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Arna Aley

4 ½

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Toteau und der Autodieb

Almaz

Joe

SUPPENHUHNMIGRÄNE

Mam

Rafael

Ray

Anton Bruckner

Samuel

Die Aufseher

Abspann

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Toteau, eine junge Frau, Ende zwanzig

Almaz, eine Frau, Mitte dreißig, auch: Aufseherin

Bo, ein Mann, Ende dreißig, auch: Rafael, Joe, Ray, Aufseher

Toteau und der Autodieb

Der Besuchsraum einer Haftanstalt.

Samuel sagt, ich wäre wie ein erwachsen gewordenes Rotkäppchen: Das Lunchpaket hätte ich bei der Oma längst abgegeben, aber eine neue Aufgabe hätte ich von keinem zugeteilt bekommen. Ich wüsste nicht, wohin mit mir, sagt Samuel. Samuel ist ein Intellektueller.
Er sagt, ich hätte immer noch Angst vor dem Wolf.
Der, der mir gegenüber sitzt, heißt Joe, wenn er nicht isst, raucht er. Die Nichtraucherhand hat er auf seinen Sack gelegt. Ich habe es ihm verboten, mit seiner Raucherhand mein Gesicht anzufassen. Davon kriege ich Ausschlag. Wenn wir zu Hause wären, würde er meine Hand für seinen Sack benutzen. Er würde sich zurücklehnen, die Beine auseinander klappen und ein komisch weiches Gesicht machen.

- Was hast du?

Ich habe an Ray gedacht. Ray war vor Joe.

Meine Mutter sagt, sie kann sich nicht für meine Probleme interessieren, weil sie die Männer, über die ich mit ihr reden möchte, nicht auseinander halten kann. Ich habe ihnen Beinamen gegeben, um es für sie einfacher zu machen. Sie interessiert sich trotzdem nicht für mich.

Ray, der Fotograf.

Kennst du Man Ray, Mam? Er war auch ein Fotograf. Ich dachte, so könntest du es dir besser merken.

Ray ist ein Haute-Couture-Fotograf. In seinen Visionen aber nur. An die guten Couturiers käme er nicht ran, sagt er, und an die schlechten wolle er seine Zeit und die Materialien nicht verschwenden. Er würde gerne mit Yves Saint Laurent zusammenarbeiten, Yves Saint Laurent arbeitet aber nicht mehr.
Am Anfang, als ich ihm zugelaufen bin, wie er sagte, habe er gedacht, ich wäre sein Engel, seine Rettung, ich würde ihm den Durchbruch bringen. Er hat mich auf einen Gipssockel gesetzt, Bruckners fünfte Sinfonie aufgelegt und wollte mit der Fotosession beginnen. Dann stellte sich heraus, mein Gesicht wäre nicht Brucknerreif. Es müsse reifen.
Ich blieb auf dem Gipssockel, ohne das Recht abzustürzen. Nicht mal im Schlaf. Alle Rechte vorbehalten. Copyright: by Ray.
Ist ein gefallener Engel nicht auch ein Engel, Ray?

- Ein gefallener Engel passt nicht zu Bruckner, warum heißt du eigentlich Toteau?

Passt das auch nicht zu Bruckner?
Das passt aber zu meiner Mutter.
Toteau.
Ich habe den Gipssockel zu weißem Mehlpulver zerschlagen. Am gleichen Abend noch habe ich Joe kennen gelernt.

Joe, der Tätowierte, Mam. Erinnerst du dich an ihn?

Sie hat den Hörer neben das Telefon gelegt und wäscht das Porzellan-Kaffeegeschirr ab. Dafür braucht man die volle Konzentration. Dabei kann man nicht reden. Das wusste ich schon als Kind.

Was ist mit ihm?

Joe bewegte sich zwischen Bett und Herd. Zwischen Sex und Gekochtem. Egal was, Hauptsache gekocht. Hauptsache heiß und viel.
Ich habe das Gekochte satt, Joe.

Wir sitzen im Biergarten des Prater Restaurants. Ich und Joe. Es ist unser Abschiedsessen. Joe isst, ich will heulen. Oder zu dem Dicken im ärmellosen T-Shirt vom Nebentisch rübergehen und ihn anschreien: Es ist peinlich, Mann, deine auseinander gespreizten Beine sind peinlich, dein Lachen ist peinlich, deine Hand am Schenkel deiner Frau ist peinlich, deine ganze peinliche Familie ist peinlich: Frau, Kinder, Hund und du selbst! Du bist einfach peinlich!

- Schmeckt es dir nicht, Toteau?

Ich stehe auf, ich gehe zu dem Dicken an den Nebentisch rüber. Er lacht immer noch. Seine Kindern lachen auch, als Gegenleistung für die riesigen Eisbecher, die sie gerade aufgetischt bekommen.
Seine Frau lacht auch.
Ich bleibe vor ihm stehen.

Was ist?

Ich beuge mich langsam zu ihm und stecke meine Visitenkarte in seine Hosentasche. Darauf steht in farbiger Großschrift: Toteau und unten steht die Adresse.
Das Lachen hat aufgehört. Von selbst.

Mit einem auffordernden Gang verlasse ich den Biergarten.

- Kennst du sie, Bo? Woher kennst du sie? Wer ist sie? Bo! Bo!

Jetzt heult die Frau.

Bo zerreißt die Visitenkarte, bezahlt die Rechnung, sie gehen. Mann und Hund vorne, Frau hinterher, die Jungs drehen sich schon zum dritten Mal nach den halbvollen Eisbechern um, die gerade abgeräumt werden.

BO
Komisch, dass du unter dem weißen Rock eine rote Unterhose anhast.

TOTEAU
Du hast keine Ahnung. Von nichts.

BO
Ich weiß, wie man Autos klaut.

TOTEAU
Anscheinend nicht, sonst wärest du nicht hier.

BO
Sag das nie wieder! Verstanden?

TOTEAU
Das war ein Scherz.

BO
Das ist kein Scherz. Du darfst mit so was nicht scherzen.

TOTEAU
Schon gut.

BO
Nichts ist gut. Jetzt werde ich wieder eine Woche brauchen, um mich abzuregen. Machst du das absichtlich mit mir?

TOTEAU
Was?

BO
Mich aufzuregen! Hast du Zigaretten mitgebracht?

TOTEAU
Eine Stange.

BO
Haben wir nicht ausgemacht, dass du mir zwei Stangen mitbringst?

TOTEAU
Ich habe diese Woche wenig verdient.

BO
Hast du einen Liebhaber, mit dem du schläfst?

TOTEAU
(schweigt)

BO
Kaufst du ihm auch Zigaretten?

TOTEAU
(schweigt)

BO
Ich kann dir im Moment nicht mehr anbieten, als dass du meinen Schlitz aufmachst und deine Hand durchschiebst. Machst du das für mich?

TOTEAU
Weißt du, ich glaube, dass das Kind mit der Muttermilch auch den seelischen Zustand der Mutter in sich einsaugt. Meine Unsicherheit würde dem Kind nicht gut tun.

BO
Bist du schwanger?

TOTEAU
Nein, aber falls ich einmal schwanger wäre.

BO
(nimmt ihre Hand) Davon wirst du nicht schwanger, komm. Was machst du?

TOTEAU
Nichts.

BO
Womit verdienst du dein Geld, meine ich.

TOTEAU
Ich unterrichte Klavier. Fünf Stunden in der Woche zu zwanzig Euro.

BO
Das sind hundert Euro.

TOTEAU
Ich muss aber meine Wohnung bezahlen und auch andere Sachen, die ich brauche. Den ganzen alltäglichen Mist: Wattepads, Gesichtsreinigungslotion,Toilettenpapier. Gestern habe ich mir mit kochendem Wasser den Rücken verbrannt, siehst du die Blase? Die wird noch aufgehen, hat die Apothekerin gesagt. Dafür habe ich sechs Euro fünfundzwanzig bezahlt.

BO
Was ist das?

TOTEAU
Das sind Kompressen, Brandgel und Heftpflaster für die Wunde. Damit es zu keinen Entzündungen kommt.

BO
Wo siehst du die Wunde?

TOTEAU
Habe ich dir doch gezeigt. Auf dem Rücken.

BO
Eine Blase ist doch keine Wunde. Die Blase kann sich doch nicht entzünden. Eine Blase ist eine hermetisch verschlossene Angelegenheit. Da kommt keine Luft rein. Wie soll sich eine Blase entzünden?

TOTEAU
Die Apothekerin hat gesagt, ich darf die Blase keinesfalls aufmachen, weil darunter eine offene Wunde ist. Wenn sich darunter eine neue Haut gebildet hat, wird die Blase von selbst aufgehen.

BO
Absolut. Deswegen braucht man auch kein Brandgel.

TOTEAU
Aber das ist auch Wundgel zugleich. Es wirkt kühlend, desinfizierend und schmerzlindernd.

BO
Hast du Schmerzen?

TOTEAU
Heute tut es nicht mehr weh, aber gestern hat die Stelle ganz schön wehgetan.

BO
Weißt du was? Du bringst diese Tüte zurück in die Apotheke und verlangst, dass sie dir die sechs Euro fünfundzwanzig zurückgeben. Dafür kaufst du mir Zigaretten.

Samuel sagte, ich hätte Angst vor einer ernsten Beziehung. Ich würde mich immer für eine Beziehung entscheiden, die nach einer Rennstrecke mit möglichst vielen Hindernissen aussieht, um nach einer Fahrrunde sagen zu können, ich hätte es versucht, es hat aber nicht geklappt.