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Arna Aley

Die letzte Soiree

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Am Kap der Arrivierten

Berlin, 1941

Bettis Wohnung

Getreidekontor. Long, long ago.

Galerieeröffnung. Alleestraße 7, Düsseldorf. 1913.

Krieg

Paris. „Là-haut sur la butte“

Bettis Wohnung. Ein Fest für Betti.

Nachspiel. Am Kap der Arrivierten

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Fred, ein Kunsthändler
Betti, 60 Jahre, seine Ehefrau
Betti
, seine Ehefrau (jung)
Erste Sentimentale, eine Schauspielerin
Hella (Airport Boy), Bettis Nichte

Fräulein Brigitte Böff, Empfangsdame im Kontor, später Tiller-Girl in Berlin
Nils, ein Maler, Freds Liebhaber
Hartwig, Freds persönlicher Assistent

Fotojournalist, ein Fotojournalist
Journalist, ein Journalist
Ausstellungsbesucher, ein Ausstellungsbesucher

Offizier, ein Offizier

Pascin, ein Maler in Paris
Madame W., eine Kneipenwirtin in Paris
Kiki, Kiki de Montparnasse
König Ubu, ein Kriegsbeschädigter
Kriegsblinder, ein Kriegsblinder
Garçon, ein Garçon

George, ein Maler
Max, ein Boxer
Sanitäter / SA-Leute

Am Kap der Arrivierten

ERSTE SENTIMENTALE
Du lügst, Fred! Du willst mich bloß loswerden!

FRED
Wir sind auf ewig miteinander verbunden! Wir sind tot! Alle.

ERSTE SENTIMENTALE
Das verstehe ich nicht!

FRED
Dass wir alle tot sind? Das verstehe ich auch nicht.

ERSTE SENTIMENTALE
Nein! Warum du mir damals erzählt hast, dass du als Fünfjähriger von Zigeunern verschleppt worden bist!

(Fred lächelt.)

Angeblich hätte dich ein reicher Spaniole freigekauft und in den Getreidehandel eingeführt. Warum hast du mir das alles erzählt? Fred!

(Fred zuckt mit den Schultern.)

Dass du angeblich ein Großneffe von Heinrich Heine bist und deine Mutter die Schwester der Fürstin von Monaco wäre, das kann ich verstehen, das ergibt noch Sinn. Du wolltest einfach angeben. Genauso wie mit deinen Millionen. Angeblich hättest du damals ebenso viele Millionen besessen wie du Jahre alt warst.

FRED
Wie alt war ich da?

ERSTE SENTIMENTALE
Sechsundzwanzig.

FRED
Oh! So viele Millionen habe ich nie im Leben besessen.

ERSTE SENTIMENTALE
Das ist egal. Ich kann es nachvollziehen, dass man damit angibt. Aber von Zigeunern verschleppt, die dir angeblich das Seiltanzen beigebracht haben!

FRED
Seiltanzen kann ich immer noch. Das habe ich nicht verlernt.

ERSTE SENTIMENTALE
Fred!

FRED
Willst du es sehen?

ERSTE SENTIMENTALE
Ich meine es ernst. Es beschäftigt mich.

FRED
Sogar nach dem Tod?

ERSTE SENTIMENTALE
Du bist noch nicht so lange hier, du kennst das nicht. Man plagt sich hier mit jeder Kleinigkeit aus seinem Leben herum. Man hat ja ewig Zeit. Fred, bitte! Du musst es mir sagen.

FRED
Ich sage es dir, wenn ich zurück bin. Ich muss jetzt los.

ERSTE SENTIMENTALE
Fred, bitte!

FRED
Okay. Ich habe den Moses-Komplex. Reicht dir das als Erklärung?

ERSTE SENTIMENTALE
Was ist der Moses-Komplex?

FRED
Ich muss los.

Berlin, 1941

Ein Airport Boy in einer Chauffeursuniform kommt auf Fred zu.

AIRPORT BOY
Sir.

FRED
Sir?

AIRPORT BOY
Folgen Sie mir unauffällig, Sir.

FRED
Wo bin ich gelandet?

AIRPORT BOY
In Berlin, Sir.

FRED
Und warum Sir?

AIRPORT BOY
Sie sind aus London gelandet, Sir.

FRED
(schaut nach oben) Siehst du! Der junge Mann glaubt, ich sei ein Engländer! Ich bin das, was die Leute in mir sehen. Ich lüge nie. „The Man About Town“. „Alfred l’International“. Du kannst mich auch König David nennen!

ERSTE SENTIMENTALE
Wann kommst du zurück, Fred?

FRED
Ich bin gerade erst angekommen. (zum Airport Boy) Was haben Sie mit mir vor?

AIRPORT BOY
Ich geleite Sie zum Wagen, Sir.

FRED
Betti, du Schlawinerin! Ich durchschaue deine Absicht! Genau mein Typ! (zum Airport Boy) Ist das eine Einladung zu einem Narrenball?

AIRPORT BOY
Wie meinen Sie das, Sir?

FRED
Sie weiß ganz genau, wie sie mich anpackt! Betti, Betti, Betti!

AIRPORT BOY
Wir müssen nach links, Sir.

FRED
Hat meine Frau Sie engagiert?

AIRPORT BOY
Das weiß ich nicht, Sir.

FRED
Wo fahren wir hin?

AIRPORT BOY
In die Düsseldorfer Straße.

FRED
In eine Wohnung?

AIRPORT BOY
Ja, Sir.

FRED
In eine leerstehende Wohnung?

AIRPORT BOY
Ab morgen wird sie leer sein, Sir.

FRED
Ist es bloß meine überreizte Fantasie, die mir einen Streich spielt, oder erwartet mich dort eine Überraschung?

AIRPORT BOY
Das kann ich Ihnen nicht sagen, Sir.

FRED
Darf ich Ihnen eine direkte Fragen stellen?

AIRPORT BOY
Ja, Sir.

FRED
Wie weit würden Sie gehen?

AIRPORT BOY
Ich verstehe Sie nicht, Sir.

FRED
Heute ist doch der erste April.

AIRPORT BOY
Ja, Sir.

FRED
Kennen Sie jemanden, der am ersten April geboren ist?

AIRPORT BOY
Bismarck.

FRED
Als 17-Jähriger habe ich Bismarck zu seinem Achtzigsten telegraphiert. Damit wurde meine Laufbahn als Schüler des Paulinums in Münster mit dem Consilium abeundi beendet. Auf Deutsch: Ich wurde rausgeschmissen.

AIRPORT BOY
Wegen eines Telegramms an Bismarck?

FRED
In Wahrheit gab es gar kein Telegramm. Ich habe lediglich eine Antwortdepesche verfasst. Im Getreidekontor meines Vaters. Und habe sie aus Spaß in der Kneipe, in der wir unseren „Einjährigen“ feierten, vorlesen lassen. „Seine Durchlaucht lässt den Einjährigen vielmals danken, wünscht viel Vergnügen und frohen Suff-Chrysander.“

AIRPORT BOY
Deswegen sind Sie vom Gymnasium geflogen, Sir?

FRED
Ja. Mein Vater schickte mich auf das Chateau du Rosey, ein exklusives und teures Internat bei Genf, eine Handelsschule. Dort lernte ich Französisch, das Kaufmännische interessierte mich nicht.

AIRPORT BOY
Hatten Sie Sehnsucht nach Zuhause, Sir?

FRED
Ich glaube, dass man in keiner Stadt seine Jugend schöner verbringen kann als in Münster. Abgesehen von den fürchterlichen WC des Paulinischen Gymnasiums, die mich zwangen, meine Notdurft bei Bekannten in der Nähe zu befriedigen. Wissen Sie, wer noch am ersten April geboren ist?

AIRPORT BOY
Nein, Sir.

Fred lächelt zufrieden.

ERSTE SENTIMENTALE
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Fred!

FRED
Glauben Sie mir, dass ich heute Geburtstag habe?

AIRPORT BOY
Es könnte auch ein Aprilscherz sein, Sir?

FRED
Wissen Sie, wie der Aprilscherz entstanden ist?

AIRPORT BOY
Nein, Sir.

FRED
Sie kennen sicherlich Heinrich IV., den König von Frankreich. Er war dafür bekannt, dass er eine Schwäche für junge Mädchen hatte. An einem ersten April bat ihn ein unbekanntes 16-jähriges Mädchen um ein heimliches Rendezvous in einem abgeschiedenen Lustschloss. Als Heinrich IV. zu dem Tête-à-Tête erschien, begrüßte ihn der gesamte Hofstaat mit seiner Gemahlin Maria von Medici an der Spitze, die ihm untertänigst dafür dankte, dass er ihrer Einladung zum „Narrenball“ gefolgt sei.

AIRPORT BOY
Ist das eine wahre Geschichte, Sir?

FRED
Ja.

AIRPORT BOY
Warum haben Sie sie mir erzählt, Sir?

FRED
Selbst auf die Gefahr hin, bloßgestellt zu werden –

AIRPORT BOY
Wir sind da, Sir!

Bettis Wohnung

Airport Boy nimmt rasch seine Kopfbedeckung ab. Fred erkennt Hella.

FRED
Hella!

HELLA
Onkel Fred!

Fred folgt Hella ins Wohnzimmer. Fred schnuppert die Luft. Er schließt die Augen, atmet genüsslich tief ein.

FRED
Das ist nicht die Berliner Luft, das ist Betti. Sie ist hier! Ich spüre sie. (flüstert) Betti! Betti, meine Liebe, die schönsten Tage meines Lebens verdanke ich dir.

BETTIS STIMME
(ruft) Hella! Hella!

Im Wohnzimmer sind alle Bilder abgehängt und lehnen umgedreht an den Wänden. An einem großen Esstisch, sitzt – wie versteinert – Betti.

FRED
Du wolltest mir nicht glauben, Betti! Ich kann mich bessern! Obwohl die Versuchung nahezu unwiderstehlich war.

BETTI
Du kannst den Brei schon aufsetzen, Hella!

FRED
Hella! Comme des Garçons! Der neue Haarschnitt steht dir ausgezeichnet.

Hella ab.