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Die Autorinnen

Prof. Dr. Tina In-Albon, Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität Koblenz-Landau. Leitung der Landauer Psychotherapie-Ambulanz für Kinder und Jugendliche und des Studiengangs zur Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Universität Koblenz-Landau.

Prof. Dr. Hanna Christiansen, Professur für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Philipps-Universität Marburg; Leiterin der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie-Ambulanz Marburg (KJ-PAM) sowie des Kinder- und Jugendlichen-Instituts für Psychotherapie-Ausbildung Marburg (KJ-IPAM).

Prof. Dr. Christina Schwenck, Professur für Förderpädagogische und Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, Justus-Liebig-Universität Gießen. Leiterin der postgradualen Ausbildung Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie.

Tina In-Albon
Hanna Christiansen
Christina Schwenck

Verhaltenstherapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Vom Erstgespräch zur Therapieplanung

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035653-5

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-035654-2

epub:     ISBN 978-3-17-035655-9

mobi:     ISBN 978-3-17-035656-6

Reihenvorwort

 

 

 

Klinische Psychologie und Psychotherapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Verhaltenstherapeutische Interventionsansätze

Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter sind weit verbreitet und ein Schrittmacher für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Erwachsenenalter. Für einige der für das Kindes- und Jugendalter typischen Störungsbereiche liegen empirisch gut abgesicherte Behandlungsmöglichkeiten vor. Eine Besonderheit in der Diagnostik und Therapie von Kindern mit psychischen Störungen stellt das Setting der Therapie dar. Dies bezieht sich sowohl auf den Einbezug der Eltern als auch auf mögliche Kontaktaufnahmen mit dem Kindergarten, der Schule, der Jugendhilfe usw. Des Weiteren stellt die Entwicklungspsychopathologie für die jeweiligen Bände ein zentrales Kernthema dar.

Ziel dieser neuen Buchreihe ist es, Themen der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie in ihrer Gesamtheit darzustellen. Dies umfasst die Beschreibung von Erscheinungsbildern, epidemiologischen Ergebnissen, rechtliche Aspekte, ätiologische Faktoren bzw. Störungsmodelle, sowie das konkrete Vorgehen in der Diagnostik unter Berücksichtigung verschiedener Informanten und das konkrete Vorgehen in der Psychotherapie unter Berücksichtigung des aktuellen Wissenstandes zur Wirksamkeit.

Die Buchreihe besteht aus Bänden zu spezifischen psychischen Störungsbildern und zu störungsübergreifenden Themen. Die einzelnen Bände verfolgen einen vergleichbaren Aufbau wobei praxisorientierte Themen wie Fallbeispiele, konkrete Gesprächsinhalte oder die Antragsstellung durchgehend aufgenommen werden.

Tina In-Albon (Landau)

Hanna Christiansen (Marburg)

Christina Schwenck (Gießen)

Die Herausgeberinnen der Reihe

Prof. Dr. Tina In-Albon, Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität Koblenz-Landau. Leitung der Landauer Psychotherapie-Ambulanz für Kinder und Jugendliche und des Studiengangs zur Ausbildung in Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Universität Koblenz-Landau.

Prof. Dr. Hanna Christiansen, Professur für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Philipps-Universität Marburg; Leiterin der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie-Ambulanz Marburg (KJ-PAM) sowie des Kinder- und Jugendlichen-Instituts für Psychotherapie-Ausbildung Marburg (KJ-IPAM).

Prof. Dr. Christina Schwenck, Professur für Förderpädagogische und Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, Justus-Liebig-Universität Gießen. Leiterin der postgradualen Ausbildung Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie.

Inhalt

 

 

 

  1. Reihenvorwort
  2. Vorwort
  3. Einführung
  4. Teil 1
  5. 1   Geschichte der Verhaltenstherapie mit dem Blick auf Kinder und Jugendliche
  6. 1.1   Definition Verhaltenstherapie
  7. 1.2   Überprüfung der Lernziele
  8. 2   Theoretische Herleitungen der Verhaltenstherapie
  9. 2.1   Klassische Konditionierung
  10. 2.2   Operante Konditionierung
  11. 2.3   Sozial-kognitives Lernen
  12. 2.4   Lerntheoretische Modelle zur Ätiologie psychischer Störungen
  13. 2.5   Überprüfung der Lernziele
  14. 3   Entwicklungspsychologie
  15. 3.1   Lernprozesse
  16. 3.2   Kognitive Grundfunktionen
  17. 3.3   Emotionale Grundfunktionen
  18. 3.4   Soziale Grundfunktionen
  19. 3.5   Überprüfung der Lernziele
  20. 4   Entwicklungspsychopathologie
  21. 4.1   Risikofaktor
  22. 4.2   Vulnerabilität
  23. 4.3   Ressourcen
  24. 4.4   Schutzfaktoren
  25. 4.5   Kompensationsfaktoren
  26. 4.6   Resilienz
  27. 4.7   Sensible Phasen
  28. 4.8   Entwicklungsaufgaben
  29. 4.9   Kontinuität
  30. 4.10 Differenzielle Suszeptibilität
  31. 4.11 Überprüfung der Lernziele
  32. 5   Psychotherapie
  33. 5.1   Allgemeine Wirkfaktoren
  34. 5.2   Überprüfung der Lernziele
  35. 6   Psychotherapieforschung
  36. 6.1   Warum überhaupt Psychotherapieforschung?
  37. 6.2   Methodische und inhaltliche Aspekte von Psychotherapieforschung
  38. 6.2.1   Fragen und Paradigmen der Psychotherapieforschung
  39. 6.2.2   Wie beurteilt man die Wirksamkeit einer Psychotherapie?
  40. 6.2.3   Reviews und Metaanalysen
  41. 6.2.4   Methodische Probleme in der Psychotherapieforschung
  42. 6.3   Ergebnisse von Psychotherapieforschung im Kindes- und Jugendalter
  43. 6.4   Leitlinien
  44. 6.4.1 Wie kommen die Leitlinien zustande?
  45. 6.4.2 Wie sind die Empfehlungen in den Leitlinien zubewerten?
  46. 6.4.3   Rechtliche Verbindlichkeit von Leitlinien
  47. 6.5   Überprüfung der Lernziele
  48. Teil 2
  49. 7   Ethische Grundprinzipien
  50. 7.1 Paternalismus-Debatte
  51. 7.2   Überprüfung der Lernziele
  52. 8   Gesprächsführung
  53. 8.1   Motivierende Gesprächsführung
  54. 8.2   Therapeutische Beziehung
  55. 8.3   Überprüfung der Lernziele
  56. 9   Erstkontakt
  57. 9.1   Sprechstunde
  58. 9.2   Akutbehandlung
  59. 9.3   Erstgespräch
  60. 9.3.1   Anamnese
  61. 9.3.2   Psychopathologischer Befund
  62. 9.4   Abklärung von Suizidalität
  63. 9.4.1   Fragen zur Abklärung von Suizidalität
  64. 9.4.2   Vorgehen bei akuter Suizidalität
  65. 9.5   Probatorik
  66. 9.6   Überprüfung der Lernziele
  67. 10 Diagnostischer Prozess
  68. 10.1 Kategoriale Diagnostik:
  69. 10.2 Dimensionale Diagnostik
  70. 10.2.1 Störungsübergreifende Verfahren
  71. 10.2.2 Störungsspezifische Instrumente
  72. 10.3 Fragebögen – störungsspezifisch
  73. 10.4 Intelligenzdiagnostik
  74. 10.5 Verhaltens- und Selbstbeobachtung
  75. 10.6 Rückmeldung diagnostischer Ergebnisse
  76. 10.6.1 Äußere Rahmenbedingungen
  77. 10.6.2 Befunde mitteilen
  78. 10.6.3 Fazit aus Befunden ziehen
  79. 10.6.4 Plausibles Störungsmodell
  80. 10.7 Überprüfung der Lernziele
  81. 11 Fallkonzeptualisierung
  82. 11.1 Bausteine der Fallkonzeptualisierung
  83. 11.1.1 Zusammenfassung der Ergebnisse der psychometrischen Diagnostik
  84. 11.1.2 Verhaltensanalysen
  85. 12.1.3 Die Mikroanalyse
  86. 11.1.4 Plananalyse
  87. 11.1.5 Makroanalyse
  88. 11.2 Behandlungsplanung
  89. 11.2.1 Voraussetzungen und Rahmenbedingungen
  90. 11.2.2 Festlegen von Therapiezielen
  91. 11.2.3 Auswahl geeigneter Methoden
  92. 11.2.4 Schwerpunktsetzung der Therapie
  93. 11.3 Fallbeispiel
  94. 11.4 Überprüfung der Lernziele
  95. 12 Therapieanträge
  96. 12.1 Kurzzeitanträge
  97. 12.2 Langzeittherapieanträge – lästige Pflicht oder Möglichkeit der Reflektion?
  98. 12.3 Anträge aus Sicht eines Gutachters
  99. 12.4 Leitfaden zum Erstellen des Berichts an die Gutachterin oder den Gutachter
  100. 12.4.1 Hinweise zum Erstellen des Berichts zum Erst-, Umwandlungs- oder Fortführungsantrag
  101. 12.4.2 Bericht zum Erst- oder Umwandlungsantrag
  102. 12.4.3 Rezidivprophylaxe
  103. 12.5 Überprüfung der Lernziele
  104. Literaturverzeichnis
  105. Stichwortverzeichnis
  106. Anhang
  107. A   Erstgesprächsleitfaden mit Beispiel
  108. B   Standardarbeitsanweisung zur Erfassung von Suizidalität im diagnostischen Prozess
  109. C   Notfall Vorgehen bei Suizidalität
  110. D   Therapieantrag: LZT
  111. E   Therapieantrag: Fortführungsantrag (FF1)
  112. F   Therapieantrag: Umwandlungsantrag auf Verhaltenstherapie (LZT)
  113. Online-Zusatzmaterial: Hinweise und Übersicht

Vorwort

 

 

 

Kinder mit psychischen Störungen können mit Verhaltenstherapie gut behandelt werden. Für eine erfolgreiche Behandlung ist eine sorgfältige diagnostische Abklärung und Therapieplanung Voraussetzung. Dieser Prozess vom Erstkontakt mit dem Kind und den Bezugspersonen bis zur Therapieplanung wird im vorliegenden Band beschrieben. Neben theoretischen Grundlagen der Verhaltenstherapie und dem aktuellen Stand zur Psychotherapieforschung im Kindes- und Jugendalter werden zudem praktische Hinweise zur Erstellung von Therapieanträgen gegeben. Unser Anspruch dabei entspricht dem an die gesamte Reihe: dass ein hoher wissenschaftlicher Standard kombiniert wird mit praktischen Anleitungen.

Dieser einführende Band gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil umfasst den theoretischen Hintergrund der Verhaltenstherapie, Aspekte der Entwicklungs- und Entwicklungspsychopathologie, den diagnostischen Prozess sowie Psychotherapie bzw. Psychotherapieforschung.

Im zweiten Teil wird anwendungsbezogen auf Erstkontakt, Sprechstunde, Probatorik, Diagnostikrückmeldung und Therapieanträge eingegangen.

An dieser Stelle möchten wir noch eine Bemerkung zum Sprachgebrauch vorwegnehmen. Wir verwenden die weibliche Geschlechterbezeichnung, schließen dabei aber selbstverständlich jegliches Geschlecht mit ein. Mit dem Begriff »Kinder« wird sowohl auf Kinder als auch Jugendliche verwiesen. Wenn der Verweis spezifisch für eine Altersgruppe ist, wird explizit darauf hingewiesen.

Wir danken an dieser Stelle den Patientinnen, deren Familien, den Therapeutinnen in Ausbildung und Supervisandinnen, unseren Mitarbeiterinnen in den Ambulanzen und Weiterbildungsstudiengängen und Frau Grupp vom Kohlhammer Verlag für die gute Zusammenarbeit. Wir hoffen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen mit diesem Buch sowohl theoretisch fundierte Grundlagen als auch das praktische Vorgehen anschaulich vermitteln zu können.

Landau, Marburg, Gießen, im Frühjahr 2020

Tina In-Albon, Hanna Christiansen, Christina Schwenck

Einführung

 

 

 

Der vorliegende Band ist in zwei Teile aufgeteilt. Der erste Teil umfasst die Geschichte der Verhaltenstherapie mit Blick auf Kinder und Jugendliche, die theoretische Herleitung der Verhaltenstherapie mit den Grundlagen der klassischen und operanten Konditionierung und des sozial-kognitiven Lernens sowie lerntheoretische Ätiologie-Modelle. Weiter werden die Grundzüge der Entwicklungspsychologie und -psychopathologie dargestellt. Der erste Teil schließt ab mit einem Kapitel zur Psychotherapieforschung und daraus abgeleitet der Darstellung von Psychotherapieleitlinien.

Der zweite Teil beginnt mit den ethischen Grundprinzipien der Psychotherapie und leitet über zum praktischen Vorgehen in der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen. Fokussiert wird auf Themen wie Gesprächsführung, Erstkontakt und Probatorik mit Erhebung der Eigen- und Sozialanamnese sowie des psychopathologischen Befundes. Dafür werden den Leserinnen verschiedene Fallbeispiele zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der Probatorik gilt es, den diagnostischen Prozess einzuleiten. Dieser, sowie die verschiedenen Verfahren, die zur Anwendung kommen können, werden ausführlich dargestellt und mit Beispielen aus der Praxis veranschaulicht. Berücksichtigung findet dabei auch die Abklärung von Suizidalität. Der Band schließt ab mit Kapiteln zur Fallkonzeptualisierung und Behandlungsplanung. Auch diese Kapitel wurden möglichst praktisch verfasst und mit vielen Beispielen angereichert. Am Ende finden sich verschiedene Beispiele für Therapieanträge inklusive der Sicht von Gutachterinnen auf diese.

Zusätzliche Online-Materialien (weitere Beispielanträge sowie einige Mustervorlagen z. B. für einen Anamnesebogen) finden Sie als Download auf der Webseite des Verlags (image Online-Zusatzmaterial: Hinweise und Übersicht)

Teil 1

1          Geschichte der Verhaltenstherapie mit dem Blick auf Kinder und Jugendliche

Lernziele

•  Sie kennen den kleinen Albert und die ethischen Aspekte sowie die Relevanz des Experiments für die Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters.

•  Sie kennen die Grundprinzipien der Verhaltenstherapie.

Lightner Witmer gründete 1896 in den USA die erste »Psychologische Klinik«. Zuvor hatte er bei dem Persönlichkeitspsychologen Raymond Cattell und bei Wilhelm Wundt, dem Gründer des ersten Instituts für experimentelle Psychologie, studiert. In der Klinik beobachtete er Kinder, die Lernschwächen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Die Kinder besuchten mehrheitlich öffentliche Schulen in Philadelphia und Umgebung und wurden entweder von ihren Eltern oder Lehrerinnen in die Klinik gebracht. Die Klinik war insofern neu und bedeutsam, weil mit psychologischen Mitteln versucht wurde, Kindern mit Schulproblemen zu helfen. Häufig auftretende Schwierigkeiten waren z. B. Sprachprobleme, Schlafstörungen, Verhaltensstörungen, Hyperaktivität und Schulverweigerung. Jedes Kind wurde bei Aufnahme auf Geist und Körper untersucht. Die angewandten Methoden in der Klinik waren verhaltenstherapeutisch, und Witmers Ansatz war es, Informationen für die Kinder so zu vereinfachen, dass diese verständlich waren. Zudem gründete er 1897 die Zeitschrift »Clinical Psychology«, die erste wissenschaftliche Zeitschrift in der Psychologie. Eine Besonderheit bestand darin, dass die Zeitschrift Studien mit Kindern aufnahm. In seinem Artikel zur Erstausgabe stellte Witmer seine Idee vor, dass alle Kinder (klug oder intelligenzgemindert) mit Unterstützung ihr volles Potenzial erreichen könnten.

Ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen waren 1924 die Veröffentlichungen von Mary Cover Jones. Jones war eine Schülerin von Watson, der 1920 die berühmt-berüchtigten Konditionierungsexperimenten am »kleinen Albert« (image Kasten) (Watson & Rayner, 1920) durchführte. Die von Watson beschriebenen Methoden zur Rekonditionierung und Beseitigung von Ängsten wurden von Cover Jones in der Behandlung des »kleinen Peters« angewendet.

Die Geschichte des kleinen Peter ist der erste Fall der Verhaltenstherapie, dessen Behandlungsgeschichte bekannt ist (Pongratz, 1973). Peter war ein fast drei Jahre alter Junge mit einer starken Angst vor Kaninchen, Ratten, Pelzmänteln, Federn und Baumwolle. Am stärksten ausgeprägt war seine Angst vor Kaninchen. Zunächst bestand die Behandlung darin, ihn mit einem Kaninchen zu konfrontieren. Da dieses Vorgehen nicht zur gewünschten Angstreduktion führte, bekam Peter in Anwesenheit des Kaninchens jedes Mal sein Lieblingsessen. Dabei wurde das Kaninchen graduiert immer näher an Peter herangeführt. Peter wurde immer vertrauter mit dem Kaninchen und war in der Folge fähig, das Kaninchen zu berühren und mit ihm zu spielen.

Bei Peters Behandlung wurde in Anwesenheit des angstauslösenden Reizes eine positive Reaktion provoziert, die inkompatibel und stärker als die negative Reaktion war (Peter erhielt sein Lieblingsessen, während ein Kaninchen anwesend war). Diese Form wird als Gegenkonditionierung bezeichnet. Die Annäherung an das angstauslösende Objekt (Kaninchen) erfolgte dabei schrittweise.

Trotz dieses Erfolges ist zu berücksichtigen, dass beispielsweise ein Wechsel der Behandlungsmethode – von der einfachen Präsentation des angstauslösenden Stimulus zur Präsentation mit der Darbietung des Lieblingsessens – sowie die Generalisierung der Effekte auf andere angstauslösende Stimuli (z. B. Ratten, Pelzmäntel und Federn) nicht überprüft wurde. Zudem wurden keine Nachuntersuchungen durchgeführt, so dass keine Aussagen zur Stabilität des Behandlungserfolges gemacht werden können.

Kleiner Albert

Watson und Rayner publizierten 1920 die Konditionierungsversuche mit dem kleinen Albert. Aus heutiger Sicht eine ethisch inakzeptable Studie. Albert war ein neun Monate alter normal entwickelter Junge, der bei der Konfrontation mit einer Ratte, einem Hasen, einem Hund, einem Affen, Wolle und Masken mit und ohne Haaren keinerlei Angstreaktionen zeigte. Hingegen zeigte er Furcht und begann zu weinen, wenn hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen wurde.

Watson und Rayner stellten folgende Fragen auf: Kann eine Angstkonditionierung auf Tiere wie z. B. eine weiße Ratte hergestellt werden, indem gleichzeitig zur visuellen Darbietung der Ratte auf eine Eisenstange geschlagen wird? Wird es nach dieser Konditionierung zu einer Generalisierung der Ängste auf andere Objekte kommen? Welche Effekte hat die Zeit? Falls nach einer gewissen Zeit die emotionalen Reaktionen nicht abflachen, welche Methoden gibt es zur Beseitigung? Bezüglich ethischer Bedenken beschrieben die Autoren, dass sie zunächst gezögert hätten, die Konditionierung durchzuführen, dann aber zur Überzeugung gelangt seien, dass es sowieso irgendwann zu solchen Ereignissen kommen würde, wenn das Kind das behütete Umfeld verlasse.

Die ersten Konditionierungen fanden mit einer Ratte statt. Als Albert die Ratte berührte, wurde hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen. Beim zweiten Durchgang begann Albert zu wimmern und zögerte, die Ratte zu berühren. In der Folge fanden mehrere Konditionierungsdurchgänge statt, in denen die Ratte gleichzeitig mit dem lauten Ton präsentiert wurde. Daraufhin begann Albert bei der alleinigen Präsentation der Ratte zu weinen und krabbelte weg. Es wurde dann untersucht, ob sich die Angst generalisiert hatte. Bei der Präsentation eines Hasen und Pelzes lehnte er sich weg, wimmerte und brach in Tränen aus. Mit Holzblöcken spielte er nach wie vor gerne. Einige Tage später fixierte Albert die Ratte mit den Augen und zog sich zurück, weinte jedoch nicht. Damit war es den Autoren leider noch nicht genug und es wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt, dieses Mal in einen anderen Raum. Bei der Konfrontation mit der Ratte, dem Hasen und dem Hund zeigte Albert leichte Angstreaktionen und versuchte, seine Hände so weit weg wie möglich von den Tieren zu halten. Erneut wurde dann bei der Präsentation der Tiere auf eine Eisenstange geschlagen. Dies führte bei Albert wiederum zu einem Rückzugsverhalten.

Danach wird beschrieben, dass im Anschluss an diese (letzte) Sitzung die Mutter mit Albert weggezogen sei, so dass keine Rekonditionierung durchgeführt werden konnte. Weshalb die Mutter wegzog und was aus Albert wurde, ist bis heute nicht bekannt.

Im Zusammenhang mit dieser Studie können, neben den ethischen Aspekten hinsichtlich der Durchführung der Studie und der Nicht-Beseitigung der willkürlich erzeugten Angst, weitere Probleme festgehalten werden: Es fehlte eine Operationalisierung der Variable »Furcht« und eine klare Quantifizierung des Verhaltens von Albert. So wird im Studienprotokoll von »verzieht das Gesicht«, »wimmert« und »fällt vorn über« berichtet. Zudem werden gegen Ende des Experiments die Reaktionen von Albert immer unklarer beschrieben. Des Weiteren wurde der Versuchsplan immer wieder neu angepasst. Beispielsweise wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt, als die Reaktionen von Albert schwächer wurden.

Ein entscheidender Unterschied zu anderen Therapieverfahren ist, dass historisch in der Verhaltenstherapie nicht konzeptionell zwischen dem Vorgehen mit Kindern und Erwachsenen getrennt wurde. Bei Kindern und bei Erwachsenen wurden lerntheoretische Konzepte gleichermaßen angewendet. Es ging also in der Verhaltenstherapie mehrheitlich um die Methoden, die bei Kindern und Erwachsenen den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgen. Dies steht im Gegensatz zur Psychoanalyse wo, in der z. B. Anna Freud und Melanie Klein spezifische Behandlungsmethoden für Kinder entwickelten.

Die konkrete Umsetzung der Methoden in der Verhaltenstherapie ist jedoch an die Altersgruppe angepasst: z. B. können bei Jugendlichen und Erwachsenen operante Methoden zur Selbstverstärkung (z. B. »Wenn ich mich dem angstauslösenden Reiz aussetze und diese Angst aushalte, belohne ich mich danach mit einem Stück Kuchen und Kaffee«) eingeübt werden, wohingegen bei einem Kind ein Token-Programm gemeinsam mit den Eltern erstellt wird (z. B. die Regel, dass das Kind, wenn es sich morgens selber anzieht, hierfür einen Punkt bekommt). Diese Anpassung impliziert auch, dass jeweils die entwicklungspsychologische Perspektive zu berücksichtigen ist. Als weitere Besonderheit ist sicherlich die Berücksichtigung des Therapiesettings aufzuführen.

Borg-Laufs beschreibt auf der Homepage der DGVT (www.dgvt.de), dass das Psychotherapeutengesetz 1999 den entscheidenden Schritt zur Trennung zwischen Kinder- und Erwachsenentherapie markiert. Allerdings stellen Meyer und Kollegen 1991 in ihrem Gutachten zum Psychotherapeutengesetzes fest, dass diese Trennung in der Verhaltenstherapie keine Tradition hat, und es auch inhaltlich keinen Sinn macht, zwischen Kinder- und Erwachsenentherapie zu unterscheiden.

1.1       Definition Verhaltenstherapie

Die Verhaltenstherapie orientiert sich an der empirischen Psychologie und vereinigt unterschiedliche spezifische Techniken (z. B. Verstärkung) und Behandlungsmaßnahmen (z. B. Exposition). Da die Verhaltenstherapie nicht auf ein einziges theoretisches Modell zurückgeführt werden kann und auch zukünftige Entwicklungen zugelassen werden sollen, fassen Margraf und Lieb (1995) die Verhaltenstherapie als psychotherapeutische Grundorientierung auf, weniger als Therapieschule oder Gruppe von Verfahren.

Margraf (2018) definiert die Verhaltenstherapie wie folgt:

»Die Verhaltenstherapie ist eine auf der empirischen Psychologie basierende psychotherapeutische Grundorientierung. Sie umfasst störungsspezifische und -unspezifische Therapieverfahren, die aufgrund von möglichst hinreichend überprüftem Störungswissen und psychologischem Änderungswissen eine systematische Besserung der zu behandelnden Problematik anstreben. Die Maßnahmen verfolgen konkrete und operationalisierte Ziele auf den verschiedenen Ebenen des Verhaltens und Erlebens, leiten sich aus einer Störungsdiagnostik und individuellen Problemanalyse ab und setzen an prädisponierenden, auslösenden und/oder aufrechterhaltenden Problembedingungen an. Die in ständiger Entwicklung befindliche Verhaltenstherapie hat den Anspruch, ihre Effektivität empirisch abzusichern.« (Margraf, 2018, S. 5).

Hervorzuheben sind die Grundprinzipien der Verhaltenstherapie (Margraf, 2018), die allen verhaltenstherapeutischen Methoden zugrunde liegen. Der nachfolgende Kasten gibt einen Überblick der Grundprinzipien.

Überblick der Grundprinzipien der Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapie

•  orientiert sich an der empirischen Psychologie,

•  ist problemorientiert,

•  setzt an den prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Problembedingungen an,

•  ist zielorientiert,

•  ist handlungsorientiert,

•  ist nicht auf das therapeutische Setting begrenzt,

•  ist transparent,

•  soll »Hilfe zur Selbsthilfe« sein,

•  bemüht sich um ständige Weiterentwicklung.

Verhaltenstherapie ist problemorientiert, d. h. die Therapieplanung und -durchführung wird anhand der aktuell beschriebenen Probleme ausgerichtet. Basierend auf einem individuellen Störungsmodell wird ein Behandlungsplan erstellt, der spezifisch und individuell auf die Verringerung der vorhandenen Probleme ausgerichtet ist. Im Störungsmodell werden prädisponierende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren für die beschriebene Problematik identifiziert und Behandlungsmethoden mit dem Fokus der Identifikation auslösender Faktoren und der Reduktion von aufrechterhaltenden Faktoren abgeleitet. Die Verhaltenstherapie ist weiterhin ziel- und handlungsorientiert. Mit Patientin und ggf. Bezugspersonen werden konkrete Ziele zu Beginn der Therapie erarbeitet, die realistisch erreichbar sind. Die Zielerreichung wird während der Behandlung regelmäßig überprüft und wenn nötig angepasst. Zur Erreichung der Ziele ist das aktive Mitwirken der Patientin und der Eltern wichtig. Die Patientin soll selbst zur Expertin für den Umgang mit den eigenen Symptomen werden. Im Rahmen von Psychoedukation wird der Patientin auf eine altersangepasste und verständliche Art und Weise Wissen über ihre psychische(n) Störung(en) vermittelt und die Ableitung des Behandlungsplans transparent gestaltet. Im Vordergrund steht das Neulernen oder der Wiedererwerb eines funktionalen Umgangs mit Symptomen (z. B. Konfrontation bei Angststörungen), welche auch zu Hause geübt und erprobt werden. Hausaufgaben sind ein wesentlicher Bestandteil der Verhaltenstherapie, die in den Sitzungen jeweils vor- und nachbesprochen werden. Der Transfer von erarbeiteten Strategien und Aufbau von funktionalem Verhalten im therapeutischen Setting in den Alltag ist in der Verhaltenstherapie von zentraler Bedeutung. Die Psychotherapeutin hilft der Patientin und den Eltern dabei, einen funktionalen Umgang mit Symptomen zu erwerben, z. B. mit Strategien, die der Patientin nach Abschluss der Therapie weiterhin zur Verfügung stehen. Die Verhaltenstherapie sieht sich als Hilfe zur Selbsthilfe und fördert die Eigenständigkeit und das Selbstwirksamkeitserleben der Patientin.

1.2       Überprüfung der Lernziele

•  Zählen Sie die Grundprinzipien der VT auf.

•  Nennen Sie kritische Aspekte der Studie mit dem kleinen Albert.

2          Theoretische Herleitungen der Verhaltenstherapie

 

 

 

Lernziele

•  Sie kennen die verschiedenen Lernprinzipien, die zu der Vielzahl von Methoden der Verhaltenstherapie beitragen.

•  Sie können die einzelnen Lernprinzipien mit Beispielen erklären.

•  Sie wissen um die verschiedenen Verstärkerpläne.

•  Sie kennen die unterschiedlichen Arten von Verstärkern.

•  Sie kennen die sozial-kognitive Lerntheorie nach Bandura.

•  Sie können das Vorgehen für das Time-out/die Auszeit beschreiben.

Die Grundlage der Verhaltenstherapie ist die Lerntheorie. Die Grundidee ist, dass störungsbedingtes Verhalten erlernt wird und somit wieder verlernt oder umgelernt werden kann, bzw. dass angemessenere Verhaltensweisen neu erlernt werden können. Bei der Verhaltensmodifikation geht es dabei bis heute darum, die das Verhalten auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen zu analysieren und Problemverhalten dadurch zu modifizieren. Die diversen Lernformen – klassisches Konditionieren, instrumentelles Lernen, Prinzipien des operanten Konditionierens, Modelllernen – sind sowohl für Störungsmodelle als auch Interventionen relevant. Eine bedeutsame Erweiterung stellt die Berücksichtigung von Kognitionen dar.

Verschiedene Lernprinzipien haben zu einer Vielzahl von Methoden der Verhaltenstherapie beigetragen. Von besonderer Relevanz sind die folgenden Lernprinzipien:

•  Klassische Konditionierung

•  Operante Konditionierung

•  Diskriminationslernen

•  Modelllernen

•  Sozial-kognitives Lernen

2.1       Klassische Konditionierung

Bei der klassischen Konditionierung (Assoziationslernen) nach Iwan P. Pawlow (1927) werden ursprünglich neutrale Reize bzw. Stimuli zum Auslöser einer Reaktion, die sie zuvor nicht auslösen konnten. Dieser neutrale Stimulus wird gemeinsam mit einem unkonditionierten Stimulus dargeboten, der eine biologisch programmierte, automatische Reaktion auslöst. In der Vorbereitungsphase seines klassischen Experiments an Hunden, konnte Pawlow folgendes zeigen (image Abb. 2.1): In der Vorbereitungsphase löst der Glockenton als neutraler Stimulus (NS) eine Orientierungsreaktion (OR) mit Zuwendung zur Reizquelle aus. Als Reaktion auf Futter (unkonditionierter Stimulus, US) zeigen Hunde einen biologisch programmierten reflexhaften Speichelfluss, also eine nicht gelernte, unkonditionierte Reaktion (UCR).

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Abb. 2.1: Ablauf des Experiments zur Klassischen Konditionierung von Pawlow

In der darauffolgenden Trainingsphase wird der NS wiederholt mit dem US dargeboten. Das Tier lernt, auf den ursprünglichen neutralen Stimulus mit einer UCR zu antworten. Somit wird der neutrale Stimulus zu einem konditionierten Stimulus (CS). Die unkonditionierte Reaktion wird zur konditionierten bzw. bedingten Reaktion (CR). Um zwei Reize miteinander verknüpfen zu können, müssen sie in einem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang gesetzt werden. Hierbei ist es notwendig, dass UCS und NS zeitlich dicht beieinander liegen (Gesetz der Kontiguität), um eine konditionierte Reaktion (CR) auszulösen. Diese Kopplung zwischen NS und UCS wird als Verstärkung bzw. Bekräftigung (reinforcement) bezeichnet. Die konditionierte Reaktion (CR) muss nicht vollkommen der unkonditionierten Reaktion (UCR) entsprechen (z. B. eine Schmerz-Furcht Reaktion als UCR und eine Angstreaktion als CR).

Für die Konditionierung einer emotionalen Reaktion ist das Experiment von Watson und Rayner (1921) mit dem kleinen Albert zu nennen (image Kap. 1, Kleiner Albert). Ebenfalls zeigt sich anhand des Experiments eine Reizgeneralisierung, welche darauf hinweist, dass je ähnlicher ein anderer neutraler Reiz dem konditionierten Reiz ist, dieser umso wahrscheinlicher die konditionierte Reaktion auslöst. Beim kleinen Albert waren dies pelzähnliche Objekte, die der weißen Ratte glichen, wie z. B. ein weißes Kaninchen oder ein Seehundfell. Die Reaktion auf weiße Watte war hingegen gering. Manche bedingten Reaktionen treten hingegen nur bei einem einzigen genau definierten Reiz auf (Reizdiskrimination).

Reizdiskrimination

Ein Kind hat Angst vor Tieren. Nun stellt es fest, dass z. B. Kaninchen und Meerschweinchen harmlos sind und fürchtet sich vor diesen Tieren nicht mehr. Trotz dieser Erfahrung bleibt die Angst bei z. B. Hunden, Spinnen oder Pferden dennoch bestehen.

Führt ein Reiz zuverlässig zu keiner ausgelösten Reaktion, z. B. indem er mehrere Male ohne Konsequenz dargeboten wurde, wird dieser Reiz in einer späteren Lernphase (Aquisition) schwerer als konditionierter Reiz gelernt, wenn er mit einem unkonditionierten Reiz gepaart wird. D. h. es findet eine Abschwächung des Assoziationslernen statt. Diesen Prozess nennt man eine latente Hemmung oder latente Inhibition (auch CS-Präexposition). Im Alltag ist dieser Prozess notwendig, um zwischen relevanten und irrelevanten Reizen zu unterscheiden und Aufmerksamkeitsprozesse effektiv steuern zu können.

Latente Hemmung/Inhibition

Früher wurden samstags um 12 Uhr häufig Feueralarmübungen durchgeführt. Diese »Mittagssirene« gehörte zum Samstag fest dazu und führte in der Regel bei den Personen, die diese hörten, nicht zu Angst. D. h. aber auch, dass ein solcher Sirenenton an einem Samstag um 12 Uhr im Falle eines tatsächlichen Feuers wahrscheinlich keine Angstreaktion und somit auch kein angemessenes Fluchtverhalten auslöste.

Die Konditionierungsstärke hängt hierbei also sowohl stark von der Vorerfahrung mit einem konditionierten Stimulus ab als auch von der Fähigkeit der latenten Hemmung im Sinne einer Verhinderung von Reizüberflutungen.

Verhinderung von Reizüberflutung

Der Therapieraum wird ansprechend gestaltet, aber nicht extrem bunt und mit offen herumstehenden oder ausgestellten Spielsachen, damit das Kind sich auf die neuen Reize im Zusammenhang mit Therapie oder Therapeutin konzentrieren kann und nicht überfordert ist.

Nicht alle situativen Stimuli sind gleichermaßen als CS geeignet. Es scheint eine biologische Prädisposition auf bestimmte Reize zu geben, im Sinne einer Preparedness (Seligman, 1970). Auf diese Reize lässt sich besonders leicht eine stabile konditionierte Reaktion entwickeln. Somit tritt die klassische Konditionierung bei manchen Reizen weitaus häufiger auf (z. B. Angst vor Spinnen, Höhe, Hunden) im Vergleich zu anderen Ängsten (z. B. Angst vor Steckdosen, Motorsägen, Autos). Gewisse Stimuli sind für bestimmte Spezies auch prägnanter und werden selektiv stärker wahrgenommen (Prepotency). Hierbei handelt es sich um Reize, die entwicklungsgeschichtlich gefährlicher waren als andere Reize. Sie sind löschungsresistenter und brauchen weniger Lerndurchgänge bei der Konditionierung.

Bei der klassischen Konditionierung spielen weitere Faktoren eine bedeutende Rolle:

•  Erwerb einer Assoziation der Stimulusbedingung und des Kontextes: Wird eine Lernerfahrung z. B. in einem Labor gemacht, stellt das Labor einen erworbenen konditionierten Reiz dar. Das kann dazu führen, dass die Angstreaktion dann nicht mehr im Labor gezeigt wird, außerhalb des Labors aber schon.

•  Konditionierte Reaktionen können auch durch mentale Prozesse erworben werden, ohne dass ein realer CS und/oder ein US zum Lernzeitpunkt vorhanden sein müssen. So können Kinder Angst vor Schlangen und Monstern haben, allein durch die Imagination von negativen Konsequenzen beim Auftreten der angstauslösenden Stimuli.

•  Auch die Vermittlung von Informationen, z. B. im Rahmen von Psychoedukation oder bei kognitiver Umstrukturierung kann zu einer Abnahme einer konditionierten Reaktion führen.

•  Die Vorhersehbarkeit des US beeinflusst die Erwartung, ob der US auftritt und zu einer emotionalen Gegenregulierung führen kann. Die Person kann entscheiden, wie stark sie auf einen US reagiert oder nicht. Andersrum kann die CR auch verstärkt werden, wenn die Erwartung besteht, dass die US stärker ausfällt.

•  Weitere Faktoren wie genetische und hormonelle Einflüsse sowie Beobachtungslernen spielen eine Rolle.

Beim Assoziationslernen spielen auch Löschung (Extinktion) und Spontanerholung eine wichtige Rolle. In einer Löschungsphase wird der CS (z. B. eine Glocke in dem Experiment von Pawlow) ohne die Kopplung mit dem UCS (Futter) dargeboten. Nach einigen dieser Darbietungen ist eine Abnahme in der konditionierten Reaktion zu erkennen. Folglich kann unerwünschtes Verhalten unterbunden werden, wenn die Verstärkung für dieses Verhalten ausgeschaltet wird. Bei erneuter Darbietung des CS nach einer Pause, tritt die zuvor gelöschte Reaktion wieder auf, allerdings in deutlich geringerem Ausmaß. Dies wird als Spontanerholung bezeichnet.

Verhalten und Reaktionen, die vermeintlich durch Extinktionslernen gelöscht werden, können allerdings wieder auftreten. Die ursprüngliche Lernerfahrung bleibt im Gehirn gespeichert, d. h. es findet ein Umlernen bzw. Neulernen (»Renewal «) statt. Man geht davon aus, dass während der Extinktion eine neue, inhibitorische Lernspur gebildet wird, die die alte Lernspur hemmt. Nach erfolgreicher Extinktion bestehen zwei Lernspuren, die miteinander konkurrieren, wobei die neue, inhibitorische Lernspur fragiler ist als die vorherige Lernspur. Hierbei wird deutlich, dass Lernerfahrungen kontextabhängig sind und neue Lernerfahrungen auf neue Kontexte übertragen werden müssen. Daher kann eine Expositionsbehandlung an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Arten von Reizen helfen, die ursprüngliche Reaktion eher zu verlernen, als wenn man sich auf einen Kontext beschränkt. Es kann auch zu einem Wiedereinsetzen der Reaktion (»Reinstatement «) kommen, wenn nach vollständiger Extinktion zunächst der ungepaarte unkonditionierte Stimulus präsentiert wird und danach der ungepaarte konditionierte Stimulus. Die Person zeigt dann eine konditionierte Reaktion auf den vorab konditionierten Stimulus.

Bei der Gegenkonditionierung wird eine problematische Reiz-Reaktions-Verbindung durch eine weitere Konditionierung mit anderen, unvereinbaren Reizen wieder verlernt bzw. neu konditioniert. Die ursprüngliche CR1 wird durch die gegenteilige CR2 ersetzt. Dieses Prinzip wird beispielsweise bei der systematischen Desensibilisierung verwendet.

Was wird während der Klassischen Konditionierung gelernt?

Innerhalb des Paradigmas der Klassischen Konditionierung gibt es zwei Lernmechanismen:

•  Eine Kopplung zwischen dem konditionierten Stimulus (CS) und der unkonditionierten Reaktion im Sinne eines Stimulus-Response Lernens.
Im Beispiel vom kleinen Albert wird Angst als unkonditionierte Reaktion mit dem ursprünglich neutralen Reiz (Ratte) verknüpft. Hierbei ist die CR identisch mit dem UR, jedoch meist etwas schwächer ausgeprägt.

•  Eine Koppelung zwischen dem konditionierten Stimulus und dem unkonditionierten Stimulus im Sinne eines Stimulus-Stimulus Lernens.
In diesem Fall lernt der kleine Albert eine Verknüpfung von Lärm und der Ratte. Hierbei kann die CR identisch mit dem UR sein, muss es aber nicht. Wird die Ratte z. B. in größerer Distanz präsentiert, kann die Angstreaktion schwach ausgeprägt sein.

Wenn ein Reiz zu oft oder regelmäßig dargeboten wird, kommt es zu einer Gewöhnung an den entsprechenden Reiz (Habituation). Die Bereitschaft, auf einen habituierten Reiz zu reagieren, verringert sich. Lernpsychologisch handelt es sich um die Abnahme der Reaktionsbereitschaft bei wiederholter Stimulusdarbietung. Der Mensch ist bereits früh mit einer hohen Anzahl an Reizen und Informationen konfrontiert und lernt entsprechend zu habituieren. Eine kontinuierliche Verarbeitung der Informationen würde zu einer kognitiven Überlastung führen. Um dieser Überlastung entgegenzuwirken, blendet der Organismus Reize aus, um sich so an sie zu gewöhnen. Die Habituation bezieht sich hierbei auf angeborene Reflexe, die bei der Geburt bereits komplett ausgebildet sind oder sich über die Lebensspanne entwickeln. Die Habituation ist eine, meist unbewusste Art des Lernens. Habituation geschieht, wenn der Körper einem immer wiederkehrenden Reiz ausgesetzt ist, welcher sich als unbedeutend erweist. Die Reaktion wird immer schwächer und bleibt nach einiger Zeit meistens völlig aus. Habituation ist reizspezifisch, d. h. sie bezieht sich immer nur auf einen bestimmten Reiz. Hierbei lässt sich die Habituation von der Ermüdung unterscheiden. Bei einer Ermüdung treten im Organismus alle Reaktionen in verminderter Stärke auf. Eine habituierte Reaktion tritt jedoch nur auf einen bestimmten Reiz auf, wird ein anderer Reiz dargeboten, ist die Reaktion auf ihn unvermindert stark. Sie ist weiterhin reaktionsspezifisch, d. h. sie bezieht sich immer nur auf einen bestimmten Reiz, und auch wenn mehrere Reaktionen ausgelöst werden, kann immer nur eine Reaktion habituieren. Die Habituation spielt insbesondere in der Behandlung von Angststörungen eine Rolle. Ein Kind, das sich mit seinen Ängsten konfrontiert, die sich als unbegründet erweisen (z. B. Angst im Dunkeln, Angst, Fahrstuhl zu fahren) wird bei andauernder Exposition mit dem Reiz einen Rückgang der Angst erleben. Eine Angstreaktion kann biologisch nur über eine bestimmte Zeitspanne aufrechterhalten werden, anschließend sinkt sie. Eine Vermeidung von Angstsituationen führt demnach zu einer Hemmung der Habituation, und die Angst wird langfristig aufrechterhalten.

Habituation wird verlangsamt, wenn eine hohe Reizintensität vorliegt oder der Reiz von hoher subjektiver Bedeutung ist. Weiterhin wird sie verlangsamt, wenn der Organismus in einem Zustand hoher Aktivierung ist, sowie bei längerfristiger niedriger tonischer Aktivierung (z. B. Schlaf) und niedriger schwellennaher Reizintensität.

Reizintensität als Einfluss auf Habituation – niedrige schwellennahe Reizintensität

Ein Kind, das Angst vor Schlangen hat, wird mithilfe von Exposition behandelt. Nach der Erstellung einer Angsthierarchie wird mit der Exposition auf der ersten Angststufe (Regenwürmer) begonnen. Das Kind bekommt einen Regenwurm auf die Hand gelegt und empfindet nach kurzer Zeit keine Angst mehr vor dem Regenwurm. Hätte man in diesem Fall direkt damit angefangen, das Kind mit einer Schlange zu konfrontieren, hätte dieser Anpassungsprozess vermutlich sehr viel länger gedauert, was wiederum in starkem Stress für das Kind resultiert und zu einem Verlust der Therapiemotivation und des Glaubens an die Therapiewirksamkeit geführt hätte.

Voraussetzungen für das Lernen bedingter Reaktionen sind die Kontiguität (zeitlicher Zusammenhang von bedingtem und unbedingtem Reiz), die Reihenfolge (der unbedingte Reiz muss dem bedingten Reiz folgen) und die Wiederholung (die Reizkombination, CS und UCS, muss mehrmals auftreten, die Anzahl ist abhängig von individuellen Merkmalsausprägungen, der Intensität des UCS und der Art der konditionierten Reaktion).

Evaluatives Konditionieren

Beim Evaluativen Konditionieren geht es nicht um die Vorhersage von Reaktionen, sondern um das Erlernen von Einstellungen. Dieser Effekt kann beobachtet werden, wenn ein konditionierter Stimulus (CS) mit einem unkonditionierten Stimulus wiederholt gemeinsam dargeboten wird und der konditionierte Stimulus (CS) durch diese Kontiguität eine dem unkonditionierten Stimulus (UCS) affektiv ähnliche Bedeutung erlangt. Bekommt ein Kind bei jedem Zahnarztbesuch von der Zahnärztin ein kleines Spielzeug und wird freundlich empfangen, so verknüpft das Kind den Zahnarztbesuch z. B. mit etwas Angenehmen.

2.2       Operante Konditionierung

Bei der operanten Konditionierung (Verstärkungslernen, instrumentelles Lernen) wird die Auftretenswahrscheinlichkeit von einem Verhalten durch dessen Konsequenzen erhöht oder verringert. Im Gegensatz zur klassischen Konditionierung wird hier die Beziehung zwischen dem eigenen Verhalten und dessen Konsequenzen gelernt und nicht jene zwischen Reizereignissen. So kann problematisches Verhalten durch die Wirkung der nachfolgenden Konsequenzen aufrechterhalten werden. Skinner (1951, 1953) zeigte die operante Konditionierung (auch Lernen am Erfolg) in Tierexperimenten. Natürlich auftretendes Verhalten wird häufiger ausgeführt, wenn es positive Folgen hat. Anders herum wird es bei negativen Folgen seltener ausgeführt (image Tab. 2.1).

Tab. 2.1: Vierfeldertafel zum operanten Lernen

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DarbietungEntfernung

Verstärkung führt dazu, dass Individuen ihr Verhalten gehäuft zeigen. Es lassen sich zwei Arten von Verstärkung unterscheiden:

•  Positive Verstärkung: auf ein Verhalten erfolgt eine angenehme Konsequenz (z. B. Lob fürs Zimmer aufräumen).

•  Negative Verstärkung: auf ein Verhalten fällt eine unangenehme Konsequenz weg (z. B. bei Prüfungsängsten zu Hause zu bleiben, wenn eine Prüfung ansteht, führt zu einer Abnahme der Angst).

Psychische Störungen können durch Verstärkung entstehen bzw. deren Aufrechterhaltung lässt sich durch Verstärkung erklären.

Bestrafung hingegen resultiert in einer verminderten Häufigkeit des Verhaltens. Auch hier lassen sich zwei Arten unterscheiden:

•  Bestrafung Typ I: es erfolgt ein direkter Strafreiz (z. B. man soll den Abwasch machen, weil man nicht auf die Eltern gehört hat).

•  Bestrafung Typ II: eine positive Verstärkung wird entzogen (z. B. Fernsehverbot, wenn Hausaufgaben nicht gemacht wurden).

Verstärkerpläne

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Verstärker verabreicht werden können. Diese haben u. a. Auswirkungen auf die Lerngeschwindigkeit und den Löschungswiderstand des Verhaltens. Grob unterscheidet man zwischen der kontinuierlichen und der intermittierenden Verstärkung. Bei der kontinuierlichen Verstärkung erfolgt die Verstärkung nach jedem erwünschten Verhalten, was einen schnellen Verhaltensaufbau zur Folge hat. Bei der intermittierenden Verstärkung hingegen wird das Verhalten nur teilweise verstärkt, weshalb dieses eine hohe Löschresistenz und Stabilität hat. Die intermittierende Verstärkung kann noch weiter in Quoten- und Intervallpläne unterteilt werden, welche wiederum fest oder variabel sein können (image Abb. 2.2):

•  Bei der fixen Quotenverstärkung wird die Verstärkung nach einer bestimmten Anzahl an Reaktionen gegeben. Sie bewirkt eine hohe Reaktionsrate, nach längerer Zeit aber auch Habituation bzw. Sättigung. Z. B. bekommt ein Kind mit ADHS nach fünf Matheaufgaben einen Punkt.

•  Die variable Quotenverstärkung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine bestimmte Anzahl von Reaktionen im Durchschnitt verstärkt werden. Sie führt langfristig zu stabilerem Reaktionsverhalten als die fixe Quotenverstärkung. Z. B. bekommt ein Kind mit ADHS einen Punkt, wenn es nicht mehr als fünf Fehler bei den Hausaufgaben gemacht hat.

•  Bei der fixen Intervallverstärkung wird nach dem letzten verstärkten Verhalten für ein bestimmtes Zeitintervall gewartet, bevor die Reaktion, wenn sie danach gezeigt wird, erneut verstärkt wird. Dies bewirkt, dass die Reaktionsrate nach erfolgter Verstärkung zunächst niedrig ist und dann wieder ansteigt. Z. B. soll das Kind mit ADHS seine Hausaufgaben machen. Wenn es dies tut, bekommt es alle 10 Minuten einen Punkt.

•  Bei der variablen Intervallverstärkung wird ein durchschnittliches Intervall abgewartet, bevor die erwünschte Reaktion wieder verstärkt wird. Dies bewirkt eine stabile Reaktionsrate. Z. B. bekommt das Kind mit ADHS bei den Hausaufgaben immer mal wieder einen Punkt. Am Anfang vielleicht häufiger, um das Verhalten zu initiieren und im Verlauf variabler.

In der Therapie sollte man bei Wunsch eines Verhaltensaufbaus zunächst kontinuierlich jede erwünschte Reaktion verstärken und in einem zweiten Schritt zu einer

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Abb. 2.2: Verstärkerpläne