In lautem Gedenken

 

Qindie steht für qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. Achten Sie also künftig auf das Qindie-Siegel! Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen besuchen Sie unsere Website. http://www.qindie.de/

Impressum

Texte © Copyright by
Florian Tietgen, webmaster@floriantietgen.de Lektorat: Satzklang www.satzklang.de

Bildmaterialien © Copyright by
Cover: Jacqueline Spieweg, http//jspieweg.de/ unter Verwendung des Bilds "Farbkleckse" von Isabel Meyer, http://www.isabelmeyer.de

Alle Rechte vorbehalten.

 

 

1

 

Ein Leben voller Lachen. Nie wird ihr etwas zu viel. Sie strahlt, wenn sie sich über mein Bett beugt, mich herausholt und mir die Brust gibt. Immer sehe ich sie strahlen. Meine Mutter, so warm, so zart, so liebevoll.

 

Ich kenne ihn nicht, sehe ihn das erste Mal, als er im Schwimmbad mit seinem Freund auf meinen Liegeplatz zugeht. Nur kurz wollte ich von meinem Buch aufblicken.

Seine Haare sind dunkel, fast schwarz und hinten zu einem Zöpfchen zusammengebunden. Seine Haut ist so blass, dass ich an Schneewittchen denken muss. Die Farbe seiner Augen kann ich nur raten. Noch ist er zu weit weg, aber bestimmt sind sie blau.

Sein Freund ist braun gebrannt. Er war sicher schon häufiger hier. Auch er sieht gut aus. Ich könnte wetten, ihm laufen in der Schule alle Mädchen hinterher. Er redet viel, während der andere nur nickt. Er hat kurzes, von der Sonne gebleichtes Haar und einen etwas schiefen Mund, wenn er spricht oder lächelt. Eines von beiden tut er fast immer.

Kurz vor meinem Liegeplatz schauen sie sich um, blicken sich an.

»Bleibt hier«, denke ich, »bitte bleibt hier.« Ich möchte sie ansehen, alle beide, sie in meiner Nähe wissen, obwohl ich weiß, ich werde kein Wort mit ihnen reden und schon jetzt schuldbewusst wieder in das Buch schaue, um die beiden nicht merken zu lassen, wie sehr ich sie angaffe.

»Lass uns hier bleiben«, sagt der mit dem kurzen Haar und deutet auf einen freien Platz direkt neben mir. »Hier können wir wenigstens die Flaschen in den Schatten der Treppe stellen.« Er stellt seinen Rucksack ab und breitet das Badetuch, das er unter dem Arm trug, auf dem platt getretenen Rasenstück aus.

Warum springt mein Herz? Welch merkwürdige Hoffnung verbinde ich mit ihrer Nachbarschaft? Es ist, als ginge etwas in Erfüllung. Doch was ist der Wunsch?

»In Ordnung«, antwortet der mit dem Zöpfchen, der Blasse, von dem ich meinen Blick nur mit Gewalt lösen kann. Auch er breitet sein Handtuch auf der Wiese aus. Es ist weiß. Doch so feucht, wie das Gras ist, wird es bestimmt nicht lange weiß bleiben. Sein Platz ist näher bei mir. Und wenn er mit seinem Kumpel redet, werde ich nur seinen Rücken sehen können.

Immer wieder schaue ich von meinem Buch auf, warte, ob sie sich die T-Shirts ausziehen, sich in die Sonne legen oder ins Wasser gehen. Die Badeshorts haben sie schon an. Sie reichen ihnen fast bis zu den Knien und haben großflächige Blümchenmuster.

Der mit dem kurzen Haar ist schnell, tritt sich nur auf die Hacken, um aus den Schuhen zu schlüpfen. Der Körper unter seinem T-Shirt ist so braun wie seine Arme. Er ist schlank, nicht muskulös, aber doch kräftig. Und an seinem flachen Bauch könnte ich mir ein Nabelpiercing vorstellen.

Der andere setzt sich auf das weiße Handtuch, knotet die Schuhbänder auf, entledigt sich nacheinander der Sneakers und der Socken, bevor er langsam das Shirt über den Kopf zieht.

»Wenn du dich nicht eincremst, wirst du einen Sonnenbrand bekommen«, denke ich, als er aufsteht. Warum bin ich neugierig, ob sie sich gegenseitig einreiben werden?

Während sie versuchen, im Schatten der Treppe die Fantaflasche einigermaßen sonnengeschützt hinzustellen, öffne ich meine Kühltasche und trinke einen Schluck. »Vielleicht fragen sie ja, ob sie ihre Flasche mit hineinstellen können?«, geht mir durch den Kopf, und ich weiß, ich sagte sofort ja. Aber vermutlich sieht es für sie eher spießig aus, wenn ein Junge in meinem Alter eine Kühltasche dabei hat.

 

Ein Lächeln bei der Frage, ob ich etwas trinken möchte. Wie oft geht sie mit mir schwimmen, wie oft zaubert sie kühles Wasser oder Schokolade aus der Tasche hervor? Brötchen mit Salami und Gurke hat sie im Freibad immer dabei. Und wenn ich aus dem Becken komme, wenn sie mir ein Handtuch um die Schultern legt und mir etwas aus ihrer Schatztruhe gibt, lacht sie. Meine Mutter, so warm, so fürsorglich, so liebevoll.

 

Sie springen ins Wasser, ohne vorher ihren Schweiß von der Haut zu spülen. Der mit den kurzen Haaren macht einen Köpfer, der andere eine Arschbombe. Es sieht fast unbeweglich aus, wenn er die Beine erst im letzten Moment an sich reißt und die Knie mit den Armen hält, als gehorchten sie ihm sonst nicht. Während sein Freund weiterschwimmt, setzt sich der Blasse an den Beckenrand, schaut ihm zu, trocknet in der Sonne.

Der mit den kurzen Haaren spritzt ihn nass. Ob er sich nicht traut, das Wasser aus gespitzten Lippen zu spucken? Ich würde es tun. Nein, ich wünsche mir, es zu tun. Ich wünschte, ich traute mich. Und gern ließe ich mich von dem Blassen so anspucken.

Ab und zu schaut er zu seinem Liegeplatz, wohl um zu sehen, ob sich niemand an seinem Rucksack zu schaffen macht. Doch jedes Mal fühle ich mich ertappt, denke, er sieht zu mir, nimmt meine Blicke wahr. Schnell widme ich mich dann meinem Buch, ohne eine einzige Zeile zu lesen.

Dass sie zurückkommen, höre ich zunächst nur. Ich spüre den Schatten der Bewegung, als sie sich nass auf ihre Badelaken legen. Keiner der beiden holt Sonnencreme aus dem Rucksack. Keiner von ihnen reibt sich ein. Sie liegen nebeneinander, blinzeln sich an, reden zu leise, um sie zu verstehen.

»Hol mal die Fanta, Addy!«, ist das Einzige, was ich vernehme. Der Blasse steht auf, obwohl sein Freund nur hinter sich langen müsste. Hatte er vorhin auch schon diese Striemen auf dem Rücken? Oder hat er nur ein paar Fingerabdrücke hinterlassen, als er sich kratzte? Addy wird er also genannt.

»Hier.« Addy reicht seinem Kumpel die Flasche und bleibt vor ihm stehen, sodass dieser ihm unter die Shorts schauen könnte, wenn er wollte …

Erneut öffne ich die Kühltasche und trinke einen Schluck. Ich könnte ihnen einen Platz in der Tasche anbieten. Dann müssten sie immer zu mir kommen, wenn sie etwas wollten. Stattdessen stehe ich auf, wage nicht an mir herunterzuschauen. Ich bin nicht so braun wie der Kurzhaarige. Aber ich habe schon Farbe. Ich bin nicht so schlank wie die beiden. Noch immer schäme ich mich meines Babyspecks.

Schauen sie mir nach, während ich zum Wasser gehe? Was denken sie? Machen sie sich lustig über mich? Wahrscheinlich komme ich ihnen komisch vor, so alleine, ohne Freunde im Schwimmbad. Ich mache nur einen Köpfer ins Becken. Arschbomben sehen albern aus, wenn man alleine ist. Ich schwimme eine Bahn hin und zurück, wie die alten Leute, drehe mich dabei manchmal auf den Rücken und muss aufpassen, niemanden anzurempeln.

Bestimmt sehen sie mich gar nicht.

 

2

 

Die Handtücher liegen noch da, als ich aus dem Wasser komme. Die beiden Jungen sind nicht zu sehen. Es ist erst Nachmittag, die Sonne knallt noch erbarmungslos vom Himmel. Und ich hätte Sonnencreme in meiner Tasche, die ich dem Blassen anbieten könnte. Warum setze ich mich auf die Decke, breite mein Handtuch über mich und tausche die Bade- gegen die Boxershorts? Warum packe ich meine Sachen zusammen und schaue sehnsüchtig im Schwimmbecken, beim Kiosk, bei den Tischtennisplatten und beim Beachvolleyballfeld nach, ob ich die beiden irgendwo entdecke, bevor ich gehe? Ich werde mich doch sowieso nicht verabschieden.