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Band 236

 

Das Ei der Loower

 

Lucy Guth

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Künstliche Gedanken

1. Thora Rhodan da Zoltral

2. Gucky

3. Donna Stetson

4. Thora Rhodan da Zoltral

5. Perry Rhodan

6. Ein neuer Faktor

7. Perry Rhodan

8. Perry Rhodan

9. Kontaktaufnahme

10. Donna Stetson

11. Gucky

12. Donna Stetson

13. Perry Rhodan

14. Kurz zuvor: Donna Stetson

15. Diskurs

16. Perry Rhodan

17. Donna Stetson

18. Perry Rhodan

19. Gucky

20. Donna Stetson

21. Gucky

22. Perry Rhodan

23. Donna Stetson

24. Thora Rhodan da Zoltral

25. Gucky

26. Individuum

27. Thora Rhodan da Zoltral

28. Donna Stetson

29. Gucky

30. Thora Rhodan da Zoltral

31. Donna Stetson

Epilog

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Eine unheimliche Bedrohung sucht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben.

Deshalb bricht Perry Rhodan mit der CREST II in den Sagittarius-Sektor auf. Die Terraner erkunden das Compariat in der galaktischen Kernregion, das von den Omniten beherrscht wird. Allerdings verwehrt ihnen eine Raumflotte der Shafakk den Zugang zum Omnitischen Herzen.

Die CREST II versucht, diese Blockade zu passieren, indem ein extrem gefährlicher Raumsektor genutzt wird. Dabei geht ein mysteriöser Notruf ein. Selbstlos eilen die Menschen zu Hilfe und erreichen ein geheimnisvolles Kegelschiff. An Bord stoßen sie auf ein archaisches Mysterium – DAS EI DER LOOWER ...

Künstliche Gedanken

 

Tausende von Jahren habe ich es beschützt. Und nun werden wir zusammen untergehen.

Was hätte ich machen können? Nichts. Ich bin zur Untätigkeit verdammt. Vielleicht hätte ich einen Weg finden können ... Ich habe es Milliarden Mal berechnet, habe nach Lösungen gesucht. Ich habe keine gefunden.

Nun sehe ich das Ende kommen. Es ist unausweichlich. Wenn uns bislang niemand gefunden hat, wird das nicht mehr geschehen. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt bei 0,0000001 Prozent. Sie ist nur deswegen so hoch, weil es in diesem Gebiet so viele stellare Objekte gibt. Lauter junge, heiße Sonnen ... Aber genauso viele Schwarze Löcher, die Raumschiffen das Navigieren erschweren, ganz wie wir es gerade am eigenen Leib erfahren.

Ich habe versagt.

1.

Thora Rhodan da Zoltral

 

Die Sterne standen dicht an dicht – ein Anblick, der Thora Rhodan da Zoltral Unbehagen verursachte. Der Weltraum, den sie gewohnt war, sah anders aus. Im galaktischen Zentrum gab es keine Schwärze des Alls, sondern nur ein allgegenwärtiges Zwielicht, ein Glühen. Denn zwischen den Sonnensystemen lagen nicht viele Lichtjahre, sondern manches Mal lediglich Lichtstunden. Was sie vor sich hatte – nein, eher um sich hatte –, war einfach ... zu viel.

Du hast doch als Kind davon geträumt, zu den Sternen zu fliegen – bitte, nun bist du da. Ihr Extrasinn klang amüsiert.

Damals träumte ich von den Sternsystemen um Arkon, nicht von Sagittarius A*, entgegnete Thora. Ich ahnte damals nicht mal, dass so etwas wie das hier möglich ist.

Obwohl sie es mit eigenen Augen sah, erschien es Thora unglaublich. Alte und junge Sonnen standen dicht an dicht, und wahrscheinlich war es in Wirklichkeit an vielen Stellen geradezu mörderisch hell – was die Positronik auf den Holodom der Zentrale in der CREST II projizierte, war eine aufbereitete Darstellung, die dem begrenzten Sehvermögen von Menschen und Arkoniden Rechnung trug. Es war dennoch ein überwältigender Anblick – vor allem, da im Zentrum Sagittarius A* stand, ein supermassereiches Schwarzes Loch.

Mit dem bloßen Auge würde man es gar nicht erkennen, denn ein solches Phänomen strahlte kein Licht ab. Arkonidische Systeme berechneten für gewöhnlich die Masse eines Schwarzen Lochs und bildeten sie grafisch durch Farbunterschiede ab. SENECA indes, die Hauptpositronik der CREST II, benutzte eine fast einhundert Jahre alte menschliche Technik, die Radiowellen in Normallicht umrechnete. Dadurch wurde Sagittarius A* zu einem riesigen, orangefarbenen Auge mit tiefschwarzer Pupille, dessen farbige Iris unheilvoll pulsierte und rotierte.

Das Auge Saurons, bemerkte Thoras Logiksektor, der eine Vorliebe für alte terranische Filme hatte.

Thora musste ihm hinsichtlich der optischen Ähnlichkeit zu dem Motiv aus »Der Herr der Ringe«, durchaus recht geben. Und auch, was das Gefühl einer bösartigen Bedrohung anging, die das Schwarze Loch ausstrahlte.

Dieses Gefühl ist wohl eher subjektiv einzuordnen, weil wir wissen, was für eine Gefahr in dieser schwarzen Pupille schlummert: Tihit.

»Irgendwelche Anzeichen von unseren Verfolgern?«, erkundigte sich Thora bei Sarah Maas.

Die mit Funk und Ortung betraute Offizierin hatte im Gegensatz zum Rest der Zentralebesatzung keinen Blick für das exotische Bild, das sich ihnen auf dem Außenbeobachtungsholo präsentierte. Die Deutsche konzentrierte sich auf einen Schwarm von Grafikhologrammen, die sie umschwirrten und die sie mit den Händen verschob, vergrößerte und verkleinerte, so virtuos, wie ein Dirigent sein Orchester im Griff hatte.

»Seit wir den Shafakk im Skargh-Kashkor-System entkommen sind, haben wir keins ihrer Kampfschiffe mehr gesichtet«, antwortete Maas. »Was für ein Glück, dass es Bumipol und Sianuk na Ayutthaya gelungen ist, die Psi-Strahlung des Couhl zu nutzen.«

»Ja, was für ein Glück«, murmelte Perry Rhodan, der schräg hinter Thora stand.

Die Arkonidin schenkte ihm einen scharfen Blick, kommentierte es jedoch nicht. Der Erfolg der beiden Wissenschaftler, den sie auch Cameron Canary und dem Sleeker Woggrill zu verdanken hatten, sprach für sich: Die hyperenergetische Strahlung hielt den Terranern die schwarzen Mausbiber vom Leib. Aber Thora war trotzdem nicht wohl dabei, einen mumifizierten Ilt-Vorfahren als mobile Shafakkabwehr an Bord zu haben; von den Auswirkungen dieser Emissionen auf die Mutanten einmal ganz abgesehen.

Thora stellte eine Verbindung zur Medostation her. Kaum hatte sich das Kommunikationsholo aufgebaut, gellten schon ohrenbetäubende Schreie durch die Zentrale, die jeden ringsum zusammenzucken ließen.

Alle wissen, wer diese Laute ausstößt, und dieses Wissen macht es nur umso schrecklicher, konstatierte der Extrasinn.

Natürlich. Gucky ist allgemein beliebt, die meisten kennen ihn nur fröhlich. Solche Schreie von ihm zu hören ... Thora fröstelte.

Drogan Steflov, der Chefarzt der CREST II, trat in den Erfassungsbereich der Kamera. Er sah erschöpft aus: Seine Wangen waren eingefallen, und unter seinen Augen lagen tiefe Schatten. Im Hintergrund erkannte Thora das Mentamalgam Sud, die sich über ein Krankenbett beugte. Darauf lag eine kleine, pelzige Gestalt. Die Ärzte hatten Gucky mit Fesselfeldern gesichert, damit er sich nicht selbst verletzte. Er bäumte sich unter Qualen auf.

Thora konnte den Anblick nur schwer ertragen. »Doktor Steflov, ich störe Sie nur ungern – wie ist die Lage?«

»Unverändert.« Steflov fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die von feinen Schweißperlen bedeckt war. »Gucky wird von der Psi-Emanation des Couhl schwer getroffen. Er leidet, Kommandantin – und wir können nichts für ihn tun. Nicht mal Sud.«

Thora biss sich auf die Lippen. Dass selbst die heilenden Kräfte des Mentamalgams nicht ausreichten, sprach Bände. »Wie sieht es mit den anderen Mutanten aus? John Marshall, Josue Moncadas? Und Sud selbst?«

Steflov drehte kurz den Kopf nach Sud um, wandte sich jedoch gleich wieder Thora zu. »Sud hat die Sache im Griff. Marshall und Moncadas hingegen spüren ebenfalls negative Auswirkungen, allerdings nicht so schwer wie Gucky.« Steflov senkte die Stimme. »Ma'am, ich will nicht anmaßend erscheinen, aber ... wie lange muss er diese Qualen noch ertragen?«

Thora atmete tief ein. »Es ist Ihre Pflicht als Mediziner, danach zu fragen, ich nehme Ihnen das nicht übel. Ich muss die Lage erst genauer einschätzen und gebe Ihnen gleich Bescheid.« Sie beendete die Verbindung und drehte sich um, weil sie mit Horesh jad Aedor reden wollte, ihrem omnitischen Mitreisenden, der sich seit Kurzem lieber mit Bingdu ansprechen ließ.

Doch ehe sie etwas sagen konnte, trat Rhodan zu ihr. »Wir sind die Shafakk los. Du solltest die Psi-Strahlung abschalten und Gucky von seinem Leid erlösen«, bat er.

Was ist denn mit deinem geliebten Barbaren los?, höhnte der Logiksektor. Sonst mischt er sich doch auch nicht in deine Schiffsführung ein?

Gucky ist einer seiner besten Freunde ...

Und einer von deinen!

... und Perry kann es genauso wenig wie ich ertragen, ihn leiden zu sehen.

Thora legte ihrem Mann sanft die Hand auf den Arm. »Das will ich ja. Aber ehe ich eine solche Entscheidung treffen kann, muss ich wissen, woran wir sind.«

Rhodan öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Er nickte.

Thora wandte sich endgültig dem Omniten zu, der neben Rhodan ihre Flucht vor den Shafakk mitverfolgt hatte. »Bingdu, wie geht es nun weiter? Wie kommen wir zum Gadenhimmel?« Dieser Ort war ihr erklärtes Ziel, weil Merkosh darum gebeten hatte, dorthin gebracht zu werden. Der Oproner befand sich derzeit auf der Krankenstation, wo die Ärzte ihr Bestes taten, um ihm zu helfen.

Bingdu verschränkte umständlich die Finger vor seiner Brust. Das war nur zu sehen, weil die Beleuchtung in der Zentrale die Gliedmaßen des beinahe völlig transparenten und kaum bekleideten Außerirdischen durch schwache Lichtbeugungen und -reflektionen leidlich erahnen ließ. »Nun, zunächst mal müssen wir das Omnitische Herz anfliegen ...«

Thora schüttelte unwillig den Kopf. »Das ist mir bewusst. Sie haben uns erläutert, dass wir von dieser Raumstation mit dem malerischen Namen aus in den Gadenhimmel und zur Lichtwelt Drem-Doreus vorstoßen können.« Sie hofften, dort weitere Antworten auf den Fragenkomplex Dunkelleben zu bekommen und vor allem eine Handhabe gegen Tihit zu finden, die aus dem Schwarzen Loch Sagittarius A* ausbrechen wollte. »Aber Sie haben uns bislang nur vage Koordinaten genannt, auf welchem Schleichweg es uns gelingen soll, die Shafakkblockade um das Omnitische Herz zu überwinden. Unser Pilot Mentro Kosum fliegt nur in die ungefähre Richtung.«

»Sehen Sie ...« Irre ich mich oder druckst der Omnit gerade herum? »Üblicherweise gibt es spezielle Lotsen, die Schiffe nach Jad-Kantraja führen. Aber seit der Abriegelung durch die Shafakk sind diese Lotsen ... nun ja, sie verbleiben meist im Omnitischen Herzen.«

»Soll das heißen, Sie wissen gar nicht, wie man zu Ihrer Raumstation gelangt?« In Rhodans Stimme schwang der gleiche Unglaube, den Thora verspürte.

»Natürlich weiß ich das!« Der Omnit stülpte empört den Rüsselmund vor. »Und die Informationen, die ich Ihrem Piloten gegeben habe, sind durchaus korrekt. Ich kann ihm allerdings keine konkrete Anflugroute nennen. Das liegt an den schwierigen normal- und hyperenergetischen astrophysikalischen Bedingungen im galaktischen Zentrum. Weil alles in steter Bewegung ist, gibt es keine Stabilität, keine Verlässlichkeit.«

»Wie sollen wir das verstehen?« Thora beherrschte sich nur mühsam. Es wäre nett gewesen, wenn Bingdu uns vor dem Einflug in dieses Gebiet darüber aufgeklärt hätte.

Und dann hättest du was getan? Den Rückflug in den Randbereich der Milchstraße angeordnet?

Bingdu trommelte mit seinen zwölf Fingerspitzen gegen den Brustkorb. Vielleicht war das ein Zeichen von Nervosität, vielleicht von Überheblichkeit – Thora konnte Bingdu nach wie vor nicht recht einschätzen. Über die Omniten wusste die Schiffsführung der CREST II mittlerweile lediglich, dass es sich bei den Herrschern des Compariats um Oproner handelte, die – wie Merkosh – eine besondere Metamorphose durchlaufen hatten und sich auf bislang nicht näher bekannte Weise mit dem Dunkelleben verbunden hatten. Ansonsten blieb dieses Volk geheimnisvoll, und Bingdu tat wenig, um dies zu ändern.

»In einem Bereich von derart hoher Sterndichte und so chaotischer Umstände kann es zu unerwarteten Veränderungen des Weltraums kommen«, antwortete der Omnit. »Planlose Ferntransitionen zum Beispiel sind viel zu gefährlich.«

Thora kniff die Lippen zusammen. »Das macht meine Entscheidung nicht einfacher. Wenn ich die Psi-Strahlung desaktiviere, präsentieren wir uns den Shafakk wieder als Ziel. Dann heften sie sich uns erneut an die Fersen. Und unter diesen Bedingungen da draußen können wir nicht mal mit einer Distanztransition verschwinden.«

»Du kannst unmöglich zulassen, dass sich Gucky weiter so quält, wenn die Shafakk nicht mehr unmittelbar hinter uns her sind«, bedrängte Rhodan sie.

Überleg dir das gut: Wenn du die Hyperstrahlung abschaltest, sind die Shafakk vielleicht innerhalb einer Tonta da – und dann werden wir sie nicht wieder so leicht abschütteln können.

Aber was ist mit Gucky?, wandte Thora ein.

Ich mag Gucky, im Gegensatz zu vielen anderen deiner sogenannten Freunde. Aber du hast die Verantwortung für die CREST II und ihre Besatzung. Du weißt, dass Kosum, der sicher ein exzellenter Pilot ist, das Schiff nicht so navigieren kann, wie es nötig ist. Du weißt genau, wie deine Entscheidung ausfallen muss.

Thora schluckte. »Es tut mir leid, Perry. Ich kann Gucky noch nicht erlösen. Wir sind nicht weit genug von den Wachflotten der Shafakk entfernt. Bislang verhindert nur der Lethargie-Effekt der Couhl-Emanationen, dass die Patrouillenschiffe der schwarzen Mausbiber, die diesen Raumsektor durchforsten, sich ernstlich Mühe geben, uns zu lokalisieren. Wir müssen erst einen ausreichenden Sicherheits- und Ortungsabstand zwischen uns und diese Biester bringen, sodass sie uns technisch einfach nicht finden können, wenn die Psi-Strahlung sie nicht mehr lähmt. Sobald wir das geschafft haben, werde ich die Hyperemission sofort abschalten. Doch bis dahin ... muss es so gehen.«

Perry Rhodan senkte den Blick. »Du bist die Kommandantin.«

Thora Rhodan da Zoltral wandte sich wieder dem Außenbeobachtungsholo zu, in dem ein grünlich leuchtender Materienebel vor einer rot glühenden Sonne ein beeindruckendes Bild bot. Sie sandte lediglich eine Textnachricht an Drogan Steflov, um ihn über ihre Entscheidung zu informieren. Dennoch glaubte sie, Guckys Schreie in ihren Ohren gellen zu hören.

2.

Gucky

 

Sein Hirn stand in Flammen. Das Feuer breitete sich von dort in Guckys Körper aus und erfüllte jede Faser, jede Zelle und jeden Nerv mit unsäglichem Schmerz. Selbst sein Nagezahn schien mit flüssiger Glut gefüllt zu sein.

Das musste ja mal so kommen – das ist die Revanche dafür, dass ich die Schreienden Steine damals so gut überstanden habe. Es tröstete Gucky, dass er trotz der Qualen seinen Humor nicht verloren hatte. Allein dieser Humor verhinderte, dass er völlig den Wahnsinn verfiel. Er war wie eine Insel, auf die er sich in diesem Ozean aus Pein zurückziehen konnte. Trotzdem schwappten die Schmerzwellen immer wieder über diese Insel hinweg.

»Wann hört das endlich auf?«, stieß er zwischen zwei Torturkaskaden hervor und blinzelte in das grelle Licht der Lampe über ihm.

Zwei menschliche Hände legten sich sanft auf seinen Kopf, und der Schmerz ebbte etwas ab – aber nicht viel.

Sud, du Gute!, dachte Gucky dankbar. Das Mentamalgam hatte ihm in den vergangenen Stunden fast dauerhaft beigestanden und die Pein gelindert. Gucky wusste, dass es Sud immense Kräfte kostete, und trotzdem war es nicht genug. Es reichte gerade mal aus, damit er hin und wieder kurz durchschnaufen konnte.

»Wir wissen nicht, wie lange du das aushalten musst«, hörte er die Mutantin. Sehen konnte er sie nicht, denn sein Blick war von Tränen und Schweiß verschleiert, und er hatte kaum die Kraft, die Lider weiter als einige Millimeter zu heben. »Thora will mehr Abstand zwischen den Shafakk und uns haben und die Psi-Strahlung noch nicht abschalten. Wir müssen erst sicher sein, dass sie uns nicht einholen.«

»Klingt ... vernünftig«, keuchte Gucky. Er meinte es so. Wenn es eine Sache gab, die er vermeiden wollte, dann, den schwarzen Mausbibern erneut in die Hände zu fallen.

»Wieso? Hat es dir bei uns nicht gefallen?«

Gucky stutzte, während es in seinen Schläfen hämmerte. Diese Stimme – das war weder Sud noch Drogan Steflov. War eine weitere medizinische Fachkraft in den Behandlungsraum gekommen? Diese Stimme kam ihm zwar vertraut vor, aber er war sicher, dass es niemand von der CREST II war, den er hörte.

Außerdem fehlte der Raumklang. Es war, als spräche jemand direkt in seinem Kopf. Als Telepath hätte er dieses Phänomen kennen müssen, es war jedoch diesmal irgendwie seltsam anders.

Ein leises Kichern ertönte. »Dummer Ilt! Natürlich belauschst du im Moment niemanden. Dazu wärst du bei all diesen Schmerzen gar nicht in der Lage. Es ist eher so, dass ich dir etwas ... flüstere.«

Gucky drehte mühsam den Kopf. Obwohl sich die Stimme direkt in ihm erhob, hatte er das sichere Gefühl, dass der Sprecher neben ihm stand. Und tatsächlich: Seitlich der Medoliege hockte eine kleine, dunkle Gestalt. Ein einzelner Nagezahn, etwas größer als der von Gucky, blitzte auf.

»Sork?«, krächzte Gucky überrascht. Der schwarze Mausbiber, der bei den Shafakk als Missgeburt galt, war so etwas wie ein Freund gewesen, als die Mannschaft der FANTASY in Gefangenschaft geraten war. Sork war in Guckys Armen gestorben, als er sich im Kampf für Gucky geopfert hatte. »Was machst du hier?«

»Ich wollte mal nach dir sehen.« Die Gestalt des kleinen Shafakk war unscharf und flimmerte, aber das lag vielleicht an Guckys geschwächter Sehkraft. »Du siehst ein bisschen aus, als wärst du in einer Kar Bajata von einem Zummbol überrannt worden.«

»Ich weiß zwar nicht, was ein Zummbol ist, aber ich bin sicher, dass ich mich haargenau so fühle«, gab Gucky zurück.

»Drogan, er phantasiert«, hörte er Suds Stimme. »Sein Zustand wird immer schlimmer.«

Ist das so? Ich phantasiere? Natürlich. Sork ist tot, er kann gar nicht hier sein. Gucky ließ den Kopf zurücksinken und schloss erschöpft die Lider.

»Sei dir da mal nicht so sicher.« Sorks Stimme war klar und fest. »Vielleicht ermöglichen dir die Emissionen des Couhl nur besondere Einblicke ...«

Ins Jenseits, oder was? Sprechen strengte Gucky zu sehr an, sodass er sich aufs Denken verlegte. Das war mühsam genug. Die Schmerzen nahmen wieder zu, weil Sud abgelenkt war. Sie schien mit Steflov etwas gegen Guckys »Halluzinationen« zu unternehmen. Gucky spürte einen Einstich am Arm, eine Injektion.

»Sie bemühen sich umsonst. Ich bin keine Halluzination.«

Was bist du dann? Momentan kommst du mir vor wie ein nerviger Extrasinn der Arkoniden, ganz wie Thora und Atlan es beschreiben.

Gucky hörte ein empörtes Schnaufen. »Weder ein Extrasinn noch eine Halluzination können das hier!« Im nächsten Moment fühlte er, dass ihn jemand ins Gehirn zwickte. Zumindest glaubte Gucky zu spüren, dass ihm jemand Finger in den Kopf steckte und sie fest zukniff.

Gucky heulte auf. Warst du das? Oder waren das wieder Auswirkungen der Emissionen?

»Wer weiß? Vielleicht beides?«

Was bist du, bei allen Karotten der Erde?

»Schwer zu erklären – ein Echo, das in deinem Geist verblieben ist, das trifft es vermutlich am ehesten. Die Emissionen machen mich sichtbar – vielmehr hörbar.«

Gucky stieß ein Wimmern aus, als ein Stechen von seinem Schädel bis in den Biberschwanz jagte. Und was willst du?

»Das darfst du nicht mich fragen. Du hast mich herbeigerufen. Vielleicht, um nicht mit deinem Schmerz allein zu sein.«

Ich bin nicht allein. Sud und Doktor Steflov sind da. Gucky hörte die Ärzte debattieren, aber sie klangen sehr weit entfernt – als hätte ihm jemand Watte in die Ohren gepackt.

»Aber sie können nicht viel für dich tun, oder?«

Du auch nicht. Der Druck auf Guckys Kopf wurde so gewaltig, dass er glaubte, ihm müsse gleich Blut aus Ohren, Nase und Mund schießen.

»Vielleicht soll ich gar nichts tun. Vielleicht soll ich dich nur beim Sterben begleiten, so wie du es für mich getan hast.«

Ein Tsunami aus Schmerzen brach über Gucky herein und spülte ihn mit sich fort.

3.

Donna Stetson

 

Das ist nicht logisch. Es ergibt überhaupt keinen Sinn. Donna Stetson starrte auf die Anzeige ihres Analysegeräts, das sie an eine der Kontrollkonsolen des dritten Impulstriebwerks angeschlossen hatte, vor dem sie saß. Zahlenkolonnen rasten in atemberaubendem Tempo von unten nach oben über den Holomonitor. Sie hatte die Geschwindigkeit extra erhöht, weil die Standardeinstellungen zu zäh waren.

»Haben Sie etwas gefunden, Stetson?« Ihr Chef, der Energie-Ingenieur Fred Banner, trat neben Stetson. Er verzog das Gesicht, als er die Anzeige ihres Geräts musterte. »Also wirklich, wie wollen Sie denn da irgendwas auslesen? Das Tempo ist viel zu hoch, da kommt kein Mensch mit.« Er beugte sich vor und korrigierte mit einer wischenden Fingerbewegung das Tempo nach unten.

Stetson wich zur Seite aus, damit Banners Arm sie nicht berührte. Nicht, dass sie etwas an ihrem Chef abstieß. Banner war Anfang vierzig und der Typ Mann, der Studien zufolge in den meisten menschlichen Kulturen als attraktiv galt: groß, schlank, mit dunklen Haaren und Augen, einem markanten Kinn und einer Nase, die in der Kunst als griechisch bezeichnet wurde. Er hatte einen angenehmen Körpergeruch und eine Baritonstimme, nicht zu hell, nicht zu tief. Alles in allem ein Mensch, der Stetson kein Unwohlsein vermittelte. Doch Berührungen – egal von wem – vermied sie nach wie vor.

Sie wartete, bis Banner sich abwandte und den Wartungsraum im Ringwulst der CREST II mit federnden Schritten durchquerte. Dann regelte sie das Darstellungstempo ihrer Anzeige wieder hoch.

Banner als Energie-Ingenieur war prädestiniert dafür, das Problem zu lösen, weswegen Rufus Darnell das Dreierteam in diesen Bereich entsandt hatte. Etwas hemmte den Energiefluss am Impulstriebwerk drei, was in der momentanen Lage – auf der Flucht vor den seltsamen Shafakk – das Potenzial hatte, von einem kleinen zu einem richtig großen Problem zu werden. Banner kümmerte sich um die Untersuchung der Energieflüsse. Stetson als Positronikpsychologin sollte den Informationsaustausch zwischen SENECA und den Unterpositroniken vor Ort kontrollieren, obwohl Banner nicht glaubte, dass der Grund für den Störfall auf diese Weise zu finden war.

Der dritte im Team, Charles Dubois, war IT-Techniker. Er prüfte die grundlegenden Programmroutinen und saß in der Mitte des Wartungsraums auf einem Hocker, in einen bunten Schwarm aus Hologrammen eingehüllt. Gelangweilt arbeitete er sich durch die Datenmengen.

»Das ist nicht logisch. Es ergibt überhaupt keinen Sinn«, wiederholte Stetson halblaut.

Dubois lachte auf. »Das glaube ich dir, Stetson. In deinem Datenwust werden wir sicher nicht die Ursache für den verminderten Energiefluss finden.«

»Stimmt, wir werden nicht«, bestätigte Stetson. »Denn du hast mit meinen Daten nichts zu tun. Ich werde die Ursache finden, wennschon.«

Dubois grinste. »Klar, sicher.«

Da war es wieder: Donna Stetson spürte, dass Dubois etwas anderes meinte als das, was er sagte. Das Konzept von Ironie – oder schlimmer: Sarkasmus – erschloss sich ihr auch nach achtundzwanzig Lebensjahren noch immer nicht vollständig. Selbst anwenden konnte sie es auf keinen Fall. Immerhin schaffte sie es mittlerweile, es bei seiner Anwendung zu erkennen. Zumindest manchmal. Dies war so ein Fall.

»Du glaubst nicht, dass ich die Fehlerquelle finden kann?«, fragte sie.

»Natürlich nicht. Was sollte SENECAS Psychologie denn mit einer Energieschwankung zu tun haben?«, spottete Dubois. Als traditioneller IT-Techniker betrachtete er das junge Berufsfeld der Positronikpsychologen mit Skepsis. Dabei war er selbst nicht viel älter als Stetson. Bereits sein Vater und seine Großmutter seien IT-Leute gewesen, hatte er erzählt.

Das war etwas, was Stetson nachvollziehen konnte. Wenn etwas immer schon auf bestimmte Art gemacht worden war, fiel es schwer, diese Routinen zu ändern. Auch für sie war es ein enormer Schritt gewesen, auf die CREST II zu wechseln. Wenn ihre Mentorin Alicia Clarke, zu deren Team in der Lunar Research Area sie gehört hatte, Stetson nicht dazu ermuntert hätte, wäre sie gar nicht auf die Idee gekommen. Aber als bekannt wurde, dass sich die Möglichkeit ergab, SENECA aus der Nähe zu erforschen, hatte Clarke ihre Mitarbeiterin für die frei werdende Stelle empfohlen. Schließlich hatte sich Stetson schon in ihrer Doktorarbeit intensiv mit SENECA und dessen Potenzial beschäftigt. Warum jemand wie sie die Stelle tatsächlich bekommen hatte, konnte sich Stetson indes nicht erklären. Sie war sehr gut, das wusste sie. Aber sie war eben auch ... besonders. Womöglich hatte NATHAN, mit dem Stetson einige Male direkten Kontakt gehabt hatte, Vorschub geleistet.

Soweit sie wusste, hatte Dubois keine Besonderheit wie sie. Er war insgesamt eher durchschnittlich. Meistens behandelte er Stetson genauso, wie Banner es tat: etwas von oben herab, manchmal sogar respektlos. Zuweilen war er jedoch unerwartet freundlich, lächelte sie an und fragte nach ihrer Arbeit und ihrer Meinung.

Nun stand Dubois auf und kam zu Stetson herüber. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die Anzeigen auf Stetsons Instrument und die Notizen, die sie sich in altmodischer Weise mit einem Kugelschreiber auf einem kleinen Schreibblock machte.

»Warum nimmst du keinen Digipen und schreibst den Kram gleich ins System?«, fragte er und griff nach dem Kugelschreiber.

Stetson zog ihre Hand weg. »Ich mag es, so zu schreiben.«

»Aber wenn du es gleich ins System schickst, können Banner und ich deine Notizen ebenfalls sehen, das erleichtert uns die Arbeit.«

»Vielleicht will ich meine Notizen aber erst mal für mich behalten.« Stetson starrte weiter auf ihren Holomonitor. Sie sah anderen Menschen nur selten in die Augen.

»Ganz schön egoistisch, Stetson«, rügte Dubois giftig. »Wir drei sind ein Team, schon vergessen? Auch wenn du neu bist, bekommst du keine Extrawurst.«

»Lassen Sie Stetson ihre Arbeit machen und machen Sie Ihre eigene, Dubois«, drang Banners Stimme von der anderen Seite des Raums herüber. »Damit sollten Sie vorerst genug zu tun haben. Stetsons Notizen können Sie sich später zu Gemüte führen.«

Stetson sah kurz zu Banner hinüber und dann wieder auf ihr Analysegerät. Sie wusste, dass ihr Vorgesetzter nicht eingegriffen hatte, weil er sie schützen wollte oder sie mochte. Er hielt genauso wenig von ihr wie Dubois und traute ihr nichts zu. Sie war eben die Neue. »Du musst dir ihren Respekt erarbeiten«, hatte Clarke zu Stetson gesagt, kurz bevor sie zur CREST II aufgebrochen war, um mit diesem Raumschiff nicht nur ihren persönlichen Kosmos, sondern sogar das heimische Sonnensystem hinter sich zu lassen. Stetson fragte sich langsam, ob es ihr je gelingen würde, Banner von sich zu überzeugen.

Dubois warf ihr einen bösen Blick zu, ehe er zu seinem Arbeitsplatz zurückging. »Jetzt krieg ich auch noch Ärger wegen der Irren«, murmelte er wütend.

»Ich bin nicht verrückt«, sagte Stetson, ohne den Kopf zu heben. Sie war daran gewöhnt, dass die Leute über sie urteilten, aber es war jedes Mal schwer.

Eigentlich fühlte sie sich wohl an Bord der CREST II, denn sie begegnete an diesem Ort weniger Vorurteilen als auf der Erde oder dem Mond. Sie hatte allerdings bislang nicht viel Gelegenheit bekommen, konkret mit SENECA zu arbeiten. Meist übertrug man nur ihr langweilige, einfache Aufgaben und Routinearbeiten wie diese. Trotzdem war es aufregend, so nah an der Positronik zu wirken, die an der Schwelle zu einer ausgereiften Künstlichen Intelligenz stand – oder sie sogar längst überschritten hatte, darüber stritten sich die Experten noch. Stetson hatte sich fest vorgenommen, herauszufinden, ob Letzteres zutraf. So schwer ihr der Umgang und die soziale Interaktion mit Menschen fielen, so leicht fiel ihr die Kommunikation mit Positroniken.

Hätte sie allerdings gewusst, wie viele Merkwürdigkeiten mit dieser Fernexpedition verbunden waren, hätte sie es sich vielleicht genauer überlegt, diese Stelle anzutreten. Die Sache mit dem seltsamen Pilz in ihrem Gesicht, als die Druuwen das Raumschiff gekapert hatten, war beispielsweise etwas, das Stetson nicht so bald wiederholen wollte. Sie hatte danach fast drei Stunden unter der Dusche gestanden. Bei der Erinnerung schüttelte es sie.

Und dann waren da immer wieder diese seltsamen zwischenmenschlichen Interaktionen, zu denen sie gezwungen wurde. Wie an diesem Morgen. Sollte sie es Banner melden? Oder würde der sie nur wie üblich verächtlich ansehen oder gar auslachen?

Stetson stand entschlossen auf und ging zu Banner hinüber. Sie würde ihm sagen, dass Dubois sie an diesem Morgen angelächelt und gebeten hatte, für ihn die Subroutinen in dem ihnen zugewiesenen Sektor zu überprüfen; eine ungeliebte Aufgabe, vor der sich die meisten Techniker gern drückten. Nachdem Stetson das für ihn erledigt hatte, hatte Dubois gegenüber Banner behauptet, er habe das selbst getan. Und er hatte Stetson nicht mehr angelächelt.

Sie holte tief Luft. »Das ist nicht logisch. Es ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Was ist denn, um Himmels willen?«, fragte Banner gereizt. »Ich kann dieses Gebrabbel langsam nicht mehr hören, und Ihre Streitereien auch nicht. Wenn Sie nicht endlich etwas zur Lösung des Problems beizusteuern haben, halten Sie den Mund.«

Stetson erstarrte. Sie mochte es nicht, wenn jemand in diesem Ton mit ihr redete. Sie zog sich zurück. Dabei hatte sie das Problem gelöst. Das könnte sie Banner sagen: dass es ein Kommunikationsproblem zwischen SENECA und der Technikkomponente von Impulstriebwerk drei gab. Doch nun war sie frustriert, weil Banner sie so harsch angegangen war. Sie ging langsam zurück zu ihrem Analysegerät.

»Mister Banner, ich glaube, ich habe es«, hörte sie Dubois. Der IT-Techniker stand auf und ging zum Teamchef hinüber, zeigte ihm etwas auf einem Hologramm. »Ich glaube, es gibt ein Kommunikationsproblem zwischen der Hauptpositronik und dem Knotenpunkt am Impulstriebwerk.«

Fred Banner klopfte Charles Dubois auf die Schulter. »Sehr gut, Dubois. Ich mag, wie Sie denken!«

Donna Stetson blinzelte. Sie wandte den Kopf und sah zu Dubois' ursprünglichem Platz. Neben dem Hocker, auf dem Boden, lag ihr Notizblock.

4.

Thora Rhodan da Zoltral

 

Vor den unzähligen Sternen des galaktischen Zentrums waberte ein schwarzer Fleck. Es war, als hätte jemand ein Stück aus dem All herausgerissen.

Der Anblick ließ Thora Rhodan da Zoltral schaudern. Man könnte fast denken, dass dort eine Wolke Dunkelleben treibt.

Mit dem Unterschied, dass echtes Dunkelleben viel bedrohlicher ist. Das haben wir im Arkonsystem hautnah erfahren. Dass du eine Dunkelwolke mit dem Dunkelleben assoziierst, erscheint mir eher der Ausdruck deines schlechten Gewissens.

Die lapidare Feststellung ihres Extrasinns machte Thora wütend. Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen. Er ist mein Freund. Und ich sehe einfach dabei zu, wie er sich quält.

Es ist deine Pflicht, in diesem Fall nicht als Guckys Freundin zu entscheiden, sondern als Kommandantin der CREST II. Du hast ... der Besatzung gegenüber eine Verantwortung.

Thora stutzte. Du zögerst. Warum?