cover
Lieber Leser
8
Sozialleben
10
Spaß und Spiel
12
Ein Geheimnis wird gelüftet:
Warum macht Spaß Spaß?
16
Gemeinsam sind wir stark
18
Wer das Sagen hat, hat nicht
immer das letzte Wort
22
Allianzen und Netzwerke
24
Tiere leben nicht immer sozial
28
Tiere mit
Persönlichkeit
30
Charakter
32
Delfine haben Namen
34
Biografie
38
Dick macht dumm
40
Spinnen mit Berufen
42
Selbst bewusstsein
44
Der Spiegeltest
46
Der Spiegel wird ignoriert
48
Ein Spiegel zum Kuscheln
und Kämpfen
50
Der Spiegel als Werkzeug
52
Die Fernsteuerung für den Spiegel
53
Ups, das bin ja ich!
54
Selbstbewusstsein und
Selbsterkennen
58
Können Roboter ein
Selbstbewusstsein haben?
60
Die Sprache
der Tiere
62
Was ist Kommunikation?
64
Die Erfindung der Lüge
66
Vokales Lernen
70
Dialekt
72
Die Geste des Zeigens
74
Sprache und Grammatik bei Tieren
78
Neue Beobachtungen im Freiland
80
Können wir Tiere verstehen?
82
Inhalt
Denken
84
Gedankenbilder
86
Vom Gedankenbild zur Kategorie
90
Logisches Denken
92
Abstraktes Denken
96
Strategisches Denken
100
Kreativität
102
Selbstreflexion
106
Selbstkontrolle
110
Mathematik
112
Von Tieren Denken lernen
114
Fühlen
118
Wer sitzt am Ruder?
120
Liebe
122
Partnerwahl
124
Trauer
126
Die Königsdisziplin:
Mitgefühl
128
Mitgefühl
130
Der „Falsche Glaube“
132
Warum wir gemeinsam gähnen
134
Gewalt
138
Von der Natur
zur Kultur
142
Esskultur
144
Das Diktat der Mode
146
Vogelnester
148
Werkzeuggebrauch
150
Die tanzenden Delfine von Adelaide
154
Gerechtigkeit
156
Fairness
158
Moral
160
Besitz
162
Der kleine große Unterschied
164
Liebe Eltern und Lehrer
166
Glossar
168
Bildnachweis
171
8
Lieber Leser,
wusstest du, dass Ameisen sich selbst im
Spiegel erkennen und Delfine sich gegen-
seitig beim Namen rufen? Dass Ratten
gerne gemeinsam lachen und männliche
Orcas echte Muttersöhnchen sind, die noch
mit 30 Jahren ihre Mutter brauchen? Für
Erwachsene ist es selbstverständlich, dass
Tiere nicht sprechen können, nicht so den-
ken wie wir Menschen und auch nicht über
sich selbst nachdenken können. Tiere leben
im Hier und Jetzt, haben keine Biografie
und planen nicht in die Zukunft – so glau-
ben viele. Doch das ist nicht ganz richtig:
Die Geschichten von denkenden, fühlen-
den und sprechenden Tieren kommen der
biologischen Realität oft sehr nah. Auch
Tiere können sich erinnern und aus ihrer
Vergangenheit lernen, sie haben Freunde
und Gefühle wie wir, sie können lieben und
sich streiten. Doch jede Tierart ist anders
und hat andere Fähigkei ten. Selbst einzelne
Tie re einer Art haben individuelle Eigen-
arten. Man könn te sogar von Persönlich-
keit sprechen.
Dieses Sachbuch entführt in die über-
raschende Welt der aktuellen Verhaltens-
biologie und erklärt ganz nebenbei, wie sich
der menschliche Geist im Verlauf der Evo-
lution entwickelt hat. Am Ende lüften wir
das Geheimnis des menschlichen Erfolgs.
Denn trotz allem können Menschen vieles
besser als Tiere. Doch Achtung – auch wir
Menschen sind nicht perfekt und auch wir
müssen uns ständig weiterentwickeln.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen!
Dein
Karsten Brensing
Sozialleben
Für viele Forscher ist das Sozialleben der
eigentliche Grund für höhere geistige Leistungen.
Für viele Forscher ist das Sozialleben der
eigentliche Grund für höhere geistige Leistungen.
12
Spaß — ein super Motivator bei
Tier und Mensch!
I
m Vorwort habe ich dir viel Spaß beim
Lesen gewünscht, das war nicht nur so
dahingesagt. Spaß ist eine uralte Erfin-
dung der Natur und soll uns dabei helfen,
die Dinge, die für unser Überleben wichtig
sind, gerne und oft zu tun.
V
ielleicht bekomme ich gleich Ärger mit
deinen Lehrern und Eltern, denn nach die-
sem Kapitel wirst du darauf bestehen, dass
Lernen vor allem Spaß machen muss! Jetzt
fragst du dich sicher, warum. Ein Beispiel
aus der Tierwelt:
B
esonders jungen Hunden schaut man
gerne beim Spielen zu. Sie haben offen-
kundig extrem viel Spaß beim Toben und
man möchte am liebsten mitmachen.
Tatsächlich lernen viele Tiere spielerisch
wichtige Verhaltensweisen, die sie später
als Erwachsene brauchen. So wird beispiels-
weise beim nordamerikanischen Präriehund
schon während des Spielens und Tobens
in der Jugend festgelegt, wer später der
Chef sein soll. Das ist ganz praktisch, denn
die erwachsenen Tiere müssen dann keine
Rangkämpfe mehr ausfechten. Bei vielen
anderen Tierarten lernen die Jungtiere
hingegen, wie sie gerade diese gefährlichen
Kämpfe am besten überstehen.
Spaß und Spiel
SOZIALLEBEN
Erwachsene nord-
amerikanische Präriehunde
13
D
och was macht Tieren und Menschen
eigentlich so viel Spaß am Spielen? Das
wollen wir mit dem folgenden Gedanken-
experiment herausfinden:
K
ennst du einen guten Witz? Wenn ja,
dann erzähl ihn jetzt bitte jemandem! …
Und, habt ihr gelacht? Prima! Du wirst es
kaum glauben, aber ich weiß sogar, warum
ihr gelacht habt. Natürlich kenne ich euren
Nicht nur Säugetiere spielen. Wenn man genau hinschaut,
dann spielen sogar Reptilien und Fische.
Witz nicht – aber dafür weiß ich, was den
Witz zum Witz macht. Es ist der Moment
der Überraschung. Kein Witz ist witzig,
wenn ich schon ahne, was am Ende pas-
siert. Mit dem Spielen ist es ganz genauso.
Egal, ob sich ein junger Wolf mit seinem
Bruder balgt oder ob du mit deinen Freun-
den auf dem Fußballfeld stehst oder dich
allein in einem spannenden Computer-
spiel verlierst: Es sind die Überraschungs-
momente, die uns motivieren, es ist die
Unberechenbarkeit, die Spaß macht. Diesen
Spaß haben wir mit vielen anderen Tieren
gemeinsam, die dieses Gefühl ganz genau-
so empfinden wie wir und darum auch mit
großer Ausdauer spielen.
S
eit Kurzem wissen wir, dass sogar Rep-
tilien und Fische gerne spielen. Das haben
Forscher zufällig herausgefunden, als sie
eigentlich ein ganz anderes Experiment
machen wollten: Aus Interesse haben sie
ein Hamsterrad an einem Feldrand auf-
gestellt. Sie wollten wissen, ob auch wilde
Hamster freiwillig Fitnessrunden in den
Rädern drehen. Tatsächlich war dies der
Fall, sie nutzten die Laufräder genauso oft
wie ihre im Käfig lebenden Artgenossen.
Die Forscher fanden aber nicht nur Hams-
ter und Mäuse, sondern sogar Frösche und
Nacktschnecken in den Rädern. Verrückt,
oder?
D
och wie funktionieren eigentlich Freude
und Spaß?
Selbst frei lebende Tiere drehen gerne
Runden im Hamsterrad.
SOZIALLEBEN
15
Infokasten
Wenn ich von anderen Tieren schreibe, dann meine ich, dass wir Men-
schen auch nur eine Tierart von vielen sind. In der Biologie sind wir
eine von vier Menschenaffenarten. Neben uns gibt es die Schimpansen,
die Gorillas und die Orang-Utans. Wir Menschenaffen gehören übrigens
zu den Trockennasenaffen und diese wiederum zu den Primaten. Die
Primaten gehören wie die Raubkatzen oder Nagetiere zu den Säuge tieren
und diese wiederum sind gemeinsam mit den Vögeln, Reptilien und
Fischen Wirbeltiere. Durch diese Einteilung kann man gut sehen, wie sich
welche Tiere im Lauf der
Evolution entwickelt haben.
Unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen, überqueren eine Straße,
die wir Menschen durch ihr Territorium gebaut haben.
B
is vor Kurzem war das Spielen bei Tie-
ren ein echtes
Mysterium, denn kein For-
scher konnte erklären, warum auch viele
erwachsene Tiere spielen. Erwachsene Tie-
re haben ja schon alles gelernt und müssen
nicht mehr spielerisch Verhaltensweisen
üben. Ganz ähnlich war es mit dem Vogel-
gesang. Vögel singen, um einen Partner
zu finden oder um ihr Revier abzustecken.
Beides geschieht im Frühjahr, aber gesun-
gen wird das ganze Jahr, auch wenn das
Zwitschern ab dem Spätsommer immer
weniger wird. Die Forscher standen vor
einem Rätsel. Sie hatten die Vermutung,
dass das körpereigene Belohnungssystem
an dem Verhalten beteiligt war.
E
in wichtiger Botenstoff des Belohnungs-
systems ist das
Dopamin. Also verabreich-
ten die Forscher Menschen und Tieren
einen Hemmstoff, der die Wirkung von
Dopamin reduzierte. Mit diesem Medika-
ment hörten Vögel auf zu singen, Säuge-
tiere auf zu spielen und Menschen wurden
antriebsarm und träge. Auf diese Weise
konnte bewiesen werden, dass bei vielen
Tieren und bei uns Menschen die innere
Motivation die gleiche Grundlage hat. Es
ist daher gar nicht so falsch anzunehmen,
dass Tiere beim Spielen oder Singen ganz
ähnlich empfinden wie wir und viel Spaß
dabei haben.
Ohne Belohnung geht gar nichts!
Ein Geheimnis wird gelüftet:
Warum macht Spaß Spaß?
SOZIALLEBEN
Wer Spaß am Singen hat, weiß,
wie sich ein Singvogel fühlt.
Infokasten
Das Belohnungssystem ist für dein Leben ausgesprochen
wichtig, denn das Belohnungssystem sorgt dafür, dass du
auch langweilige, aber wichtige Dinge tust. Das kann für
jeden Menschen etwas anderes sein. Es gibt Menschen, die
stundenlang am Klavier sitzen können, Briefmarken sam-
meln oder Computerspiele spielen. Es gibt aber auch Men-
schen, denen ihre Arbeit irrsinnig viel Spaß macht. Ich bin
so jemand, denn wenn ich schreibe, kann ich alles um mich
herum vergessen. Mein Belohnungssystem hilft mir dabei,
denn eigentlich belohnt es nicht den Erfolg, sondern die Ar-
beit, die zum Erfolg führt. Ein genialer Trick der Natur! Es
ist kaum zu beschreiben, wie wichtig dieser Mechanismus
für das Verhalten von Tieren und Menschen ist.
Gemeinschaft — eine
uralte Erfindung der Natur!
H
ast du dich mal gefragt, warum du nicht
gerne alleine bist? Oder warum es wehtut,
wenn sich dein Freund oder deine Freun-
din von dir abwendet? Wir Menschen, aber
auch die meisten Tiere leben gerne mit an-
deren zusammen. Man nennt das Sozialle-
ben. Es ist eine der genialsten und ältesten
Erfindungen der Natur. Selbst Bakterien
besitzen eine Art Gemeinschaftssinn. Sie
haben keine Zähne und ihre Verdauung
muss außerhalb ihres Körpers stattfinden.
Dazu geben sie Verdauungssäfte (
Enzyme)
an ihre Umgebung ab. Gemeinsam errei-
chen die Bakterien eine höhere Konzentra-
tion des Verdauungssafts und können die
Nahrung in ihrer Umgebung viel effizienter
aufnehmen. Doch
es geht noch
weiter.
D
u weißt sicher, dass Lebewesen aus Zel-
len bestehen. Die einfachsten Lebewesen,
wie zum Beispiel das Pantoffeltierchen,
bestehen nur aus einer einzigen Zelle.
Irgendwann haben diese Einzeller „be-
griffen“, dass sie gemeinsam stärker sind.
Deshalb haben sich die einzelnen Zellen
miteinander verklebt. Ein gutes Beispiel
dafür sind Meeresschwämme (siehe Experi-
ment auf Seite b21). Aus diesen einfachen
mehrzelligen Organismen sind im Verlauf
der
Evolution höhere Lebewesen wie du
und ich entstanden.
D
och selbst einzellige Tiere und auch
jede einzelne Zelle in deinem Körper sind
nicht wirklich alleine. Vor vielen Millionen
Jahren haben größere Organismen kleinere
Organismen gefressen, aber zum Glück
nicht verdaut (
Endosymbiontentheorie).
Diese kleinen Organismen leben noch heute
Gemeinsam sind wir stark
SOZIALLEBEN
18
in jeder deiner Körperzellen – aber nicht
nur in dir, sondern auch in Tieren, Pflanzen
und Pilzen. Man nennt sie
Chloroplasten
und
Mitochondrien. Chloroplasten färben
beispielsweise die Pflanzen grün. Ihr Farb-
stoff, das sognannte
Chlorophyll, macht
aus Sonnenlicht, Wasser und Luft Zucker.
Darum schmeckt beispielsweise ein Apfel
süß, denn die grünen Blätter transportieren
den süßen Saft zu den Früchten.
G
emeinschaftlich zu leben hat also große
Vorteile und daher verspüren die aller-
meisten Lebewesen einen inneren Drang,
mit anderen Artgenossen zusammen zu
sein. An dieser Stelle sind wir schon mitten
in der Verhaltensbiologie. Diese Wissen-
schaft erforscht das Verhalten und seine
Ursachen. Ein innerer Drang ist so eine
Ursache, doch dazu später in den Kapiteln
Denken und Fühlen, wenn wir gemeinsam
erforschen, wie ein innerer Drang entsteht.
D
as Miteinander in einer Gemeinschaft
ist oft gar nicht so einfach. So müssen
zum Beispiel Betrüger erkannt werden und
Freun de dürfen nicht vergessen werden.
Das nennt man die Big Brain Theory.
Chloroplasten
Mitochondrien
Selbst Einzeller, wie hier
Bakterien in einer Bakterien-
kolonie, leben gerne mit
anderen zusammen.
Vermutlich haben sich komplizierte
Gehirne entwickelt, um das Sozialleben
besser in den Griff zu bekommen.
Infokasten
Big Brain Theory:
Nach der Big Brain Theory haben sich große und kom-
pliziert aufgebaute Gehirne entwickelt, um den höheren
geistigen Ansprüchen gerecht zu werden, die ein Sozial-
leben mit sich bringt. Die Tiere müssen sich beispielswei-
se merken, wer ihnen schon einmal geholfen oder gescha-
det hat. Früher glaubte man, dass Tiere nur im Hier und
Jetzt leben, heute wissen wir, dass selbst kleine Mäuse
eine Biografie haben und sich aufgrund ihres Wissens
und ihrer Erfahrungen entsprechend verhalten. Auch ist
es hilfreich, wenn man sich gedanklich in jemand anderen
hineinversetzen kann. Dieses Verständnis ermöglicht es
zum Beispiel, jemanden auszutricksen, aber auch, Mit-
gefühl zu zeigen. Ohne ein gut entwickeltes Gehirn wäre
das alles nicht möglich.
Die Theorie ist aber um-
stritten, denn es gibt
auch kluge Tiere, die
alleine leben.
SOZIALLEBEN
Experiment
21
Früher hielt man Schwämme für Pflanzen, weil sie an einer
Stelle festgewachsen sind. Heute wissen wir, dass Schwämme an der
Schwelle zu einfachen mehrzelligen Tieren stehen. Will man die Zel-
len trennen, drückt man sie einfach durch ein Sieb. Dabei lösen sich
die Verbindungen zwischen den einzelnen Zellen. Das funktioniert
ganz ähnlich wie beim Klettverschluss. So können sich die Zellen
auch wieder zusammensetzen. Genau dieses Experiment haben
Forscher schon vor 100 Jahren durchgeführt. Später waren sie dann
erstaunt, dass sich selbst unterschiedliche Arten wieder jeweils zu
ihrer eigenen Art zusammensetzen. Es gibt sogar Schwämme, bei
denen die Zellen wieder an die richtige Stelle wandern.
Wenn du es auch machen möchtest, dann nimm dir ein kleines
Stückchen von einem lebenden Schwamm (am Meer werden
manch mal welche an den Strand gespült), vielleicht so groß wie
dein kleiner Fingernagel, zerschneide es in kleine Stücke, lege
es in ein feines Sieb und versuche, es unter Wasser vorsichtig zu
zerreiben. Du wirst sehen, dass sich die Einzelteile wie von
Zauberhand wieder zusammensetzen.
Vielleicht glaubst du mir das aber auch und
lässt den Schwamm einfach in Ruhe.
Experiment