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Editorial

KATHARINA EVELIN PERSCHAK,
FELIX SCHNIZ: Videospiele und Deutschunterricht.
Eine Beziehung mit Zukunft

 

 

Service

FLORIAN KELLE: Videospiele im Unterricht.
Bibliographische Notizen

Magazin

Kommentar
EDMUND HUDITZ: Künstliche Intelligenz in Apps für den Unterricht

ide empfiehlt
WERNER WINTERSTEINER: Andreas Leben, Alenka Koron (Hg., 2019): Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext

Neu im Regal

 

Einführung und Ermutigung

JAN M. BOELMANN, JANEK STECHEL: Erfahrungsbasiertes Lernen mit Computerspielen in formalen Bildungskontexten

ROMAN MANDELC: Video games in education.
Die rasante Entwicklung von Videospielen als Chance für die interaktive Unterrichtsgestaltung von heute

WENDY ISABEL ZELLING: Die Adoleszenz in Videospielen.
Am Beispiel von Dontnod Entertainments Life Is Strange

FELIX SCHNIZ: Videospiele im pädagogischen Schulalltag.
Fünf Fragen und Antworten für den praktischen Einsatz

Zwischensequenz

STEFAN KÖHLER: Spiele erzählen. Anders.
Über den Umgang mit Computerspielen im Deutschunterricht. Essay

Videospielen im Unterricht begegnen

THOMAS FALLER, FELIX SCHNIZ: Gemeinsames Videospielen als methodische Gesprächsgrundlage nach dem Modell des Klagenfurt Critical Game Lab

EVA IRENE KRASSNITZER: Level One. Methodenvorschläge für einen gelungenen Einstieg in die Thematik und das Medium
Videospiel im Unterricht

GERDA WOBIK: »Ich und Computerspiele haben ein zwiespältiges Verhältnis«. Videospiel als Thema der LehrerInnen-Fortund -Weiterbildung

3 Genres – 3 Spiele – 3 Ideen

STEFAN EMMERSBERGER: Fantasie als Superkraft: The Awesome Adventures of Captain Spirit. Zur Rolle von Fiktion bei der Verarbeitung von Realität

KATHARINA EVELIN PERSCHAK: Interaktive Geschichten erspielen im Unterricht. Das Potential von Walking Simulators am Beispiel Virginia

MARINA WALLNER, THOMAS KUNZE: King for a Day.
Entscheidungskompetenz, Dialogfähigkeit und Wortschatzerweiterung – welche Möglichkeiten das Computerspiel Reigns für den Regelunterricht im Fach Deutsch bietet

Spiele-Kiste

VANESSA ERAT: Assassins’s Creed: Origins

THOMAS HAINSCHO: The Wanderer: Frankenstein’s Creature

THOMAS OGRADNIG: Interdisziplinärer und fächerübergreifender Unterricht durch SimCity BuildIt

MATTHIAS KUNCIC: Ori and the Blind Forest

 

 

 

 

»Videospiele« und »Digitale Medien« in anderen ide-Heften

 

 

ide 1-2019

Deutschunterricht 4.0

ide 1-2018

Literaturvermittlung

ide 4-2016

New Literacies

ide 1-2015

Bewegte Bilder

ide 1-2013

Literale Praxis von Jugendlichen

ide 3-2012

Pubertät

ide 2-2012

Kultur des Sehens

ide 2-2009

Internet

ide 2-2006

Fernsehen

 

 

 

Das nächste ide-Heft

 

 

ide 3-2020

Märchen
erscheint im September 2020

 

 

 

Vorschau

 

 

ide 4-2020

Spracherwerb und Sprachenlernen

ide 1-2021

Interpretieren

 

 

 

https://ide.aau.at

Besuchen Sie die ide-Webseite! Sie finden dort den Inhalt aller ide-Hefte seit 1988 sowie »Kostproben« aus den letzten Heften. Sie können die ide auch online bestellen.

 

 

 

www.aau.at/germanistik/fachdidaktik

Besuchen Sie auch die Webseite des Instituts für GermanistikAECC, Abteilung für Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt:
Informationen, Ansätze, Orientierungen.

Videospiele und Deutschunterricht
Eine Beziehung mit Zukunft

Seit einiger Zeit beschäftigt sich auch der Deutschunterricht mit Videospielen. Diese verspätet eingetretene Beschäftigung kann mit bis heute herrschenden Vorstellungen – um nicht zu sagen Vorurteilen – gegenüber Videospielen zu tun haben. Nach wie vor ist der Diskurs um Videospiele von kritischen Aspekten geprägt, thematisiert werden Gewalt, Suchtverhalten, Ethik und Sexismus. Zu einfach macht es einem die zumeist negative mediale Berichterstattung dabei noch, in Pauschalitäten zu verfallen. Während in den Bereichen Film und Literatur schon lange kritisch-normativ über einzelne Werke und deren pädagogischen, kulturellen (oder eben nicht vorhandenen) Anspruch fachlich kompetent beratschlagt wird, ist »das« Videospiel in der öffentlichen Wahrnehmung entweder »Kinder-« oder »Killerspiel« – und das zu Unrecht! Bei aller berechtigten Kritik, die man einzelnen Videospielen durchaus entgegenbringen kann, gehen wir mit dieser ide bewusst einen anderen, differenzierten Weg: Unser Ziel ist es, das Potential von – in erster Linie narrativen – Videospielen aufzuzeigen.

Videospiele – der Begriff ist im Deutschen nicht ganz so gebräuchlich wie im Englischen – weist schon darauf hin, dass es sich um kein neues Medium handelt. Videospiele traten ihren Siegeszug in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts an und haben sich seitdem als Medium und Kulturgut etabliert. Videospiele als Begriff schließt sowohl Computerspiele als auch Konsolenspiele wie Playstation, Xbox oder Nintendo, Smartphone-Spiele und sogar Virtual-Reality-Spiele mit ein.

Dass SchülerInnen einen wesentlichen Teil der heutigen SpielerInnen ausmachen, wurde bereits in vielen Studien gezeigt. So konstatiert etwa die JIM-Studie 2018 mit 58 % wesentlich mehr regelmäßige – also mehrmals pro Woche – SpielerInnen als LeserInnen (vgl. MPFS 2018, S. 13). Weitere Studien kommen zu ähnlichen Zahlen. Dies ist nicht als Zeichen von abnehmendem Interesse an Geschichten zu sehen, sondern kann als Ressource für den Deutschunterricht genutzt werden, vor allem als Gelegenheit des literarischen Lernens, wie dies mehrere Beiträge in diesem Heft vorführen, und zur Steigerung der Medienkompetenz. Beides liegt im Kompetenzbereich des Deutschunterrichts, der hier besondere Stärken aufweist, und die fächerübergreifende Behandlung bestimmter Spiele bietet sich ebenfalls an: Sei es Geographie und Wirtschaftskunde, Bildnerische Erziehung, Englisch, Geschichte- und Sozialkunde/Politische Bildung oder Informatik – es lohnt sich, ein Spiel aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Auch dazu wollen die Beiträge in diesem Heft anregen. Denn niemand wird als SpielerIn geboren – es ist eine Fähigkeit, die erworben und trainiert werden muss. Nur erledigen dies viele Jugendliche in ihrer Freizeit, der Schule kommt dafür die Rolle zu, den kritisch-analytischen Blick auf Spiele zu vermitteln. Es ist dieses Ausbalancieren von SchülerInneninteressen und Kompetenzvermittlung, das das Arbeiten mit Spielen im Deutschunterricht so reizvoll macht. Unser Ziel ist es, nicht nur die anzusprechen, die sich ohnehin schon für Videospiele interessieren, sondern auch die, die noch nie mit Videospielen zu tun hatten, sich von der großen Auswahl erschlagen fühlen und von ihrem Potential noch keine Vorstellung haben. Besonders ihnen wollen wir Mut und Inspiration vermitteln, sich mit diesem Medium auseinanderzusetzen.

Jan M. Boelmann und Janek Stechel legen den Grundstein für dieses Heft: In ihrem Beitrag widmen sie sich explizit dem pädagogischen Nutzen von Videospielen. Im Zentrum ihrer Überlegungen dabei: eine modellhafte Ergründung der Erfahrungen, die man im Videospiel machen kann, der Reflexionsprozess darüber und die aus Erfahrungen ziehbaren Lehren.

Roman Mandelc’ Beitrag erweitert diese grundlegenden Feststellungen mit einem konkreten Blick auf die Visionen und Potentiale der sich rasant entwickelnden Kulturindustrie Videospiel. Der Autor von Werken wie 111 Gründe, Computerspiele zu lieben (2015) bietet dabei eine weitreichende Übersicht zum Thema kommerzielle Videospiele und spickt diese mit pädagogisch-pragmatisch orientierten Empfehlungen.

Wendy Isabel Zelling widmet sich in ihrem Beitrag einem für den Deutschunterricht seit jeher relevanten Themenkomplex: der Adoleszenz. Coming-of-Age-Romane jedweder Form zählen zum Standardrepertoire der Deutschdidaktik, doch auch hier bieten Videospiele eine aussichtsreiche Zukunftsperspektive. Anhand fundierter Analysen herausragender Fallbeispiele demonstriert sie das Potential der Coming-of-Age-Videospiele.

Felix Schniz hat zahlreiche Fort- und Weiterbildungen für LehrerInnen gehalten. In diesem Artikel beantwortet er die häufigsten Fragen, die ihm zu Videospielen gestellt werden, etwa, warum sich LehrerInnen überhaupt damit beschäftigen sollten, welche Rolle Videospiele im Unterricht einnehmen, wie man sie auswählt und wie Videospielen im Unterricht umgesetzt werden kann.

Gewissermaßen als Scharnier zu den praxisorientierten Teilen des Heftes fungiert der Essay von Stefan Köhler. Er ist Lehrer, Spiele-Autor und Game Designer und beschäftigt sich auch wissenschaftlich mit Videospielen. Aus dieser Position, die so viele Rollen vereint, entstand der Essay, der auf persönliche Weise die Rollen von Erzählen und Erfahren im Video-spiel mit dem Einsatz im Deutschunterricht verbindet.

Einen praktischen und leicht adaptierbaren Vorschlag für den Einbau von Spielen in den Unterricht liefern Thomas Faller und Felix Schniz. Für das Klagenfurt Critical Game Lab, eine Arbeitseinheit zum Thema Videospiel mit Seminarcharakter, entwickelten sie eine didaktische Anleitung zur gemeinsamen Videospielerfahrung. Das Modell ist für alle Altersgruppen sowie jede Art von Themenkomplex adaptierbar und wird hier, zusammen mit einem passenden Arbeitsblatt, geteilt.

Jedes Spiel beginnt mit dem ersten Level. Eva Irene Kraßnitzer übernimmt dies für ihren Beitrag, der zeigen soll, wie man erste Schritte zum Einsatz von Videospielen im Unterricht setzt. Sie bezieht sich dabei auf die Lebensrealität der SchülerInnen und zeigt, wie man von einem ersten Einstieg bis zum Konzipieren eigener Videospiele kommt, ohne dabei die Persönlichkeitsentwicklung und soziale Kompetenzen im Unterricht zu vernachlässigen. Doch Voraussetzung ist, als Lehrerin/Lehrer selbst mitzuspielen.

Gerda Wobik legt den Fokus auf die LehrerInnenfort- und -weiterbildung. Fort- und Weiterbildungen sind ein probates Mittel, um Lehrkräfte an Videospiele heranzuführen, denn sie treffen aktuelle und relevante Themen aus dem unmittelbaren Umfeld der SchülerInnen. In ihrem Artikel zeigt Wobik anhand praktischer, theoriebasierter Übungen, wie man Berührungsängste mit dem Medium überwinden und Videospiele gezielt für literarisches Verstehen und kreativen Schreibunterricht nutzen kann.

In der folgenden Rubrik sind diese Vorschläge sehr praxisnah umgesetzt. Die AutorInnen bieten Unterrichtsideen anhand von drei Spielen:

Stefan Emmersberger beschäftigt sich mit dem Spiel The Awesome Adventures of Captain Spirit. Er analysiert die interaktive Erzählung des Spiels und bearbeitet dessen Potential für literarisches Verstehen. An Maiwald orientiert, zeigt Emmersberger Ziele auf gegenstands- und subjekt be zogener Seite und widmet sich auch den intermedialen Referenzen des Spiels, insbesondere der verwendeten Musik.

Katharina Evelin Perschak erörtert in ihrem Artikel das Potential eines verhältnismäßig jungen Genres von Video spielen, den sogenannten Walking Simulators. Auch wenn viele erfahrene SpielerInnen aufgrund der limitierten Interaktionsmöglichkeiten von diesen Spielen eher irritiert sind, machen sie gerade diese vermeintlichen Schwächen für den Deutschunterricht interessant. Anhand des Spiels Virginia zeigt Perschak, wie man Medien- und literarische Kompetenz verknüpfen kann.

Reigns ist ein Spiel mit minimaler Spielmechanik, aber starken narrativen Elementen, was sich Marina Wallner und Thomas Kunze zunutze machen: Mit ihrem Vorschlag für Unterrichtssequenzen, die das Spiel in den Mittelpunkt stellen, zeigen sie, welche Möglichkeiten auch ein einfaches Smartphone-Spiel mit »Wisch-Mechanik« bietet.

In der letzten Rubrik des Hefts, der »Spiele-Kiste«, finden kurze Empfehlungen für Spiele Platz. Vanessa Erat beleuchtet hier den explizit pädagogischen Anspruch von Videospielen, wie den Entdeckungstour-Modus der bekannten Spielereihe Assassin’s Creed, mit dessen Hilfe man fremde Zeiten und Länder erleben kann.

Dem Literatur vermittelnden Anspruch von The Wanderer: Frankenstein’s Creature, einem Spiel nach dem Roman von Mary Shelley, widmet sich Thomas Hainscho.

Thomas Ogradnig zeigt, wie die App SimCity BuildIt mit ihren Möglichkeiten der digitalen Stadtentwicklung als Schreibimpuls genutzt werden kann. Ori and the Blind Forest ist ein erfolgreiches Jump’n’Run-Spiel des österreichischen Entwicklers Moon Studios. Inwiefern dieses Spiel vor allem zur Vermittlung ästhetischer Erfahrungen geeignet ist, erörtert Matthias Kuncic.

Eine gut sortierte Auswahl an fachdidaktischen und (medien-)pädagogischen Zugängen zum Thema bietet die Bibliographie von Florian Kelle. Wie sich die künstliche Intelligenz in Apps für den Unterricht nutzen lässt, legt Edmund Huditz in seinem Kommentar dar. Die Rezensionen zu aktuellen Publikationen wurden von Werner Wintersteiner und Ursula Esterl verfasst.

KATHARINA EVELIN PERSCHAK FELIX SCHNIZ

Literatur

MPFS (Hg.): JIM-Studie 2018 – Jugend, Information, Medien. Online: https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2018/Studie/JIM2018_Gesamt.pdf [Zugriff: 20.3.2020].

 

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KATHARINA EVELIN PERSCHAK hat Germanistik in Klagenfurt und Bologna studiert. Derzeit arbeitet sie als Universitätsassistentin am Institut für GermanistikAECC der AAU Klagenfurt, Abteilung Fachdidaktik. Sie beschäftigt sich mit Mündlichkeit, Argumentieren und Debattieren, mit LeserInnenforschung sowie (vor-)wissenschaftlichem Lesen und Schreiben.
E-Mail: katharina.perschak@aau.at

FELIX SCHNIZ promoviert am Institut für Anglistik und Amerikanistik der AAU Klagenfurt über die Erfahrungswelten britischer Videospiele. Er ist Studienprogrammleiter des Masterprogramms Game Studies and Engineering und stets daran interessiert, aus und mit Videospielen zu lernen. E-Mail: felix.schniz@aau.at

Verleihung des Friedrich-Preises für Deutschdidaktik 2020
an
Prof. Dr. Thomas Zabka (Universität Hamburg)

Der Friedrich-Preis für Deutschdidaktik 2020 geht an Prof. Dr. Thomas Zabka (Universität Hamburg).

Diesen mit 10. 000 Euro dotierten Preis der Erhard-Friedrich-Stiftung erhält Thomas Zabka für sein beharrliches Forschen zu innovativen Fragestellungen im literaturdidaktischen Diskurs und seinen wegweisenden Beitrag zu einer für deutschdidaktisches Handeln relevanten Theoriebildung. Seine Beiträge zur Fachlichkeit der Literaturdidaktik sind gleichermaßen grundlegend für die Entwicklung des Literaturunterrichts und die Selbstverständigung der Disziplin über ihre Gegenstände; diese verdankt ihm u. a. wichtige Überlegungen zur Dringlichkeit der Aufgabe ästhetischer Bildung auch in einem kompetenzorientierten Deutschunterricht. Thomas Zabkas Vorträge und Publikationen zeichnen sich stets durch tiefe fachwissenschaftliche Fundierung und didaktisch weiterführende Argumentation aus. Gewürdigt wird mit dem Preis aber auch sein Engagement für den Fachverband »Symposion Deutschdidaktik e.V.«, beispielsweise in Zusammenhang mit dem Symposion 2018 in Hamburg, und sein Einsatz für fachpolitische Belange in einer Zeit verstärkter öffentlicher Aufmerksamkeit für die im Deutschunterricht zu erwerbenden Kompetenzen.

Die Preisverleihung findet voraussichtlich am 14. September 2020 an der Universität Hildesheim statt.

 

Für die Jury zur Vergabe des Friedrich-Preises 2020: Ulf Abraham

 

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ide und die Abteilung Fachdidaktik des Instituts für GermanistikAECC der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt gratulieren sehr herzlich!

Jan M. Boelmann, Janek Stechel

Erfahrungsbasiertes Lernen mit Computerspielen in formalen Bildungskontexten

Dieser Beitrag modelliert Computerspielen als erfahrungsbasiertes Lernen, indem der Kreislauf des Erfahrungslernens Kolbs (1984) auf die Möglichkeiten interaktiver Handlungsmedien übertragen wird. Das so entwickelte Modell des erfahrungsbasierten Lernens mit Computerspielen unterscheidet verschiedene Formen von Erfahrungen (Problemerfahrung, Irritationserfahrung, Abwägungserfahrung, Zwangserfahrung, Folgenerfahrung, Emotionale Erfahrung, Narrative Erfahrung und Immersionserfahrung) und daraus zu gewinnende Abstraktionen (Konzeptbildung, Konzeptanpassung, Erweiterung und Bildung von Handlungsschemata, Erweiterung und Bildung von Erwartungsschemata und Selbsterkenntnis). Eine exemplarische Analyse des Computerspiels Papers, Please (Pope 2013) verdeutlicht die spezifische Leistungsfähigkeit des Modells.

Interaktive Bildschirmmedien konstituieren sich durch das Handeln des Spielenden in der Spielwelt. Das Spiel greift diese Handlungen auf und reagiert quasiinteraktiv (vgl. Boelmann 2015, S. 107 ff.): Durch das Wechselspiel von Aktion und Reaktion, aber auch insbesondere durch die kognitiv-aktive Auseinandersetzung mit den narrativen und ludischen Inhalten, der Auswahl von passenden Problemlösestrategien und der Konfrontation mit Konsequenzen des eigenen Handelns eröffnen Computerspiele Erfahrungsräume, deren Reichweite im Folgenden näher untersucht wird. Hierbei stehen die Leitfragen zentral, welcher Status diesen Spielerfahrungen zugeschrieben werden kann und wie sie sich in schulischen Lernsettings nutzen lassen. Insbesondere das schulische Lernen rückt die Ziele des Lernens häufig in den Mittelpunkt und marginalisiert deren Erwerbswege (vgl. Buck 2019, S. 5), Erfahrungslernen steht dem in seiner Ausrichtung auf die im Lernprozess gemachten Erfahrungen entgegen. Die Bedeutung des Lernwegs soll auch durch das hier vorgestellte Modell des erfahrungsbasierten Lernens mit Computerspielen betont werden.

 

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JAN M. BOELMANN ist Professor für Literatur- und Mediendidaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg und Direktor des Zentrums für didaktische Computerspielforschung. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Feldern des literarischen Lernens mit allen Medien und der empirischen Bildungsforschung. E-Mail: jan.boelmann@ph-freiburg.de

JANEK STECHEL ist akademischer Mitarbeiter an der PH Freiburg und dort als Doktorand am Zentrum für didaktische Computerspielforschung tätig. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Implikation von Computerspielen in ethische und philosophische Bildungsprozesse.
E-Mail: janek.stechel@ph-freiburg.de

In diesem Beitrag nähern wir uns dem Begriff Erfahrung von verschiedenen Seiten und nutzen zwei dieser Annäherungen, um die Verbindung von Erfahrungen, Lernen und Computerspielen zu skizzieren. Auf der einen Seite stehen Theorien des Erfahrungslernens (vgl. Kolb 1984; Lewin 1951), die – unter Rückgriff auf Dewey – von einer »intimate and necessary relation« (Dewey 2015, S. 20) zwischen Bildung und Erfahrung ausgehen. Auf der anderen Seite steht reichhaltige Literatur über Computerspiele und die Qualität der in ihnen gemachten Erfahrungen, so definiert Squire Videospiele als »designed experience« (Squire 2006) und Malliet beschreibt »virtual experience« als eine Dimension des Erlebens von Realismus (Malliet 2006). Eine Lücke der bisherigen Forschung stellt jedoch die Verbindung zwischen Erfahrungslernen und Computerspielen dar. Um diesem Desiderat zu begegnen, wird in diesem Beitrag eine Modellierung vorgestellt, die beschreibt, welche Erfahrungen in Computerspielen gemacht werden und zu welchen Abstraktionsformen diese Erfahrungen führen. In diesem Rahmen werden acht verschiedene Erfahrungskategorien entwickelt, die in Computerspielen erlebt werden können, und daran anknüpfend fünf Arten von Abstraktion expliziert, die durch die Erfahrungen initiiert werden.

1. Erfahrungsbegriff und Erfahrungen in Computerspielen

1.1 Computerspielinduzierte Erfahrungen

Der Computerspielkosmos ist reich an semantischen Feldern rund um den Erfahrungsbegriff, der häufig mit zeitlichen Ressourcen gekoppelt wird: Eine erfahrene Spieler*in hat viel Zeit in einem Spiel verbracht, messbare Erfolge erzielt und hiermit einhergehend – sofern im Spiel möglich – viele Erfahrungspunkte erworben. Dieser Blick verwendet eine umgangssprachliche Blickrichtung auf den Erfahrungsbegriff als »erworbene Fähigkeit sicherer Orientierung« (Mittelstraß 2005, S. 361). Im Folgenden soll jedoch eine spezifischere Leseweise im Zentrum stehen, die den initiierenden Charakter von Erfahrungen in den Blick nimmt und sie somit als Erlebnisse versteht, die als Ausgangspunkt einer weiteren Entwicklung fungieren.

Erfahrungen in diesem Sinne zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Aktivität des Individuums voraussetzen, welches sich mit einem Erlebnis auseinandersetzt. Zu betonen ist dabei die Prozesshaftigkeit von Erfahrungen (vgl. Buck 2019, S. XXV), die eingebettet sind in einen größeren Bedeutungsrahmen und einen Zuwachs von »Neuem« bedeuten – zunächst unabhängig davon, was der Inhalt dieses »Neuen« ist. An diesem Punkt wird auch die Frage nach dem Unterschied von Erfahrung und Handlung virulent. Beide überschneiden sich in der Betonung der individuellen Aktivität, jedoch beschränkt sich der Handlungsbegriff auf eine nach außen hin sichtbare Form von Aktivität, während der Erfahrungsbegriff insbesondere kognitive Aktivitäten voraussetzt. Rein mechanisches Tun bietet demgemäß keinen Raum für Erfahrungen in diesem Sinn.

Als nachrangig stellt sich hierbei die Art und Weise des Zugangs zu den Erfahrungen dar, da eine aktive Auseinandersetzung eines Individuums mit seiner Umwelt keiner vorher definierten medialen oder unmittelbaren Vermittlungsform bedarf (vgl. Dewey 2015, S. 43). Vielmehr können vielfältige Anlässe und die aus ihnen resultierenden Reflexionen für das Individuum emotionale oder kognitive Erfahrungen erwirken (vgl. Kolb/Kolb 2009, S. 301; vgl. Kolb/Kolb 2017, S. 42).

Grundlegend für diesen Beitrag ist somit ein weiter Erfahrungsbegriff, der neben der Möglichkeit von individuell erlebten Erfahrungen auch abstrakte Erfahrungen vorsieht: Erfahrungen im hier vorgestellten Sinne sind Erlebnisse, die a) eine – auch geistige – Aktivität beinhalten, b) Konsequenzen haben und c) weitere mentale oder enaktive Folgehandlungen initiieren.

Computerspiele ermöglichen ihren Spielenden Erlebnisse, die den hier vorgestellten Merkmalen von Erfahrung genügen und somit zum Ausgangspunkt erfahrungsbasierten Lernens werden: Erstens erfordern Computerspiele eine Form der Auseinandersetzung, die über ein passives Rezipieren hinausgeht, da für das erfolgreiche Bewältigen eines Computerspiels mindestens eine bewusste oder unterbewusste Wahrnehmung und Adaption des zugrundeliegenden Regelsystems obligatorisch ist. Zweitens bewerten die Regelsysteme eines Computerspiels die Handlungen des Spielenden und geben entsprechende Rückmeldungen an den Spielenden. Hierdurch entsteht ein stetiges Wechselspiel von Aktion und Reaktion, in dem die Spielenden ihre Handlungen interaktiv an die Computerspielaktionen anpassen müssen. Drittens stellen Computerspiele ihre Nutzer*innen vor Probleme, deren Lösung obligatorisch für die Fortführung des Spielerlebens ist: Finden sie keine unmittelbare Lösung für die vom Spiel präsentierten Probleme, ruht das Spiel, was Spielende dazu animiert, sich auch über die unmittelbare Spielsitzung hinaus mit dem Spiel zu befassen (vgl. Sicart 2009, S. 73).

Diese grundlegende Feststellung, dass Computerspiele überhaupt Erfahrungen ermöglichen, muss jedoch um die Perspektive erweitert werden, welche Spezifika diesen Erfahrungen zugeschrieben werden können.

1.2 Faktoren lernförderlicher Erfahrungen

Wenngleich jeder Erfahrung ein Lernpotenzial innewohnt, hat Dewey (2015, S. 44) zwei zentrale Faktoren für das Gelingen von erfahrungsbasierten Lernprozessen benannt, die insbesondere auch für den Einsatz von Computerspielen im Bildungskontext als Leitlinie gelten können: Der bildende Wert einer Erfahrung liege erstens in der Ermöglichung von Kontinuität begründet, was die Befähigung zu weiteren wünschenswerten Erfahrungen in der Zukunft (ebd., S. 27) umfasst, und zweitens in der Herstellung eines gelungenen Gleichgewichts zwischen inneren und äußeren Bedingungen (ebd., S. 42). Wird kein Einklang zwischen diesen beiden Punkten erreicht, entstehen sogenannte defektive Erfahrungen, denen kein nachhaltiges Lernpotenzial innewohnt. In Hinblick auf das schulische Lernen seiner Zeit konstatierte Dewey: »[T]he central problem of an education based upon experience is to select the kind of present experiences that live fruitfully and creatively in subsequent experiences.« (Ebd., S. 27 f.) Zentrale Probleme ergeben sich somit bei der Auswahl und der Passung von Erfahrungsräumen in Bildungskontexten, die zudem unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren zum Einsatz gebracht werden müssen.

Der Blick auf diese beiden Anforderungen offenbart das besondere Potenzial von Computerspielen in Bildungskontexten, da sie sie Erfahrungen bereitstellen, die den hier genannten Faktoren besonders gut entsprechen. So generieren Computerspiele durch die Ermöglichung von Interaktion mit simulierten Umgebungen eine besondere Nähe zu realen Erfahrungen (vgl. Fromme/Jörissen/Unger 2008, S. 4) und können »situiertes Lernen« (vgl. Gee 2007, S. 84; Le/Weber/Ebner 2013; Meier/Seufert 2003, S. 15) fördern, indem sie authentische Probleme bereitstellen. Auf diese Weise werden Computerspielerfahrungen zu fruchtbaren Erfahrungen, die die Grundlage für weitere Erfahrungen inner- und außerhalb von Computerspielen bilde. Gleichzeitig ist gerade die Interaktivität ein Schlüssel, um sowohl die personellen Bedingungen der Lernenden als auch die äußeren Bedingungen der Lernsituation in Einklang zu bringen, indem der Lernende das Spiel auf seine Weise in seinem Tempo erkundet. Computerspiele passen sich besonders gut an den Kenntnisstand und die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler an und verhindern damit Über- oder Unterforderung.

Vor diesem Hintergrund kann davon gesprochen werden, dass Computerspielerfahrungen sowohl eine Grundlage für weitere Erfahrungen bieten können als auch das Potenzial besitzen, zwischen personellen und situativen Faktoren einer Lernsituation zu vermitteln. Um nun diese Erfahrungen näher zu beleuchten, wird im folgenden Kapitel das Modell zum erfahrungsbasierten Lernen mit Computerspielen vorgestellt.

2. Erfahrungsbasiertes Lernen mit Computerspielen

Da bislang eine Übertragung von Konzepten des Erfahrungslernens auf den Bereich des Computerspiels fehlt, wird in diesem Kapitel eine Brücke zwischen diesen beiden Bereichen geschlagen und eine Perspektive auf den Schulkontext geworfen. Einen ersten Anhaltspunkt für die Verbindung von Erfahrungslernen mit Computerspielen bieten die Gedanken von Kolb und Kolb (2017, S. 295), die die besondere Bedeutung des Spiels im Allgemeinen für das Erfahrungslernen herausstellen. Dabei sind es die besonderen Eigenschaften des Spiels im Allgemeinen, die es für das Erfahrungslernen interessant werden lassen: So sind die Lernenden im Spiel bereits intrinsisch motiviert, die Handlung fortzusetzen, gleichzeitig gibt das Spiel weder dem (Lern-)Prozess noch dem (Lern-)Ergebnis den Vorzug gegenüber dem jeweils anderen. Darüber hinaus verfügt das Spiel selbst über eine rekursive Natur, was den mehrfachen Durchlauf durch den Erfahrungskreislauf begünstigt. Diese dem Spiel innewohnenden begünstigenden Potenziale für das Erfahrungslernen gelten in der gleichen Weise für das Computerspiel.

2.1 Der Experiential Learning Cycle

Als Ausgangspunkt für das hier entwickelte Modell von Erfahrungslernen mit Computerspielen dient der von Kolb (1984) entwickelte Experiential Learning Cycle. Dieser bestimmt, bezugnehmend auf Lewin (1951), Dewey (2015) und Piaget (1951), vier Lernmodi, die im Erfahrungslernen involviert sind: Erstens die konkreten Erfahrungen, die als Ausgangspunkt für die weiteren Schritte des Kreislaufes dienen. Zweitens die reflektierende Beobachtung, die ein mentales Operieren mit den gemachten Erfahrungen beinhaltet. Drittens die Abstraktion, in deren Rahmen die vorherigen Reflexionen gefiltert werden und die einen weiteren Handlungsraum eröffnen. Viertens schließlich das aktive Experimentieren mit den aus der vorangegagenen Abstraktion gewonnenen Erkenntnissen.

Grundsätzlich kann dieser Zyklus mehrfach durchlaufen werden und eröffnet so durch das aktive Experimentieren Raum für weitere Erfahrungen. Der mehrfache Durchlauf durch den Lernzyklus gleicht damit einer spiralförmigen Bewegung und wird durch eine Spannung (»Creative Tension«; Kolb/Kolb 2017, S. 298) zwischen den einzelnen Schritten ausgelöst, die das Voranschreiten im Zyklus begünstigt. Der erste und der dritte Schritt des Kreislaufs werden von Kolb/Kolb als »modes of grasping experience« (ebd.) definiert, während der zweite und vierte Schritt als »modes of transforming experience« (ebd.) beschrieben werden. Diese Einteilung beschreibt die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den verschiedenen Schritten. So zeichnen sich die konkreten Erfahrungen und die Abstraktion dadurch aus, dass sie dem Erfassen und Begreifen (»prehension«; Kolb 1984, S. 43) der Erfahrungen gewidmet sind. Die reflektierende Beobachtung und das aktive Experimentieren hingegen transformieren die gemachten Erfahrungen bereits, indem sie diese gewissermaßen in andere Aggregatzustände übertragen, entweder durch innere Reflexion oder Manipulation der Welt (vgl. ebd., S. 41).

2.2 Adaption des Lernkreislaufes

Für die Adaption des Lernkreislaufes treten vor allem die Fragen in den Vordergrund, welcher Art die in Computerspielen gemachten Erfahrungen sind und wie sich die entsprechenden Abstraktionen begreifen lassen. Zu diesem Zweck werden an dieser Stelle die vier Schritte des Zyklus unter Berücksichtigung des neuen Erfahrungsraumes expliziert. Abbildung 1 zeigt den Lernkreislauf mit seinen vier Schritten als Grafik: Die Pfeile zwischen den Teilen deuten den Weg gelungenen Erfahrungslernens an, während die gestrichelten Pfeile einen in der Praxis häufig vorkommenden unvollständigen Durchlauf durch den Zyklus andeuten, dieses Phänomen wird in Abschnitt 2.3 näher erläutert. Durch den in sich geschlossenen Kreislauf wird deutlich, dass der mehrfache Durchgang hier der Regel entspricht, wobei vorangegangene Erfahrungen dabei die Basis für nachfolgende Erfahrungen konstituieren.

Abb. 1: Spirale des Erfahrungslernens mit Computerspielen

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Das aktive Experimentieren stellt den Ausgangspunkt des erfahrungsbasierten Lernens mit Computerspielen dar. Es beinhaltet die direkte Konfrontation mit dem Spiel und damit das unmittelbare Spielerlebnis, jedoch ist hiermit kein ungeleitetes, ziel- oder planloses Hantieren gemeint, sondern vielmehr liegt der Fokus auf der Erkundung einer bestimmten Spielsituation, gerahmt durch einen Unterrichtskontext, der den Schülerinnen und Schülern einen Handlungsrahmen bereitstellt. Spielintern geschieht dies zumeist durch einen Arbeitsauftrag oder eine Problemstellung, die zugleich einen Rahmen für die Problemlösung aufspannen. Somit stellt das aktive Experimentieren die Grundlage für die folgenden Erfahrungen dar, indem hier die situationsrelevante Umwelt erkundet wird.

Unter konkreten Erfahrungen im Sinne eines erfahrungsbasierten Lernens mit Computerspielen werden abgrenzbare Spielerfahrungen verstanden, sodass die Erfahrung an einem gewissen Punkt im Spielverlauf auftritt und zeitlich eng begrenzt ist. Eine längere Spielsitzung setzt sich somit vielmehr aus einer Menge unterschiedlicher Erfahrungen zusammen, die jeweils Reflexion und Abstraktion verursachen. Die Erfahrungen, die Computerspiele auslösen, lassen sich in acht Kategorien unterteilen:

Problemerfahrung: Die dem Spielenden bekannten Handlungsschemata sind nicht erfolgreich bei der Lösung eines Problems.

Irritationserfahrung: Eine vom Spielenden ausgeführte Handlung hat andere als die erwarteten Folgen.

Abwägungserfahrung: Dem Spielenden liegt eine Situation vor, in der er aus mehreren möglichen, einander ausschließenden Handlungsalternativen wählen muss.

Zwangserfahrung: Dem Spielenden wird ein Handlungsspielraum entzogen, den er zuvor hatte und gegebenenfalls anschließend zurückerhält.

Folgenerfahrung: Eine dem Spielenden bisher unbekannte Handlung wird von ihm ausgeführt, diese erzeugt Konsequenzen, die dem Spielenden zum Zeitpunkt des Handelns unbekannt waren.

Emotionale Erfahrung: Eine im Spiel ausgeführte Handlung erzeugt Emotionen beim Spielenden.

Narrative Erfahrung: Der Spielende erlebt sich als Handelnder in einer vom Computerspiel erzählten Geschichte.

Immersive Erfahrung: Der Spielende erlebt sich selbst als Teil des durch das Computerspiel entfalteten Erfahrungsraumes.

Alle Erfahrungen lassen sich als Selbsterfahrung begreifen, da sie dem Handelnden stets etwas über ihn selbst vermitteln. Quer zu diesen Kategorien stehen Erfahrungen fach- bzw. domänenspezifischer Art. Neben den genannten Erfahrungskategorien stehen also beispielsweise mathematische oder physikalische Erfahrungen, die den Charakter derselben näher definieren.

Dieser Zusammenhang ließe sich in einem tabellarischen Raster ausdrücken, das Erfahrungen in die genannten übergreifenden Erfahrungskategorien einsortiert und gleichzeitig die fachliche Dimension herausstellt (vgl. Tabelle 1). Damit ließe sich nicht nur allgemein von einer Problemerfahrung sprechen, sondern beispielhaft fachspezifisch von mathematischen oder physikalischen Problemerfahrung. Je nach Zahl der betrachteten Domänen vervielfachen sich demgemäß auch die möglichen Erfahrungen.

Die reflektierende Beobachtung nimmt bereits Abstand vom unmittelbaren Spielgeschehen und beginnt erst, wenn automatisierte Handlungsweisen, über die ein Spieler verfügt, an ihre Grenzen stoßen oder wenn der Spielprozess unterbrochen ist. Wesentliches Merkmal der reflektierenden Beobachtung ist die Bewusstwerdung der zuvor gemachten Erfahrungen: Der Spielende wird sich an dieser Stelle zunächst darüber klar, dass etwas mit ihm geschehen ist, das über rein immersives Spielerleben hinausgeht. Dieser Vorgang lässt sich unter Rückgriff auf die Schema-Theorie von Douglas und Hargadon (2000) erfassen; dieser Theorie zufolge beginnt die kritische Rezeption eines Textes, wenn durch ihn viele unterschiedliche oder widersprüchliche Schemata angesprochen werden, ein Text hingegen, der nur wenige Schemata anspricht, führt zu einem tiefen Immersionserleben (vgl. Pietschmann 2017, S. 72). Erlebt der Spielende eine starke Immersion, kann die reflektierende Beobachtung somit erst nach dem eigentlichen Spielen beginnen.

Tab. 1: Kategorien des Erfahrungslernens im Fokus fachspezifischer Domänen

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Es ist nicht verwunderlich, dass es besonders Brüche im Spielfluss sind, die für das erfahrungsbasierte Lernen interessant werden. Diese Unterbrechungen im Spielverlauf führen zu einer kritischen Auseinandersetzung, weil sie jenes mechanische Tun verhindern, das zwar für Immersion sorgt, aber in gleichem Maß Erfahrungsräume schließt. Erst die Entstehung einer kritischen Distanz zum Spielgeschehen ermöglicht die oben beschriebenen Erfahrungen und damit reflektierende Beobachtungen. Im noch fehlenden Schritt des Kreislaufes, der Abstraktion, können die verschiedenen Kategorien von Erfahrungen über eine Reflexion zu unterschiedlichen Formen der Abstraktion führen.

Es lassen sich fünf Arten von Abstraktionen unterscheiden, die durch Computerspielerfahrungen hervorgerufen werden:

Konzeptbildung: Die Erfahrung führt dazu, dass dem Spielenden neue mentale Kategorien, Begriffe und Konzepte zur Verfügung stehen.

Konzeptanpassung: Die Erfahrung führt dazu, dass die mentalen Kategorien, Begriffe und Konzepte, über die der Spielende verfügt, angepasst werden.

Erweiterung und Bildung von Handlungsschemata: Die Erfahrung führt dazu, dass der Spielende neue Strategien entwickelt, um mit verschiedenen Situationen umzugehen.

Erweiterung und Bildung von Erwartungsschemata: Die Erfahrung führt dazu, dass der Spielende Konsequenzen eigenen Handelns erfährt.

Selbsterkenntnis: Die Erfahrung führt dazu, dass der Spielende etwas über sich selbst erfährt, indem ihm etwa seine Einstellungen und Überzeugungen zu einem bestimmten Thema bewusst werden.

Der Erfahrungszyklus schließt sich in einem weiteren Übergang zum aktiven Experimentieren, dieser Schritt ist dabei keinesfalls als ein Zurück zu verstehen. Vielmehr geschieht der erneute Durchlauf durch den Zyklus auf der Grundlage der bereits gesammelten Erfahrungen und daraus gewonnenen Abstraktionen (vgl. Kolb 1984, S. 28), was für den Lernenden ein Fortschreiten bedeutet.

2.3 Erfahrungslernen mit Computerspielen in der Schule

Bezogen auf ein unterrichtliches Vorgehen, das das Erfahrungslernen mit Computerspielen fokussiert, ist zwischen den konkreten Erfahrungen und den übrigen drei Teilen des Zyklus zu differenzieren. Während die konkrete Erfahrung in hohem Maße individualisiert geschieht und sich damit einer Steuerung entzieht, können die übrigen Elemente zwar individuell stattfinden, lassen sich aber auch in Gruppen erfahren.

Lernende und Lehrende können keine Erfahrungen stellvertretend für andere machen, Erfahrungen sind deshalb notwendigerweise dem Erfahrenden je eigen. Für den Unterricht birgt dies die Schwierigkeit, dass Erfahrungen weder vorweggenommen noch erzwungen werden können. Die Aufgabe des Unterrichts besteht dementsprechend in der Öffnung von Erfahrungsräumen, ohne dass ein Anspruch auf Vollzug bestünde. Zugleich lassen sich Lernarrangements anlegen, die es vermögen, den Erwerb von Erfahrungen wie auch die beiden letzten Schritte des Zyklus zu fördern. Die Grundlage hierfür stellt – wie in jeder unterrichtlichen Lernsituation – die Wahl eines für Lerngruppe und Lernziel geeigneten Gegenstands dar, wobei für das lernzielorientierte Erfahrungslernen insbesondere Spiele geeignet sind, die die Übernahme spezifischer Rollen oder die Konfrontation mit Konfliktsituationen ins Zentrum stellen.

In der konkreten Unterrichtssituation muss die Lehrkraft entsprechend darauf achten, Räume für das aktive Experimentieren bereitzustellen und anschließend methodisch die Phasen der Reflexion und Abstraktion anzuregen. Hierbei kommt dem »Debriefing« eine zentrale Stellung zu, dessen Bedeutung in der Literatur vielfach hervorgehoben wird (vgl. Garris/Ahlers/Driskell 2002, S. 454): Aufgabe dieses Schrittes ist die Rückschau, Besprechung und Analyse von Ereignissen, die während des Spielens aufgetreten sind. Auf diesem Weg wird das Spielerleben in der realen Welt verankert: »Debriefing provides a link between what is represented in the simulation/gaming experience and the real world.« (Ebd.)

Problemfelder ergeben sich dann, wenn die Lernenden einen verkürzten Kreislauf durchlaufen (in der Abbildung durch gestrichelte Pfeile angedeutet). Dies geschieht zumeist, wenn das aktive Experimentieren und die konkrete Erfahrung mit großer innerer Distanz durchlaufen werden und damit keine Reflexion eingeleitet wird. Doch auch nach erfolgreicher Reflexion muss nicht zwangsläufig eine Abstraktion erfolgen. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Erfahrung für den Lernenden zu trivial war und keine der beschriebenen Abstraktionsformen eintritt. Liegt eine defektive Erfahrung vor (vgl. Abschnitt 1.2), etwa wenn innere Bedingungen des Lernenden nicht mit äußeren Faktoren der Lernsituation korrespondieren, führt dies ebenfalls zu einem unvollständigen Durchlauf durch den Zyklus. Eine weitere Aufgabe des Unterrichts ist es diesen Überlegungen zufolge, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Reflexion und Abstraktion fördern.

Abb. 2: Screenshot aus Papers, Please (Pope 2013)

Illustration

3. Erfahrungslernen am Beispiel Papers, Please

Das hier dargestellte Modell kann als analytisches Werkzeug zur Untersuchung der durch Computerspielerfahrungen initiierten Lernprozesse dienen. Die Analyse eines Spiels auf die beschriebenen Erfahrungskategorien und Abstraktionen hin hilft dabei, die Verortung der eigenen Lehrziele im Spiel zu überprüfen. Wie ein solche Analyse erfolgen kann, soll im Folgenden am Beispiel des Spiels Papers, Please (Pope 2013) erläutert werden.

In Papers, PleaseApprovedDeniedformellAbb. 2