Mona Gasser

Gestatten: Callgirl – Die Freiheit nehm ich mir

 

 

Lust & Gewinn!

Der Bericht.

 

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Die Autorin: Mona Gasser ist Callgirl. Sie hat nicht nur sämtliche Bereiche im Berufsfeld der Prostitution durchlebt, sondern fand auch Zeit, um neben dieser Tätigkeit das Studium der Betriebswirtschaft zu absolvieren.

 

 

Für alle Männer und alle Frauen, die mehr über das wahre Leben eines Callgirls wissen wollen.

 

© Gatzanis Verlags-GmbH Stuttgart 1996

Umschlaggestaltung: AC, Stuttgart Druck

Alle Rechte vorbehalten, auch die der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile

 

 

Inhalt

 

Das vorab

Anschaffen in Schaffhausen

Höhen und Tiefen

Unehrliche Fassade, knallhartes Geschäft

Endlich die Wende

Männer, Männchen und manchmal ein Mann

Die Versuchung, untreu zu werden

Intermezzo vor der Kamera

Ein Glücksfall: Der Freier Tommi

Das Geschäft läuft prima, aber ...

Sadomaso, Sex und mehr

Die schnellen Nummern und andere Tiefpunkte

Ein Perser, zwei Mafiosi und jede Menge Streß

In Managerkreisen

Mein Lieblingsfreier

Eine Krise, weiter nichts

Am Ende der Suche?

 

 

Das vorab

 

Nuttenelend, Nuttenklage? Nein, mein Buch ist keine düster traurige, freudlose Nuttengeschichte. Dafür aber ist es wahr. Ich, Mona Gasser, Prostituierte seit einigen Jahren und nach wie vor, berichte schlicht nur über das, was die Freier von mir verlangen, was ich ihnen biete und was ich dabei empfinde.

Ich bin Callgirl, na und? Ich bin vor allem eine Frau, der es gelungen ist, im Grunde ein freier Mensch zu bleiben, das Leben zu meistern. Ich bin eine Frau mit starken Gefühlen, wachem Verstand und mit Spaß am Sex und mit Freude am Leben. Ist das „normal“ für eine, die sich als Prostituierte den Lebensunterhalt verdient? Für mich ist es normal. Damit Klarheit besteht: Ich beschönige und umschreibe nichts. Was ich berichte, fällt deshalb oft recht drastisch aus. Pornografie? Nein, das ist es nicht. Pornografie, das denken sich Männer für Männer aus. Was ich schreibe, ist die nackte Wahrheit, ist das, was ich zu sehen bekomme und zu machen habe. Kann sein, daß allein schon die Tatsache, daß ich gerne Callgirl bin, daß mir meine Tätigkeit oft sogar Spaß macht, als „pornografisch“ bewertet wird. Es ist doch eine Schweinerei, wenn eine Frau aus freien Stücken Nutte wird, wenn sie gerne Nutte ist, wenn sie das Liebemachen für Geld als hochanständige, durchaus ehrenhafte Erwerbstätigkeit betrachtet ... Ich tue das.

Ich behaupte: Nutte werden, Nutte sein ist kein Abstieg. Noch etwas behaupte ich: Ein Nuttenleben muß nichts Dramatisches an sich haben. Selbstverständlich befindet man sich in der Gefahr, Opfer krimineller Elemente zu werden. Am meisten gefährdet sind die Prostituierten auf dem Straßenstrich, am wenigsten sind es die Callgirls. Ein einigermaßen cleveres Callgirl wird schwerlich kriminellen Abzockern, Zuhältern in die Hände fallen, es sei denn, sie hat eine Schwäche für solche Typen. Ich behaupte das alles nicht bloß, ich beschreibe und beweise es in meinem Buch.

Selbstverständlich kommt auch Ungutes vor, ich schildere das genauso authentisch und deshalb drastisch wie das Gute, Spaßige, echt Aufgeilende, toll Befriedigende.

Was wahr ist, ist wahr!

Um der ganzen Wahrheit willen habe ich ein „Nuttenbuch“ geschrieben, das dem einen und anderen sauer aufstoßen wird, weil es nicht so richtig angenehm mitleidheischend ist! Ein Nuttenbuch, ein von einer Prostituierten geschriebenes Buch, muß doch voll des Jammers, des Selbstmitleids, der Anklage sein. Prostituierte sind Opfer, basta! Opfer der Gesellschaft, der männlichen Sexgier. Opfer der Unzucht. Ich betrachte und fühle mich nicht als Opfer. Und was die Unzucht betrifft, meine ich: Nicht das Liebemachen gilt als unzüchtig, sondern daß dafür Geld genommen wird. Nicht das Liebemachen, sondern der Liebeslohn wird uns Prostituierten verübelt. Hunderttausende von Männern denken darüber freilich anders. Sie schätzen unsere intimen Dienstleistungen, sie bezahlen gerne und nicht wenig dafür. Gut so. Ich mag diese Männer. Nun ja, daß ich manche mehr mag, manche weniger gern hab, das ist doch nur natürlich. Und daß ich auf der Suche bin nach dem Mann, dem ich mich voll und ganz verbinden könnte – was wäre das Leben einer Frau ohne diese Suche, ohne dieses ständige Hoffen auf den Traummann?

 

 

Anschaffen in Schaffhausen

 

Urs Meier. Der Zufall wollte es, daß dieser Mann mir über den Weg lief. Schicksal war es, daß ich mich in ihn verliebte und ihn heiratete. Urs Meier. Mein erster Ehemann. Nationalität: Schweiz. Beruf: Fotograf. Wie alle Berufsfotografen und viele Schweizer ein echter Spinner. Unschweizerisch war allerdings, daß es ihm nie gelang, zu Geld zu kommen. An Geld mangelte es Urs Meier immer. Das lag daran, daß alles, was er anfing, letztendlich danebenging. Sein Versuch, als Werbefotograf etwas zu werden, schlug fehl. Seine Aktfotos dann, sie fanden keine Abnehmerschaft. Seine Pornofilmerei endete in einem Fiasko.

Anfangs lief alles recht gut. Wir drehten fleißig, wir machten es billig. Echt live war nur das Lutschen und Lecken. Das Vögeln wurde getürkt. Es ging auch gar nicht anders. Wir konnten uns nämlich nur einen Darsteller leisten, einen Schauspielschüler namens Jäggi. Für 200 Franken pro Drehtag brachte dieser Jäggi neben seinem mäßigen Schauspieltalent einen zwar kräftigen, jedoch sehr unzuverlässigen Penis ins Spiel. Das Kreuz mit Jäggis Glied war, daß es nur selten genau den richtigen Moment die handlungsgerechte Steife zeigte. Drei Erektionen pro Drehtag, mehr brachte Jäggi nun mal nicht. Für unsere Dreharbeit genügte das. Wir strickten unsere Filme nach Bimmser-Muster. „Kinder, pro Film ein paar Steife ganz groß, öfter eine Möse ganz nah und schon ist die Sache gekauft!“ Danach drehten wir. Auftragsarbeiten für den Bimmser-Vertrieb.

Franz Xaver Bimmser. Mitte fünfzig, klein, dick, kahl, Maßanzüge, Maßhemden, Maßschuhe. Hauptberuf Holzgroßhandelskaufmann. Nebenberuf Pornohändler. So war es mit – Bimmser: Nicht der vom Vater übernommene Holzhandel, sondern das Pornogeschäft hat ihn stinkreich gemacht. So reich, daß er, der Oberbayer, sich die schweizerische Staatsbürgerschaft und eine schloßähnliche Gebäulichkeit am Züricher See kaufen konnte.

Wir waren total von diesem Mann abhängig. Er finanzierte unsere Filmchen und unsere Lebenshaltung. Wir lebten von Bimmsers Vorschüssen. Zwischen den uns angeblich zustehenden Anteilen an Vertriebserlösen und den Vorschüssen bestand ein krasses Mißverhältnis. Bimmser zog uns zweifellos über den Tisch. Aber was konnten wir schon machen? Arme Schlucker waren wir, die nicht nur bei Bimmser in der Kreide standen, sondern auch bei Lieferanten sowie beim Finanzamt Schulden hatten. Sollte Bimmser uns eines Tages fallenlassen, war unser Bankrott so sicher wie das Amen in der Kirche.

Eines Tages war es dann auch soweit. Von Bimmser gab es plötzlich keinen Vorschuß mehr. Die Bank kündigte sowohl Kredit als auch Konto. Die Werkstätte, eine leerstehende Schlosserei, in der wir das Atelier eingerichtet hatten, wurde uns ebenfalls gekündigt, zu Recht. Wir befanden uns mit einigen Monatsmieten im Rückstand. Die Firma – am Ende. Wir waren in einer aussichtslosen Situation! Urs ließ sich fallen und alles hängen. Was konnte ich tun? Ich mußte einen Weg finden, sofort Geld zu verdienen. Wie? Durch Prostitution? Aktmodell, Pornodarstellerin, der Schritt in die Prostitution lag da nahe. Anschaffen gehen und doch nicht als Dirne dastehen, möglich war's. Man mußte nur genommen werden, von einem der Clubs, die Models vermitteln oder Massagen anbieten.

Mit dem ansprechenden Angebot „Feinmassage“ warb damals gerade ein sich Club 2000 nennendes Massageinstitut. Es befand sich in Schaffhausens nobelster Gegend, im Villenviertel am südlichen Stadtrand. Ich marschierte hin und war erstaunt, wo dieser Club untergebracht war, zutreffender gesagt, wie er residierte. Was für ein Puff! Noble, große Villa in einem parkartigen Garten. Holzgetäfelte Halle, dicke Teppiche, Stilmöbel überall. Die Dame, die mich empfing, eine Lady von Kopf bis Fuß!

Im Kontrast zum Ambiente und zu ihrem Auftreten stand die Deutlichkeit, mit der sie mir meine Aufgabe beschrieb. Ich hätte servicebedürftigen Clubmitgliedern „mit sanften Händen und doch festem Griff sowohl physische als auch psychische Befriedigung“ zu verschaffen. Sie nahm weder das Wort „Wichsen“ noch die Worte Penis oder gar Schwanz in den Mund. Imponierend, wie diskret, ja vornehm und dabei doch unmißverständlich sie mir klarmachte, was Feinmassage ist. Ich gebe zu, daß mich allein schon die Vorstellung davon erregte. Sie mußte es mir angemerkt haben, daß ich heiß auf den Job wurde. Sie schlug mir vor, es gleich am nächsten Tag auf Probe zu versuchen. Yvonne würde mich über die Details meiner Tätigkeit informieren, im Anschluß an unser Gespräch. Die Bezahlung sei übrigens, sie sagte das abschließend, vornehm kühl und wie nebenbei sagte sie mir das, mir blieb vor freudiger Überraschung fast das Herz stehen, also die Bezahlung sei gut: 50 Franken pro Handreichung, 35 Franken gehören mir, 15 Franken erhält der Club, 35 Franken für einmal Handanlegen! Schnell verdientes Geld, die Chance, aus meiner Notlage herauszukommen!

Yvonne hatte den Charme einer Bademeisterin in einem Wannen- und Brausebad. Sie führte mich in den Keller hinunter, in die Spezialabteilung für Feinmassagen. Langer Gang. Links und rechts schmale Kammern, in jeder eine Liege, dazu ein Sessel, vor ihm ein Sitzschemel. Ich mußte, so erklärte Yvonne es mir, meine Kunden entweder auf der Liege verarzten oder im Sessel bedienen. „Verarzten“ und „Bedienen“ nannte sie die Tätigkeit! Auch sie nahm eben kein häßliches Wort in den Mund. Sie sprach überhaupt auffällig geziert. Peinlich wurde die Situation, als ich ihr zu demonstrieren hatte, daß ich mit einem Penis umgehen kann – mir einem noch völlig fremden Penis!

Ein stämmiger Bursche in Masseurkleidung, weiße Leinenhose, weißer Halbkittel, weiße Turnschuhe, wurde von Yvonne gerufen, auf eine Liege kommandiert. Als er bequem lag, hob er sein Gesäß, streifte mit einem Griff Hose und Slip herunter, schob den Kittel hoch und bot mir sein Gehänge dar. Ein dünner, langer, zunächst noch schlaffer Penis. Wird es mir gelingen, den zum Stehen zu bringen? Es gelang mir, allerdings ohne finales Ergebnis. Ich tat wirklich, was ich konnte. Erst war der Schlappschwanz kaum in den Griff zu bekommen, immer wieder entschlüpfte er meiner Hand. Allmählich steifte der Pimmel sich. Ich rieb und rieb, auf und ab, mal schneller, mal langsam. Ich beklopfte die Eichel, behauchte sie sogar, doch sie wurde nicht richtig prall. Das ganze Glied blieb biegsam. Keine Vollsteife, keine Ejakulation.

Yvonne war trotzdem zufrieden mit meiner Handarbeit. Sie brachte mich hinauf zur Chefin. „Die schafft's, die kann anfangen“, sagte sie.

So wurde ich zur Spezialmitarbeiterin des Clubs, über zwei Jahre hin – Feinmassage! Ich gönnte mir keinen Urlaub, kaum mal einen freien Tag. Ich brauchte das Geld zum Schuldenabzahlen. Und ich schaffte es, alle Schulden zu bezahlen. Fast täglich fünf Stunden Feinmassage, pro Stunde zwei bis drei Kunden, das summierte sich. Gutes und eigentlich leicht verdientes Geld: Ich mußte mich dafür nicht bumsen, ja nicht einmal betatschen lassen. Ich mußte nicht lutschen, nichts schlucken, wenn ich es nicht wollte. Es kam vor, daß ich es wollte, daß ich es tat, weil mir der Mann sympathisch war und weil ich Lust darauf hatte. Bezahlt wurde ich nicht dafür. Geld gab es nur für eins, fürs gekonnte Massieren.

„Das muß doch ekelhaft gewesen sein! Tausende dieser häßlichen Dinger nicht nur anschauen, sondern auch noch wichsen müssen!“ So reagierte Hertha spontan, als ich ihr von meinem Job in Schaffhausen erzählte. Sie empfand mein Tun nicht als unmoralisch, dafür war sie zu tolerant. Was sie mit Abscheu reagieren ließ, war Ekel. Wie so viele Frauen fand auch Hertha das Geschlechtsteil des Mannes schlicht unästhetisch, einfach abscheulich häßlich.

Hertha war mir Jahre nach Schaffhausen zur engsten Freundin geworden. Hertha, mit dem Inhaber einer Immobilienfirma verheiratet, war bislang die einzige Frau, mit der ich über alles reden konnte. Sie hätte es bestimmt verstanden, zumindest jedoch akzeptiert, daß ich nach rund 10 Jahren „bürgerlicher Ehrbarkeit“ wieder damit anfing, der Prostitution nachzugehen.

Leider hatte Hertha mich bereits vorher verlassen, sie verlor bei einem Autounfall ihr Leben. Ich denke oft an sie. Ich erinnere mich an unsere Gespräche über die Männer und deren Penisse.

Es gibt so viele verschiedenartige Penisse, kurze dicke, lange dünne, mehr gerade, drollig krumme. Im Ruhezustand sind sie alle unschön schrumpelig. Schön werden sie erst, wenn sie erregt sind, wenn Leben in sie schießt, wenn sie schließlich stolz aufrecht stehen. Welch ein Schauspiel! Die Eichel schlüpft aus der Vorhaut, wird rund und prall und tiefviolett! Glänzend krönt sie den fleischigen Schaft. Fleischpflanze. Fleischblume. Grandios!

Das Erregende für uns Frauen ist, daß wir wissen: Es liegt in unserer Hand, dieses Gewächs bis zum Äußersten zu erregen und dem Mann damit höchste Lust zu schenken! Schenken? Oh, doch, es ist ein Geschenk, auch wenn der Mann dafür bezahlt.

 

 

Höhen und Tiefen

 

Wenn schon, denn schon – einen dicken Strich wollte ich ziehen, von Grund auf neu anfangen.

Meine Situation, als ich, im Mai 1979, Schaffhausen Ade gesagt und in Frankfurt eingetroffen war: Eine geschiedene Frau, ohne Beruf, ohne Zeugnisse, mit 30 nicht mehr ganz jung.

Glücklicherweise hatte ich etwas Geld auf der Seite. Ich konnte in Ruhe auf Jobsuche gehen. Nach einigen mich nicht sonderlich befriedigenden Versuchen landete ich, auf eine Anzeige hin, in der Außendienstorganisation eines sogenannten Allfinanzunternehmens. Mühsames, manchmal frustrierendes Klinkenputzen zunächst. Doch ich war zäh, bewies Wortgewandtheit und Verhandlungsgeschick.

Allerdings erschien mir meine Tätigkeit nicht als solide und lukrativ genug. Ich wollte eine richtige Vermögensberaterin werden und eine eigene Allfinanzagentur haben. Systematisch verfolgte ich mein Ziel. So oft es sich machen ließ, nahm ich an Schulungen teil. Praktisch nebenbei studierte ich Betriebswirtschaft. Eines Tages war ich Diplom-Betriebswirtin. Kurz darauf stieg ich als Juniorpartnerin in eine Agentur in Karlsruhe ein. Ich fand das aus zwei Gründen einfach super: Erstens hielt ich Karlsruhe für ein gutes Pflaster fürs Allfinanzgeschäft. Zweitens hatte ich mittlerweile einen Karlsruher geheiratet und seine Heimatstadt zu meinem Wohnort gemacht. Mein neuer, mein zweiter Ehemann: Emil Steiner, 48, Abteilungsleiter in einem Baumarkt, genau das Gegenteil von Urs Meier, meinem ersten Ehemann. Der war athletisch gebaut, schwarzhaarig, sprunghaft, unzuverlässig. Emil hingegen – fast schmächtig, semmelblond, ruhig, gewiß zuverlässig. Ein solider Mann. Der richtige Mann für eine solide Ehe. Ich konnte mir sagen, daß ich am Ziel war: Ich hatte endlich einen Beruf, eine interessante, ausbaufähige, ziemlich selbständige Existenz. Ich führte eine gute Ehe, wurde Mutter, meine Tochter Lisa kam zur Welt ...

Alles lief gut. Das Agenturgeschäft entwickelte sich zunächst vielversprechend. Zufällig war ein Immobilienmakler Agenturnachbar geworden. Die Nachbarschaft führte zu einer gewissen Partnerschaft, aus dem Partnersein erwuchs persönliche Freundschaft. Hertha wurde meine beste Freundin. Glückliche Jahre. Doch das Glück hielt nicht an. Es kam knüppeldick: Hertha verunglückte tödlich. Sigbert, ihr Mann, gab bald danach die Firma auf, zog jedenfalls weg aus Karlsruhe. Mein Geschäft wurde härter, das Neugeschäft ging stark zurück. Zu allem Unglück verschuldeten wir uns auch noch hoch: Wir hatten mit einem Kredit in sechsstelliger Höhe den Kauf einer Eigentumswohnung finanziert. Das Wasser stand uns plötzlich bis zum Hals. Es lief einfach alles schief und auch in unserer Ehe stimmte nichts mehr. Ich konnte Emil ganz einfach nicht mehr lieben, liebevoll seine Schwächen tolerieren. Er hatte viele Schwächen. Er war fast in jeder Hinsicht schwach. Ein Mann ohne Power. Eigentlich eine Null. Gut, Emil war der Vater meiner Tochter, doch um ihre Erziehung mußte ich mich alleine kümmern. Mag sein, daß ich zu stark für ihn war, zu fordernd, zu umtriebig, zu anspruchsvoll, auch im Bett. So stand es um unsere Ehe, als das Fiasko hereinbrach. Ein Fiasko in Raten. Emil hatte sich einer Bandscheibenoperation zu unterziehen. Sie lief nicht gut, sie verschlimmerte sein Leiden. Er wurde zum Frührentner. Das Schlimmste war, daß er jeden Lebensmut verlor. Meine Versuche, ihn wieder aufzurichten, scheiterten. Bald endete fast jedes unserer Gespräche im Streit. Wir sprachen schließlich kaum noch miteinander.

Eines Tages war er weg. Einfach ausgezogen ist er, zu seinem Bruder. Seine schmale Rente behielt er für sich. Wir, Lisa und ich, sahen keine Mark mehr von ihm. Ich war nun Alleinverdienerin, Minimalverdienerin. Was ich verdienen konnte, reichte vorne und hinten nicht. Ich stieg aus der Agentur aus, um mit der erhofften Abfindung vorerst die Wohnung halten, was hieß, die nächsten Bankraten bezahlen, zu können. Die Abfindung bekam ich, doch sie fiel kläglich aus, sie reichte gerade dafür, der Bank gegenüber nicht das Gesicht zu verlieren. Es war ein Fehler, eine Panikhandlung, aus der Agentur auszusteigen. Ich hatte nun wirklich keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Als freie Vertreterin mußte ich wieder arbeiten, mit geringem Erfolg, mit verdammt wenig Einkommen. Es reichte fürs Leben und schon bald nicht einmal für das! Es ließ sich nicht länger vermeiden: Ich mußte die Eigentumswohnung aufgeben und in eine kleine, relativ billige Mietwohnung ziehen.

Tief war ich nach erfolgreichen, glücklichen Jahren abgestiegen, so tief, daß ich Freunde und Verwandte anpumpen mußte, um uns, Lisa und mich, von Monat zu Monat dahinfretten zu können. Ich stand wieder da, wo ich bereits einmal gestanden habe, vor über 10 Jahren, in Schaffhausen: Am Tiefpunkt. Nüchtern betrachtet war die Lage diesmal sogar wesentlich schlechter: Eine Tochter mußte von mir versorgt werden, um rund 10 Jahre war ich älter! Ich, 40 – und dennoch gab es nur einen Ausweg, ich mußte wieder anschaffen gehen.

Was sonst? Im Büro arbeiten oder als Verkäuferin? Damit hätte ich zuwenig verdient, um je wieder auf die Beine zu kommen. Mich weiter als Vertreterin anstellen zu lassen, mich immer noch tiefer verstricken, mich gar zum Offenbarungseid treiben zu lassen und dann Sozialhilfe beantragen? Da entschied ich mich denn doch lieber für die Prostitution. Gewiß, man verdient auch damit keine goldenen Berge, aber doch soviel, daß man leben und die Gläubiger befriedigen kann. Die Gläubiger! Sie werden erbarmungslos, unnachsichtig, wenn sie wissen oder befürchten, daß kein Geld mehr zu holen ist. Ich scheute nicht davor zurück, der notwendigen schnellen Mark wegen als Prostituierte zu arbeiten und zunächst einmal auf den Autostrich zu gehen. Die härteste, sicher unbequemste und vor allem gefährlichste Art, Sex gegen Bezahlung anzubieten. Mir war völlig klar, daß der Autostrich auf Dauer nichts für mich ist. Er hätte mich in ein Leben abrutschen lassen, das ich nicht wollte, wahrscheinlich auch nicht ertragen konnte. Prostitution, ja, aber nicht als Straßendirne, sondern als Callgirl! Der Einstieg ins Callgirl-Metier ist übrigens nicht besonders schwierig. Angebot und Nachfrage spielen sich hauptsächlich per Anzeigen ab, in speziellen Wochenzeitungen und Monatsmagazinen sowie in der Boulevardpresse. Magazine und Zeitungen kaufen und lesen, gute Garderobe, Telefon, Auto. Mehr ist für den Anfang nicht erforderlich. Das Telefon ist das Wichtigste. Man bietet sich telefonisch an, verhandelt telefonisch. Man wird sich am Telefon einig, über Art und Weise des Liebesdienstes, Preis und Treffpunkt. So stellte ich es mir vor. Und so lief's dann auch, nicht immer, aber in der Regel.

 

 

Unehrliche Fassade, knallhartes Geschäft

 

„Dynamischer Unternehmer (Mitte 40) sucht attraktive, gebildete Dame als Begleiterin. Kurzbewerbung mit Foto und Telefonnummer schicken Sie bitte unter Chiffre.

Dutzende so oder ähnlich abgefaßter Inserate findet man in den Wochenendausgaben der Welt, der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen Zeitung. Jeden Samstag habe ich sie am Bahnhofskiosk gekauft und dann am Nachmittag „ausgewertet“. Meine Samstagsbeschäftigung. Meine Sonntagsarbeit dann: Anzeigen beantworten.

Anfangs gab ich mich der naiven Hoffnung hin, daß tatsächlich ein Unternehmer antworten würde. Das war nur zweimal der Fall. Ansonsten meldeten sich im Laufe der nächsten oder übernächsten Woche sogenannte Serviceagenturen.

Bald wurde mir klar, daß hinter solchen Anzeigen fast immer Leute stehen, die zwar offiziell Begleiterinnen, Reisesekretärinnen sowie Hostessen vermitteln, deren wahres Geschäft aber die Vermittlung von Callgirls ist.

Zuhälterei in diskreter Form, auf gehobenem Niveau. Unehrliche Fassade, knallhartes Geschäft! Rechtlich gesehen geht es um Vermittlung von Serviceleistungen, die mit Sex nichts zu tun haben. Dame begleitet Herren während eines geschäftlichen Aufenthaltes, auf einer Geschäftsreise ... Was sich dabei zwischen den „Servicepartnern“ abspielt, ist allein deren Sache. Viel kann sich abspielen oder auch fast nichts. Der Agentur ist das egal. Sie hat einem Auftraggeber eine Auftragnehmerin vermittelt, vom Auftraggeber die Vermittlungsgebühr kassiert, an die Auftragnehmerin das Servicehonorar bezahlt, bar oder per Überweisung aufs Bankkonto. Ein Honorar, das zumeist höchstens die Hälfte der Vermittlungsgebühr ausmacht!

Einer meiner ersten Jobs „auf Agenturbasis“ kam von einer Vermittlerin in Karlsruhe. Büro und Wohnzimmer waren eins und ein wahres Gruselkabinett. Schwere Samtvorhänge, zugezogen, obwohl es noch heller Nachmittag war. Geheimnisvolle, irgendwie magische Atmosphäre! Tiefviolett die Vorhänge, dunkelrot die Tapeten. Schwarze Möbel, Tiffany-Lampen. In der Mitte des runden Tisches, an dem wir miteinander verhandelten, eine große Kristallkugel.

Die Dame hieß Mechthild Braun. Ein Name, dessen Schlichtheit nicht so recht zu der Atmosphäre paßte und ganz und gar nicht der Braun'schen Erscheinung entsprach. Schmales Gesicht mit vorspringender, großer, scharf gebogener Nase. Störend, faszinierend, irritierend die behaarte Warze auf der linken Wange. Diese Frau Braun wohnte wie eine Magierin, sah aus wie eine Hexe, war vielleicht sogar eine echte Hexe. Jedenfalls erfuhr ich im Laufe des Gespräches, daß sie sich der okkulten Wissenschaft widmet, eine Hellseherin und Wahrsagerin sei und, daß sie die Vermittlung von Begleiterinnen nur nebenbei betreibt. Alles in allem ein beklemmendes Gespräch, das ich nur deshalb nicht abbrach, weil ich hoffte, daß ich sofort einen Auftrag bekäme!

Ich verließ die Hexenbehausung ohne Auftrag, hinterließ jedoch Fotos und Lebenslauf. Ein weitgehend geschönter, ziemlich verlogener Lebenslauf. Zwei Wochen später, ich hatte Mechthild Braun bereits vergessen, kam zu meiner Überraschung ein Anruf von ihr: Es sei nun soweit, wenn ich momentan frei wäre, könnte sie mir einen lukrativen Wochenendauftrag vermitteln. Ein reicher, kultivierter, allerdings nicht mehr junger Möbelfabrikant suche eine Begleiterin für eine Kurzreise. Ich sei genau die Richtige für diesen Freitag-Samstag-Sonntag-Job. Natürlich müsse dem Job ein Kennenlernen vorausgehen, das solle noch heute abend stattfinden, es würde selbstverständlich honoriert.

Ich sagte zu und fand mich, wie vereinbart um 17 Uhr, bei Frau Mechthild Braun ein. Wie sie es verlangt hatte, parkte ich meinen Wagen zwei Seitenstraßen weit vom Haus. Mir fiel auf, daß vor ihrem Haus ein Mercedes stand, in dem ein älterer, dicker, glatzköpfiger Mann saß.

Das Gespräch bei Frau Braun war kurz. Sie sagte, daß ich den Fabrikanten auf einem Wochenendtrip nach Oberstaufen im Allgäu zu begleiten hätte, daß er mich vorher kennenlernen und testen möchte und das gleich heute. Mein Tageshonorar betrage 800 Mark. Das Honorar fürs Kennenlernen belaufe sich auf 400 Mark und ich bekäme dieses sowie alle weiteren Honorare selbstverständlich immer im voraus. Der besagte Herr erwarte mich übrigens bereits vor dem Haus.