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KARL MAY’S
GESAMMELTE WERKE

BAND 86

MEINE
DANKBAREN LESER

‚KARL MAY ALS ERZIEHER‘
und ‚DIE WAHRHEIT ÜBER KARL MAY‘
oder DIE GEGNER KARL MAYS IN
IHREM EIGENEN LICHTE
von EINEM DANKBAREN MAY-LESER

VERTEIDIGUNGSSCHRIFT
VON

KARL MAY

Herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid
© 2005 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1586-4

KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL

Inhalt

„Die Wahrheit Über Karl May“?

‚Karl May als Erzieher‘

Briefe

Empfehlende Worte deutscher Bischöfe

Einige Stimmen der Presse

Eine Auswahl dankbarer Leserbriefe

„DIE WAHRHEIT ÜBER KARL MAY“?
oder
EIN AUTOR SUCHT SEINE WAHREN LESER

1

Bei seinen Auseinandersetzungen mit literarischen Gegnern in den Jahren 1899-1912 griff Karl May des Öfteren zu dem Kunstmittel, sich zwar selbst gegen die Angriffe zu verteidigen, aber seine Ausführungen in dritter Person, gelegentlich sogar unter dem Namen eines Freundes oder Bekannten, zu verfassen. So antwortete May auf die Presseangriffe durch Fedor Mamroth, den Feuilletonredakteur der liberalen Frankfurter Zeitung, im Sommer 1899 nicht unter eigenem Namen, sondern ließ unter dem seines Freundes Richard Plöhn drei Artikel in der Dortmunder Tremonia erscheinen.1 Unter den vielen Polemiken, Apologien und Repliken Karl Mays nimmt eine kleine Broschüre eine besondere Stellung ein, die sein Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld in einer Auflage von 100.000 Stück und zum Preis von zehn Pfennig pro Exemplar im Januar 1902 veröffentlichte. Dieses Büchlein trug den etwas gewundenen Titel „Karl May als Erzieher“ und „Die Wahrheit über Karl May“ oder „Die Gegner Karl Mays in ihrem eigenen Lichte“ sowie die Verfasserangabe „von einem dankbaren May-Leser“. Der „dankbare Leser“ (unter diesem Kurztitel wird die Schrift in der Forschung bevorzugt zitiert) war niemand anders als Karl May selbst.

Den äußeren Anlass für die Veröffentlichung der Streitschrift bildeten zwei Artikel, die in der Frankfurter Zeitung erschienen waren. Sie stammten allerdings nicht von Fedor Mamroth, der 1899 die Angriffe gegen May eröffnet hatte. In dem Aufsatz Gymnasiasten auf dem Kriegspfade. Karl May als Erzieher vom 22. Juli 1901 ging es um Jugendliche, die angeblich unter dem verderblichen Einfluss Mayscher Bücher straffällig geworden waren. Die Wahrheit über Karl May, ein Artikel in der FZ vom 9. November 1901, beschäftigte sich mit Mays Münchmeyer-Romanen, die damals gerade vom Münchmeyer-Nachfolger Adalbert Fischer neu aufgelegt und von dem FZ-Autor – ganz im Sinne von Mays Hauptgegner Dr. Hermann Cardauns, dem Chefredakteur der Kölnischen Volkszeitung – als unsittliche Schundliteratur gebrandmarkt wurden. Auch Mays Gedichtband Himmelsgedanken2 (Weihnachten 1900 bei Fehsenfeld erschienen) wurde von dem Frankfurter Rezensenten als quasi wertlose Gelegenheitslyrik dargestellt.3

Indem May die Schlagworte von „Karl May als Erzieher“ und „Die Wahrheit über Karl May“ aus den Artikeln seiner Gegner aufgriff und polemisch in ihr Gegenteil zu wenden suchte, bediente er sich einer Technik, die er in den folgenden Streitschriften ab 1902 noch häufiger anwenden sollte. Er gedachte seine Widersacher mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, deren Worte und Argumente gegen sie zu benutzen und so den Nachweis zu führen, dass die Wahrheit über Karl May eine andere war als die von den Angreifern behauptete und dass seinen Schriften tatsächlich eine höhere, pädagogische Absicht zu Grunde lag. Nicht immer ist ihm dies so überzeugend gelungen wie im Dankbaren Leser, wo er – trotz einer gewissen Selbstbeweihräucherung – über die Intentionen seines Schreibens offen Rechenschaft ablegte und gleichzeitig ein Programm erkennen ließ, das er in seinem Spätwerk konsequent verfolgen wollte. Doch dazu an anderer Stelle mehr.

Nicht gut bekommen ist der kleinen Broschüre hingegen Mays Versuch, die Darlegung seiner pädagogischen und literarischen Absichten und seines ‚wahren‘ Charakters mit einer Streitschrift gegen Fedor Mamroth und Hermann Cardauns zu verbinden. Weite Strecken des Textes befassen sich in aggressiver und gereizter Form mit Mamroths Artikeln von 1899 und mit Cardauns Angriffen in der Kölnischen Volkszeitung. Während die Polemik gegen Mamroth und die FZ im Wesentlichen Mays Argumentationslinie des zweiten Tremonia-Beitrags wiederaufgreift4, sind die Attacken gegen Cardauns noch deutlich massiver.

Um Mays Verteidigungslinie besser würdigen zu können, sei hier ein kurzer Überblick gegeben, wie Cardauns die Pressefehde eröffnet hatte.

Der Auftakt war dabei eigentlich eher harmlos zu nennen: Am 24. Juni 1892 erschien in der Kölnischen Volkszeitung eine kurze Rezension, vermutlich aus der Feder des Chefredakteurs Cardauns, in der Mays Reiseromane als „ganz eigenartige Schöpfungen“ bezeichnet wurden. May hat dieses, wenn auch frostige, Teillob in den Dankbaren Leser aufgenommen, wobei er allerdings einige charakteristische Auslassungen vornahm. So hieß es bei Cardauns vollständig: „Mays Reiseheld verbringt allerdings etwas unglaubliche Taten, aber er steht turmhoch über den Skalp-, Büffel- und sonstigen Jägern, für welche sich unsere Jugend oft mehr als wünschenswert begeistert.“5 Durch kleine Auslassungen und Umformulierungen hat May hier die Cardauns’schen Ausführungen geschickt zu seinen Gunsten verändert, ohne allerdings die Grundaussage zu verfälschen. Tatsache bleibt, dass Cardauns 1892 Mays Abenteuerromane zwar nicht unkritisch, aber doch insgesamt noch wohlwollend behandelte.

Wesentlich schärfere Töne schlug er erst sieben Jahre später an, als er am 5. Juli 1899 unter dem Titel Ein ergötzlicher Streit unter anderem mit Mays autobiografischer Humoreske Freuden und Leiden eines Vielgelesenen6 ins Gericht ging, die auch Fedor Mamroth mit bitterer Ironie als Ausgeburt einer grenzenlosen Selbstüberschätzung charakterisiert hatte. Aus Cardauns Ausführungen hier einige der wichtigsten Sätze:

„Die ganze Schilderung ist eine einzige kolossale Selbstreklame. (…) Es ist beispielsweise Tatsache, das es ‚May-Klubs‘ gibt, und es mag auch Fantasten geben, die ihm wirklich Briefe mit Nachrichten über Bekehrungen usw. geschrieben haben, die seine Mordgeschichten bewirkt haben sollen. (…) Aber wir können uns nicht helfen: uns ist der Mann zu fromm. (…) Unser Feldzug gegen Taxil & Co. hat auch bei einigen frommen Seelen Ärgernis erregt. Später hat man uns gedankt. Herrn May mit dem Pariser Schwindler auf dieselbe Stufe zu stellen, fällt uns nicht ein, aber im Punkte der ausschweifenden Fantasie, verbunden mit der Zumutung, man solle ihnen das Zeug glauben, haben sie etwas Verwandtes.“7

In diesem Punkt hat Cardauns seine Meinung übrigens bald geändert. In seinem Vortrag über „Literarische Curiosa“, worin „er den Münchmeyer-Romanen ganze 50 Minuten widmet“8, stellte er May tatsächlich auf eine Stufe mit dem Marseiller Hochstapler Leo Taxil9 und dem Stettiner Buchhändler Robert Graßmann, dessen Auszüge aus den Werken des heiligen Alphons von Liguori von Cardauns und anderen katholischen Publizisten scharf gegeißelt wurden. Hier fiel auch jener berühmt-berüchtigte Satz von Cardauns über Mays religiöse Lyrik: als religiösen Lyriker, als welcher er neuerdings in den frommen Himmelsgedanken auftrete, müsse man ihn sich verbitten.10

Cardauns’ Sinneswandel erklärt sich einerseits durch seine – allerdings eher flüchtige – Beschäftigung mit den Mayschen Kolportageromanen, andererseits durch viele Fakten, die ihm zwischen 1899 und 1901 bekannt geworden waren und die ihm May als ‚katholisierenden‘ Heuchler und Betrüger erscheinen ließen: etwa die Tatsache, dass er sich in seinem für das berühmte Nachschlagewerk des Kürschner 1896 verfassten Lebenslauf wahrheitswidrig als ‚katholisch‘ ausgab, sein falscher Doktortitel, seine übertriebenen Behauptungen über fantastische Sprachkenntnisse und sein Versuch, die erfundenen Reiseerzählungen als Selbsterlebtes, als Produkt wirklicher Reisen auszugeben.

Im Dankbaren Leser hat sich May, aus seiner Sicht zu Recht, bitter über Cardauns’ Häme beklagt: „Diese wunderbare christliche Zeitung höhnt über May“, heißt es da über die Kölnische Volkszeitung, „wenn er neun Worte aus tausenden von Briefen bringt.“ In seinen Bemühungen, sich gegen die Angriffe zu verteidigen, verfiel May allerdings auf eine nicht ganz ungefährliche Taktik, indem er einen alten Streitfall aus dem Jahr 1885 herausgriff. Damals hatte der Verlag Bachem, in dem auch die Volkszeitung erschien, in Bachems Roman-Sammlung auch Karl Mays Erzählung Die Gum veröffentlicht, allerdings unter dem geänderten Titel Die Wüstenräuber. Erlebnisse einer Afrikaexpedition durch die Sahara. Später gab es zwischen May und Bachem offenbar Streit um Honorarzahlungen und um die in Mays Augen widerrechtlichen Nachdrucke dieses Titels. Im Dankbaren Leser hat May die Sache so dargestellt, als habe die Kölnische Volkszeitung selbst Die Gum abgedruckt und dabei der Erzählung aus Werbegründen den neuen, „blutrünstigen Titel“ Die Wüstenräuber gegeben. Mays Darstellungen waren so stark verfälschend, dass der Verlag Bachem und der Chefredakteur Cardauns sich dagegen wehrten. In der Elberfelder Zeitung vom 14. Januar 1902 erschien in der Rubrik „Eingesandt“ eine Darstellung des Volksschulrektors Fritz Jorde, die auf Mays Informationen beruhte. Dagegen klagten Cardauns und der Verlag Bachem, und Jorde musste widerrufen. Er sei „das Opfer einer Täuschung geworden“, versicherte Jorde am 27. Februar 1902 in der Elberfelder Zeitung. Karl Mays Verleger Fehsenfeld wurde wegen der im Dankbaren Leser enthaltenen Vorwürfe gegen den Verlag Bachem am 24. Januar 1902 zu einem Vergleich gezwungen und musste die Verfahrenskosten zahlen, was May gegen seinen Verleger sehr aufbrachte.

So viel zu den juristischen Auseinandersetzungen um Mays Broschüre. Viel interessanter sind für den heutigen Leser Mays Versuch, seine Absichten als Schriftsteller darzustellen, aber auch der Anhang von 178 Briefen, den er bereits im September 1901 während seines Aufenthalts auf dem Rigi (bei Luzern in der Schweiz) zusammengestellt hatte.11 May bat nun seine Anwälte Bernstein, Klotz und Langenhan, ihm die Übereinstimmung der Briefauszüge mit den Originalen zu bestätigen, doch die Juristen zögerten, denn May hatte nicht nur ganze Passagen der Briefe weggelassen, sondern auch einiges umgeschrieben. So kam es in der Broschüre zu der merkwürdigen Formulierung, „dass sämtliche, zu den vorersichtlichen 178 Briefen gehörige Urschriften in unserer Kanzlei in Dresden (…) zu jedermanns Einsicht verwahrt werden.“

Über die Art und Weise, in der May die Briefe seiner Leser ‚bearbeitete‘, ist viel spekuliert worden. Walther Ilmer etwa behauptete, die Originalbriefe „stimmten (…) häufig nicht mit Mays Formulierungen überein.“12

Die gesamten Briefe sind bis zum heutigen Tag in Mays Nachlass vorhanden, und eine Auswahl daraus erscheint nun erstmals im vollständigen Neusatz, teils auch als Faksimile.

Der Vergleich der Originalbriefe mit den Auszügen im Dankbaren Leser ergab, dass May in den meisten Fällen einzelne Sätze und Passagen angestrichen und für den Druck ausgesucht hat. Dabei wurden verfängliche Stellen wie beispielsweise der von den Lesern häufig verwendete falsche Doktortitel fortgelassen. May hat auch einige stilistische Verbesserungen, meist durch Auslassung und Änderung weniger Worte, vorgenommen. In keinem Fall aber haben diese Korrekturen den Charakter der originalen Schreiben in ihren Aussagen und ihrer Tendenz verändert.

Man kann sogar sagen, dass die vollständigen Briefe noch weitaus naiver, devoter und begeisterter sind als Mays Auszüge. Anhand der Dokumentation im vorliegenden Band kann man sich ein Bild von jener Begeisterung machen, die die Leser schon zu Lebzeiten des ‚Maysters‘ empfanden.

2

Viel ist über den auffälligen Wandel nachgedacht, geschrieben und gestritten worden, den das Werk Karl Mays nach der großen Orientreise 1899/1900 durchgemacht hat. Von Otto Eicke stammt das merkwürdige Wort vom „Bruch im Bau“. Damit ist gemeint, dass May nicht unbedingt aus innerer Überzeugung, sondern vor allem unter dem Druck der Kritiker und Gegner versucht habe, seinem Werk ein neues, ‚anspruchsvolleres‘, symbolisches Gewand zu geben und auch das bisher Geschriebene in diesem Sinne umzudeuten. Wenn sich Karl May etwa im Dankbaren Leser selbst als Erzieher seiner Leser darstellt, wenn das gesamte literarische Œuvre von den frühen Geographischen Predigten13 bis zu den gleichnishaften Texten des Spätwerks als Teil eines bewussten Gesamtentwurfs, einer von Anfang an vorherrschenden ‚Idee‘ gedeutet wird, so ist dies sicher eine nachträgliche Konstruktion und entspricht nicht unbedingt den anfänglichen Intentionen des Erzählers.

Karl May hat in seinen späten Jahren immer wieder auf die Geographischen Predigten hingewiesen, jene Texte, die erstmals 1875/1876 in der von ihm betreuten Münchmeyer-Zeitschrift Schacht und Hütte erschienen.

Liest man diese frühen Arbeiten mit Blick auf die späteren symbolischen Romane, so fällt auf, dass May seinen acht Aufsätzen eine klare gedankliche Ordnung gegeben hat. Das Wort ‚Predigt‘ trifft den Charakter der Texte nur insofern, als May sich bemüht hat, tatsächlich eine Art ‚Theodizee‘ zu entwickeln, einen ‚Gottesbeweis‘ auf Grund von ausgewählten Exempeln, und dies, wie der Prediger an der heiligen Schrift, an zahlreichen Zitaten aus christlichen, naturwissenschaftlichen und allgemein bildenden Schriften festmacht, wodurch allerdings weniger eine eigene, persönliche Linie als vielmehr eine Art Wissen aus zweiter oder dritter Hand vermittelt wird. Jeder Aufsatz setzt ein Gegensatzpaar in den Titel, von „Himmel und Erde“ bis „Haus und Hof“. Das Wirken eines gütigen, allumfassenden Gottes wird dabei an Einzelphänomenen erkannt; das Staunen über die Wunder der Schöpfung, das bisweilen in eine blutleere Aufzählung von Fakten und Zahlen ausartet, wird ausgedehnt, indem May von der Schöpfung auf den Schöpfer schließt und Gottes- und Menschenliebe in einen engen Zusammenhang bringt.

Geht man davon aus, dass die Geographischen Predigten wirklich eine Art Programm für das spätere Schreiben Mays, für seine Reiseerzählungen bildeten, so lässt sich nicht leugnen, dass die Suche nach Gott, die Erkenntnis der Liebe Gottes zu den Menschen, die Liebe zum Mitmenschen und die Bemühung, den vom Weg abgeirrten ‚Anderen‘ wieder auf den rechten Pfad zu führen, in seinem Gesamtwerk wie ein roter Faden zu entdecken sind, dem man getrost folgen kann. Allerdings macht sich in den Reiseromanen manchmal, vor allem in den 1890er Jahren, eine Tendenz zum allzu Frommen, zum manchmal bemüht predigenden Ton bemerkbar, die Cardauns als heuchlerisch missverstanden hat. Mays eigene Kämpfe, seine Straftaten, die schwierige Ehe mit Emma Pollmer, die Auseinandersetzung mit dem strengen Vater, der seine recht freudlose Jugend prägte, spiegeln sich in den Gottesgerichten und manchmal haarsträubenden ‚Gottesbeweisen‘ etwa der frommen Marienkalendergeschichten wider. Aber ohne Zweifel war May ein tiefüberzeugter Christ und – das ist entscheidend – er konnte sich in diesem Punkt mit dem Denken und Fühlen seiner Leser, etwa denen des Deutschen Hausschatzes, einer katholischen Familienzeitschrift, in tiefer innerer Übereinstimmung fühlen.

Im Dankbaren Leser bemerkt May mit Bezug auf die Geographischen Predigten, sie enthielten „übrigens die ganze, vollständig festgestellte Disposition aller seiner folgenden Werke. Er hat ganz genau nach ihr gearbeitet und wird das auch ferner tun. Ebenso enthalten sie eine Erklärung, warum er seine ‚Predigten‘ in das Gewand von ‚Reiseerzählungen‘ kleidet.“ Dazu wäre kritisch zu sagen, dass das Programm der Geographischen Predigten allerdings recht allgemein ist. Jener Aufstieg von ‚Haus‘ zu ‚Hof‘, also von der Behausung des Menschen zum ‚Hause Gottes‘, der sich in den acht Predigten findet, bestimmt aber immerhin auch das Programm der späten Romane, in denen es darum geht, vom egoistischen ‚Gewaltmenschen‘ Ardistans zum ‚Edelmenschen‘ Dschinnistans aufzusteigen. In noch sehr viel stärkerem Maße als das Frühwerk ist Mays Alterswerk eklektisch, aus verschiedenen Gedankenwelten zusammengesetzt und von vielen unterschiedlichen Ideen beeinflusst. Immerhin gelang es ihm hier, anders als im frühen Werk, tatsächlich eine eigene, wenn auch nicht völlig harmonische, so doch überzeugende Gedankenwelt zu schaffen.

May muss sich dessen bewusst gewesen sein, dass er mit der Entscheidung für ein gleichnishaftes, symbolisches Schreiben seinen Lesern einiges zumutete. So stellt er sich im Dankbaren Leser nun selber als ‚Wegweiser‘ dar, als einen, der seinen Lesern den (rechten) Weg zeigen will und sie führt: durch die Beispiele seiner eigenen Werke, durch die Verweise auf die Heilige Schrift, die sich in den frühen wie späten Erzählungen immer wieder finden, durch das Exempel seiner Personen. In diesem Zusammenhang ist natürlich vor allem an die Winnetou-Gestalt zu denken, die wie kaum eine andere die Gedanken der Leser bewegt hat, wie auch aus den zitierten Briefen hervorgeht.

Karl May selbst sagt dazu: „Und während er an diesen ‚geographischen Predigten‘ schrieb, arbeitete er auch schon an seinem herrlichen ‚Winnetou‘.“ Ganz richtig ist diese Darstellung nicht, denn schon 1875 hatte er in der Erzählung Inn-nu-woh einen ‚Prä-Winnetou‘ auftreten lassen und dem Helden dann 1878 in einer Bearbeitung des Textes für die Zeitschrift Omnibus seinen endgültigen Namen gegeben. Im Dankbaren Leser wurden die Tatsachen also sacht so verändert, dass sie in Mays Programm passten. So wie der Erzähler in den Geographischen Predigten den Leitfaden für das ganze folgende Schaffen finden wollte, so erschien ihm die Gestalt Winnetous als weiteres Bindeglied für seine Absichten und Schöpfungen. „Man nenne mir einen Schriftsteller, der seinen Lesern ein Ideal gegeben hat wie diesen Winnetou! Was ist diese Seele einer dem Untergange geweihten Nation für eine wunderbare, sympathische, ergreifende Gestalt! Welch eine Reinheit in dem größten Schmutz der Erde! Welch eine Himmelssehnsucht trotz des schönen, fehlerfreien Erdenkörpers! Wie keusch, wie heilig jedes Wort und jede Tat! Wie ringt dieser edle Geist sich von dem Staube frei, um mit dem letzten Worte heimzugehen: ‚Charley, ich bin ein Christ!‘“

An diesen Worten ist zweierlei bemerkenswert: einerseits der hymnische Ton, der tatsächlich an eine, freilich schon ekstatisch überhöhte, Predigt gemahnt, andererseits Mays Versuch, die Romanfigur Winnetou nicht nur als Gestalt seiner Fantasie, sondern als eine gleichnishafte Figur, als Ideal und Symbol zugleich darzustellen.

Überhaupt machte May nach 1900 ja nicht nur den Versuch, seine Werke in eine andere ‚vergeistigte‘ Richtung zu überführen. Auch seine Gestalten wurden nun nicht mehr als Abenteuerhelden, als Wunschträume ihres Autors gedeutet, sondern als Träger symbolischer Ideen. So sollte der Ich-Held Kara Ben Nemsi alias Old Shatterhand die ungelöste ‚Menschheitsfrage‘ symbolisieren, die geheimnisvolle Marah Durimeh die ‚Menschheitsseele‘ und der kleine Hadschi Halef Omar die noch naive, unerlöste ‚Gemütsseele‘ des Menschen. Winnetous Gestalt war in diesem Sinne für May nicht so leicht umzuinterpretieren, aber er konnte ihn einerseits als Symbolfigur für das tragische Geschick der ‚roten Rasse‘, andererseits aber auch als einen ‚roten Heiland‘ zeichnen, dem (posthum sozusagen) immer mehr Christus-Züge verliehen wurden, etwa in Winnetou IV bzw. Winnetous Erben.

3

Eine der zentralen Fragen im ‚Karl-May-Streit‘ war die, inwieweit er seine Abenteuer selbst erlebt habe. Man kann sehen, dass der Autor in den Erzählungen der 1890er-Jahre immer stärker die Identifikation mit seinen Ich-Helden vollzog. Ist Old Shatterhand erst noch eine autarke Gestalt, ein durch „unerfreuliche Verhältnisse“ in der Heimat in den Wilden Westen Getriebener, so wird er etwa in der Satan und Ischariot-Trilogie eindeutig identifiziert mit seinem Schöpfer, dem Weltreisenden, Linguisten, Komponisten und Universalgenie Dr. Karl May, „genannt Old Shatterhand, genannt Kara Ben Nemsi“ aus Dresden. May erfand alles Mögliche, um im Kreise seiner Verehrer die Shatterhand- und Kara-Legende nicht nur zu spielen, sondern auch zu leben. Seine Villa „Shatterhand“ in Radebeul ist gebauter Ausdruck dieser übermächtigen Sehnsucht, mit der Überwindung seiner ‚bürgerlichen‘ Biografie auch frei zu werden von den Schatten der eigenen Vergangenheit (samt den kriminellen Verirrungen der frühen Jahre) und in einer exotisch veränderten und fantasievoll neugestalteten Umgebung den Traum wirklich zu leben.

Nun war es aber für so scharfsinnige Gegner wie Fedor Mamroth oder Hermann Cardauns nicht allzu schwer, den Mayschen Schwindeleien auf die Spur zu kommen und die Weltreisen-Legende zumindest mit Ironie in Frage zu stellen. May lieferte seinen Gegnern unfreiwillig selbst die Munition für neue Angriffe, indem er in einem Text wie Freuden und Leiden eines Vielgelesenen die Selbstidealisierung parodistisch auf die Spitze trieb. In dem Porträt des Autors als von zahlreichen Bittstellern geplagtem, von zudringlichen Verehrern gepeinigtem und von Bettelbriefen bedrängtem ‚Vielgeprüften‘ konnten Cardauns und Mamroth nur die Dreistigkeit eines Schwindlers wieder erkennen, der jedes Maß und jedes Ziel verloren hatte. Die Züge von Selbstironie in Mays ‚autobiografischer‘ Humoreske lassen sich vielleicht erst heute, im Abstand so vieler Jahre richtig würdigen.

Seine Superhelden-Legende jedenfalls wurde nach der Orientreise immer mehr zur schwierigen Hypothek für ihn, die es loszuwerden galt, zumal er ja auch nicht unbegrenzt seine Gegner mit dem, in diesem Fall zutreffenden, Hinweis abschmettern konnte, er habe im März 1899 nicht im bayerischen Bad Tölz geweilt, sondern sich auf dem Weg zu seiner Orientreise befunden. So kam May dann zur nächsten Umdeutung seiner Reiseerzählungen, indem er sagte: Ja, es sind ‚Ich-Erzählungen‘, aber dieses ‚Ich‘, das bin nicht ‚ich, Karl May aus Hohenstein-Ernstthal‘, das ist ein gleichnishaftes ‚Ich‘, das für den Entwicklungsgang jedes Menschen steht, gleichsam ein ‚Menschheitsrepräsentant‘ kleineren Formats.

Im Dankbaren Leser liest sich diese Transformation so: „Man nennt ihn (= Karl May) einen ‚Ich-Erzähler‘. Ist er das wirklich? Wer ist das ‚Ich‘, welches er anwendet? Ist irgendeine menschliche Person an sich, oder ist ein in dieser wirkendes Prinzip gemeint? Kann einer der Herren Kritiker diese Frage beantworten? Es ist hier nur einer von zwei Fällen möglich. Entweder hat man sich nur so überaus flüchtig mit Mays Werken beschäftigt, dass nicht einmal über dieses ‚Ich‘ nachgedacht worden ist. Was aber hat man dann von einer Kritik zu halten, welcher gerade die Hauptsache, nämlich die handelnde Seele aller dieser Erzählungen, unbekannt geblieben ist? Oder, im anderen Falle: Man hat diese Seele gefunden und erkannt. Warum verschweigt man das? Fürchtet man sich vielleicht, die eigene Seelenlosigkeit einzugestehen?“

Mays Abrechnung mit seinen Kritikern trifft einen interessanten Punkt. Er versucht hier geschickt von der Problematik der ‚Ich-Erzählung‘ bzw. der Frage, ob alles in seinen Büchern Berichtete selbst erlebt sei, abzulenken, indem er behauptet: Ja, ich habe das alles erlebt, aber nicht physisch, indem ich die betroffenen Länder zur Zeit der Abfassung meiner Romane besuchte, sondern indem ich mich in meiner Seele in kurdische, arabische, indianische, südamerikanische und Yankee-Verhältnisse hineinversetzte. Natürlich kann man einwenden, diese ganze Konstruktion sei ein nachträgliches Täuschungsmanöver, und sie hat ja auch ihren Hauptzweck verfehlt. Mays Gegner, allen voran der nüchterne Gelehrte Cardauns, zu dessen Schwächen nach eigenem Eingeständnis die allzu große Skrupulosität in Bezug auf alles ‚Unsittliche‘ zählte,14 ließen sich durch die Argumentation des Dankbaren Lesers und anderer Verteidigungsschriften Mays und seiner Freunde nicht beirren. Aber es bleibt doch, dass an den Erzählungen des erzgebirgischen Fantasten nicht nur das Übermaß der Fantasie fesselt – denn die Handlungsführung ist ja oft erstaunlich eingleisig und schematisch –, sondern vor allem die Fähigkeit, seine exotischen Stoffe ‚mit der Seele zu suchen‘, sich in die Seele eines Indianers, eines Nomaden, eines Trappers hineinzudenken, ohne die betreffenden Länder wirklich (jedenfalls nicht bis 1899) bereist zu haben. Und jenes ‚Ich‘, das Nord- und Südamerika, Asien und Afrika kennt, ohne da gewesen zu sein, es spricht tatsächlich zu den Lesern. Anders gesagt: Hätte May sich nicht mit seinen Figuren wie etwa Winnetou so aufs Äußerste identifiziert, er hätte wohl kaum so viele Leser davon überzeugen können, der Apatschenhäuptling habe wirklich gelebt, sei eine biografisch fassbare Persönlichkeit, deren Locken sich noch im Besitz des Freundes Old Shatterhand befänden!15 Insofern stimmt Mays Darstellung im Dankbaren Leser durchaus. In den Reiseerzählungen spricht nicht der reale Karl May, es spricht ein höheres, ideales Ich, das sich der Schriftsteller in seiner Fantasie ersonnen hat, so wie der Marcel in Prousts A la recherche du temps perdu eben nicht vollständig mit dem realen Marcel Proust zu identifizieren ist – weder mit dem der frühen Jahre, dessen Bekanntschaften und Begegnungen in dichterisch verwandelter Form im Roman wiederkehren16, noch mit dem der Jahre nach 1913, als der Roman zu erscheinen begann.

Indem sich Karl May im Dankbaren Leser und an anderen Stellen von der Fiktion des Selbsterlebten distanzierte – die er in Briefen und mündlichen Mitteilungen bis zur Orientreise ernsthaft aufrecht erhalten hatte –, bahnte er den Weg für jene rein bildliche Deutung seiner Reiseerzählungen, wie er sie nach 1900 offiziell stets vertrat. Insofern ist der Dankbare Leser auch eine sehr aufschlussreiche Quelle für den Wandel der Mayschen Selbstdarstellung nach 1900. Besonders wichtig aber ist der Einfluss der hier geäußerten Anschauungen für das Spätwerk, denn insbesondere im dritten Teil der Tetralogie Im Reiche des silbernen Löwen17 hat May seine Erfahrungen aus dem Streit mit Mamroth, Cardauns und anderen Gegnern, aus der Reaktion von Verleger Fehsenfeld auf die Klage des Bachem-Verlags und aus seinem gewandeltem Bild der Leser-Autor-Beziehung in gleichnishafter Form, sozusagen auf ‚zweiter Ebene‘, verarbeitet.

4

Hans Wollschläger, der große May-Forscher und -Biograf, versuchte in seinem Aufsatz Erste Annäherung an den ‚Silbernen Löwen‘18 die symbolischen und sonstigen Leseebenen des dritten und vierten Bandes des Mayschen Silberlöwen-Zyklus zu unterscheiden und theoretisch zu begründen.

Hier kann nicht der Raum sein für eine nur annähernde Darstellung der ebenso anregenden wie tief gehenden Exegesen Wollschlägers. Es sei nur ein Beispiel gegeben für das von ihm dort entworfene „Strukturschema des ‚Symbolischen‘“, exemplarisch anhand der wichtigen Gestalt des Ahriman Mirza. Wollschläger unterscheidet die drei Typen: „Symbolik“, „Allegorie“ und „Verschlüsselung“. Dazu kommt für jeden Typus noch eine Differenzierung in „Vorvergangenheit“ und „Vergangenheit“. Für Ahriman Mirza als Hauptwidersacher sowohl Kara Ben Nemsis (Mays Ich-Idealfigur) als auch des Ustad (des ‚geistigen‘ höheren Ichs Kara Ben Nemsis bzw. Karl Mays) kommt Wollschläger zu den Ergebnissen, dass die Gestalt auf der symbolischen Ebene geprägt ist von „Ur-Vater-Bildern“ und der „Grundvorstellung des bedrohenden Bösen“, auf der Ebene der Vergangenheit von „infantilen Vater-Bildern“, wie sie May selbst in Mein Leben und Streben ansatzweise beschreibt: „Mein Vater war ein Mensch mit zwei Seelen. Die eine Seele unendlich weich, die andere tyrannisch, voll Übermaß im Zorn, unfähig, sich zu beherrschen.“19 Die Charaktereigenschaften des jähzornigen Seelenteils von Mays Vater sind dieselben, die die Gestalt des Ahriman Mirza charakterisieren: Zorn, Rachsucht, Unbeherrschtheit, wobei für die Romanfigur noch die Züge des Hochmuts und der unerträglichen Arroganz hinzuzurechnen sind.

Auf der Ebene des Allegorischen macht Wollschläger für die Vorvergangenheit die mythologische Gestalt des Ahriman aus der altpersischen Zoroaster-Lehre aus, aber auch den alttestamentarischen Satan und den Luzifer aus frühchristlichen Überlieferungen als gefallenen Engel. Auf der Ebene der Vergangenheit tritt Ahriman Mirza als „Fürst der Schatten“ auf.

Im Bereich bewusster Verschlüsselungen identifiziert Wollschläger Ahriman Mirza auf der Vorvergangenheitsebene als Spiegelung Friedrich Nietzsches, in Anlehnung an eine Vermutung Arno Schmidts.20 Schließlich ist in der Vergangenheit als unmittelbares Vorbild für die Figur des Ahriman M. das kleine „m“ aus dem Feuilleton der Frankfurter Zeitung, Fedor Mamroths Kürzel, zu erkennen.

Auch die Ereignisse um den Dankbaren Leser und die Auseinandersetzung mit dem Bachem-Verlag wegen der Wüstenräuber hat May in die Verschlüsselungs-Ebene von Im Reiche des silbernen Löwen III mit einfließen lassen. Als er 1902 den Band für die Fehsenfeld-Buchausgabe zusammenstellte, griff er für das erste Kapitel, In Basra, auf das Manuskript Der Löwe von Farsistan zurück, das ihm der Deutsche Hausschatz, wo die ersten beiden Bände des Silberlöwen erschienen waren, zurückgesandt hatte. Die Ereignisse dieses ersten Kapitels sind daher auch ganz als abenteuerliche Reiseerzählung im altbewährten May-Stil zu lesen, ohne Symbolik, Allegorie oder Verschlüsselung. Die ‚Sillan‘ (Farsi-Sprache für ‚Schatten‘) sind hier noch bloße Verbrecher und Schmuggler, ohne symbolische Hintergedanken; und wenn Kara Ben Nemsi versehentlich einen Brief ausgehändigt bekommt, der an den Steuerpächter Ghulam (Ghulam el Multasim) adressiert ist, so dachte der Dichter bei der Niederschrift sicher nur an einen Oberen der Schatten-Bande, aber noch nicht an Dr. Hermann Cardauns aus Köln. Erst mit der Erzählung Am Tode, die ab dem 15. Februar 1902 im Koblenzer Rhein- und Moselboten erschienen war und aus der May dann das zweite und den ersten Teil des dritten Kapitels des Silberlöwen III formte, beginnt sein ‚doppelbödiges‘ Schreiben. Doppelbödig ist darum auch der Titel, den May dem 2. Kapitel verlieh: Über die Grenze. Es ist nicht die persische, überhaupt keine geografische Grenze, die hier erzählerisch überschritten wird, sondern die Grenze zum Spätwerk. Wenn der von Otto Eicke konstatierte „Bruch im Bau“ an einer Stelle des Gesamtwerks festgemacht werden kann, dann hier.

Das Kapitel beginnt ganz allmählich wie der Auftakt zum großen Orientzyklus in Durch die Wüste mit einer Frage, die Hadschi Halef Omar an seinen Meister stellt. Diesmal geht es aber nicht um das Glaubensbekenntnis, sondern um etwas noch viel Ernsteres: „Sihdi, wie denkst du über das Sterben?“21 Damit wird bereits der Ton vorgegeben, der die ganzen folgenden Seiten durchziehen soll; es ist eine durchaus düstere Geschichte mit drohenden Untertönen, vergleichbar vielleicht mit den Todeskarawane-Passagen aus Von Bagdad nach Stambul. Halef ist sehr krank und in der Folge geschehen Szenen, wie wir sie aus den früheren Orienterzählungen kennen, aber irgendwie leicht irritierend verändert, so als benutze May die ‚alten Schläuche‘, ganz im biblischen Sinne, um ‚neuen Wein‘ hineinzufüllen. Da treffen Kara und Halef auf Nomaden, die freundlich sind und ihnen Kaffee anbieten; aber dieser ist vergiftet, und als die beiden erwachen, sind ihre Pferde und vieles andere gestohlen. Dann taucht ein neuer Reitertrupp auf, deren Anführer sich als Nafar Ben Schuri, Scheik der Dinarun22 vorstellt. Mit Hilfe Nafars werden die Räuber gestellt und die gestohlene Habe zurückerstattet. Doch alles ist eine geschickte Intrige: Nafar und seine Gefährten sind keine Dinarun, sondern Wüstenräuber, Ausgestoßene anderer Stämme, die mit den ersten Räubern unter einer Decke stecken und Halefs und Karas Dankbarkeit ausnutzen wollen, um mit ihnen gemeinsam gegen ihre Feinde, die Dschamikun, ins Feld zu ziehen, die angeblich vom wahren islamischen Glauben abgefallen sind. Mit Hilfe eines geheimnisvollen Fakirs, der in Wirklichkeit der Pedehr (= Vater), das Oberhaupt der Dschamikun ist, wird die böse Falle der angeblichen Dinarun aufgeklärt und diese werden im ‚Tal des Sackes‘ nun selbst in einen Hinterhalt gelockt. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar, beide nun schwer krank, können sich nur durch den abenteuerlichen Sprung über einen Abgrund retten (eine Variation des Sprungs über die ‚Verräterspalte‘ im Schut). Die Helden sind dem Tode nahe, erwachen aber im Dorf der Dschamikun, wo sie rührend gesundgepflegt werden, zu neuem Leben.

In dieser Episode lassen sich die Verschlüsselungstechniken, die May im weiteren Verlauf des Silbernen Löwen zur Vollendung entwickeln sollte, gut beobachten. Scheinbar sind fast alle Motive ‚alte Bekannte‘ aus den früheren Reiserzählungen, aber in Wirklichkeit geht es nicht mehr nur um eine Aneinanderreihung von Abenteuern, sondern um existenzielle Grundfragen, um Tod und Auferstehung.

Karl May hat seinen eigenen Gang ‚über die Grenze‘ (vom abenteuerlich-fantastischen zum symbolisch-allegorisch-verschlüsselten Erzählen) in die Bilder des Spannungsromans gepackt. Entschlüsselt wird für den Kenner zwischen den Zeilen eine ganz andere Geschichte lesbar: die vom künstlerischen und persönlichen Kampf des Autors um Leben und Tod und von seinem ‚Sprung über die Vergangenheit‘.

Dabei spielen die Ereignisse der Jahre 1899-1902 eine wichtige Rolle. Nafar und seine vermeintlichen Dinarun, die Wüstenräuber, sind Mays Gegner. Auf der realen Ebene war Mays Vorgehen gegen die Kölnische Volkszeitung und den Verlag Bachem wie gesagt gescheitert: Jorde musste in der Elberfelder Zeitung kleinlaut widerrufen und Fehsenfeld sah sich zu einem Vergleich mit Bachem genötigt. Im Roman ist alles ganz anders. Die scheinbar guten, hilfreichen Dinarun sind Räuber und Ausgestoßene. Entschlüsselt heißt das: Bachem, Cardauns und die anderen May-Gegner werden als Heuchler und Betrüger entlarvt. Als Mays echte Freunde, pardon: als Karas echte Freunde erweisen sich dann die erst so verleumdeten Dschamikun und der Pedehr, dessen Auftritt als Fakir zunächst doppelbödig und zweideutig wirkt.

In den Dschamikun hat May seine ‚wahren Leser‘, die Gemeinde seiner treuen Freunde gezeichnet, und es ist nicht zufällig, dass ihre Gegner behaupten, sie seien vom ‚wahren Glauben‘ abgefallen. Cardauns zweifelte an Mays Frömmigkeit, er hielt ihn für einen Heuchler à la Taxil, der einerseits ‚katholisierende Reiseromane‘, andererseits ‚unsittliche Kolportage‘ schrieb. Zudem war Cardauns seit 1902 für May zum Verbündeten und Komplizen der ‚Münchmeyerei‘ geworden, auch wenn dies nicht der Realität entsprach. Im Roman wird er daher, auf der Ebene der Verschlüsselung, zum ‚Henker‘, zu einer Art ‚Auftragskiller‘, der im Dienste der ‚Schatten‘ in das Lager der Dschamikun eindringt, um dort einen Mordanschlag zu verüben, der aber misslingt. Ghulam el Multasim, die Inkarnation des Bösen, ist ein ins Überdimensionale verzerrter Cardauns. „Mit der Präzision des großen Hassers“, wie Hans Wollschläger treffend vermerkt, hat May alle seine Gegner zu Erzschurken von mythologischen Dimensionen gemacht, und in der allegorischen Ebene ist Ghulam-Cardauns der direkte Handlanger des großen Ahriman Mamroth, des „Weltfeindes Nummer Eins“23.

In der Figur des Pedehr kann man unschwer Friedrich Ernst Fehsenfeld erkennen, der für May in der ersten Euphorie des ‚Sprungs über die Vergangenheit‘ zum Beschützer und ‚Vater‘ seiner Dschamikun, der Lesergemeinde, stilisiert wird. Später wandeln sich aber die Züge des Pedehr; schon im vierten Band des Silberlöwen ist er nicht mehr die gütige, große Autorität, sondern eine zunehmende unberechenbare Gestalt. Der Pedehr geht in der Nacht zu Ghulam und den anderen Gefangenen, wird aber überrumpelt, die Eingesperrten brechen aus. Der Pedehr sieht sich nun dem mitleidlosen Spott Karas ausgesetzt: „Der Pedehr wird ihm (= Ghulam) wie in einer Da’ wa ’l Jhana in die Hände gegangen sein und nicht den richtigen Vergleich zwischen sich und ihm getroffen haben. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als dass wir jetzt ganz ruhig sind und später anders als er verfahren.“24

Wer nichts weiß von der Dankbarer Leser-Polemik und dem Vergleich zwischen Fehsenfeld und Bachem, für den bleibt die Stelle völlig unverständlich; das Wort „Da’ wa ’l Jhana“ wird aber als „Beleidigungsprozess“ übersetzt, und damit ist die Verschlüsselung aufgebrochen. May hat hier die Klage Bachems gegen Fehsenfeld und dessen eiligen Vergleich in die orientalische Romanhandlung überführt. Fehsenfeld hatte May in seinen Augen verraten, er hatte den Gegnern in die Hände gespielt, indem er sich zu dem Vergleich überreden ließ. Nun muss die ‚Rache‘ an den Feinden ganz allein von Karl May/Kara Ben Nemsi und seinen Getreuen übernommen werden. Dem Pedehr/Fehsenfeld dagegen wird barsch der Mund verboten: „Gib dir keine Mühe, o Pedehr! Wer sich von den Gegnern die Stimme rauben lässt, der braucht sich vor den Freunden auch nicht anzustrengen!“25

So ist durch die Verschlüsselung hindurch der Groll Mays auf seinen Verleger deutlich geworden. Ursächlich dafür war nicht nur Fehsenfelds Verhalten in der Wüstenräuber- und Dankbarer Leser-Affäre. Vielmehr reagierte der Verleger mit deutlicher Verunsicherung, ja mit Unwillen, auf Mays neuen, gleichnishaften Stil, obwohl der Dichter alles tat, um ihm den ‚Sprung über die Vergangenheit‘ schmackhaft zu machen. In einem langen Brief an Weihnachten 1902, als er bereits seit Oktober am vierten Band des Silberlöwen arbeitete, beschwört May den Verleger und (noch?) Freund: „Bitte, lesen Sie Band IV aufmerksam. Und wenn Sie ihn gefunden haben, so sagen Sie mir, wie mein Verleger Fehsenfeld in diesem ‚Fausthieb‘ heißt! – Vielleicht wird meine Leserwelt, die ‚Dschamikun‘, nun endlich klug! ‚Jugendschriftsteller‘! Lächerlich! ‚Bärentöter‘, ‚Henrystutzen‘? Tausende kamen, um sie bei mir zu sehen. Keiner dachte an eine höhere Bedeutung! (…) Man hat Kara Ben Nemsi nicht gekannt. Man glaubte, kurzen Prozess mit ihm machen zu können (…) Unsere Bücher sind für Jahrhunderte bestimmt. Man wird das endlich zuzugeben haben.(…) Also: Meine Zeit ist endlich da!“26

Doch May konnte mit seinen euphorischen Begeisterungsausbrüchen den skeptischen Verleger nicht überzeugen. Denn der Erfolg blieb aus: Die Leser, bestürzt über die ganz und gar nicht mehr so bunten Abenteuer, waren verunsichert. Der Verleger, der seinen wirtschaftlichen Erfolg schwinden sah, wurde kleinlauter, mürrischer, unfreundlicher. May aber wollte seine Leser erziehen; er war im Dankbaren Leser wie in den letzten beiden Teilen des Silberlöwen dabei, sich seine ‚Dschamikun‘ zu erschaffen. Nicht mehr Erzählungen für die Jugend oder für ein Hausschatz-Publikum, sondern „Predigten an die Völker“ wollte er nun schreiben. Er sah sich nicht mehr als Idol der treuen Fans, sondern als den ‚guten Sämann‘ aus der Parabel des Lukas-Evangeliums, so wie er es im Dankbaren Leser schreibt: „Nämlich: Was ist er? Literat? Schriftsteller? Journalist? Dichter? Nichts von alledem! Er ist ein einfacher, arbeitsamer Landwirt, weiter nichts! Er hat sich ein kleines Ackerland zu Eigen gemacht. (…) Sein Besitz vergrößerte sich von Jahr zu Jahr.“

May wollte nicht mehr nur unterhalten und belehren, sondern zum geistigen Führer seiner Leser werden, so wie der Ustad zum höheren Ich Mays, zum eigentlichen Führer der Dschamikun wurde, wichtiger als der unzuverlässige ‚Vater‘ Pedehr.

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Fassen wir ein wenig zusammen: Die Broschüre vom „dankbaren Leser“ hat für May keinen Wendepunkt in der Beziehung zu seinen Gegnern gebracht; seine Angriffe wurden durch neue Polemiken aus der Feder von Cardauns und anderen beantwortet. Das Urteil Walther Ilmers, wonach die kleine Schrift Karl May „nicht viel geholfen“ habe, lässt sich nur bestätigen.27 Als autobiografisches Zeugnis aber, als Selbsteinschätzung, als Darlegung seiner Verteidigungslinie und als Blick in die Zukunft seines gleichnishaften Schreibens, nicht zuletzt auch als wichtige Quelle für die Schlüsselpolemik des Silberlöwen III und IV bildet der Dankbare Leser eine wichtige Wegmarke in jenen Jahren des Umbruchs in Karl Mays Leben. Man kann sicher sagen, dass May mit dem, was er über seine eigenen erzieherischen Absichten hier niederschrieb, auch die Leser im Auge hatte. Wie die Dschamikun im Silberlöwen ihrem Ustad treu bleiben, als andere Führer versagen, erschrieb und erträumte May sich im Dankbaren Leser und anderswo eine ideale Leserschaft von Menschen, die seine Intentionen begriffen, die ihm nicht blindlings, aber doch willentlich auf dem Weg ‚nach oben‘, ins Geistige folgen würden. Hans Wollschläger hat Recht, wenn er konstatiert, dass die Öffentlichkeit 1902/1903 auf die beiden letzten Bände des Zyklus vom Silbernen Löwen betreten schwieg.28 Doch auch diese Bände haben ihre Leserschaft bis heute gefunden; und wenn das Spätwerk Karl Mays vielleicht nicht von allen gleichermaßen geschätzt wird, so ist doch seine Akzeptanz sogar bei den ‚typischen‘ May-Lesern gewachsen.

Freilich, auch ernsthafte und brillante May-Forscher wie Volker Klotz oder Ernst Bloch, der in den 1920er Jahren und später immer wieder in Form intelligenter Essays eine Lanze für May brach, wollten dem ‚Mayster‘ nicht hin bis in das ‚Hohe Haus‘ des Ustad folgen. Für sie war das ‚Tal des Sackes‘, ganz im Sinne von Eickes ‚Bruch im Bau‘-Theorie eine Sackgasse, in die sich May aus Not und um die Gegner abzuwehren, selbst hineinmanövriert hatte. „Die letzten Bücher sind also verloren, ungefähr vom Reich des Silbernen Löwen ab“,29 konstatierte Ernst Bloch 1929 und hatte damit vor allem die Bände III und IV des Zyklus im Auge. Für Karl May aber begann hier erst sein ‚eigentliches‘ Werk, und auch wenn dies vielleicht zum Teil Selbsttäuschung war, so wollen wir doch eher seiner Einschätzung folgen als der Ernst Blochs. Schließlich war May nicht nur sein eigener bester Leser, nein, er war vielleicht auch der ‚dankbarste Leser‘ im Kreise der Dschamikun.

Im Folgenden präsentieren wir den gesamten Wortlaut der heute höchst seltenen Broschüre, mit den von May selbst ausgewählten Briefstellen, den „Empfehlenden Worten deutscher Bischöfe“ und den anderen Beigaben der Ausgabe von 1902. Im Anhang sind 74 der insgesamt 178 Originalbriefe erstmals vollständig dokumentiert, die über die von May selbst verwendeten Stellen hinaus Auskunft über das Phänomen Karl May und die besondere Bindung seiner Leser geben. Die Transkription wurde nach den heute gültigen Regeln der Orthografie, aber ansonsten völlig wortgetreu vorgenommen und keinerlei aus heutiger Sicht naiv oder seltsam anmutende Ansichten der Mayschen ‚Dschamikun‘ verändert. Einige schwer verständliche Stellen wurden erläutert, wenige offenbare Irrtümer stillschweigend berichtigt. Zur Ergänzung findet sich eine Auswahl aus jenen Briefen, die May nahezu vollständig oder in größeren Auszügen in die Ausgabe von 1902 übernommen hatte, im Faksimile der Originalhandschriften. Allen Interessierten ist hier erstmals die reizvolle Möglichkeit gegeben, zu entdecken, wo May sich als Lektor seiner Leser betätigte und stilistische Korrekturen vornahm (und wo nicht). Damit reiht sich auch dieser Band der Gesammelten Werke, obgleich seine Abenteuer nur bis an den Radebeuler Schreibtisch Karl Mays führen, würdig in die Galerie seiner 85 Vorgänger.

Christoph F. Lorenz

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Adresse von Mays Hand vermerkt:
Wien IV. Weyringergasse 13






Margareta Kovatsch, gegenwärtig Zögling des k.k. Civilmädchenpensionates in der Josefstädterstraße in Wien, in wahrer Hochachtung dem allverehrten Schriftsteller Carl May dankbarst überreicht durch

Dr. N. Kovatsch, k.k. Hochschulprofessor a. D.

KARL MAY ALS ERZIEHER

und

DIE WAHRHEIT ÜBER KARL MAY

oder

DIE GEGNER KARL MAYS IN
IHREM EIGENEN LICHTE

von

EINEM DANKBAREN MAY-LESER

Warum zwei Titel anstatt nur einen? Und warum gerade diese beiden? Weil ich über einen Mann schreibe, mit dem sich kürzlich die Presse just unter denselben Überschriften beschäftigt hat. Ich gehorche also diesen ‚Mustern‘!

Ich bin gern aufrichtig und bemühe mich auch, stets ehrlich zu sein. Darum erkläre ich gleich am Eingang, dass ich nicht über ihn schreibe, ohne ihn genau zu kennen, sowohl als Schriftsteller als auch als Mensch. Ich bin ein persönlicher Freund von ihm. Das soll nicht heißen, dass ich literarische Abgötterei mit ihm treibe. In meinem Alter schwärmt man längst nicht mehr. Im Gegenteil, ich traue mir wenigstens dieselbe Objektivität und Vorurteilslosigkeit zu, welche die Verfasser jener Zeitungsartikel für sich in Anspruch nehmen werden.

‚Karl May als Erzieher!‘

Wie ironisch das geklungen hat! Aber das ironische Lächeln ist für den Mund, um den es spielt, niemals ganz ungefährlich. Welcher Kobold mag dem Erfinder dieses Titels wohl den Schabernack gespielt haben, ihn zur Wahl gerade dieser vier Worte zu verleiten? Wo und wann hat May sich als ‚Erzieher‘ ausgegeben? Wenn man ihm mit Hilfe dieses Wortes Vorwürfe macht, muss er es doch für sich in Anspruch genommen haben! Man gebrauchte es als Ausgang des Beweises, dass er ein ‚Ver‘zieher zum Bösen sei. Wir werden ja sehen, ob es gelungen ist, diesen Beweis zu führen! Das Sonderbarste hierbei ist, dass man von der Absicht jenes Kobolds keine Ahnung hatte. Sein Streich ist ihm vortrefflich gelungen. Er hat dem betreffenden Herrn nämlich die Wahrheit zugeflüstert. May ist Erzieher. Wenn er sich ja einmal so genannt hätte, wäre er in seinem Recht gewesen. Die Tatsachen werden sprechen.

‚Die Wahrheit über Karl May!‘

Wie bestimmt, wie infallibel30 das geklungen hat! Wo fließen die lauteren Quellen, aus denen man diese ‚Wahrheit‘ schöpfte? Es lohnt sich wohl, sie kennen zu lernen! Für mich gibt es nur zwei solcher Quellen. Seine Person und seine Werke. Hat der Verfasser dieses Zeitungsartikels May jemals gesehen? Oder kennt er eingehend seine Werke? Hat er mit ihm gesprochen? Hat er wenigstens in brieflichem Verkehr mit ihm gestanden? Hunderte haben diesen Artikel ohne alle Prüfung nachgedruckt. Hatte denn kein Einziger von ihnen einen in Dresden oder Umgegend wohnenden Bekannten oder Korrespondenten, den er zu May schicken konnte, um nachzuschauen? Er wäre mit bekannter Gastlichkeit empfangen worden. Man hätte ihm jede Auskunft, jeden gewünschten Beweis sicherlich gern gegeben. Man schreibt über keine Gerichtsverhandlung, ohne einen Berichterstatter, einen Augen- oder Ohrenzeugen dort gehabt zu haben. Ist May, den Hunderttausende achten, ehren und lieben, nicht wenigstens dieselbe Rücksicht wert, die man jedem Verbrecher schuldig zu sein glaubt? Durfte man in den Spalten ungezählter Blätter und in öffentlichen Vorträgen über ihn verhandeln und über ihn richten, ohne dass das Auge eben dieser Öffentlichkeit vorher bei ihm persönliche Anfrage und Haussuchung gehalten hatte? Kein einziger von diesen Anklägern und Richtern kann nachweisen, dass er auch nur einen Tropfen aus dieser ersten und gar nicht zu umgehenden Quelle geschöpft habe! Kein einziger von ihnen scheint zu wissen, dass zur gerechten Beurteilung eines Menschen ganz unbedingt die persönliche Bekanntschaft mit ihm gehört! Ja, woher stammen denn da alle diese Vorwürfe, welche man ihm entgegenschleudert?

Etwa aus der zweiten Quelle, aus seinen Werken? Wollen sehen!

Zunächst die höchst notwendige allgemeine Bemerkung, dass diese Werke nicht oberflächlich gelesen werden dürfen. Wer sie verstehen und gar über sie referieren will, hat sie zu studieren. Sie sind nämlich etwas ganz anderes, als das, was sie dem leichtfertig darüber hinfliegenden Auge zu sein scheinen. Die Wogen und Wellen dieser scheinbaren ‚Reiseerzählungen‘ werden von einer geheimnisvollen Kraft bewegt, der man mit liebendem Fleiß nachzugehen hat. Sie sind einem noch unerforschten, heiligen Waldesfrieden entstiegen und streben einer bisher noch welt- und erdenfremden Mündung zu. Der nicht oberflächliche, sondern ernste Leser, welcher in die Tiefe dringt, wird einen goldhaltigen und an Perlen reichen Grund gewahren.

Nun frage ich: Gehören die Verfasser jener Zeitungsartikel zu diesen ernsten Lesern? Haben sie die Bücher studiert oder nur durchblättert? Wie viele Bände sind ihnen bekannt? Denn May muss ganz gelesen werden, vom ersten bis zum letzten Bande. Er wird auch noch mehr schreiben, und auch am Schlusse seines allerletzten Buches wird es noch fraglich sein, ob man ihn dann schon so versteht, dass man über ihn als Schriftsteller ein Urteil fällen kann. Es liegt mir der Brief eines Kritikers ersten Ranges vor, welcher gegen May eifert und, darüber von ihm zur Rede gestellt, in dieser Zuschrift notgedrungen eingesteht, dass er von keinem Band mehr als nur die ersten Seiten gelesen habe. Was kann wohl aus der Feder dieses Mannes fließen? Etwa die ‚Wahrheit über Karl May‘? Hand aufs Herz! Ist dieser Herr der einzige seiner Art?

Deutschen Hausschatz