Cover

Anja Hilling

Der Garten

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Zitat

die Leute

der Garten

Die Explosion

I. Akt: Tod

1. Warten dass die Party beginnt

2. der Garten

3. Die Beamten

4. Der Garten

5. Wuhlheide

6. Die Beamten

II. Akt: Ironie

1. Wuhlheide

2. Die Beamten

3. der Garten

4. die Beamten

5. Interview

6. die Beamten

III. Akt: Sterblichkeit

1. Liebe (Dachgeschoss)

2. Geborgenheit (Redaktion)

3. Fleisch (Philharmonie)

4. Wuhlheide

5. Freundschaft (Friseur)

IV. Akt: Abschied

1. Wuhlheide

2. die Beamten

3. Edith (mobil I)

4. Henriette (mobil II)

5. Martin (mobil III)

V. Akt: Party

0:00

0:30

0:33

2:11

3:30

4:04

4:16

5:05

5:59

6:02

6:05

6:07

6:09

Vierundzwanzig Stunden nach der Explosion

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

„Der Aufruhr macht umsonst mir meine Fenster beben:
Er wird mir nicht die Stirn von diesem Pulte heben“

Baudelaire
„Die Blumen des Bösen“

die Leute

sind keine festen Größen, sie führen sich nur so auf, sie leben jetzt und irgendwo in der Nähe, in der gleichen Epoche, im gleichen Jahrhundert, im gleichen Land, im gleichen Irrsinn, sie existieren im fetten Bereich, zum Glück zu klug. Sie sind im Hirn zuhause, gewohnt, die Dinge scheiße zu finden. Ihr Blick endet Millimeter bevor etwas Wahres beginnt, und Erkenntnis ist der Saft, den sie aus ihrem Kopf rauspressen. Sie sind irgendwo in ihren Dreißigern, kommen klar hier. Wenn sie frieren nehmen sie den Laptop direkt auf den Schoß, wenn sie nachts aufwachen, bauen sie die Festplatte aus, und wenn sie verrückt werden, hängen sie die Tischordnung für ihre Trauerfeier an die Pinnwand. Ihr Unglück ist ein Tier aus anderen Zeiten, größer als sie selbst und nicht leicht zu fassen. Sie zählen die Stunden, lieben den Alkohol, die Traurigkeit und die Momente des Beifalls, sie sind von sich selbst besessen und sehnen sich nach einem anderen Menschen, der sie erkennt, nicht erlöst. Sie fürchten den Zenit des Körpers, die Tiefe der Linien, das Leuchten der Kopfhaut, Vorsorgeuntersuchungen und noch härtere Fotos, sie haben Angst vor dem Ende, wünschen sich eine unsterbliche Berührung und einen Gedanken, der von fremden Lippen in ihre Venen knallt, so unverhofft und direkt wie ein Rattenbiss, aber die Sprache, die sie verwenden, ist indirekt, vertraut und zugeschissen mit der Hoffnung, von vorne beginnen zu können:

Antonia

Musikredakteurin

Sam Embers

Rockstar

Martin

Student, Antonias Freund

Edith

Friseurin, Antonias Freundin

Henriette

Herausgeberin, Antonias Chefin

Phillip und Sven

Antonias Kollegen

Wolfgang und Georg

Polizeibeamte

der Garten

ist anders, ein Kind, reich und verwahrlost, von Menschen angelegt und dazu geschaffen, sie zu überwuchern, hier wachsen Farben, die nichts mit Wasser zu tun haben, mit Sehnsucht oder Dünger, Blätter, die sich höher aufrichten als ein weiblicher Rumpf. Es gibt Blüten hier in Form eines Auges, in dem Moment, in dem es erstarrt im Angesicht eines Gottes. Blumen, sie vegetieren hier und überall, ihr Leuchten ist nicht ortsgebunden, ihre Schönheit kein persönliches Dilemma und ihr Sterben kein Drama. Sie pressen ihren Körper aus Eisengerüsten, schießen ihr Licht aus Teerplatten, blühen auf, kurz, spektakulär, in unendlicher Wiederholung, tauschen Sauerstoff an erstickenden Plätzen, in Büros, Flaschenhälsen, Konzerthallen. Fluten ihren Saft in jedes menschliches Hirn, das gerade noch in voller Blüte stand. Es sind nur Blumen, ihr Duft bleibt unerreicht, ihre Gnade endlich. Der Garten ist nur ein zufälliger Ort, und das sind nur beispielhafte Vertreter:

Darjeeling Red
ein Teppichknöterich, zum Bodendecker berufen, wütet klug von unten dank einer schnellen, nicht aufzuhaltenden Ausbreitung einer Matte in Purpurähren.
Mont Blanc
und Silver Cup
zwei Bechermalven, sie blühen zerschmettert wie Porzellan, nehmen alles in sich auf mit einem bodenständigen, etwas arroganten Charme, die eine im rauem Weiß, die andere im leuchtendem Rosa.
Alba

ein Sonnenhut und absoluter Insektenmagnet, der seine cremeweißen Fächer in strahlenförmiger Blüte mit bajuwarischer Tonart auf einem ein Meter hohen Stiel ausbreitet.
Helen Campbell

eine Spinnenblume mit herausragenden Staubfäden, weiß, weit, ein bisschen betrunken und gierig nach Licht.
S. Arnott

eine orange gefüllte Dahlie, die schnell wächst und trocken sprüht, sie begehrt die Sonne und fürchtet alles was feucht ist, Erde, Schnecken, Hände.
Corky

eine Taglilie, blüht entgegen ihres ängstlichen Inneren in Trompetenform in tausendfacher Entfaltung, hellgelb, sekündlich, erstaunlich, bis der Tag sich neigt, dann ist die Angst besiegt und das aufsehenerregende Leben dieser Lilie auch schon wieder vorbei.
Bicolor und Newry Blue

zwei Eisenhüte, Solitärstauden, die eine blau-weiß, die andere blau-lila, ihre Blüten sind helmförmig, ziemlich giftig, aber zartfühlend in der Kommunikation, und ihr Laub glänzt dunkelgrün.
Beauty of Livermere
ein feuerroter türkischer Mohn, eine dekorative Schönheit, wild in den Wurzeln, in der Mitte der Blüte dunkel gezeichnet, an den Fiederblättern silber behaart.
New Dawn
und Sympathie
zwei Kletterrosen, rosa und rot gefüllte Climber mit starkem Duft und einer Gestalt, die die menschliche Durchschnittshöhe um ein Doppeltes überragt.

Die Explosion

des Gartens im Zentrum der Leute ist kein Zufall, sie kann als einfache physikalische Reaktion definiert werden, die ziemlich überfällige Plattenverschiebung von Welt und Seele ausgelöst durch einen scheinbar unmöglichen Kontakt. Zwei abgefuckt entfernte Seelen, ein Rockstar und eine Konzertkritikerin. Ihre Umarmung ist ein durstiger Spaß der Natur, die ihr Comeback feiert in den Splittern der menschlichen Brust. Es ist alles möglich, und die Geduld verblüht.

Helen Campbell
Eine was.
Mont Blanc
Eine Kritikerin
Alba
Schwitzende Zunge.
Vergessene Haut.
Darjeeling Red
Die unantastbare Nähe
Zum Spektakel der Seele.
Alba
Die Schlacht der Schönheit
Unter dem abgebrühten Geist.
Helen Campbell
Sagt mir nichts.
Darjeeling Red
Ihr besonderes Talent ist im Moment der Begeisterung
Einen Schritt zurückzutreten.
Und den Schrei der Andern in Worte zu fassen.
Helen Campbell
Warum.
Alba
Das ist ihr Job.
Mont Blanc
Aber dann hat sie ihn vergessen.
Den wesentlichen Schritt. Ins Studio der Gedanken
Und ist hängengeblieben. Im Garten der Euphorie.
Helen Campbell
Hier.
Darjeeling Red
Genau hier.
Alba
Fucking flowers.
Mont Blanc
Die Frau tut was sie kann.
Überlegt genau.
Denkt laut.
Sie braucht Worte die in Kälte brennen
Für eine Welt die kein Mensch ertragen kann.
Darjeeling Red
Aber die Worte sind wild wenn sie sich nähern
Heimatlose Sportsgeister
Auf ewiger Jagd
Den Himmel der Gedanken zu öffnen
Für den Flug der Seele.
Alba
Das irrsinnige Kunststück
Eine hundertjährige Baumwurzel zu reißen
Mit einer Buchstabenkombination.
Helen Campbell
Witzig.
Darjeeling
Ja. Wenn man bedenkt dass alles erlischt
In dem Moment da die Wurzel kommt
Und man kapiert was man wirklich ist.
Mont Blanc
Blütenstaub im Licht.
Der sich. Wenn der Körper endet.
Und mit ihm die Gedanken
Noch einmal sammelt in diesem dekadenten Garten.
Alba
Der endlich explodiert
Und das Herz zerreißt in formloser Zärtlichkeit.
Helen Campbell
Todesursache.
Alba
Zu viel Begeisterung.
Helen Campbell
Und. War sie wenigstens erfolgreich.
Als Kritikerin.
Darjeeling Red
Bist du völlig vertrocknet.
Die Frau hat Zeilen geschrieben
Die schärfer waren
Als der Augenaufschlag einer Anemone
Am Ende der Nacht.

I. Akt: Tod

1. Warten dass die Party beginnt

Auszug aus einer Konzertkritik

Gestern. Freunde des Artrocks.
Bin nicht ich zur Natur.
Ist die Natur zu mir zurückgekehrt.
Der Himmel war verhangen
Über den Tritonus Intervallen der Wuhlheide
In die sich Sam Embers zu einem eiskalten Comeback niederließ.
Geharft wurde. Soviel sei verraten.
Bis zur endogenen Entbindung einer Trompetenlilie
Die mit kühlen Lasern an die Wand gemalt wurde
Und mit einer sphärischen Phasenverschiebung der Ukulele
Über den Köpfen des Publikums erstarb.
In meinen Nerven trieben sich Engel rum
Mitten im August
Über die vereisten Flugbahnen der Gitarrensoli.
In meinen Lenden krümmte sich frierend
Die Ouvertüre eines weidwunden Kinderchors.
Hinter meiner Stirn dröhnte eine Orgel
Ihr ätherisches Versprechen einer Wiedergeburt.
Die Wahrheit ist ein Witz.
Schlechtes Timing.
Mein Herz z. B. ist zum Anhimmeln geschaffen
Und der Gott den es anpumpt kurz vorm Absprung.
Aber ich schwöre.
Auf das Mammakarzinom meiner Chefredakteurin.
Ich bin auf die Knie gefallen
Habe geblutet gefroren und geweint.
Als wär ich ein Kind
Und würde nicht am Wochenende
In meinen Fünfunddreißigsten reinfeiern.

Sven
Ist mir zu auserzählt. Die Frostallegorie.
Henriette
Ich bring das in der Herbstausgabe.
Sven
Du hast ja auch total den Überblick verloren.
Henriette
Hammerstrauß.
Sven
Tut das eigentlich weh. Die Brustprothese.
Henriette
Jetzt wo du s sagst.

Corky
Sie meinen es nicht persönlich
Sie interessieren sich nicht mal füreinander
Sie schätzen sich fachlich.
Ihre radikalste Idee von Liebe.
Kollegen.
Eine persönliche Entgleisung bleibt ein Schrei