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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Auf dem Achterdeck der „Isabella V.“ stand Ben Brighton und starrte mißmutig in das bleigraue Wasser, dessen schwache Dünung monoton gegen den Schiffsrumpf klatschte.

Der Bootsmann, der die „Isabella“ befehligte, seit der Seewolf mit schweren Kopfverletzungen bei Sir Freemont in Plymouth lag, haderte mit sich und der ganzen Welt.

Seine neue Aufgabe stellte ihn vor Probleme, denen er sich zeitweilig einfach nicht gewachsen fühlte, die ihn überforderten und mit immer schwierigeren Situationen konfrontierten. Er war nicht der Mann, der grübelte, der mit sich haderte, aber heute hatte es ihn richtig gepackt. Er sorgte sich um ihr weiteres Schicksal, das nicht gerade rosig aussah.

Vom Himmel rieselte dünner, kalter Regen. Die Wolken sahen aus wie dicker, grauer Haferbrei, und aus Nordwest blies ein unangenehmer kühler Wind, der ihn frösteln ließ.

An diesem 13. Februar des Jahres 1580 lagen die „Isabella“ und die Schaluppe, die von Edwin Carberry geführt wurde, eine Kabellänge voneinander entfernt in der Mount’s Bay. Sie hatten Treibanker geworfen und dümpelten schwerfällig.

Als Ben Brighton sich umdrehte, sah er Smoky, der in der lauernden Haltung eines Verfolgten auf ihn zuschlich. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. Er druckste eine Weile herum, wobei er sich bemühte, Brighton nicht direkt anzusehen.

„Was, zum Teufel, schleichst du hier so mißmutig ’rum wie ein altes, krankes Weib!“ fuhr Brighton ihn an.

Smoky zuckte zusammen. Da war er ja gerade in Ben Brightons beste Laune hineingeraten. Er gab sich einen Ruck.

„Seit Hasard diese verdammte Rah an den Schädel geflogen ist, herrscht bei uns nur noch miese Laune“, knurrte er. „Weißt du, wie ich mich fühle, Ben? Ich fühle mich von der Welt gehaßt und von Gott verachtet. Dazu kommt noch ...“

„Verdammt, Smoky! Rück endlich mit der Sprache ’raus. Was ist los? Du willst doch etwas ganz anderes. Also red nicht lange herum. Spuck deinen Kummer aus.“

Smoky blickte unbehaglich zu der Schaluppe hinüber. Undeutlich erkannte er an Deck eine breitschultrige Gestalt. Wahrscheinlich war es Carberry, aber durch den diesigen Regen ließ sich das nicht so genau erkennen.

„Na, wird’s bald?“ fauchte Brighton.

„Bei uns sieht’s beschissen aus“, sagte Smoky. „Ich habe gerade unsere Vorräte überprüft. Wir haben noch zwei Fässer Wasser an Bord, der Proviant reicht bestenfalls noch ein paar Tage.“

Ben Brighton preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch einen dünnen Strich bildeten.

„Und das fällt dir erst jetzt ein?“

Smoky blickte sorgenvoll zum Land hinüber. Hinter der Dunstschicht war es nur als nebelgrauer Streifen zu erkennen.

„Vergiß nicht, daß es ein langer Törn aus der Karibischen See bis hierher war, Ben“, erinnerte er. „Wir hatten noch keine Gelegenheit, unsere Vorräte zu ergänzen.“

„Ich mache dir ja auch keinen Vorwurf, Smoky.“ Ben Brightons dröhnendes Organ mäßigte sich etwas. „Schließlich ist der Kutscher für unsere Vorräte zuständig, aber der ist ja nicht an Bord.“

„Ja, der Kutscher“, murmelte Smoky. „Ich möchte wissen, wie es dem Seewolf geht.“

„Er ist in guten Händen. Sir Freemont ist ein guter Mann, der für den Seewolf alles tun wird. Aber jetzt sollten wir uns etwas einfallen lassen, wie wir unsere Vorräte ergänzen können.“

Für Ben Brighton war es eine üble Nachricht, die er da erhielt. Es war einer der Tiefschläge, von denen sie in letzter Zeit so unglaublich viele hatten einstecken müssen. Jetzt hatten sie auch noch die Sorge mit dem Wasser und Proviant am Hals.

„Zum Kotzen ist das“, sagte Ben Brighton. „Dabei hatte ich vor, an der Nordwestküste von Cornwall eine stille Bucht zu suchen, wo wir unentdeckt und in aller Ruhe abwarten können, bis Hasard sich von seinen Verletzungen erholt hat. Jetzt müssen wir umdisponieren.“

Er dachte an die Schätze im Bauch der „Isabella“, die es zu hüten und zu bewahren galt. Schätze und Reichtümer, mit denen man ganz England kaufen konnte. Perlen, Edelsteine, Diamanten, Gold- und Silberbarren und kostbarer indianischer Schmuck, der schon allein ein unermeßliches Vermögen darstellte. Auch dafür trug er die Verantwortung, und er konnte weiß Gott nicht sagen, daß er sich dabei besonders wohl fühlte. Gut, die Mannschaft hielt zu ihm auf Biegen oder Brechen, sie respektierte und achtete ihn in seiner Rolle als Vertreter des Seewolfes.

Aber er war eben nicht der Seewolf, und das war – zumindest für ihn selbst – der springende Punkt.

Smoky sagte kein Wort. Er kannte Brightons Gedanken und wußte, wie es in ihm aussah. Solange der Seewolf nicht da war, fehlte das Salz in der Suppe. Alles kam ihm leicht abgestanden und fade vor.

Auf Steuerbord waren jetzt mehrere Männer an Deck der Schaluppe dabei, den Treibanker einzuholen. Ein Segel wurde gesetzt. Die Schaluppe nahm langsam Fahrt auf und kam näher. Etwas später ging sie bei der „Isabella“ längsseits. Jetzt lagen beide Schiffe wieder nebeneinander. Die Bordwände ächzten und knarrten, wenn sie sich aneinander rieben. Ab und zu wurden die Fender wie Pfannkuchen platt gequetscht, nahmen dann aber wieder ihre vorherige Form an.

Die alten Kämpen, Tucker, Carberry, der riesige Old Shane, Donegal Daniel O’Flynn, Dans Vater mit dem verdammten Holzbein, waren wieder beisammen.

Brighton gab die Hiobsbotschaft weiter. Zuerst sah er in betreten wirkende Gesichter, in denen sich Unglaube spiegelte. Dann begriff jeder nach und nach, was es bedeutete, hier Proviant und Wasser übernehmen zu müssen.

Der riesenhafte Old Shane, früherer Waffenmeister und Schmied von Arwenack, lehnte sich schwer gegen die Reling. Seit er John Malcolm umgebracht hatte, der drauf und dran gewesen war, den hilflos daliegenden, schwerverletzten Seewolf zu ermorden, hatten sich um seinen Mund zwei scharfe Falten gegraben. Er kannte sich hier an der Küste Cornwalls aus wie kein zweiter, er war hier aufgewachsen, groß geworden, kannte jede Bucht, jede versteckte kleine Einmündung. Es gab nichts, was Old Shane nicht kannte.

Zu den Männern auf dem Achterdeck gesellte sich noch ein weiterer. Donegal Daniel O’Flynn. Er war ein alter, verwitterter Bursche mit silbergrauen Haaren, ein drahtiger, kantiger Kerl aus Granit, der nicht lange fackelte. Rechts trug er eine hölzerne Beinprothese, die er früher abzunehmen pflegte, um damit seinen Sohn Dan, an Bord der „Isabella“ früher allgemein das Bürschchen genannt, kräftig zu vertrimmen.

Er nickte den Männern zu, sagte aber kein Wort. Vor ein paar Monaten hatten sie ihn, in einem Beiboot treibend, aus der Karibik gefischt und an Bord genommen.

„Wir könnten Penzance anlaufen und dort Trinkwasser sowie Proviant übernehmen“, schlug Old Shane vor. Er sprach ruhig und bedächtig und überlegte sich jedes Wort. „Das liegt in der westlichen Mount’s Bay. Niemand wird sich dort um uns kümmern, wenn wir die Lebensmittel bezahlen.“

„Ein guter Vorschlag“, sagte Ben Brighton. „Wir werden tun, was Old Shane vorgeschlagen hat, aber ...“ Er blickte die umstehenden Männer ziemlich ratlos an. „Womit sollen wir bezahlen? Keiner von uns hat auch nur eine Handvoll englischer Münzen.“

„Wir sind doch stinkreich“, sagte der Franzose Jean Ribault. „Wir haben von allem etwas. Wir könnten mit Perlen bezahlen, mit Silber- oder Goldbarren. Aber wie viele englische Pfund erhält man für einen Goldbarren? Weiß das jemand?“

Niemand wußte es. Die Ratlosigkeit wurde größer. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Hier saßen sie auf unermeßlichen Reichtümern, auf Kostbarkeiten aus aller Welt und konnten sie nicht einsetzen.

Ben Brighton ergriff wieder das Wort. Er suchte nach einem Ausweg.

Ribault drehte sich um und starrte grübelnd ins Wasser. Auch er suchte krampfhaft nach einer Idee.

„Wenn wir mit Edelsteinen, Perlen oder Gold bezahlen, dann fallen wir überall auf. Man wird auf unsere Beute aufmerksam werden, man wird sich fragen, ob wir nicht noch mehr davon haben. Wir locken nur die Halsab-schneider an, die über uns herfallen würden wie die Aasgeier. Jeder wird uns übers Ohr zu hauen versuchen. Sie werden uns nach Strich und Faden bescheißen, uns ausnehmen wie Mastgänse, denn wir haben keine Ahnung von dem Wert der einzelnen Stücke. Was, zum Beispiel, können wir für eine taubeneigroße Perle verlangen?“

Ben Brighton sah die Männer an. Die meisten zuckten mit den Schultern. Sie wußten es nicht. Sie waren weder Kaufleute, weder Händler noch Goldschmiede. Den echten Gegenwert kannten sie nicht.

Brighton merkte zum wiederholten Male an diesem verdammten Tag, daß der Seewolf an allen Ecken und Enden fehlte. Er, der schwarzhaarige Teufel, hätte in dieser Situation vielleicht nur gelacht und das Problem mit dem kleinen Finger erledigt.

Da tippte ihm plötzlich der rothaarige Ferris Tucker mit dem Zeigefinger auf die Schulter. Der Schiffszimmermann mit dem Kreuz, das so breit war wie ein Rahsegel, strahlte übers ganze Gesicht.

„Was ist mit unserer Tabakbeute, Ben? Wir haben doch die Ballen aus Panama. Die schleppen wir schon monatelang mit uns herum.“

„Mann, Ferris! Du bringst mich da auf einen wunderbaren Gedanken. Klar, die Tabakballen können wir verscheuern. In England ist Tabak knapp und schwer zu kriegen. In Hofkreisen wird das stinkende Kraut geraucht. Manche Kaufleute bezahlen jeden Preis dafür.“

„Verscheuern wir den Tabak!“ brüllten ein paar Männer laut.

„Tabak gegen Wasser und Proviant!“

Der Regen lief ihnen über die Gesichter. Die Haare hingen ihnen klatschnaß in die Stirn, die beiden Schiffe hoben und senkten sich träge in dem Wasser.

Niemand achtete darauf. Ferris Tucker hatte eine Idee gehabt, und die wollten sie jetzt in die Tat umsetzen.

„Einen Becher Wein für jeden!“ rief Brighton. „Und zwei für unseren Schiffszimmermann!“

Ferris Tucker strahlte. Sein Grinsen erlosch nicht mehr.

Dann brachte jemand von der Crew den Wein und alle hoben die Becher. Neidlos sah jeder zu, wie sich Tucker auch noch den zweiten Becher hinter die Binde goß. Er hatte ihn redlich verdient.

„Falls der Verkauf des Tabaks nicht klappen sollte,“ sagte Ben Brighton und dämpfte die überschäumende Freude, „dann versuchen wir eben, ein paar Silberbarren gegen Pfund einzutauschen. Und jetzt wollen wir keine Zeit mehr verlieren, Männer. Anker auf, wir segeln nach Penzance!“

Wieder tippte ihm jemand auf die Schulter, als er sich gerade umwandte. Es war Jean Ribault. Der Franzose grinste genauso wie Ferris Tucker übers ganze Gesicht.

„Ich habe auch noch eine wunderbare Idee, Ben“, sagte er. Und dann begann er, Ben Brighton seinen Plan auseinanderzusetzen.

Der Vertreter des Seewolfes hörte sprachlos zu. Ein paarmal schüttelte er den Kopf, dann sah er Ribault an und lachte ebenfalls.

Auf der „Isabella V.“ lag die Freude buchstäblich in der Luft. Es gab niemanden mehr, der schlechte Laune hatte.

2.

Am Mittag desselben Tages lief die „Isabella“ in den Hafen von Penzance ein, wo nur ein kleiner Kauffahrer lag, der seine Ladung bereits gelöscht hatte.

Die Schaluppe hatten sie zurückgelassen. Später, auf dem Rückweg, würde sie wieder im Kielwasser der „Isabella“ folgen.

Nur ein paar Menschen waren zu sehen, Stauer, die Fässer und Kisten in die hölzernen Schuppen trugen. Zwei von ihnen liefen herüber und nahmen die Trossen an, als das Schiff an die Pier ging.

Jean Ribault winkte den beiden Männern hoheitsvoll zu, die an der Holzpier standen und ihn fassungslos anstarrten. So einen wie den hatten sie noch nie gesehen.

Ribault trug die Kleidung französischer Höflinge. Schwarze Schnallenschuhe, weiße Strümpfe, enge Hosen, die bis ans Knie reichten und darüber eine goldgrünschillernde Jacke, hauteng geschneidert. Aus den Jackenärmeln lugten weiße Spitzen heraus. Ebenso aus dem ausgelegten Hemdkragen. Dort prangten Rüschen und Spitzen, die den beiden Stauern nicht geheuer erschienen. Ribault hatte die alten Klamotten in einer Kiste an Bord entdeckt. Und genau darauf hatte er seinen Plan aufgebaut.

Das Ungetüm, das neben ihm an Deck erschien, fühlte sich in seiner neuen Rolle alles andere als wohl. Es war Edwin Carberry, der Profos der „Isabella“. Ein Kerl wie ein Bulle, mit einem ungeheuren Rammkinn, mächtigen Schultern und einem Gesicht voller Narben. Grollend, und nur nach brüllendem Zureden Brightons, hatte er sich fluchend mit seiner Rolle abgefunden.

Sein mächtiger Körper steckte in der Uniform der französischen Lakaien, wie sie bei Hofe herumliefen. Sein Nußknackerkinn war angriffslustig vorgeschoben. Und wer den Profos kannte, der wußte daß er vor Wut heimlich platzte. Aber er mußte mitspielen, zum Wohle aller, und damit sie nicht auffielen.

Ribault betupfte seine Stirn mit einem Spitzentüchlein und wandte sich indigniert an Carberry.

„Parbleu“, sagte er anklagend und wies auf die beiden Stauer, deren weitaufgerissene Augen jede seiner Bewegung verfolgten. „Was starrt mich der Pöbel so herausfordernd an! Sag diesen Bauernlümmeln, daß sie den Hafenkapitän holen mögen, Pierre!“

Der mit Pierre Angesprochene zuckte zusammen, als hätte ihm jemand einen Belegnagel auf den Schädel geschlagen. Sein Rammkinn ähnelte jetzt einem Amboß, auf dem der Schmied von Arwenack Eisen hätte schlagen können.

Der Profos beugte sich über die Reling. Die verdammten Rüschen schnürten ihm fast den Hals zu, als seine Ader anschwoll.

„Mäßige dich, Pierre!“ hörte er Ribaults näselnde Stimme.

Das gab ihm fast den Rest. Sein Gesicht lief knallrot an. Wenn er gesehen hätte, wie die Männer sich über ihn amüsierten, wäre er explodiert. Aber die hatten sich auf dem Schiff gut verteilt und taten so, als sei alles ganz normal. Old Shane und den alten Donegal O’Flynn hatten sie ohnehin unter Deck verborgen, denn die kannte an Cornwalls Küsten jeder Hafenkapitän.

Der Profos beugte sich noch weiter vor.

„Holt den Hafenkapitän, ihr verdammten Rübenschwei ...“

Ein Tritt des Grandseigneurs Ribault an sein Schienbein ließ ihn den Rest der Worte verschlucken. Er kaute förmlich darauf herum. Als die Donnerstimme verstummte, rannten die beiden los, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken.

Jean Ribault verbiß sich nur mühsam das Grinsen.

„Warte nur, bis wir wieder draußen sind“, grollte „Pierre“. „Dann lasse ich dir Haut von deinem Affenarsch abziehen und zu Schuhriemen verarbeiten.“

„Du spielst deine Rolle gefälligst weiter, Carberry“, peitschte hinter ihm die Stimme Ben Brightons auf. „Hast du das ganz klar verstanden, Mann?“

„Aye, aye“, knurrte der Profos und gab sich innerlich einen Ruck. Seit der Seewolf nicht mehr an Bord war, stand er ebenso unverbrüchlich zu Ben Brighton und nahm jeden seiner Befehle bedingungslos und ohne zu murren an.

Fünf Minuten später bogen drei Männer um die Ecke des letzten Schuppens. Die beiden Stauer redeten und palaverten aufgeregt auf den dritten Mann ein, der sich gelassen näherte. Sie hatten ihn in der Mitte und überhäuften ihn pausenlos mit Neuigkeiten.

„Ah, Monsieur Capitaine!“ Ribault strahlte, als der Hafenkapitän vor dem Schiff stand. „Parlez-vous francais, mon Capitaine?“

„Ha?“ Der Hafenkapitän schob sich die Mütze in den Nacken und kratzte verlegen seinen Schädel. „Äh, nur ein wenig, kaum Sen ... äh – Monsieur.“

„Ribault“, stellte sich Jean vor. Dazu vollführte er eine kleine, einladende Verbeugung, nicht übertrieben, aber so, daß es wirklich echt aussah.

„Kommen Sie bitte an Bord, Monsieur!“

Dieser Aufforderung hätte es kein zweites Mal bedurft. Der Mann, ein bieder aussehender Seemann, der seinen Dienst im Hafen von Penzance versah, warf sich stolzgeschwellt in die Brust.

„John Stubbs, Sir – äh – Monsieur“, sagte er. Sein vorsichtiger Blick streifte Carberry, der mit steifem Genick sogar so etwas wie eine Verbeugung fertig kriegte.

Ein französischer Kauffahrer in seinem Hafen! Ausgerechnet bei ihm. Wenn das keine Ehre war!

Ribault sah belustigt, wie der Hafenkapitän alles unauffällig musterte. Zum Schluß blieb sein Blick an fünf gelbgrünen Ballen hängen, die ausgebreitet auf einer Persenning an Deck lagen. Lange Zeit starrte er das Zeug an, ohne zu wissen, was es war.

„Tabak, mon Capitaine. Was Sie da sehen, ist edler, bester Tabak aus der Neuen Welt. Man reißt sich um das edle Kraut. Mon Dieu, Sie sollten diese herrliche Würze einatmen, Monsieur. Köstlich, sage ich Ihnen, ein Genuß!“

„Tabak“, wiederholte der Kapitän andächtig. „Ja, davon habe ich schon gehört. Tabak aus der Neuen Welt.“

„Ein hochwohllöbliches Kraut“, pries Ribault die Ballen an. Dann wandte er sich an Carberry, der verstört von einem zum anderen sah.

„Was stehst du hier herum, Lümmel!“ herrschte er ihn an. „Hol die Kiste mit den Pfeifchen, vite-vite, rapide!“

Dem Profos stiegen fast die Tränen in die Augen.

„Merde“, sagte er voller Inbrunst. „Merde!“ Das war das einzige französische Wort, das er kannte.

„Merde“, wiederholte auch der Hafenkapitän ehrfürchtig. Wahrscheinlich hielt er das für eine Höflichkeitsfloskel.

Jean Ribaults Gesicht erstarrte zu einer Maske, damit der Hafenkapitän das dahinter verborgene Grinsen nicht sah. Auf dem Achterdeck wanden sich zwei Männer in Krämpfen. Ben Brightons Gesicht lief knallrot an. Ribault zog hier eine Schau ab, die es in sich hatte. Dieser Bursche setzte allem die Krone auf, mit seinem eitlen, stutzerhaften Benehmen, dem Tüchlein, das er ab und zu leicht an die Augen führte, und seinen Rüschen, die ihn wie eine weiße Wolke umgaben.

Während sich der Profos, innerlich total zermürbt, racheschnaubend nach achtern begab, um die Tonpfeifen zu holen, näherte sich der Hafenkapitän den gepreßten Tabakblättern, beugte sich hinunter und beschnüffelte sie mit verklärtem Gesicht.

Tabak aus der Neuen Welt! Und der wurde ausgerechnet in seinem Hafen gehandelt, denn daß der Franzose damit handeln wollte, war ihm klar. Das Kraut mußte sündhaft teuer sein.