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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2033

 

Tod im Türkisozean

 

Sie sind die Letzten der Rautak – sie leben unter dem Silberschirm

 

von Andreas Findig

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Nach wie vor ist die SOL mit ihrer Besatzung in der Vergangenheit gestrandet, nach wie vor gibt es für das alte Generationenraumschiff keine Möglichkeit zur Rückkehr in die Gegenwart. Durch einen Abgrund von 18 Millionen Jahren von ihren Gefährten in der heimatlichen Milchstraße getrennt, müssen Atlan und seine Begleiter in der Galaxis Segafrendo um ihr Überleben kämpfen.

In Segafrendo tobt seit über tausend Jahren ein fürchterlicher Krieg. Die mörderischen Mundänen haben die friedliche Kultur der Galaktischen Krone so gut wie zerstört. Nur noch wenige Jahre wird es dauern, bis Segafrendo komplett von den Mundänen beherrscht wird. Und die Besatzung der SOL weiß, dass sie in diesen Konflikt praktisch nicht eingreifen kann.

Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Bevor das Raumschiff durch den Mega-Dom in DaGlausch ging, erhielt die Besatzung einen Auftrag der Superintelligenz ES: Man müsse nach Auroch-Maxo-55 fliegen, um von dort einen Kym-Jorier zu bergen. Gelinge das nicht, drohe der Untergang der Menschheit.

Das Ziel Auroch-Maxo ist mittlerweile näher gerückt. In einer Dunkelwolke verbirgt sich ein komplettes Sonnensystem vor den Feinden aus der Galaxis Dubensys – doch es droht der TOD IM TÜRKISOZEAN …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Paumyr – Die schwimmende Pflanzen-Intelligenz nimmt Kurs auf den Südpol.

Jamaske – Eine Rautak verliebt sich und sucht den »Weg ins Herz«.

Latruiz – Der Paumyr-Sprecher erkennt das Wesen seiner Existenz.

Yol Gondaron – Sein Kosmologisches Wandertheater hat keine Zuschauer.

Autsch – Der Kosmologen-Kobold erscheint in vielen Gestalten.

1.

Paumyrs Perlen

 

In ihren Träumen hatte Jamaske, die Ruhelose, einen Mann.

Der Mann, von dem Jamaske in ihren wild bewegten Schlafphasen träumte, war mit seinen zwei Metern um über einen Kopf größer als die rautakische Fischerin. Wie die meisten Männer auf Paumyr trug er sein mattschwarzes Haar schulterlang.

Wenn Jamaskes geträumter Mann das bronzefarbene Gesicht zur Seite wandte, leuchtete manchmal eine Art Aureole um seine fliegenden Haare auf, ein leichter Türkis-Schimmer, der wie ein Widerschein des weltumspannenden Ozeans von Auroch-Maxo-55 wirkte.

Und sein Lachen war wie der weiße Wellenkamm einer Brandungswoge.

Und seine Augen funkelten wie aus der Tiefe emporgewachsene Honigkorallen, die nur an windstillen Tagen zum Vorschein kamen, wenn das Meer fast durchsichtig wurde und selbst die räuberischen Schlundreißer am Grund des Ozeans blieben.

Jamaskes Traumgefährte trug nicht das grobe, aus Pflanzenfasern gewobene Gewand der Fischer und Ernter, sondern den traditionellen Kishtor, der den Männern aus der Kaste der Wissenden vorbehalten war. Der prächtige, in der Taille mit einem goldenen Zierseil gegürtete Überwurf wurde aus den purpurglänzenden Seidenfäden der blinden Spinnkrebse erzeugt, die irgendwo tief im Inneren Paumyrs, in den »verbotenen Stollen«, unermüdlich ihre verwirrenden Netze spannen.

Im wirklichen Leben hatte Jamaske Angehörige aus der Kaste der Wissenden – oder der »Paumyr-Sprecher«, wie sie sich selbst nannten – bis jetzt nur von weitem gesehen.

Aber in ihren Träumen hatte sie ihrem namenlosen Liebhaber seinen weichen, auf eine erregende Art nach Erde und Wurzeln riechenden Kishtor schon viele Male vom Leib gestreift. Ihre Hände hatten die Wellen seiner Haare befahren. Sie war in seine Achseln eingetaucht und hatte die Fischgründe seines bronzenen, muskulösen Körpers bis in die geheimsten Tiefen erforscht.

In ihren Träumen hatte Jamaske, die Ruhelose, einen Mann.

Einen Mann, den sie liebte und mit dem sie – auf manchmal durchaus zügellose Art – Liebe machte

 

*

 

Jamaskes delikate Träume waren um so verwunderlicher, als die rautakische Fischerin während der Wachphasen nicht das geringste Bedürfnis nach einem Mann verspürte. Sie war sich selbst genug – und sie brauchte niemanden. Sogar ihre Freundin Ingray hätte ihr überhaupt nicht gefehlt, wenn Paumyr sie zu sich geholt hätte.

Aber ihre Träume wollte Jamaske behalten. Und sie wollte ihre Traumperle behalten – obwohl diese schon zur Größe eines Rautak-Kopfes angewachsen war und der Moment näher kam, in dem sich ihre Schlafmuschel nicht mehr schließen ließ.

Die Rautak hatte Angst vor diesem Moment.

Träume konnten sich grundlegend ändern, wenn eine Traumperle aus der Schlafmuschel gelöst wurde. Eine Traumperle zu verlieren war immer wie ein kleiner Tod.

Und diesmal wollte Jamaske diesen Tod nicht sterben.

Als Klindo, der Muschelmeister, in die feuchten, von einem grünlich-organischen Licht und einem leisen Tropfen und Plätschern erfüllten Ruhekavernen kam, um Jamaskes Traumperle einzufordern, weigerte sich Jamaske.

»Das ist meine Perle!«, sagte Jamaske, die unter den rautakischen Fischern die wenig schmeichelhaften Beinamen »die Ruhelose« und »die Streitbare« trug. »Die Träume gehören mir allein!«

»Das ist nicht wahr«, erwiderte der Muschelmeister. »Diese Träume gehören Paumyr. Alles, was wir sind, gehört Paumyr. Willst du Paumyr verweigern, was ihr eigen ist?«

»Wenn Paumyr meine Träume will, dann soll sie mich selbst darum bitten«, gab Jamaske mit einem trotzigen Aufblitzen ihrer rauchblauen Augen zurück.

Natürlich wusste sie, dass sich die Insel-Intelligenz den einfachen Rautak schon seit vielen Perioden nicht mehr mitgeteilt hatte – und der Muschelmeister wusste das auch. Lediglich die Paumyr-Sprecher aus dem Stand der Wissenden hatten regelmäßigen Kontakt zu Paumyr. Ansonsten sprach die Inzaila nicht direkt zu ihren Kindern, sondern strahlte nur eine mentale Präsenz aus.

Eine Präsenz, die beständig durch die meterdicken, millionenfach verwobenen Pflanzenstränge der schwimmenden Insel pulsierte.

Ein alles durchdringender geistiger Atem, der durch Paumyrs organische Höhlensysteme wehte, der aus ihren vielfach verästelten, biolumineszenten Lichtadern sickerte, der als dumpfes, kaum wahrnehmbares Pochen aus den verwucherten Korridoren und lebendigen Grotten im tief unter der Wasserlinie liegenden Inselherzen drang.

Nein, Paumyr hatte schon lange nicht mehr zu den einfachen Rautak gesprochen, aber weshalb sollte sie auch?

Sie war immer da. Sie umhüllte die Rautak mit ihrem kilometergroßen, unsterblichen Körper.

Sie war ihre Göttin und ihr Lebensraum zugleich – das schwimmende Zentrum der Welt.

»Achte auf deine Zunge, Jamaske!«, sagte der Muschelmeister ungewöhnlich scharf. Er wollte an Jamaske vorbei zum Wasser hinabgehen, aus dem bereits die Schlafmuscheln emporgestiegen waren und langsam ans Ufer der unterirdischen Kanäle trieben. Ihre Schalen klappten wie gewaltige Mäuler auf – gewaltige Mäuler, in denen etwas Rundes und Glänzendes beharrlich blinkte.

Jamaske kam dem Muschelmeister zuvor. Mit der traumwandlerischen Behändigkeit, die sie sich auf unzähligen Fangfahrten erworben hatte, sprang die athletische Fischerin vom federnden Boden ab, machte einen Rückwärtssalto und setzte breitbeinig knapp vor dem Wasser wieder auf.

»Bleib von meiner Schlafmuschel weg!«, zischte Jamaske.

Ihr Hände waren zu Fäusten geballt. Ihre dunkelbraunen, seitlich zu spiraligen Knoten geflochtenen Haare knisterten leicht und wirkten im dämmrigen Licht der Ruhekavernen wie die Hörner eines Widderhais.

»Niemand rührt meine Schlafmuschel an!«

 

*

 

Schlafmuscheln waren Riesenmuscheln von bis zu drei Metern Durchmesser und eineinhalb Metern Dicke. Auf ihren zweiklappigen Kalkschalen wuchsen ganze Gebirge unterschiedlichster Algen, Korallen und Seeanemonen, die jeder Muschel ihr ganz individuelles und farbenprächtiges Aussehen gaben.

Die gepanzerten Weichtiere lebten in einer rätselhaften Symbiose mit den Rautak.

In regelmäßigen Abständen – die auf geheimnisvolle Art mit den Schlafphasen der Rautak übereinstimmten – tauchten sie aus den Kanälen der Ruhekavernen auf und öffneten langsam ihre mächtigen Schalen. Innen pulsierten die sichelförmigen, von einer rötlichbraunen, ledrigen Haut überzogenen Körper der Muscheln selbst, die nur etwa die Hälfte ihres Gehäuses einnahmen.

Und dieses Pulsieren strahlte eine eindeutige Botschaft aus: Komm näher! Leg dich zu mir! Gib mir deine Träume – und ich gebe dir Schlaf!

Niemand konnte mehr sagen, wer der erste Rautak gewesen war, der es gewagt hatte, tatsächlich in die aufgeklappten Schalen einer Riesenmuschel zu steigen.

Jedenfalls schliefen die Fischer von Paumyr schon lange nicht mehr in ihren näher an der Oberfläche der Inzaila gelegenen Wohnhöhlen. Der Schlaf in einer Riesenmuschel war um vieles angenehmer, war wie ein Wegdriften in ferne, in tiefere Welten, die von einem ewigen, beruhigenden Murmeln erfüllt waren, einer ungreifbaren, schwerelosen Gelassenheit ganz nah am Grund der Dinge.

Wenn sich ein Rautak in die Muschelschale legte, passte sich das Tier behutsam seinem Körper an. Die ledrige Haut wurde weich und nachgiebig, und das Muskelgeflecht der Muschel wurde von wellenförmigen Kontraktionen durchlaufen, die den ganzen Körper des Rautak massierten.

So blieben die Rautak eine Weile liegen, in der Umarmung einer pulsierenden Riesenmuschel, und unterhielten sich über dem seichten, leise plätschernden Wasser, während das Leuchten in Paumyrs Lichtadern schwächer und schwächer wurde und der halb süßliche, halb modrige Duft der Schlafmuscheln die Grotten erfüllte.

Und dann, eine nach der anderen, schlossen die Muscheln ihre Deckschale, versanken in den Wellen und schaukelten – jede einen schlafenden Rautak-Fischer im Bauch – sanft auf dem moosbewachsenen Boden der Ruhekavernen. Wie dunkle, verstreute Unterwasserfindlinge lagen sie da, und nur die gleichförmige Bewegung des rundumlaufenden Kiemenkranzes, der nicht nur die Muscheln, sondern auch die in ihrem Inneren schlafenden Rautak mit Sauerstoff versorgte, verriet, dass die metergroßen, zerklüfteten Gebilde am Grund der Grotten lebten.

Die Riesenmuscheln schenkten den Rautak Schlaf. Und die Rautak schenkten den Muscheln ihre Träume.

Zumindest war es das, was Klindo, der Muschelmeister, behauptete.

»Schlafmuscheln brauchen unsere Träume«, sagte er. »Sie brauchen das, was die Wissenden das Traum-Tzan'dhu nennen. Aber unsere Träume stammen von Paumyr. Und daher gehören die Perlen, die uns die Schlafmuscheln zurückgeben, ebenfalls Paumyr. Es sind nicht unsere Perlen. Es sind Paumyrs Perlen. Eigentlich sind wir alle Paumyrs Perlen. Das solltest du wissen, Jamaske.«

Jamaske blieb trotzig. »Ich weiß, dass ich diese Perle erträumt habe«, sagte sie mit einer heftigen Stimme, die selbst von den Pflanzenwänden der Ruhekaverne nur wenig gedämpft wurde. »Und ich gebe sie nicht her!«

Sie trat noch näher an das Wasser heran und stellte sich kämpferisch vor ihre geöffnete Schlafmuschel, in deren Kopfende der Grund ihrer Auseinandersetzung mit dem Muschelmeister lag:

Eine eiförmige, rubinrot glänzende Perle von gut dreißig Zentimetern Länge und zwanzig Zentimetern Dicke.

Eine Traumperle.

Wenn Rautak-Fischer zum ersten Mal eine Schlafmuschel bestiegen, fanden sie am nächsten »Morgen« – also am Ende der Schlafphase – einen winzigen Kristall neben ihrer Stirn, der leicht an der perlmuttglänzenden Innenseite der Schlafmuschel haftete. Dieser Kristall – eine Absonderung von purem Tzan'dhu, wie die Wissenden sagten – war der Nukleus, um den in vielen Schlafphasen die Traumperle wuchs. Traum um Traum legte sich eine schimmernde, leicht irisierende Schicht um den kristallinen Kern, der nach und nach rund wurde, dann eiförmig – und immer größer.

Traumperlen waren Kondensate der intimsten Rautak-Phantasien, der verwegensten, verzückendsten und verstörendsten Abenteuer in den weiten und unerforschten Gewässern des Schlafs. Sie waren das Persönlichste, was ein Rautak besitzen konnte. Bis sie »reif« waren. Bis Klindo, der Muschelmeister, kam, um sie aus der Schlafmuschel zu lösen und zu den Wissenden zu tragen – an einen geheimen Ort, irgendwo tief drinnen in den »verbotenen Stollen«.

Bis jetzt hatte sich Jamaske mit diesem unausweichlichen Verlust auch immer klaglos abgefunden.

Aber bis jetzt hatte sie auch keinen geträumten Mann gehabt.

In ihrer Traumperle steckten aberhundert Umarmungen, steckten zärtliche Küsse und ungestüme Vereinigungen. Nein, diese Perle würde sie nicht hergeben.

»Nein!«, rief Jamaske. »Geh zu deinen Wissenden und sag ihnen, dass Jamaske, die Fischerin, ihre Träume nicht hergeben wird. Geh und sag ihnen das! Und wenn nicht Paumyr selbst zu mir spricht, werde ich meine Meinung nicht ändern. Das ist mein letztes Wort.«

»Du bist unvernünftig, Jamaske«, sagte der Muschelmeister. »Was ist das nur mit dir? Nie bist du zufrieden. Immer haderst du mit deinem Leben. Warum kannst du nicht wie alle anderen Kinder Paumyrs sein?«

»Ich bin Jamaske«, sagte die streitbare Rautak. »Ich bin wie niemand sonst, und niemand sonst ist so wie ich.«

Der Muschelmeister lächelte ein trauriges Lächeln, bevor er sich umdrehte und langsam den Stollen hinaufstieg, der aus den Ruhekavernen in eine der Haupthöhlen führte.

»Ich wünsche dir friedliche Träume«, sagte er im Gehen. »Aber vergiss nie, von wem sie kommen und wem sie gehören …«

Jamaske, breitbeinig, die Hände noch immer zu Fäusten geballt, sah dem Muschelmeister misstrauisch nach, bis er die Grotte verlassen hatte. Dann entspannte sie sich und bemerkte erst jetzt, dass sie von allen anderen Rautak angestarrt wurde.

»Was glotzt ihr so?«, rief sie ins weite Rund der Ruhekaverne. »Habt ihr keine Tratschgeschichten, die ihr euch erzählen könntet?«

Ingray, ihre Freundin, kam über den leicht rutschigen Boden zu Jamaske und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.

»Genug jetzt, Sturmschwester!«, flüsterte ihr die hagere Fischerin mit den rötlichschwarzen, wie Stacheln abstehenden Struwwelhaaren ins Ohr. »Weißt du denn nie, wann du aufhören musst?«

»Du hast ja recht«, sagte Jamaske, die sich plötzlich sehr dumm vorkam. »Aber ich will ihn nicht verlieren …«

»Wen willst du nicht verlieren?«

»Ach nichts«, sagte Jamaske und wich dem forschenden Blick ihrer Freundin aus.

Sie öffnete ihren Gürtel, an dem sie das unvermeidliche Sichelmesser zum Ausnehmen der Fische trug, und legte beides, Gürtel und Messer, auf eine runde Erhebung am Ufer, die wie ein Stein aussah, in Wahrheit aber eine pflanzliche Knolle war. Danach, den Blick noch immer zu Boden gewandt, zog sie sich den Pflanzenfaserkilt über den Kopf, unter dem sie wie alle Fischerinnen und Fischer nur noch einen aus Schuppenhaut gefertigten, elastischen Slip trug.

»Nun, wenn du's nicht sagen willst, willst du's nicht sagen«, meinte Ingray und tippte ihr mit beiden Mittelfingern freundschaftlich auf die nackten, tief bronzenen Brüste.

Jamaske lachte leise auf, stieß Ingrays Hände weg und knuffte ihr ebenso freundschaftlich in den Bauch. Dann bestieg sie ihre Schlafmuschel, während ihr Ingray noch einen halb neckischen, halb nachdenklichen Blick zuwarf, bevor sie zu ihrer eigenen Schlafmuschel ging, sich ebenfalls entkleidete und in die weit geöffnete Muschelschale kletterte.

Auch alle anderen Fischerinnen und Fischer – an die vierzig, fünfzig Rautak aus verschiedenen Fanggruppen – machten es sich in ihren Schlafmuscheln bequem und begannen mit dem üblichen »Rundgerede«, wie die halb ritualisierte Form der Unterhaltung hieß, die sie am Ende einer Wachphase pflegten.

Es waren Geschichten von ihren Fahrten über den türkisblauen Ozean von Auroch-Maxo-55. Geschichten von der blutigen Hochzeit der mörderischen Dhejas tief unten am Meeresgrund. Geschichten vom schreckenerregenden Augenfisch, dessen Blicke die Haut versengten. Geschichten von der Geister-Inzaila, die manchmal, bei unruhigem Seegang, wenn sich der Silberschirm eindunkelte, wie ein Phantom am Horizont auftauchte und niemals näher kam, sosehr man auch ruderte.

Einige der älteren Rautak rezitierten in einem kanonartigen Singsang Passagen der »Legenden aus dem Herzen«. Sie sangen von Paumyrs Werden und Wachsen, von Alshma Ventor, dem Portal des Schlafenden Lichts, vom sagenhaften Ort INSHARAM, Hort des Wissens und der Weisheit, und von Hauchmén Zovirasch, dem prophezeiten Ende der Welt.

Und nach und nach, während das grünliche Leuchten in Paumyrs Lichtadern langsam verblasste, wurde das Rundgerede immer leiser, versickerten die Gesänge der Alten in einem kaum noch hörbaren Summen, und Muschel auf Muschel begann sich zu schließen und versank in den murmelnden Wellen.

Jamaske, den Rücken eng an den pochenden Körper ihrer Muschel geschmiegt, hielt mit beiden Händen ihre Traumperle umfasst, deren hypnotisches Blinken sie mehr und mehr in ihren Bann zog.

Sie nahm die letzten durch die Ruhekavernen vagabundierenden Gesprächs- und Gesangsfetzen des allgemeinen Rundgeredes kaum noch wahr. Jamaske wollte schlafen.

Je eher sie einschlief, um so eher würde sie ihm wieder begegnen.

Als sich Jamaskes Schlafmuschel mit einem leisen Knarzen schloss und auf den Grund der Kavernen sank, wurde ihr wellenschlagender Kiemenkranz für einen kurzen Moment von einem rötlichen Leuchten umspielt, das vom Wasser mehrfach gebrochen wurde und wie ein Irrlicht durch die Stollen tanzte.

Und dann war da nur noch Dunkelheit.

Und aus der Dunkelheit schälte sich die Gestalt eines hochgewachsenen, bronzehäutigen Mannes mit fliegenden Haaren und weit ausgebreiteten Armen.

Jamaske schwamm auf ihn zu.

2.

Der Ewige Kosmologe

 

In jenen Zeiten, vor Segaftausenden, da Paumyr noch jung war und aberhundert Inzaila den Türkisozean von Auroch-Maxo-55 befuhren, geschah es, dass Yol Gondaron, der Ewige Kosmologe, mit seinem Raumboot aus dem Himmel fiel.

Yol Gondaron stammte aus dem zahlreichen Volk der Sery-Mer, und er hatte sich ganz allein aufgemacht, um nach dem Ursprung der Wolke und des Schmetterlings zu suchen.

Aber die Wolke und der Schmetterling waren schon lange vergangen, und in den Gezeiten des dunklen Leuchtens kenterte Yol Gondarons Boot und stürzte auf Paumyr hinab.

»Ich sterbe!«, sagte Yol Gondaron, der Ewige Kosmologe, als er verwundet in den Trümmern seines Bootes lag.

»Nein«, sprach Paumyr, die Einzige. »Ich werde dich heilen.«

Und Paumyr heilte die Wunden des Ewigen Kosmologen, und sie gab ihm ein Blütenhaus, hoch oben, inmitten des wasserblauen Blätterwalds.

Yol Gondaron richtete sich ein, und er schaffte die Wunschgeräte und Zauberkulissen seines Kosmologischen Wandertheaters in das neue Blütenhaus.

Paumyr heilte auch seine Wunschgeräte und Zauberkulissen. Nur das Boot konnte Paumyr nicht mehr heilen.

So vergingen die Perioden, und Paumyr, die Einzige, sorgte dafür, dass es ihrem Gast an nichts mangelte.

Aber der Ewige Kosmologe war unglücklich.

»Ich bin allein!«, klagte Yol Gondaron inmitten der Wunschgeräte und Zauberkulissen seines Wandertheaters. »Niemand ist da, dem ich meine Stücke zeigen könnte. Niemand hört auf meine Geschichten. Ich will sterben!«

Da sprach Paumyr: »Ich gebe dir Zuseher!«

Und sie erschuf aus ihrem Körper 22 Sery-Mer. Und die 22 Sery-Mer umringten Yol Gondaron mit wippenden Hirntentakeln, und sie plapperten durcheinander und waren begierig, Yol Gondarons Vorstellung zu sehen.

»Erzähle uns über ESTARTU!«, forderten sie.

»Zeige uns die Sphärenrosen von Brahabans!«

»Lehre uns den Tanz von der Wolke und dem Schmetterling!«

Aber Yol Gondaron, der Ewige Kosmologe, war nicht zufrieden.

»Das sind keine wirklichen Sery-Mer, Paumyr!«, rief er in den wasserblauen Blätterwald hinein. »Ich bin der einzige Sery-Mer, den es je in diese Düsterwolke verschlagen hat. Was du mir da zeigst, sind Gaukelbilder, und mit Gaukelbildern kenne ich mich aus!«

»Wie du willst«, sprach Paumyr und nahm die 22 Sery-Mer wieder zu sich.

»Ich bin allein«, klagte Yol Gondaron. »Ich will sterben!«