Historische Valenz

Inhalt

Fußnoten

Einleitung

Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 7.

1.1 Althochdeutsch und Altsächsisch

Eckhard Meineke/Judith Schwerdt (2001): Einführung in das Althochdeutsche. Paderborn u.a., 96.

1.2 Mittelhochdeutsch

Vgl. ausführlich Hans Eggers (1965): Deutsche Sprachgeschichte II. Reinbek bei Hamburg, 57‒109.

Vgl. Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 66‒69.

Hans Eggers (1965): Deutsche Sprachgeschichte II. Reinbek bei Hamburg, 175.

1.3 Frühneuhochdeutsch

Vgl. Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 115‒128: Von der Kanzleisprache zum Luther-Deutsch.

1.4 Neuhochdeutsch

Auch Jörg Riecke (Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart 2016, 129), überschreibt die erste Phase des Nhd. mit „Wandel und Neuansatz im 17. Jahrhundert“, obwohl er die nhd. Periode mit ca. 1650 beginnen lässt.

Jörg Riecke (2016): Geschichte der deutschen Sprache. Eine Einführung. Stuttgart, 205.

Vgl. Peter Ernst (2005): Deutsche Sprachgeschichte. Eine Einführung in die diachrone Sprachwissenschaft des Deutschen. Wien, 235‒237.

2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden

Otto Ludwig (2005): Geschichte des Schreibens. Band 1: Von der Antike bis zum Buchdruck. Berlin, 125.

https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpl52

https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0009/bsb00094618/images/

1. Forschungsüberblick

Vgl. jedoch auch Ebert (1978) und Tarvainen (1986), in denen die geschichtliche Entwicklung bestimmter Satzglieder (Ebert zum Subjekt und Objekt, Tarvainen zum Subjekt, Objekt, Prädikativ und Adverbial) im Sinne von Valenz dargestellt wird.

3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten

Aus: Exhortatio ad plebem christianam.

Pat = Patiens, U:loc = lokale Umstandsbestimmung, P:perf = perfektives Prädikat.

3.1 Sprachkompetenz, idealer Sprecher-Hörer und „tote“ Sprachen

Noam Chomsky (1965): Aspects of the Theory of Syntax. The Massachusetts Institute of Technology; deutsch: Aspekte der Syntax-Theorie. Berlin 1969.

3.2 Die vierfache Kompetenz des Deskribenten älterer Sprachstufen

Roger G. van de Velde (1971): Zur Grundlegung einer linguistischen Methodik. Gezeigt am Beispiel der altfriesischen Syntax. München.

4.5.2.2.1 Kodierungssystem von Satzmodellen

Siehe das Abkürzungsverzeichnis auf S. 68.

4.5.2.2.3 Technische Realisierung der maschinellen Datenverarbeitung

Erklärung der Daten: 1. = Nummer des Belegs, 2. = Stellenangabe, 3. = Verb-Simplex, 4. = Verbzusatz, 5. und 6. = Präposition und Kasus des Präpositionalobjekts (3 = Dativ; 5 = undefinierbar, z.B. beim Präpositionaladverb), 7. = Umgebung (0501 = Nn+Na; 0503 = Nn+Nd; 0504 = Nn+Ng; 0505 = Nn+pN; 0513 = Nn+NS; 0525 = NSS+pN), 8. = Unterordnungsgrad des Satzes (01 = Hauptsatz (regierender Satz); 04 = Attributsatz; 08 = Angabesatz 2. Grades), 9. = Genus Verbi (1 = Aktiv), 10. = Modus (1 = Indikativ; 2. Konjunktiv), 11. = Tempus (01 = Präsens; 02 = Präteritum; 04 = Plusquamperfekt), 12. = Person (1 = 1. Pers. Sing.; 3 = 3. Pers. Sing.; 4 = 1. Pers. Pl.; 6 = 3. Pers. Pl.), 13. = Anzahl der nominalen Ergänzungen, 14. und 15. = Umfang und Art der 1. bzw. 2. nominalen Ergänzung (01 = ein Substantiv; 02 = ein Pronomen; 04 = ein Adverb; 06 = zwei Substantive).

4.6 Vom Korpus zu den Satzmodellen in Zeitungstexten von 1660‒1914 (Älteres Neuhochdeutsch)

auff ist in diesem Beleg Adverb im Sinne von ,bis zu, an die, ungefähr‘.

6. Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte

Abkürzungen: S = (Nominativ-)Subjekt, P = Prädikat, NS = Nebensatz, NG = Nomen/Nominalgruppe.

7.2 Synchrone Polyvalenz älterer Sprachstufen

Siehe das Abkürzungsverzeichnis auf S. 68.

8.1 Valenzveränderung durch Präfigierung im Althochdeutschen

Abkürzungen: PROakk = Pronomen im Akkusativ, PROnom = Pronomen im Nominativ, PROdat = Pronomen im Dativ.

8.2 Valenzveränderung durch die Bildung von Verbalabstrakta im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen

In STh 148,19 steht daz entliche urteile mit hyperkorrektem Endungs-e, pleonastisch im Anschluss an das attributive Adjektiv entliche.

11. Historische Valenz und Funktionsverbgefüge

Zu mhd. kausativen Verben und ihrer Valenz vgl. Greule (2016, 118‒120).

Freie Übersetzung durch Helmut Brackert (1970): Das Nibelungenlied 1. Frankfurt (= Fischer Taschenbuch), 11.

Vgl. Tao (1997, 76).

Tao (1997, 69).

13. Pragmatische Valenz historisch

Das Mittelrheinische Passionsspiel der St. Galler Handschrift 919. Neu hg. von Rudolf Schützeichel. Tübingen 1978, 130.

1.5 Diachron

Zum Verhältnis von Semantik und Syntax in Verbartikeln des DWB vgl. z.B. auch Joachim Bahr (1984a): Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Stationen seiner inneren Geschichte. In: Sprachwissenschaft 9, 387‒455; ders. (1984b): Eine Jahrhundertleistung historischer Lexikographie: Das Deutsche Wörterbuch, begr. von J. und W. Grimm. In: Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 1. Halbband. Berlin/New York (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), 492‒501; ders. (1985): Grammatik im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. In: Henning Bergenholtz/Joachim Mugdan (Hg.): Lexikographie und Grammatik. Akten des Essener Kolloquiums zur Grammatik im Wörterbuch 28.‒30.6.1984. Tübingen (= Lexicographica. Series Maior 3), 99‒117 und Korhonen (1986a, 204).

Zur Arbeit mit Valenz in historischer Lexikografie am Beispiel des DWBN vgl. Horlitz (1976); Joachim Bahr (1979): Regeln zur Praxis der historischen Lexikographie. In: Helmut Henne (Hg.): Praxis der Lexikographie. Berichte aus der Werkstatt. Tübingen (= Reihe Germanistische Linguistik 22), 38‒65; Korhonen (1986a, 207f.); Gerhard Strauß (1991): Die Bände I und VI der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuches: Unterschiede in der lexikographischen Bearbeitung. In: Alan Kirkness/Peter Kühn/Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Band 2. Tübingen (= Lexicographica. Series Maior 34), 627‒702.

Vorwort

Mit dem vorliegenden Handbuch, für dessen Inhalt wir gemeinsam verantwortlich zeichnen, wollen wir zum einen einen Überblick über die verschiedenen Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Übertragung der Valenztheorie auf die Beschreibung des Deutschen unter sprachgeschichtlichem Gesichtspunkt bieten und zum anderen die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Valenzmodells für die Erfassung des Sprachwandels und damit für die Schaffung von Voraussetzungen für ein besseres Verständnis historischer Texte lenken. Bei der Beschäftigung mit älteren Texten in lexikalischer, syntaktischer, phraseologischer und semantischer Hinsicht stellen synchronsynchron und diachrondiachron angelegte Wörterbücher ein unverzichtbares Hilfsmittel dar, und gerade auf dem Gebiet der Erstellung historischer lexikografischer Nachschlagewerke hat die Valenztheorie in den letzten Jahrzehnten wichtige Ansätze entwickelt. Entsprechend bildet die historische ValenzlexikografieValenzlexikografie neben der Erläuterung von Beziehungen zwischen Valenz und historischer Grammatik sowie von Aspekten des ValenzwandelsValenzwandel und der ValenzentwicklungValenzentwicklung einen deutlichen Schwerpunkt in unserem Buch.

Das Interesse für die Anwendung der Valenztheorie auf die deutsche Sprachgeschichte erwachte vor rund 50 Jahren. Bereits in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre haben wir uns ‒ unabhängig voneinander ‒ vorgenommen, jeweils einen umfangreicheren Text mit valenzbasierten Methoden zu analysieren. In der Abhandlung von Albrecht Greule diente das „EvangelienbuchEvangelienbuchOtfrid von Weißenburg“ Otfrids von WeißenburgOtfrid von Weißenburg, in der von Jarmo Korhonen der Sermon „Von den guten Werken“ von Martin LutherLuther, Martin als Untersuchungsmaterial. Seitdem haben wir uns fast ununterbrochen mit dem Problemkomplex Valenztheorie und historische deutsche Sprachwissenschaft befasst und dazu mehrere Publikationen in unterschiedlicher Form vorgelegt. Unsere Zusammenarbeit hat sich in letzter Zeit besonders dadurch verstärkt, dass Jarmo Korhonen mit Hilfe eines Forschungsstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung in den 2010er-Jahren am Institut für Germanistik der Universität Regensburg arbeiten konnte. Während dieser Zeit hat Albrecht Greule eine Idee entwickelt, einerseits ein umfassendes Historisch syntaktisches Verbwörterbuch mit Schwerpunkt auf der Valenz und andererseits ein Kleines historisches ValenzlexikonValenzlexikon zu erarbeiten.

Ende der 1970er-Jahre intensivierten sich die Forschungen zur historischen Valenz erheblich, sodass Albrecht Greule im Jahr 1982 einen diesbezüglichen Sammelband („Valenztheorie und historische Sprachwissenschaft“) herausgeben konnte. Schon damals zeigte sich, dass die einschlägigen Untersuchungen trotz der gemeinsamen theoretischen Grundlage recht divergent waren, was sich z.B. in den Methoden, der Terminologie und der Kennzeichnung der valenzbedingtenvalenzbedingt Bestimmungen (ErgänzungenErgänzung) widerspiegelte. Auch spätere historische Valenzstudien sind durch eine ähnliche Differenziertheit geprägt, weshalb wir uns entschieden haben, für unsere Darstellung keine formale Einheitlichkeit anzustreben, sondern die herangezogenen Publikationen etwa in Bezug auf die Gestaltung der Symbole von Ergänzungen unverändert zu dokumentieren und bei Bedarf kritisch zu besprechen.

Unsere Arbeit im Bereich der historischen Valenzforschung ist außer von der Alexander von Humboldt-Stiftung auch von der germanistisch-romanistischen Forschergemeinschaft CoCoLaC (Contrasting and Comparing Languages and Cultures) in der Abteilung für Sprachen der Universität Helsinki gefördert worden. Es konnten beispielsweise mehrere Arbeitstreffen und kleinere Kolloquien, auf denen wir unsere Überlegungen und Forschungsergebnisse präsentieren konnten, abwechselnd in Regensburg und Helsinki stattfinden. Beiden Institutionen sind wir zu Dank verpflichtet, desgleichen sprechen wir der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Bewilligung einer großzügigen Druckkostenbeihilfe einen verbindlichen Dank aus. Schließlich danken wir dem Verlag für die gute Betreuung bei der Erstellung der Druckvorlage.

 

Regensburg und Helsinki, im März 2021

Albrecht Greule und Jarmo Korhonen

Einleitung

„Viel stärker noch als bei der Beobachtung der Gegenwartssprache stoßen wir beim Lesen älterer Texte auf Zeichen der Veränderung. […] Dies macht sich durch zahlreiche Verständnisprobleme fortwährend bemerkbar. Je älter ein Text ist, umso mehr häufen sie sich. […] Das Gute an den Schwierigkeiten im Umgang mit historischen Texten ist aber, dass sie uns die Tatsache der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache nachhaltig verdeutlichen. […] Sprachgeschichtliche Kenntnisse helfen uns dabei, diese älteren Texte – und damit die Gedanken und Konzepte vorangegangener Generationen – richtig einzuordnen“.1

Im Vorwort zu seinem Werk betont JÖRG RIECKE darüber hinaus, dass es in der Sprachgeschichte um Grundlagen des Textverständnisses, um ein Verständnis für den Wandel von Kommunikationsformen und um Einblicke in den historischen Wandel bei der Erfassung und Interpretation unserer Welt geht.

Wir sind der Überzeugung, dass die Übertragung des aus den praktischen Belangen des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts der 1960er-Jahre entwickelten Valenzmodells auf die deutsche Sprachgeschichte den Ansprüchen an die Sprachgeschichtsschreibung, besonders dem Anspruch, Grundlagen des Textverständnisses zu schaffen, Vorschub leistet. Wir sehen dies darin begründet, dass die Beobachtung der semanto- und morphosyntaktischenmorphosyntaktisch Umgebung – in erster Linie – von Verben, wenn die historischen Texte der Valenzanalyse unterzogen werden, Erkenntnisse zutage fördert, die dann in lexikalische Verzeichnisse (analog oder digital) Eingang finden. Damit stehen syntaktisch untersuchte Verben aller Sprachperioden bereit und bieten sich zum historischen Vergleich an. Aufgrund der „ValenzgeschichteValenzgeschichte“, die für je ein Verb das syntaktische Verhalten und die semantische Entwicklung vom Ahd. bis zum Nhd. beschreibt, wird aus einem spezifischen Blickwinkel der Sprachwandel erfasst und erklärt. Die wichtigsten Beschreibungs- und Forschungsbereiche der historischen Valenz sind demnach Syntax, Phraseologie, lexikalische Semantik und Lexikografie.

Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst erhalten die Leser einen knappen Einblick in die (periodisierte) deutsche Sprachgeschichte (Kapitel A), um die zeitlichen Dimensionen, die Textmenge und Themenfülle kennenzulernen, auf die sich die valenzbasierte Text- und Satzanalyse erstreckt. Kapitel B fasst den Forschungsstand zur gegenwartssprachlichen Valenztheorie zusammen. In Kapitel C geht es um die Probleme der Übertragung des ValenzbegriffsValenzbegriff in die deutsche Sprachgeschichte. Die Kapitel D und E präsentieren die Ergebnisse historischer Valenzforschung auf dem Gebiet der Grammatik und der Lexikografie, den Hauptgebieten der Anwendung der sprachhistorischen Valenz. Kapitel F beschreibt den Sprachwandel, soweit die Verbvalenz erklärend dazu beiträgt. Die aus unterschiedlichen Perspektiven verfassten Probeartikel zu Historischen VerbvalenzwörterbüchernValenzwörterbuch des Deutschen füllen den umfangreichen Anhang (Kapitel G).

A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick

1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte

Auf der Grundlage der schriftlichen Überlieferung ergibt sich folgende Einteilung der Entwicklung der deutschen Sprache in zeitliche Abschnitte. Die zeitlichen Grenzen sind ungefähre und gerundete Jahreszahlen. Neben den im hochdeutschen Sprachraum entstandenen Texten findet auch die Entwicklung im niederdeutschen Sprachraum Berücksichtigung.

  • 1.1

    Die althochdeutsche (und altsächsische) Zeit ca. 750‒1050 (ahd.) bzw. 9.‒12. Jh. (as.)

  • 1.2

    Die mittelhochdeutscheMittelhochdeutsch (und mittelniederdeutscheMittelniederdeutsch) Zeit ca. 1050‒1350 (mhd.) bzw. ca. 1200‒1650 (mnd.)

  • 1.3

    Die frühneuhochdeutscheFrühneuhochdeutsch Zeit ca. 1350‒1600 (fnhd.)

  • 1.4

    Das NeuhochdeutscheNeuhochdeutsch ab ca. 1600 (nhd.)

1.1 AlthochdeutschAlthochdeutsch und Altsächsisch

Das Ahd. wird von dem sprachhistorisch nah verwandten AltsächsischenAltsächsisch durch den geografischen Raum, in dem es schriftlich festgehalten wurde, und durch lautliche Differenzen unterschieden. Die altsächsischen (altniederdeutschen) Aufzeichnungen weisen keine Reflexe der Zweiten (hochdeutschen) Lautverschiebung (germanisch /p, t, k/ > ahd. /ff, zz, hh/ bzw. /pf, tz, kch/) auf, sondern bewahren den germanischen Lautstand. Der Raum, in dem ahd. geschrieben wurde, wird durch die folgenden Schreiborte (Klöster, Bischofssitze) markiert: Trier, Echternach, Köln, Aachen, Mainz, Lorsch, Speyer, Frankfurt, Fulda, Würzburg, Bamberg, Weißenburg, Murbach, Reichenau, St. Gallen, Freising, Regensburg, Salzburg, Tegernsee, Passau, Mondsee. Nach der Unterwerfung des Stammes der Sachsen durch Karl den Großen (804) wurden altsächsische Texte zum Zweck der Christianisierung der Sachsen verfasst und niedergeschrieben (vgl. das Altsächsische Taufgelöbnis). Als Grenze zu dem ahd. Gebiet wird die Benrather Linie (auch maken-machen-Linie) angenommen, eine gedachte Linie, die vom Rhein bei Düsseldorf nach Nordosten verläuft und die heutigen hochdeutschen Mundarten im Süden von den niederdeutschen im Norden trennt.

Die ahd. Schriftlichkeit setzt im 8. Jh. ein (siehe Kapitel A.2). Die historischen Rahmenbedingungen dazu schufen die (fränkischen) Karolinger, deren Reich mit dem Tod Kaiser Karls III. anno 888 endete. Insbesondere die Kirchen- und Bildungsreform Kaiser Karls des Großen (geb. 747 oder 748, gest. 814 in Aachen) ist die Ursache dafür, dass „im ahd. Sprachraum Grundlagentexte des christl. Glaubens, der kirchlichen Praxis, der kulturell-politischen Auseinandersetzung und der schulischen Lektüre glossiert, übersetzt, kommentiert und zur Dichtung umgestaltet“ wurden.1

Nach den herausragenden Werken des St. Galler Mönchs Notker III.Notker III. (†1022) findet die ahd. Phase unter dem Geschlecht der Salier (1024‒1125) mit den um die Mitte des 11. Jh. verfassten Schriften ihr Ende und geht allmählich ins Frühmhd. über. Williram von Ebersberg (†1085) widmete seine ahd. Hoheliedparaphrase Heinrich IV., römisch-deutscher König seit 1056.

1.2 MittelhochdeutschMittelhochdeutsch

Während das Ahd. eine Sammelbezeichnung für die Schriftzeugnisse der „Stammesdialekte“ Fränkisch, Alemannisch und Bairisch ist und es noch keine „deutsche“ Sprachgemeinschaft gab, verfestigte sich der um 1090 im vermutlich in Siegburg verfassten Annolied auftauchende Ausdruck diutsch (diutischin sprechin ‚deutsch sprechen‘) als Sprachbegriff. Er findet sich weiterhin in Texten des 11. und 12. Jh. aus allen Mundartgebieten und wird zum Volks- und Raumbegriff (diutschi liute). Der politische Hintergrund für diese Entwicklung ist die Machtentfaltung des (ehemals ostfränkischen) Reiches zur Zeit der salischen (1024‒1125) und staufischen (1125‒1250) Kaiser, auf die im letzten Jh. der mhd. Periode (1250‒1350) als Folge des Interregnums (1254‒1273) wechselnder Herrscherhäuser und territorialer Gewalten der Niedergang folgte.

Der Wechsel der politischen Herrschaft im deutschen Reich ermöglicht es, das Mhd. in drei Phasen einzuteilen:

  • Frühmhd. (während der Zeit der Salier etwa ab 1050 bis 1125)

  • Klassisches (höfisches) Mhd. (während der Zeit der Staufer)

  • Spätmhd. (vom Ende der Staufer bis zu den Mystikern im 14. Jh.)

Die frühmhd. Texte, die besonders im bairisch-österreichischen Raum entstanden (vgl. zuerst das um 1060 verfasste Ezzolied), gehen auf die Wirkung der in Deutschland seit 1070 wirksamen cluniazensischen Klosterreform zurück. Sie verfolgten die Absicht, auch dem Laienstand das asketische Ideal des Mönchtums nahezubringen. Die Verfasser waren vorrangig Geistliche. Ebenfalls von Geistlichen, die aber im Dienst adliger Auftraggeber standen, wurden Versepen verfasst (z.B. das Rolandslied des Pfaffen Konrad, 1170), die auf die aventiure-Romane der höfischen Zeit vorverweisen.2

MittelhochdeutschDie Literatur zur Zeit der Staufer wird von den ritterlichen Epen, der Minne- und Kreuzzugslyrik bestimmt, besonders durch die Werke Hartmanns von AueHartmann von Aue, Wolframs von EschenbachWolfram von Eschenbach, Parzival, Gottfrieds von StraßburgGottfried von Straßburg, Tristan und Isolde, des anonymen Nibelungenlied-DichtersNibelungenlied und Walthers von der Vogelweide. Die Dichtungen der klassischen Autoren sind rhetorisch geformt und von einem speziellen, teils aus dem Französischen entlehnten Wortschatz geprägt, in dem sich das Ideal der ritterlichen Lebensführung ausdrückt. Die „mhd. Dichtersprache“ war auch in der Weise überregional angelegt, als sich im Sprachgebrauch der Dichter um 1200, besonders in den Reimen, eine Vermeidung von Dialektismen und eine Tendenz zum Dialektabbau feststellen lässt.3 Die lautliche Abgrenzung des Mhd. vom Ahd. wird vor allem an der „Nebensilbenabschwächung“ sichtbar. Das bedeutet, dass die im Ahd. noch vollen Vokale der unbetonten Silben im klassischen Mhd. als einförmiges <e> erscheinen oder durch Synkope oder Apokope ausfallen. Dem ahd. sálbōta entspricht mhd. salbete, nhd. salbte.

Spätmhd. Phase (ca. 1250 ‒ ca. 1350): Seit dem 13. Jh. finden immer mehr Menschen Zugang zur Schriftlichkeit. Die Zahl der Städte stieg in Mitteleuropa zwischen 1200 und 1500 von ca. 250 auf ca. 3000. Die Städte boten in den unsicheren Zeiten Schutz. Es bildeten sich neue Kommunikationsgruppen; die Kaufleute brauchten Schulen, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen in deutscher Sprache gelernt werden konnte. In diese Zeit fällt der Verfall der höfischen Dichtersprache; das höfische Ideal wurde in den Dichtungen der Zeit zur Mode stilisiert oder von realistischer Dichtung (z.B. Werner der Gartenaere, „Meier Helmbrecht“) verdrängt. Gegenüber dem Versepos in Reimpaaren gewinnen Texte in Prosa die Oberhand. Einerseits ist es die von den Angehörigen des Franziskaner- und Dominikanerordens gepflegte geistliche Predigt (z.B. Berthold von Regensburg), andererseits Fachliteratur, insbesondere die des Rechtswesens. Zuerst wurden Urkunden, in der Mitte des 13. Jh. im Südwesten, in deutscher Sprache ausgestellt. Der Beginn der Rechtskodifikation, z.B. im Sachsenspiegel, fällt in die mittelniederdeutscheMittelniederdeutsch Zeit (s.u.). Für das Geschäfts- und Rechtswesen sind die im Sprachgebiet verbreiteten herrschaftlichen Kanzleien wichtig. Aufgrund der hier verschrifteten Texte können verschiedene Schreiblandschaften ausfindig gemacht werden. Am Ende der spätmhd. Phase stehen die Mystiker und Mystikerinnen (z.B. Mechthild von Magdeburg, Meister EckhartMeister Eckhart), die ihre „Gottsuche und Gotteserkenntnis“4 in mhd. Prosa zum Ausdruck brachten. Den Übergang zur neuen Epoche markiert der Weltgeistliche Konrad von Megenberg, dessen für Laien in Prosa verfasstes naturkundliches „Buch der Natur“ (1348/1350) mit mehr als 100 Handschriften weite Verbreitung fand.

Das MittelniederdeutscheMittelniederdeutsch (von ca. 1200 bis ca. 1650) schließt an das AltsächsischeAltsächsisch an. Sprachräumlich umfasste das Mnd. ganz Norddeutschland und wurde zur Zeit der Hanse die führende Schreibsprache im Norden Mitteleuropas und Lingua franca in der Nordhälfte Europas. Bereits seit dem 12. Jh. trug die Einwanderung deutschsprachiger Siedler vorwiegend aus Flandern, Holland, dem Rheinland und Westfalen in die von Slawen besiedelten Gebiete östlich von Saale und Elbe (Deutsche Ostsiedlung) zur Erweiterung des Sprachgebiets bei. Es entstanden der niederdeutsche Dialekt ostelbisch und der ostmitteldeutsche Raum, dem Martin LutherLuther, Martin entstammte. Wichtige mnd. Sprachdenkmäler sind der Sachsenspiegel Eikes von Repgow, ein um 1225 entstandenes Rechtsbuch, die Sächsische Weltchronik (13. Jh.), das Redentiner Osterspiel (Handschrift 1464), der Frühdruck der Lübecker Bibel (1494) und das Tierepos Reynke de vos (1498 gedruckt in Lübeck).

MittelhochdeutschDer Untergang des MittelniederdeutschenMittelniederdeutsch, jener neben dem Mhd. existierenden deutschen Varietät mit überregionaler Verbreitung, wurde auch ‒ als Folge der Reformation ‒ durch die Ausbreitung des „Meißnischen“, der durch LuthersLuther, Martin BibelübersetzungLuther-Bibel geschaffenen Schreibsprache, bewirkt.

1.3 FrühneuhochdeutschFrühneuhochdeutsch

Die Gründe, dass zwischen den Perioden Mhd. und Nhd. eine Epoche, das Fnhd., eingeschoben wird, liegen bei zwei weltgeschichtlichen Ereignissen, die für die Entwicklung der deutschen Sprache von großer Bedeutung waren: Um 1450 wurde der Druck mit beweglichen Metalllettern erfunden, und in der Folge der Reformation übersetzte Martin LutherLuther, Martin (1483‒1546) die Bibel ins Deutsche. Im September 1522 erschien seine Übersetzung des Neuen Testaments als gedrucktes Buch zur Leipziger Buchmesse. Luther legte damit und mit den späteren Bibeldrucken den Grundstein für die Herausbildung einer einheitlichen deutschen Schriftsprache.5

LutherLuther, Martin selbst bekannte, dass er nach der sächsischen Kanzlei „rede“, und lenkte damit den Blick auf die Rolle der sogenannten Kanzleisprachen und ihre Wirkung als schreibsprachliche Vorbilder im 14. und 15. Jh. Ab der Mitte des 14. Jh. erhöht sich die Zahl der Texte je Textsorte, vor allem die Zahl der Gebrauchstexte, nicht zuletzt befördert durch die Verbreitung des Schreibstoffs Papier. In diesem Zusammenhang wuchs auch die Zahl der Schreib- und Schriftkundigen an. Vor allem die Kanzleien sind die Schreibstätten, wo das Schrifttum der herrschaftlichen Verwaltung durch Notare und Schreiber auch in deutscher Sprache produziert wurde. Aufgrund der zunächst nur regionalen (territorialen) Verbreitung der in den Kanzleien hergestellten Schriften entwickelten sich in den Kanzleien spätmittelalterliche Schreibdialekte. Unter ihnen kam der Schreibsprache der kaiserlichen Kanzlei eine gewisse Vorbildfunktion zu.

In der Kanzlei des späteren Kaisers Karl IV. wurden um 1350 die Ergebnisse der nhd. Monophthongierung (mhd. /ie uo üe/ > nhd. /i: u: y:/) und der nhd. Diphthongierung (mhd. /i: u: y:/ > nhd. /ei au eu/) geschrieben und erlangten Vorbildfunktion für den Schreibusus auch anderer Kanzleien. Beide Lautentwicklungen gelten als die deutsche Sprache charakterisierende Erscheinungen und werden als Hauptmerkmale genannt, durch die sich das Mhd. vom Fnhd. abgrenzt.

Die führende Rolle für die Sprachentwicklung übergaben die Kanzleisprachen im Lauf des 16. Jh. an die städtischen Druckerzentren. Es entstanden regionale Druckersprachen. Mit der gedruckten Bibelübersetzung durch Martin LutherLuther-Bibel, der sich an Tendenzen zur Bildung überregionaler deutscher Schriftlichkeit anschließen konnte, bildete sich nach 1500 eine bislang fehlende deutsche Leitvarietät aus, die auch dank der Tatsache, dass die Druckerzeugnisse einen großen Absatzmarkt brauchen, geografische Verbreitung fand, zuerst in den protestantischen, danach auch in den katholischen Herrschaftsgebieten. Nachdem der deutschen Sprache dank der Bibelübersetzung der Rang einer heiligen Sprache zuerkannt worden war, sind erste Werke der Sprachkultivierung zu verzeichnen, d.h., es entstanden grammatische Darstellungen, die auf das einheitliche Lesen und Schreiben ausgerichtet waren.

1.4 NeuhochdeutschNeuhochdeutsch

Die Abgrenzung und der Beginn der nhd. Periode der deutschen Sprachgeschichte ist nicht einheitlich. Bisweilen setzt man den Schnitt zwischen Fnhd. und Nhd. auch erst mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) an. Dies bedeutet aber, dass die Zäsur in der Mitte des 17. Jh. nicht nur die Epoche der deutschen Literaturgeschichte (Literatur des Barock), sondern auch wichtige sprachgeschichtliche Entwicklungen, die die Zeit des Barock mitprägen, auseinanderreißen würde.6 Man teilt das Nhd. beginnend mit dem Barock (17. Jh.) in drei Phasen ein:

  • Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres 1600 ‒ ca. 1800 (änhd.)

  • Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres ca. 1800‒1950 (jnhd.)

  • Nhd. Gegenwartssprache seit ca. 1950 (nhd.)

Das Ältere Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein verwüstetes Land und brachte dem Deutschen Reich einen politischen und ökonomischen Rückschlag. Am Ende des Krieges hatte sich Frankreich als führende Macht in Europa etabliert. Der französische Hof wurde zum Vorbild der absolutistischen Territorialfürsten, was eine besonders starke Einwirkung auf die deutsche Sprache durch die Übernahme zahlreicher Lehnwörter aus dem Französischen hatte und zu der häufig kritisierten deutsch-französischen „Mischsprache“ (Alamodewesen) führte. Außer der durch die Sprachkritik angeregten Sprachreflexion bekam die deutsche Sprachkultivierung noch vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges einen weiteren Impuls. Infolge der Gründung der ersten der barocken, primär adeligen Sprachgesellschaften im Jahr 1617 durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen bildeten sich im 17. Jh. neue Zentren der Sprachreflexion, Sprachkultivierung und literarischen Produktion heraus. Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft war auch Martin Opitz, der mit dem „Buch von der deutschen Poeterey“ (1624) eine Literaturreform herbeiführte und einem der drei bestimmenden Prinzipien der Sprachreflexion, der Sprachschönheit, zur Geltung verhalf. Neben den Prinzipien der Sprachschönheit und Sprachreinheit beschäftigte man sich mit der Sprachrichtigkeit und der Norm einer Leitvarietät des Deutschen. Zwei weiteren Zielen, die Georg Philipp Harsdörffer im Programm der Spracharbeit formulierte, nämlich die Erarbeitung eines Wörterbuchs und einer der Sprachrichtigkeit verpflichteten, normativen Grammatik, kam man näher: Dominant war in dieser Zeit die „Teutsche Sprachkunst“ (1641) von Justus Georg Schottel; aus der theoretischen Diskussion über das Verfassen eines Wörterbuchs ging gegen Ende des Jahrhunderts das normierende Wörterbuch von Kaspar Stieler „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs / oder Teutscher Sprachschatz“ (1691) hervor. Dass die überregionale Verständlichkeit schriftlich verfasster und öffentlicher Texte erreicht war, zeigt die Zeitungssprache. Erstmals 1609 erschienen periodische Wochenzeitungen, ab Mitte des Jahrhunderts auch erste Tageszeitungen.

Den Übergang vom 17. zum 18. Jh., dem Zeitalter der Aufklärung, innerhalb des Älteren Nhd.NeuhochdeutschÄlteres, markiert Johann Christoph Gottsched (1700‒1766), dessen maßgebliche Grammatik „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ ab 1748 erschien. In seinem „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen“ (Leipzig 1729/1730) begründete Gottsched den Zusammenhang von Vernunft und Sprachgebrauch und setzte Maßstäbe der Sprachnorm, die im Laufe des 18. Jh. sowohl in den katholischen Regionen Süddeutschlands akzeptiert wurde als sich auch im niederdeutschen Norden als Schriftsprache (Meißnisch) ausbreitete. Dass das Hochdeutsche nun im gesamten deutschen Sprachraum Geltung besaß, ist auch den an verschiedenen Orten erscheinenden Zeitungen zu verdanken.

NeuhochdeutschKritik an der von Gottsched mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Sprachreform regte sich auf Seiten der Dichter. Zu nennen sind in diesem Kontext besonders Friedrich Gottlieb Klopstock (1724‒1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729‒1781) und Christoph Martin WielandWieland, Christoph Martin (1733‒1813). Zu den Kritikern gehörte auch Johann Christoph Adelung (1732‒1806), der mit dem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart“ (1774–1786) nicht mehr Normen setzen, sondern den tatsächlichen Sprachgebrauch (der oberen Stände Obersachsens) beschreiben wollte. Adelungs großes neues deutsches Wörterbuch wurde mit Gewinn von den Klassikern und gebildeten Bürgern benutzt.

Zwischen Älterem und JüngeremNeuhochdeutschJüngeres Nhd.NeuhochdeutschÄlteres: Die politischen und literaturgeschichtlichen Ereignisse zwischen 1789 und 1830/1832 erfordern es, dass die Sprachgeschichtsschreibung eine die deutsche Literatur und Sprache entscheidend prägende Epoche einblendet und die Epochengrenze ca. 1800 gleichsam überspringt. In den Vordergrund treten dabei die literarischen Werke der Weimarer Klassiker und der Romantiker; insbesondere geht es um die Literatursprache GoethesGoethe, Johann Wolfgang von und SchillersSchiller, Friedrich von. Wie die Klassiker verhielten sich auch die Romantiker ablehnend gegenüber der Französischen Revolution von 1789. (Als Dichter des „Sturm und Drang“ werden Goethe und Schiller auch der Periode des Älteren Nhd. zugeordnet.) Seit Beginn des 19. Jh. wird die auf der klassischen Literatursprache beruhende Norm zur Gebrauchsnorm der Schriftsprache überhaupt; eine überregional verständliche Schriftsprache ist vorhanden. Sie war die Sprache der in ganz Europa anerkannten klassischen Literatur und prägte das „bürgerliche Sprachempfinden“7 im gesamten 19. Jh.

Das Jüngere Nhd.NeuhochdeutschJüngeres: Der Tod GoethesGoethe, Johann Wolfgang von im Jahr 1832 markiert das Ende der Zeit, in der die für die deutsche Literatur- und Schriftsprache vorbildlichen Werke geschaffen wurden. Das 19. Jh. ist danach durch die Festigung und Verbreitung der literatursprachlichen Norm, zu deren Durchsetzung besonders in Norddeutschland die Zeitungen einen wichtigen Beitrag leisteten, gekennzeichnet. Der Gebrauch der perfekten Schriftsprache wurde durch das Lesen der richtigen Bücher (z.B. der Ausgabe von Goethes Werken), durch Sprachratgeber, Lehrbücher und Briefsteller garantiert. Von besonderer Bedeutung waren das „Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1880) von Konrad Duden und die „Deutsche Bühnenaussprache“ (1889) von Theodor Siebs. Nicht den aktuellen Sprachgebrauch beschreiben oder regeln wollten die Brüder Jacob und Wilhelm GrimmGrimm, Jacob und Wilhelm. In der Tradition der Romantik stehend erforschten sie die Geschichte der deutschen Sprache und begründeten durch Werke wie die „Deutsche Grammatik“ (1819‒1837) und das „Deutsche Wörterbuch“ (1. Band 1854, 33. und letzter Band 1971) eine deutsche Nationalphilologie. In den von den Brüdern Grimm verfassten und in mehreren Ausgaben überarbeiteten „Kinder- und Hausmärchen“ (1. Auflage 1812‒1815) ist die dafür als Volkspoesie konzipierte Sprache bis heute verbreitet und bekannt.

NeuhochdeutschNach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 erhielt der gegen französische Einflüsse auf die deutsche Sprache gerichtete Sprachpurismus Auftrieb. Behörden griffen regulierend, z.B. bei Post, Eisenbahn und Militär, in den „Sprachenkampf“ durch Verdeutschungen ein. Nach der Gründung des „Allgemeinen deutschen Sprachvereins“ (1885) wurde die Sprachreinigung fast zu einer populären Bewegung. Noch zuvor war der „Allgemeine Deutsche Arbeiter-Verein“ (1863) entstanden und wurde die „Sozialdemokratische Arbeiterpartei“ (1869) gegründet. Damit etablierte sich ein Arbeiterbildungswesen, das die literatursprachliche Norm akzeptierte. Die Teilnahme der Bevölkerung am öffentlichen politischen Leben und die Rolle, die die Sprache in der öffentlichen Auseinandersetzung jetzt spielte, führten im Gefolge des Ersten Weltkriegs zur Politisierung der Sprache. Von den Schrecken des Ersten Weltkriegs sind die expressionistischen Dichtungen (1906‒1923) geprägt, in deren besonderem Sprachstil sich die Krise der bürgerlich-imperialistischen Gesellschaft abzeichnet.

Mit der Herrschaft der Nationalsozialisten (1933‒1945) war der öffentliche Sprachgebrauch vom nationalsozialistischen Sprachstil und von den durch den Rundfunk ins ganze Land verbreiteten Hetz- und Hassreden der Nazigrößen dominiert. Für seine Kritik des nationalsozialistischen Sprachgehabes ist besonders Victor Klemperer, der Autor der „Lingua Tertii Imperii“ (1947), bekannt geworden. Ein herausragendes Zeichen der Auseinandersetzung mit der durch den Nationalsozialismus „vergifteten“ deutschen Sprache nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die von Dolf Sternberger herausgegebene Sammlung „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (1957).

NeuhochdeutschGegenwartssprache: Die von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs 1945 befreiten Länder Deutschland und Österreich waren zunächst in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 war der öffentliche politische Sprachgebrauch vom sogenannten Ost-West-Konflikt in der deutschen Sprache, der sich schon ab 1945 in den Tageszeitungen andeutet, beherrscht. Der Konflikt wurde theoretisch durch die Vier-Varianten-Theorie untermauert, die besagt, dass es gemäß den deutschsprachigen Staaten, Bundesrepublik Deutschland, DDR, Österreich und Schweiz, auch vier offizielle Varianten des Deutschen gibt. Durch die Wiedervereinigung 1989 und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland existierte auch das „DDR-Deutsch“ außer in Regionalismen nicht weiter.

Als die zentrale außeruniversitäre Einrichtung zur Erforschung und Dokumentation der deutschen Sprache der Gegenwart wurde 1964 das Institut für Deutsche Sprache (IDS), jetzt Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, gegründet. Im Fokus der sprachwissenschaftlichen Forschung der deutschen Sprache der Gegenwart standen und stehen: die Sprache der Werbung (in allen Medien), die Sprache der Jugend und der Jugendkultur, die Sprache der Politiker, die Entwicklung der Dialekte zu Regionalsprachen, neuerdings die Sprachstile der „neuen Medien“, die durch die breite Nutzung der Sozialen Netzwerke (z.B. Facebook) und des Smartphones präsent sind. Als wichtige Institutionen der Sprachkultivierung und Sprachberatung wirken die bereits 1947 gegründete Gesellschaft für deutsche Sprache und die Duden-Redaktion. Sprachwissenschaftlich festgestellt werden Tendenzen, wie die deutsche Gegenwartssprache sich unter dem Einfluss der medialen und gesellschaftlichen Diskurse entwickelt. Dazu gehören z.B. der seit 1945 wachsende Einfluss des amerikanischen Englisch, der Übergang von einer literaturgeprägten Schriftsprache zu sprechsprachlichen Stilen, verbunden mit der Neigung zu kürzeren Sätzen und erweiterten NominalgruppenNominalgruppe, und die Änderung der Satzklammer.8Neuhochdeutsch

2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden

Die Sprachgeschichtsschreibung sowie die grammatische und lexikalische Beschreibung der historischen Sprachstufen des Deutschen beruhen auf Texten, d.h. auf in lateinischer Alphabetschrift fixierten sprachlichen Formulierungen. Dem Umfang nach kann es sich um Kleinsttexte handeln, die nur aus einem Satz bestehen, oder auch um Großtexte und Textsammlungen (Bücher, Codices). In der Art und Weise der Überlieferung der Texte seit dem frühen Mittelalter bis in die Jetztzeit spiegelt sich auch die Entwicklung der Schriftmedien wider. Obwohl „Inschriften“ auf Stein, Holz, Gebäuden usw. angebracht wurden und noch werden, sind für die deutsche Textgeschichte als Schriftträger Pergament, Papier und letztlich computerbasierte Speichermedien die wichtigsten Träger der Textüberlieferung.

Im frühen Mittelalter wurden die Texte in den Skriptorien der Klöster durch Abschreiben hergestellt. Geschrieben haben anfangs vornehmlich Mönche. Die volkssprachliche (deutsche) Textüberlieferung beginnt im späten 8. und frühen 9. Jh. mit Glossierungen lateinischer Texte (anfänglich durch ahd. Einzelwörter), mit Übersetzungen pastoraler Kleinliteratur (z.B. die ahd. Übersetzungen des Vaterunsers) und weitet sich aus auf die Bibeldichtung (z.B. das Evangelienbuch Otfrids von WeißenburgOtfrid von Weißenburg) und die zum Zweck der Schullektüre verfassten Schriften NotkersNotker III. von St. Gallen oder auch auf heldenepische Texte (z.B. das HildebrandsliedHildebrandslied). Zu den historischen Rahmenbedingungen für die Übersetzung lateinischer religiöser Texte bis hin zu den Dichtungen des (ahd.) Evangelienbuchs und des (altsächsischenAltsächsisch) Heliands durch die Kirchen- und Bildungsreform Karls des Großen vgl. den Überblick über die deutsche Sprachgeschichte (Kapitel A.1.1).

Im späten Mittelalter änderte sich zwar die „Technik“ des Schreibens; das Texteschreiben war jetzt arbeitsteilig organisiert: Der „Autor war für die Erzeugung des Textes verantwortlich, der Schreiber für die Herstellung des Manuskriptes“.1 Die Kunst des Schreibens blieb aber noch immer auf den Klerus beschränkt. Schon im 13. Jh. wurden in den Kanzleien Urkunden nicht mehr nur in lateinischer, sondern auch in deutscher Sprache abgefasst. Vom 14. Jh. an üben sich auch Laien (Ritter und ansehnliche Bürger) in der Kunst des Schreibens, hauptsächlich um geschäftliche und private Briefe zu schreiben. Wichtige Sammelhandschriften sind die am Ende des 12. Jh. im Augustiner Chorherrenstift Vorau (Steiermark) geschriebene Vorauer Handschrift und der Codex Manesse, die bedeutendste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters, die veranlasst durch die Zürcher Patrizierfamilie Manesse in der ersten Hälfte des 14. Jh. auf der Grundlage der Sammlung der Manesse vermutlich durch Nonnen des Klosters Oetenbach in Zürich hergestellt wurde. Nicht nur durch das zeitgleiche (oder spätere) und fehleranfällige Abschreiben (Kopieren) von Handschriften erscheint der mittelalterliche Text als ein dynamisches Gefüge. Es war auch üblich, Texte zeitlich und räumlich, dialektal und inhaltlich zu aktualisieren. Nicht jede mittelalterliche Handschrift setzt Verse ab; die Handschriften kennen keine Interpunktion im modernen Sinn und keine diakritischen Zeichen wie z.B. den Balken über Vokalen, um die Länge des Vokals zu markieren. Dies alles stammt von den Herausgebern der Neuzeit, die mit der Interpunktion das Textverständnis der modernen Rezipienten erleichtern, aber auch steuern wollten. Die Edition mittelalterlicher Texte hat erhebliche Auswirkungen auf die historische Syntax und die interpretative Satzabgrenzung.

An die Stelle des teuren und für schnelles Schreiben ungeeigneten Pergaments trat das glattere und billigere Papier als Schreibunterlage. Im 14. Jh. verbreitete sich Papier als Beschreibstoff und verdrängte im 15. Jh. das Pergament. Die erste deutsche Papiermacherwerkstatt wurde 1390 in Nürnberg in Betrieb genommen. Papier war eigenhändig leicht zu beschreiben und ermöglichte einen durchgängigen Schreibfluss. Diesem diente auch die – anstelle der aufwendigen Buchschrift vor allem in Handel und Verwaltung verwendete – Kursivschrift, wo große Schriftmengen (Akten, Rechnungen) zu bewältigen waren. Auch ganze Bücher wurden im 14. Jh. in Kursive geschrieben.

Das mühsame (Ab-)Schreiben mit der Hand konnte die steigende Nachfrage nach Lektüre auf Dauer nicht befriedigen. Die Erfindung des Bedruckens von Papier mit beweglichen Metalllettern durch Johannes Gutenberg um 1450 ermöglichte es, Texte zu „setzen“ und beliebig oft mechanisch in identischer Form zu vervielfältigen. Gegen Ende des 15. Jh. existierten in ganz Europa Druckwerkstätten (Offizinen). Die zwischen 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckten Einblattdrucke und Bücher (Inkunabeln, Wiegendrucke) waren in Format, Typografie und Illustration vom Erscheinungsbild mittelalterlicher Handschriften geprägt. Die Produktion auch deutscher Bücher stieg bis 1523 auf 944 Exemplare. Neue Textsorten wie gedruckte Flugblätter und Flugschriften sind Vorformen der Zeitungen und Vorläufer der Massenmedien.

In der zweiten Hälfte des 20. Jh. brachte die Erfindung und weite Verbreitung des Computers eine der Erfindung Gutenbergs vergleichbare mediale Wende auf der Grundlage elektronischer Datenverarbeitung. Mit Hilfe des Computers seit den 1970er-Jahren, des Internets und des World Wide Webs seit den 1980er-Jahren sind die Herstellung, massenhafte Verbreitung und Speicherung von Texten in uneingeschränktem Maß möglich. Neue Textsorten wie E-Mail, Newsletter, Chat (und Chatroom), Tweet u.a.m., die sich von den Texten in den Printmedien erheblich unterscheiden, sind entstanden. Die Digitalisierung ganzer Bücher und mittelalterlicher Handschriften ist in vollem Gang. Die Digitalisate werden online gestellt und sind jederzeit und überall mit Hilfe des Computers aufrufbar. Damit schließt sich der Kreis zum Beginn der Überlieferung deutscher Texte im 8. Jh. – Zur Anwendung der Computer-Technik bei der Erforschung der Historischen Valenz vgl. Kapitel E.4.

 

Die Textüberlieferung im Wandel der Medien am Beispiel von OtfridsOtfrid von Weißenburg EvangelienbuchOtfrid von Weißenburg

Die als Codex Vindobonensis (V) bezeichnete Handschrift des EvangelienbuchsOtfrid von Weißenburg von Otfrid von WeißenburgOtfrid von Weißenburg23