Cover

Sergej Gößner

Brigitte Bordeaux

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Zitat

Personenverzeichnis

Stücktext

Über den Autor

Über das Stück

Impressum

„Though this be madness, yet there is method in 't.“

William Shakespeare

Personenverzeichnis

Lieblich – oder Maike, Freundin des Sohnes und Bettina Steipe

Trocken – oder Moni

Feinherb – oder Sohn Sebastian, Bürgermeister Karlheinz Niebler, Brigitte Bordeaux

Edelsüß – oder Herbert und Brigitte

Extra Brut – oder Erika Steipe, Frau von der Presse und Brigitte Bordeaux

Das Ensemble singt „Sie“ („Elle“) von Charles Aznavour. Auf Französisch und Deutsch. Abwechselnd und gleichzeitig.
Während gesungen wird, verwandelt sich Edelsüß langsam von Herbert in Brigitte.

TROCKEN
11. Februar, 15:43 Uhr.

LIEBLICH
Im Leben eines jeden Menschen gibt es Augenblicke, Entscheidungen, die eine besondere Kraft besitzen. Die Kraft, alles zu verändern. Aus Weinen wird Lachen, aus Lachen wird Weinen, aus Unglück wird Glück, aus einem langen Schweigen wird ein Wort.

EDELSÜSS
Moni.

TROCKEN
Am 11. Februar um 15:43 Uhr war solch ein Augenblick, eine solche Entscheidung im Leben des Winzers Herbert A. Treves.

EDELSÜSS
Eine Entscheidung, die lange gereift war. Ein Gedanke, eine Sehnsucht, die lange im Verborgenen gärte, und letzten Endes zu einer kräftigen, satten Entscheidung herangewachsen war.

EXTRA BRUT
Und da lag sie nun, diese Entscheidung. Im Keller, neben all den anderen Dingen, die da reifen und warten und hoffen, eines Tages ans Licht gebracht zu werden.

FEINHERB
Herbert A. Treves war ein Mann.

TROCKEN
Vielleicht nicht der größte und stärkste, aber einer, den man ernst nahm. Er besaß und leitete ein überaus erfolgreiches, mittelständisches Unternehmen, war seit 35 Jahren nahezu unproblematisch verheiratet und hatte zwei Söhne gezeugt.

FEINHERB
Herbert A. Treves war ein Mann.

EXTRA BRUT
Ein Mann Mitte/Ende 50.

LIEBLICH
Er sah weder jünger noch älter aus als Mitte/Ende 50, eben genau so, wie man auszusehen hat mit Mitte/Ende 50.

EDELSÜSS
Und selbst wenn er älter oder jünger ausgesehen hätte als Mitte/Ende 50, war Herbert A. Treves ein Mann, von dem man angenommen hätte, dass es ihm völlig egal ist, ob er nun mal älter oder jünger aussieht als Mitte/Ende 50.

EXTRA BRUT
Man hätte angenommen, dass er Eitelkeit nicht kannte.

EDELSÜSS
Wenn, dann wohl nur, wenn es um seinen Wein ging.

FEINHERB
Ein guter Wein.

EDELSÜSS
Mehrfach ausgezeichnet, prämiert, gelobt und konsumiert auf der ganzen, weiten Welt.

FEINHERB
Herbert A. Treves war ein Mann.

LIEBLICH
Manns genug, eine gewaltig schwere Entscheidung aus dem Keller seiner selbst ans Licht der Öffentlichkeit zu hieven.

TROCKEN
Am 11. Februar um 15:43 Uhr, –

EXTRA BRUT
– ein Sonntag, –

LIEBLICH
– es riecht nach Filterkaffee und frisch gebackenem Marmorkuchen, –

FEINHERB
– steht Herbert A. Treves in der Küche seines Hauses vor seiner –

EDELSÜSS
Moni.

FEINHERB
– vor seiner Frau –

EDELSÜSS
Moni.

FEINHERB
Und sagt: Moni.

EDELSÜSS
Moni.

TROCKEN
Ja?

EDELSÜSS
Ich möchte eine Frau sein.

TROCKEN
Herbert A. Treves war kein humorvoller Mensch. Gesellig ja, aber weniger der Stammtisch-Redner, als vielmehr der Stammtisch-Zuhörer. Er war eben oft anwesend, dabei. Aber brillierte mehr durch Zuhören und anerkennendes Schmunzelns über statt Erzählen eines beispielsweise schmutzigen Witzes. Daher war Herbert A. Treves’ Frau –

EDELSÜSS
Moni –

TROCKEN
– durchaus irritiert ob dieser Bemerkung.

EDELSÜSS
Aber nicht irritiert genug. Sie blickte nicht auf, sah ihn nicht an. Blieb geschäftig vertieft.

LIEBLICH
Und dachte nach. Zum einen war sie verwundert, dass er sich überhaupt dazu hinreißen ließ, einen Scherz zu machen, zum anderen, dachte sie, passt das dann doch ganz gut.

FEINHERB
Wenn er, etwa alle paar Jahre, einen Witz machte, dann war es meist ein schlechter.

EXTRA BRUT
Insofern war das dann doch wie immer oder wie erwartet. Letztlich lachte Monika E. Treves höflich (Moni lacht höflich.) und fragte ihn: Warum?

TROCKEN
Warum?

EXTRA BRUT
Und fügte hinzu: –

TROCKEN
Wegen der Regelschmerzen oder der Menopause?

EDELSÜSS
Monika E. Treves war ein humorvoller Mensch. Ihr Humor war trocken, ab und an gar zu trocken. So trocken, dass einige ihren Humor überhaupt nicht als solchen erkennen konnten. – Ich möchte eine Frau sein.

TROCKEN
Meinetwegen. Aber warum? Männer verdienen mehr, –

EDELSÜSS
Moni –

TROCKEN
– können im Stehen, –

EDELSÜSS
Moni –

TROCKEN
– ihr müsst euch nicht die Beine – Ihr wären tausend Vorteile eingefallen.

EXTRA BRUT
Herbert A. Treves stand seinen Mann, indem er vor seiner Frau als Frau stand.

LIEBLICH
Herbert A. Treves war Manns genug, Frau sein zu wollen, doch die Frau seines Lebens wollte das nicht verstehen.

FEINHERB
Inhaltlich.

TROCKEN
Sie wollte ihn nicht ernst nehmen.

EDELSÜSS
Sie verstand nicht, dass es ihm ernst war.

EXTRA BRUT
Und dann endlich blickte sie auf, sah ihn an und sah –

Klavier. Teile des Ensembles beginnen, leise/im Hintergrund „Sie“ von Aznavour zu singen oder zu summen.

EDELSÜSS
Brigitte.

TROCKEN
Herbert!?

EDELSÜSS
Brigitte.

TROCKEN
Bitte?

EDELSÜSS
Brigitte.

TROCKEN
Brigitte?

EDELSÜSS
Bri-gitte!

TROCKEN
Aha.

EDELSÜSS
Mein Name. Mein neuer Name.

FEINHERB
Herbert A. Treves war ein Mann.

LIEBLICH
Und ist jetzt eine Frau.

Gesang/Gesumme/Klavier endet.

EXTRA BRUT
Fast.

EDELSÜSS
Brigitte.

TROCKEN
Monika E. Treves ist überrascht, schockiert und irgendwie begeistert. Was in ihr vorgeht, ist viel, viel zu viel. Natürlich hofft sie, ihr Mann macht nur einen wirklich großartigen Scherz. Sie hat sogar kurz das Gefühl zu träumen.

EXTRA BRUT
Und dann denkt sie:

TROCKEN
Das sagt man so oft.

LIEBLICH
Ich glaube, ich träume.

TROCKEN
Aber dass man wirklich kurz zu träumen glaubt, –

EXTRA BRUT
– das hatte sie noch nie.

TROCKEN