Cover

Martina Clavadetscher

Der letzte Europäer

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Zitat

Erstens – Gib mir einen Alltag

INTRALOG

Zweitens – Gib mir ein Haustier

Drittens – Gib mir etwas Bewegung

ERSTES ZWISCHENSPIEL - ZWISCHENFRAGE

Viertens – Gib mir einen Aufbruch

Fünftens – Gib mir einen Weg zum Meer

ZWEITES ZWISCHENSPIEL - FEIERABEND

Sechstens – Gib mir eine süße Unmöglichkeit

Siebtens – Gib mir Nachkommen

Achtens – Gib mir einen Krieg

Neuntens – Ich suche mir einen Ausweg

EPILOG

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Muttermaschine
Der Letzte
Angst
Hund, eine Hündin

ORT & ZEIT

Man stelle sich vor: Irgendwo im ehemaligen Europa.
Und alles geschieht auf kleinstem Raum.
Zugegeben, es könnte eine Anstalt sein.

You raise up your head and you ask, „Is this where it is?“
And somebody points to you and says, „It`s his“
And you say, “What`s mine?” and somebody else says, „Well, what is?“
And you say, „Oh my God, am I here all alone?“
But something is happening and you don`t know what it is
Do you, Mr. Jones?

Bob Dylan – Ballad Of A Thin Man

Erstens – Gib mir einen Alltag

MUTTERMASCHINE
Was hast du?

DER LETZTE
Ich mache einen doppelten Knoten.
Die zwei Rümpfe sind jetzt mit dem Tragdeck verbunden.
Den Rest der Schnur schneide ich mit dem Taschenmesser durch.
Das Segel hält. Der Kiel auch.
Um den kleinen Nagel beim Bug binde ich noch eine Schnur.
Ein ganz lange Schnur, die vom Meer bis ans Ufer reicht.
Moment, nicht so schnell.
Das kleine Licht da draußen, es blendet und ist wie Feuer.
Natürlich, die Sonne - deswegen muss man eine Kappe tragen.
Warte!

MUTTERMASCHINE
Psst!
Du hast jetzt einen Morgen.
Du hast seine Geräusche im Ohr.
Deine Augen sehen die Welt hinter deinen Lidern.
Sie ist dunkel, aber geordnet nach Gedanken,
Sauber gestaltet wie eine Parkanlage.
Deine Augen begreifen ein Aufkommen von
Helligkeit.
Du hast eine Welt da draußen.
Dein Hinterkopf fühlt das Daunenkissen.
Deine Hand geht zum Vorderkopf.
Deine Finger gleiten dir tröstend über das
Gesicht.

DER LETZTE
Einmal, zweimal, dreimal.

MUTTERMASCHINE
Dein Mund spricht wieder und wieder diese Worte:

DER LETZTE
Einmal, zweimal, dreimal.

MUTTERMASCHINE
Du siehst jetzt die Fenster.

DER LETZTE
Eins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINE
Die blauen Vorhänge, die Fensterrahmen,
das ganze Schlafzimmer ist im üblichen Zustand.
Dein Körper - ebenfalls im üblichen Zustand -
hat eine Lust nach Kaffee.
Du fühlst die Bettdecke über dem Körper,
die Organe in deinem Körper,
allesamt am rechten Ort,
du ahnst, wie sie arbeiten,
die Lunge, das Herz, der Darm,
allesamt im üblichen Modus.
Der Modus heißt Morgen.

DER LETZTE
Guten Morgen.

MUTTERMASCHINE
Sagst du, im Scherz zu dir selber.

DER LETZTE
Diese Sache am Meer.

MUTTERMASCHINE
Diese wirren Wechselgedanken sind
bloß nächtliche Entladungen.
Aber du siehst diese Bildfetzen.

DER LETZTE
Als wichtige -

MUTTERMASCHINE
Aber irreale!

DER LETZTE
Hinweise. Es sind Hinweise.
Die Gischt, nein, das Geräusch der Wellen.
Die Möwen über meinem Kopf,
ein kreisendes Geschrei,
fast wie Kindergeschrei.

MUTTERMASCHINE
Das interpretierst du.

DER LETZTE
Ich kombiniere die Skizzen in meinem Kopf.

MUTTERMASCHINE
Aber du weißt trotz allem:

DER LETZTE
Träume bleiben Träume.

MUTTERMASCHINE
Genau. Solange man:

DER LETZTE
Im sicheren Bett erwacht.

MUTTERMASCHINE
Du stellst deine Beine auf dem Boden,
die Füße schreiten über den kühlen Parkett,
über die Keramikkacheln der Dusche.
Das Wasser säubert deinen Organismus.
Reinigungsmodus.
Was grübelst du?

DER LETZTE
Das Abwasser verschwindet im Abfluss.

MUTTERMASCHINE
Und?

DER LETZTE
Ich brauche Kaffee und Frühstücksflocken.

MUTTERMASCHINE
Die mit Honig und Nüssen.

DER LETZTE
Die kleinen Weizenbeutelchen aus Vollkornfasern.
Sie schwimmen in Vollmilch,
wie winzige, essbare Schiffchen,
liegen sie Seite an Seite im Milchmeer,
schwappen nie über den Schüsselrand,
saugen sich stattdessen voll und voller,
bis ich sie mit dem Löffel abschöpfe.

MUTTERMASCHINE
Eines nach dem anderen.

DER LETZTE
Eins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINE
Und alles ist gut.
So gut wie vergleichsweise?

DER LETZTE
Der Park.

MUTTERMASCHINE
Ein schönes Beispiel.

DER LETZTE
Der Jardin des Etoiles.
Seine Architektur besteht aus symmetrischen Strukturen.
Nichts ist zufällig: Das Aufeinandertreffen von Wegen.
Der saubere Einsatz von dynamischer Vegetation.
Bäume, Büsche, Wiesen.
Eins, zwei, drei.

MUTTERMASCHINE
Willst du heute in deinen Park?

DER LETZTE
Wie jeden Tag.
Wäre nur jemand dabei.
Dann könnte ich das jemandem erklären.

MUTTERMASCHINE
Der Park gehört dir alleine.

Kurze Stille.

DER LETZTE
Manchmal ist es fast,
als gäbe es sonst nichts mehr.
Kein Jemand. Kein Irgendwo.

MUTTERMASCHINE
Du bist etwas Besonderes.
Hier. Sei belustigt.

DER LETZTE
Ich klicke mich ins Angebot.

MUTTERMASCHINE
Such was aus.

DER LETZTE
Nachrichten, Klänge
bewegte Bilder.

MUTTERMASCHINE
Oder hier.

DER LETZTE
Lustige Tiere, Pandabären,
Tiger, Tauben, Honigbienen.

MUTTERMASCHINE
Genau, was du magst.

DER LETZTE
Süße Kinder, Autos, Berge,
Fussballszenen, Kochrezepte,
Hasen, Handys, Superhelden.
Das schmeckt alles wie:
schon,
bereits
und
noch einmal?

MUTTERMASCHINE
Ich kenn dich doch.
Hier. Ein Kinderspiel?

DER LETZTE
Münzen sammeln,
Schätze finden,
Mädchen retten.
Vielleicht was am Meer?