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REID HOFFMAN

Mitgründer von LinkedIn

CHRIS YEH

BLITZ
SCALING

Wie Sie in Rekordzeit
weltweit führende
Unternehmen aufbauen

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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Blitzscaling: The Lightning-Fast Path to Building Massively Valuable Companies

ISBN 978-1-5247-6141-7

Copyright der Originalausgabe 2018:

Copyright © 2018 by Reid Hoffman and Chris Yeh.

Foreword copyright © by Bill Gates.

All rights reserved.

Published in the United States by Currency, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Copyright der deutschen Ausgabe 2020:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

This translation published by arrangement with Currency, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC.

Übersetzung: Irene Fried

Satz: Daniela Dittrich

Lektorat: Egbert Neumüller

ISBN 978-3-86470-698-1

eISBN 978-3-86470-699-8

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

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E-Mail: buecher@boersenmedien.de

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

INHALT

Vorwort von Bill Gates

Einleitung

Teil I
Was ist Blitzscaling?

Software verzehrt (und rettet) die Welt

Die Skalierungsarten

Die drei Grundlagen von Blitzscaling

Die fünf Phasen von Blitzscaling

Die drei wichtigsten Blitzscaling-Techniken

Teil II
Geschäftsmodell-Innovation

Wachstumsoptimierung: Die vier Wachstumstreiber

Wachstumsoptimierung: Die zwei Wachstumsbegrenzer

Bewährte Geschäftsmodell-Muster

Die Grundprinzipien der Geschäftsmodell-Innovation

Analyse einiger Geschäftsmodelle mit Milliardenumsätzen

Teil III
Strategische Innovation

Wann sollte ich mit Blitzscaling beginnen?

Wann sollte ich mit Blitzscaling aufhören?

Kann ich mich gegen Blitzscaling entscheiden?

Blitzscaling ist iterativ

Wie sich die Blitzscaling-Strategie je nach Phase verändert

Wie sich die Rolle des Gründers je nach Phase verändert

Teil IV:
Managementinnovation

Acht wesentliche Übergangsphasen

Neun kontraintuitive Regeln des Blitzscalings

Der unendliche Drang nach Veränderung

Teil V:
Blitzscaling im Allgemeinen

Blitzscaling über den Hightech-Sektor hinaus

Blitzscaling in einer größeren Organisation

Blitzscaling über den Unternehmenssektor hinaus

Blitzscaling im Greater Silicon Valley

Andere Blitzscaling-Regionen der Zukunft

China: Das Land des Blitzscalings

Sich gegen Blitzscaling verteidigen

TEIL VI:
Verantwortungsbewusstes Blitzscaling

Blitzscaling in der Gesellschaft

Rahmenbedingungen für verantwortungsbewusstes Blitzscaling

Das Reaktionsspektrum

Balance zwischen Verantwortung und Geschwindigkeit bei zunehmendem Wachstum

Fazit

Danksagungen

Anhang:

A: Offenlegungen

B: Die Blitzscaler

C: Kurs CS183C – Essays

VORWORT VON BILL GATES

Ich kenne Reid Hoffman seit Jahren. Unsere Freundschaft entwickelte sich während meiner Besuche im Silicon Valley, wo ich mich mit Greylock Partners traf – dem Wagniskapitalunternehmen, an dem Reid beteiligt ist –, damit ich mehr über die Unternehmen erfahren konnte, in die es investierte. Sein scharfer Verstand und sein brillanter Geschäftssinn haben mich stets beeindruckt. Die von Reid ausgerichteten ausgedehnten Abendessen mit Unterhaltungen, die sich bis tief in die Nacht hinziehen, sind berühmt. So manches Dinner haben wir schon damit zugebracht, die Technologiebranche zu erforschen oder das Versprechen der künstlichen Intelligenz zu analysieren, und noch manches mehr. Als Satya Nadella, der CEO von Microsoft, davon sprach, Linked-In kaufen zu wollen, wusste ich: Das passt.

Von allem, was ich mit Reid erörtert habe, dürfte das Thema Blitzscaling wohl die anregendste Diskussion gewesen sein. Dieses Konzept lässt sich auf viele verschiedene Branchen anwenden, wie er und Chris Yeh im letzten Teil des Buches erläutern. Der Geschwindigkeit den Vorrang vor der Effizienz zu geben – selbst im Angesicht von Unsicherheit –, ist besonders dann wichtig, wenn Ihr Geschäftsmodell von der Anzahl der Mitglieder und deren Feedback abhängt. Wenn man im Gegensatz zu den Wettbewerbern frühzeitig einsteigt und praktisch sofort Reaktionen erhält, dann ist man auf dem Weg des Erfolgs. Bei jedem Geschäft, in dem Größe wirklich von Bedeutung ist, können ein frühzeitiger Einstieg und schnelles Handeln den Unterschied ausmachen.

Dies gilt insbesondere für zweiseitige Geschäftsmodelle mit zwei Nutzergruppen, die positive Netzwerkeffekte füreinander schaffen. So möchte beispielsweise LinkedIn nicht nur Arbeitssuchende gewinnen, sondern auch Arbeitgeber, die Mitarbeiter suchen. Airbnb benötigt Gäste, die eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen, und Gastgeber, die Räume zu vermieten haben. Uber möchte nicht nur Fahrer gewinnen, sondern auch Fahrgäste.

Und ein Softwareunternehmen, das ein Betriebssystem verkauft, sucht sowohl App-Entwickler als auch Endnutzer. Zweifelsohne hat auch Microsoft eine Blitzscaling-Phase durchlebt (auch wenn wir sie damals nicht so genannt haben). Wir haben schnell gelernt und konnten uns einen Ruf als seriöses Unternehmen erarbeiten. Wir pflegten die radikale Kultur, hart zu arbeiten und die Dinge schnell zu erledigen.

Die Konzepte hinter Blitzscaling sind nicht nur für Start-ups oder Start-ups in der Wachstumsphase, sogenannte Scale-ups, geeignet. Auch für große etablierte Unternehmen sind sie wichtig. Das Zeitfenster zum Handeln kann winzig sein und sich rasch schließen. Nur wenige Monate des Zögerns können den Unterschied zwischen Anführer und Verfolger bedeuten.

Die Ideen von Reid und Chris sind praxisnäher denn je, denn schließlich kann man heute so schnell wachsen, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten einfach nicht möglich war. Es ist ein enormes Ökosystem von Dienstleistern und Outsourcing-Unternehmen vorhanden, die das rasante Wachstum unterstützen. Zahlreiche Unternehmen haben selbst gewaltige Wachstumsschübe durchlebt, sodass unzählige Beispiele existieren, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Das Feedback von Nutzern trifft in einem konstanten Datenstrom ein, Produktzyklen sind von jährlich auf wöchentlich oder gar täglich geschrumpft. Und gute Rezensionen können sich im Handumdrehen online ausbreiten, wodurch ein starkes Produkt zügig für ein breiteres Publikum interessant werden kann.

Mit anderen Worten: Die Fallstudien, die Sie entdecken werden, und die Werkzeuge, die Sie an die Hand bekommen, sind relevanter denn je. Ein idealer Moment also, dieses Buch zu lesen. Ich freue mich, dass Reid und Chris ihre Erkenntnisse teilen.

Einleitung

2011: SAN FRANCISCO, USA, AIRBNB-ZENTRALE

„Sie machen dich fertig.“

Es war das Jahr 2011: In den Geschäftsräumen von Airbnb, damals ein kleines, zusammengewürfeltes, 40 Mitarbeiter starkes Start-up, hatte Gründungsmitglied und CEO Brian Chesky sehr schlechte Nachrichten erhalten.

Brian dachte über die beunruhigende Prognose nach, die er gerade von Andrew Mason, Co-Gründer und CEO von Groupon, gehört hatte. Sie gefiel ihm ganz und gar nicht.

Brian und die Mitgründer Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk hatten zahllose Schwierigkeiten beim Aufbau von Airbnb überwunden, einer Website, über die man bequem Zimmer oder Häuser vermieten kann. Die Investoren, auf die sie zugegangen waren, hatten das Team zuerst abgewiesen – oder schlimmer noch, ignoriert. Zwar befand sich das Unternehmen nun im Aufschwung, aber die schmerzlichen Anfänge hafteten ihnen noch frisch in der Erinnerung, und auf einen weiteren Kampf hatten sie keine Lust.

Als sich die Airbnb-Gründer zum ersten Mal mit Paul Graham trafen, dem hoch angesehenen Gründer des Start-up-Accelerators Y Combinator (YC), sagte dieser freimütig, dass ihre Geschäftsidee schlecht sei. „Es gibt wirklich Leute, die so etwas machen?“, fragte er ungläubig. Als Brian antwortete, dass manche Leute tatsächlich ihren Wohnraum über Nacht vermieteten, meinte Graham: „Was ist denn mit denen los?“

Trotzdem hatte Graham die Jungs von Airbnb in das dreimonatige YC-Programm aufgenommen. Nicht, weil ihn die Idee von Airbnb begeisterte, sondern weil ihn die Hartnäckigkeit der Gründer beeindruckte. Ihm gefiel die (nunmehr berühmte) Geschichte, wie es Chesky und seinen Mitstreitern gelungen war, die laufenden Kosten zu decken und gleichzeitig Airbnb auf die Beine zu stellen. Im Wahljahr 2008 hatten sie eine Sonderedition von Frühstücksflocken hergestellt, die sie „Obama O’s“ und „Cap’n McCains“ nannten: eine süße Anspielung auf die Präsidentschaftskandidaten jenes Jahres Barack Obama und John McCain (oder auch eine Hommage, je nachdem, wie man es nimmt). Die Kreativität und Hartnäckigkeit, die sie als Serienunternehmer und als „Cereal-Unternehmer“ an den Tag legten, öffneten den Airbnb-Gründern bei YC die Türen. Im Rahmen des Programms bauten sie ihr Geschäft aus und konnten zwei führende Wagniskapitalunternehmen – Sequoia Capital und Greylock Partners (wo ich persönlich haftender Teilhaber bin) – für eine Investition gewinnen.

Nun, knapp vier Jahre später, schien sich die ganze harte Arbeit endlich auszuzahlen. Nachdem die millionste Buchung gefeiert war, verfügte Airbnb über reichlich betriebsnotwendiges Kapital und es hatte sich erwiesen, dass dieses Konzept durchaus von Nutzen war.

Allerdings kommt mit dem Erfolg auch die Konkurrenz. Und gelegentlich entpuppt sich diese als fatale Bedrohung.

Im Fall von Airbnb waren das drei Brüder aus Köln: Oliver, Marc und Alexander Samwer. Mit der Analyse erfolgreicher US-Unternehmen, der rasanten Gründung von Nachahmerfirmen in Europa und – in vielen Fällen – dem Verkauf der „geklonten“ Unternehmen an den ursprünglichen amerikanischen Ideengeber waren sie zu Milliardären geworden. In anderen Fällen behielten die Samwer-Brüder ihre Klone und bauten sie aus: Zalando, das „Zappos Europas“, beschäftigte im Jahr 2017 über 10.000 Mitarbeiter und war mehr als zehn Milliarden US-Dollar wert.

Ihr erster Erfolg war Alando, ein eBay-Imitat, das sie gerade einmal 100 Tage nach Geschäftsstart für 43 Millionen US-Dollar an eBay verkaufen konnten. Im Anschluss investierten die Samwer-Brüder in die deutschen Ausgaben von YouTube (MyVideo), Twitter (Frazr) und Facebook (StudiVZ), bevor sie ihre eigene Start-up-Fabrik Rocket Internet gründeten.

Anfang 2011 bemerkten Brian und sein Team, dass Airbnb-Nutzer von einer neuen Firma namens Wimdu Spam-Mails erhielten. Offenbar hatte Wimdu gerade mit einer Summe von 90 Millionen US-Dollar die bis dato größte Investition in ein europäisches Start-up erhalten – von niemand Geringerem als Rocket Internet und Kinnevik, einer großen schwedischen Investmentgesellschaft, die sich mit den Samwer-Brüdern zusammengetan hatte.

Das Problem dabei? Wimdus Geschäftsmodell und die Website sahen aus wie eine exakte Kopie von Airbnb.

Im März 2011 gegründet, hatte das in Berlin ansässige Unternehmen binnen weniger Wochen sage und schreibe 400 Mitarbeiter eingestellt und 20 Büros in ganz Europa eröffnet. In der Zwischenzeit hatte Airbnb, das viel kleinere Original, gerade einmal sieben Millionen US-Dollar beschafft, verfügte nur über 40 Beschäftigte und agierte aus einem einzigen Büro in San Francisco aus. Brian, der zum ersten Mal CEO eines Unternehmens war, wusste nicht so genau, was es für die Eröffnung eines zweiten Büros bedurfte, geschweige denn für Dutzende weiterer auf einem anderen Kontinent.

Er wusste aber sehr wohl, dass es für Airbnb das Ende bedeuten könnte, wenn es Wimdu gelang, den europäischen Markt zu erobern und ihn zu beherrschen. „Als Reiseportal, das Europa nicht abdeckt, ist man erledigt“, bemerkte er 2015 in dem Kurs „Technology-Enabled Blitzscaling“, den wir an der Stanford Universität hielten.

Die Samwer-Brüder hatten ihren Preis genannt: Airbnb könne Wimdu im Tausch gegen einen Anteil von 25 Prozent an Airbnb haben. Brian stand nun vor einer schwierigen Entscheidung. Aber egal, welche Option er wählte, die Folgen wären schmerzhaft.

Zunächst einmal setzte Brian eine seiner bevorzugten Entscheidungstechniken ein: Er wandte sich an weltweit führende Experten. Sein erster Anruf ging an Andrew Mason, den damaligen CEO von Groupon. Das führende Unternehmen für tägliche Angebote hatte im vergangenen Jahr eine ähnliche Erfahrung gemacht: Im Dezember 2009 hatten die Samwer-Brüder CityDeal gegründet, ihr Groupon-Duplikat. Sechs Monate später bezahlte Groupon einen neunstelligen Betrag, rund zehn Prozent seiner damaligen Bewertung, um den Konkurrenten zu übernehmen.

Eine Frage belastete Brian und sein Team schwer: Sollte Airbnb der Strategie von Groupon folgen und die Nachahmer-Gesellschaft aufkaufen? Brians Bauchgefühl riet ihm ab. Die Integration des finanzlastigen und kennzahlenorientierten Wimdu-Teams könnte der kreativen Kultur von Airbnb schaden. Zudem widerstrebte es ihm, etwas zu belohnen, was er eher als legale Erpressung denn als aufrichtigen Versuch erachtete, einen Mehrwert auf dem Markt zu schaffen.

Dennoch fühlte Brian sich verpflichtet, das Angebot zu prüfen. Mason hatte erwähnt, dass der Zukauf von CityDeal nicht nur viele Probleme mit sich gebracht, sondern auch für schnellere Fortschritte des Unternehmens im europäischen Markt gesorgt habe, der nunmehr fast 30 Prozent des weltweiten Umsatzes ausmache. Man könnte also durchaus behaupten, dass der Verzicht auf zehn Prozent von Groupon für City Deal de facto ein guter Deal war. Vermutlich gestärkt durch den erfolgreichen CityDeal-Schachzug, forderten die Samwers von Airbnb einen sehr viel größeren Anteil: satte 25 Prozent.

Sicher hätte Airbnb das Angebot ablehnen und es stattdessen mit dem offensiven Brüdergespann in direktem Wettbewerb aufnehmen können. Wimdu besaß aber nicht nur den Heimvorteil, sondern auch zehnmal mehr Angestellte und mehr als das Zehnfache des investierten Kapitals. Mit dem Unternehmen zu konkurrieren wäre also ein ziemlich aussichtsloser Kampf gewesen.

Brian, der die Geldbeschaffung und insbesondere die daraus resultierenden emotionalen Belastungen leid war, fragte sich, ob er dieses neue und wahrscheinlich zermürbende Gefecht überhaupt aufnehmen wollte. Schließlich hatten sein Team und er, bevor sie bei Y Combinator untergekommen waren, 18 scheinbar fruchtlose Monate an Airbnb gearbeitet und dabei Zehntausende Dollar Kreditkartenschulden angehäuft. Waren sie nach all diesen Strapazen wirklich bereit, ein Viertel ihres Unternehmens aufzugeben?

Letztlich entschied Brian – teilweise beeinflusst von den Argumenten seiner wichtigsten Berater –, Wimdu nicht zu kaufen. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg riet ihm, zu kämpfen. „Kauf sie nicht“, sagte er. „Das bessere Produkt wird gewinnen.“

Paul Graham von Y Combinator gab ähnliches Feedback. „Das sind Söldner. Ihr seid Missionare“, sagte er Brian. „Sie sind wie Menschen, die ein Baby aufziehen, das sie eigentlich nicht wollen.“

Als Brian sich an mich wandte und meinen Rat zu dieser Situation einholen wollte, bestärkte auch ich ihn darin, Wimdu nicht zu kaufen. Die Schlüsselfrage war dabei nicht der Preis oder die Verwässerung, sondern dass ein Zusammenschluss zu einer Behinderung der Geschwindigkeit und des Erfolgs führen konnte. „Der Erwerb [von Wimdu] erhöht das Integrationsrisiko, über das Groupon nach dem Kauf von CityDeal gestolpert ist, beträchtlich“, machte ich ihm deutlich. „Die Zusammenlegung der Unternehmenskulturen und der Geschäftsleitungen könnte – vor allem dann, wenn sie uns bremst – Risiken bergen, die uns möglicherweise ruinieren. Airbnb profitiert jedoch bereits von Netzwerkeffekten. Wir können siegen.“ Noch heute stehe ich zu diesem Rat.

Schlussendlich erkannten die Gründer von Airbnb, dass sie sich den Samwers stellen wollten. Und gewinnen wollten. Nur wie?

Der Schlüssel dazu war ein aggressives, kompromissloses Wachstumsprogramm, das wir Blitzscaling nennen. Beim Blitzscaling wird „blitzartiges“ Wachstum vorangetrieben, indem der Geschwindigkeit Vorrang vor Effizienz gegeben wird. Selbst in einem von Unsicherheit geprägten Umfeld. Mit einer Reihe von spezifischen Strategien und Taktiken konnte Airbnb die Samwer-Brüder mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Nur wenige Monate später hatte Brian – entschlossen, sich die Mittel anzueignen, um die Samwers an Größe zu übertreffen – 112 Millionen US-Dollar zusätzliches Wagniskapital beschafft. Anschließend verfolgte Airbnb einen aggressiven internationalen Expansionsplan, der auch die Übernahme von Accoleo umfasste, einem kleineren und erschwinglicheren Airbnb-Klon aus Deutschland. So konnte Airbnb direkt im Heimatmarkt mit Wimdu konkurrieren. Bis zum Frühjahr 2012 hatte Airbnb neun internationale Büros eröffnet und sich in London, Hamburg, Berlin, Paris, Mailand, Barcelona, Kopenhagen, Moskau und São Paulo angesiedelt. Die Buchungen hatten sich seit Februar des vergangenen Jahres verzehnfacht, und im Juni 2012 gab Airbnb die zehnmillionste Buchung bekannt.

„Die Samwers haben uns ein Geschenk gemacht“, gestand Brian viele Jahre später in unserem Blitzscaling-Kurs. „Denn sie zwangen uns, schneller zu skalieren, als wir es je von uns aus getan hätten.“ Die Entscheidung, in halsbrecherischem Tempo zu wachsen, verhalf Airbnb zu einer beherrschenden Stellung in diesem Markt. Trotz aller Vorteile im Personalwesen, beim Finanzkapital sowie der Kenntnis des europäischen Marktes, über die das in Berlin ansässige Unternehmen Wimdu zunächst verfügte – die Techniken, die Brian und seine Mitgründer anwandten, erlaubten Airbnb, dem Herausforderer die Stirn zu bieten und ihn letztlich zu besiegen.

2010: SHENZHEN, CHINA, TENCENT-ZENTRALE

Etwa ein Jahr, bevor Airbnb sich auf die Blitzscaling-Reise machte, erreichte die Nachricht, die alles verändern würde, das Büro eines anderen CEO am anderen Ende der Welt mitten in der Nacht.

Im Herbst 2010 versuchte Pony Ma (chinesischer Name: Ma Huateng) herauszufinden, wie es mit Tencent weitergehen würde, dem Unternehmen, das er seit der Gründung 1998 mit vier Kommilitonen von der Shenzhen-Universität leitete. Dank des wichtigsten Produkts, des Instant-Messaging-Dienstes QQ, der monatlich 650 Millionen aktive Nutzer hatte, war Tencent zu einem der wertvollsten Internetunternehmen in China geworden: mit einem Umsatz von fast zwei Milliarden US-Dollar, einer Marktkapitalisierung von über 33 Milliarden US-Dollar und mehr als 10.000 Mitarbeitern. Zu diesem Zeitpunkt war QQ jedoch ein ausgereiftes Desktop-Produkt auf Basis der Technologie der späten 1990er-Jahre, und die Nutzerbasis hatte aufgehört zu wachsen. Sein amerikanisches Pendant, AOL Instant Messenger, befand sich bereits in einem drastischen Niedergang.

Ma war davon überzeugt, dass Tencent lediglich ein neues bahnbrechendes Produkt für die aufkommende Smartphone-Plattform entwickeln musste, sonst … „Internetfirmen, die reagieren können, werden überleben“, sagte er. „Diejenigen, die das nicht schaffen, werden untergehen.“

Die Nachricht, die Pony Ma in jener Nacht bekam, war von Allen Zhang (chinesischer Name: Zhang Xiaolong), einem Mitarbeiter von Tencent, der ebenfalls Unternehmer war. Tencent hatte dessen Firma Foxmail fünf Jahre zuvor übernommen. Nun leitete Zhang die Forschungsabteilung des Konzerns in der Stadt Guangzhou, die zwei Stunden von der Tencent-Zentrale in Shenzhen entfernt war. Er hatte das rapide Wachstum eines neuen Social-Messaging-Produkts namens Kik beobachtet, das bei jungen Leuten überaus beliebt war. Und er entschied, dass Tencent einen eigenen Social Messenger für Smartphones entwickeln musste – und zwar schnell.

Zhangs Vorschlag bedeutete nicht nur eine enorme Chance, sondern gleichzeitig auch ein enormes Risiko, wobei der Ausgang mit einer ebenso großen Unsicherheit verbunden war. Auch wenn ein neuer Messenger-Dienst junge Konsumenten ansprechen könnte, würde er wahrscheinlich QQ verdrängen, das ja immerhin das Kerngeschäft von Tencent darstellte. Außerdem hatte sich Tencent mit führenden Mobilfunkbetreibern wie China Mobile zusammengetan und erhielt 40 Prozent der SMS-Gebühren, die QQ-Nutzer beim Versenden von Nachrichten an Mobiltelefone generierten. Ein neuer Dienst könnte somit Tencents Gewinn in Mitleidenschaft ziehen und gleichzeitig die Beziehungen zu einigen der mächtigsten Unternehmen Chinas gefährden.

Für gewöhnlich überlassen börsennotierte Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern diese Art der Entscheidung einem Ausschuss zur Prüfung. Nur dass Ma kein typischer Geschäftsführer war. Denn noch genau in dieser Nacht gab er Zhang grünes Licht, um die Idee weiterzuverfolgen. Dieser stellte ein zehnköpfiges Team zusammen, darunter sieben Ingenieure, mit dem er das neue Produkt bauen und auf den Markt bringen wollte.

Nach gerade einmal zwei Monaten hatte Zhangs kleines Team ein Social-Messaging-Netzwerk nach der Strategie von Mobile First realisiert, wonach die Entwicklung zunächst nur für Smartphones erfolgte. Das klare, minimalistische Design war das genaue Gegenteil von QQ. Ma nannte den Dienst „Weixin“, was auf Mandarin so viel wie „Mini-Nachricht“ bedeutet. Außerhalb Chinas wurde er unter dem Namen WeChat bekannt.

Was sich danach ereignete, war überwältigend: Nur 16 Monate nach Zhangs schicksalhafter Nachricht an Ma feierte WeChat den hundertmillionsten Nutzer. Sechs Monate später war das Netzwerk bereits auf 200 Millionen Benutzer angewachsen. Und noch einmal vier Monate später verwendeten 300 Millionen Nutzer den Dienst.

Die Wette, die Pony Ma mitten in der Nacht eingegangen war, machte sich bezahlt. Für das Jahr 2016 wies Tencent einen Umsatz von 22 Milliarden US-Dollar aus, was im Vergleich zum Vorjahr einem Plus von 48 Prozent und seit 2010, dem Jahr vor der Einführung von WeChat, einem Anstieg von knapp 700 Prozent entsprach. Anfang 2018 erreichte der Technologieriese eine Marktkapitalisierung von über 500 Milliarden US-Dollar, was ihn zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt und WeChat zu einem der weltweit meist- und am intensivsten genutzten Diensten machte.

Laut dem Magazin Fast Company ist WeChat „Chinas App für alles“, und die Financial Times berichtete, dass über die Hälfte der Nutzer die App mehr als 90 Minuten am Tag verwendeten. Wenn wir WeChat in Beziehung zu amerikanischen Apps setzen wollten, müsste man die Funktionen von Facebook, WhatsApp, Facebook Messenger, Uber, Apple Pay, Gmail und sogar Slack in einem einzigen Megadienst bündeln. Mit WeChat kann man ganz alltägliche Dinge tun, wie SMS schreiben oder telefonieren, an sozialen Netzwerken teilhaben und Artikel lesen. Aber man kann eben auch ein Taxi rufen, Kinotickets kaufen, Arzttermine vereinbaren, Freunden Geld senden, Spiele spielen, die Miete bezahlen, etwas zum Abendessen bestellen und noch viel mehr. Und alles aus einer einzelnen App auf Ihrem Smartphone heraus.

Ma selbst war die Tragweite seiner Entscheidung sehr bewusst, denn er sagte in einem Interview: „Rückblickend ging es in diesen beiden Monaten um Leben oder Tod.“

Diese Geschichten von extremem Wachstum – ob in Kalifornien oder am anderen Ende der Welt in China – sind Paradebeispiele dafür, weshalb es so wichtig ist, zu untersuchen, was Blitzscaling ist und wie es funktioniert.

In diesem Buch schildern wir die Geschichten verschiedener Blitzscaler. In Anhang B: Die Blitzscaler stellen in Kurzprofilen dieser Unternehmen mehr Informationen zur Verfügung. Weitere Hintergrundinformationen finden Sie auf Blitzscaling.com

BLITZSCALING:
DIE GEHEIMWAFFE FÜR DEN AUFBAU VON SCALE-UPS

Wenn sich ein Start-up so weit entwickelt, dass es über ein Killer-Produkt, einen eindeutigen und ansehnlichen Markt sowie über robuste Vertriebskanäle verfügt, kann es zu einem „Scale-up“ werden, also einem Unternehmen, das die Welt verändert und Millionen oder sogar Milliarden Menschen begleitet. Oftmals führt der schnellste und direkteste Weg von einem Start-up zu einem Scale-up über Hyperwachstum, also ein explosionsartiges Wachstum, das durch Blitzscaling entsteht.

Slack, ein Anbieter von Enterprise-Software, erreichte die kritische Phase, als es unter Beweis stellen konnte, dass der ursprüngliche Markt, sprich Software-Entwicklungsteams, die Team-Messaging-Apps unverzüglich und mit zunehmender Geschwindigkeit annahm. Zwischen der Gründung von Slack und der Markteinführung des Produkts vergingen knapp fünf Jahre. Kaum auf dem Markt, trieben die Slack-Nutzer die Nutzerzahlen selbst in die Höhe, indem jeder Einzelne viele Kollegen hinzufügte; unterstützt wurde das durch den unkomplizierten Prozess, der es neuen Nutzern über eine Web-Anwendung oder den Download einer mobilen App von iTunes oder Google ermöglichte, relativ leicht einzusteigen. Nachdem das Unternehmen an diesem Punkt angelangt war, gewann es schnell an Größe, indem es für neue Mitarbeiter, frisches Kapital und Neukunden sorgte. In den ersten fünf Jahren seit Gründung hatte Slack 17 Millionen US-Dollar beschafft, innerhalb von acht Monaten nach der Markteinführung waren weitere 163 Millionen US-Dollar hinzugekommen und Ende 2017 waren es bereits 800 Millionen US-Dollar.

Jedes Unternehmen – unabhängig davon, ob es sich um ein weltweites Großunternehmen oder das Start-up in der Garage des Co-Gründers handelt – würde liebend gerne Killer-Unternehmen, wie Airbnb, WeChat und Slack, hervorbringen. Und doch sind diejenigen, denen es faktisch gelingt – insbesondere vom Kaliber eines Brian Chesky oder Pony Ma –, nach wie vor dünn gesät. Aber warum ist das so? Was unterscheidet diese Unternehmen von anderen?

Wir werden in diesem Buch zeigen, dass der Schlüssel für die massive Ausweitung der Geschäftstätigkeit im heutigen Umfeld in der offensiven Wachstumsstrategie Blitzscaling liegt, die Methoden umfasst, die es Start-ups, aber auch etablierten Unternehmen erlaubt, weltweit führende Unternehmen in Rekordzeit aufzubauen.

START IN DAS ZEITALTER DES BLITZSCALINGS

In den letzten beiden Jahrzehnten hat das Internet unseren Alltag und die Geschäftswelt grundlegend verändert. Der Blockbuster-Börsengang von Netscape am 9. August 1995 läutete den Beginn des Dotcom-Booms und des – wie ich es nenne – vernetzten Zeitalters ein. Die meiste Aufmerksamkeit erregten zu jener Zeit die steigenden Aktienkurse. In der Rückschau war jedoch die größte Veränderung, dass wir alle durch das Internet allmählich mit Menschen, Informationen, Ressourcen und anderen Netzwerken in Kontakt kamen. Natürlich hatte es in der Vergangenheit bereits andere Revolutionen gegeben, spontan denkt man an die Dampfkraft, die Elektrizität oder das Radio. Was jedoch das Internet so einzigartig und wirkungsvoll macht, ist die Tatsache, dass durch seinen Einfluss alles sehr viel schneller geworden ist. Heute kann sich jeder Einzelne augenblicklich mit einer beliebigen anderen Person vernetzen. Genau diese erhöhte Geschwindigkeit macht Blitzscaling überhaupt erst möglich und auch so mächtig.

Die Geschwindigkeit des Internets hat eine Vielzahl von Sekundäreffekten erzeugt, die die Wachstumsmöglichkeiten von Unternehmen und Organisationen verändert haben. Beispielsweise eröffnete das Internet den Zugang zu globalen Märkten und die Erschließung massiv skalierbarer Vertriebskanäle, was in früheren Zeiten nicht zu realisieren war. Doch die womöglich wichtigste Folge für Unternehmen war die zunehmende Bedeutung und Verbreitung sogenannter Netzwerkeffekte. Diese entstehen, wenn die verstärkte Nutzung eines Produkts oder einer Dienstleistung den Wert des Produkts oder der Dienstleistung für andere Nutzer erhöht. Das heißt, jeder zusätzliche Airbnb-Nutzer macht den Dienst für jeden anderen Airbnb-Gast ein klein bisschen wertvoller – und umgekehrt. Jeder zusätzliche WeChat-Nutzer macht den Dienst für jeden anderen WeChat-Nutzer ein kleines bisschen wertvoller, und so weiter.

Netzwerkeffekte erzeugen eine positive Feedback-Schleife, die es dem ersten diese Effekte nutzenden Produkt (oder Dienst) ermöglicht, sich einen unanfechtbaren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Nehmen wir das Beispiel eBay: Gegründet 1995 ist das Unternehmen aufgrund von Netzwerkeffekten auch zwei Jahrzehnte später noch ein dominierender Akteur im Peer-to-Peer-Handel. Airbnb bietet über drei Millionen Inserate in 65.000 Städten rund um die Welt an. Überlegen Sie nur, wie schwierig es für einen Neueinsteiger wäre, auch nur annähernd diese Auswahl und diese Leistung zu bieten.

Das erinnert an die berühmte Szene aus dem Film Glengarry Glen Ross, in der Alec Baldwins Figur Blake zu einer Gruppe von Immobilienmaklern spricht:

Wie Sie wissen, ist der erste Preis ein Cadillac Eldorado. Interessiert jemand der zweite Preis? Sechs Steakmesser für den Zweiten auf der Liste. Dritter Preis: Ihre Entlassung. Verstanden?

Der erste Preis ging in der ersten Welle von sozialen Netzwerken an Facebook, der zweite an MySpace. Und den dritten Preis erhielt Friendster. Erinnern Sie sich an Friendster? Will man im Internet-Zeitalter bestehen, muss man schon den Hauptgewinn erzielen.

Die Intensität des Wettbewerbs kann mitunter erdrückend wirken, dank des vernetzten Zeitalters können Unternehmen jedoch viel schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte in besonderem Maße profitieren. Die Strategie und die Einstellung, das zu erreichen, nennen wir „Blitzscaling“.

Beim Blitzscaling handelt es sich um eine Strategie und eine Reihe von Techniken, die extrem schnelles Wachstum vorantreiben und zu steuern helfen und dabei in einem von Unsicherheit geprägten Umfeld die Geschwindigkeit vor der Effizienz priorisieren. Mit anderen Worten ist es ein Beschleuniger, der Ihrem Unternehmen ein Wachstum in furiosem Tempo ermöglicht und die Konkurrenz aus dem Feld schlägt.

Für Blitzscaling ist zwar Hyperwachstum erforderlich, aber es geht über die stumpfe Strategie des „schnellen Wachstums“ hinaus, da man gezielt und vorsätzlich Dinge tun muss, die dem traditionellen unternehmerischen Denken nach kaum sinnvoll erscheinen. Im Zeitalter des Blitzscalings müssen schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden:

Nimmt man zusätzliche Risiken und das Unbehagen auf sich, die das Blitzscaling des Unternehmens mit sich bringt?

Oder nimmt man das womöglich größere Risiko hin, den Kürzeren zu ziehen, falls die Konkurrenz noch vor einem selbst Blitzscaling betreibt?

War die Entscheidung von Airbnb, in den europäischen Markt zu expandieren – ein Schritt, der das Unternehmen sehr unter Druck hätte setzen und das Kerngeschäft hätte zerstören können –, ein effizienter oder sicherer Entschluss? Wohl kaum. Leicht hätte Airbnb scheitern, das gesamte Kapital verbrauchen und am Ende den europäischen Markt dem Trittbrettfahrer Wimdu überlassen können. Trotzdem erwies sich die riskante Entscheidung als richtig.

Blitzscaling wirbelt mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen ganze Industrien durcheinander, beispielsweise die Branchen für Musik, Videospiele und Telefonie … und das sind nur Beispiele eines einzigen Unternehmens (Sie wissen schon: der Hersteller von iPod, iTunes, dem iPhone und dem iPad, um nur einige Produkte zu nennen). Diese Wellen der Disruption wirken sich auf sämtliche Aspekte unseres Alltags aus. Sie beeinflussen unsere Arbeitsplätze, die Produkte, die wir nutzen, bis hin zu der Art und Weise, wie wir miteinander in Kontakt treten.

Disruption an sich ist weder gut noch schlecht. Aber immer ist sie mit Veränderung verbunden. Wird ein 10-Dollar-Produkt durch ein 1-Dollar-Produkt gleicher oder besserer Qualität ersetzt, ist es für den etablierten Akteur eine Katastrophe. Für die Gesellschaft als Ganzes hingegen bedeutet es eine höhere Produktivität. Der Käufer erhält das begehrte Produkt und hat darüber hinaus neun US-Dollar zur Verfügung, die er in andere Dinge investieren kann. Für Rundfunk und Kabelnetze war Netflix eine Schreckensnachricht, für Fans, Filme- und Serienmacher hingegen eine großartige Neuigkeit. Ja, Disruption bringt sowohl Verlierer als auch Gewinner hervor. Insgesamt jedoch ist sie eine Grundlage für Wachstum und Chancen, auf die man nicht verzichten kann.

Nicht vergessen sollte man, dass diejenigen, die die Vorzüge der Disruption rühmen, sich – welch Wunder – oftmals im Kreise der Gewinner finden lassen. Dabei ist Disruption, die für eine breitere Streuung von Vorteilen und Chancen sorgt, besser für die Gesellschaft. Zum Glück gehört der Großteil der Disruption zu dieser Kategorie. In dem Arbeitspapier „Schumpeterian Profits in the American Economy: Theory and Measurement“ aus dem Jahr 2004 untersuchte William Nordhaus, Ökonom an der Yale University, die US-amerikanische Wirtschaft von 1948 bis 2001. Gestützt auf die von ihm gesammelten Daten kam er zu dem Schluss, dass lediglich 2,2 Prozent der „Gewinne, die durch die Aneignung von Innovationsrenditen entstehen“, den Disruptoren zuflossen. „Die meisten Vorteile des technologischen Wandels werden an die Konsumenten weitergegeben und verbleiben nicht bei den Produzenten“, stellte er fest. Wandel ist unumgänglich, ob es uns gefällt oder nicht. Allerdings muss er nicht völlig überraschend sein.

In ihrem Buch Der Zukunftsschock schreiben die Futurologen Alvin und Heidi Toffler, „die einzige Konstante im Leben ist der Wandel“ und „um das überleben zu können, um das zu vermeiden, was wir als ‚Zukunftsschock‘ bezeichnet haben, muss der Mensch anpassungsfähiger und beweglicher werden als je zuvor“. Diese Zeilen sind ursprünglich aus dem Jahr 1970. Seitdem hat sich das Tempo des Wandels noch beschleunigt.

Jeder sollte erfahren können, wie Blitzscaling funktioniert, denn es wirkt sich bereits jetzt auf sein Leben aus. Hat man das Prinzip erst verstanden, kann man es einsetzen, um die Welt zu verändern. Man sollte teilhaben am Aufbau der Zukunft anstatt das Gefühl zu haben, die Zukunft werde einem aufgezwungen.

Blitzscaling ist der ausschlaggebende Faktor, der Start-ups, die angesichts einer sich ändernden Welt beeinträchtigt werden und verschwinden, von denjenigen abhebt, die sich zu Marktführern vergrößern und die Zukunft gestalten.

Entstanden ist dieses Buch aus einem Kurs heraus, den wir in Stanford gehalten haben. In diesem haben wir den Prozess seziert, der die weltweit größten Technologieunternehmen entstehen ließ, und darüber hinaus eine Reihe von Taktiken und Entscheidungen kodifiziert, die dies ermöglichten. Herausgekommen ist eine Reihe besonderer Grundsätze, die beschreiben, wie sich in wenigen Jahren Multimilliarden-Dollar-Unternehmen herausbilden können.

Beim Schreiben des Buches haben wir mit Hunderten Unternehmern und CEOs gesprochen, auch mit denen, die die wertvollsten Unternehmen der Welt führen, wie zum Beispiel Facebook, Alphabet (Google), Netflix, Dropbox, Twitter und Airbnb. (Ein paar dieser Gespräche sind in meinem Podcast Masters of Scale zu hören.) Auch wenn sich die Geschichten zum Aufstieg der Unternehmen in vielerlei Hinsicht unterscheiden, so haben sie alle eines gemeinsam: ein extremes, sperriges, riskantes, ineffizientes und aufs Ganze gehendes Konzept für Wachstum.

In diesem Buch wollen wir aus diesen führenden Unternehmen Lehren ziehen, anhand deren wir erklären, wie, wann und warum man blitzscalen sollte und welche weltweiten Auswirkungen Unternehmen haben, die gerade jetzt um Sie herum blitzscalen.

Diese Aufgabe führt uns rund um den Globus, wobei sich eine Gegend besonders abhebt.

DAS SILICON VALLEY:
IDEAL ZUR ENTSCHLÜSSELUNG VON BLITZSCALING

Obwohl Unternehmen auf sämtlichen Kontinenten außer in der Antarktis erfolgreich Blitzscaling betrieben haben, konzentrieren sich die prominentesten Beispiele auf das kalifornische Silicon Valley. Allerdings können wir nicht einfach die im Silicon Valley funktionierenden Methoden kopieren und erwarten, dass sie auf dieselbe Weise in Shanghai Fuß fassen, und ebenso ist es auch nicht möglich, etwas aus Shanghai auf Stockholm oder aus Stockholm auf São Paulo zu übertragen. Stattdessen können wir versuchen, einige universelle Lektionen herauszufiltern und zu untersuchen, ob sie weltweit anwendbar sind.

Als wir Ende 2017 an diesem Buch saßen, gab es auf der Welt nur 14 börsennotierte Technologieunternehmen mit einer Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden US-Dollar. Raten Sie einmal, wie viele davon im Silicon Valley sitzen. Sieben – das ist die Hälfte der wertvollsten Tech-Unternehmen weltweit.

Zusammengenommen sind die 150 wertvollsten börsennotierten Tech-Unternehmen im Silicon Valley 3,5 Billionen US-Dollar wert. Diese Zahl ist so groß, dass die meisten von uns nichts damit anfangen können. Zur Orientierung: Allein diese 150 Firmen machen 50 Prozent des Wertes der Technologiebörse NASDAQ und mehr als fünf Prozent der globalen Marktkapitalisierung aus. Ein enormer Wert, den eine Region mit schätzungsweise 3,5 bis 4 Millionen Einwohnern beziehungsweise rund 0,05 Prozent der Weltbevölkerung geschaffen hat.

Auch wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass sich dies zukünftig ändern könnte, durch die früheren und gegenwärtigen Erfolge wird das Silicon Valley zur idealen Umgebung, um folgende Frage zu untersuchen: Was ist die effizienteste Methode zum raschen Aufbau enorm wertvoller Unternehmen?

Betrachten Außenstehende das Silicon Valley, denken sie oft, die Antwort auf diese Frage laute „innovative Technologie“. Wie Sie sehen werden, ist für ein erfolgreiches Unternehmen technologische Innovation allein nicht ausreichend.

Insider des Silicon Valley und belesene Außenstehende sehen den Schlüssel in der Kombination aus Talent, Kapital und Unternehmerkultur, die die Gründung neuer Unternehmen erleichtert. Auch das ist falsch.

Ja, das Silicon Valley ist die zentrale Drehscheibe für Hightech-Talente und Wagniskapital, aber so war es nicht von Anfang an. Und ja, es ist mit großartigen Universitäten wie Stanford und Berkeley gesegnet, aber das sind auch viele andere Regionen. Die Antwort kann somit nicht nur in der Verknüpfung von Wagniskapital, Forschungsuniversitäten und klugen Köpfen liegen. Denn die Kombination dieser Bestandteile ist alles andere als einzigartig. Tatsächlich sind dieselben Grundzutaten ohne Weiteres in zahlreichen Start-up-Clustern in den Vereinigten Staaten und weltweit zu finden: in Austin, Boston, New York, Seattle, Shanghai, Bangalore, Istanbul, Stockholm, Tel Aviv und Dubai.

Um dem Erfolgsgeheimnis des Silicon Valley auf die Spur zu kommen, muss man hinter die Fassade der üblichen Entstehungsgeschichten schauen. Denkt man an das Silicon Valley, kommen einem – natürlich auch durch die gleichnamige HBO-Serie – spontan die Namen berühmter Start-ups und ihrer ebenfalls verherrlichten Gründer in den Sinn: Apple, Google und Facebook sowie Jobs/Wozniak, Page/Brin und Zuckerberg.

Das Erfolgsnarrativ hinter diesen heiligen Namen ist so universell vertraut, dass Menschen aus aller Welt es ebenso gut aufsagen können wie die Wagniskapitalgeber der Sand Hill Road in Kalifornien. Und es lautet folgendermaßen: Ein brillanter Unternehmer entdeckt eine unglaubliche Chance. Nach dem Abbruch des Colleges sammelt er ein kleines Team um sich, das gern für Eigenkapital arbeitet, richtet sich in einer einfachen Garage ein, spielt Tischfußball, beschafft Geld von klugen Wagniskapitalgebern und fährt fort, die Welt zu verändern. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben die Gründer und frühen Mitarbeiter natürlich noch heute und setzen den erworbenen Reichtum dafür ein, nicht nur eine neue Generation von Unternehmern, sondern auch eine Reihe von gleichnamigen Gebäuden für den Fachbereich Informatik der Stanford University zu finanzieren.

Diese Geschichte ist aufregend und inspirierend. Wir können den Reiz nachvollziehen. Dabei gibt es nur ein Problem. Sie ist in mehreren wichtigen Punkten unvollständig und trügerisch.

Erstens: Auch wenn „Silicon Valley“ und „Start-ups“ dieser Tage nahezu synonym eingesetzt werden, nur ein winziger Bruchteil der Start-ups der Welt stammt tatsächlich aus dem Silicon Valley. Und dieser Bruchteil ist immer kleiner geworden, je weiter sich das Gründungswissen um die Welt verbreitet hat. Dem Internet sei Dank haben Unternehmer überall Zugang zu denselben Informationen. Nachdem andere Märkte bereits gesättigt sind, entscheiden sich clevere Gründer weltweit zudem dafür, Unternehmen in den Start-up-Zentren ihrer Heimatländer aufzubauen, anstatt ins Silicon Valley abzuwandern.

Zweitens: Einfach eine Firma zu gründen reicht offensichtlich nicht aus. Diejenigen Start-ups, die massiv an Wert gewinnen, haben einen Weg gefunden, sich exponentiell schneller als ihre Wettbewerber zu Scale-ups zu entwickeln.

Welche geheime Alchemie ist im Silicon Valley also am Werk, die ein derart enormes Wachstum bei so vielen der wertvollsten Technologieunternehmen der Welt entfacht? Und wenn es tatsächlich ein Geheimnis gibt, kann es identifiziert, analysiert, verstanden und – am wichtigsten – an anderer Stelle angewandt werden?

Das Geheimnis ist Blitzscaling. Und dass Blitzscaling so wichtig ist, liegt daran, dass nichts davon charakteristisch für das Silicon Valley ist.

Dass das Silicon Valley der Akzelerator der Welt sei, ist ein weitverbreiteter Irrglaube. Der Hintergrund ist tatsächlich der: Die Welt dreht sich immer schneller – dem Silicon Valley gelingt es lediglich als Erstem, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Auch wenn das Silicon Valley über viele zentrale Netzwerke und Ressourcen verfügt, die eine Anwendung der hier vorgestellten Methoden erleichtern, umfasst das Blitzscaling Grundsätze, die unabhängig von den geografischen Gegebenheiten sind. Wir werden Ihnen Beispiele für außer Acht gelassene Regionen der Vereinigten Staaten zeigen, beispielsweise Detroit (Rocket Mortgage) und Connecticut (Priceline), aber auch von internationalen Unternehmen wie WeChat und Spotify. Dabei erfahren Sie, wie die Lehren aus dem Blitzscaling angepasst werden können, um den Aufbau ausgezeichneter Unternehmen in nahezu jedem Ökosystem, wenn auch mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden, zu unterstützen.

Das ist der Zweck des vorliegenden Buches. Wir möchten die Geheimwaffe mit Ihnen teilen, die es dem Silicon Valley möglich gemacht hat, im Vergleich zu seiner Bevölkerungsentwicklung (mehr als 100-mal) so groß zu werden, damit die Lehren daraus weit über das 80 Kilometer lange Gebiet zwischen der Golden Gate Bridge und San José hinaus angewendet werden können.

Was dringend nötig ist.

Denn die alarmierende Tatsache lautet: Bis 2030 wird die Weltwirtschaft 600 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen müssen, um die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Bis dahin sind es knapp zehn Jahre. Die Welt braucht aber mehr als nur neue Firmen und neue Jobs, sie wird völlig neue Industrien benötigen.

Und diese Industrien sollten besser Scale-ups und Start-ups hervorbringen. Uns scheint es einfacher zu sein, weltweit 600 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, indem 60.000 neue Unternehmen mit 10.000 Mitarbeitern entstehen anstatt 60 Millionen Betriebe mit je zehn Mitarbeitern.

Andy Grove, der inzwischen verstorbene legendäre CEO von Intel, hatte dies verstanden und in einem 2010 geschriebenen Kommentar für Bloomberg erläutert:

Zwar sind Start-ups eine wunderbare Sache, sie können jedoch nicht allein für eine Zunahme der Beschäftigung im Tech-Bereich sorgen. Ebenso wichtig ist, was nach dem sagenumwobenen Moment der Gründung in der Garage folgt, wenn die Technologie vom Prototyp in die Massenfertigung geht. In dieser Phase skalieren Unternehmen. Sie arbeiten Konstruktionsdetails aus, überlegen, wie man kostengünstiger wird, bauen Fabriken und stellen Tausende Mitarbeiter ein. Skalieren ist harte Arbeit, aber notwendig, damit Innovation eine Rolle spielt.

Durch die Erkenntnis, was das rapide Wachstum von einem Start-up zu einem Scale-up antreibt und welche Grundsätze hinter der Funktionsweise stehen, wird es Unternehmern und Unternehmen ermöglicht, diese Grundsätze nicht nur in kleinen Gebieten der USA und Chinas, sondern weltweit anzuwenden.

WER SOLLTE DIESES BUCH LESEN?

Dieses Buch eignet sich für jeden, der die Techniken verstehen möchte, mit deren Hilfe sich ein Unternehmen in wenigen Jahren zu einem Multimilliarden-Dollar-Marktführer entwickeln kann.

Diese Techniken dürften für Unternehmer, die enorme Firmen aufbauen wollen, von Interesse sein, für Wagniskapitalgeber, die in diese investieren wollen, für Mitarbeiter, die dort arbeiten wollen, und für Regierungen und Kommunen, die das Wachstum dieser Firmen in ihren eigenen Regionen begünstigen möchten. Aber selbst wenn Sie nicht daran interessiert sind, solche Unternehmen aufzubauen, in sie zu investieren oder für sie zu arbeiten, müssen Sie sich dennoch in der von ihnen gestalteten Welt zurechtfinden.

Versuchen Sie als Manager oder Führungskraft, ein Projekt oder einen Geschäftsbereich innerhalb eines größeren Unternehmens zügig zu skalieren, kann Ihnen Blitzscaling dabei helfen. Obwohl wir die Lehren primär aus der Hightech-Welt ziehen, sind viele der in diesem Buch aufgezeigten Grundsätze und Rahmenbedingungen (insbesondere für das Personalmanagement) für Wachstumsunternehmen in den meisten Branchen weltweit anwendbar, von europäischen Mode-Einzelhändlern bis hin zu texanischen Ölschiefergesellschaften.

Selbst Organisationen außerhalb des Wirtschaftslebens können Blitzscaling zu ihrem Vorteil einsetzen. In neuen Präsidentschaftskampagnen und gemeinnützigen Organisationen für Unterprivilegierte wurden die Hebel des Blitzscalings eingesetzt, um landläufige Meinungen zu kippen und gewaltige Erfolge zu erzielen. All diese und noch viele weitere Berichte werden Sie in diesem Buch entdecken.

Ob Sie Gründer sind oder Manager, ein potenzieller Mitarbeiter oder ein Investor, wir sind der Meinung, dass Sie durch die Kenntnis von Blitzscaling in einer Welt, in der Geschwindigkeit der entscheidende Wettbewerbsvorteil ist, bessere Entscheidungen treffen können.

Mithilfe von Blitzscaling konnten der Adoptivsohn eines syrischen Einwanderers (Steve Jobs), der Adoptivsohn eines kubanischen Einwanderers (Jeff Bezos) und ein ehemaliger Englischlehrer und ehrenamtlicher Reiseführer (Jack Ma) Unternehmen aufbauen, die die Welt verändert haben und noch immer verändern.

Die in diesem Buch beschriebenen Strategien und Techniken basieren auf meinen Erfahrungen als Mitglied des PayPal-Gründungsteams, als Co-Gründer, CEO und heutigem Executive Chairman von Linked-In, als Hauptinvestor bei Facebook und Airbnb und als Investor bei Greylock Partners, wo ich mit vielen anderen Milliardenunternehmen wie Workday, Pandora, Cloudera und Pure Storage arbeitete. Meine Partner bei Greylock und ich unterstützten diese Firmen dabei, die Garage hinter sich zu lassen und zu globaler Dominanz zu wachsen. In diesem Buch teilen wir daher die Rahmenbedingungen mit Ihnen, die unserer Ansicht nach für das bessere Verständnis und die Handhabung der durch Blitzscaling in Ihrer Organisation entstehenden Herausforderungen wichtig sind.