cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2614

 

Navigator Quistus

 

In der BASIS und der RADONJU – Schicksalswege verflechten sich

 

Christian Montillon

 

img2.jpg

 

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Der furchtbare, aber kurze Krieg gegen die Frequenz-Monarchie liegt inzwischen sechs Jahre zurück. Die Hoffnung auf eine lange Zeit des Friedens bleibt leider unerfüllt. Die geheimnisvolle Macht QIN SHI schlägt zu, und es geschieht mehrerlei:

Alaska Saedelaere stößt mit dem Kosmokratenraumschiff LEUCHTKRAFT ins Reich der Harmonie vor, um dessen Kommandantin Samburi Yura zu befreien. Bei der ersten Begegnung mit der Herzogin kommt es allerdings zu Missverständnissen, und Saedelaere bleibt mit dem Zwergandroiden Eroin Blitzer im Palast der Harmonie unter Beobachtung.

Das Solsystem wird von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Universum entführt, in dem die geheimnisvollen Auguren die Kinder und Jugendlichen beeinflussen wollen, um die Menschheit »neu zu formatieren«.

Perry Rhodan schließlich hat es in die von Kriegen heimgesuchte Doppelgalaxis Chanda verschlagen, wo er zuerst einen Außenposten etablieren und Informationen gewinnen musste. Nun gilt seine Sorge dem legendären Fernraumschiff der Menschheit. Auf seiner Suche verbündet er sich mit dem geheimnisvollen Ennerhahl und begegnet NAVIGATOR QUISTUS ...

 

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner ist auf einen Fremden angewiesen.

Protektor Kaowen – Der Xylthe lässt seine Feinde unerbittlich verfolgen.

Ennerhahl – Der Humanoide nutzt seine ganz besonderen Mittel und Möglichkeiten.

Quistus – Der Navigator begegnet Wundern und Schrecken des Weltraums.

Elachir und Sareph – Die Scharlach-Roten entdecken etwas Neues.

Aus der Historie des Navigators (1)

 

Dorthin gehen, wo andere nur den Tod sehen.

Abgründe durchfliegen, die tausendfaches Verderben bringen.

In einem Hyperschlund manövrieren, der Dutzende Schiffe zermalmt.

Für den Navigator ist all das nichts Ungewöhnliches. Er spürt den Kosmos, findet den Weg durch die gefährlichsten Viibad-Riffe und die zerstörerischsten höherdimensionalen Stürme.

Soeben gleitet er an einer Raum-Zeit-Verwerfung entlang und entdeckt die Schnur, die zurück in sichere Gefilde führt, den Weg in den normalen Raum. Wie Perlen reihen sich ruhige Zonen in dem aufgewirbelten All; obwohl sie umherspringen, bleiben sie miteinander verbunden.

Navigator Quistus sieht viel mehr als der Kommandant des quaderförmigen Schiffes, das offenbar in dieser Umgebung gefangensitzt. Er fühlt alles Nötige und empfindet den richtigen Pfad tief in seinem Inneren.

Die Melodien des Weltraums finden Resonanz in seiner Seele, seinem Geist. Sein Bewusstsein greift hinaus ins All, und eine paranormale Ebene seines Verstandes frohlockt, wenn sie erkennt.

Quistus analysiert instinktiv, was im hyperphysikalischen Bereich um ihn vor sich geht; sein erstaunliches Verständnis für mathematische Vorgänge verhilft ihm zu den nötigen Daten. Eine Positronik wie jene des gefangenen Schiffes vermag all das zumindest ansatzweise zu berechnen, doch der Navigator empfindet es, was unendlich viel kostbarer und effektiver ist.

Es ist der Unterschied zwischen Kälte und Wärme, zwischen Tod und Leben, zwischen Dürre und blühender Vegetation.

Quistus bewegt einen Tentakel, treibt in den Gasen der Schiffsatmosphäre ein wenig höher, der geschwungenen Decke entgegen. So nimmt er einen anderen Blickwinkel zu dem Holo ein, das ihm seine kosmische Umgebung zeigt.

Er sieht keine Bilder, wie andere sie wahrnähmen, sondern Zahlen und Formeln, die sich gegenseitig durchdringen und herabrieseln wie verflüssigter Stickstoff in einen schillernden See. Sie umschwirren einander, verschmelzen und ranken wieder empor.

Grün, blau, rot und in allen Farben des im Prisma gebrochenen Lichtes explodieren die Daten im Verstand des Navigators. Seine vier Augen schließen sich, er benötigt sie nicht, um hinauszublicken in die Ferne.

Seine Parasinne graben sich durch diese scheinbar völlig chaotische Region des Weltalls und finden das Muster, das eine Orientierung ermöglicht. Sie erkennen die aussichtslose Lage des gefangenen Raumschiffes und seiner Besatzung.

Den Fremden droht keine unmittelbare Zerstörung, aber sie sitzen fest und werden diesen Ort nie mehr verlassen können. Sie treiben in einer endlosen Schleife: stetig voran und durch eine Raumkrümmung immer wieder zurück an ihren Ausgangsort.

Die Maschinen der gefangenen Einheit arbeiten, die Triebwerke laufen und bringen die Masse des Schiffes stets aufs Neue in den ausweglosen Kreislauf. Wer weiß, wie lange noch?

Quistus beschließt, den Fremden zu helfen. Es gibt nichts, was ihn abhielte. Er ist frei in seinen Entscheidungen, und womöglich stellt die Mannschaft dieses Raumers einen der Gründe dar, warum er seine Heimat Iothon verlassen hat und auf Reisen ging.

Wer vermag das schon zu sagen? Wer kann beurteilen, ob es ein Schicksal und eine Vorherbestimmung gibt?

Also steuert der Navigator zurück und findet eine Möglichkeit, sich zumindest von außen in die Systeme des fremden Schiffes einzuklinken und über die internen Kameras einen Blick ins Innere zu werfen.

Auf diese Weise erkennt er, wie perfekt die Technologie des gefangenen Raumers arbeitet. Offensichtlich funktioniert sie schon sehr lange. Die Bilder zeigen ihm Skelette in zerfallenen Uniformen. Leere Augenhöhlen starren blicklos auf die ewig gleichen Stellen. Irgendwo blinkt ein seelenloses Licht.

Eine Hyperfunkbotschaft hat die Raum-Zeit-Verwerfung nie verlassen, sondern bleibt ebenso darin gefangen wie jene, die sie einst abgesendet haben. Es handelt sich um einen simplen Hilferuf, dem eine Ziffer folgt.

1.046.649.623.

Zuerst versteht Quistus die Bedeutung dieser Zahl nicht, dann bemerkt er, dass sie sich bei jedem Durchlauf der Hilfebotschaft um eins erhöht.

1.046.649.624.

Der Navigator muss nicht lange rechnen, um die volle Konsequenz zu erfassen.

In jeder Minute wird der Hilferuf drei Mal gesendet. Seit 5.814.720 Stunden. Seit 242.280 Tagen.

Quistus empfindet tiefes Bedauern. Er berührt einen der Tentakelarme seiner Geliebten, um Trost zu spenden und zu empfangen.

Ein weiterer Durchlauf ist vollendet, einer in einer ewigen Reihe: 1.046.649.625.

Dann beginnt der Schrei nach Rettung aufs Neue, wie seit 673 Jahren ununterbrochen. Nur dass jene, die ihn einst ausstießen, längst tot sind, vielleicht verhungert und verdurstet ... oder Schlimmeres.

Wieder schleudert die Raum-Zeit-Verwerfung das Schiff an seinen Ausgangspunkt zurück. Selbstverständlich bekommt es die Besatzung nicht mehr mit. Ihr Fleisch ist längst in einer riesigen Totenhalle zerfallen, deren Außenhülle nur Leichen vor der feindlichen Raum-Zeit-Anomalie schützt.

Quistus bricht die Beobachtung ab; das Letzte, was er sieht, ist ein Strahler, der noch immer in einer skelettierten Hand liegt. Ein bleicher Fingerknochen ruht über dem Abzug.

Der Navigator fragt sich, welche Dramen sich in diesem Schiff abgespielt haben mögen. Dann fliegt er weiter, hinaus in die ewigen Gefilde des Alls, die Freude und Schönheit ebenso kennen wie Leid und Tod.

Es gibt viel zu entdecken.

So unendlich viel.

1.

RADONJU:

Fremde Wege und Ziele

 

Rauch wölkte heran, wallte auf und zerstob unter einer neuerlichen Druckwelle. Das rötliche Feuer dahinter glomm wie die Augen eines Raubtiers, die der Beute den Tod verheißen.

Perry Rhodan lag am Boden, den Rücken gegen die Wand gepresst. Die erste Explosion hatte ihn zurückgeschleudert. Etwas war mit seinen Beinen geschehen; eiskalter Schrecken setzte einen Adrenalinstoß frei, der schmerzhaft durch seinen ganzen Körper zuckte.

Doch das Taubheitsgefühl ließ nach, und zu Rhodans Erleichterung meldeten die Systeme des SERUNS volle Einsatzbereitschaft. Er würde zumindest für einige Sekunden geschützt sein.

Was nichts daran änderte, dass sie entdeckt worden waren. So viel also zu Ennerhahls und seinen Heimlichkeiten; so viel dazu, dass sie geplant hatten, sich bis auf Weiteres inmitten eines Schiffes ihrer Feinde zu verstecken.

Und nicht nur irgendeines Schiffes – Rhodan wusste zwar nicht viel über die RADONJU, aber sie war das Flaggschiff von Protektor Kaowen, eines überaus mächtigen Xylthen, der die Eindringlinge bis in den letzten Winkel suchen ließ.

»Bleib ruhig!«, flüsterte Ennerhahls Stimme dicht an seinem Ohr. Schwarzer Rauch umwölkte die Gestalt seines geheimnisvollen neuen Verbündeten. Erst vor Sekunden hatten sie ihre Zusammenarbeit besiegelt – wie es nun schien, nur deshalb, um sogleich zu scheitern.

Die Entdeckung war wohl gleichbedeutend mit ihrem Ende. Selbst wenn es ihnen gelang, diesen ersten Trupp zu überwältigen, würde es unmöglich sein, erneut unterzutauchen. Und gegen Dutzende, vielleicht Hunderte oder Tausende Feinde konnte auch der beste Kämpfer im modernsten SERUN nicht bestehen; sogar Ennerhahl mit seinen Gimmicks musste dann untergehen.

Aber was bedeuteten die Worte seines Verbündeten? Bleib ruhig?

Ennerhahl zeigte sich nicht im Mindesten verängstigt, sondern sah ihn aus pechschwarzem Gesicht ausdruckslos an. »Rhodan, überlass das mir.«

Weiterer Lärm ertönte. Etliche Gestalten stürmten in den Lagerraum, den die beiden Flüchtlinge als Versteck nutzten und in dem der Terraner einiges über seinen mysteriösen Begleiter erfahren hatte.

Zweifellos handelte es sich um ein Suchkommando. Bewaffnete Xylthen, Badakk und drei, nein, vier Kampfroboter. Waffenmündungen schwenkten durch die verwehenden Rauchschwaden der Explosion, mit deren Hilfe sich das Kommando mit brachialer Gewalt Zugang zum verschlossenen Lagerraum verschafft hatte.

Die Roboter drangen als erste tiefer in den Raum ein. Waffenbänder aus facettierten Kristallen leuchteten rund um den tonnenförmigen Leib. Die halbkugelförmigen Kopfsektionen drehten sich surrend und suchend im Kreis.

Doch die Maschinen wurden nicht fündig, ebenso wenig wie die nachstürmenden Soldaten. Dabei sah einer von ihnen Perry Rhodan genau ins Gesicht.

Der Terraner konnte sogar die Spiegelung der letzten kleinen Flammen auf der fahlweißen Gesichtshaut seines Gegners erkennen. Der muskelstarrende Xylthe drehte sich um, und der Widerschein wanderte über den völlig kahlen Schädel. Die wimpernlosen Lider blinzelten.

Kein Zweifel, der Soldat bemerkte die Gesuchten nicht, obwohl sie frei und ungeschützt weniger als fünf Meter von ihm entfernt an der Wand kauerten. Rhodans Atem ging flach, das taube Gefühl verschwand endgültig aus seinen Beinen.

Erleichtert bewegte er die Zehen in den Stiefeln seines Schutzanzugs. Er hörte ein leises Knacken über der Achillessehne, als renke sich etwas wieder ein. Sein Blick wanderte zu Ennerhahl, der sich erhob und langsam quer durch den Raum ging – genau auf einen der Badakk zu.

Das zylinderförmige Wesen glitt auf zahlreichen Pseudopodien über die Trümmer der gesprengten Tür; es wirkte, als würde es darüberschweben. Die kleinen Beinchen an der Unterseite des Körpers waren kaum zu sehen. Über der oberen Fläche des Zylinderkörpers schwangen die stachelartigen Fortsätze, in denen Augen und andere Sinnesorgane lagen.

Im nächsten Moment stockte die gleitende Bewegung des Badakk. Der gerundete Leib neigte sich, als wolle er in der Mitte zerreißen. Die Lederhaut spannte, und es sah aus, als würde das Fremdwesen nach vorn kippen. Doch es fing sich ab, drehte sich einmal um die eigene Achse, eilte mit hektischen kleinen Sprüngen los und prallte gegen einen Xylthen.

Dieser wirbelte herum.

»Was ist das?« Der Soldat klang panisch. Die Waffe in seiner Hand ruckte hoch, zielte genau auf die Stielaugen seines vermeintlichen Gegners.

Der Badakk sprang zur Seite; noch im Flug schrumpften die ruckartig ausgedehnten Pseudopodien an der unteren Platte des Zylinders wieder ein. Der Schuss jagte über ihn hinweg durch die aufgesprengte Türöffnung.

Ein zweiter Xylthe schrie auf und feuerte ebenfalls. Seine Salve schmetterte in die Decke und hinterließ einen glühenden See in der Höhe, aus dem flüssiges Metall zu Boden tropfte. Es zischte, und als das Material wieder auskühlte, ragte ein dünner Faden wie ein Stalaktit in die Tiefe.

»Aufhören!«, drang die schneidende Stimme des Badakk durch den Lagerraum. »Hier ist nichts!«

Die Kampfroboter bewegten sich ziellos, in einer erratischen Bahn, als würden sie von einem Irrsinnigen ferngesteuert. Einer stieß gegen den zerfetzten Rahmen der Eingangstür, drückte sich mit aller Gewalt weiter, dass sich ein scharfes Metallfragment in sein Waffenband bohrte.

Einige der Kristalle barsten. Splitter spritzten in alle Richtungen, einer schlitzte einem Badakk die elfenbeinfarbene Lederhaut auf. Blut rann aus der Wunde.

»Hört ihr nicht?«, schrie nun auch einer der Xylthen, offenbar der Anführer. »Hier ist niemand! Ruft die Roboter zurück. Wir müssen weitersuchen! Kaowen verlangt einen Erfolg! Und der Protektor ist nicht gut gelaunt.«

Perry Rhodan beobachtete das absonderliche Schauspiel, in dessen Zentrum Ennerhahl wie ein Regisseur zwischen seiner Truppe entlangspazierte und sie dirigierte. Der geheimnisvolle Fremde sah fast aus, als tänzele er vor Vergnügen, als sei alles für ihn nur ein bizarrer Spaß.

Der Suchtrupp verließ den Raum, den Abschluss bildete der leicht verletzte Badakk.

Einen Augenblick später stand Ennerhahl vor Rhodan. »Siehst du? Es war kein ernst zu nehmendes Problem.«

»Wie ist dir das gelungen?«

»Mir stehen gewisse Mittel, Möglichkeiten und Wege zur Verfügung.«

Rhodan unterdrückte den aufkommenden Ärger. Das wusste er inzwischen. »Du hast es oft genug betont. Aber wie ...«

»Lass es damit bewenden.«

War dies eine Bitte oder ein Befehl? Der Terraner ging dieser Frage, die sich ihm unwillkürlich aufdrängte, nicht weiter nach. »Und nun?«

Ennerhahl stieg über die Explosionstrümmer. »Suchen wir uns ein besseres Versteck.«

 

*

 

Sie irrten seit einer Stunde durch die RADONJU, deren Gesamtaufbau sie nach wie vor nicht kannten. Ein Gewirr aus Gängen, das ihm wie ein Labyrinth erschien, lag hinter ihnen; inzwischen waren sie durch einen winzigen Einstieg in einen engen Wartungskorridor gelangt.

Rhodan wusste, dass es sich bei dieser Einheit um das Flaggschiff Protektor Kaowens handelte, eines hochrangigen Xylthen. Und dass sie ihrem Feind auf keinen Fall in die Hände fallen durften, was sich aber auf Dauer nicht so einfach würde vermeiden lassen.

»Ich hatte dir bereits im Vorfeld gesagt, dass ich eine Entdeckung abwenden kann«, stellte Ennerhahl gelassen fest. »Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.«

»Dennoch sollten wir zusehen, dass es kein zweites Mal geschieht«, forderte Rhodan. »Wer weiß, ob es wieder so glimpflich abläuft. Wenn jemand gesehen hätte, wie merkwürdig sich dieser Suchtrupp verhält, wäre er sofort misstrauisch geworden!«

»Es hat aber niemand beobachtet.« Ennerhahl wirkte wie ein Mann, der echte Gefahr noch nie kennengelernt hatte – oder so sehr mit ihr vertraut war, dass sie zu seinem Alltag gehörte.

Rhodan konnte nicht leugnen, dieses Gefühl bestens zu kennen. »Sobald wir ein vernünftiges Versteck bezogen haben, in dem uns nicht jeden Augenblick ein Suchtrupp ausfindig machen kann, sollten wir über eine Flucht nachdenken.«

»So?«

»Wir müssen die RADONJU verlassen!« Raus aus dieser Höhle des Löwen, ergänzte er in Gedanken.

»Müssen wir das?« Ennerhahl ging während dieser Worte zielstrebig weiter. Die bedrückend niedrige Decke des Wartungskorridors ließ nur wenig Freiraum. Hin und wieder standen schwarze Roboter in genau passenden Mulden. Sie blieben energetisch tot, warteten auf ihren Einsatz bei Fehlfunktionen oder einer Teilzerstörung des Schiffes.

»Ja«, sagte Rhodan ebenso gelassen wie bestimmt. »Das müssen wir.«

Doch vor der Flucht musste er Informationen über die RADONJU sammeln, um sich einen Gesamteindruck dieses fremden Raumers zu verschaffen. Womöglich konnte er auf diese Weise, in den Speicherbänken oder durch die Beobachtung der Besatzung, auch mehr über Chanda erfahren.

Er wusste über diese Doppelgalaxis, in die es ihn an Bord der entführten BASIS verschlagen hatte, mittlerweile wenigstens, dass sie mit einer der verlorenen Polyport-Galaxien identisch war.

Und: Offenbar herrschte eine Superintelligenz namens QIN SHI über diese Sterneninsel; in welchem Maß und mit welchen Konsequenzen, hatte er bislang nur andeutungsweise in Erfahrung bringen können.

Genau genommen irrte er durch eine völlig fremde Region des Kosmos, als wäre er blind – und das zu allem Überfluss direkt in dem Machtzentrum seiner unbekannten Feinde.

Kein angenehmes Gefühl und doch auf bittere Weise vertraut. Manchmal glaubte Rhodan, Situationen wie diese wären unabdingbarer Teil seines Schicksals. Allein in der Fremde, umgeben von den Grausamkeiten und Wundern des Alls, die sich auf immer neue Weise offenbarten ...

Ennerhahl blieb stehen. »Womöglich beurteile ich die Lage anders als du, weil ich nicht dieselben Interessen verfolge.« Er drehte ruckartig den Kopf. Die glatten Haare rutschten über die Schultern. »Aber in einem stimme ich dir zu, auch wenn du es nicht ausgesprochen hast: Ich weiß, was du als Nächstes planst. In dieser Hinsicht bist du leicht zu durchschauen. Also, ich gebe dir recht: Weitere Informationen können nichts schaden. Begeben wir uns also auf die Suche danach.«

Aus der Historie des Navigators (2)

 

Die Raum-Zeit-Anomalie mit dem geisterhaften Totenschiff liegt weit hinter ihnen. Der Navigator und seine Gefährtin betrachten die Schönheit des Alls und die Wunder der Doppelgalaxis Chandor, ihrer Heimat. Kaum ein Iothone hat je geschaut, was sie beide mit eigenen Augen erblicken.

Quistus ist zufrieden. Er lebt und empfindet Freude.

Mit seiner Gefährtin Serume schwebt er einen schwerelosen Tanz und bewundert ihre Anmut.

Wir sind weitab unserer Heimat, schießt es ihm plötzlich durch den Kopf.

Wehmut steigt bei diesem Gedanken in ihm auf, schmerzt in seiner Seele. Aber als er Serume ansieht, weiß er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat, als er seinen Heimatplaneten verließ, um auf Reisen zu gehen.

Die wenigsten Iothonen wagen diesen Schritt. Man muss wohl dafür geboren sein.

Der Navigator kennt diese Sehnsucht schon lange, dieses Fernweh nach all den Sonnen, die in den Nächten durch die Atmosphäreschwaden seiner Heimatwelt schimmern.

In dieser Hinsicht ist er genau wie Serume. Vielleicht haben sie deshalb zusammengefunden, um ihr Leben gemeinsam zu verbringen. Wenn Quistus sie ansieht, die Grazie ihrer Tentakel, ihre weit geöffneten Augen, die vor Neugierde hervorquellen, dann weiß er, wo sein wahres Zuhause liegt.

Nicht auf Iothon.

Sondern nur bei Serume, wo immer sie sein mag.

Wo sie hingeht, da will auch er hingehen. Sie gibt ihm den Frieden, den er braucht, den Mut, stets weiterzufliegen, Chanda zu entdecken, vielleicht sogar die Brücke zur fernen Hälfte aus der Nähe zu bewundern.

Sie reisen, schweben und sind glücklich.

Serume kommt zu ihm. Sie berühren einander.

»Wohin?«

»Fühlst du die Hyperraum-Falte?«, entgegnet er.

»Wieso sie wohl einst entstanden sein mag?«

»Lass es uns herausfinden«, fordert sie, als kenne sie seine Gedanken.

Auf dem Weg dorthin nähern sie sich einer bewohnten Welt. Sie haben keine Eile, kein wichtiges Ziel, das sie daran hindert, ihre Pläne spontan zu ändern.

Also besuchen sie diese fremde Welt. Sie nutzen ihre Sphären – Umwelttanks, in denen sie sich in atembarer Atmosphäre bewegen können, denn dieser Planet ist eine giftige Welt.

Wie kann man ein so aggressives Gas wie Sauerstoff atmen?

Die Bewohner sind anders als der Navigator und seine Gefährtin. Sie gehen bodengebunden auf zwei steifen, endoskelettösen Tentakeln, vermögen nicht zu schweben. Es ist nicht das erste Mal, dass Quistus und Serume solchen Humanoiden begegnen. Diese Art des Lebens trifft man auf vielen Welten, als sei sie ausgesät worden.

»Wir sind Es'terianer«, sagt eines der Wesen, »und unsere Welt heißt Es'teria.«

Sie sind freundlich, und der Navigator staunt über ihre Eigenarten. Die Es'terianer nehmen seltsame Getränke zu sich, berauschen sich förmlich daran. Danach tanzen und singen sie und freuen sich ihres Lebens, als hätten sie keine Ahnung, dass es auch Leid und Tod in der Weite des Kosmos gibt.

Irgendwann in der Nacht sagt das Wesen, das sie zuerst begrüßte: »Wir sind wie die Kinder.«

»Ja.« Serume lehnt sich in ihrem Umwelttank zurück. Aus allen Augen schaut sie nachdenklich in die Schwärze des Sternenhimmels. »Wie die Kinder ...«

Quistus weiß nicht, warum sie diese Worte wiederholt. Er denkt lange darüber nach, doch am nächsten Tag, als sie weiterreisen, hat er es vergessen. Serume jedoch kommt ihm verändert vor. Es dauert einige Tage, bis sie wieder glücklich ist.

2.

BASIS:

Die Scharlach-Roten

 

Irgendwie nimmt uns keiner jemals wahr. Es ist, als wären wir Luft. Ganz schöner Mist, wenn wir ehrlich sind.

Ach ja, wir sind die Scharlach-Roten.

Kennt ihr nicht?

Habt ihr noch nie gehört?

Ist ja klar, siehe oben: Irgendwie nimmt uns keiner jemals wahr.

Vielleicht ändert sich das, wenn man in der ganzen Galaxis unseren Bericht liest. Allerdings bezweifeln wir, dass es so weit kommen wird, Elachir noch mehr als ich. Mein Name ist übrigens Sareph.

Elachir war schon immer eine alte Pessimistin, schlimmer als ich. Und glaubt ja nicht, dass ich ein kleiner Sonnenschein wäre.

Aber zurück zum Thema.

Positiv ausgedrückt, machen wir das größte Abenteuer unserer Generation mit. Aber ihr wisst ja ... Optimismus ist nicht unser Ding. Deshalb: Wir sitzen in der BASIS fest, und obwohl wir echt interessante Sachen erleben, wird den Bericht darüber wahrscheinlich aus einem ganz einfachen Grund keiner lesen:

Weil wir diesen ganzen Mist nicht überleben.

Weil uns irgendwelche von diesen Monstern holen.

Weil wir, auch wenn wir nicht bald sterben, sowieso nie in die Milchstraße zurückkehren können.

Das sind sogar drei Gründe, sagt mir Elachir gerade. Wo sie recht hat, hat sie recht. Ich lasse es trotzdem so stehen. Papier ist kostbar.

Ja, richtig, Papier. Ein besseres Speichermedium steht uns hier nicht zur Verfügung, obwohl ich glaube, dass dieser Ertruser Trasur Sargon oder auch Konteradmiral Erik Theonta irgendwelche Speicherkristalle hüten.

Ich will später mehr von ihnen erzählen und auch von unserer ganzen Gruppe. Ein bunt zusammengewürfelter Haufen sind wir, das muss ich schon sagen. Wenn man die anderen fragen würde, wie viele wir sind, kämen sie wohl auf acht Leute. Weil keiner an uns beide denken würde.

Eigentlich sind wir nämlich mittlerweile nur noch zu zehnt, aber wir sind ja nur die Scharlach-Roten. Im besten Sinne unauffällig.

Verrückte Sache, wie wir zu unseren Namen gekommen sind. Als Kinder waren wir krank. Das ist noch gar nicht so lange her, wenn ich ehrlich bin.

Natürlich litten wir nicht am echten Scharlach, das wäre kaum ein Problem gewesen. Aber die Ärzte faselten irgendwas davon, dass es so ähnlich wie der altterranische Scharlach wäre, nur gefährlicher.

Nur gefährlicher.

Na toll. Auf unserer Heimatwelt starben eine ganze Menge Leute daran. Über eine Million, um genau zu sein. Nicht nur aus unseren Familien, sondern aus unserer kompletten Stadt sind Elachir und ich die Einzigen, die überlebt haben.

Warum, weiß eigentlich niemand. Wir hatten wohl Glück. Oder Pech, ganz wie man's nimmt. Denn es war kein Zuckerschlecken, damals.

Zwei Mädchen, sechs und sieben Jahre alt, mitten in einem Leichenberg. Anders kann man es wohl kaum nennen. Zuerst verkrochen wir uns irgendwo, wo keine Leichen herumlagen, aber später stank es überall furchtbar.

Überall.

Und immer.

Das Seuchenkommando fand uns erst nach sechs Wochen. Wir waren ziemlich dürr, durstig, und im Nachhinein betrachtet auch kurz vorm Durchdrehen.

Ach ja, und außerdem waren wir rot.

Unsere Haut hat sich verfärbt und ist auch so geblieben. Eine Nebenreaktion des Vorgangs, mit dem unsere Körper die Krankheit bekämpft haben. Wie genau das alles abgelaufen ist, habe ich nie richtig verstanden.