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Band 230

 

Ruf des Dunkels

 

Oliver Plaschka

 

 

 

PERRY RHODAN KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Prolog: Alltag

TEIL I – Die Unsterblichen

1. Willkommen

2. Ein Sessel am See

3. Kinder des Olymp

4. Männer bei der Arbeit

5. Government Garden

6. Das Meer und die Seele

7. Abschiede und Wiedersehen

TEIL II – Die Vergessenen

8. Mädchen für alles

9. Das Unmögliche

10. Das Unwahrscheinliche

11. Deck 17

12. Unter Riesen

13. Geisterstunde

14. Licht und Dunkel

15. Piratenehre

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs.

Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Kaum hat Rhodan eine Invasion der Erde durch die Arkoniden abwenden können, macht sich eine weitaus unheimlichere Bedrohung wieder bemerkbar – das Dunkelleben. Der Oproner Merkosh, ein Besucher aus dem fernen Omnitischen Compariat, ist an dem tödlichen Quasivirus erkrankt.

Perry Rhodan will seinem Freund Merkosh helfen und dem rätselhaften Dunkelleben nachspüren, das seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben scheint. Mit der CREST II und seiner bewährten Mannschaft bricht er zu einer gefährlichen Mission in den Sagittarius-Sektor auf – er folgt dem RUF DES DUNKELS ...

Prolog: Alltag

 

Die Wetten liefen gut für Jeril Thamp an diesem Freitagmorgen. Nicht so gut, dass sie ihn von einem Moment zum nächsten steinreich gemacht hätten. Aber gut genug, um ihm eine weitere ereignislose Schicht in der Zentrale des Pluto Ultrasensoric Multilocating Array, kurz PUMA, am äußersten Rand des Solsystems zu versüßen.

Das – und dass May Bleap eine gute Zeit hatte.

Die Wetten waren Thamps Idee gewesen. Sie wetteten auf alles, worauf sich in einer Multiortungsanlage mitten im Nirgendwo wetten ließ: astrophysikalische Ereignisse, das Ausbleiben derselben, Messfehler, das Essen, Fehler beim Essen, den Nachtisch oder wann Curd Westhight sich seinen Kaffee holte. Das einzig Unerwartete an diesem Tag war bislang eine verstümmelte Nachricht gewesen, die sie über KE-MATLON und die höchst unzuverlässige arkonidische Hyperfunkrelaiskette erreicht hatte: Perry Rhodan und Botschafterin Thora Rhodan da Zoltral waren mit ihren Schiffen auf dem Rückweg von Arkon. Wann genau sie eintreffen würden, blieb noch unklar. Also wetteten die Männer und Frauen von PUMA auch hierauf.

Dass Thamp überhaupt auf PUMA gelandet war, dürfte wohl Bleaps Schuld gewesen sein. Sie hatte sich genau wie er und Westhight an der Raumakademie in Baikonur eingeschrieben, weil sie alle von einer zivilen Laufbahn in der Terranischen Flotte träumten: als Wissenschaftliche und Technische Assistenten, in der Verwaltung oder Logistik – die Einsatzfelder für nichtmilitärisches Personal waren mannigfaltig. Besonders gern gesehen wurde hierfür ein Praxisjahr bei einer renommierten Einrichtung wie PUMA. Also hatte sich Bleap freiwillig gemeldet. Und weil Thamp gern in ihrer Nähe war, hatte er dasselbe getan.

Was ihnen niemand gesagt hatte, war, wie unglaublich langweilig das tägliche Klein-Klein im Weltraum sein konnte – der All-Tag, ha ha –, oder dass es dazu führen konnte, dass man jemanden wie Westhight als Gruppenleiter vor die Nase gesetzt bekam.

Natürlich war Westhight nicht begeistert von den Wetten. Westhight war von gar nichts begeistert, was anderen Spaß brachte, besonders nicht, wenn es Thamps Spaß war. Seine Lebensaufgabe sah Westhight darin, tief genug in den verlängerten Rücken ihres gemeinsamen Vorgesetzten Ace Coltsmith zu kriechen, um darin eine Transmitterstraße verlegen zu können. Hierbei betrachtete er Thamp als seinen persönlichen Feind, obgleich es dazu nicht die geringste Veranlassung gab. Wenn es nach Thamp ging, durfte Westhight gern eines Tages Coltsmith beerben und sein persönliches Banner über Pluto hissen. Thamp wollte einfach nur zurück zur Erde – am besten bald, und am besten gemeinsam mit Bleap.

»Da tut sich was«, raunte Bleap von ihrem Platz zwei Meter weiter, von wo sie die weniger ereignisreichen Hyperraumfrequenzbänder verfolgte.

»Ein neuer Funkspruch?«, fragte Thamp enttäuscht, denn er hatte eins zu drei gewettet, dass man an diesem Tag nichts mehr von Rhodan und seinen Raumschiffen hören würde.

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Bleap und strich sich die rotblonden Locken zurück. »Ich glaube, es sind die Pulsare.«

»Oh.« Thamp spitzte die Ohren. »Welche Pulsare denn?«

»Die beiden nächstgelegenen – Geminga und Vela. Muss wohl dein Glückstag sein! Hattest du nicht vor ein paar Wochen eine Wette darauf abgeschlossen, dass einer der beiden noch im ersten Quartal seine Impulsfrequenz ändert?«

Thamp tat unschuldig. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

Ein Stöhnen ein paar Sitze weiter bewies, dass ihr Kollege Santos Hundley es noch sehr gut wusste.

Bleap durchsuchte ihre handschriftlichen Notizen. »Hier ist es, vom zweiten Februar mit einer Quote von eins zu acht. Eins zu vierzig, wenn es beide Pulsare sind.«

Thamp gestattete sich ein spitzbübisches Grinsen, während Hundleys Stöhnen immer lauter wurde. »Bitte, May, überprüfe noch mal deine Ortungsdaten«, flehte der untersetzte Mann. Schon flogen Bleaps Finger über die Bedienholos.

Geminga im Sternbild Zwillinge war der Sol nächstgelegene Pulsar der Lokalen Blase. Wahrscheinlich hatte die Supernova, die ihn vor 300.000 Jahren geboren hatte, eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung dieses weitgehend staubfreien Raumgebiets gespielt. Der Pulsar war etwa 800 Lichtjahre von der Erde entfernt und in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch die nach ihm benannten Hyperkristalle bekannt geworden.

Vela, im gleichnamigen Sternbild gelegen, lag etwa hundert Lichtjahre weiter weg und war gerade mal 11.000 Jahre alt. Er war einer der hellsten und schnellstrotierenden aller bekannten Pulsare. Dass diese beiden so ungleichen Objekte, die außer ihrer relativen Erdnähe wenig gemein hatten, zeitgleich durch eine Impulsfrequenzänderung auffielen, war ausgesprochen mysteriös.

»Die Änderung ist minimal, aber messbar und innerhalb des meldepflichtigen Bereichs«, bestätigte Bleap jedoch und überprüfte noch einmal den Wettzettel. »Damit erfüllt sie auch die Bedingungen für die Wette. Tut mir leid, Santos.«

Seufzend rief Hundley den Finanzstatus seines Kontos auf. »Möchtest du es sofort, Jeril, oder reicht nächsten Monat?« Niemand von ihnen hatte Bargeld bei sich: damit hätten sie auf ihrem Außenposten gar nichts anfangen können. Sie hatten seit Wochen niemand außer den paar Dutzend Männern und Frauen auf Pluto und seinen Monden gesehen.

Thamp bearbeitete ein kleines Datenholo. »Ich habe dir einen Finanzierungsplan entworfen. Sag mir, wenn du in Verzug kommst, dann warte ich noch mit dem Kauf meiner neuen Orbitalvilla.«

Bleap lachte und Hundley rollte mit den Augen, während er die Überweisung tätigte.

»Orbitalvillen sind nur was für Dummköpfe«, schaltete sich Westhight von der anderen Seite von Thamps Arbeitsplatz ein. »Werden viel zu schnell Opfer von Weltraumschrott. Wenn du in die Zukunft investieren willst, solltest du dir einen Mond kaufen. Monde sind sicher! Aber so was versteht jemand wie du natürlich nicht.«

»Es war ein Scherz, Curd!« Thamp seufzte.

Doch der Gruppenleiter hatte sich bereits von seinem Sessel erhoben und kam zu Thamp herübergeschlendert. Bleap vertiefte sich rasch wieder in ihre Aufgaben.

»So wie alles immer nur ein Scherz ist, stimmt's, Jeril?« Westhight setzte sich breitbeinig auf Thamps Tischkante, sodass ihm die Hose hochrutschte und eine haarige Wade entblößte. Er schob sich die eckige Brille zurecht und rümpfte die Nase. »Ich glaube, hier sollte dringend wieder Disziplin einkehren. Ich werde Ace informieren, mit was für Unsinn ihr eure Zeit verplempert.«

Leiser Protest regte sich von den anderen Plätzen. Obwohl Thamp gerade einen saftigen Gewinn eingestrichen hatte, war die Stimmung keineswegs gegen ihn. Die meisten hatten weit mehr Angst vor der Langeweile der nächsten Wochen und Westhights Pedanterie als vor der Aussicht, ihr Geld zu verlieren.

Thamp zog die Stirn kraus. »Wo du gerade von Zeitverschwendung sprichst, Curd – was machen eigentlich die Partyvorbereitungen? Dir bleiben höchstens noch ein paar Stunden.« Thamp hörte, wie Bleap mühevoll ein Prusten unterdrückte.

Das war ein anderes Spiel, das Thamp schon eine ganze Weile lang betrieb: Er machte Westhight glauben, die legendäre Edwina Kerpen, die PUMA über zwanzig Jahre lang geleitet hatte, plane einen Überraschungsbesuch anlässlich ihres achtzigsten Geburtstags. In Wahrheit hatte Thamp keine Ahnung, was aus Dr. Kerpen geworden war. Ein paar der älteren Mitarbeiter – wie der exzentrische Bertrand Toce im angrenzenden Labor – hatten noch mit ihr gearbeitet und Thamps Geschichte mit Details über Kerpens Vorlieben unterfüttert. Angeblich mochte sie Johnny Cash. Ebenso angeblich ging ihr Geist auf den Plutomonden um. Toce hatte offensichtlich große Freude an Thamps Plan; der alte Kauz war eigentlich kaum zurechnungsfähig und freute sich, dass endlich jemand seine Geschichten hören wollte. Thamp dagegen ging es vor allem darum, Westhight zu verunsichern – außerdem hatte er mit allen im Team verschiedene Wetten am Laufen, ob ihm das auch gelingen würde.

»Du hältst dich wohl für besonders schlau.« Westhight zog sein Hosenbein zurecht. »Willst mich veralbern. Edwina Kerpen! Meinst du ernsthaft, ich falle darauf rein?«

Thamp stieß enttäuscht die Luft aus. »Puh, Curd, was du mir wieder unterstellst! Ich meine es doch nur gut mit dir. Als Gruppenleiter wäre es deine Aufgabe, eine Party für Doktor Kerpen zu organisieren. Wie sieht das denn aus, wenn sie eintrifft und wir völlig unvorbereitet sind? Was wird Ace dazu sagen?«

»Was werde ich wozu sagen?«, mischte sich die Stimme von Stationsleiter Ace Coltsmith ein, der eben sein Büro verließ. Er war ein sehr auf sein Äußeres bedachter Mann in seinen besten Jahren, der auf seinem Posten aber so eindeutig eine Fehlbesetzung war, dass sogar Thamp das erkannte. Wenigstens fiel es nicht schwer, ihn hinters Licht zu führen und den Unwissenden zu mimen.

»Ace ... ich meine, Mister Coltsmith!«, schnappte da Bleap. »Wir fangen gerade etwas auf!«

Thamp hörte ihrem Tonfall an, dass es ihr ernst war, und ließ das Grimasseschneiden. Auch Westhight sprang vom Tisch, und gemeinsam mit den anderen Kollegen umringten sie Bleaps Arbeitsplatz.

»Was haben wir denn?«, fragte Coltsmith.

Die junge Wissenschaftlerin rief mehrere Hologramme auf. »Gravitationswellen! Mehrere sogar ... und wirklich immens.« Sie zeigte es ihnen. Solche Wellen fielen nicht in Thamps Spezialgebiet. Aber es war offensichtlich, dass sie sich zu normalen Wellen verhielten wie ein Tsunami zu leichtem Seegang. »Sie kommen aus Richtung Sagittarius ...« Bleap blickte vom Holo auf. »Dem Zentrum der Milchstraße, Sir«, fügte sie hinzu, als sie erkannte, dass Coltsmith mehr als eine Sternbildbezeichnung zur Orientierung benötigte.

Nun hellte sein Gesicht sich auf. »Das Schwarze Loch?«, fragte Coltsmith.

Bleap studierte die Daten. »Vielleicht sogar mehrere, Sir ...« Sie vergrößerte ein Holo, bis es zwei Meter groß vor ihren Arbeitsplätzen schwebte. Es zeigte das eng mit Sternen gespickte Kerngebiet der Milchstraße. Allen Anwesenden war Sagittarius A* ein Begriff – das mächtige Schwarze Loch von über vier Millionen Solmassen, das im Zentrum der Galaxis lag. Weniger bekannt, wusste Thamp, war die Tatsache, dass es nicht das Einzige war.

»IRS 13 beispielsweise ist nur drei Lichtjahre von Sagittarius A* entfernt und immerhin über tausend Solmassen schwer«, erläuterte Bleap. »Und es gibt Tausende, wenn nicht Zehntausende weitere Schwarze Löcher im Umkreis von weniger als hundert Lichtjahren von Sagittarius A*. Manche werden von mehreren Sonnen umkreist. Es ist ein hochkomplexes Gefüge, das ...«

»Und das Ganze ist wie weit entfernt?«, unterbrach Coltsmith, der nie Hemmungen hatte, eine Wissenslücke zuzugeben.

»Etwa 26.500 Lichtjahre«, antwortete Bleap.

»Das heißt ... diese Wellen waren 26.500 Jahre unterwegs?«

Thamp musste zugeben, dass das für Coltsmiths Verhältnisse eine scharfsinnige Schlussfolgerung war.

Doch Bleap schüttelte nachdrücklich den Kopf, woraufhin sie ihre widerspenstigen Locken wieder richten musste. »Die Ligaturen melden eindeutig ein hyperphysikalisches Phänomen.«

Die sogenannten Ligaturen waren hochkomplexe Messanlagen auf den kleineren Plutomonden, welche die Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatorien – kurz LIGOS – auf Pluto und Charon unterstützten.

»Das heißt, die Wellen haben uns beinahe ohne Verzögerung erreicht«, übersetzte Thamp für Coltsmith.

Coltsmith runzelte die Stirn. »Das ist ... recht ungewöhnlich, oder nicht?«

»Sehr sogar«, bestätigte Bleap. »Was auch immer diese Wellen verursacht hat – es muss etwas Gewaltiges sein.«

Thamp schnippte bedauernd mit den Fingern. Er wünschte, er hätte eine Wette auf ein solches Ereignis abgeschlossen.

»Dann war es das, worüber Sie mit mir reden wollten?«, vergewisserte sich Coltsmith zufrieden. Aus irgendeinem Grund nahm ihr Vorgesetzter immer an, dass seine Untergebenen etwas vor ihm geheim hielten.

»Das und die Pulsare«, sagte Thamp.

»Welche Pulsare denn?«

Bleap setzte ihn kurz über die zuvor registrierten Impulsfrequenzänderungen ins Bild. Man sah Coltsmith an, dass er kurz davor stand, einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen herzustellen.

»Das ist aber nicht alles, was wir zu melden haben«, mischte sich Westhight ein und zerstörte diesen wunderbaren Moment der Erkenntnis. »Nicht wahr, Thamp?«

Thamp pustete die Backen auf und tat, als wüsste er nicht, wovon Westhight redete.

»Was ist hier los?«, fragte Coltsmith in seiner besten Imitation eines strengen Vorgesetzten.

Ein Signal an Thamps Komgerät blinkte. Ein Kollege versuchte, ihn zu erreichen – der alte Bertrand Toce aus dem Labor. Kurz hoffte Thamp, dem Verhör dadurch noch einmal entgehen zu können, doch Westhight ließ nicht locker.

Genüsslich wie ein Hai, der Blut gewittert hatte, grinste er. »Jeril hat die Station in ein Wettbüro verwandelt«, informierte Westhight ihren Vorgesetzten, während sämtliche Mitarbeiter in Hörweite verzweifelte Mienen zogen. »Er ist ein richtiger kleiner Al Capone, nicht wahr, Jeril?«

Resignierend drückte Thamp den Anruf weg. »Ich wünschte, das wäre so, dann hätte ich wenigstens genug zu trinken«, verteidigte er sich. »Und meine Quoten waren immer fair! Ich habe niemanden zu etwas gezwungen.«

»Santos!«, rief Westhight, als ginge es um ein Kapitalverbrechen, das er aufdecken musste. »Um wie viel Geld hat er dich erleichtert?«

»Zweihundert Dollar«, gab Hundley zu. »Aber die Quote war auch hoch, und wie er schon sagte: Niemand hat mich zu etwas gezwungen.«

»Wetten um Geld?«, staunte Coltsmith, als wäre ihm das Konzept völlig neu. »Ich muss mich schon sehr wundern! Jeril, selbstverständlich werden Sie Santos sein Geld zurückgeben.«

Bleap und die Kollegen wollten protestieren. Aber Thamp sah, dass es Coltsmith ernst war, und winkte ab. Rasch rief er sein Konto auf und überwies Hundley sein Geld zurück. Der untersetzte Mann seufzte nur müde. Die ganze Aufregung schmerzte ihn sichtlich mehr, als sein finanzieller Verlust das getan hatte.

»Nichts für ungut«, entschuldigte sich Thamp. Hundley hielt ihm die Faust hin, und sie stießen die Knöchel gegeneinander.

»Nachdem das geklärt wäre ...«, hob Coltsmith an und blickte irritiert auf Thamps Arbeitsplatz. »Ihr Komgerät blinkt.«

Thamp folgte seinem Blick. Schon wieder Toce. Was wollte der Alte nur von ihm? Dieses Mal versuchte er den Ruf entgegenzunehmen, doch es war schon zu spät.

»Sir!«, meldete Bleap sich abermals. »Funkspruch von der MAGELLAN und der CREST II. Es ist Perry Rhodan!«

Coltsmith versteifte sich, als hätte er gerade auf eine Gräte gebissen. »Für mich ... persönlich?«, brachte er hervor und strich sich befangen über die Wange, auf der sich die zarte Andeutung eines Stoppelbarts zeigte.

»Offene Flottenfrequenz«, präzisierte Bleap. »Ich glaube, Sie rufen eher ... allgemein. Und das Flottenkommando antwortet bereits.« Sie schaute auf. »Jetzt sind sie auf eine verschlüsselte Frequenz gewechselt.«

Man konnte überdeutlich sehen, wie Coltsmith in sich zusammensank. Es war ein herzzerreißender Anblick – wie ein Aufblastier, in das man eine Nadel stach. Ein Gespräch mit Perry Rhodan wäre sicherlich der Höhepunkt seiner Karriere gewesen, selbst mit einer nicht ganz makellosen Rasur.

»Senden Sie unsere Standardgrußbotschaft«, befahl Coltsmith trotzig. »Nein, besser – senden Sie die Botschaft, die ich vorige Woche aufgezeichnet habe. Eine persönliche Note macht besseren Eindruck!«

Bleap tauschte einen panischen Blick mit Thamp, der hilflos die Achseln hob. Niemand wusste, was Coltsmith in seiner aktualisierten Grußbotschaft aufgezeichnet hatte. Sie – oder vielmehr Rhodan – würden es wohl herausfinden müssen.

Zufrieden rieb sich Coltsmith die Hände. »Sonst noch etwas?«

Thamp machte auffordernde Gesten und zwinkerte Westhight vielsagend zu.

»Was?«, fragte Coltsmith irritiert.

»Curd ist zu schüchtern, Sir«, behauptete Thamp. »Es sollte eine Überraschung sein.«

Coltsmith sah Westhight erfreut an. »Eine Überraschung? Was ist es denn?«

»Nichts, Sir!«, wiegelte Westhight ab. »Jeril treibt bloß ... Scherze.«

Coltsmith klopfte Westhight gutmütig auf die Schulter. »Schon gut. Ich werde es noch früh genug erfahren. Eine Überraschung, wie schön! Ich bin in meinem Büro.« Er spazierte pfeifend davon.

Thamp sah seinem Vorgesetzten nach, bis sich Westhights bohrende Blicke nicht länger ignorieren ließen. »Du hattest genug Zeit, dich vorzubereiten«, erinnerte Thamp den Gruppenleiter.

»Auf den Geist von Edwina Kerpen?«, höhnte Westhight. »Ja, klar. Aber hast du nicht vielleicht etwas vergessen?«

»Tja, also, Curd ...« Thamp schüttelte ratlos den Kopf.

»Wenn ich mich recht entsinne, hast du eins zu drei gewettet, dass Rhodan und seine Schiffe frühestens morgen eintreffen. Und wenn ich mich nicht sehr täusche – was ich nicht glaube –, habe ich dagegen gewettet.«

»Du willst Geld von mir? Soll das ein Witz sein?«

»May!«, rief Westhight im Befehlston. »Sieh bei den Wettzetteln nach! Er will mich betrügen!«

Bleap starrte Westhight mit allem Hass an, zu dem sie fähig war. Das war nicht viel, aber Thamp wärmte es das Herz. »Wer hat denn gerade Jeril angeschwärzt und den einzigen Zeitvertreib unterbunden, den wir hier haben?«, fragte sie.

Zustimmendes Gemurmel erklang von den Arbeitsplätzen ringsum.

Westhight stürmte zu Bleap, um sich ihrer Notizen zu bemächtigen. Doch sie stopfte rasch alles in ihre Schublade und zog den Schlüssel ab.

»Curd!«, rief Thamp. »Lass das! Wenn ich mein Geld nicht kriege, kriegst du deins auch nicht.«

»Genau«, pflichtete Hundley ihm brummig bei. »Und wenn du glaubst, dass ich mich nach dem, was du gerade abgezogen hast, noch einmal von meinen zweihundert Dollar trenne, hast du dich getäuscht.«

Westhight warf verbissen Blicke nach links und rechts, musste jedoch feststellen, dass er in dieser Sache keine Unterstützer hatte.

»Ace!«, rief er, wahrscheinlich, weil ihm nichts anderes mehr einfiel.

»Jeril«, sagte Bleap. »Ich sehe eben erst – da hat eine Raumfähre angelegt.«

»Eine Raumfähre? Das nächste Versorgungsschiff kommt doch erst Dienstag ...«

»Falls sie wieder die Dienstpläne geändert haben, wäre ich bereit, das mit den Wetten doch noch einmal auf Anfang zu drehen«, merkte Hundley an.

»Was ist denn nun schon wieder?«, fragte Coltsmith, der leicht verstimmt aus seinem Büro zurückkam, Rasierschaum um den Mund.

Zeitgleich öffnete sich die Verbindungstür zum Labor nebenan, und eine heisere Flüsterstimme erklang. »Leute! Psst!« Thamp sah den tattrigen Bertrand Toce im Durchgang stehen.

Da erstrahlte ein Licht über dem Schott zu dem Korridor, der die Zentrale mit den technischen Bereichen und dem Hangar verband.

»Was ist denn, Bertrand?«, fragte Jeril Thamp.

»Sie ist hier! Jeril? Worüber wir gesprochen haben? Sie ist ...«

»Ruhe!«, bellte Westhight und versuchte, die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten zu erregen. »Ace, Jeril hat gerade ...«

Das Schott glitt auf, die Gespräche verstummten. Herein trat eine hagere Frau mit einer langen Mähne grauen Haars, so bleich und eingefallen wie ein Geist. Doch ihr Blick, den sie durch die Zentrale schweifen ließ, war wach und neugierig.

»Oh mein Gott«, hauchte May Bleap. »Das ... Das ist ja ...«

»Ich sollte sie doch einladen«, fragte Bertrand Toce verwirrt. »Oder? Jeril?«

»Doktor Kerpen?« Ace Coltsmith fasste sich an die Wange, die voller Rasierschaum war.

Curd Westhight stieß ein jammervolles Winseln aus.

»Lange ist's her«, sagte Edwina Kerpen. »So nett von euch, mich einzuladen!« Die legendäre ehemalige Leiterin der PUMA-Station grinste vergnügt. »Also, was ist mit der Party, von der mir Bertrand erzählt hat?«

TEIL I

Die Unsterblichen

 

1.

Willkommen

 

Perry Rhodan hatte sich die Heimkehr anders vorgestellt.

Aber wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was er erwartet hatte.

Er war dankbar, dass er diesmal nicht in einem schrottreifen Raumschiff heimkehrte. Niemand drohte, ihm den Prozess zu machen. Nach den Maßstäben der Kommission, die seinen Flug bewilligt hatte, war er erfolgreich gewesen: Er hatte Thora Rhodan da Zoltral, die Botschafterin des Großen Imperiums und seine Ehefrau, lokalisiert und samt ihrem Raumschiff nach Hause gebracht.

Gemeinsam hatten sie die Zustände im Arkon-Imperium geordnet, wenngleich nicht so wie erwartet: Mascudar war nun Imperator, nicht mehr Theta, und ein Sonderbevollmächtigter von der Erde arbeitete vor Ort an einem Beistandspakt mit dem Tai Ark'Tussan. Ausschlaggebend dafür war die Rettung von Arkon I vor dem Dunkelleben gewesen. Zusammen mit Atlan und Mirona Thetin hatte Perry Rhodan die Gefahr in letzter Sekunde abwenden können.

Aber hieß das nun, dass sie die Füße hochlegen konnten?

Nein. Zu viele Fragen blieben offen – sie hatten zu viele verstörende Einblicke in die geheimnisvollen Abläufe des Universums und die Mächte erhalten, die es steuerten. Er selbst hatte eine Vision des galaktischen Zentrums und eines fernen Ortes erfahren – auf der Lichtwelt Drem-Doreus, tief in der Wildnis dicht stehender Sonnen und ihrer titanischen Kräfte gelegen, braute sich etwas zusammen. Und ausgerechnet Rhodans lange verschollene Tochter Nathalie hatte etwas damit zu tun – Nathalie, die zugleich Anson Argyris war, der sogenannte Kaiser von Olymp. Rhodan musste unbedingt mit Nathalie reden, wollte mehr über die Rolle herausfinden, die sie in all dem spielte.

Zunächst aber mussten sie nach Hause, mit all ihren Fragen und all ihren Nöten. Und allem Erreichten zum Trotz fühlte sich die Heimkehr nicht wie ein Sieg an.

Rhodan blickte zu Gabrielle Montoya, die im Sitz des Kommandanten saß. Die Erste Offizierin der MAGELLAN hatte ihren Mann verloren. Conrad Deringhouse hatte sein Leben gegeben, um unzählige andere zu retten. Als die abgesetzte Imperatrice Theta in ihrer Verblendung versucht hatte, die CREST II zu zerstören, um ihre Widersacher zu töten, hatte er sich ihr in den Weg gestellt.

Conrads Tod hatte sie alle tief getroffen. Perry Rhodan hatte einen seiner ältesten Freunde und Weggefährten verloren. Einen der wenigen, die von Anfang an dabei gewesen waren.

Es war bewundernswert, wie gut sich Montoya im Griff hatte. Ungeachtet ihres Alters und des schlohweißen Haars wirkte sie stark wie ein alter Fels. Trotz ihrer Stärke sah man ihr allerdings an, dass eine noch ältere Brandung an ihr nagte. Sie hatte geschworen, dieses Raumschiff nach Hause zu fliegen – Rhodan fragte sich, was danach aus ihr werden würde.

»Senden Sie eine Grußbotschaft«, bat Rhodan Nykyta Lomatschenko, den Funker. Rhodan fungierte im Auftrag von Shenn als Expeditionsleiter. Wahrscheinlich würde er dem Rat der Terranischen Union Rede und Antwort stehen müssen, bis sich dieser davon überzeugt hatte, dass er seine Befugnisse nicht überschritten hatte.

»Krankenstation an Zentrale«, erklang auf einmal Suds Stimme über das Komgerät.

Montoya nahm den Ruf entgegen. »Ja, Sud, was gibt es?«

Ein kleines Holo baute sich auf. Es zeigte das Gesicht von Sue Mirafiore mit dem Intarsium an ihrer Schläfe. Innerlich war sie weder Sue noch Sid González, der mit ihr verschmolzen war, sondern beides – und mehr. Das Mentamalgam mit seinen heilenden Kräften war auf der Krankenstation unverzichtbar.

»Es geht um Merkosh. Er hatte eine Art ... Anfall. Wir versorgen ihn gerade.«

»Was genau ist passiert?«, fragte Rhodan besorgt.

Der Oproner mit seiner außergewöhnlichen Physis und seinem bizarren Gemüt war schon mehr als einmal für eine Überraschung gut gewesen. Wenn ihm unerwartet etwas widerfuhr ... Das bedeutete meist etwas. Zudem hatte sich Merkosh seit einiger Zeit auffallend rargemacht. Ob es ihm schon länger schlecht ging?

»Ich zeige es dir.«

Das Holo folgte Sud zu einem Behandlungstisch, auf dem die schlaksige, gläserne Gestalt des Oproners lag. Rhodan mochte sich täuschen, doch Merkosh wirkte noch durchsichtiger als sonst. Er erkannte deutlich die inneren Organe, gleichsam transparent wie die Strukturen innerhalb einer Qualle.

»Siehst du, wie durchscheinend er ist?«, bestätigte Sud seine Beobachtung. »Er schläft gerade, nachdem wir ihm ein Beruhigungsmittel auf Basis des Gels aus seinem Vitron gegeben haben. Zuvor war er sehr verwirrt. Besatzungsmitglieder haben ihn entdeckt, wie er durch die Gänge gelaufen ist, beide Hände voll mit Energiezellen.«

»Was für Energiezellen?«, fragte Rhodan irritiert.

Sud schüttelte ratlos den Kopf. »Alle erdenklichen. Energiezellen, Batterien, Akkupacks aus verschiedensten Weckern, Komgeräte, Waffen ... Er ist einfach wahllos in Quartiere eingedrungen und hat gesammelt. Als ich ihn gefragt habe, was er damit vorhat, hat er keine Antwort gegeben. Nur ständig wiederholt, dass es ein weiter Weg nach Hause sei.«

»Ein weiter Weg ...«, murmelte Rhodan. Merkoshs Kleptomanie war früher schon ein Problem gewesen. Aber dass der Oproner so verwirrt war, gab ihm zu denken.

»Perry«, sagte Sud. »Ich würde ihn gern nach Mimas bringen, um ihn gründlich durchzuchecken. Vielleicht ist es nichts, weswegen wir uns sorgen müssen. Aber wenn doch ...«

Sie musste den Satz nicht zu Ende führen. Das Mimas Medical Research Center, kurz MIMERC, war die beste Adresse im Solsystem, um exotische Krankheiten und medizinische Notfälle zu behandeln.

»Wir ändern den Kurs«, entschied Rhodan und gab Gabrielle Montoya ein Zeichen. »Zwischenstopp bei Mimas, dann weiter zur Erde. Mister Lomatschenko, sagen Sie der CREST II Bescheid.«

»Wir machen ein Beiboot fertig.« Montoya lächelte Sud flüchtig an. »Halte dich bereit.«

»Ich komme zu dir«, sagte Rhodan.

Sud nickte dankbar und beendete die Verbindung.

»Wir werden gerufen«, meldete Lomatschenko fast im selben Moment.

»Die Erde?«, fragte Montoya.

»Flottenkommando«, bestätigte der Funker. »Stella Michelsen.«

»Annehmen«, sagte Rhodan verwundert. Er hätte damit gerechnet, dass sich Reginald Bull als Erster meldete, oder vielleicht dessen Stellvertreter, falls man in Rhodans Abwesenheit einen neuen Systemadmiral bestellt hatte. Er hätte auch damit gerechnet, dass der Rat etwas Blumiges vorbereitet hatte. Dass jedoch Michelsen einen militärischen Kanal benutzte, war ungewöhnlich.

»Rhodan hier«, meldete er sich und warf einen kurzen Blick auf die Ortszeit von Terrania. »Guten Abend, Administratorin.«

Vor ihm erschien das Hologramm der kleinen, täuschend unscheinbaren Frau, welche die Geschicke der Terranischen Union lenkte.

»CREST II zugeschaltet«, verkündete Lomatschenko noch knapp, und Thoras Hologramm entstand neben Michelsens.

Die Arkonidin überragte die Administratorin gut und gern um einen Kopf. Ein dunkel getöntes Spiegelfeld schirmte Rhodan, Montoya und die beiden zugeschalteten Frauen ein Stück weit von der restlichen Besatzung ab, gab ihnen das Gefühl von Privatsphäre.

»Guten Abend, Perry«, grüßte Michelsen. »Botschafterin.«