jemals zu Ende sein?

*

Eines Tag’s - was dann?

Ein Erdenbürger überlegt,

wie es wohl weitergeht

in unserer Welt, wo Hass und Neid

sich immer schneller machen breit.

Er, nein! Er kann’s nicht fassen,

dass Menschen einander hassen.

Seine Gedanken überschlagen sich:

„Warum denkt der Mensch nur an sich?

Warum wird gefoltert, gepöbelt und geschossen?

Warum bekämpfen sich Menschen unverdrossen

solang’, bis einer am End’ am Boden liegt

und dann auch noch ’nen Fußtritt kriegt?“

Der Erdenbürger stützt den Kopf in seine Hände,

wünscht sich, dass Wut, Terror, Kriege ein Ende fände.

Doch wenn er’s richtig überdenkt

und keiner kommt – der das lenkt,

dann wird unsere Welt sich eines Tages selbst zerstören,

denn auf die Warnzeichen will anscheinend niemand hören!

*

Trümmerfrauen

Sie haben geschuftet

und Steine gewuchtet.

Sie haben sich gequält

und ihr Los selber gewählt.

Sie haben niemals laut geklagt –

stattdessen alles stets gewagt.

Sie waren Deutschlands Trümmerfrauen

und begannen unser Land neu aufzubauen!

Mit ihren Händen und ihrer ganzen Kraft,

haben sie schier Unmögliches geschafft.

Sie schleppten Trümmer! Keiner fragte: Wie?

Erzogen ihre Kinder und weinten fast nie.

Obwohl ihre Männer verschollen noch waren,

obwohl sie einander seit Jahren nicht sahen.

Sie gaben die Hoffnung niemals auf,

nahm das Leben auch weiter seinen Lauf.

Sie glaubten an das, was sie taten und machten,

nur des Nachts sie an bessere Zeiten dachten.

Heute sind die Trümmerfrauen alt, auch viele schon tot,

als sie jung waren, schleppten sie Steine, in größter Not.

Und ihre Männer? Sehr viele waren noch fort.

Vermisst? Tot? Begraben? An welchem Ort?

Heute ist vergessen, was sie leisteten für unser Land,

das merkt man immer, wenn die Alten werden krank.

Zu gerne werden sie heute abgeschoben,

anstatt sie für das, was sie taten, zu loben.

Doch das riesengroße Leid ist längst vergessen,

der Krieg längst vorbei – darum ist es gegessen.

Es geht uns gut in unserem Land,

wir sind für Wohlstand sehr bekannt.

Doch brauchen die „Alten“ teure Therapien,

wird von allen Seiten nur laut geschrien:

„Das ist zu teuer, das brauchen die nicht mehr!“

Wo bleibt der Dank? Ich bitte euch sehr.

So kann man mit unseren Alten nicht umspringen,

doch fast jeder von uns kann ein Lied davon singen!

Solange man jung ist, kann zahlen und schuften,

braucht man noch nicht so schnell zu verduften.

Das kommt erst später, wenn man alt ist und krank,

dann steht so ein Mensch mit dem Rücken zur Wand.

Vergessen wird alles, was der alte Mensch geschafft,

ging’s damals tagein, tagaus auch über seine Kraft.

Traurig und beschämend ist so ein Verhalten,

gegenüber: All unserer Alten!

*

Wenn das Meer ruft

Zu gerne würde Ursula mal wieder einige Tage am Meer verbringen. Das letzte Mal, als sie an der Ostsee in Rerik gewesen ist, war während des Zweiten Weltkrieges. Dorthin wurde sie seinerzeit als Stabshelferin abkommandiert, weil sie in der Schreibstube des Luftwaffenlazaretts ihren Dienst versehen sollte.

Hinzu kam später dann auch die Betreuung der verwundeten Soldaten. Die zu verrichtenden Arbeiten waren alles andere als leicht. Manche Nacht fiel sie weinend in ihr Bett, weil ihr das, was sie dort mit ansehen und erleben musste, weit über ihre Kraft ging. Der Anblick der unzähligen Soldaten, die teils mit lebensbedrohlichen, schrecklichen Verletzungen vor ihr lagen und die trotz größter Bemühungen der Ärzte und Krankenschwestern vor ihren Augen starben, ließ sie immer öfter verzweifeln. Ursula hasste den Krieg und das, was er immer wieder aufs Neue den Soldaten und den Menschen im Land antat. Im Luftwaffenlazarett dem Elend, der großen Hoffnungslosigkeit tagein, tagaus ausgesetzt sein zu müssen, war sehr schlimm für die blutjunge Ursula. Daran wäre sie fast zerbrochen.

Normalerweise wollte sie im Laufe der vergangenen Jahrzehnte mit dem in Rerik Erlebten gedanklich schon etwas mehr abgeschlossen haben. Aber die Vergangenheit holte sie von Zeit zu Zeit immer wieder ein. Also musste Ursula noch einmal an diesen schicksalsträchtigen Ort zurückkehren. Und der Spätherbst bot sich geradezu an, diese Reise in die Vergangenheit anzutreten.

Drei Tage später war es soweit.

Sie setzte sich in ihr Auto und fuhr in Richtung Ostsee. Je näher sie ihrem Ziel kam, je heftiger fing ihr Herz an zu schlagen. Dann sah sie vor sich das Ortsschild. Mit großen Buchstaben stand darauf: Rerik! Sie drosselte die Geschwindigkeit ihres Autos und fuhr langsam in den Ort hinein.

Nachdem sie ihre Unterkunft gefunden hatte und in ihrem angemieteten Zimmer stand, ging sie sofort auf den kleinen Balkon. Ursula konnte von hier das Meer nicht nur sehen, sie konnte es sogar riechen. Sie schloss für einen kurzen Augenblick ihre Augen …