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NESTROYANA

34. Jahrgang 2014 – Heft 1/2

Blätter der

INTERNATIONALEN
NESTROY-GESELLSCHAFT

Siglen

CGJohann Nestroy’s Gesammelte Werke, hg. von Vincenz Chiavacci und Ludwig Ganghofer, 12 Bde., Stuttgart 1890–1891.
SWJohann Nestroy, Sämtliche Werke, hg. von Fritz Brukner und Otto Rommel, 15 Bde., Wien 1924–1930.
GWJohann Nestroy, Gesammelte Werke, hg. von Otto Rommel, 6 Bde., Wien 1948–1949.
Stücke 1, Sämtliche
Briefe, Dokumente,
Nachträge
   
Einzelbände der Historisch-kritischen Nestroy-Ausgabe, hg. von Jürgen Hein, Johann Hüttner, Walter Obermaier und W. Edgar Yates, Wien, München 1977–2010 (HKA).

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Reinhard Urbach

Schnoferl und Naderer. Agenten in der österreichischen Literatur vor und nach 1848

I.

Der Agent ist einer, der Nachforschungen anstellt, möglichst unbemerkt. Wenn er auffällt, ist die Aussicht auf Erfolg gleich null. Er erfüllt einen Auftrag, wird dafür entlohnt. Er ist offiziell geheim. Auftraggeber ist der Staat, der Agent gehört zum Geheimdienst. Im Unterschied zum Spion, der für einen bestimmten Fall, ein Geheimnis, eine für den Auftraggeber handlungsentscheidende Nachricht im Feindesland eingesetzt ist, ist der Agent vielseitig verwendbar. Er kann zur Beobachtung auf eine Gruppe angesetzt sein, vielleicht noch ohne besonderen Tatverdacht oder spezielle Verdächtige, oder auch gezielt auf eine suspekte Ansammlung von Menschen. Das muss nicht im feindlichen Ausland geschehen, das findet vorzugsweise im Inland statt. Der Agent soll beobachten, kontrollieren, ermitteln.

Im Unterschied zum Denunzianten handelt der Agent nicht freiwillig. Der Denunziant schwärzt den verdächtigen Nachbarn an, gibt vor, der Obrigkeit damit einen Dienst zu tun, handelt aber meist aus Eigennutz, Missgunst, Neid, Hass, persönlicher Rache, auch aus ideologischer Überzeugung, oft in der Hoffnung auf Belohnung. Anlässe gibt es genug. Der Denunziant wirkt unaufgefordert, es sei denn, die Behörde trägt es ihm als Verpflichtung auf, Verdächtiges zu melden, staatsfeindliche Äußerungen anzuzeigen, „denn in allem läßt sich eine Beziehung finden, durch die etwas schädlich werden kann.“1 Der Feind lauert überall, sogar in der eigenen Familie. Man muss ihm das Handwerk legen. Dabei zu helfen, ist Ehrensache jedes Staatsbürgers. Der Denunziant wird im Allgemeinen verachtet, von den Mitbürgern sowieso, aber auch von den Nutznießern.

Im Unterschied zum Kriminalisten, dem berufsmäßigen Ermittler, ist der Agent ein Spitzel, der in der Regel keine Befugnis zum Eingreifen hat, er soll ja unerkannt bleiben. Die Lizenz zum Töten ist eine außergewöhnlich spektakuläre Ausnahme. Im Gegensatz zum Informanten ist der Agent nicht stationär. Der Informant sitzt auf einer bestimmten Position, die ihm erlaubt, Detailkenntnisse der Anrainer und Inwohner zu haben, die die Behörde abrufen kann. Hausmeister und Hotelbetreiber können solche Informanten sein. Der Agent dagegen ist ambulant, mischt sich ein, kommt dazu, macht sich vertraut. Im Unterschied zum Intriganten schmiedet der Agent kein Komplott. Netze, die der Intrigant auch aus „selbstloser Gemeinheit“ (Arthur Schnitzler) knüpfen mag, sind nicht sein Ziel. Der Intrigant will Konkurrenten ausschalten, stellt auch Schutzlosen und Unschuldigen Fallen, wenn er damit seine Stellung verbessern, seinen Einfluss vergrößern, seinen Reichtum vermehren kann. Der Agent kann Intrigen und Intriganten für sich einsetzen, aber nicht als persönlicher Nutznießer, sondern im Interesse des Auftrags, den er hat. Er beobachtet auch die scheinbar Unschuldigen, aber er verfolgt sie nicht aus privatem Interesse, er hat sein streng umrissenes Feindbild, darüber hinaus wird er nicht aktiv.

Spione, Denunzianten, Informanten, Kundschafter, Überläufer gab es immer.2 Geheimnisse aufzuspüren, Verdächtigen Fallen zu stellen, Feinde der vorgegebenen Ordnung zu überführen gehörte stets zu den Instrumenten der Machterhaltung, der Staatssicherheit, der politisch relevanten Wissbegierde. Im Sinne von Carl Schmitt: Der die Macht hat, schafft das Recht. Geheimnisse, undurchschaubare Handlungen, mysteriöse Vorgänge, rätselhafte Ereignisse sind bedrohlich, solange sie nicht entschlüsselt, entdeckt, entschärft und danach unschädlich gemacht werden können. Informationen über Meinungen und Vorhaben anderer garantieren Schutz und Unverwundbarkeit der eigenen Interessenssphäre. Zur Obhut der eigenen Bevölkerung ziehen Städte und Staaten Mauern hoch, die sie befestigen und für die sie Wächter und Wachen engagieren. Daraus entsteht als ein neuer Verwaltungszweig des Gemeinwesens (politeia) die Polizei. Sie wacht erst für, bald aber auch über die schutzbefohlene Bevölkerung. Die Polizei ist eine Tochter der Aufklärung, die hier nicht so sehr Erkenntnis als vielmehr Ermittlung, Entdeckung meint.

Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gibt es in Frankreich eine geheime Staatspolizei, die von Paris aus zentral gelenkt wird. In Österreich werden 1754 drei Polizeiaufseher für Wien installiert. Die Theorie folgte auf dem Fuß. Joseph von Sonnenfels (1732/33–1817) wird 1763 der erste Lehrstuhlinhaber der neueingeführten Polizey- und Kameralwissenschaft an der Universität Wien. Sein Standardwerk, das seit 1770 als offizielles Lehrbuch benützt wird: Grundsätze der Polizey, Handlung, und Finanz als Leitfaden des politischen Studiums, erscheint erstmals in Wien 1765 und erfährt bis 1819 acht Auflagen. Nach Sonnenfels ist „bürgerliche Folgsamkeit“ Bedingung, um das Ziel der staatlichen Bestrebungen zu erreichen: Wohlfahrt für alle. Als Gegenleistung für den Gehorsam bietet der Staat dem Bürger Sicherheit. Die Polizeiwissenschaft lehrt die Grundsätze, die angestrebte Sicherheit zu begründen und zu erhalten. Sonnenfels begegnet dem Vorwurf, damit die Freiheit des Einzelnen einzuschränken, mit der Abgrenzung von Zügellosigkeit, die das Böse nicht ausschließt, und Unabhängigkeit, die bedeutet, dass man für sein Tun nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Freiheit dagegen ist durch Pflichten im Sinne des Gesellschaftsvertrages eingegrenzt, die vom Staat durch die Gesetzgebung zur allgemeinen Bequemlichkeit garantiert und notfalls auch mit Gewalt unter dem Gesichtspunkt der Behutsamkeit durchgesetzt wird. „Behutsamkeit“ meint zum Beispiel, dass sich die Untersuchungshaft womöglich Unschuldiger von der strengen Verwahrung rechtmäßig Verurteilter unterscheiden müsse. Die Würde des Einzelnen soll gewahrt, seine Rechtschaffenheit muss geachtet werden, so wie seine Ehre mit der Einhaltung der Gesetze konform zu gehen hat. Die polizeilichen Maßnahmen zur Erhaltung der inneren Sicherheit werden penibel beschrieben. Es ist selbstverständlich, dass die Stadtwache die Ein- und Ausreise kontrolliert, dass die Wirtsleute die Meldezettel ordnungsgemäß abliefern. Die Polizei ist bei Verbrechen angehalten, „Nachsuchungen“ anzustellen. Bei Mord, Einbruch, Ausbruch von Gefangenen hat die Sturmglocke zu läuten. Flüchtigen Verbrechern darf die Post keine Pferde ausfolgen, Steckbriefe sollen die Ausforschung erleichtern. Vorschubleistung für Verbrechen muss durch Verordnungen und Vorschriften verhindert werden. Zufälle und Unfälle sollen möglichst vorbeugend ausgeschaltet werden, zum Beispiel durch ausreichende Straßenbeleuchtung, die bei Naturkatastrophen Plünderungen zu verhindern hilft. Dass die vorbeugenden und im Nachhinein aufklärenden Maßnahmen der Staatsgewalt alle auf der Grundlage der Gesetze und Verordnungen zu geschehen haben, setzt Sonnenfels voraus. Mit Schärfe wendet er sich gegen die unlautere und gesetzlich nicht abgesicherte Methode der geheimen Ausforschung und weiß sich damit einer Meinung mit seinem Vorbild Montesquieu, dessen Profil als Titelkupfer sein Buch ziert. Das Neue, das Sonnenfels einbringt, ist der Vorschlag, die „Geheimen“ zu Beamten zu machen. Denn dann sind sie ihrerseits kontrollierbar, stehen nicht nur im gesicherten Sold, sondern auch unter dem Kodex des Staatsangestellten, was sie vielleicht nicht vor Bestechung bewahrt, aber diese leichter ahndbar macht. Das ist ein gefährliches Zugeständnis an die Regierung. Der Staat, der alles kontrollieren darf, ist seinerseits nicht belangbar, wenn er die Aufsicht über die Bürger geheimen Organen anvertraut. Er soll sie zwar anstellen, aber insgeheim. Anders hätte die Beschäftigung keinen Sinn. So können sie auch nicht Gegenstand der Kameralistik werden. Sonnenfels kann nur allgemein auf die Denkbarkeit der Notwendigkeit geheimer Agenten eingehen. Maria Theresia, die sich über die Einrichtungen der Pariser Polizei unterrichten ließ (1771), ist bei der Errichtung einer Geheimen Polizei in Österreich vorsichtig. Sonnenfels hat sich zunächst durchgesetzt. 1773 ist er Mitglied der niederösterreichischen Regierung geworden, zuständig für die Einrichtung der Polizei. Frühere Einwände gegen die Einführung der mouches, der Geheimpolizisten aus finanziellen Gründen, untermauert er mit seinen moralischen Bedenken. Es sei „mit dem Begriff der bürgerlichen Freiheit unverträglich […], weil endlich dabey auch solche Mittel angewendet werden, welche sich mit den reinen Begriffen der Religion, mit der Anständigkeit der Sitten, mithin auch mit den ächten Grundsätzen der Staatsverfassung kaum vereinbaren zu lassen scheinen.“3 Die von Sonnenfels vorgeschlagene und ausgearbeitete Polizeiordnung wird am 2. März 1776 kundgemacht – ausdrücklich mit dem Hinweis, dass den Bezirksaufsehern bei der Einschulung „das geziemende Betragen, die Bescheidenheit und Behutsamkeit auf das nachdrücklichste anempfohlen, auch alles, was die billige Freiheit der Bürger zu stöhren fähig wäre, auf das schärfste untersagt ist.“4 Seinem Steckenpferd wird Rechnung getragen: Sonnenfels wird 1777 zum Illuminationsdirektor ernannt, woraufhin bis 1779 in Wien in einem Abstand von sechs Schritten von Lampenanzündern gewartete Öllaternen aufgestellt werden, die bis 1 Uhr nachts brennen. „Paris und Berlin besaßen damals nur in mondlosen Nächten eine eigene Illumination.“5

Die Polizei als Ordnungshüter – das ist dem Nachfolger Maria Theresias zu wenig. Seit 1782 ist Johann Anton Graf von Pergen Staatsminister in inneren Geschäften. 1785 überträgt ihm Joseph II. das gesamte Sicherheitswesen für alle nicht-ungarischen Teile der Monarchie. Er ist in dieser Funktion direkt dem Kaiser unterstellt und hat ständigen, unangemeldeten Zutritt. Nicht ohne Spott hatte er dem Kaiser vorgetragen, dass die maria-theresianische Polizei nur der „Verschönerung und Gemächlichkeit, auch Ordnung bei öffentlichen Anstalten“6 diene. Das sollte anders werden. Am 16. November 1785 erlässt Joseph II. die von Pergen verfasste „Geheime Instrukzion“ an die Provinz-Statthalter, die erste Grundlegung der geheimen Staatspolizei. Die Präambel ist noch ganz im Sinne der von Sonnenfels vertretenen aufgeklärten Ideologie gehalten. „Nur durch gut eingeleitete Polizey-Anstalten kann die innere Ruhe, Sicherheit und Wohlfahrt des Staates gegründet werden. Je weitschichtiger eine Monarchie ist, desto mehr liegt daran, solche Polizey-Anstalten einzuführen, die einförmig, zusammenhängend und dadurch tauglich seyen, die Übersehung im Ganzen und allen Theilen beständig zu erhalten.“7 Abgesehen von den Gegenständen, die der „Polizeyobsicht“ unterliegen und von denen jedermann weiß, gibt es aber

Gegenstände, die eine dermassen geheime Absicht erfordern, daß nicht einmal eine Landesstelle davon wißen, mithin viel weniger das Publikum nur die geringste Vermuthung bekommen darf, als ob sich die Aufmerksamkeit der Polizey bis dahin erstrecke. Nur einem Landeschef kommt es zu, von diesem Theile der Polizey, was nämlich der geheime Dienst genennet wird, Wissenschaft zu haben.8

Das Vertrauen in den geheimen Dienst ist groß genug anzunehmen, dass er imstande ist,

durch unbemerkte Nachspürungen die gefährlichen Anlagen aller Gattung, ehe solche zur Reife kommen, zu enthüllen und arbeitet mithin den heimlichen Feinden des Staates und der inneren Sicherheit um so nachdrücklicher entgegen, als diese sich lediglich gegen die öffentliche Aufsicht sicherstellen und nicht wissen können, daß sie insgeheim beobachtet werden.9

Es ist eine hauptsächlich innenpolitische Maßnahme. Die Kontrolle richtet sich zunächst gegen die eigenen Beamten, das Militär, den Klerus. Bei den Beamten sollen Korruptionsverdacht, Auslandskontakte, Amtsverschwiegenheit beobachtet werden. Die Militärkontrolle soll hauptsächlich Geheimnisverrat an ausländische Mächte ahnden. Bei der Geistlichkeit ist auf die „dem Regenten schuldige Unterwürfigkeit“10 und die Beachtung der Interessen des Staates in den Predigten zu achten. Es fällt nicht in die Zuständigkeit des geheimen Dienstes in den Provinzen, die ausländischen Mächte zu beobachten, über deren Interessen und Absichten man durch die von alters her eingerichtete Briefkontrolle ausreichend unterrichtet zu sein glaubt. Dagegen muss darauf geachtet werden, „ob nicht von Auslanden verdächtige Leute, falsche Werber, Spione, Kreditspapierverfälscher u. dgl. sich einschleichen, denen alles Ernstes und unablässig nachzuspüren und sowohl auf die Entdeckung ihrer heimlichen Unthaten als auf die Habhaftwerdung ihrer Personen, dann ihrer Mitschuldigen, Bedacht zu nehmen ist.“11 Vorrangig soll auch die Bevölkerung beobachtet werden. „Nicht minder muß die Polizey insgeheim nachforschen, was im Publikum von dem Monarchen und seiner Regierung gesprochen werde, wie das Publikum in diesem Punkte von Zeit zu Zeit gestimmt sey, ob nicht zwischen Hoch und Niedrigen Mißvergnügte oder gar Aufwickler sich äußern.“12 Damit die Erhebungen erfolgreich sein können, sollen kompetente Personen als Auskunftspersonen gewonnen werden. An erster Stelle werden die Dienstboten genannt. Sie sollen aber nicht plump ausgefragt, sondern geschickt dahin gebracht werden, „daß sie von selbst Nachrichten bringen, mithin auch nur sich verfänglich machen, um zu keiner Zeit Verräther werden zu können“.13 Das heißt, sie sollen sich nicht als angestiftet verteidigen können, wenn sie von ihrer Herrschaft zur Rechenschaft gezogen würden. Zweitens soll die „kleine Post“, also der innerstädtische Briefverkehr, kontrolliert werden, wiederum mit der zynischen Mahnung zur Vorsicht, „damit dem Kredit des Instituts und der bürgerlichen Freyheit nicht zu nahe getreten werde.“14 Herangezogen werden sollen drittens „Lohnbediente, Miethkutscher, ja selbst, unter gewissen nöthigen Vorsichten, die Juden.“15 Niemand steht auf der gesellschaftlichen Stufenleiter so weit unten, dass er nicht als Informant in Frage käme. Ausdrücklich wird scheinheilige Leutseligkeit befohlen. Die Vertrauten dürfen nicht ins Vertrauen gezogen werden, so dass „ein Mensch nie das Ganze übersehe, noch von der Sache, worin er verwendet wird, mehr Notiz bekomme als gerade nötig ist, um den ihm gemachten Auftrag in Vollzug zu setzen.“16 Mitleid gegen Verdächtige, deren Schuld bewiesen werden kann, wird ausgeschlossen, „weil die Pflichten gegen den Staat kein Mitleid, keine Rücksicht zulassen.“17

Der Erfolg der Instruktion ist aktenkundig,18 obwohl die Remunerationen, die Joseph II. regelmäßig prüfte, nur vergleichsweise bescheidene 10 000 Gulden im Jahr ausmachten.19 Die Bestrafung mutmaßlicher Täter ist drakonisch; auch wenn sich die Unschuld der Betroffenen herausgestellt hat, ziehen Pergen und sein Herr es vor, die Inhaftierten vorsichtshalber weiterhin in Gewahrsam zu halten. Werden bei Priestern sexuelle Übergriffe entdeckt, ist der Kaiser süffisant daran interessiert, die Sache publik zu machen, wohingegen die Kirchenverwaltung darum ersucht, Stillschweigen in der Öffentlichkeit zu bewahren, der Betroffene sei doch ohnehin schon vom Priesteramt suspendiert worden.

Nach dem Tode Josephs II. glaubt Pergen, seine Tätigkeit unvermindert fortsetzen zu können, und kommt bei Leopold II. um den gewohnten ständigen Zutritt ein. Das Ersuchen wird abgelehnt. Mehr noch, die Aufsicht über die Ordnungskräfte wird dezentralisiert und den Provinzialverwaltungen übertragen. Missstände in den Gefängnissen sollen beseitigt, offenbare Missgriffe wieder gutgemacht werden. Pergen bittet um seine Entlassung. Sonnenfels kommt mit seinen Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit wieder zu Ehren. Er führt eine neue Polizeiordnung ein, die sich auf humanitäre Aspekte konzentriert: die Einstellung von Bezirksärzten und Hebammen, Gesundheitspolizei, Überwachung der Apothekerpreise, Straßenreinigung; die Verbrechensausforschung soll sich mit der bürgerlichen Freiheit vereinbaren lassen: „[Es] ist dem Bezirksbeamten zur strengsten Pflicht gemacht, nicht mit neugierigen Blicken in das innere ehrbarer Haushaltungen zu dringen, noch durch unbescheidene Nachforschungen die Ruhe unbescholtener Familien zu stöhren.“20 Die Pergen-Anhänger erheben sarkastisch Einspruch: „Wie bösartige Menschen ohne geheime Nachforschungen in ihren Schlupfwinkeln aufzufinden seyn, hiervon weiß die praktische Polizey keine Sylbe, und es wäre zu wünschen, daß der Herr Hofrat von Sonnenfels sein dießfälliges arcanum zur Beförderung der öffentlichen Polizeyanstalten mitzutheilen belieben möchte.“21 Der Kaiser negiert den Protest, er hat geheimere, in der Toskana erprobte Methoden parat.22

Nach Leopolds frühzeitigem Tod bekräftigt Sonnenfels vor dem neuen Kaiser seine Ablehnung geheimdienstlicher Übergriffe, nicht ohne Montesquieu zu bemühen, wie die anwesenden Staatsräte sticheln. Doch Franz II. schenkt ihm kein Gehör. Er holt schon im Januar 1793 Pergen zurück und macht ihn zum Polizeiminister, der mit weiter reichenden Befugnissen als zuvor die josephinischen Zustände wiederherstellen soll. Sonnenfels wird mit der Kodifikation des Verwaltungsrechts betraut. Das gibt ihm Gelegenheit, erneut seine Grundsätze darzulegen. Die Aufgabe der Polizei habe sich auf Aufklärung und Bestrafung von Verbrechen zu konzentrieren, die Vorbeugung solle sich auf die Beobachtung von Verdächtigen beschränken. Er betont den Unterschied zwischen legitimer geheimer Nachforschung und geheimer Ausspähung, die keinen bestimmten Gegenstand hat, „sie faßt sich an jedermann ohne Unterschied. Man kann sagen: sie hält jedermann, sie hält die Unbescholtenheit selbst für verdächtig.“23 Genau dies ist aber der Standpunkt Pergens, den Franz II. aus politisch aktuellen Gründen teilt, schließlich war eben in Paris Ludwig XVI. guillotiniert worden. Nur allgemeines Misstrauen und umfassende Kontrolle sind geeignet, revolutionäre Stimmungen rechtzeitig aufzudecken und zu unterbinden.

Sonnenfels setzt sich nicht durch, holt aber zu einem letzten Schlag aus. Im Juli 1797 veröffentlicht er in Christoph Martin Wielands Zeitschrift Teutscher Merkur einen Artikel Über die Ursachen der französischen Revolution, in dem er die Gefahr einer Revolution auf deutschem Boden beschwört, wenn sich die heimische Polizei, so wie die französische des ancien régime, zu sehr auf „Ausspähung“ gerichtet und darüber ihre Pflicht als Ordnungshüter derart vernachlässigt habe, dass Betrügereien, Diebstähle und allgemeine Lasterhaftigkeit überhandnehmen konnten und somit die Revolution auslösten.24 Die Macht Pergens wächst, auch die Zensur wird ihm unterstellt. Das System hält bis 1848.25 Jeden Morgen liegt auf dem Tisch des Polizeiministers ein Bericht über die Stimmung des Volkes.

1806 lässt der Kaiser für den Nachfolger Pergens eine Resolution zusammenstellen, die die Methoden verfeinert und die für die Zeit des Wiener Kongresses, der eine ungeahnte Aufblähung des Agentenwesens mit sich bringt, nicht neu formuliert werden muss:

Es genügt nicht, dass im Haushalt der fremden Gesandten Vertraute unter dem Dienstpersonal gedungen werden, es müssen auch Aristokraten und Gebildete angeworben werden, die Zutritt zu den Salons haben und an den gesellschaftlichen Zusammenkünften teilnehmen. Erpressbare werden bevorzugt, um die Remunerationsausgaben niedrig zu halten. Viele der Erkorenen empfanden ihre Spitzeltätigkeit denn auch als patriotische Pflicht und fanden sich mit einem Orden höchlich belohnt.

Es genügt nicht, die Wirtsleute als Informanten streng an ihre Meldepflicht zu erinnern, auch das Personal der Hotels muss zur Kontrolle der Gäste herangezogen werden. Auch die Vermieter von Privatwohnungen sind zu verpflichten.

Es genügt nicht, die Diener der ausländischen Delegierten zu kaufen, es muss eine eigene Agentur für Dienstboten aufgezogen werden, die ausgebildete Kammerdiener und -zofen einschleust, die sich darauf verstehen, zerrissene Schriftstücke aus den Papierkörben oder angekohlte Papierfetzen aus dem Kamin zu fischen und zu sogenannten „Chiffons“ zusammenzustückeln.

Die aufwendige Postkontrollstelle des „Geheimen Kabinetts“ in der Hofburg, die sich schon seit den Zeiten Karls VI., der einen Spezialisten aus Spanien mitgebracht hatte, aufs Dechiffrieren der perlustrierten Briefe verstand,26 reicht nicht mehr aus. Weitere sogenannte Postlogen werden in Prag, Brünn, Salzburg, Linz, Lemberg, Krakau, Preßburg, Ofen, Triest, Graz und Görz eingerichtet. Darüber hinaus werden ambulante Kontrollstellen in den Kurorten installiert, etwa in Karlsbad. Wenn also der Herzog Carl August einen Brief nach Hause schrieb, war der in Wien schon bekannt, bevor er in Weimar ankam.27

Die Briefkontrolle genügt nicht. Die Briefschreiber wussten von der Überwachung. Durch Überlastung waren die Kontrolleure nachlässig geworden. Die Empfänger erkannten am erbrochenen und schleißig nachgemachten Siegel, dass die Briefe abgefangen worden waren. Sie schrieben also nur noch harmlose Dinge oder führten die Prüfer durch gezielte Mitteilungen in die Irre. Wichtige Briefe wurden nicht der Post anvertraut, sondern durch Kuriere befördert. Die also müssen abgefangen werden. Friedrich von Gentz berichtet von einem Brief, den er am Abend einem verlässlichen Boten mitgegeben hat und am nächsten Morgen auf seinem Schreibtisch wieder vorfindet.28

Beim Wiener Kongress werden weitere Personengruppen zum „Berichtlegen“ verpflichtet: die Ehrenkavaliere, die den Potentaten an die Seite gegeben wurden. Die im Hofdienst angestellten Beamten werden dazu angehalten, über ihre Tätigkeit Bericht zu erstatten, wie z. B. Joseph von Hammer-Purgstall, der als Dolmetscher orientalischer Sprachen in die ausländischen Salons gebeten wurde. Hinzu kommen die vielen freiwilligen Zuträger und Denunzianten, die ihre Dienste aus finanziellen oder opportunistischen Gründen anbieten, denen aber bei Hof eher argwöhnisch begegnet wird. Auch die Gegenspionage muss aufgezogen werden, denn die Delegationen haben ihre eigenen Kundschafter mitgebracht, die enttarnt werden müssen.

Die Ausgaben waren seit der Zeit Josephs II. um das Fünffache angewachsen. In den 1830er Jahren – nach der französischen Juli-Revolution – wird das Agentennetz auf das ganze Gebiet des Deutschen Bundes ausgedehnt, wobei es zu den Grundsätzen der Behörde gehört, nur Gelegenheitskonfidenten anzuwerben und deren prekäre Existenz nicht durch eine staatliche Anstellung zu stabilisieren.

Einer der Bewerber um Gratifikationen für überbrachte Informationen, Karl Postl alias Charles Sealsfield, wird von Metternichs Beamten als nicht vertrauenswürdig befunden, vermutlich zu Recht: Er wollte zu Geld kommen. Als ihm dies nicht als Konfident gelingt, versucht er es als polemisch-satirischer Schriftsteller. Ende 1827 erscheint in London die im Nachhinein wichtigste Enthüllungsschrift über das österreichische Spitzelwesen: Austria as it is: or, Sketches of Continental Courts. By an Eye-Witness. In Österreich hat sie kaum Wirkung, die Auslieferung der französischen Übertragung wird unterbunden.29 Erst 1919 kann eine vollständige deutsche Übersetzung erscheinen.30

Wenn Sealsfields Darstellungen auch von Ressentiment bestimmt und im Detail überzogen sein mögen, so fangen sie doch die allgemeine Situation treffend ein.

It is impossible to form an adequate idea of the ramifications of this product of a bad public conscience. Every footman in a public-house is a salaried spy: there are spies paid to visit the taverns and hotels, who take their dinners at the table d’hôte. Others will be seen in the Imperial library for the same purpose, or in the bookseller’s shop, to inquire into the purchases made by the different persons. Of course, letters sent and received by the post, if the least suspicious, are opened; and so little pains are taken to conceal this violation of public faith, that the seal of the post-office is no seldom added to that of the writer. These odious measures are not executed with that finesse which characterises the French, nor with the military rudeness of the Prussian, but in that silly and despicable way of the Austrian, who, as he is the most awkward personage for this most infamous of all commissions, takes, notwithstanding, a sort of pride in being an Imperial instrument and a person of importance.31

Es ist müßig nachzuforschen, woher Sealsfield seine Kenntnis hat, wenn er während seines Aufenthaltes auf dem Kontinent nicht bis Österreich gekommen ist. Als er 1823 Österreich verließ, war es schon ebenso wie vier Jahre danach; er brauchte seine persönlichen Erfahrungen nicht zu korrigieren. Seine Kenntnis österreichischer Autoren geht nicht über dieses Datum hinaus, Ferdinand Raimund, der 1823 als Autor in Erscheinung tritt, erwähnt er nicht, die Werke Franz Grillparzers kennt er nur bis zur Medea. Seine obsessive Fixierung auf das Agentennetz, das Österreich überzieht, erschöpft sich in Wiederholungen. Alle Professoren sind „ex-officio spies“ (S. 79), die Beamtenschaft ist verseucht: „There are, in every department among the counsellors or assessors, at least two spies“ (S. 81), man darf nicht glauben, was Touristen über Österreich erzählen, „who have gathered their information in some taverns, watched by a dozen spies“ (S. 130), der Kaiser wird an der Macht bleiben, „as long as he is able to pay his spies“ (S. 134).

Since the year 1811, the 10,000 Nadlers or Pinners, as the secret spies of Vienna are called, have done their work. Taken from the lower classes of society, tradesmen, servants, mechanics, prostitutes, they form a confederacy in Vienna which winds like the red silk thread in the British navy through all the intricacies of social life. There is scarcely a word spoken in Vienna which they do not hear. There is no precaution possible […]. (S. 194)

Sealsfield begründet nicht seine Feststellung, dass der Geheimdienst – er erfindet mit „Nadlers“ ein englisches Wort für das damals schon volkstümliche Schimpfwort „Naderer“ – erst seit 1811 bestehe, beteuert: „There was never a secret police before“ (S. 128) und schreibt ausdrücklich die „Josephslegende“ fort: Unter Joseph II. hätt’s das nicht gegeben.

Bemerkenswert ist der Schluss, den Sealsfield aus dieser penetrant wiederholten Sachlage zieht. Erziehung, Verwaltung und Geheimpolizei deformieren den Menschen politisch und moralisch: „The education of the youth, public stations, secret policy, every thing combines here, to produce political and moral degradation.“ (S. 138) Servilität – auch mit dem Mantel des Patriotismus verbrämt – und Vergnügungssucht als Grundlagen der Psychopathologie des Agenten: hält diese Theorie die Gegenprobe aus? Würde Askese, politische Indifferenz, Selbstwertgefühl durch moralische Integrität ein Volk vom Spitzeldienst abhalten? Was täte dann die intrigante Obrigkeit, wählte sie sich ein neues Volk? Diktaturen stützen sich bis heute auf die moralische Korrumpierbarkeit, Erpressbarkeit und Feigheit ihrer Untertanen.

II.

Literatur und Theater, wenn sie die Verflechtung mit der sozialen und politischen Wirklichkeit für notwendig halten, können an den charakterlichen Deformationen der Zeitgenossen nicht vorübergehen. Informanten, Denunzianten, Schnüffler, Spione, Agenten sind Figuren und Themen, auf die die Literatur zu jeder Zeit und in allen Gattungen reagiert hat.

Informanten

Die Verpflichtung der Wirte, über ihre Gäste Auskunft zu geben, wird von Lessing in Minna von Barnhelm verharmlost. Der Wirt – eine komische Figur. Er spioniert nicht, lauert nicht auf, erklärt sein Ausfragen als Neugier im polizeilichen Auftrag und wird leicht von den inquirierten Damen in Schranken gehalten. Die tatsächliche politische Situation hätte eine schärfere Gangart erfordert, wie ein österreichischer Zeuge 1768 aus Berlin berichtet: Die Wirte sind angehalten, „von allen Zusammenkünften, Gesprächen und sogar, wenn Jemand bei ihnen wohnet, der dem Staate verdächtig scheint, von seinen bei sich habenden Briefschaften, täglich einen verläßlichen Protokollauszug der geheimen Polizei einzuschicken.“32 Österreich war damals noch nicht so perfekt in der Ausforschung.

Denunzianten

In Schillers Dom Carlos stiehlt und erbricht Prinzessin Eboli die Schatulle der Königin und macht Philipp II. mit dem verräterischen Fund, dem Bild des Infanten, eifersüchtig. Die böse Tat fällt auf die Diebin zurück, die Eboli wird vom Hof verbannt. Der entlarvte Denunziant – eine Figur, die ihre Strafe findet. So sehr die Dienste der Denunzianten auch angenommen werden, so wenig wird ihre Person (ihr Charakter) geschätzt. Der edle Feind verachtet den Denunzianten, der sich anbiedert um persönlicher Vorteile willen.

Johann Peter Hebel erzählt die Anekdote Schlechter Lohn aus dem besetzten Berlin von 1806. Ein preußischer „Spitzbube“ will den Franzosen verraten, wo königliches Bauholz zu requirieren sei.

Aber der brave Commandant gab schlechten Dank für die Verrätherei und sagte: „Laßt Ihr die schönen Baumstämme nur liegen wo sie sind. Man muß dem Feind nicht sein Nothwendigstes nehmen. Denn wenn euer König wieder ins Land kommt, so braucht er Holz zu neuen Galgen für so ehrliche Unterthanen, wie Ihr einer seid.“

Das muß der rheinländische Hausfreund loben und wollte gern aus seinem eignen Wald ein paar Stämmlein auch hergeben, wenns fehlen sollte.33