Cover

Johanna Kaptein

Lohnarbeit und Liebesleid

Fünf Dramolette

FELIX BLOCH ERBEN

Verlag für Bühne, Film und Funk

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Personenverzeichnis

I

II

III

IV

V

Über die Autorin

Über das Stück

Impressum

Personenverzeichnis

Variable Besetzung.
Anmerkung: Fünf Personen sind von der Autorin als Idealbesetzung vorgesehen.

I

EIN JUNGER MANN
SEINE FREUNDIN
EIN PAAR STIMMEN

- Ein junger Mann.
- Ein junger Mann bei der Arbeit.
- Ein junger Mann bei seiner hochqualifizierten
- überbezahlten
- innovativen
- kreativen
- Bei seiner Arbeit eben.
- Bei seiner Arbeit als Sortierer im Briefzentrum.
- Oh.

JUNGER MANN
Ich hab mir meine Arbeit nicht ausgesucht. Ich hab mir meine Arbeit ausgesucht, nachdem ich mir meine Arbeit nicht mehr aussuchen konnte. Ich bin, ich habs nicht so mit Menschen. Soziophob. Das ist der Fachbegriff dafür. Soziophob bin ich. Hab ich im Internet gegoogelt. Wenn ich nicht arbeite, dann surfe ich im Internet und such nach Fachbegriffen und nach Pornos. Ich hab aber eine Freundin. Die seh ich auch manchmal. Ich hab eine Freundin, obwohl ich soziophob bin. Das ist ne ziemliche Leistung finde ich.

SEINE FREUNDIN
Er sieht halt sehr gut aus. Groß, schlank, dunkelhaarig. Genau mein Typ. Leider kann ich ihn nirgendwo vorzeigen. Denn er will nicht. Er will nie irgendwo mit hin.

JUNGER MANN
Zu zweit ist es doch viel schöner. Oder? Viel intensiver.

SEINE FREUNDIN
Es ist viel langweiliger. Jedenfalls nach den ersten zwei Monaten. Und die sind schon ziemlich lange vorbei.

- Wie hat er sie denn überhaupt kennen gelernt?
- Wie hat er sie denn überhaupt kennen gelernt, wenn er keine Menschen kennen lernen kann?

JUNGER MANN
Es gibt Ausnahmen. Manchmal im Sommer. Wenn ich/

- Na, das ist jetzt nicht mehr wichtig. Denn sie wird Schluss machen.
- Ja, sie wird sowieso bald Schluss machen.

JUNGER MANN
Warum? Warum denn? Es ist doch alles in Ordnung? Ist es nicht in Ordnung? Wir treffen uns zwei, dreimal die Woche, haben guten Sex, gucken zusammen fern –

SEINE FREUNDIN
Das ist es ja eben. Wir machen nie was anderes. Nie was Aktives. Nie was: Besonderes.

JUNGER MANN
Ich hab dir doch zum Geburtstag Blumen geschenkt. Und eine DVD. War das nichts Besonderes?

SEINE FREUNDIN
Nein, wenn man Geburtstag hat, dann ist das Besondere nichts Besonderes, sondern – naja, eben nicht besonders.

JUNGER MANN
Hmm. Das verstehe ich nicht. Frauen sind so kompliziert.

- Und schon haben sie einen heftigen Streit.
- Das heißt, sie hätten gern einen heftigen Streit gehabt.
- Wenn es nach der Freundin gegangen wäre.
- Aber er
- Er streitet sich nicht so gerne
- Er weiß auch nicht so richtig, wie das geht

JUNGER MANN
Ich bin eben soziophob.

SEINE FREUNDIN
Genau das meine ich. Das ist keine Entschuldigung mehr, wenn du das immer sagst. Es ist genauso, genauso wie –

JUNGER MANN
Etwas Besonderes zum Geburtstag?

SEINE FREUNDIN
Siehst du, du verstehst überhaupt nichts. Und dann machst du dich auch noch über mich lustig.

JUNGER MANN
Ach, komm Schatz. Lass uns lieber noch mal Sex haben.

- Sagt der junge Mann und hat noch mal Sex mit seiner Freundin.
- Sie aber nicht mit ihm.
- Es wäre vielleicht besser gewesen, er hätte das bemerkt.
- Ja, das wäre besser gewesen.
- Aber was hätte er tun sollen? Er ist eben soziophob.
- Genau. Er ist eben soziophob. Er hätte gar nichts tun können.
- Also geht er am nächsten Morgen wieder zur Arbeit.
- Aber das Schicksal ist nicht gnädig mit ihm.
- Nein, es ist nicht gnädig -
- Nicht nur, dass seine Freundin mit ihm Schluss machen will
- Er wird auch noch versetzt.

JUNGER MANN
Es wäre mir recht, wenn ich – wissen Sie, ich bin an diese Maschine gewöhnt. Ich sortiere gern großformatige Sendungen. Ich bin gut darin. Vielleicht sogar sehr gut. Ihr Vorgänger weiß das.

VORGESETZTER
Das interessiert mich nicht. Dort drüben wird noch jemand gebraucht. Also marsch, hopphopp.

JUNGER MANN
Sie verstehen das nicht. Das ist eine sehr spezielle Maschine. Man muss sich auf sie einstellen. Man muss sie kennen lernen. Man muss ihren Rhythmus begreifen. Sonst gibt es andauernd Stau, die Briefsendungen reißen auf –

VORGESETZTER
Aha. Ein Intellektueller. Da werden sich die Telefonbücher aber freuen.

- Also muss der junge Mann jetzt Telefonbücher stapeln.
- Obwohl er keine Sicherheitsschuhe trägt.
- Nein, er trägt Turnschuhe ohne Stahlkappen.
- Das verstößt gegen die Vorschrift.

KOLLEGE
Hepp, Fang!

- Natürlich knallen ihm die Telefonbücher direkt auf den großen Zeh.
- Aua.

JUNGER MANN
Aua.

- Der junge Mann schreit auf.
- Dann denkt er
- Er denkt

JUNGER MANN
Das war doch Absicht.

- War das Absicht?

JUNGER MANN
Ich weiß, dass man Menschen nicht trauen kann. Das hat mir meine Mutter immer wieder gesagt. Und diese hier: Die grinsen so. Und tragen feste Schuhe. Und lachen laut und kehlig. Bestimmt kennen sie sich gut. Wahrscheinlich trinken sie sogar Biere miteinander nach Feierabend. Und unterhalten sich. Über die Arbeit. Über die Kollegen. Und da ich jetzt ihr Kollege bin, werden sie sich auch über mich unterhalten, oh mein Gott, sie werden/

KOLLEGE
Kannst du nicht aufpassen? Jetzt ist das Paket aufgeplatzt.

JUNGER MANN
Was soll ich nur tun.

KOLLEGE
Es vielleicht aufheben?

JUNGER MANN
Hab ich das laut gesagt?

KOLLEGE
Bist du irgendwie – hast du irgendeine Krankheit oder so?

- PAUSE!
- PAUSE!
- PAUSE

(Pause)

- Während der Pause traut sich der junge Mann kaum in die Kantine
- obwohl er Hunger hat
- beträchtlichen Hunger