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Martina Clavadetscher

Umständliche Rettung

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

Zitat

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

EPILOG

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Baganja
Yamila
Offizier
El-Arad

ORT UND ZEIT

Jenseits des Jordans zu einer unbekannten Zeit.

„Errette deine Seele und sieh nicht hinter dich;
auch stehe nicht in dieser ganzen Gegend.“
1. Mose 19, 17

I.

OFFIZIER
Wie lautet Ihr Auftrag?

YAMILA
Ich habe keinen Auftrag.

BAGANJA
Das Geräusch einer Schreibmaschine setzt ein.
Möglicherweise ist es bloß ein Kugelschreiber, der über Protokollpapier rollt.
Der Offizier macht seine Arbeit. Er legt los.

OFFIZIER
Frau Bach, legen Sie los.

YAMILA
Ich kam mit dem Überlandbus aus Be’er Sheva. Acht Stunden ohne Klimaanlage. Das war abends. Der Bus hielt beim Kontrollposten vor dem Stadteingang.

OFFIZIER
Nord oder Süd?

YAMILA
Beim Südeingang. Ich hatte mir vorgenommen, im Freien zu übernachten. Im Zelt.

OFFIZIER
Weshalb kamen sie nach Sodiriya?

YAMILA
Die biologische Entwicklung der Region ist einzigartig.

BAGANJA
Was sie eigentlich sagen will, ist:

YAMILA
Die Stadt verschlingt Rohstoffe und Konsumgüter wie ein gefräßiger Wal. Was hinten rauskommt, ist stinkender Abfall, sind die Exkremente eines Molochs. Das hat Folgen für die Umwelt.

BAGANJA
Was Yamila stattdessen sagt, ist:

YAMILA
Hauptsächlich beschäftige ich mich mit mikrobiologischen Vorgängen. Deswegen die beschrifteten Kunststoffbehälter, die Gläser und Teststreifen. Die Proben werden später in Berlin untersucht.

OFFIZIER
Wo in Berlin?

YAMILA
An der Freien Universität. Altensteinstrasse. Beim Botanischen Garten.

OFFIZIER
Was sind das für Proben?

YAMILA
Flüssigkeitsproben, Pflanzenproben, Flechten, Algen, Pilze. Ich sondiere Bakterien, Protozonen und andere Mikroorganismen, indem ich, ähm, …

BAGANJA
Ihr Stottern scheint verräterisch.

YAMILA
Wollen Sie das wirklich alles wissen.

OFFIZIER
Eigentlich nicht.

YAMILA
Hören Sie. Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.

BAGANJA
Der Offizier studiert Yamilas Pass.
Der Offizier macht seine Arbeit.

OFFIZIER
Yamila Hanna Bach?

YAMILA
Ja?

OFFIZIER
Wann kommt das Feuer?

Kurze Stille.

YAMILA
Ich weiß nichts von einem Feuer.

II.

BAGANJA
Noch versteht Yamila nicht, weshalb sie festgehalten wird. Deswegen springt die Geschichte kurz zurück.

OFFIZIER
Meinetwegen. Kurz.

BAGANJA
Die Sonne ist heiß und gelb. Der Boden ist trockener Sand. Die Luft dazwischen trägt ihr Flimmern wie Tarnkleidung.

OFFIZIER
Halten Sie sich kurz. Habe ich gesagt.

BAGANJA
Am ersten Tag nach ihrer Ankunft richtete sich Yamila ein. Sie erledigte den Aufbau des Zeltes problemlos, obwohl der Boden für das Einschlagen von Heringen viel zu trocken ist. Es folgte eine erste Besichtigung der Stadt, Besorgung von Lebensmitteln: Zwei Kilogramm Reis, vier Rollen Weizenkekse, sechs Schokoladenriegel mit Himbeerfüllung und zwölf Liter kohlensäurearmes Trinkwasser in Pet-Flaschen - zu dieser Zeit teure Beschaffungen, die ihr der Lebensmittelhändler mit dem Lieferwagen zum Zeltplatz brachte. Dann machte sich Yamila an die Arbeit.

YAMILA
Ich nahm Bodenproben, Sandproben, ich pflückte weiß beschlagene Blätter von Gebüschen, kratzte Flechten und Moos von Steinen.
Aber im Hintergrund. Pausenlos rollen sie durch die Grenzposten.

BAGANJA
Was Yamila meint, sind Lastwagen, beladen mit Tintenpatronen für Drucker, Container mit in Plastikschalen abgepacktem Humus, Dosenfleisch, Klopapier, Transporte von Schnittblumen, meistens Tulpen, dann Spielzeuglieferungen, Barbiepuppen und Actionfiguren, kleine Soldaten in Wüsten-Camouflage, Kühltransporte mit Garnelenschwänzen aus vietnamesischer Zucht, getrocknete Seetangblätter, gestapelte Metallrohre, gestapelte Kloschüsseln und Unmengen an Bananen.

YAMILA
So viele Aufzählungen.

BAGANJA
Diese Stadt besteht aus Aufzählungen.
Da sind noch mehr Lastwagen. Diese wiederum verlassen die isolierte Stadt. Auf den Ladeflächen liegt zu Würfeln gepresstes Aluminium, zu Würfeln gepresster Kunststoff, zerschlissene Autoreifen, unsortiertes Altglas, der selbe Container voller in Plastikschalen abgepacktem Hummus, da sind leere Batterien, Akkus, Stromkabel, Computerbildschirme, faulige Äpfel, Knochen von toten Tieren und …

YAMILA
Ab und zu ein Leichenwagen.

BAGANJA
Diese motorisierte Karawane erinnert Yamila an …

YAMILA
Die Arterien und Venen eines Monsters.

BAGANJA
Die schweren Reifen der Fahrzeuge wirbeln Staub auf. Ihr Dröhnen und Keuchen ist bis in die Nacht zu hören.

YAMILA
Das Monstrum ist krank. Es ist an seiner Bedrohung erkrank. Da ist ein Ekzem, das sich ausweitet. Ein Kollaps ist denkbar.

BAGANJA
Akkurat verpackt Yamila ihre ersten Proben. Sie beschriftet die Behälter mit einem blauen Filzstift.

YAMILA
Einem roten.

BAGANJA
Mit einem blauen Filzstift. Und klebt die vorbereiteten Barcodes auf die Plastiktaschen. Die Plastiktaschen wiederum packt sie – erneut sehr sorgfältig – in einen gepolsterten Umschlag, den sie per Post ihrem Bürokollegen zu Voruntersuchungen nach Deutschland schickt. Um dies mit ihm zu vereinbaren, geht Yamila in die Stadt und findet ein altes Münztelefon. Sie greift zum Hörer des Münztelefons, das zwischen dem Korbhändler Rishon und einem Salon voller Spielautomaten mit beträchtlicher Schluddrigkeit an die Wand geschraubt worden war.
Sie wählt.

YAMILA
Vorwahl Deutschland, dann die Nummer.

BAGANJA
Das zerkratzte Telefongerät schluckt die Münze. Es knackt und ein entfernter Piepston ist zu hören. Just in diesem Augenblick, als sich ihr Kollege, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Freien Universität Berlin, am anderen Ende meldet …

STIMME
Hallo?

BAGANJA
Da schleicht ein Schwindel in das sonst robuste Wesen von Yamila.

STIMME
Hallo?

YAMILA
Ich …

STIMME
Hallo? Ist da jemand?

BAGANJA
Hilflos hängt der Hörer am verstärkten Kabel,