cover.jpg

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Report

Leserkontaktseite

Kommentar

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

 

Nr. 2780

 

Haluts Weg

 

Die Gruppe Sorgfalt wird aktiv – eine Ordische Stele löst einen Konflikt aus

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

img2.jpg

 

Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.

Die beiden Atopischen Richter der Milchstraße können allerdings auf ein Heer an Helfern zurückgreifen. Ihr militärisch-exekutiver Arm sind die Onryonen, die es verstehen, die Ordo durchzusetzen. Ein militärisches Hilfsmittel dazu sind Linearraumtorpedos, ein politisches die Aufteilung der Galaxis in Sektoren, und ein weiteres die Ordischen Stelen, die zur Rechtsprechung eingesetzt werden und das Vertrauen in die Atopische Ordo stärken sollen.

Von den Milchstraßenvölkern haben sich die Tefroder eindeutig für die Atopen ausgesprochen, während andere noch zurückhaltend sind oder sogar offene Ablehnung zeigen. Wie es mit einem der mächtigsten Völker der Galaxis weitergeht, zeigt HALUTS WEG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Matos Mashuu und Peliste Vonenc – Die Tefroder wollen die Zukunft mit wahrer Sorgfalt gestalten.

Scertanter – Ein Mehandor hat Pläne mit den Halutern.

Blo Rakane – Auf dem Anwalt Aller lastet schwere Verantwortung.

Shekval Genneryc – Im Gepäck des Onryonen befindet sich eine Ordische Stele.

1.

Pläne und Strategien

 

Die Welt zerfaserte von den Rändern her. Da und dort durchzuckte sie ein Lichtblitz, den Ontar Pak nicht mehr als Signal seines Körpers identifizierte. Er war an jenem Punkt angelangt, an dem sein Gehirn die Wahrnehmungen von Sinnen und Nerven nicht mehr trennen konnte.

Schmerz war Licht. Sprache quälte seine Ohren. Der metallische Geschmack seines Blutes war wohlige Wärme. Und die Welt zerfranste in Webfäden von Raum und Zeit, wölbte sich zu einem Tunnel, der an ihm zerrte und ihn aufsaugen wollte.

Er empfand keinen Schmerz mehr. Auch keine Angst und keine Wut. Keinen Hass. Alles, was blieb, war das Bedauern über seine Fehler, die ihn letztlich zum Verräter hatten werden lassen.

Warum hatte er bloß seinen Ehrgeiz vor die Vorsicht gestellt? Warum war er nicht direkt zu Oc Shozdor gegangen, um ihm seine Beobachtungen mitzuteilen? So dicht war er an die »Gruppe Sorgfalt« gekommen, so nah war er daran gewesen, mehr über deren Struktur oder sogar die Anführer zu erfahren ... und nun war alles verloren, nur weil er seinen Erfolg mit niemandem hatte teilen wollen.

Ein richtiger Agent hätte der Folter widerstanden. Sie wurden darauf trainiert. Ein richtiger Agent wäre wahrscheinlich nicht einmal entdeckt worden, und wenn, hätten seine Vorgesetzten gewusst, bei welchem Einsatz er verschwunden war.

Aber Ontar Pak war noch kein richtiger Agent. Er war ein Frischling und hatte die Chance verspielt, jemals mehr zu werden. Seine vielversprechende Karriere hatte ihren terminalen Abschluss gefunden.

»Pak!«

Er hörte die Laute, ohne ihren Sinn zu begreifen. Etwas schob sich zwischen ihn und den Tunnel. Eine wabernde Amöbe mit rotem Rand, in deren Mitte ein Loch aufklaffte und sich bewegte. Es sah lächerlich aus. Er wollte lachen, aber nur ein Röcheln war zu hören.

»Es tut uns leid, dass das geschehen musste. Aber wir können nicht riskieren, dass die Gläserne Insel sich uns in den Weg stellt. Es gibt zu viele Kräfte, die den Aufstieg des Maghan mit ihrem ständigen Taktieren bremsen. Wir werden sie alle vor vollendete Tatsachen stellen. Wir werden ihm den Weg bereiten, auf dem er voranschreiten und das Neue Tamanium zur beherrschenden Kraft zweier Galaxien machen wird. Wir tun es nicht zu unserem eigenen Ruhm – wenn er uns für unsere Taten bestrafen sollte, soll es so sein. Opfer müssen gebracht werden.«

»Lass ihn, Peliste. Er versteht dich ohnehin nicht mehr.«

Da war noch so eine lustige Amöbe. Diese hatte einen schwarzen Rand. Das fand Pak so traurig, dass Flüssigkeit aus seinen Augen sickerte. Oder war das schon vorher so gewesen? Er wusste es nicht mehr. Etwas hatte wehgetan, sehr weh. Aber jetzt war es vorbei.

Die Amöben störten ihn. Er schloss die Augen, schloss sie aus. Sie und ihre seltsamen Ideen waren nicht mehr wichtig. Wichtig war nur noch, all diese Last endlich hinter sich zu lassen und frei zu sein.

Ontar Pak ergab sich dem Sog.

 

*

 

»Tot.«

Eines nach dem anderen schaltete Peliste Vonenc die Geräte ab, die dazu gedient hatten, den jungen Agenten zu quälen und seinen Zustand zu überwachen.

Matos Mashuu sah, dass ihr die Sache nähergegangen war, als gut war. Er legte eine Hand auf ihre Schulter. »Es war abzusehen und ohnehin nicht zu umgehen. Wir können uns nicht damit belasten, Gefangene zu verstecken.«

»Ich weiß. Aber ... er war Tefor treu. Wir hätten vielleicht versuchen sollen, ihn umzudrehen. Junge Leute begreifen die Größe unserer Visionen schneller als die, die schon in ihren Denkstrukturen eingefahren sind.«

Mashuu machte eine ablehnende Geste. »Das Risiko wäre zu groß gewesen. Bei einem Zivilisten hätten wir es eingehen können, vielleicht auch bei einem Flottenangehörigen – aber nicht bei einem Agenten der Gläsernen Insel. Unter keinen Umständen darf etwas über uns an die Ohren des Maghan dringen. Er könnte sich sonst gezwungen fühlen, uns zu verurteilen, obwohl wir seine Ziele unterstützen. Schaffen wir aber vollendete Tatsachen, kann niemand ihn dafür verurteilen, wenn er daraus Nutzen zieht. Und sobald Vetris-Molaud niemanden mehr wird täuschen müssen, wird die Stunde der Anerkennung und des Ruhms für alle kommen, die ihren Teil beigetragen haben.«

»Hoffen wir es. Ich möchte nicht als Staatsfeindin in die Geschichte eingehen.« Vonenc zog ein Tuch über den misshandelten Körper des toten Agenten. Sie gab zweien der Roboter im Raum einen Wink. »Verstaut ihn in der Versorgungskiste dort drüben und bringt sie in den Kryo-Lagerraum Null-Achtzehn im Lagerkomplex Culuhed-III-4-27. Löscht danach den kompletten Aufenthalt hier aus euren Speichern. Ihr anderen, macht sauber und räumt auf.«

Während die Roboter ihre Befehle befolgten, übermittelte Mashuu die Daten über die Unterbringung der Leiche weiter. Er wusste nicht, wer der Empfänger seiner Nachricht war, aber in den nächsten Stunden würde die Kiste unauffällig aus dem Lagerraum verschwinden. Alles würde so arrangiert werden, dass Ontar Paks Ableben wie ein Unfall aussah. Auf die Strukturen der Gruppe Sorgfalt war Verlass.

Nachdem der Leichnam aus dem Raum gebracht worden war, räumten die Roboter die medizinischen Gerätschaften aus Vonencs Expeditionsschiff fort. Keine Spur davon durfte in dieser Wohnung zurückbleiben. Später würden andere kommen, um die Technologie abzubauen, mit der die Wohnung für die Dauer des Verhörs von der Umwelt abgeschirmt worden war. Mashuu wusste nicht einmal, wo diese Module waren, aber er konnte sich darauf verlassen, dass sie da waren – und dass sie verschwinden würden.

Der Kommandant schlenderte zum Fenster und schaltete es auf transparent. Die fast volle Kugel Tefors beherrschte den Himmel über dem langsam rotierenden Mond Pector. Ihr Licht schimmerte auf den Glassitfronten der hohen Türme im Zentrum von Culuhed III. Darunter versickerte es im Schein der weißblauen Beleuchtungen, die wie ein glitzerndes Spinnennetz die Oberfläche überzogen und zwischen den militärischen Zweckbauten des Flottenstützpunktes keine Nacht zuließen. Ein Fleck bunterer Farben zwischen dem Gebäude, in dem sie sich befanden, und den Komplexen des Hauptquartiers zeigte die Lage eines der vielen Vergnügungsviertel, die den Soldaten die Zeiten zwischen ihren Einsätzen versüßen sollten.

Wie zu jeder Zeit herrschte zwischen den Lagerhäusern und Fabriken dieses Viertels reger Verkehr von automatischen Fahrzeugen und Personengleitern. Niemand ging zu Fuß. Das halb verlassene Bürohochhaus, in dem die Gruppe ihnen einen Raum besorgt hatte, überragte die umgebenden Gebäude und bot daher einen guten Überblick. Außerdem lag es direkt an einer der Straßen, die das Zentrum mit dem Raumhafenring um Culuhed verbanden, auf dem auch seine FALANER und Vonencs SHAPARY standen. Niemand konnte dort einfach anhalten, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und niemandem würden die Transportgleiter auffallen, die sich soeben in den stetigen Strom einreihten.

Blieb noch die unmittelbare Umgebung. Mashuu führte seinen Handorter über die Oberfläche der Scheibe. Er fand keine Spionsonden am Fenster, die Reste der Schallabstrahlung hätten auffangen können. Es gab also keinen Grund zur Beunruhigung.

»Glaubst du, er hat die Wahrheit gesagt?«, fragte Vonenc. »Hatte er wirklich noch nichts an seine Vorgesetzten weitergegeben?«

»Die positronischen Berechnungen waren schon mit hoher Wahrscheinlichkeit zum gleichen Ergebnis gekommen. Es entspricht seinem psychologischen Profil, keine Vermutungen oder Teilergebnisse weiterzugeben. Er war dafür zu ehrgeizig.«

»Gut.« Vonencs Stimme klang angespannt. »Es wäre fatal, wenn gerade jetzt die Aktivitäten unseres Teils der Gruppe behindert würden. Die Pläne der Onryonen bringen uns in Zugzwang. Wir dürfen unseren Verbündeten nicht in die Quere kommen.«

Stumm neigte Mashuu den Kopf zur Seite, ohne den Blick von der Umgebung zu lösen. Erst als die Roboter ihre Arbeit beendet hatten, fragte er: »Wie steht es um deinen Forschungsantrag?«

»Er ist genehmigt. Ich warte nur noch auf die offizielle Bestätigung, dann kann ich zum Zentrumsgebiet aufbrechen. Die Forschungsziele, die sich in der Nähe eines Hyperorkans wie Shorial verfolgen lassen, sind einfach zu wichtig, um sie aufgrund der Gefahren außer Acht zu lassen. Wer als Erster auch solche Gebiete sicher durchfliegen kann, hat einen unschätzbaren militärischen Vorteil gewonnen. Der Durchflug zum Vengil-Trio wäre kein Problem mehr, und auch einige andere könnten sich nicht mehr hinter ihren Hypersturmriffen verstecken.«

Mashuu verdunkelte das Fenster wieder und wandte sich ihr zu. »Eine gute Argumentation. Es wird also Zeit, sich auf die Abreise vorzubereiten.«

»Ich denke, für ein Essen im Offizierscasino reicht es noch, bevor ich zur SHAPARY zurück muss.«

Der Kommandant nickte. »Einverstanden.«

Die beiden Flottenoffiziere folgten den Transportrobotern aus der Wohnung. Keine Spur ihrer Anwesenheit oder vom Ende eines Lebens war zurückgeblieben.

2.

Sturmdrang

 

In der Zentrale der SCERVEN XX griff der Patriarch tief in das reichhaltige Fluchrepertoire der Mehandor. Breitbeinig und mit in die Seiten gestemmten Fäusten stand Scervost vor dem abgeschalteten Kommunikationsholo und machte aus seinem Unmut keinen Hehl.

Interessiert lauschte der Mann, der gerade die Zentrale betreten hatte, eine Weile den plastischen Ausdrücken, ehe er sich mit einem Räuspern bemerkbar machte.

Scervost fuhr herum, blinzelte und breitete die Arme aus. »Scertanter! Du kommst mir gerade recht. Hast du das gehört? Diese pechsuhlenden Bastarde räudiger Maltitenkühe wagen es, der freien Sippe Scerven Vorschriften machen zu wollen!«

Scervosts drei Bartspitzen, nach neuester Mode sorgfältig auf abstehenden Kurs getrimmt, zitterten unter seiner Empörung. Wäre sein Kopfhaar nicht – ebenfalls gemäß der neuesten Mode – fingerkurz geschnitten gewesen, hätte er es sich sicher gerauft. Allerdings war der Gemütszustand des Mehandor auch mühelos daran zu erkennen, dass die Farbe seines Kopfes der seines flammend roten Haares gefährlich nahekam.

»Wer?«, fragte Scertanter.

»Wer wohl! Diese galaktischen Wegelagerer, die sich neuerdings an allen gängigen Leuchtfeuern und Orientierungspunkten breitmachen! Die Onryonen!«

Scertanter hob die buschigen Augenbrauen. »Onryonen? Was wollen die hier?«

»Mein Schiff inspizieren! Von der Zentrale bis zur letzten Ladeluke! Eine unerhörte Frechheit! Wir sind freischaffende Mehandor und keinem Gesetz unterstellt außer dem unserer Sippe. Na ja, und den Einfuhr- und Handelsgesetzen der Sektoren, die wir bereisen. Meistens. Aber nicht den Regeln dieser ...«

Die folgende Beschimpfung war selbst Scertanter neu, und er hatte schon einiges gehört. Geduldig hörte er zu, bis der Ausbruch abgeklungen war, um dann zu fragen: »Und?«

Für einen Moment blieb dem Patriarchen die Luft weg. »Und? Was heißt hier ›und‹? Hast du nicht zugehört? Da stehen zwei von ihren Raumvätern im Raum, über zweitausend Meter große Kugeln, und bedrohen meine kleine Sechshundertmeterwalze mit ihren Waffen! Wenn ich sie nicht an Bord lasse, schießen sie uns entweder auf der Stelle zu Klump oder jagen uns einen Linearraumtorpedo auf den Hals, sobald wir den Abflug versuchen. Im Linearraum schützt kein bekannter Schirm, sie haben damit schon ganze Flotten vernichtet!«

»Ist mir alles bekannt. Und? Wir lassen sie rein, sie sehen, was sie sehen sollen, und sie gehen wieder. Ende der Geschichte. Seit wann haben Mehandor Probleme mit Inspektionen? Wenn du bei jedem Zollinspektor solch ein Theater machen würdest, hätte dein Blutdruck dich längst umgebracht, und deine Frauen, Kinder und Enkel müssten dir nachweinen.«

Scervost schnaubte. »Als ob die undankbare Bande auch nur eine Träne um mich vergießen würde. Aber wohl wahr ... wir machen es einfach wie immer. Scertanter, du bist ein Mann nach meinem Geschmack. Ich habe zwar schon wieder vergessen, um wie viele Ecken du noch mal mit mir verwandt bist, aber du bist unserer Sippe eine Zier.«

Der Patriarch grinste breit, klatschte in die Hände und brüllte: »Hoch, ihr faulen Säcke! Ihr habt doch gehört was mein Lieblingsneffe gesagt hat, warum sitzt ihr hier noch rum?«

 

*

 

Gommer Zozzec zog seinen Patronitanzug straff. Es mochte nicht die Art Einsatz sein, die er sich erträumte. Trotzdem war es wichtig, auf korrektes Auftreten zu achten. Die Onryonen vertraten das Atopische Tribunal. Es lag an ihm als Offizier der ETREKO, allen Durchreisenden klarzumachen, wie sinnlos es war, sich gegen die Raumhoheit der Atopischen Ordo zu stellen. Die Völker und Raumfahrer mussten auf ihre Zukunft vorbereitet werden, damit es später einen reibungslosen Übergang gab.

Die Ahnung eines herben Duftes berührte seine Nase. Er drehte den Kopf gerade weit genug, um aus dem Augenwinkel Pirrik Nawiku zu betrachten. Ihr Gesicht und ihr Emot waren ausdruckslos, aber er wusste, dass der Geruch der schwachen Mahnung von ihr kam. Sie schätzte seine Vorgehensweise nicht.

Zozzec wäre sie gerne losgeworden, aber Nawiku hatte fast doppelt so viele Dienstjahre vorzuweisen wie er. Auch wenn sie nie nach einem höheren Rang gestrebt hatte, konnte man sie nicht so leicht herumschieben wie einen frischen Rekruten. Er würde sie und ihre aufdringlichen Gerüche ertragen müssen, bis sie ihm einen eindeutigen Anlass gab, beim Kommandanten ihre Versetzung oder Degradierung zu fordern.

»Achtung! Schleusentür wird geöffnet.«

Zozzec rückte die Schutzbrille zurecht und richtete seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn. Die Mehandor hatten die Fähre in den luftlosen Nullschwerkraft-Großraumhangar ihres Schiffes einfliegen lassen, weil angeblich alle anderen Hangars voll besetzt waren. Zozzec war es recht; so wurde wenigstens ein Luftaustausch der Fähre mit dem Schiff vermieden. Schon der erste Spalt in der Schleusenöffnung ließ erwartungsgemäß Gerüche eindringen, die jede feine Gefühlsausdünstung überdeckten. Der Kommandoleiter rümpfte die Nase.

»Stinkendes Pack!«, murmelte er. Es interessierte ihn nicht sonderlich, dass die Leute auf der anderen Seite der Schleuse ihn vermutlich hören konnten. Sollten sie ruhig wissen, welche Unhöflichkeit sie begingen. Er kam ihnen so weit entgegen, eine Brille zu tragen, anstatt zu verlangen, dass die künstliche Beleuchtung der Walze zumindest auf die Beleuchtungsstärke der Anuupi reduziert wurde. Sie dagegen brachten nicht einmal die simple Höflichkeit auf, ihre Klimatisierung so weit zu aktivieren, dass die Luft geruchsneutral war.

Aus dieser Tatsache und allem, was er über die auch »Springer« genannten Mehandor gehört hatte, schloss er bereits, dass ihn keine leichte Aufgabe erwartete. Als die Schleuse ganz offen stand, wusste er, dass es sogar noch schlimmer war.

Entgegen seiner Erwartung, einer Handvoll verstockter Händler gegenüber zu stehen, erwartete ihn einfach – niemand. Das hieß, niemand außer einer Schar Kinder, die johlend durch den Gang jagte und den Fremden bei ihrem Spiel nicht einmal einen Blick schenkte. Hinter ihnen her stapfte eine schimpfende Frau mit einem greinenden Säugling auf dem Arm.

Hastig trat Zozzec ihr in den Weg. »Ich verlange, den Kommandanten dieses Schiffes zu sprechen!«

Die Frau musterte ihn von oben bis unten und schaukelte ihren Säugling. »Das verlange ich auch ab und an. Leider schert ihn das meistens wenig, und du hast nicht mal die Argumente, über die ich verfüge. Aber wenn du trotzdem dein Glück versuchen willst – da drüben ist ein Interkom.«

Sie machte eine Kopfbewegung zu dem besagten Apparat, trat um Zozzec herum und nahm die Verfolgung der Kinder wieder auf.

Der Kommandoleiter warf einen Blick zurück zu seiner Gruppe aus Onryonen und Robotern, die noch immer in der Schleuse standen. Nawikus Emot war nach wie vor ohne Ausdruck. Bei den anderen las er eine ähnliche Entrüstung über die Unverfrorenheit dieser Leute, wie er selbst sie verspürte. Aber er war sicher, ganz kurz auch über den Gestank des Schiffes hinweg den zitronig-scharfen Geruch aufgefangen zu haben, der eine Komponente von Belustigung war. Irgendwann würde er Nawiku für ihre Respektlosigkeit drankriegen.

»Reinkommen und Schleuse schließen! Sichert den Gang! Keiner passiert diesen Punkt!«

Während Soldaten und Roboter Stellung bezogen, aktivierte er den Interkom. »Hier spricht Kommandoleiter Gommer Zozzec vom Raumvater ETREKO. Ich verlange, den Kommandanten dieses Schiffes zu sprechen.«

»Augenblick«, antwortete eine gelangweilte Frauenstimme. »Ich glaube, er schraubt grad an einem Triebwerk rum. Irgendwann fliegt uns diese Schrottkiste noch im vollen Flug um die Ohren, auch ganz ohne eure Torpedos.«

Zozzecs Emot zuckte. »Die Scans haben ein völlig intaktes Schiff gezeigt.«

»Ah ja? Ist dir vielleicht dieses Ding da draußen aufgefallen, das seine Ausläufer bis in ein paar Tausend Kilometer Abstand schickt? Das ist ein Hyperorkan, und der macht selbst in seinen ruhigen Fleckchen von nur 65 oder 70 Meg ne Menge Aua, wenn nicht alles mehr als nur intakt ist. Kann jeden Moment passieren, dass wir den auch hier zu spüren bekommen.

Glaub mir, Junge, ich weiß, wovon ich rede. Bin schon eine Weile auf diesem Kahn unterwegs, und will nach meinen Kindern auch meine Enkel noch sicher durch den Sternenraum schippern. Also jag ich meinen Großneffen da runter, wann immer irgendwas nicht hundertprozentig so vibriert, wie es sein soll. Moment, er kommt in die Leitung.«

Das Holo leuchtete auf und zeigte ein grobschlächtiges bleiches Gesicht mit dichtem, in drei Richtungen abstehendem Haar um das Kinn. Der Mund des Mannes verzog sich zu etwas, das wohl ein freundliches Lächeln sein sollte. »Ah, Kommandoleiter, du bist schon da! Ich war so beschäftigt, da habe ich glatt die Zeit vergessen. Aber hiermit heiße ich, Scervost, dich und deine Leute willkommen. Fühl dich wie zu Hause auf meinem Schiff.«

»Spar dir deine Floskeln«, antwortete Zozzec scharf. »Mir ist klar, dass du Verzögerungstaktik betreibst. Das heißt, dass du etwas zu verbergen hast! Du wirst sofort Anweisung geben, dass alle Bewohner ihre Kabinen oder Stationen aufsuchen und dort bleiben, bis die Inspektion beendet ist. Außerdem übermittelst du mir sofort die Ladeliste und alle Pläne dieses Schiffes. Sei versichert, dass wir sämtliche Abweichungen von der Realität bemerken werden. In deinem eigenen Interesse solltest du dafür sorgen, dass alles schnell abläuft. Laut unseren Messungen breitet ein Ausläufer Shorials sich in diese Richtung aus.«

Scervost zupfte an seinem Kinnhaar. »Mein lieber Zozzec, dir scheint nicht klar zu sein, wie das Leben in einer Mehandor-Walze abläuft. Das hier ist kein Militärschiff und auch kein Handelskreuzer eines Ligakonzerns. Wir leben auf unseren Schiffen. Das heißt, irgendwo ist immer was in Bewegung, das ist gar nicht zu verhindern. Hast du schon einmal versucht, in einer Stadt am helllichten Tag eine unangekündigte Ausgangssperre durchzusetzen? Meine Sippe wird mir aufs Dach steigen, wenn ich das versuche.«

»Hast du nicht einmal so viel Einfluss, die Leute für die Dauer einer Inspektion unter Kontrolle zu halten? Was für eine Art Kommandant bist du?«

»Ein guter, hoffe ich. Wenn nicht, werden sie mich vermutlich bald abwählen.«

Zozzec hieb mit einer Faust gegen die Wand neben dem Interkom. »Es ist mir gleich, wie eure Sitten sind. Ich habe meine Anweisungen, und ich werde sie notfalls mit Gewalt durchsetzen. Halt uns deine Leute aus dem Weg, und ihnen wird nichts passieren. Andernfalls übernehme ich keine Gewähr.«

Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Mehandor. »Ihr würdet ernsthaft auf unsere Kinder schießen?«

»Nicht, solange ihr sie in ihren Zimmern haltet. Je besser ihr kooperiert, umso schneller ist das hier erledigt, und ihr könnt euch wieder so aufführen, wie ihr wollt.« Zozzec öffnete seine Hand. Er spürte die Delle, die sein Schlag dank der Kraftverstärkung des Anzugs im Metall hinterlassen hatte. Der Gedanke, ein bleibendes Zeichen gesetzt zu haben, gefiel ihm.

Der Mehandor-Kommandant strich über das mittlere Kinnhaar. »Also gut, Kinder, ihr habt ihn gehört«, rief er schließlich. »Benehmt euch anständig, während der liebe Onryonen-Onkel unsere hübsche SCERVEN XX besichtigt. Tante Larima, überspiel ihm die Ladeliste und die Deckpläne. Soll keiner sagen, wir wären keine zuvorkommenden Gastgeber.«

Ehe Zozzec noch etwas sagen konnte, war das Holo erloschen. Stattdessen erklang wieder die Frauenstimme.

»Klink dein Datenmodul am Interkom ein, Schätzchen. Hier kommt die Post!«

 

*

 

Als die Tür zum Hangarraum aufglitt, prallte Zozzec angewidert zurück. Er deutete auf die beiden haarumzausten Männer und die Frau, die mitten im Raum auf Kisten hockten.

»Sofort aufhören!«, forderte er. »Legt das Essen beiseite!«

Verwundert sahen die drei Mehandor zu ihm auf. Der kleinere der Männer zog eben in Übelkeit erregender Langsamkeit mit den Zähnen ein Fleischstück von einem Spieß. Der andere legte kauend ein tropfendes Konglomerat von irgendwelchen soßengetränkten Scheiben verschiedener Zusammensetzung beiseite und hob die Hände.

»Kein Problem, Onryone«, sagte er mit halb vollem Mund. »Wir machen hier nur Pause. Da wir bleiben sollten, wo wir sind, konnten wir ja schlecht in die Messe gehen.«

»Legt das einfach weg und geht da rüber. Wir werden jetzt den Raum durchsuchen und dulden dabei keine solche abstoßende Zurschaustellung, wie ihr sie bei der Nahrungsaufnahme betreibt.«

Murrend befolgten die Mehandor die Anweisung, wobei die Frau noch einmal hastig in eine Frucht biss, bevor sie sie auf eine Kiste legte. Betont genussvoll leckte sie den Saft von ihren Lippen. Zozzec drehte sich fast der Magen um.

Während ein Roboter die Mehandor zur Seite begleitete und dort unter Kontrolle behielt, winkte der Anführer Nawiku zu sich und deutete auf die Kisten. »Beseitige die Rückstände und untersuche diese Kisten besonders sorgfältig. Sie haben ihr Essen womöglich nur deshalb darauf abgelegt, weil sie dachten, wir würden uns davor ekeln.«

Nawiku legte eine Hand bestätigend an die Brust und machte sich an die Aufgabe. Die anderen Rudelmitglieder teilte Zozzec für verschiedene Abschnitte des Lagerraums ein, wo sie sofort jeden einzelnen Behälter öffneten und den Inhalt genau inspizierten. Er selbst schritt mit einem Ortungsgerät die Wände ab. Jedes Mal, wenn er einen Hohlraum anmaß, blieb er stehen und verglich die Daten sorgfältig mit den Unterlagen. So weit stimmte alles überein.

Als er gerade mit der letzten Wand begann, räusperte sich der kleinere Springer und zwirbelte seine Bartspitzen. »Sagt mal, wonach sucht ihr eigentlich?«, fragte er. »Ich meine – seid ihr jetzt auch noch eine Art Drogenpolizei oder so?«

»Das geht euch nichts an«, antwortete Zozzec. »Sollten wir etwas finden, werdet ihr es früh genug erfahren.«

»Aha.« Der Mann trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Mal ehrlich – geht das noch lange? Mir hängt der Magen in den Kniekehlen, ich muss dringend weiteressen. Ich könnte ja rausgehen ...«

»Das kommt nicht infrage. Ihr bleibt hier, bis wir fertig sind. Nawiku, Hattrok –