EVELYN BERCKMAN

 

 

Sie hat es so gewollt

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 84

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

SIE HAT ES SO GEWOLLT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Die Schauspielerin Nell Harriot ist beinahe noch immer so schön wie früher. Doch ihr Typ ist in Hollywood nicht mehr gefragt. Als sie den zehn Jahre jüngeren, erfolglosen Schriftsteller Richard Thorne heiratet, glaubt mancher, er habe es nur auf Nells Vermögen abgesehen.

Gefährliche Intrigen und ein unheilvolles Geheimnis bestimmen von nun an ihr Leben...

 

Evelyn (Domenica) Berckman (*18. Oktober 1900; †18 September 1978) war eine US-amerikanische Autorin von Kriminal- und Schauer-Romanen.

Der Roman Sie hat es so gewollt erschien erstmals im Jahr 1969; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   SIE HAT ES SO GEWOLLT

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Was erwartete sie schließlich, wenn sie einen Mann heiratete, der so viel jünger war als sie?

Vom ersten Augenblick an hätte ich es wissen müssen - als ich ins Wohnzimmer kam und die beiden zusammen sah. Nicht, dass es so außergewöhnlich gewesen wäre, sie mit einem Mann zusammen zu sehen, du lieber Himmel, nein. Sie stand seit jeher mit zahlreichen Männern auf freundschaftlichem Fuß. Wie sollte es auch anders sein bei einer Frau, die auf eine solche Karriere zurückblicken konnte. In ihren berühmten Tagen hatte sie buchstäblich Hunderte von Männern beruflich und privat gekannt.

An jenem Abend also kam ich ins Wohnzimmer, ganz arglos, und fand die beiden nebeneinander auf dem Sofa sitzen. Es war offensichtlich, dass ich im unpassenden Augenblick erschienen war. Ich merke eigentlich immer sofort, was los ist, aber es war spät an diesem Abend, ich kam gerade aus dem Kino, und außerdem war es ein sehr heißer Abend. Diese entsetzlichen amerikanischen Sommer! Ich habe mich in den fast zwanzig Jahren, die ich nun schon hier lebe, nicht daran gewöhnen können. Und wenn ich von der Hitze erschöpft und abgespannt bin, leidet darunter meine Beobachtungsgabe. Daher erfasste ich die Situation nicht sofort. Ich bemerkte nicht einmal ihr gerötetes Gesicht und ihren verlegenen Ausdruck. Erst viel später erinnerte ich mich daran. Außerdem erwartete ich auch nicht im Entferntesten etwas dergleichen - sie war ja über das Alter hinaus, dachte ich. Wir hatten einige sorgenvolle Jahre miteinander verlebt, aber nach ihrem großen Erfolg war unser Dasein ruhig und angenehm verlaufen, und ich hatte nie Anzeichen dafür bemerken können, dass sie nicht vollkommen zufrieden gewesen wäre. Und dann war dieser Mann auch um so vieles jünger als sie.

Er stand sofort auf, als ich ins Zimmer trat, und gab sich höflich und charmant. Ich hasse Schmarotzer. Und was die gewisse Höflichkeit angeht, so erkenne ich sie mühelos auf den ersten Blick. Es war auch bei ihm jene Höflichkeit, die Männer hässlichen Frauen bezeugen. Eine durchsichtige Höflichkeit, die bedeutet, dass man im nächsten Augenblick bereits wieder vergessen ist. Ja, ich kenne diese Höflichkeit an Männern. Wann habe ich jemals etwas anderes von ihnen erfahren - mein ganzes Leben lang?

»Ah«, sagte er und streckte seine Hand aus. »Die Perle aller Sekretärinnen! Miss Harriot hat mir schon von Ihnen erzählt.«

Ach ja, dachte ich müde. Ich bin überzeugt, ihr habt von nichts anderem gesprochen als von mir. Wir redeten noch ein bisschen hin und her, und, um ehrlich zu sein, ich habe ihn kaum wahrgenommen. Ich fühlte mich schmutzig und klebrig und sehnte mich nur nach einem kühlen Bad und meinem Bett, herrlich kühl durch die Klimaanlage. Und dann vielleicht noch etwas Obst und eine halbe Stunde Lesen vor dem Einschlafen. Ich verabschiedete mich, und er wünschte mir eine gute Nacht. Wieder mit dieser Höflichkeit und seinem ganzen Charme.

 

Und dann begann sie, sich Zucker und Fett zu versagen, um abzunehmen. Das allein hätte mich warnen sollen. Aber nicht einmal das weckte meine Aufmerksamkeit. Wie blind und dumm ich doch war! Andererseits, selbst wenn ich es bemerkt hätte, ich hätte doch nicht verhindern können, was geschah.

Man konnte sie eigentlich nicht als Schönheit bezeichnen, sie war eher lieblich, bezaubernd zu nennen. Sie hatte eine wundervolle Haut, wie wir Engländerinnen sie oft haben, dazu freundliche blaue Augen, einen weichen Mund und natürlich blitzweiße Zähne, die sie sorgsam pflegte. Sie war jedoch den Tischfreuden keineswegs abgeneigt und nahm sehr leicht an Gewicht zu. Aber das verdarb ihr Aussehen merkwürdigerweise nicht. Sie behielt immer ihre gute Figur, nur wurde sie dann stattlicher - und etwas matronenhaft. Aber sie brauchte nichts weiter zu tun als zehn Pfund abzunehmen, und man konnte die Jahre mit den Pfunden dahinschwinden sehen. Auch jetzt kam wieder ihr jugendliches Aussehen zum Vorschein, obgleich sie, soviel ich weiß, fünfzig oder einundfünfzig war. Sie machte ein großes Geheimnis aus ihrem Alter. Zu dumm so etwas, sie musste mindestens fünfzig sein. Aber selbst in diesem Alter konnte sie mit etwas Willen und Verzicht noch jung aussehen. Das war eines der Dinge, die ich ihr übelnahm - dass sie einfach nicht alt werden wollte. Aus Bosheit, dachte ich manchmal.

Natürlich fiel mir auf, dass der junge Mann entschieden zu oft kam und zum Lunch oder zum Abendessen blieb, aber ich dachte nur, es wird einer von diesen mittellosen Schmarotzern sein, die sich bei einer älteren Frau einschmeicheln, um ein paar kostenlose Mahlzeiten zu ergattern. Ich hätte ja auch nichts dagegen einwenden können, schließlich war es ihr Haus, und so ertrug ich schweigend und gelangweilt ihr Geschnatter und ihr Gelächter. Und sie lachten wahrhaftig viel. Manchmal versuchten sie, mich hineinzuziehen. Wie freundlich von ihnen! Aber ich gab mich distanziert. Nicht, dass das viel Eindruck auf sie gemacht hätte - sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Und dann kam jener Morgen - und der Schock!

Ich saß an meinem Schreibtisch, wie gewöhnlich, und sie saß neben mir, auch wie gewöhnlich - weil ich darauf bestand. Bei ihrer Unbekümmertheit in geldlichen Dingen hielt ich es für das beste, die Rechnungen mit ihr durchzugehen und ihr alles zu erklären, eine Vorsichtsmaßnahme und Absicherung für mich. Aber ich konnte sie nie wirklich dafür interessieren, sie warf höchstens einen flüchtigen Blick auf die Papiere, hörte nur halb zu und sagte schließlich: »Ja, ja. Mach nur, was du für richtig hältst.« Aber an diesem Morgen sagte sie plötzlich, aus heiterem Himmel heraus: »Dick und ich werden heiraten.«

Ich schaute sie nur an. Vermutlich stand mir sogar der Mund offen, aber das weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, dass ihre Augen leuchteten und dass ihr Mund aussah, als wäre er geküsst worden und hätte auch selbst geküsst. Und ich erinnere mich an ihr Lächeln, vielleicht ein wenig verlegen und bittend, aber doch letztlich strahlend. Ja, sie wirkte rundherum strahlend - die alte Närrin! Nein, nicht alt - sie sah alterslos aus, wenn nicht sogar jung.

»Wir heiraten«, wiederholte sie, als ich nichts sagte.

»So.« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich war erschüttert, gespalten wie ein vom Blitz getroffener Baum. Fast hätte ich mich übergeben müssen, so stark war der Schock. Meine Hände waren eiskalt, und ich bekam Kopfschmerzen. Und das alles nur wegen dieser paar Worte, die sie gesagt hatte.

»Wann?«, gelang es mir als nächstes herauszubringen. Es klang sogar ganz ruhig, ganz beiläufig, als spräche ich zu mir selbst.

»Sofort«, erwiderte diese idiotische Romantikerin. »Warten wäre unsinnig. Schließlich haben wir ja nicht mehr so viel Zeit zu verlieren. Wir haben beide unsere erste Jugend hinter uns.«

Also das ist doch wohl die Untertreibung des Jahres!, dachte ich. Aber als ich ihre helle, gerötete Haut und ihre strahlenden Augen sah, wusste ich, dass ich nicht vorsichtig genug sein konnte.

»Sag mal«, meine Stimme sollte freundschaftlich interessiert klingen, und vielleicht hörte sie sich auch wirklich so an. »Sag mal, wer ist er eigentlich?«

»Oh - er war ursprünglich Schauspieler.«

Das hätte ich mir denken können, das passte zu ihm.

»Aber an der Schauspielerei hat er schon vor langem das Interesse verloren, und jetzt schreibt er Theaterstücke.«

»So, das ist ja nett.« Meine Ironie entging ihr. Sie ist wirklich nicht besonders intelligent. »Hat er schon irgendetwas herausgebracht?«

Sofort verriet mir ihr Ausdruck - ein bisschen wachsam und defensiv wie die Antwort lauten würde.

»Noch nicht. Die Umstände waren sehr ungünstig. Es ist schrecklich, mit was Theaterautoren zu kämpfen haben. Du weißt das doch am besten.«

Allerdings, das war wohl wahr.

»Sicher«, stimmte ich zu. »Aber dann hat er vermutlich etwas unter Option? Vielleicht sogar mehr als nur ein Stück?«

»Ja.« Sie war merklich erleichtert. Sie mochte solche Fragen nicht - sie war wirklich so leicht zu durchschauen, dass es schon lachhaft war. »Irgend so etwas hat er, glaube ich.«

Glaubst du, dachte ich. Ich glaube es nicht.

»Er ist sehr intelligent, und er hat sehr viel Gefühl für das Theater«, plapperte sie. »Es ist nur eine Frage der Zeit und des Glücks, wie bei all diesen Dingen. Und ich kann ihm helfen. Ich habe immer noch Beziehungen.«

»Natürlich«, pflichtete ich ihr bei und dachte - deine Beziehungen! Weißt du nicht, dass du zu denen gehörst, von denen die Leute sagen: »Ach, sie lebt noch? Ich habe sie als Kind mal gesehen.« Und nach zwanzig Jahren in diesem abscheulichen Land müsstest du eigentlich die Einstellung der Amerikaner zum Erfolg von gestern kennen. Nichts verachten sie mehr als jemanden, der gewesen ist.

»Es ist schrecklich aufregend, ihm zuzuhören«, fuhr die leichtgläubige Närrin fort. »Er hat so viele Ideen.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte ich ohne Überzeugung und überlegte unterdessen fieberhaft. Ein erfolgloser Schauspieler, ein Theaterautor, der nie aufgeführt worden war. Jeder, der auch nur irgendwie mit dem Theater zu tun hatte, weiß, was das bedeutet. Ihre nächsten Worte überraschten mich dann ein wenig.

»In meinem Alter«, sinnierte sie laut. Es klang sogar ein bisschen traurig. »In meinem Alter.«

Ich schöpfte plötzlich neue Hoffnung. Bedeutete das vielleicht, dass sie es sich noch einmal überlegen und wieder zur Vernunft kommen würde?

Ihre traurigen Augen richteten sich wieder auf mich. »Findest du, dass ich dumm bin?«, fragte sie wehmütig.

Nicht nur dumm, sondern alt und dumm, hätte ich fast geantwortet, aber mein Instinkt bewahrte mich gerade noch davor.

Wenn ich das sagte, war ich verloren - war alles verloren. Es gab nur eine einzige mögliche Taktik - ich musste ihr sagen, was sie hören wollte, jedenfalls für den Augenblick. Ich musste abwarten, bis abzusehen war, wie sich alles weiterentwickelte.

»Natürlich bist du nicht dumm«, erwiderte ich mit abwehrender Herzlichkeit, und es war lächerlich mitanzusehen, wie sich ihr Gesicht sofort erhellte. »Dein Leben gehört dir, und nur du weißt, was am besten für dich ist.«

Das genügte. Sie lächelte wieder, und in ihren Augen tanzten Lichter. Als ich sie in so guter Stimmung sah, wagte ich versuchsweise einen kleinen Einwand. »Allerdings, in Anbetracht der Tatsache, dass du ihn erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit kennst... meinst du nicht, dass es klüger wäre, noch etwas zu warten...«

Ich hielt inne. Warten - das war das falsche Wort gewesen. Ihre Miene veränderte sich, ihr Mund wurde eigensinnig. Wie gut ich diesen Mund kannte! Jetzt hätte man genauso gut einem Maulesel Vernunft predigen können.

»Warten? Auf was?«, sagte sie nur. »Wir sind keine Zwanzigjährigen, die nicht wissen, was sie wollen.«

»Natürlich, natürlich«, stimmte ich hastig zu. »Das verstehe ich.« Es war nicht allein Feigheit, die mich das sagen ließ, ich wollte vor allem Zeit gewinnen. Und wenn ich dabei nicht sehr geschickt vorging, dann nur, weil mich das alles so erbarmungslos plötzlich getroffen hatte.

»Wie alt ist er?«, fragte ich ohne bestimmte Absicht, eigentlich nur, um die Lage zu peilen. Sie zuckte leicht zusammen. Das war auch wieder eine Frage, die ihr nicht passte.

»Anfang Vierzig, glaube ich. Aber was hat das Alter mit dem zu tun, was zwischen mir und Dick ist?«

»Gewiss, gewiss.« Eine Kleinigkeit so ein Altersunterschied von zehn oder zwölf Jahren - und nicht einmal zu deinen Gunsten, dachte ich. Aber so viel war mir inzwischen klar, dass es nicht den geringsten Sinn hatte, sich dagegenzustellen, gleichgültig, was dabei herauskam. Ich musste sehr vorsichtig sein und abwarten.

»Monny«, sagte sie mit ihrer warmen, wundervollen Stimme, die ein so wesentlicher Bestandteil ihres Erfolges war. »Monny, das ändert nichts, soweit es dich und mich betrifft, das verspreche ich dir. Wenn du dir also deswegen Sorgen machst...«

»Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte ich ein bisschen zittrig, weil sie darauf immer sehr anspricht. »Dazu kenne ich dich zu gut.«

»Das will ich hoffen«, meinte sie. »Was sollte ich auch ohne dich tun?«

Das kannst du ruhig noch mal sagen, dachte ich, schließlich habe ich dich erst zu dem gemacht, was du bist.

Wir lächelten einander an, ein liebes Von-Frau-zu-Frau-Lächeln. Es war zum Kotzen.

 

Mein erster Gedanke war, heimlich Erkundigungen über ihn einzuziehen - was er war, wo und wie er lebte und wie seine Vergangenheit aussah, mit der es meiner Überzeugung nach nicht zum besten stehen konnte. Im Branchenbuch standen reihenweise die Adressen von privaten Ermittlern. Ich hatte keinerlei Erfahrung mit Privatdetektiven und hätte auch nie gedacht, dass ich jemals solche Leute engagieren würde, aber ich wusste nicht, wie ich es anders hätte anfangen sollen. Ich wählte irgendeinen in einer ziemlich finsteren Gegend, aber als ich dann dorthin ging und vor dem schäbigen alten Haus stand, wurde mir buchstäblich schlecht - schlecht vor Angst. Angenommen, ich zog tatsächlich Erkundigungen ein, und dieser Thorne bekam heraus, was ich getan hatte - und erzählte es ihr? Das würde das Ende für mich bedeuten. Ebenso gut konnte ich gleich einen Grabstein bestellen mit dem Namen MONICA COWDRAY darauf. Abgesehen davon, nahm mir auch der schäbige Anblick des Hauses jeglichen Mut. Ich brachte mich gerade noch dazu hineinzugehen, aber der vielfältige Gestank im Hausflur und der schmutzige, teilweise zerbrochene Fliesenboden gaben mir den Rest. Ich drehte mich um und floh. Ich wollte von niemandem hier gesehen und vielleicht wiedererkannt werden. Krüppel oder Deformierte bleiben den Leuten immer sehr deutlich im Gedächtnis haften.

 

Bevor man sich's recht versah, steckten wir mitten im Trubel der Hochzeitsvorbereitungen. Ich wurde allerdings weniger davon mitgerissen als beiseite gefegt. Natürlich hatte ich meine Aufgaben - ich kümmerte mich um die Blumen- und Delikatessenlieferungen und dergleichen. Und dann natürlich um die Einladungen, um die ganz besonders. Man hätte meinen sollen, sie würde den Anstand besitzen, unter diesen Umständen in aller Stille zu heiraten. Aber nein, sie wollte unbedingt eine große Sache daraus machen. Sie unterzog sich allen möglichen Behandlungen und ließ sich haufenweise bildschöne neue Kleider machen. Sie hatte mindestens zehn Pfund an Gewicht verloren, und diesmal war die Wirkung ganz unglaublich.

Während all dieser Aufregung hatten wir ihn natürlich auch dauernd im Haus, und ich hatte Gelegenheit, ihn mir gründlich anzuschauen. Eigentlich ist es schwierig, ihn zu beschreiben, weil er ganz genau so aussah wie tausend andere gutaussehende amerikanische Männer, die mir begegnet sind. Er war groß und gutgebaut, hielt sich aufrecht und hatte eine unbekümmerte Art und einen freien, beschwingten Gang. Er hatte gutgeschnittene, männliche Züge und den Ausdruck sogenannter Jungenhaftigkeit, der so vielen Amerikanern eigen ist und der in meinen Augen ganz einfach einen Mangel an Reife darstellt. Kurz gesagt, er besaß den ganzen aufgelegten Charme und die Gerissenheit, die man von solchen Typen erwartet - wovon sollten diese Männer auch sonst leben? Und diese Eigenschaften würden ihm nun für einige Zeit ein äußerst behagliches Leben verschaffen. Aber etwas ganz Wesentliches an ihm entging mir, und solche Irrtümer machen mich wütend, obwohl man es mir eigentlich nicht verübeln kann. Aber was ich mir selbst übelnehme, ist, dass mir etwas Wesentliches bei ihr entging, und das nach all den Jahren, die ich sie kannte. Aber darauf komme ich später zurück.

Der Hochzeitsempfang war für mich eine Qual. Mein Kopf dröhnte vor Erschöpfung, und mein Gesicht schmerzte von der Anstrengung, den ganzen Tag über dieses idiotische Lächeln beizubehalten. Sie sah einfach hinreißend aus, das musste sogar ich zugeben. Die Schönheitsbehandlungen wirken heutzutage wahre Wunder. Und sie konnte sich die besten leisten. Allerdings hatte sie auch sehr gutes Material - schöne Haut, immer noch feste Konturen und kaum verblasstes honigblondes Haar. Das Ergebnis war wirklich atemberaubend. Und diese ganze strahlende Lieblichkeit wurde gekrönt von einer Art Reiterhütchen, ganz bezaubernd, aus blassem, duftigem, gestärktem Organza mit einer flammendroten Chiffonschärpe. Dazu trug sie ein sehr schlichtes Seidenkleid - von einer Einfachheit, die besonders teuer ist. Die Farbe kann ich nicht genau beschreiben - irgendetwas zwischen Weiß und zartem Hellgrau, aber mit dem Glanz und der Tiefe einer Perle. Ein passender Seidenmantel mit flammendrotem Taftfutter vervollständigte das Ensemble. An einer Schulter trug sie ein Gesteck aus flammenfarbenen Orchideen. Sie waren mit einer wundervollen Diamantenbrosche befestigt, und die hatte sie nicht von ihm, das kann ich beschwören, es war ihre eigene. Nur die Orchideen hatte er ihr geschenkt. Und als ob all dieser Zierat nicht schon genug gewesen wäre, trug sie in ihren Händen noch einen großen Strauß flammend roter Rosen und Jasmin. Natürlich musste sie es mal wieder übertreiben - wie immer.

Und dann hatte sie zwei Ehrendamen - eine von denen war ich, und ihn begleiteten zwei Freunde seines Schlages, gutaussehend und gewandt, die den Eindruck machten, als hätten sie in ihrem ganzen Leben noch keinen Tag ehrliche Arbeit geleistet. Während der Trauung bemerkte ich übrigens etwas an ihm, das mir bis dahin noch nicht aufgefallen war - den gleichen jugendlichen Ausdruck, der mich an ihr so sehr störte. Ich hasse diesen Ausdruck weit mehr als Schönheit. Schönheit vergeht - manchmal sogar sehr schnell, aber diese verdammte Jugendlichkeit ist unabhängig von Schönheit und Alter. Manchmal strahlt dieser besondere Ausdruck aus alten, ja sogar sehr alten Gesichtern, dieses Gespenst von Jugend, das den Eigentümer bis zu seinem Tod nicht verlässt. Er widersteht der Zeit und überdauert jegliche Schönheit - und gerade das ist es, was ich so beängstigend finde.

Und nach der Trauung die triumphale Rückkehr ins Haus. Dann ging es erst richtig los. Einfach entsetzlich! Das Gedränge war erschreckend. Wir haben ein größeres Haus, eigentlich zu groß für zwei Frauen, aber es war in keinem Fall dem Ansturm dieser Massen gewachsen. Im Wohnzimmer drängten sich die Menschen, und in der Halle, im Frühstückszimmer und im Speisezimmer war es auch nicht viel besser. Man musste sich den Weg von einem Raum in den anderen erkämpfen. Und dann der Lärm! Korken knallten, Gläser klirrten, Umarmungen und Küsschen hier und da und lärmende Glückwünsche. Und bei all diesem Tumult das Schlimmste von allem - jene gezwungene Atmosphäre überschwänglicher Begeisterung und Freude über ein scheinbar geradezu himmlisches Ereignis.

Das magische Wort Braut ist jederzeit imstande, einer Amerikanerin jeden Funken von Verstand zu rauben, sie in ein kopfloses, romantisches Nichts zu verwandeln und ihren Augen einen träumerischen Schimmer zu verleihen. Genau diesen Ausdruck sah ich in all den Gesichtern auf diesem Hochzeitsempfang, und das ist etwas, das mir fürchterlich auf die Nerven fällt.

Und mittendrin, in diesem ganzen Tumult, stand sie, neben ihm, ganz offensichtlich überglücklich, dass der Name Nell Harriot es noch immer vermochte, alle diese wohlbekannten Film- und Theaterleute zusammenzubringen, und immer noch wichtig genug war, wieder einmal in den Klatschspalten aufzutauchen.

Was ihren Altersunterschied anbetraf, der sich eigentlich deutlich hätte abzeichnen müssen - nun, er war einfach nicht vorhanden. Jedenfalls nicht sichtbar. Sie sahen aus wie ein glückliches, gutaussehendes, ewig junges Paar. Es gab Augenblicke, da kam sie mir wahrhaftig wie ein junges Mädchen vor. Oh, diese ihr eigene schreckliche, unsterbliche Jugendlichkeit! Und dann begleitete man die beiden unter Freudengeschrei und einem Regen von Reiskörnern zum Wagen. Mit einer großartigen Geste warf sie ihren Brautstrauß unter die Menge - diese dumme Gans! Jede der anwesenden Frauen streckte die Hände aus. Außer mir natürlich. Und dann segelte dieses vermaledeite Ding in hohem Bogen durch die Luft und landete genau vor meinen Füßen. Ein unglückseliger Zufall. Aber alles schien erschrocken den Atem anzuhalten, und dann folgte peinliches Schweigen. Es war kaum zu glauben, dass eine so lärmende Schar plötzlich so still sein konnte.

Ich stand wie erstarrt da und wagte nicht aufzublicken. Der Wagen mit dem jungvermählten Paar brauste davon, und in wenigen Augenblicken war die Hochstimmung von vorher wie eine Seifenblase zerplatzt. Die Gäste zerstreuten sich und begaben sich zu ihren Wagen - es dürften etwa hundert Autos in unserer Auffahrt und entlang der ganzen Straße geparkt haben. Alle verabschiedeten sich natürlich ungemein höflich von mir, aber sie konnten ihr Mitleid nicht verbergen, und ich wünschte sie alle zur Hölle. Als ich meine Pflichten als stellvertretende Gastgeberin erfüllt und der letzte Wagen unsere Auffahrt verlassen hatte, drehte ich mich um und zertrat, bevor ich ins Haus ging, wütend den Brautstrauß. Es tat mir gut, die Rosen und den Jasmin zu zerstampfen.

Nun war es vorbei, und ich blieb zurück unter den überquellenden unappetitlichen Aschenbechern - ich selbst rauche nicht -, den leeren Gläsern und den Tabletts mit verschmierter Mayonnaise und Resten von Hummer und Kaviar und dergleichen. Das gemietete Personal des Lieferanten half natürlich beim Aufräumen, und sogar unsere eigene Köchin und das Mädchen halfen ebenfalls bereitwillig, obwohl ich sie nicht darum gebeten hatte. Sie waren guter Dinge, denn ich hatte dafür gesorgt, dass auch sie ihre Flasche Champagner und genügend Leckerbissen bekamen.

Als alles wieder in Ordnung war, ging ich erschöpft in mein Zimmer hinauf, dankbar für die gesegnete Stille im Haus. Langsam zog ich mein Festkleid aus - ein marineblaues Seidenkleid mit passender Jacke. Mein Hut war ein marineblauer Turban, sehr schlicht, mit einer Brosche aus Silber und mit einem Türkis - ein Geschenk von ihr. Silber! Und der Türkis war ein mexikanischer Stein. Alles schlicht und diskret. Aber kann man sich mein Gesicht und meinen schiefen Körper unter blumigen Hüten und in zarte, pastellfarbene Kleider gehüllt vorstellen?

Ich entledigte mich also meiner Jacke und meines Kleides. Das große Ereignis war vorüber, und jetzt konnte ich nur darauf warten, dass sie zurückkamen. Allerdings, es bestand die Möglichkeit, dass sie nicht zurückkamen. Er war ein rasanter Fahrer, das wusste ich, obgleich ich nie mit ihm im Auto gesessen hatte. Sie hatten mich zwar ein- oder zweimal eingeladen, aber da mir klar war, wie wenig meine Anwesenheit erwünscht war, hatte ich selbstverständlich abgelehnt. Nell hatte jedoch mir gegenüber seine unbekümmerte Raserei erwähnt, und ich hatte sie auch mehrmals mit ihm darüber streiten gehört. Ich stellte mir insgeheim Schlagzeilen vor wie TRAGÖDIE IN DEN FLITTERWOCHEN und dergleichen. Aber das war zu schön, um wahr zu werden, obgleich ich zur Hochzeit Perlen getragen hatte, und das soll ja Unglück bringen. Andererseits waren es nur Zuchtperlen, wenn auch sehr gute, und was konnte man von denen schon erwarten. Sollten sie aber wider Erwarten doch ein Unglück herbeiführen, würde ich mir ein paar echte Brillanten zu meinen Zuchtperlen kaufen, denn ich liebe Schmuck und schöne Kleider, obwohl ich sie nicht tragen kann.

  Zweites Kapitel

 

 

Diese Heirat warf so viele Dinge auf, an die ich vorher noch nie gedacht hatte. Aus diesem Haus, das ich immer so schön in Ordnung gehalten hatte, was werden sie da machen, wenn sie zurückkommen? Denn natürlich würde er zu uns ziehen.

Um zu verstehen, was geschah, muss man erst einmal Nell gut kennen. Sie war einmal sehr schön und ist noch immer eine gutaussehende Frau. Sie ist faul und hat viel für gutes Essen übrig. Außerdem ist sie sehr sanft und sehr feige, bei der geringsten Schwierigkeit läuft sie davon. Wenn zum Beispiel ein Dienstmädchen entlassen oder bei Lieferanten eine Beschwerde vorgebracht werden muss, dann ist es immer meine bescheidene Wenigkeit, die diese Aufgabe zu übernehmen hat. Zum Teil ist es vermutlich ihre Gutmütigkeit, denn das kann ich nicht leugnen, freundlich und gutmütig ist sie. Sie hat einen sehr liebenswürdigen Charakter. Aber ich habe den Verdacht, dass ihre Gutmütigkeit nur eine Nebenerscheinung ihrer Schwäche und Feigheit ist.

Außerdem ist sie eitel. Ihre Eitelkeit hat natürlich etwas mit ihrem Aussehen zu tun, aber doch auf eine ganz andere Weise, als man vermuten würde. Fast jeder Mensch auf der Welt hat etwas, woran man nicht rühren oder worüber man nicht sprechen darf, und dieser Punkt stellt seine wahre Eitelkeit dar. Die Menschen können nicht ertragen, wenn man daran rührt. Ich liebe es, diese wunden Punkte der Menschen aufzuspüren - von Menschen, die ich nicht leiden kann -, und dann genau diese Stelle zu treffen.

Ich erwähnte bereits, dass ich es war, die sie zu dem machte, was sie ist, und das ist die volle Wahrheit. Sie war mit einem Gastspiel, einem dieser wässrigen englischen Salonstücke, in die Vereinigten Staaten gekommen, und man kann sich vorstellen, wie das auf dem Broadway ankam. Aber trotz ihres Mangels an Geschäftstüchtigkeit erkannte sie bald, dass sie hier mit ein bisschen Glück wesentlich mehr verdienen konnte als in England. Sie erhielt ohne Schwierigkeiten die Erlaubnis, im Land zu bleiben, aber von da an hatte sie eine ziemlich kärgliche Zeit. Sie redete zwar nie darüber, aber ich konnte es mir zusammenreimen aus dem, was ich vorfand, als ich dann, sehr viel später, selbst in die Staaten kam.