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Zum Buch

»Man lacht sich krumm, bewundert hinterher, ernster geworden, eine tiefe Lyrik […] – und merkt zum Schluß, daß man einen philosophischen Satz gelernt hat.« TUCHOLSKY

Die Zeitlosigkeit Morgensterns zeigt sich in der humoristisch-skurrilen Doppeldeutigkeit seiner Gedichte und Sprüche: Sind sie auf der einen Seite gutmütiger Nonsens, lohnt sich auf der anderen Seite ein zweiter Blick, welcher schnell erkennen lässt: Morgenstern versteckt hinter der oberflächlichen Anmut seines Witzes tiefgreifende Wortkünste, deren Sinn sich nur dem achtsamen Leser eröffnet.

Nebst Morgensterns humoristischer Galgenpoesie enthält der vorliegende Band zudem Aphorismen, Sprüche, Epigramme und kleine lyrische Formen.

Unter Zeiten

Das Perfekt und das Imperfekt

tranken Sekt.

Sie stießen aufs Futurum an

(was man wohl gelten lassen kann).

Plusquamper und Exaktfutur

blinzten nur.

CHRISTIAN MORGENSTERN

Christian Morgenstern

Das Mondschaf steht auf weiter Flur

Christian Morgenstern

Das Mondschaf steht auf
weiter Flur

Gedichte und Sprüche

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Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH,
Hamburg Berlin
Bildnachweis: © Gerhard Schröder
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0435-6

www.marixverlag.de

INHALT

DER GINGGANZ UND VERWANDTES

PALMSTRÖM

Korf und Palmström wetteifern in Notturnos

Der Wasseresel und anderes

Zeitgedichte

Ein modernes Märchen

Nachlese zu Palmström und von Korf

MUHME KUNKEL, LORUS UND ZÄZILIE

Muhme Kunkel

Lorus

Zäzilie

PARODIEN UND DICHTERISCHE SPIELE

Parodien

Dichterische Spiele

GALGENLIEDER

NACHLESE ZUR GALGENPOESIE

Fünf Teufelslegendchen

KLAUS BURRMANN, DER TIERWELTPHOTOGRAPH

EPIGRAMME, SPRÜCHE UND KLEINE LYRISCHE FORMEN

STUFEN. EINE AUSWAHL

In me ipsum

Natur

Kunst

Literatur

Theater

Sprache

Politisches, Soziales

Kritik der Zeit

Ethisches

Lebensweisheit

Erziehung, Selbsterziehung

Psychologisches

Erkennen

Weltbild: Anstieg

Weltbild: Am Tor

ALPHABETISCHES VERZEICHNIS DER GEDICHTÜBERSCHRIFTEN UND -ANFÄNGE

DER GINGGANZ UND
VERWANDTES

Der Gingganz

Ein Stiefel wandern und sein Knecht

von Knickebühl gen Entenbrecht.

Urplötzlich auf dem Felde drauß

begehrt der Stiefel: Zieh mich aus!

Der Knecht drauf: Es ist nicht an dem;

doch sagt mir, lieber Herre, –: wem?

Dem Stiefel gibt es einen Ruck:

Fürwahr, beim heiligen Nepomuk,

ich GING GANZ in Gedanken hin …

Du weißt, daß ich ein andrer bin,

seitdem ich meinen Herrn verlor …

Der Knecht wirft beide Arm’ empor,

als wollt’ er sagen: laß doch, laß!

Und weiter zieht das Paar fürbaß.

Der Lattenzaun

Es war einmal ein Lattenzaun,

mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah,

stand eines Abends plötzlich da –

und nahm den Zwischenraum heraus

und baute draus ein großes Haus.

Der Zaun indessen stand ganz dumm,

mit Latten ohne was herum,

Ein Anblick gräßlich und gemein.

Drum zog ihn der Senat auch ein.

Der Architekt jedoch entfloh

nach Afri – od – Ameriko.

Die beiden Flaschen

Zwei Flaschen stehn auf einer Bank,

die eine dick, die andre schlank.

Sie möchten gerne heiraten.

Doch wer soll ihnen beiraten?

Mit ihrem Doppel-Auge leiden

sie auf zum blauen Firmament …

Doch niemand kommt herabgerennt

und kopuliert die beiden.

Das Lied vom blonden Korken

Ein blonder Korke spiegelt sich

in einem Lacktablett –

allein er säh sich dennoch nicht,

selbst wenn er Augen hätt!

Das macht, dieweil er senkrecht steigt

zu seinem Spiegelbild!

Wenn man ihn freilich seitwärts neigt,

zerfällt, was oben gilt.

O Mensch, gesetzt, du spiegelst dich

im, sagen wir, – im All!

Und senkrecht! – wärest du dann nicht

ganz in dem gleichen Fall?

Der Würfel

Ein Würfel sprach zu sich: Ich bin

mir selbst nicht völlig zum Gewinn!

Denn meines Wesens sechste Seite,

und sei es auch ein Auge bloß

sieht immerdar, statt in die Weite,

der Erde ewig dunklen Schoß.

Als dies die Erde, drauf er ruhte,

vernommen, ward ihr schlimm zu Mute.

Du Esel, sprach sie, ich bin dunkel,

weil dein Gesäß mich just bedeckt!

Ich bin so licht wie ein Karfunkel,

sobald du dich hinweggefleckt.

Der Würfel, innerlichst beleidigt,

hat sich nicht weiter drauf verteidigt.

Kronprätendenten

– »Ich bin der Graf von Réaumur

und hass’ euch wie die Schande!

Dient nur dem Celsio für und für,

Ihr Apostatenbande!«

Im Winkel König Fahrenheit

hat still sein Mus gegessen.

– »Ach Gott, sie war doch schön, die Zeit,

die man nach mir gemessen!«

Die Weste

Es lebt in Süditalien eine Weste

an einer Kirche dämmrigem Altar.

Versteht mich recht: Noch dient sie Gott aufs beste.

Doch wie in Adam schon Herr Hæckel war,

(zum Beispiel bloß), so steckt in diesem Reste

Brokat voll Silberblümlein wunderbar

schon heut der krause Übergang verborgen

vom Geist von gestern auf den Leib von morgen.

Philantropisch

Ein nervöser Mensch auf einer Wiese

wäre besser ohne sie daran;

darum seh’ er, wie er ohne diese

(meistens mindstens) leben kann.

Kaum daß er gelegt sich auf die Gräser,

naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm,

naht der Tausendfuß und Ohrenbläser,

und die Hummel ruft zum Sturm.

Ein nervöser Mensch auf einer Wiese

tut drum besser, wieder aufzustehn

und dafür in andre Paradiese

(beispielshalber: weg) zu gehn.

Der Mond

Als Gott den lieben Mond erschuf,

gab er ihm folgenden Beruf:

Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen

sich deutschen Lesern zu bequemen,

ein image formierend und ein image

daß keiner groß zu denken hätt’.

Befolgend dies ward der Trabant

ein völlig deutscher Gegenstand.

Die Westküsten

Die Westküsten traten eines Tages zusammen

und erklärten, sie seien keine Westküsten,

weder Ostküsten noch Westküsten –

»daß sie nicht wüßten!«

Sie wollten wieder ihre Freiheit haben

und für immer das Joch des Namens abschütteln,

womit eine Horde von Menschenbütteln

sich angemaßt habe, sie zu begaben.

Doch wie sich befreien, wie sich erretten

aus diesen widerwärtigen Ketten?

Ihr Westküsten, fing eine an zu spotten,

gedenkt ihr den Menschen etwan auszurotten?

Und wenn schon! rief eine andre schrill.

Wenn ich seine Magd nicht mehr heißen will? –

Dann blieben aber immer noch die Atlanten –

meinte eine von den asiatischen Tanten.

Schließlich, wie immer in solchen Fällen,

tat man eine Resolution aufstellen.

Fünfhundert Tintenfische wurden aufgetrieben,

und mit ihnen wurde folgendes geschrieben:

Wir Westküsten erklären hiermit einstimmig,

daß es uns nicht gibt, und zeichnen hochachtungsvoll:

Die vereinigten Westküsten der Erde. –

Und nun wollte man, daß dies verbreitet werde.

Sie riefen den Walfisch, doch er tat’s nicht achten;

sie riefen die Möwen, doch die Möwen lachten;

sie riefen die Wolke, doch die Wolke vernahm nicht;

sie riefen ich weiß nicht was, doch ich weiß nicht was kam nicht.

Ja, wieso denn, wieso? schrie die Küste von Ecuador:

Wärst du etwa kein Walfisch, du grober Tor?

Sehr richtig, sagte der Walfisch mit vollkommener Ruh:

Dein Denken, liebe Küste, dein Denken macht mich erst dazu.

Da war’s den Küsten, als säh’n sie sich im Spiegel;

ganz seltsam erschien ihnen plötzlich ihr Gewiegel.

Still schwammen sie heim, eine jede nach ihrem Land.

Und die Resolution, die blieb unversandt.

Unter Zeiten

Das Perfekt und das Imperfekt

tranken Sekt.

Sie stießen aufs Futurum an

(was man wohl gelten lassen kann).

Plusquamper und Exaktfutur

blinzten nur.

Unter Schwarzkünstlern

Eines Mittags las man:

»Pfiffe zu mieten gesucht!

Hundertweis, zu jedem Preis!

Victor Emanuel Wasmann!«

Um sechs Uhr kam der erste Pfiff

von einem alten Kohlenschiff.

Um acht Uhr waren’s tausend schon.

Um neun Uhr eine halbe Million.

Victor Emanuel Wasmann schlug

die Türe zu: Nun ist’s genug!

Hört zu, ihr Pfiffe!

Ich habe einen Feind (hört! hört!),

der mir des nachts die Ruhe stört, –

auf den sollt ihr marschieren!

Er hat Gelächter angestellt,

die schickt er nachts mir an mein Bett,

da hocken sie auf der Decke,

mit Flügeln weiß und Flügeln rot,

und krähn und flattern mich zu Tod. –

Doch alles hat sein Ende.

Die Pfiffe pfiffen wie e i n Mann;

empfingen ihren Sold sodann.

(Ein Schusterjungenpfiff sogar

bot Wasmann sich als Bravo dar.)

Drauf ließ er sie durchs Ofenloch …

Doch lange stand er brütend noch,

schrieb Zeichen, hob die Hand und schwur,

ein schwarzer Meister der Natur …

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Bald nach diesem ging

ein Herr Axel Ring

kurzerhand

außer Land. –

Wasmann hatte gesiegt.

Der Traum der Magd

Am Morgen spricht die Magd ganz wild:

»Ich hab heut nacht ein Kind gestillt –

ein Kind mit einem Käs als Kopf –

und einem Horn am Hinterschopf!

Das Horn, o denkt euch, war aus Salz

und ging zu essen, und dann –«

»Halt’s –

halt’s Maul!« so spricht die Frau, »und geh

an deinen Dienst, Zä-zi-li-e!«

Das Nasobēm

Auf seinen Nasen schreitet

einher das Nasobēm,

von seinem Kind begleitet.

Es steht noch nicht im Brehm.

Es steht noch nicht im Meyer.

Und auch im Brockhaus nicht.

Es trat aus meiner Leyer

zum ersten Mal ans Licht.

Auf seinen Nasen schreitet

(wie schon gesagt) seitdem,

von seinem Kind begleitet,

einher das Nasobēm.

Anto-logie

Im Anfang lebte, wie bekannt,

als größter Säuger derG i g-ant.

Wobei gig eine Zahl ist, die

es nicht mehr gibt, – so groß war sie!

Doch jene Größe schwand wie Rauch.

Zeit gab’s genug – und Zahlen auch.

Bis eines Tags, ein winzig Ding,

derZ w ö l e f-ant das Reich empfing.

Wo blieb sein Reich? Wo blieb er selb? –

Sein Bein wird im Museum gelb.

Zwar gab die gütige Natur

denE l e f-anten uns dafür.

Doch ach, der Pulverpavian,

der Mensch, voll Gier nach seinem Zahn,

erschießt ihn, statt ihm Zeit zu lassen,

zumZ e h e n-anten zu verblassen.

O »Klub zum Schutz der wilden Tiere«,

hilf, daß der Mensch nicht ruiniere

die Sprossen dieser Riesenleiter,

die stets noch weiter führt und weiter!

Wie dankbar wird der Ant dir sein,

läßt du ihn wachsen und gedeihn, –

bis er dereinst im Nebel hinten

alsN u l e l-ant wird stumm verschwinden.

Die Hystrix

Das hinterindische Stachelschwein

(hystrix grotei Gray),

das hinterindische Stachelschwein

aus Siam, das tut weh.

Entdeckst du wo im Walde drauß

bei Siam seine Spur,

dann tritt es manchmal, sagt man, aus

den Schranken der Natur.

Dann gibt sein Zorn ihm so Gewalt,

daß, eh’ du dich versiehst,

es seine Stacheln jung und alt

auf deinen Leib verschießt.

Von oben bis hinab sodann

stehst du gespickt am Baum,

ein heiliger Sebastian,

und traust den Augen kaum.

Die Hystrix aber geht hinweg,

an Leib und Seele wüst.

Sie sitzt im Dschungel im Versteck

und büßt.

Die Probe

Zu einem seltsamen Versuch

erstand ich mir ein Nadelbuch.

Und zu dem Buch ein altes zwar,

doch äußerst kühnes Dromedar.

Ein Reicher auch daneben stand,

zween Säcke Gold in jeder Hand.

Der Reiche ging alsdann herfür

und klopfte an die Himmelstür.

Drauf Petrus sprach: »Geschrieben steht,

daß ein Kamel weil eher geht

durchs Nadelöhr, als Du, du Heid,

durch diese Türe groß und breit!«

Ich, glaubend fest an Gottes Wort,

ermunterte das Tier sofort,

ihm zeigend hinterm Nadelöhr

ein Zuckerhörnchen als Douceur.

Und in der Tat! Das Vieh ging durch,

obzwar sich quetschend wie ein Lurch!

Der Reiche aber sah ganz stier

und sagte nichts als: Wehe mir!

Im Jahre 19000

Die Ameisen oder Emsen

sind so weit jetzt, daß sie Gemsen

sich als Sklaven halten (aus

Gründen ihres Körperbaus).

Da sie selber sehr viel kleiner,

so bedienen sie sich einer

Gemse oder zweier Gemsen

zu Gebirgspartien, die Emsen.

Ist sodann ein Adlernest

abgesucht bis auf den Rest,

gehn sie endlich, zog der Weih

schon den Ameisbären bei,

wieder ihm aus Horst und Rock –

und besteigen ihren Bock,

der sie, wie ein Stein, der springt,

heim zu ihrem Hügel bringt.

Angepflöckt, so stehn die Gemsen

in der Nähe dort der Emsen,

bei den Läusen u.s.w.

und verwünschen ihre Reiter.

Der Gaul

Es läutet beim Professor Stein.

Die Köchin rupft die Hühner.

Die Minna geht: Wer kann das sein? –

Ein Gaul steht vor der Türe.

Die Minna wirft die Türe zu.

Die Köchin kommt: Was gibt’s denn?

Das Fräulein kommt im Morgenschuh.

Es kommt die ganze Familie.

»Ich bin, verzeihn Sie«, spricht der Gaul,

»der Gaul vom Tischler Bartels.

Ich brachte Ihnen dazumaul

die Tür- und Fensterrahmen!«

Die vierzehn Leute samt dem Mops,

sie stehn, als ob sie träumten.

Das kleinste Kind tut einen Hops,

die andern stehn wie Bäume.

Der Gaul, da keiner ihn versteht,

schnalzt bloß mal mit der Zunge,

dann kehrt er still sich ab und geht

die Treppe wieder hinunter.

Die dreizehn schaun auf ihren Herrn,

ob er nicht sprechen möchte.

Das war, spricht der Professor Stein,

ein unerhörtes Erlebnis! …

Der heroische Pudel

Ein schwarzer Pudel, dessen Haar

des abends noch wie Kohle war,

betrübte sich so höllenheiß,

weil seine Dame Flügel spielte,

trotzdem er heulte: daß (o Preis

dem Schmerz, der solchen Sieg erzielte!)

er beim Gekräh der Morgenhähne

aufstand als wie ein hoher Greis –

mit einer silberweißen Mähne.

Das Huhn

In der Bahnhofhalle, nicht für es gebaut,

geht ein Huhn

hin und her …

Wo, wo ist der Herr Stationsvorsteh’r?

Wird dem Huhn

man nichts tun?

Hoffen wir es! Sagen wir es laut:

daß ihm unsre Sympathie gehört,

selbst an dieser Stätte, wo es – »stört«!

Möwenlied

Die Möwen sehen alle aus,

als ob sie Emma hießen.

Sie tragen einen weißen Flaus

und sind mit Schrot zu schießen.

Ich schieße keine Möwe tot,

ich laß sie lieber leben –

und füttre sie mit Roggenbrot

und rötlichen Zibeben.

O Mensch, du wirst nie nebenbei

der Möwe Flug erreichen.

Wofern du Emma heißest, sei

zufrieden, ihr zu gleichen.

Igel und Agel

Ein Igel saß auf einem Stein
und blies auf einem Stachel sein.
Schalmeiala, schalmeialü!
Da kam sein Feinslieb Agel
und tat ihm schnigel schnagel
zu seinen Melodein.
Schnigula schnagula
schnaguleialü!

Das Tier verblies sein Flötenhemd …
»Wie siehst Du aus so furchtbar fremd!?«
Schalmeiala, schalmeialü –.
Feins Agel ging zum Nachbar, ach!
Den Igel aber hat der Bach
zum Weiher fortgeschwemmt.
Wigulawagula
waguleia wü
tü tü …

Der Werwolf

Ein Werwolf eines Nachts entwich

von Weib und Kind und sich begab

an eines Dorfschullehrers Grab

und bat ihn: »Bitte, beuge mich!«

Der Dorfschulmeister stieg hinauf

auf seines Blechschilds Messingknauf

und sprach zum Wolf, der seine Pfoten

geduldig kreuzte vor dem Toten:

»Der Werwolf« – sprach der gute Mann,

»des Weswolfs, Genitiv sodann,

dem Wemwolf, Dativ, wie man’s nennt,

den Wenwolf, – damit hat’s ein End’.«

Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,

er rollte seine Augenbälle.

»Indessen«, bat er, »füge doch

zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!«

Der Dorfschulmeister aber mußte

gestehn, daß er von ihr nichts wußte.

Zwar Wölfe gäb’s in großer Schar,

doch »Wer« gäb’s nur im Singular.

Der Wolf erhob sich tränenblind –

er hatte ja doch Weib und Kind!!

Doch da er kein Gelehrter eben,

so schied er dankend und ergeben.

Die Fingur

Es lacht die Nachtalp-Henne,

es weint die Windhorn-Gans,

es bläst der schwarze Senne

zum Tanz.

Ein Uhu-Tauber turtelt

nach seiner Uhuin.

Ein kleiner Sechs-Elf hurtelt

von Busch zu Busch dahin …

Und Wiedergänger gehen,

und Raben rufen kolk,

und aus den Teichen sehen

die Fingur und ihr Volk …

Km 21

Ein Rabe saß auf einem Meilenstein

und rief Ka-em-zwei-ein, Ka-em-zwei-ein …

Der Werhund lief vorbei, im Maul ein Bein,

Der Rabe rief Ka-em-zwei-ein, zwei-ein.

Vorüber zottelte das Zapfenschwein,

der Rabe rief und rief Ka-em-zwei-ein.

»Er ist besessen!« – kam man überein.

»Man führe ihn hinweg von diesem Stein!«

Zwei Hasen brachten ihn zum Kräuterdachs.

Sein Hirn war ganz verstört und weich wie Wachs.

Noch sterbend rief er (denn er starb dort) sein

Ka-em-zwei-ein, Ka-em-Ka-em-zwei-ein …

Geiß und Schleiche

Die Schleiche singt ihr Nachtgebet,

die Waldgeiß staunend vor ihr steht.

Die Waldgeiß schüttelt ihren Bart,

wie ein Magister hochgelahrt.

Sie weiß nicht, was die Schleiche singt,

sie hört nur, daß es lieblich klingt.

Die Schleiche fällt in Schlaf alsbald.

Die Geiß geht sinnend durch den Wald.

Der Purzelbaum

Ein Purzelbaum trat vor mich hin

und sagte: »Du nur siehst mich

und weißt, was für ein Baum ich bin:

Ich schieße nicht, man schießt mich.

Und trag’ ich Frucht? Ich glaube kaum;

auch bin ich nicht verwurzelt.

Ich bin nur noch ein Purzeltraum,

sobald ich hingepurzelt.«

»Jenun«, so sprach ich, »bester Schatz,

du bist doch klug und siehst uns; –

nun, auch für uns besteht der Satz:

wir schießen nicht, es schießt uns.

Auch Wurzeln treibt man nicht so bald,

und Früchte nun erst recht nicht.

Geh heim in deinen Purzelwald,

und lästre dein Geschlecht nicht.«

Die zwei Wurzeln

Zwei Tannenwurzeln groß und alt

unterhalten sich im Wald.

Was droben in den Wipfeln rauscht,

das wird hier unten ausgetauscht.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei

und strickt wohl Strümpfe für die zwei.

Die eine sagt: knig. Die andre sagt: knag.

Das ist genug für einen Tag.

Schlachtgesang

Den Kinnback ab,

den Kinnback ab!

Der Laie leihe sich dem Trab,

zum Teufel er sich hinpack’

vorm Kinnback!

Das Kniebein ab,

das Kniebein ab!

Der Laie leihe sich dem Trab,

sonst trägt ihm einen Hieb ein

das Kniebein.

Der Kinnback und das Kniebein,

die flößen keine Lieb’ ein.

Hoiotoho hui hui hui

heulalaweia!

Wer denn?

»Ich gehe tausend Jahre

um einen kleinen Teich,

und jedes meiner Haare

bleibt sich im Wesen gleich,

im Wesen wie im Guten,

das ist doch alles eins,

so mag uns Gott behuten

in dieser Welt des Scheins!«

Der Nachtschelm und das Siebenschwein oder Eine glückliche Ehe

Der Nachtschelm und das Siebenschwein,

die gingen eine Ehe ein,

o wehe!

Sie hatten dreizehn Kinder, und

davon war eins der Schluchtenhund,

zwei andre waren Rehe.

Das vierte war die Rabenmaus,

das fünfte war ein Schneck samt Haus,

o Wunder!

Das sechste war ein Käuzelein,

das siebte war ein Siebenschwein

und lebte in Burgunder.

Acht war ein Gürteltier nebst Gurt,

neun starb sofort nach der Geburt,

o wehe!

Von zehn bis dreizehn ist nicht klar; –

doch wie dem auch gewesen war,

es war eine glückliche Ehe!

Der Walfafisch oder Das Überwasser

Das Wasser rinnt, das Wasser spinnt,

bis es die ganze Welt gewinnt.

Das Dorf ersäuft,

die Eule läuft,

und auf der Eiche sitzt ein Kind.

Dem Kind sind schon die Beinchen naß,

es ruft: das Wass, das Wass, das Wass!

Der Walfisch weint

und sagt, mir scheint,

es regnet ohne Unterlaß.

Das Wasser rann mit zasch und zisch,

die Erde ward zum Wassertisch.

Und Kind und Eul’,

o greul, o greul –

sie frissifraß der Walfafisch.

Der Igel

Ein Igel
saß pyramidalisch
auf einem Hügel.
(*)
— • —
Er fühlte sich
– wie sag’ ich’s ungeziert –
normal vokalisch
untergrundfundiert.

(*)

Lies: Strich, Punkt, Strich.

(Galgenschule. Verf. unbek.)

Die beiden Esel

Ein finstrer Esel sprach einmal

zu seinem ehlichen Gemahl:

»Ich bin so dumm, du bist so dumm,

wir wollen sterben gehen, kumm!«

Doch wie es kommt so öfter eben:

Die beiden blieben fröhlich leben.

Das Fest des Wüstlings

Was stört so schrill die stille Nacht?

Was sprüht der Lichter Lüstrepracht?

Das ist das Fest des Wüstlings!

Was huscht und hascht und weint und lacht?

Was cymbelt gell? was flüstert sacht?

Das ist das Fest des Wüstlings!

Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!

Die Tugend stirbt, das Laster lacht!

Das ist das Fest des Wüstlings!

(Zu flüstern)

Die Schildkrökröte

»Ich bin eintausend Jahre alt

und werde täglich älter;

der Gotenkönig Theobald

erzog mich im Behälter.

Seitdem ist mancherlei geschehn,

doch weiß ich nichts davon;

zur Zeit, da läßt für Geld mich sehn

ein Kaufmann zu Heilbronn.

Ich kenne nicht des Todes Bild

und nicht des Sterbens Nöte:

Ich bin die Schild- ich bin die Schild-

ich bin die Schild – krö – kröte.«

Der Steinochs

Der Steinochs schüttelt stumm sein Haupt,

daß jeder seine Kraft ihm glaubt.

Er spießt dich plötzlich auf sein Horn

und bohrt von hinten dich bis vorn.

Weh!

Der Steinochs lebt von Berg zu Berg,

vor ihm wird, was da wandelt, Zwerg.

Er nährt sich meist – und das ist neu –

von menschlicher Gehirne Heu.

Weh!

Der Steinochs ist kein Tier, das stirbt,

dieweil sein Fleisch niemals verdirbt.

Denn wir sind Staub, doch er ist Stein!

Du möchtest wohl auch Steinochs sein?

He?

Das Wasser

(Dem Dichter Franz Servaes)

Ohne Wort, ohne Wort

rinnt das Wasser immerfort;

andernfalls, andernfalls

spräch’ es doch nichts andres als:

Bier und Brot, Lieb und Treu, –

und das wäre auch nicht neu.

Dieses zeigt, dieses zeigt,

daß das Wasser besser schweigt.

Die Lampe

Es steht eine Lampe am weiten Meer.

Wo kommt denn die Lampe, die Lampe her?

Sie trägt ein Reformhemd aus grünem Tang

und steht auf der Insel Fragnichtlang.

Die Lampe, die Lampe, die Lampe, weh,

sie kommt aus der Werweißwosisee!

Da liegt ein Schiff ganz unten kaputt,

und aus seinen Fenstern schaun Molch und Butt.

Die Wellen, die Wellen, die haben sie geschwemmt:

Jetzt träumt sie, den Fuß auf die Küste gestemmt,

in ihrem Reformkleid aus grünem Tang …

Und im Hintergrund, da liegt – Fragnichtlang.

Klabautermann

Klabautermann,

Klabauterfrau,

Klabauterkind

im Schiffe sind.

Die Küchenfei

erblickt die drei.

Sie schreit: »O Graus,

das Stück ist aus!«

Den Pudel Pax –

den Kaufmann Sachs –

sie alle frißt

der Meerschoßdachs.

Klabautermann,

Klabauterfrau

Klabauterkind

wo anders sind.

Die Luft

(Herrn Dr. Lärmschutz-Lessing)

Die Luft war einst dem Sterben nah.

»Hilf mir, mein himmlischer Papa«,

so rief sie mit sehr trübem Blick,

»ich werde dumm, ich werde dick;

du weißt ja sonst für alles Rat –

schick mich auf Reisen, in ein Bad,

auch saure Milch wird gern empfohlen; –

wenn nicht – laß ich den Teufel holen!«

Der Herr, sich scheuend vor Blamage,

erfand für sie die – Tonmassage.

Es gibt seitdem die Welt, die – schreit.

Wobei die Luft famos gedeiht.

Der Hecht

Ein Hecht, vom heiligen Anton

bekehrt, beschloß, samt Frau und Sohn,

am vegetarischen Gedanken

moralisch sich emporzuranken.

Er aß seit jenem nur noch dies:

Seegras, Seerose und Seegries.

Doch Gries, Gras, Rose floß, o Graus,

entsetzlich wieder hinten aus.

Der ganze Teich ward angesteckt.

Fünfhundert Fische sind verreckt.

Doch Sankt Anton, gerufen eilig,

sprach nichts als: Heilig! heilig! heilig!

Tapetenblume

»Tapetenblume bin ich fein,

kehr’ wieder ohne Ende,

doch statt im Mai’n und Mondenschein,

auf jeder der vier Wände.

Du siehst mich nimmerdar genung,

so weit du blickst im Stübchen,

und folgst du mir per Rösselsprung –

wirst du verrückt, mein Liebchen.«

PALMSTRÖM

Palmström

Palmström steht an einem Teiche

und entfaltet groß ein rotes Taschentuch:

Auf dem Tuch ist eine Eiche

dargestellt, sowie ein Mensch mit einem Buch.

Palmström wagt nicht sich hineinzuschneuzen, –

er gehört zu jenen Käuzen,

die oft unvermittelt-nackt

Ehrfurcht vor dem Schönen packt.

Zärtlich faltet er zusammen,

was er eben erst entbreitet.

Und kein Fühlender wird ihn verdammen,

weil er ungeschneuzt entschreitet.

Das Böhmische Dorf

Palmström reist, mit einem Herrn v. Korf,

in ein sogenanntes Böhmisches Dorf.

Unverständlich bleibt ihm alles dort,

von dem ersten bis zum letzten Wort.

Auch v. Korf (der nur des Reimes wegen

ihn begleitet) ist um Rat verlegen.

Doch just dieses macht ihn blaß vor Glück.

Tiefentzückt kehrt unser Freund zurück.