Hanjo Schmidt

Klitoral... vaginal... ganz egal!

 

 

Über die sogenannten Orgasmusschwierigkeiten und wie Frauen mit ihnen fertigwerden.

Ein Buch – nicht nur für Frauen

 

 

Für Karina

 

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Der Autor. Hanjo Schmidt studierte Kunst, Architektur und Archäologie und liebt es, den Dingen auf den Grund zu gehen. Besonders fasziniert ihn die Geschichte des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen. Er findet, daß es eigentlich kaum etwas Interessanteres gibt. Van Hanjo Schmidt liegt ein weiteres Euch vor, erschienen in der Gatzanis Verlags-GmbH, über mental bedingte Impotenz bei Männern: „Der Geist ist willig, doch das Fleisch macht schlappt“, das er zusammen mit Kurt W. Leuze schrieb.

 

2. unveränderte Nachauflage 2002

Deutsche Erstausgabe

© Gatzanis Verlags-GmbH Stuttgart 1995

Umschlaggestaltung: AC, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten, auch die der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile

 

 

Inhalt

Vorwort

Was ist das Problem?

Früh krümmt sich...

Ach übrigens, Sex was ist das?

Ein wenig über den Körper

Ein Kapitel über die Bilder

Oh, holde Himmelsmacht...

Die großen Gefühle

Angst und Lust und Frust

Wirklich kein Orgasmus?

Im Reich der sexuellen Phantasien

Pfui Schmutz und Schund

Selbst ist die Frau

Klitoral, vaginal, ganz egal

Wie geht Vögeln eigentlich?

Muß ein Orgasmus denn sein?

Liebe ohne Sex?

Sex ohne Liebe?

Typisch weiblich oder männlich?

Die traute Zweisamkeit

Alles nur Ideologie?

Du mußt, Du darfst nicht!

Ende gut, alles gut!

 

 

Vorwort

Bei den Recherchen zu dem Buch „Der Geist ist willig, doch das Fleisch macht schlapp!“, das mental bedingte Potenzstörungen bei Männern behandelt, habe ich natürlich auch mit etlichen Frauen gesprochen, da Potenzstörungen ja hauptsächlich deswegen so fatal sind, weil sie den Mann vor dem anderen Geschlecht blamieren. Es war die Absicht, herauszufinden, wie Frauen tatsächlich damit umgehen. Im Verlauf der Gespräche kamen wir dann jedesmal sehr schnell auf die eigenen „Potenzstörungen“ der Frauen zu sprechen, ihre Orgasmusschwierigkeiten, und es stellte sich heraus, daß Frauen so ziemlich unter dem gleichen Streß zu leiden haben wie die Männer. In einer Zeit, in der „gut draufsein“ oberstes Gebot ist und sexuelle Attraktivität und Lust auf Lust geradezu erwartet wird, ist Sexualität für beide Geschlechter zu einem psychischen und physischen Streßfaktor sondergleichen geworden. In dieser Atmosphäre von erotischer Partystimmung fällt es vielen allerdings um so schwerer, einzugestehen – sich selber und vor allem anderen –, daß man mit der Lust so seine Last hat.

Dieses Buch, für das die Idee während jener Gespräche geboren wurde, soll nun versuchen, die Probleme zu benennen, die Frauen mit der Sexualität haben und vor allem mit dem Orgasmus. Es soll Ihnen zeigen, daß Sie erstens mit Ihren Problemen nicht allein sind, viele Frauen teilen sie mit Ihnen, und zweitens, daß Sie meistens durchaus nicht „schuld“ daran sind, wenn's bei Ihnen nicht so recht klappt. Kurz, es soll Ihnen ihr Selbstvertrauen zurückgeben. Es soll Ihnen helfen, nicht verzagt zu sein, denn Sex ist immer auch schwierig und nie ganz problemlos, zumal mit unserer Kulturtradition. Es soll Ihnen aber auch Mut machen, offen darüber zu reden. Sie können von diesem Erfahrungsaustausch nur profitieren und lernen.

Einige wird es vielleicht wundern, daß ein Mann dieses Buch schreibt. Nach Jahrhunderten, in denen Männer über Frauen und besonders über ihre Sexualität befunden haben, ist hier Mißtrauen mehr als verständlich. Ich würde auch sicherlich nicht auf die Idee kommen, über Frauenprobleme zu schreiben. Das sogenannte Orgasmusproblem der Frauen jedoch, ist meiner Meinung nach kein wirkliches Frauenproblem. In erster Linie ist es ein Paarproblem in einer männlich dominierten Gesellschaft. Ja, man könnte vielleicht sogar etwas überspitzt sagen, es sei ein Männerproblem. Die Art und Weise nämlich, wie leider immer noch der weitaus größte Teil der Männer seine Sexualität versteht und lebt und dabei den Frauen die männliche Sicht und Methode der Sexualität aufdrängt, ist denkbar ungeeignet, um den Frauen sexuelle Befriedigung zu verschaffen.

Natürlich ist über all dies schon viel geschrieben worden, sowohl in Frauenzeitschriften, in Frauenbüchern als auch in Büchern, die sich allgemein mit Sexualität befassen, oder in der psychologischen Fachliteratur. Hier in diesem Buch ist, so hoffe ich, alles Wesentliche zusammengetragen und auf einen Blick verfügbar.

Worum geht es nun, und worum geht es nicht? In diesem Buch geht es nicht um körperliche Fehlfunktionen. Diese sind sehr selten und mehr ein Thema für die medizinische Fachliteratur, beziehungsweise ein Fall für den Arzt. Vielleicht postuliert die Medizin irgendwann einmal, daß es sich auch beim Orgasmusproblem um eine hauptsächlich körperliche Ursache handele, wie sie es seit einiger Zeit für die männliche Impotenz behauptet, doch wir wissen ja, daß die ebenfalls männlich dominierte Medizin gern alle Probleme instrumentalisiert und operativ oder medikamentös zu regeln sucht. Es geht in diesem Buch aber auch nicht darum, wie man mit Sicherheit fünf oder mehr Orgasmen hintereinander zustande bringt. Es geht hier also weder um Medizin noch um Hochleistungssport.

In diesem Buch geht es vor allem um die Nöte von Frauen, die an sich selber zweifeln und sich nicht für vollwertig halten, weil sie Schwierigkeiten mit dem Orgasmus allgemein und mit dem sogenannten vaginalen Orgasmus im besonderen haben. Und das sind leider mehr, als ich anfangs für möglich gehalten habe. Die Orgasmus-Show im Bett ist für die große Mehrzahl der Frauen aller Altersstufen immer noch traurige Realität und oft der letzte Ausweg, wenigstens vor dem Partner das Gesicht zu wahren. Statistiken sprechen von 60 bis 90 % der Frauen. Daß diese Notsimulationen für das eigene Selbstwertgefühl mehr als unbefriedigend sind, liegt auf der Hand.

Allerdings steigt dieses Buch auch nicht unbedingt in die unenträtselbaren Tiefen der menschlichen Seele hinab. Es ist kein Psychobuch. Ich will Ihnen auch nicht aufschwatzen, ein Orgasmus sei das Höchste im Leben, und ohne ihn seien Sie nur ein halber Mensch. Wenn Sie ohne Orgasmus, ja sogar ohne Sex, glücklich und zufrieden sind, dann ist ja alles in Ordnung. Wenn Sie aber darunter leiden, und zwar aus eigenen körperlichen und seelischen Motiven und nicht etwa nur, weil Sie es Ihrer Freundin zeigen wollen, die angeblich immer so tolle Orgasmen hat, dann finden Sie hier, was Sie suchen. Was Sie selbst wollen und brauchen ist wichtig, sonst nichts. Allerdings denke ich, daß Sie, wenn Sie auch nur einmal das Erlebnis eines fulminanten Orgasmus hatten, ihn selbstverständlich nicht mehr missen wollen und sollen.

Erwarten Sie aber keine Tricks oder Patentrezepte. Es gibt sie nämlich nicht. Dies ist kein Ratgeber der weitverbreiteten Sorte „Mehr Spaß im Bett“ oder „Das Multi-Orgasmus-Super-Spezial-Programm“. Frauen, die unter massiven Selbstzweifeln leiden, brauchen alles andere als Trainingsprogramme für die Beckenmuskulatur oder raffinierte Stellungsanweisungen. Die Probleme mit dem Sex sind selten technische Probleme. Sie finden hauptsächlich im Kopf statt. Insofern befindet sich Ihr wichtigstes Sexualorgan tatsächlich zwischen den Ohren, wie es in Spike Lees Film „She's gotta have it“ treffend heißt.

Die in dem Buch „Der Geist ist willig, doch das Fleisch macht schlapp!“ entwickelte These, daß Potenzstörungen in allererster Linie von Bildern erzeugt werden, gilt in gewisser Weise auch für Frauen. Dabei meine ich nicht nur Bilder im wörtlichen Sinn, wie zum Beispiel die Bilder der Werbewelt, der Modejournale, des Kinos oder der Pornographie, sondern besonders Bilder im übertragenen Sinne. Bilder also, die wir uns von uns und von anderen machen oder Bilder, die unsere Umgebung sich von uns macht. Bilder von richtig und falsch, Bilder von weiblich und männlich, von Glücksansprüchen, Leitbildern und gesellschaftlichen Normen. Vor allem aber geht es um das Bild, das wir in unserem Kulturkreis von der Sexualität und besonders vom Ablauf des Geschlechtsverkehrs haben. Dieses Bild, wie „ES“ stattzufinden hat, ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die sogenannten weiblichen Orgasmusprobleme. Um es in wenigen Worten zusammenzufassen: Ich glaube nicht daran, daß Frauen wirklich Probleme damit haben, zum Orgasmus zu kommen. Ich glaube nur, um es nochmals zu wiederholen, daß die Art und Weise, wie wir traditionell Sexualität leben und miteinander schlafen, wirklich ungeeignet ist, bei einer Frau einen Orgasmus auszulösen. Nicht die Frauen haben ein Problem, unser Bild von der Sexualität, das in der Regel ein männliches Bild ist, ist ein Problem.

Es ist also hohe Zeit, anzufangen, sich über unsere Fremdbestimmtheit durch kulturelle Vorurteile klarzuwerden und Gegenstrategien zu entwickeln, sonst kommen wir vom Regen in die Traufe. Oder konkret ausgedrückt: aus der moralischen Bevormundung unter das Diktat einer sexualisierten Leistungsgesellschaft.

Nun gibt es auch Ratgeber, die versprechen Ihnen, wie Sie zum Orgasmus kommen können: jederzeit und wann immer Sie wollen. Dabei geht es selbstredend nicht um den Orgasmus, den Sie sich selber machen können, sondern um den, mit dem Sie ihre Schwierigkeiten haben, dem Orgasmus beim Sex mit dem Partner. Ich komme darauf in einem späteren Kapitel noch zurück, keine Angst. Doch da man nicht über den Orgasmus reden kann, ohne über Sex zu reden, und da man nicht über Sex reden kann ohne gleichzeitig über seinen Stellenwert in unserer Gesellschaft und die Art, wie er bei uns praktiziert wird, will ich zuvor noch allerhand gerade dazu sagen. Beginnen will ich damit, welchen Einflüssen – geschichtlich, kulturell und individuell – wir dabei ausgesetzt sind. Es reicht nämlich nicht, irgendwelche Übungen zu machen, ohne seine gesamte Einstellung zum Sex und unser Eingebundensein in das gesellschaftliche Umfeld genau zu überdenken.

 

 

Was ist das Problem?

Lust ist etwas sehr eigenes. Wenn man sie aber nur für oder durch einen anderen haben soll, entsteht sehr schnell das eine oder andere Problem.

 

Helga ist mittlerweile Anfang Vierzig und hat trotz aller Anstrengungen noch niemals beim Sex mit einem Partner allein durchs Vögeln einen Orgasmus erlebt. Die attraktive promovierte Archäologin ist dabei alles andere als ein Sexmuffel oder das, was man sich allgemein unter einer frigiden Frau vorstellt, im Gegenteil. Sie interessiert sich sehr für Erotik und Sexualität und redet auch gerne darüber. Auch kennt sie die einschlägigen Hinweise der Psychobücher, wie entspannen etc. Trotzdem klappt's bei ihr nie, ohne daß sie mit der Hand „nachhilft“. Dieses Nachhelfen allerdings kommt ihr vor wie Onanie. Dazu braucht sie jedoch keinen Mann, meint sie, denn das klappt alleine besser und außerdem könnte sie sich so das ganze Beziehungsgezerfe ersparen. Sie möchte den Orgasmus jedoch sehr gerne als Folge des Zusammenseins erleben und nicht nur so, als ob sie eigentlich alleine war. Wozu, so fragt sie sich ständig, all das soziale und emotionale Durcheinander, die ganzen persönlichen Verwicklungen, wenn sie es sich am Ende doch immer selber machen muß.

Dazu kommt, daß sie durch ihre lange Ausbildung, die auch längere Auslandsaufenthalte mit einschloß, bisher noch keine rechte Gelegenheit für eine wirklich intensive und langandauernde Partnerschaft hatte. Ihre diversen Männerbekanntschaften waren alle mehr oder weniger flüchtiger Natur. Einige dieser Männer versuchten sie in gewohnter Weise zu dominieren, was sie nun überhaupt nicht verträgt, oder sie waren, wenn sie denn ihre intellektuellen Fähigkeiten anerkannten, körperlich nicht das, was sie sich vorstellte oder wünschte. So hatte sie im Bett bisher eigentlich nur frustrierende Erlebnisse. Selbst wenn ein Mann bereit war, es ihr mit der Hand zu machen, so traf er nicht die spezielle Art, die sie von sich selbst gewohnt ist. Dann kommt es ihr auch dabei nicht. Oft reiben die Männer verzweifelt an ihrer Klit herum – es muß doch gehen –, und es tut dann nur weh oder ist unangenehm. Jedenfalls führt es zu nichts. Manchmal denkt sie, daß es bei ihr nur deshalb nicht von alleine geht, weil sie die „Handarbeit“ gewohnt ist und sich vielleicht zu sehr auf diese Art fixiert hat. Dann fällt ihr aber wieder ein, daß es früher, in ihrer Jugend, auch nicht funktioniert hat. Mittlerweile ist sie richtig etwas verbittert und fühlt sich von der Natur betrogen. Wenn sie gerade wieder ein frustrierendes Erlebnis hinter sich gebracht hat, kommt ihr auch der Verdacht, daß die Sache mit dem Sex vielleicht doch nur ein Windei sei und daß sie's besser lassen sollte, weil es ihr das, was sie eigentlich will, doch nicht bringt.

Regelrecht als Hohn empfindet sie es, daß ihre Freundin noch nie Probleme mit dem Orgasmus gehabt hat. Der kommt's immer, ohne daß sie auch nur einen Handschlag dazu tut. Zu allem Überfluß ejakuliert sie auch noch fast jedesmal in hohem Bogen. Die Freundin allerdings hat das Problem, daß ihr Mann nicht mit ihr schlafen will, so daß sie von ihrem Glück auch wieder nichts hat. Helga findet das alles sehr absurd und wünscht sich eine Lösung, die wirklich funktioniert.

Unser letztes Treffen, bei dem ich sie zu dem Thema dieses Buches interviewte, war eigentlich recht lustig, denn es fand in einem Restaurant statt und wir mußten gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen, damit die anderen Gäste, die um uns herum saßen nicht aufhorchten. So sprachen wir anscheinend übers Kochen und nannten den Orgasmus „Omelett“, den vaginalen Orgasmus „in der Backröhre“ und den Handgebrauch „mit dem Handmixer“. Das war dann hin und wieder schon sehr komisch und erheiternd. Trotzdem hat mich ihre tiefe Mutlosigkeit und Verzweiflung regelrecht schockiert, und ich war tagelang wie blockiert davon.

Dies also ist das Thema von Orgasmusschwierigkeiten. Natürlich unterscheidet die Sexualwissenschaft zwischen verschiedenen Stufen dieser Erscheinung. Angefangen von totaler Sexunlust bis hin zu gelegentlichen Ausfällen reicht die Skala der Problembeschreibung. Den Extremfall der totalen Sexunlust wollen wir hier ausklammern, denn er ist eine tief in der individuellen Persönlichkeit und ihrer Entwicklungsgeschichte begründete Störung, die einer ebenso individuellen Analyse und Therapie bedarf und daher den Rahmen dieses Buches sprengen würde. Dies ist, wie gesagt, kein Fachbuch im sexualwissenschaftlichen Sinn, sondern ein Buch für die Mehrheit der Frauen, die mit dem Orgasmus Schwierigkeiten haben.

Ganz eindeutig ist jener Fall, bei dem der Mann ein sexueller Holzkopf ist, nämlich, wenn ihm außer der faden RRR-Methode, also rein-raus-runter, nichts einfällt. Wer einen solch einfältigen Ficker im Bett hat, hat außer seinem Partner wirklich kein Problem. Da hilft nur, ihn entweder nochmals zur Schule zu schicken, in diesem Fall in die nächste Buchhandlung, damit er anhand der einschlägigen Literatur die Grundkenntnisse des Vögelns erlernt, oder aber, sich von ihm zu trennen. Nein, das Problem, das hier behandelt werden, dem hier nachgespürt werden soll, ist komplizierter. Es geht darum, daß die Frauen, und das sind wohl sehr häufig gerade jüngere Frauen, trotz eines liebevollen Partners, der sich wirklich Mühe gibt, es einfach nicht schaffen, sich von vorgegebenen Verhaltensmustern zu lösen und derart loszulassen, daß sie einem Orgasmus eine reelle Chance geben können.

Das Problem läßt sich vielleicht in einem Satz zusammenfassen: die Frau denkt beim Sex an etwas anderes als an ihre Lust, sie ist im Kopf und nicht im Körper. Sie spielt eine Rolle für den Mann, statt sich auf ihre ureigene Lust einzulassen. Wieso?

Zum einen liegt es an dem Bild, das viele Frauen von sich selber haben. Für sie scheint noch immer die Notwendigkeit, einen Mann zu ergattern, einen unangemessen hohen Stellenwert zu besitzen. Von allen Seiten werden sie ja auch mit Tips zu gerade diesem Thema überhäuft: „Wie angle ich mir einen Mann?“ Die Werbung für Kosmetik, Parfüms oder Dessous, verspricht ihnen allenthalben, daß sie mit gerade diesem oder jenem Produkt größere Erfolgschancen in ihrem Bestreben hätten. Sogar schon junge Mädchen in ihrer natürlichen Schönheit schminken sich das Gesicht zu einer Model-Maske zurecht, um ihre Chancen vermeintlich zu erhöhen und folgen damit eher einem Klischee als den tatsächlichen Wünschen der Männer. Denn wer küßt schon gerne dicke Schminkeschichten? Falls sie ihn überhaupt an ihre Maske heranlassen. Steckt hinter dieser Männersuchwut immer noch die uralte Vorstellung, daß eine Frau durch ihren Mann lebe? Daß sie ohne Mann nur ein halber Mensch sei? Vielleicht. Nicht umsonst hat die bekannte Feministin Gloria Steinern in den Sechzigern den überspitzten und provokativen ironischen Satz geprägt: „Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.“

Für einen jungen Mann ist die Frage nach einer Frau eher zweitrangig. Eine Freundin, okay, aber eine Frau? Erst kommt der Beruf, dann die Hobbys. Frau, das heißt Familie, heißt Bindung. Das hat später noch Zeit. Für junge Frauen scheint das irrationalerweise immer noch anders zu sein. Heirat schwebt immer irgendwo im Kopf herum. Und dann soll es natürlich auch nicht irgendwer sein.

Unter dieser Voraussetzung wird natürlich auch die Sexualität weniger oder gar nicht zu einer Angelegenheit der Befriedigung körperlicher Gelüste, sondern zum gezielt eingesetzten Mittel, den Wunschmann zu betören und an sich zu fesseln. Mit der Folge, daß jedes intime Zusammensein zu einer stressigen Prüfungssituation, einem verbissenen Wettbewerb wird. Dem Auserwählten muß eine überzeugende Show geboten werden, damit er erkennt: halt, hier bin ich richtig, das ist sie, die nehm' ich. Selbstverständlich stehen bei diesen Veranstaltungen dann auch die Wünsche der Männer im Vordergrund, die wirklichen, aber auch die vermeintlichen. Hauptsächlich natürlich die vermeintlichen, denn sie kennt ihn ja noch gar nicht gut genug. Was der Mann als lustvoll erlebt, seine Vorstellung von Sex wird der alleinige Maßstab, dem sie sich unterwirft, damit er ihr nicht gleich wieder davonläuft. Das alte Motto: eine Frau soll vor allem den Mann befriedigen, zeugt sich so ununterbrochen fort. Die Frau definiert sich geradezu über ihre diesbezügliche Fähigkeit und gerät in tiefe Selbstzweifel, wenn es ihr nicht gelingt dem Mann das zu geben, was er offensichtlich von ihr will: ihre Lust, durch seinen Schwanz hervorgerufen und den Beweis für ihre Lust, den Orgasmus. Mehr und mehr wird sie von der Furcht beherrscht, er könnte ihr vorwerfen, sie sei frigide und sich von ihr abwenden.

Selbstverständlich hat diese Konstellation, in der die Frauen dann auch noch ein viel zu großes Gewicht auf ihre äußere Erscheinung legen, auf ihr „Ankommen“ beim männlichen Geschlecht, auch ihre Rückwirkungen auf das Seelenleben, die Empfindungen und Wahrnehmungen der Frauen. Aus lauter Frust beginnen sie ihre Enttäuschungen auf die Männer zu projizieren. Sie reagieren, gerade wenn sie hübsch sind, plötzlich empfindlich auf Komplimente oder Bewunderung ihres Äußeren, sie vermuten darin plötzlich, daß der betreffende Mann eben auch nur an ihrem Äußeren interessiert sei und ihre „inneren Werte“ übersehe. Das geht soweit, daß sie männliche Komplimente nur noch als zielstrebige und vorgetäuschte Sülzerei begreifen. Daß sie jedoch vorher alles unternommen haben, um die Männer gerade auf ihr Äußeres aufmerksam zu machen, ja sie geradezu mit der Nase drauf zu stoßen, fällt dabei dann oft durch ihr Wahrnehmungsraster.

Als Gelegenheiten, ihr wirkliches sexuelles Empfinden zu spüren, sich ohne Bedingungen in ihre Lust zu verlieren, bleiben den jungen Frauen dann nur noch die flüchtigen Beziehungen oder die sogenannten „One Night Stands“. Wenn es nicht drauf ankommt, daß er bleibt, können sie ihren Kopf freimachen und mit ihrem Körper empfinden. Dabei müssen sie aber wieder in Kauf nehmen, daß das erstemal meist von beiderseitigen Hilflosigkeiten dem anderen gegenüber verschattet ist. Und auch, daß man sich einem ziemlich Fremden gegenüber einfach nicht so total fallenlassen kann, wie gegenüber einem vertrauten Partner. Auch das Artikulieren von Wünschen und Bedürfnissen braucht seine Zeit, zumal man sich oft nicht traut, diese Wünsche und Bedürfnisse verbal vorzubringen. Schließlich ist die Nacht im Bett keine Trainingsstunde mit präzisen und nüchternen Anweisungen: mach mal dies, mach mal hier, mach mal so. Ganz abgesehen davon, daß Sex nun mal eine ganz andere Art der Kommunikation ist, als die verbale.

Ein anderes Problem aber, und das scheint genauso gravierend, wenn nicht sogar gravierender, ist die Art, wie viele Männer Sexualität verstehen. In der Regel wird dann gevögelt, wenn IHM danach ist. Der Anblick seines steifen Schwanzes ist seiner Meinung nach ausreichend, um ihr die Nässe ins Höschen zu treiben und sie willenlos aufs Bett sinken zu lassen. Natürlich will sie's heftig, logo, schließlich bewundert sie ja auch seine Muskeln. Sie will genommen werden, er soll's ihr besorgen. Und er besorgt's ihr. In wenigen Minuten absolviert er seine dreißig Liegestütze, spritzt sie voll und rollt sich auf die Seite. Ja, er ist wirklich ein toller Stecher. Wenn er dann diese Nummer noch dreimal hintereinander bringt, ist er der Größte, hat den Längsten usw. Oder aber er ist ein ganz „Aufgeklärter“. Die Frau soll auch ihren Spaß haben, klaro. Zu diesem Zweck wird dann mit zusammengebissenen Zähnen ihre Klit poliert, daß es raucht. Und undankbar wie diese Weiber nun mal sind, müht er sich umsonst. Sie ist eben einfach eine frigide Ziege, wenn sie es selbst nach so einem mühevollen und selbstlosen Einsatz nicht bringt.

Die Bedingungen also, unter denen gerade ledige Frauen beim Partner-Sex zum Orgasmus kommen wollen, sind unter diesen Vorzeichen denkbar schlecht. Das sollte man im Auge behalten, wenn man anfängt, sich Gedanken und Sorgen um seine „Funktionsfähigkeit“ zu machen. Die immer wieder vorgebrachten Zweifel, ob man eine richtige Frau sei, wenn man es beim Geschlechtsverkehr nicht zum Orgasmus bringt, sind also mehr als unbegründet. Ich möchte sogar so weit gehen, zu sagen, daß Frauen, wenn sie derartige Orgasmusschwierigkeiten haben, ziemlich okay sind. Die Bedingungen, unter denen Sexualität in unserem christlich-patriarchalischen Kulturkreis stattfindet, legen es ja geradezu darauf an, daß Frauen Schwierigkeiten bekommen – und das, wie sie tagtäglich erfahren, nicht nur in der Sexualität.

Die Prägungen, denen unsere Sexualität und der Umgang mit ihr unterworfen sind, beginnen schon sehr früh, und sie begleiten uns auf Schritt und Tritt. Und das von Generation zu Generation. Wir alle sind kein unbeschriebenes Blatt, sondern schleppen, ob wir es wollen oder nicht, eine jahrtausendealte Tradition mit uns herum.

 

 

Früh krümmt sich...

Wie aus einer urwüchsigen Kraß eine kümmerliche „Bonsai-Sexualität“ wird – oder noch weniger –, das zeigt dieses Kapitel

 

Jeder Mensch wird mit einem intakten sexuellen Grundprogramm geboren. Mit der Fähigkeit, körperliche Zuwendung und Stimulierung wahrzunehmen, Lust und Frust zu empfinden und dem Verlangen, eher das erstere, die Lust, als das Zweite, den Frust zu suchen. Noch ehe sie ein Jahr alt sind, haben Babys bereits ihre Geschlechtsorgane entdeckt und daß es angenehm ist, sich damit zu beschäftigen. Kleine Mädchen spielen mit der gleichen Lust und dem gleichen Vergnügen mit ihrem Schlitz, wie kleine Jungs mit ihrem Zipfel. Früh schon entwickelt sich ein Bewußtsein darüber, daß es mit diesen Körperteilen etwas ganz Besonderes auf sich hat, auch wenn noch kein blasser Schimmer darüber vorhanden ist, was denn dieses Besondere eigentlich sei. Schon in der Kinderkrippe und dem Kindergarten suchen sich beide Geschlechter, um stolz dem jeweils anderen ihre „Sachen“ zu zeigen und kichernd damit zu spielen. Ich erinnere mich noch genau, wie wir kurz nach dem Krieg als sechsjährige, Mädchen und Jungen, nach der Schule in Trümmerkeller stiegen, um dort, der Kontrolle der Erwachsenen entzogen, irgend etwas mit unseren Genitalien anzustellen. Wir ahnten, daß Sehen, Zeigen und Anfassen nicht alles war und kamen dann darauf, daß es vielleicht mit dem voreinander Pinkeln etwas zu tun haben könnte, was wir dann auch ausgiebig und mit vor Erregung roten Gesichtern taten.