Cover

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

INHALT

Über die Autoren

Vorwort

Einleitung

SIMBABWE & SÜDAFRIKA: »Stop in the name of Jesus«

ISRAEL: Hand aufs Herz!

DEUTSCHLAND: Immer wieder mittwochs

MALLORCA: Gott kommt auch zum Ballermann

JORDANIEN & LIBANON: Das offene Fenster

DEUTSCHLAND: Was meine Berufung mit Schoko-Erdbeeren zu tun hat

FRANKREICH: Die Freiheit, nur einen Sprung entfernt

INDIEN: Ausgerechnet der Bürgermeister

BOLIVIEN: Der unsichtbare rote Faden

DEUTSCHLAND & PAKISTAN: Wenn Gott Platz für fünf Leute hat, hat er auch Platz für sechs

FRANKREICH: Aus Versehen undercover in den Vororten von Paris

UKRAINE: Wenn Freundschaft Früchte trägt

BOLIVIEN: So ähnlich wie bei Matthäus

Nachwort

ÜBER DIE AUTOREN

Gernot Elsner (Jg. 1978) lebt mit seiner Familie in Karlsruhe. Er leitet GOSPELTRIBE, eine Bibelschule und Jugendmissionswerk. Seine Leidenschaft ist es, junge Menschen für eine hingegebene Beziehung mit Jesus und für Weltmission zu begeistern.

Tina Babig (Jg. 1994) studiert Psychologie und Theologie in Heidelberg und Ditzingen. Seit 2014 ist sie Teil von GOSPELTRIBE und begeistert sich für interkulturelle Arbeit und theologische Zwickmühlen.

www.gospeltribe.de

VORWORT

Gott kommt auch zum Ballermann – das finde ich gut. Und auch, dass sein Bodenpersonal dabei ist. Nicht zuletzt die Frauen und Männer von GOSPELTRIBE. Von ihnen lesen wir in diesem Buch.

GOS-PEL-TRIBE – dieses Wort muss man sich erst mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Auf Deutsch hört es sich noch krasser an: Evangeliumsstamm. Dieser Name ist mehr als nur ein nettes Etikett. Er ist zugleich Vision und Programm.

Die Leute, die sich freiwillig solch einem Programm unterziehen, müssen ziemlich abgefahren sein. Ja, die müssen ziemlich verrückt sein, die sich einem solch exotischen Stamm anschließen, dem Evangeliumsstamm.

Wo der beheimatet ist? Eigentlich in Karlsruhe. Doch da bleiben die Stammesmitglieder meist nicht lange. Sie scheinen von einer unbändigen Reiselust befallen zu sein. Je exotischer der Ort, desto besser.

Und so findet man die GOSPELTRIBER an allen möglichen und unmöglichen Orten: in Simbabwe und Ägypten, in Indien und Israel, in Südafrika und Frankreich, in Bolivien und Jordanien, im Libanon und der Ukraine, in Deutschland und an vielen Orten mehr. Und nicht zuletzt am Ballermann.

Was sie da erleben, ist erstaunlich. Abenteuer und Wunder. Gefahren und Bewahrung. Offene Türen und scheinbar unüberwindliche Hindernisse. Ablehnung und begeisterte Annahme. Finanzielle Engpässe und wundersame Versorgung.

Wer die Berichte liest, merkt, dass der Titel zutrifft. Gott kommt auch zum Ballermann. Und nicht nur dorthin. Ich bin dankbar für dieses Buch, denn es zeigt, dass die Wunder Gottes nicht auf vergangene Zeiten beschränkt, sondern auch heute erfahrbar sind.

Wer Wunder erleben will, muss sich jedoch auf den Weg machen. Wie die Leute vom Evangeliumsstamm. Dabei muss es nicht immer der Ballermann sein. Das geht auch direkt in der Nachbarschaft, wo wir anderen die Botschaft von Jesus bringen, in Wort und Tat, in Freundschaft und Wertschätzung, in großer Freude und tiefer Ernsthaftigkeit.

Danke für dieses Buch! Es hat mich neu stolz und dankbar gemacht, dass auch ich zum Stamm der Evangeliumsbegeisterten gehören darf.

Prof. Dr. phil. Dr. theol. Roland Werner
Marburg, im Februar 2020

EINLEITUNG

Voller Vorfreude und mit einer gehörigen Portion Nervosität bewegte ich mich auf den Ausgang des Flughafengebäudes zu. Nach vierzehn Stunden Flug war ich endlich auf den Philippinen angekommen. Durch eine offene Tür drang die schwüle, drückende Luft ins Innere des Terminals, beim Tritt ins Freie war es, als liefe ich gegen eine Wand. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Was würde wohl in den nächsten drei Wochen in dieser exotisch-geheimnisvollen Welt auf mich warten?

Mit fünfzehn Jahren hatte ich in Afrika schon einmal die Tropen besucht, damals allerdings für einen Luxusurlaub mit Safari, All-inclusive-Paket und ellenlangen Essensbuffets. Nach Cebu war ich dagegen für meinen ersten Missionseinsatz gekommen. Anstatt im 5-Sterne-Palast würde ich in einem Kinderheim wohnen und auf einer dünnen Luftmatratze auf dem Boden schlafen. Von zu Hause war ich Pizza, Pommes und Steaks gewöhnt, hier würde ich mich eher von Gemüse, Reis und der zweifelhaften Spezialität »halb ausgebrütete Eier« ernähren.

Wie sollten wir uns hier in dieser fremden Welt überhaupt verständigen und was konnten wir in dieser Millionenstadt tun, in der einem an jeder Ecke die materielle Not der Menschen ins Auge stach? War es wirklich eine gute Idee gewesen, mich für diesen Einsatz zu melden?

Mit meinen 19 Jahren und meinem recht chaotischen Lebensstil war ich mir meiner Unzulänglichkeiten mehr als bewusst. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis die anderen Teammitglieder, die fröhlich neben mir im Flugzeug gesessen hatten, herausfanden, dass ich nicht der Super-Christ war?

Was ich in den folgenden Wochen erlebte, hinterließ in mir einen tiefen Eindruck: der Kontakt mit den Straßenkindern, die Christen, die unter ärmsten Bedingungen und großen Repressalien so treu ihren Glauben lebten, meine ersten holprigen Predigtversuche in Gemeinden und Gefängnissen, selbst die juckenden Mückenstiche.

Nach und nach stellte diese Reise meine ganze Vorstellung davon auf den Kopf, was Christsein bedeutet und wie ein Leben mit Gott aussehen kann. Es schien doch mehr zu geben, als kurze Abstecher am Freitag in die Jugendgruppe und sonntags in den Gottesdienst. Gelebter Glaube an Jesus konnte offensichtlich erfüllend, abenteuerlich und alles andere als bequem sein!

Mit jeder Erfahrung wurden wir herausgefordert, in unserer Liebe zu den Menschen und in unserem Vertrauen auf Gott über uns selbst hinauszuwachsen. Da waren die klebstoffschnüffelnden Straßenkinder, oftmals nur mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleidet, die jede Woche um die gleiche Zeit spät abends zu Dutzenden an einer Straßenkreuzung auf uns warteten und uns voller Freude in die Arme schlossen. Es brauchte nicht mehr als unsere Zuwendung, um ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

In den Gefängnissen begegneten uns Menschen, die wegen schlimmer Verbrechen ihr Leben hinter Gittern verbringen mussten. Ein Mann war im Vorjahr so von Gottes Kraft berührt worden, dass er nach seiner Bekehrung einen Mord gestand, den man ihm nicht hatte nachweisen können.

An einem Tag sollten wir mit der Fähre zu einer Nachbarinsel fahren, um dort einen Gottesdienst zu gestalten. Am Morgen vor unserer Abfahrt sahen wir am Hafen einen Zeitungsbericht, in dem stand, dass am Vortag eine Fähre gekentert war und die Insassen von Haien gefressen worden waren. Doch nichts konnte uns die Begeisterung rauben, für Jesus auf Mission zu sein. Man traute uns etwas zu, so unfertig wir auch sein mochten.

Die Wochen des Einsatzes vergingen wie im Flug und in mir wuchs der unbändige Wunsch, mein Leben damit zu verbringen, meinen Glauben so zu leben, wie ich es hier zusammen mit den anderen jungen Leuten getan hatte. Ich fand mich in den Worten von Jesus wieder:

Das Himmelreich ist wie ein Schatz, den ein Mann in einem Feld verborgen fand. In seiner Aufregung versteckte er ihn wieder und verkaufte alles, was er besaß, um genug Geld zu beschaffen, damit er das Feld kaufen konnte – und mit ihm den Schatz zu erwerben!

Matthäus 13,44

Die Erfahrungen, die ich gemacht hatte, fühlten sich für mich an wie dieser Schatz. Ich wollte sie nie mehr loslassen und noch viel mehr: Ich wünschte mir, dass andere junge Christen, die ich kannte und die ihren Glauben auch oft als langweilig empfanden, das Gleiche erlebten wie ich.

Rund sieben Jahre nach meinen ersten Missionserfahrungen auf den Philippinen saßen meine Frau Sabine und ich mit ein paar Freunden im Dachzimmer unserer Wohnung in der Nähe von Karlsruhe. Wir waren zusammengekommen, um feierlich eine Arbeit zu gründen, die es jungen Menschen ermöglichen sollte, ebenfalls solche Missionseinsätze zu erleben.

Es war die Geburtsstunde von GOSPELTRIBE, einem Werk, das sich ganz der Aufgabe widmen sollte, junge Leute für Jesus zu begeistern und sie in andere Kulturen auszusenden, wenngleich auch nur für eine kurze Zeit. Unser Motto lautet: »Jesus lieben und die Nationen erreichen.«

Von diesem besonderen Tag an schufen wir Einsatzangebote für die Schul- und Semesterferien, für die sich Jugendliche und junge Erwachsene anmelden konnten, um loszuziehen und Menschen rund um die Welt mit Jesus bekannt zu machen. Dabei wollten wir auf Gottes Stimme hören und ihn fragen, an welchen Orten wir für die empfangenden Gemeinden und Dienste eine wirkliche Unterstützung sein könnten, und dorthin gehen, wohin er uns senden würde.

Im ersten Jahr planten wir Reisen nach Israel, Indien, Bulgarien, Rumänien und in die Türkei. Voller Begeisterung stellten wir fest, dass in den folgenden Monaten rund achtzig Anmeldungen in unseren Briefkasten flatterten. Offenbar gab es tatsächlich junge Leute, die unsere Begeisterung dafür teilten, sich auf ein Abenteuer mit Gott einzulassen. Unsere Vision nahm vor unseren Augen Gestalt an! Seit dem Gründungsjahr 2006 sind mehrere Tausend Menschen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Paraguay und anderen Ländern mit GOSPELTRIBE in über vierzig Nationen auf einen Einsatz gegangen.

Im Jahr 2008 wagten wir mit unserer zweijährigen Bibel- und Missionsschule (BMS) einen weiteren Schritt. Wie unsere Einsätze hat auch die BMS das Ziel, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Suchen nach Gottes Willen und eine Leidenschaft für Mission ans Herz zu legen. Gemeinsam sind wir in den vergangenen Jahren durch den Himalaja getrekkt, um entlegene Dörfer mit dem Evangelium zu erreichen, haben in den Gettos von El Salvador eine Arbeit unter bewaffneten Gangs begleitet, in den Pampas von Argentinien gepredigt und vieles andere Unvergleichliche erlebt.

Von jenen zahlreichen unvergesslichen Erlebnissen im Rahmen unserer Einsätze und Bibelschule erzählen die Geschichten in diesem Buch. Sie lassen einen Blick auf das erhaschen, was wir und andere junge Leute auf unseren Reisen vom Nahen Osten bis an die Partystrände von Mallorca mit Gott erlebt haben.

Manche der Geschichten sind unsere eigenen, andere die der Menschen, denen wir begegnet sind und deren gelebter Glaube tiefe Spuren in unseren Herzen hinterlassen hat. Es sind Geschichten von Jesus und von dem, was er durch ganz normale Leute gewirkt hat, die die gleichen Höhen und Tiefen in ihrem Glaubensleben erfahren wie du und ich.

Einige der Namen und Ortsbeschreibungen haben wir geändert, um die Beteiligten oder ihre Familien zu schützen. Aufgeschrieben wurden die Geschichten von Tina Babig, einer großartigen, begabten jungen Frau, die nun schon seit sechs Jahren mit GOSPELTRIBE unterwegs ist. Über viele Monate hinweg hat sie mit den Hauptpersonen Interviews geführt und gemeinsam mit ihnen daran gearbeitet, ihre einzigartigen Erlebnisse so präzise wie möglich wiederzugeben.

Unser Gebet ist, dass die Geschichten dich inspirieren und eine Sehnsucht in dir wecken, dein persönliches Glaubensabenteuer mit Jesus zu erleben. Nimm dir doch beim Lesen immer wieder Zeit, Gott zu fragen: »Herr, was willst du mir durch diese Geschichte zeigen? Was hat das Gelesene mit meinem Leben zu tun?«

Vielleicht wächst dann der Wunsch in dir, Gott auf ähnliche Weise zu erleben und den nächsten Schritt zu wagen.

Dafür wünsche ich dir Gottes Segen!

Gernot Elsner, Gründer und Leiter GOSPELTRIBE
Karlsruhe, im Februar 2020

SIMBABWE & SÜDAFRIKA
»Stop in the name of Jesus«

Erlebt von Marco Kircher & Birgit Kissling
2013

MARCO:

Irgendwann musste es dazu kommen. Es ging gar nicht so sehr darum, ob es passieren würde, sondern die eigentliche Frage war, wann. Und dafür brauchte ich einen Schlachtplan.

Moment mal – wo war ich eigentlich? Ich konnte meine Augen kaum öffnen wegen des grellen Lichts. Alles, was ich vage erkennen konnte, waren ein paar kleine Wolken, die schnell über den strahlend blauen Himmel zogen. Bis das weiche Gras unter mir meine Gedanken zurück an den Ort holte, an dem ich mich gerade befand. Stimmt ja: Südafrika, Pretoria, der Park. So langsam ergab alles wieder Sinn. Gerade hatte ich noch darüber nachgedacht, was ich machen würde, wenn wir einer Straßengang in die Arme liefen, und war anscheinend in der nächsten Sekunde eingenickt. Besonders aufregend waren meine Ideen ja auch nicht gewesen, schließlich konnte ich weder Karate, noch hatte ich jemals irgendwas über Selbstverteidigung gelernt. Ich musste mein Vertrauen einfach auf Gott setzen. Das würde sicher interessant werden.

Ich schaute mich um. Die meisten anderen lagen im Umkreis von ein paar Metern um mich herum verteilt und dösten vor sich hin. Birgit und Sophie saßen im Gras und unterhielten sich leise. Nur vage konnte ich einige Worte verstehen: Anscheinend unterhielten sie sich über unsere Freunde in Simbabwe. Die unerwartete Wendung unserer Pläne ließ die beiden nicht los. Kein Wunder – unsere spontane »Flucht« nach Südafrika mit zehn Leuten vor zwei Wochen war ein unvergessliches Erlebnis.

BIRGIT:

Das abrupte Ende unserer Zeit in Simbabwe saß uns noch immer in den Knochen. Hanna, Theresa und Christine, unsere deutschen Missionarsfreundinnen, lebten dort schon seit ein, zwei Jahren. Keine der drei jungen Frauen war älter als Ende zwanzig. Ihr gesamter Besitz bestand aus einer Isomatte auf dem Boden eines Häuschens am Rande der kleinen Stadt und einem Moskitonetz, das sie darüber aufgehängt hatten, um sich in der Nacht vor den blutsaugenden Übeltätern zu schützen. Ihr Wunsch, in jedem noch so kleinen Dorf des Landes Menschen zu sehen, die ihr Vertrauen auf Jesus setzen, war größer als der, ihre Zeit in Kneipen und Uni-Sälen zu verbringen oder den Mann fürs Leben zu suchen. Schon als wir sie kennenlernten, fiel mir auf, was für eine Entschlossenheit und Stärke in ihren Augen loderte, und das beeindruckte mich tief.

Gemeinsam mit diesen Glaubensheldinnen und den deutschen Leitern ihrer Missionsorganisation waren wir stundenlang über Stock und Stein geholpert, auf Straßen, die wohl kaum diesen Titel verdienten. In verschiedenen Dörfern betreuten die drei jungen Frauen Gemeinden, die wir besuchten, um gemeinsam Gottesdienste zu feiern. Jedes Mal waren wir die Ehrengäste, die mit rhythmischen Tänzen, Klatschen und freudigen Rufen empfangen wurden.

Die Weißen als Ehrengäste – gegen das Klischee sträubte sich alles in uns. Aber um ihnen etwas von der Ehrerbietung zurückzugeben, die sie uns entgegenbrachten, konnten wir lediglich das Essen, das sie uns auf Knien kriechend brachten, dankbar lächelnd annehmen und uns so wenig wie möglich anmerken lassen, wie unglaublich unangenehm diese Situation für uns war. Wir waren doch Brüder und Schwestern!

Das feierten wir wenigstens in den gemeinsamen Gottesdiensten. Singen für Gott hatte in Simbabwe sehr wenig mit der Tradition zu tun, auf staubigen Bänken eintönige Choräle vor sich hin zu brummen. »Gott ist gut« – das war hier keine Floskel. Als wir einer kleinen Gemeinde Bibeln in ihrer Muttersprache brachten, begannen die Christen vor Freude zu tanzen, zu stampfen und zu hüpfen, dass der Staub in der Luft herumwirbelte.

Nach den ersten abenteuerlichen und ereignisreichen Tagen benötigten ein paar von uns eine Pause und blieben in der kleinen Baracke zurück, die uns als Zuhause diente. Wir anderen machten uns auf den Weg nach Masvingo, der nächstgrößeren Stadt, um dort an einem Gottesdienst teilzunehmen. Wenige Stunden später standen wir mit zitternden Knien wieder vor unserer Unterkunft. Irgendwann im Laufe des Tages war der Rest des Teams von einer Horde simbabwischer Polizisten überrascht worden, die an die Tür hämmerten, um alle Papiere zu kontrollieren. Ohne einen Grund anzugeben, verhörten sie unseren afrikanischen Freund und Leiter Amare. Am Abend stellte sich heraus, dass alles doch kein schwerwiegendes Problem gewesen war, nur eine Kontrolle. Zumindest dachten wir das.

Am nächsten Tag wurde Amare jedoch für eine dringende Versammlung von NGOs und Gemeindeleitern nach Masvingo gerufen und kam mit sehr schlechten Nachrichten zurück: Alle Ausländer mussten auf Anweisung der Regierung innerhalb der nächsten Tage das Land verlassen. Widerspruch zwecklos. Eine logische Begründung gab es nicht, aber natürlich stellten die Betroffenen ihre eigenen Vermutungen an. In ein paar Monaten sollten Präsidentschaftswahlen stattfinden – wollte da vielleicht jemand keine ausländischen Beobachter im Land?

Für unser Team bedeutete das, dass alle unsere Pläne zunichtegemacht wurden. Wir mussten unsere Enttäuschung und Traurigkeit genauso wie unsere persönlichen Sachen fein säuberlich wegpacken und uns zum Aufbruch bereit machen. Auf den Sitzen eines Reisebusses, eingepfercht zwischen übergewichtigen Afrikanerinnen, landeten wir schließlich mit gemischten Gefühlen an der Grenze zu Südafrika. Obwohl es schon weit nach Mitternacht sein musste, brannte die Luft, als wir zusammen mit den übrigen Fahrgästen aus dem Bus stiegen, um uns in einer Schlange vor dem klapprigen Grenzstand zur Passkontrolle aufzustellen.

Diese Prozedur war ich schon aus anderen Ländern gewöhnt, doch als der dritte Pass unseres Teams eingelesen wurde, fingen die Grenzpolizisten plötzlich an, aufgeregt zu diskutieren, und redeten dann laut auf uns ein, ohne dass wir verstanden, worum es ging. Schließlich rissen sie uns ohne irgendeine Begründung unsere Papiere aus der Hand und ließen uns einfach stehen. Nach einer gefühlt endlosen Stunde wurde ich als Leiterin der Gruppe in eine der kleinen Wellblechdach-Hütten geführt. Noch ehe ich recht begriff, was gerade passierte, schloss sich hinter mir die Tür und ich stand ohne den Rückhalt meiner Gruppe in dem von einer einzelnen Neonröhre beleuchteten Raum, in dem mich acht simbabwische Polizisten mit ihren Blicken fixierten.

»Wer ist euer Team? Wie viele Leute seid ihr?«, blaffte mich einer der Männer schräg links von mir an.

»Wir sind zehn Leute aus Deutschland«, antwortete ich, ohne ihn anzuschauen.

»Nein! Ihr seid keine zehn Leute«, fiel er mir schroff ins Wort, noch ehe ich meinen Satz überhaupt beendet hatte.

»Wir sind zehn Leute«, gab ich leise, aber bestimmt zurück, darauf bedacht, mir das Zittern in meiner Stimme nicht anmerken zu lassen. Ein paar Mal spielten wir uns die gleiche Frage und Antwort wie einen Ball hin und zurück, während der Polizist immer ungeduldiger wurde.

»Ihr seid fünfzehn Leute! Wo sind die anderen?«, rief er schließlich.

Da machte es endlich »Klick«. Sie wussten anscheinend, dass wir mit den drei jungen Missionarinnen, Amare und seiner Frau zusammengewohnt hatten, und vermuteten deshalb, dass ich log.

»Das ist ganz sicher keine normale Polizeikontrolle«, dachte ich mit einem flauen Gefühl im Magen. Die Polizei musste unser Team beobachtet und Informationen an diesen Grenzposten weitergegeben haben.

Nach meiner gestammelten Erklärung mischte sich Gott sei Dank ein anderer ein und fragte barsch: »Wo sind eure Fotos?«

»Im Gepäck«, antwortete ich.

Daraufhin veranlassten die Polizisten, dass das Gepäck aller Fahrgäste ausgeladen wurde, um unsere Kameras herauszukramen und unsere Bilder zu kontrollieren. Nachdem sie den Großteil unserer Fotos durchgecheckt und nichts Verdächtiges gefunden hatten, waren nur noch zwei Polizisten im Verhörzimmer übrig und der Ton beruhigte sich etwas. Die Frage, ob es in Deutschland auch in den Dörfern Internet gab, war auf einmal viel interessanter als Pässe oder Fotos.

Nachdem ich ein paar weitere Kameras geholt hatte, betrat mein Co-Leiter Darius den Raum. Dankbar warf ich ihm einen Blick zu. Endlich saß ich nicht mehr allein auf der Anklagebank.

»Was machst du dort? Bist du Pastor?«, fragte einer der Simbabwer und drehte das Display einer der Kameras zu uns. Auf dem Foto war Darius beim Predigen während des Gottesdienstes in Masvingo zu sehen. Als hätte sich ein Schalter umgelegt, behandelten uns die Grenzpolizisten plötzlich sehr respektvoll. Anscheinend waren sie schwer beeindruckt, dass wir in ihr Land gekommen waren, um Menschen von Jesus zu erzählen. Nach nur wenigen Minuten und wesentlich versöhnlicherem, fast freundschaftlichem Small Talk entließen uns die Grenzpolizisten und gaben uns unsere Pässe zurück.

Letztlich war alles gut ausgegangen, aber selbst hier, bei dreißig Grad im Park in Pretoria, lief mir bei dem bloßen Gedanken an den spärlich beleuchteten »Verhörsaal«, in dem mich die simbabwischen Grenzpolizisten umringt hatten, ein kalter Schauer über den Rücken.

MARCO:

Die idyllische Szene, wie wir in dem ruhigen Park inmitten der malerischen Hauptstadt Südafrikas saßen oder lagen und unsere Pause genossen, war ungefähr genauso repräsentativ für unsere bisherige Reise, wie wenn jemand vor einer Pfütze versucht hätte, das raue Meer zu erklären. Kein Wunder, dass wir gedanklich immer noch in Simbabwe waren. Menschen wie Amare, die Leute aus den Gemeinden in den Dörfern – wir hatten sie alle lieb gewonnen und hatten sie aus heiterem Himmel zurücklassen müssen. Wir konnten gehen. Sie mussten bleiben, wo Ungerechtigkeit und Härte auf der Tagesordnung standen.

Die heikle Frage nach der richtigen Entscheidung hielt uns in den Tagen zwischen dem Erlass und unserer Ausreise in Atem. Wie sollten wir uns am besten verhalten bei dieser Anordnung der simbabwischen Regierung? Zu gehen war mit Sicherheit die bequemste, sicherste Option für uns. Aber zu bleiben wäre auch kein sehr heroischer Akt gewesen, denn die Einheimischen, die mit uns in Verbindung gebracht wurden, liefen in diesem Fall Gefahr, geschlagen zu werden und noch schlimmere Strafen zu bekommen.

Unser neuer Stützpunkt Südafrika, wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, war kaum idyllischer als Simbabwe. Dieses Land war ein Universum, in dem Welten aufeinanderprallten. Schönheit und Elend. Armut und Reichtum. Schwarz und weiß, noch immer. So viele Jahre nach dem Ende der Apartheid.

Meine Gedanken führten mich zurück in eins der vielen bunten Townships – die Slums Südafrikas –, die wir in den letzten zwei Wochen besucht hatten.

Einer unserer südafrikanischen Freunde und Leiter setzte uns am Rande des Gebiets ab, nachdem wir uns zu zwölft in den Jeep gequetscht hatten. Von unserem Standpunkt aus konnten wir die ganze Siedlung überblicken und sahen, wie an der ein oder anderen Stelle eine grüne oder blaue Hütte inmitten der eintönig grauen Blechhütten-Landschaft aufleuchtete.

Ins Township hineingelangen konnten wir nur über einen holprigen Pfad, einen Abhang hinunter und durch einen Bach hindurch. Wahrscheinlich wäre Abwasserkanal die passendere Bezeichnung für die übel riechende Brühe gewesen: Von Plastiktüten über Coca-Cola-Flaschen bis hin zu Cornflakes-Etiketten schwamm alles in diesem Gewässer. Von den Einheimischen schauten wir uns ab, wie wir über ein paar Steine, die aus dem Wasser lugten, auf die andere Seite balancieren konnten.