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Käsebrot

und andere Kurzgeschichten

Tina-Maria Urban

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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

Covergestaltung: Papierfresserchens MTM-Verlag unter

Verwendung eines Bildes von Inga Nielsen (©) / AdobeStock

ISBN: 978-3-96074-010-0 – Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-150-3 – E-Book

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Inhalt

Das L-Wort (Nina)

Es ist okay (Katja)

Tante Hilde und der Bergdoktor (Chris)

Käsebrot (Carola)

How I met her parents (Melanie)

Von Schneeengeln und Honigbrot (Lena)

Zimtschalen (Tanja)

Die beste Anmache (Emma)

Me, myself and I (Gina)

Von Äpfeln und Schmarrn (Elsa)

Aufstieg (Andrea)

Ausgesucht (Sigrid)

Manchmal kommt es anders (Isa)

Glück ist … (Nora)

Musenkuss (Vicky)

Flutwelle (Steffi)

Zwei Löffel (Tanja)

Monolog einer Kaffeetrinkenden (Kathi)

Warum nicht gleich die Bohrmaschine? (Jenny)

Bardienst (Ricky)

Solche Leute (Nicole)

Keine Lösung (Jacky)

Paris, mon amour (Mara)

Sternenkind (Simone)

Flohmarkt (Becky)

Nachhilfe (Claudia)

Danksagung (Tina)

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„Today you are you,

that is truer than true.

There is no one alive

who is youer than you.“

(Dr. Seuss)

Für all jene Frauen, die sich selbst suchten,

glaubten, sich gefunden zu haben,

um dann festzustellen, dass es gar nicht sie selbst waren.

Innegehalten haben.

Geschaut, gestaunt, geweint, gelacht haben.

Und erneut begonnen.

Gebt niemals auf.

Tina

*

Das L-Wort (Nina)

Nina war nervös. So nervös, dass sie bereits seit geraumer Zeit vor ihrem Kleiderschrank stand und hineinstarrte, als ob darin eine bisher geheim gehaltene Folge von Orange Is the New Black gezeigt werden würde.

Schließlich schlug sie sich dramatisch den Handrücken gegen die Stirn, warf sich rücklings aufs Bett und seufzte lautstark: „Ich habe so was von nichts anzuziehen!“

Tom reagierte mit einem müden Blinzeln und streckte sich dann demonstrativ – gut, mehr war von ihm nicht zu erwarten, schließlich war er ein zwölfjähriger Kater. Wenn auch ein sehr schöner. Und immerhin duldete er Nina in seiner Wohnung, quasi als Dosenöffnerin und gelegentliche Kraulerin. Hunde haben Frauchen und Herrchen, Katzen haben eben Personal. Dass dieser Kater allerdings genau jetzt beschloss, seinen Intimbereich einer ausgiebigen Pflege zu unterziehen, zeugte wieder einmal von seinem besonderen Timing. Oder aber von seinem absoluten Desinteresse an Ninas modetechnischen Problemen und abendlichen Absichten.

„Na toll“, ereiferte sich Nina, „ich habe endlich ein Date mit Sandra, auf die ich seit Monaten stehe, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich da abzulecken. Ist das dein Rat für mich?“

Tom, der offenbar nicht zugehört hatte, weil die Stelle an seinem Allerwertesten gerade interessanter war, würdigte sie keines Blickes. Nina stand auf, zog ihre Lieblingsjeans aus dem Kasten und das kurzärmelige blau-weiße Top mit dem Spitzenrand, bei dem Petra damals geätzt hatte, dass sogar Ninas Tanktops natüüürlich Spitze haben müssten. Nina hatte nur gegrinst und genickt – und von ihrer besten Freundin prompt den Beinamen Gundel Gaukeley bekommen.

Schnell noch Wimperntusche aufgetragen, ein leichtes Lipgloss dazu, dann zog Nina los. Sie hatte einen Tisch im Q’s reserviert, einem lauschigen In-Café beim Naschmarkt, das bei den Wiener Lesben nicht nur wegen der ausgezeichneten Schmankerln der Saison beliebt war, sondern auch wegen des Gästinnenraums, der zum Teil hübsch übersichtlich, zum Teil verwinkelt war, sodass die Frauen je nach Belieben in Gesichtern baden oder hinten ungestört ... nun ... reden konnten.

Seit Monaten hatte Nina bei den Abenddiensten eindeutige Signale in Sandras Richtung geschickt und Sandra hatte ihr im Vorbeigehen über den Arm gestreift oder die Begrüßungsküsse statt auf der Wange unvermutet ein bisschen zentraler platziert. Nun hatte sie sich endlich ein Herz gefasst und gefragt, ob Sandra mit ihr essen gehen wollte. Zugegeben, das „Ja“ hatte sie ein wenig überrascht, Sandra war schließlich eher von der introvertierten Sorte. Was, genauer ausgedrückt, bedeutete, dass sie während der gemeinsamen Konzertdienste nur sehr wortkarge Meldungen von sich gab. Nina war zwar nicht auf den Mund gefallen, hatte aber das Problem, dass ihre Redseligkeit sich fatalerweise reziprok zum Interesse an ihren Gesprächspartnerinnen verhielt. Was dazu führte, dass die beiden Billeteurinnen meist schweigend vor dem Saal verharrten. Vor allem bei den gefürchteten Jazzabenden konnte das dann Stunden dauern.

Als Nina nun am Tisch saß und wartete, hatte sie ordentlich Herzklopfen. „Wenn man jetzt ein EKG schriebe, würde es aussehen wie das eines 90-jährigen Kettenrauchers“, dachte sie und tadelte sich sogleich selbst. Nein, Nervosität war keine Lösung, aber die Szene schien ihr tatsächlich wie aus einem Kitschroman.

„Wilde Margeriten“, grinste Nina und beschloss, ein bisschen nutzlose Information Revue passieren zu lassen, um sich abzulenken.

Eine Katze hat dieselbe Oberfläche wie ein Tischtennistisch. Schildkröten können durch den Hintern atmen. Und Goethe hat den Zwischenkieferknochen entdeckt, was uns in direkte Verbindung mit der Tierwelt setzt ...

„Ob das das Teil ist, das beim Küssen manchmal so komisch knackt?“, fragte sich Nina und wollte sich soeben einen Themenwechsel verordnen, da der Gedanke an Küsse nicht gerade entspannend wirkte, als Sandra zur Tür hereinkam. Sie war wie immer burschikos gekleidet, in Jeans und weißem Hemd, und Nina spürte, wie sich ein kleines Ziehen in ihrer Bauchmitte breitmachte. „Pssst“, gebot sie ihrem Körper Einhalt, was jedoch noch nie wirklich geholfen hatte, und lächelte Sandra an.

Ein leises „Hallo“ und einen kurzen, freundschaftlichen Wangenkuss später saßen sie einander gegenüber, bestellten Bier und Toast und führten einen kurzen Smalltalk über die Arbeitskolleginnen. Dann aber wurde es still und Sandra schluckte. „Ich muss dir was sagen.“

Nina spürte wieder das Ziehen in ihrer Bauchmitte und sah ihr Gegenüber aufmerksam an. „Was denn?“

Sandra schluckte noch einmal und meinte leise: „Bevor da irgendwelche Missverständnisse aufkommen ... ähm ...“

Sie druckste herum. „Ich ... ich ... bin nicht ... na, du weißt schon.“

Nina fiel, nein, stürzte regelrecht von ihrer Wolke, denn sie wusste, worauf Sandra hinauswollte. Dennoch schaffte sie es, scheinheilig zurückzufragen: „Was meinst du denn?“

„Na ja“, stotterte Sandra, „du weißt schon ...“

Ja, Nina wusste es, leider. Obwohl alle im Musiktempel der Meinung waren, dass Sandra lesbisch sei und es sich nur nicht eingestehen konnte, wollte Sandra das offenbar anders sehen. Aber so leicht wollte Nina es ihr nicht machen.

„Nein, ich weiß nicht. Was ist denn das Problem?“, stellte sie sich unwissend.

„Ich ... ich bin nicht ... ähm ... das Wort mit L“, brachte Sandra heraus.

Nina sah sie an und es wunderte sie kaum, dass ihre Kollegin noch nicht einmal das Wort aussprechen konnte. „Linkshänderin? Legasthenikerin?“ Sandra wand sich unbehaglich. Jetzt tat sie Nina schon fast leid. Also beschloss sie, sie zu befreien. „Lesbisch?“, hakte sie nach und vergriff sich unwillkürlich ein bisschen in der Lautstärke, mit dem Effekt, dass sich ein Großteil der anderen Gästinnen nach ihnen umdrehte.

Sandra wurde sehr rasch rot, dann weiß und wieder rot.

„Sehr patriotisch“, dachte Nina und musste trotz ihres Schmerzes ein bisschen schmunzeln.

Sandra fing sich wieder und sagte leise: „Ich möchte nur eine Freundschaft mit dir. Ich bin nicht ... so.“ In dem Moment wurde Nina klar, dass Sandra es ernst meinte, und sie bemerkte den Kloß in ihrem Hals.

Da kamen die Toasts, gemeinsam mit einer strahlenden Kellnerin. „Einmal Schinken-Käse, einmal Mozzarella-Tomate, bitte sehr. Mahlzeit, ihr zwei!“

Die beiden Frauen sahen einander an und Nina kämpfte den Kloß in ihrem Hals nieder. „Entschuldigung“, meinte sie dann zur Kellnerin, „bitte nehmen Sie meines wieder mit. Wie ist es mit dir, Sandra?“ Diese nickte leicht zur Bestätigung.

„Was ist denn los, passt etwas mit dem Essen nicht?“, fragte die junge Frau bestürzt.

„Nein, nein, es sieht sehr gut aus ‒ wir haben nur beide keinen Hunger mehr. Setzen Sie es gerne auf die Rechnung, aber nehmen Sie es wieder mit.“

„Okay, wie ihr wollt“, meinte die Kellnerin, nahm die Teller und trug sie zurück in Richtung Küche.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Nina ratlos und Sandra zuckte mit den Achseln.

„Ich weiß nicht“, antwortete sie dann leise. „Können wir Freundinnen bleiben?“

So rasch hatte Nina diesen Satz noch nie gehört und sie war sich gerade nicht sicher, ob sie das wollte oder konnte.

Da kam die Kellnerin wieder. „Entschuldigt die Störung“, meinte sie, „aber die Köchin will wissen, was mit ihren Toasts nicht in Ordnung war.“

Nina sah die junge Frau an und presste heraus: „Die Toasts waren sicher super, aber bitte entschuldige, wir haben keinen Hunger. Schöne Grüße an die Köchin, es liegt nicht an ihr. Hundertprozentig nicht.“

Die Kellnerin ging, während Nina Sandra in die Augen sah. „Und all diese Signale, die Blicke und zufälligen Berührungen?“

Sandra senkte den Blick. „Ich habe geglaubt, dass ich das ... kann. Oder dass ich das bin ... das habe ich mir wohl eingebildet. Ich kann das nicht.“

Nina schluckte ein paarmal, um die Tränen am Aufsteigen zu hindern. Nur nicht weinen. Schon alleine wegen der Wimperntusche.

„Gundel“, hörte sie Petra im Geiste raunen.

„Entschuldigt, was passt denn nicht mit meinen Toasts? Ich verstehe das nicht, was habe ich denn falsch gemacht?“ Großartig, jetzt stand auch noch die Köchin selbst am Tisch. Mit der Kellnerin im Schlepptau.

Nina sah die beiden Frauen an. „Deine Toasts sind sicher perfekt“, sagte sie leise, „es gibt nur ein Problem. „Sie – liebt mich nicht.“ Und sie sah in Richtung Sandra, die einen erneuten Patriotismusanfall bekam.

„Oh ... oh, sorry, oh!“, rief die Köchin. „Jenny, die Toasts gehen auf mich!“ Die Kellnerin nickte, dann verließen die beiden den Tisch. Sandra war mittlerweile ziemlich konstant rot, zumal die letzte Szene erneut die Aufmerksamkeit der anderen Gästinnen auf sie und Nina gezogen hatte.

„Gehen wir?“, fragte Nina. Sie bezahlten die Getränke und draußen fragte Sandra: „Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Nein, danke“, erwiderte Nina, „ich möchte jetzt alleine sein. Dreh dich bitte um und geh. Geh einfach.“ Sandra nickte kurz und ging.

Endlich allein. Nina setzte sich auf den Randstein und mit den Händen vorm Gesicht spürte sie, wie der Kloß in ihrem Hals nicht mehr länger warten wollte. Sie begann zu weinen und ließ den Tränen ihren Lauf, denn es war spät und niemand konnte sie sehen. Mit dieser Absage hatte Sandra sehr viel von dem zunichtegemacht, was Nina sich über Monate hinweg aufgebaut und zusammengeträumt hatte. Haltlos schluchzte sie vor sich hin und hoffte dabei inständig, dass die Wimperntusche dem wasserfest-Aufdruck gerecht werden würde. Immerhin musste sie noch mit dem Bus heimfahren.

Da hörte sie von hinten eine Stimme. „Na, Kleines, so schlimm?“

Sie schreckte auf. Hinter ihr stand in einer Hausecke die Köchin, die offenbar eine Rauchpause machte. Verdammt, sie hatte sie gar nicht bemerkt. Wie peinlich! Mit einer raschen Handbewegung wischte sich Nina die Tränen weg. „Nein, nein, alles gut.“

Die Köchin lächelte und sah sie aus ihren blauen Augen freundlich an. „Es ist okay, auch mal schwach zu sein. Astrid, übrigens.“ Sie streckte Nina die Hand hin.

„Augen wie Firn-Bonbons“, dachte jene und sagte: „Nina. Weinen ist so unsexy. Entschuldige.“

„Wer sagt das? Ich finde es beachtlich, dass du weinst, die Tränen wegwischt und dann nichts mehr zu sehen ist. Wenn ich weine, schaue ich danach aus wie ein Basset. Und jetzt komm noch mal mit rein, ich habe da etwas für dich.“

Das Etwas stellte sich als Spezialität des Hauses heraus, die sogenannte Venusfliegenfalle. Schnaps mit Grenadinesirup.

„Zuerst brennt es, dann wird es süß“, erklärte ihr Astrid, während sie zwei Shots vor sie hinstellte, „ein bisschen wie das Leben.“

*

Es ist okay (Katja)