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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 5

 

Kommando Virenkiller

 

Sie sind gefangen in den Trümmern einer Zivilisation – Rettung ist unmöglich

 

Robert Corvus

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Das Jahr 1513 Neuer Galaktischer Zeitrechnung: In Anthuresta, einer fernen Galaxis, haben Menschen ein neues Sternenreich aufgebaut, das sich rings um das Stardust-System erstreckt. Noch gibt es Kontakte zur Erde, doch diese werden von Jahr zu Jahr weniger. Mittlerweile haben die Stardust-Terraner, wie sie sich nennen, die Grenzen ihres eigenen Sonnensystems verlassen.

Ihre Raumschiffe erforschen die nähere Umgebung, ihre Abgesandten treten in Kontakt zu außerirdischen Völkern. In schier unglaublicher Ferne entwickelt sich eine neue Menschheit mit eigenen Visionen und Träumen.

Als Perry Rhodan die Stardust-Terraner im Rahmen einer diplomatischen Mission besucht, gehen alle davon aus, dass es ein offizieller, aber harmloser Auftritt wird. Dann tauchen sogenannte Amöbenschiffe auf und greifen einen friedlichen Planeten an. Perry Rhodan trifft auf einen angeblichen Boten der Superintelligenz TALIN und erhält einen Hilferuf.

Der Terraner muss handeln: Er betritt eine der geheimnisvollen Immateriellen Städte, gerät aber schnell in Gefangenschaft. Während Rhodan zum Tod verurteilt wird, kämpft Eritrea Kush, die Admiralin der Stardust-Menschheit, an einer anderen Stelle einen schier aussichtslosen Kampf – sie steckt im Innern eines Amöbenschiffs fest und betätigt sich als KOMMANDO VIRENKILLER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Eritrea Kush – Die Admiralin sucht einen Ausweg.

Perry Rhodan – Der Terraner sucht einen Verräter.

Virvird – Der Schamane sucht nach der Wahrheit.

Kerat Tinga – Der Jaranoc sucht nach seiner Ehre.

Gwen Soprina – Die Epsalerin sucht nach Heilung.

Güramy Triktuk – Die Jülziish findet – und verliert.

1.

Jaroca

19. Mai 1513 NGZ

 

Perry Rhodans Herz hämmerte. Die einhundert Prozent Anstieg, über die sie sich die Schräge des rampenförmigen Hochhauses hinaufbewegten, machten ihm in der sauerstoffarmen Atmosphäre Jarocas zu schaffen. Dass er die Arme nicht zu Hilfe nehmen konnte, weil seine Handgelenke auf dem Rücken gefesselt waren, verstärkte die Belastung.

Homhomks Stamm versammelte sich auf halber Höhe, fünfzig Meter über dem Boden. Siebzig Meter Anstieg in direkter Linie, dachte Rhodan. Vielleicht einhundert, wenn man die Umwege zwischen den Pflanzungen hindurch einrechnet. Er setzte einen Fuß unmittelbar vor den anderen. Das sollte doch zu schaffen sein!

Aber sein Kopf schmerzte, seine Zunge kribbelte, seine Kehle kratzte. Der Weg aus der unterirdischen Zelle heraus, durch das Gebäude hindurch, aus dem Schatten hinaus in die Gluthitze und jetzt die mörderische Steigung hinauf ... Die ersten Schritte waren ihm leichtgefallen, was an Jarocas Schwerkraft lag, die nur achtzig Prozent des Normwerts erreichte. Aber dann hatte auch sein am Limit pumpender Brustkorb Mühe bekommen, die Muskeln ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen.

»Definitiv eine Welt für Sprinter«, murmelte Rhodan. »Nicht für Marathonläufer.«

»Ich habe Erinnerungsfragmente an den Marathonlauf auf einem 500-Meter-Kugelraumer«, meldete sich Posimon, die Kleinpositronik, die sich wie eine Schlange um Rhodans linken Bizeps wand. »Siebenundzwanzig Mal am Ringwulst entlang.«

»Den Namen des Schiffs hast du nicht zufällig parat?« Damit hätte sich eingrenzen lassen, wo Posimon die terranischen Redensarten aufgeschnappt hatte, die er unentwegt benutzte.

»Musst du immer in dieser Wunde bohren?« Theatralisch wippte der in der roten Sonne glänzende Kugelkopf hin und her. »Ich halte dir ja auch nicht vor, dass du auf einem simplen Spaziergang schlapp machst, obwohl das für eine Biokomponente schon eine schwache Vorstellung ist. Du dagegen musst ständig darauf herumhacken, dass mein Gedächtnis in Marhannu ein wenig gelitten hat.«

»Wenn du es so siehst, scheint mangelnde Sensibilität eine Eigenschaft zu sein, die uns verbindet.« Rhodan atmete heftig. »Du hast wohl nicht bemerkt, dass du wieder zum Zentrum der Aufmerksamkeit wirst?«

Die Jaroc in ihrer Umgebung starrten die sprechende Metallschlange an, wobei sie trällernde und zischende Geräusche mit ihren Schnäbeln erzeugten. Der Translator, den Rhodan als Brosche an seinem aus Pflanzenfasern gewebten Hemd trug, übersetzte nur bruchstückhaft. »Unglück«, »besessen« und »gefährlich« waren wiederkehrende Begriffe.

»Es ist gar nicht so lange her, dass sie dich einschmelzen wollten.« Das Sprechen strengte Rhodan zusätzlich an. Er blieb stehen und drehte sich seitlich, um die Waden zu entlasten.

Einer der Wächter, zwei Meter groß und von gedrungener, muskulöser Gestalt, stieß ihn unsanft in den Rücken.

Mit gefesselten Armen konnte Rhodan das Gleichgewicht nicht halten. Er fiel auf die mit Mutterboden bedeckte Schräge, rollte über orangefarbene Nutzpflanzen und prallte gegen die Beine einiger Jaroc. Sie zogen ihn grob wieder auf die Füße.

»Nicht ausruhen!« Der Unterschnabel des Sprechers war verkümmert, was seiner Artikulation einen Klang gab, als würde er sich jeden Moment erbrechen.

»Wenn ihr ihn in Ruhe lasst, geht es schneller!«, grollte Kerat Tinga in der Sprache der Jaranoc, die Rhodans Translator gleichzeitig für die Jaroc und ins Interkosmo übersetzte.

Die Köpfe der Wächter kippten hin und her, während sie Rhodans Gefährten musterten. Der Jaranoc überragte sie um einen halben Meter. Die Tatsache, dass auch seine Arme gefesselt waren, nahm seiner Erscheinung angesichts des imposanten Nackenschilds und der säbelartigen, gebogenen Hörner nur wenig von ihrer Bedrohlichkeit.

»Kein Streit!«, raunte Rhodan ihm zu. Er wartete einige Sekunden, bis die belebenden Impulse seines Zellaktivators die Funken vor seinen Augen vertrieben, und setzte den Weg fort.

Rhodan leckte über die Oberlippe und schmeckte salzigen Schweiß. Das Hemd kratzte, die Oberschenkel brannten. So fühlt es sich an, wenn man hinter den Komfort zurückfällt, der schon zur Zeit der eigenen Geburt selbstverständlich war. Diese lag bei Rhodan immerhin schon drei Jahrtausende zurück.

Rhodan sah die Schräge hinauf. Über der Dachkante war der Himmel vergleichsweise dunkel. Man blickte in die Dämmerzone, die sich auf Jaroca nie verschob. Dort stand jetzt ein blassblauer Mond. Was für eine Ironie, dass eine so trockene Welt von einem Trabanten begleitet wird, der sich in Wasserdampf hüllt.

Unwillkürlich ging Rhodan die physikalischen Annahmen durch, die ihm bei dieser Färbung plausibel erschienen. An den Planeten gebundene Rotation. Dadurch wird während eines Umlaufs jede Mondseite von der nahen Sonne beschienen. Bei der geringen Größe sorgt das für hohe Temperaturen, sicher über einhundert Grad Celsius. Da der Mond die Atmosphäre an sich bindet, muss er hohe Gravitationskräfte haben. Vielleicht ein Eisenkern. Sein Vorüberziehen könnte sogar Magnetdetektoren irritieren. Rhodan lächelte. Im Grunde meines Herzens bin ich ein Raumfahrer geblieben, der Faszination des Universums hilflos ausgeliefert.

Rhodan betrachtete die Jaroc. Ihre gesellschaftliche Schichtung war an ihrer Aufstellung erkennbar.

Am weitesten oben auf der Rampe lag Homhomk in einer Sänfte, die seiner Fettleibigkeit kaum Herr wurde. Daneben warteten drei Jaroc, deren Gesichter mit violetter Farbe bemalt waren. Einer von ihnen hielt gerade eine Ansprache.

Ihrem Herrscher am nächsten standen einige Planetarier, deren ledrige Haut besonders hell und faltig war. Der Stoff ihrer fein gewebten Gewänder war so dünn, dass die aufsteigende Hitze ihn bewegte.

Im Gegensatz dazu trug die Mehrzahl der Versammelten, insgesamt vielleicht eintausend, belastbare Kleidung, die zwar weniger bequem aussah, aber für harte Arbeit taugte. Leder war beinahe so häufig wie Textil. Die Krieger bevorzugten es sogar. Sie trugen Hellebarden und Schwerter, dazu kamen Projektilwaffen. Die meisten davon ähnelten Armbrüsten, in die man sternförmige Geschosse bis zu einem halben Meter Durchmesser einspannte.

Virvird, der Schamane, erwartete Rhodan und Kerat Tinga. Er wollte sie einsetzen, um die Geheimnisse seines Volks zu lüften, und nahm dafür in Kauf, dass sie bei einem Scheitern ums Leben kämen. Er stand hinter einer merkwürdigen Standarte. An einer Metallstange hing Rhodans SERUN. Der Anzug wirkte täuschend funktionstüchtig, doch Rhodans Untersuchung in der Zelle hatte ergeben, dass Anthur, der angebliche Bote TALINS, die Zentralkomponente zerstört hatte. Mit Posimons Hilfe hatten sie den Translator entnommen, den Rhodan jetzt wie ein Schmuckstück trug.

Rhodan bemerkte die Ironie, dass er einen wie eine Brosche wirkenden Gegenstand als technisches Hilfsmittel benutzte, während die sozial hochstehenden Jaroc technische Bauteile zur Zierde verwendeten. Manche hatten sich Spulen durch die Haut getrieben, bei anderen beschwerten ausgebrannte Speicherkristalle Ketten, die von ihren Schnäbeln hingen.

Virvirds Zeremonialstab klimperte von den vielen Platinen, Dioden und Signalspeichern, als sich der Schamane den Gefangenen zuwandte. Da Rhodan und Kerat Tinga den todkranken Herrscher ins »Land der Götter« begleiten sollten, waren sie dem Mann anvertraut, der die Reise zu den Geistern vorbereitete.

In der Respektsgeste der Jaroc drehte Rhodan dem Schamanen den Rücken zu. Kerat Tinga vollzog es widerwillig nach, weil er Rhodan bis zur Wiedererlangung ihrer Freiheit Gefolgschaft geschworen hatte.

Über den bis zu 150 Meter hohen Ruinen prangte mit Ausnahme der Seite, die der Sonne gegenüberlag, ein stahlblauer Himmel. Beinahe alle Gebäude waren als Keile gestaltet, deren Schrägen zu dem halb über dem Horizont stehenden, glutroten Gestirn ausgerichtet waren. Dazwischen gab es viel flugfähiges Getier, wenn auch kaum Vögel zu sehen waren. Gleitflieger segelten im Wind, womöglich auch jener, dessen Freilassung Rhodan erbeten hatte. Eine Luftqualle glitt über die Trümmer. Sie wechselte die Farbe von Gelb zu Grün, während ihre Tentakel die roten Pflanzen abgrasten, die sich an eine Bruchkante klammerten. Drei weitere dieser dreißig Meter durchmessenden Giganten schwebten aus Richtung der Sonne heran.

»Sie sind verliebt«, sagte Virvird, der Rhodans Blick gefolgt war. »Das Weibchen lockt sie mit dem Farbenspiel.«

Rhodan setzte sich neben dem Schamanen auf den Boden, um seine Erholung zu beschleunigen. Allmählich beruhigten sich Herzschlag und Atmung, während der Zellaktivator die Oberhand gewann.

Der violett Bemalte, der bislang gesprochen hatte, machte einem der anderen beiden Platz. An einer Kette um den Hals des Dritten hing der Translator aus Kerat Tingas Kampfanzug. Er war durchbohrt und damit funktionsuntüchtig.

»Ihr kennt mich!«, rief der neue Sprecher. »Ich bin Hishist! Ich habe viele Siege für unseren Stamm errungen und war stets ein treuer Sohn meines Vaters! Ihr werdet meinen Verlust tief in euren Herzen spüren, und lautes Klagen wird sich erheben, wenn Not über euch kommt und ich nicht hier sein werde, um euch zur Seite zu stehen!«

»Das klingt, als würde er ins Land der Götter gehen und nicht sein Vater«, meinte Rhodan.

»Diese drei sind die fähigsten Thronfolger. Sie werden gemeinsam mit Homhomk zum Heiligtum pilgern.«

Rhodan zog die Beine an die Brust. »Aber doch wohl kaum, um dort zu sterben.«

»Sie werden um die Nachfolge kämpfen, sobald ich verkündet haben werde, dass Homhomks Ende gekommen ist. Zwei von ihnen müssen sterben, der Letzte wird als ein anderer zurückkehren, um unter einem neuen Namen zu herrschen.«

»Aber die beiden anderen sind doch ebenfalls bewährte Angehörige des Stamms! Es wäre verrückt, ein solches Potenzial verloren zu geben!«

»Sie wären auch Konkurrenten für den neuen Herrscher«, grollte Kerat Tinga. »Auf diese Weise gibt es keine Rangkämpfe an der Spitze, wenn die neue Regentschaft beginnt.«

2.

Sepurasystem

19. Mai 1513 NGZ

 

Als Eritrea Kush aufwachte, entglitt ihr der Traum wie kosmischer Staub, den ein sanftes Prallfeld zurückhielt, wenn eine Fähre in einen Hangar steuerte. Sie erahnte das Gesicht ihres Sohns mehr, als dass es tatsächlich noch vor ihrem geistigen Auge gestanden hätte.

Er war so jung gewesen, damals, als sie ihn auf der Hausinsel seiner Großeltern zurückgelassen hatte. Gerade einmal sechs Jahre alt. Das niedlichste Kind des Universums, mit einem Lachen, das Eis schmelzen konnte. Nur nicht den harten Panzer um das Herz seiner Großmutter Marcie Bannard – der Frau, die ihrer ungeliebten Schwiegertochter Eritrea das Sorgerecht hatte entziehen lassen.

In Eritreas nebelhafter Wahrnehmung gruben sich rauchige Stränge in das Gesicht des kleinen Jungen, verschoben die Proportionen, während sie weiter verblassten. Das Gesicht wurde kantiger, die Augen entschlossener. Zugleich wirkten sie gehetzt. Eritrea glaubte, das Schmatzen zu hören, das Anthur ständig von sich gab, und wartete auf das Pfeifen seines Atems.

Es blieb aus.

Nicht Anthur schmatzte, sondern die Wand der Kammer innerhalb des Amöbenschiffs, in der Eritrea gemeinsam mit der Epsalerin Gwen Soprina und der Jülziish Güramy Triktuk eine Ruhepause eingelegt hatte. Die Schlieren, die sie sah, hatten auch nichts mit den Wulsten auf Anthurs Gesicht zu tun. Sie resultierten aus den Schwaden ätzender Gase, die hier die Atmosphäre durchsetzten und von dem kalten, grünen Licht angestrahlt wurden, das aus den Flechten sickerte wie Gift.

Eritreas Restmüdigkeit verschwand schlagartig. Sie fühlte sich leicht, was bei den zwanzig Prozent Normschwerkraft, die ihr Camouflageanzug registrierte, zu erwarten war. Das Display im Innern ihres Helms verriet ihr die Positionen von Güramy und Gwen, zwei rote Punkte in drei und zweieinhalb Metern Entfernung. Optisch konnte sie die beiden wegen der Tarnfunktion nicht wahrnehmen.

Ob sie wohl auch von schönen Erinnerungen träumen?

Oder verarbeitete ihr Verstand die grauenerregende Umgebung ihres Einsatzes? Zu dritt waren sie in einen fünfhundert Meter langen Amöbenraumer eingedrungen, um endlich mehr über diesen seltsamen Feind zu lernen, der schon mehrere Schiffe der Stardust-Flotte manövrierunfähig geschossen hatte. Zudem hatte ein solcher Raumer ein Camp von TALIN-Jägern auf eben jenem Planeten zerstört, um den sie nun kreisten.

Die Menschen hatten keine Chance gegen das Raumschiff gehabt. Perry Rhodan, Anthur und Eritrea waren die einzigen Überlebenden.

Jetzt sammelten sich Einheiten der Stardust-Flotte im Asteroidengürtel des Systems, während Eritrea die Xenocomputerspezialistin Güramy und die Exobiologin Gwen in den Einsatz führte. Sie hatten sich in das lebende Raumschiff eingeschlichen, dessen Bordatmosphäre einen ungeschützten menschlichen Körper zersetzt hätte.

Wenigstens würde man davon nicht viel mitbekommen, weil das Kohlenmonoxid vorher wirkt.

Eritrea suchte das Ladegerät, das mit Energie aus Nukleotiden ihre Akkus auffrischte. Bevor sie es fand, streifte ihr Blick die Thermitladung, die sie an dem Aderknoten platziert hatte, der ein lianenartiges Filament mit Hyperkristallen versorgte. Eritreas Vermutung, dass es sich dabei um ein Waffensystem handelte, sollte mittlerweile durch die von Güramy injizierten Sonden überprüft worden sein.

»Missionslogbuch Kommando Virenkiller: Ich habe die fünf Stunden Ruhezeit nicht ausgenutzt, sondern bin acht Minuten zu früh aufgewacht.«

Im Einsatz passierte ihr das ständig. Offenbar hatte ihr Unterbewusstsein Angst, einen Weckruf zu verpassen, obwohl das bei den Systemen, die das Militär verwendete, praktisch ausgeschlossen war. Ihr Anzug hätte im Zweifel genug Stimulanzien in ihre Adern gepumpt, um eine Halbtote fit für einen Gewaltmarsch zu machen.

»Soweit feststellbar, ist alles ruhig.« Sie wechselte die Anzeige im Helmdisplay. »Die Sonden, die wir zur Warnung vor Eindringlingen ausgesetzt haben, sind operativ, haben aber nichts Auffälliges gemessen.«

Eritrea richtete sich auf. Der Schleim, der sich in einem zentimeterdicken Film auf dem Boden sammelte, war ihr nicht aufgefallen, als sie sich niedergelegt hatte. Entweder war sie zu müde gewesen, oder die Wände schwitzten ihn erst jetzt aus. Er verursachte ein reißendes Geräusch, als sie sich daraus löste. Durch ihre Bewegungen würde die Antihaftbeschichtung des Anzugs den Rest innerhalb kurzer Zeit abgleiten lassen.

Die blauen Adern an den Wänden pulsten, wie sie es in Erinnerung hatte. Sieben davon trafen sich in dem Knoten. Die drei dickeren transportierten Hyperkristalle hinein, vier etwas dünnere sorgten für den Abfluss des Gasgemischs, wobei die Hyperkristalle zurückblieben und sich in dem in den Weltraum hinausragenden Filament ablagerten, wie Gwen festgestellt hatte.

Eritrea kontrollierte den Ladestatus. Achtundneunzig Prozent. Sie entnahm ihre Akkus, befestigte sie am Anzug und spannte die zwei noch nicht aufgefrischten in die Stromquelle ein, die den Operationsmodus während ihres Schlafs aufrechterhalten hatte.

Eritrea hoffte, dass sie sich genauso einfach zurückziehen könnten, wie sie gekommen waren: mit einer Virenfähre, die auf Sepura 2 landete, um neue Ladung aufzunehmen. Aber ein optimistischer Plan ist das erste Opfer des Feindkontakts.

Beim Anflug hatten sie der Virenfähre suggeriert, sie sei voll beladen, sodass sie abgehoben hatte. Sie konnten nur hoffen, dass ihre Camouflageanzüge ausreichten, der Instinktintelligenz für den Rückflug den gegenteiligen Eindruck zu vermitteln. Solange die Virenfähre »annähme«, sie sei noch nicht gänzlich leer, würde sie wohl versuchen, ihren Inhalt in den großem Raum pumpen, den sie mit »Dom« benannt hatten, wo er wie in einem Magen verdaut wurde.

Auch an einem plötzlichen Aufbruch der Amöbenraumer konnte dieser Plan scheitern. Wenn die Mutterschiffe von Sepura 2 fortbeordert würden, gäbe es keinen Anlass mehr für die Fähren, abzudocken.

Dann würde es hässlich werden. Ein Depot, das Güramy an der Außenseite ihrer ersten Virenfähre befestigt hatte, stieß kontinuierlich Funkbojen aus, denen die Flotte folgen würde. Aber dann müssten die Kampfschiffe der Stardust-Menschheit das Einsatzteam aus dem Amöbenraumer herausschießen. Bislang war die größte Feindeinheit, die sie überwältigt hatten, eine Virenfähre gewesen, und das auch nur um den Preis, dass die RIDE THE LIGHTNING jetzt Hilfe brauchte, um nach Hause zu stottern.

Also würde das Team von innen nachhelfen müssen. Man konnte es als Paradebeispiel für eine Verzweiflungstat ansehen, Thermitladungen in einer potenziell brennbaren Umgebung zu zünden, während man selbst noch in der Nähe war.

»Ein neuer Tag im Paradies für Exobiologinnen«, verkündete Gwen.

Der Chronometer verriet, dass der Weckzeitpunkt erreicht war.

»Güramy?«, funkte Eritrea.

»Zur Stelle.«

»Ich brauche eine Auswertung der Sonden.«

»Kommt sofort.«

Leider reduzierte die kodierte Übertragung die Worte auf den Informationsgehalt. Stimmlage und Sprachrhythmus ihrer Kameradinnen wären für Eritrea wertvoll gewesen, um einzuschätzen, wie sie mit dem Einsatz im Innern des Feindes zurechtkamen. Gerade Güramy machte ihr Sorgen. Klaustrophobie war ein schwerer Ballast, wenn man sich durch enge Vakuolen bewegte.

Während Gwen ihre Akkus aus dem Ladegerät nahm, aktivierte Eritrea die taktische Anzeige. Das von dem würfelförmigen Gerät projizierte Holo war erfreulich angewachsen. Ätzendes Gas mochte bei einigen Sonden zum Ausfall geführt haben, aber die anderen waren so weit mit den Strömungen innerhalb des Amöbenraumers gewandert, dass sie nun etwa drei Viertel des Schiffs erfasst hatten.

»Ich habe etwas«, meldete Güramy. »Das ist der Durchbruch.«

»Was meinst du?«

»Den Kode, mit dem das Schiff kommuniziert. Die Befehlssequenzen und Sensordaten. 128 Bit, biologische Verbindungen als Träger. Aber die Zuordnung ist dynamisch. Bedeutungen sind variabel und ändern sich im Zeitablauf.« Güramy machte eine Pause, bevor sie fortfuhr. »Man könnte sagen, dass der Kode mutiert. Aber es dauert eine Weile, bis die neuen Vereinbarungen überall bekannt sind, und solange behält eine bestehende Befehlssequenz parallel ihre Gültigkeit.«

»Wie bei unseren militärischen Systemen«, bemerkte Eritrea. »Gibt es eine zentrale Komponente, die die Kodeänderung steuert?«

»Möglich.«

»Die brauchen wir, Güramy! Das ist der Punkt, den wir attackieren müssen.«

Eine der Wachsonden gab Bewegungsalarm. Schnell bestätigten zwei weitere.

Eritrea klappte ihr rechtes Handgelenk ab, um den Nadler schussbereit zu machen. Ultrakaltnadeln glitten in die Führung. Sie streckte die Linke in Richtung der Sonden. Im Handschuh befanden sich die meisten Sensoren, die bei einer Zielerfassung helfen würden.

Zu den wenigen Fakten, die über den Feind bekannt waren, gehörte seine Sensibilität für Hyperstrahlung. Die Amöbenschiffe hatten stets aggressiv auf Schirme und Lineartriebwerke reagiert. Das war auch der Grund für die ungewöhnliche Ausrüstung des Teams. Antigrav, Strahler, Positroniken, Individualschirme, Hyperfunk – für alle 5-D-Komponenten hatte die Entwicklungsabteilung der STARDUST III Alternativen bereitgestellt.