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Konzepte, Methoden und Praxis der Klinischen Psychiatrie

 

Begründet von:

Wolfgang Gaebel

Franz Müller-Spahn (†)

Herausgegeben von:

Wolfgang Gaebel

Peter Falkai

Wulf Rössler

 

Übersicht über die bereits erschienenen Bände:

•  Stefan Weinmann:

    »Evidenzbasierte Psychiatrie«

•  Rolf-Dieter Stieglitz:

    »Diagnostik und Klassifikation in der Psychiatrie«

•  Thomas Becker/Holger Hoffmann/Bernd Puschner/Stefan Weinmann:

    »Versorgungsmodelle in Psychiatrie und Psychotherapie«

•  Hans Joachim Salize/Reinhold Kilian:

    »Gesundheitsökonomie in der Psychiatrie«

•  Tillmann Supprian:

    »Frühdiagnostik von Demenzerkrankungen«

•  Werner Strik/Thomas Dierks:

    »Biologische Psychopathologie«

•  Sabine C. Herpertz/Knut Schnell/Peter Falkai (Hrsg.):

    »Psychotherapie in der Psychiatrie«

•  Wulf Rössler/Birgit Matter (Hrsg.):

    »Kunst- und Ausdruckstherapien«

•  Oliver Gruber/Peter Falkai (Hrsg.):

    »Systemische Neurowissenschaften in der Psychiatrie«

•  Jens Kuhn/Wolfgang Gaebel (Hrsg.):

    »Therapeutische Stimulationsverfahren für psychiatrische Erkrankungen«

•  Wulf Rössler/Vladeta Ajdacic-Gross (Hrsg.):

    »Prävention psychischer Störungen«

Wulf Rössler

Vladeta Ajdacic-Gross (Hrsg.)

Prävention psychischer Störungen

Konzepte und Umsetzungen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

 

1. Auflage 2015

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021986-1

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-026771-8

epub:    ISBN 978-3-17-026772-5

mobi:    ISBN 978-3-17-026773-2

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Inhalt

 

 

  1. Verzeichnis der Herausgeber und Autoren
  2. Vorwort
  3. 1 Einführung
  4. 1.1 Stand der Prävention psychischer Störungen
  5. Vladeta Ajdacic-Gross und Wulf Rössler
  6. 1.2 Prävention und das Stigma psychischer Erkrankungen
  7. Nicolas Rüsch
  8. 1.3 Wirkungsvermögen, Effektivität und Effizienz in der Prävention psychischer Störungen
  9. Bernd Röhrle
  10. 1.4 Die Förderung seelischer Gesundheit
  11. Hartmut Berger
  12. 2 Prävention psychischer Störungen entlang des Lebenslaufs
  13. 2.1 Risikofaktoren in der prä-, peri- und postnatalen Entwicklung
  14. Margarete Bolten
  15. 2.2 Prävention von Entwicklungs- und Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter am Beispiel von Angst- und Zwangsstörungen
  16. Siebke Melfsen und Susanne Walitza
  17. 2.3 Prävention psychischer Störungen in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter
  18. Michael Kaess und Franz Resch
  19. 2.4 Prävention psychischer Störungen im Erwachsenenalter
  20. Katarina Stengler und Steffi G. Riedel-Heller
  21. 2.5 Prävention psychischer Störungen im Alter
  22. Gabriela Stoppe
  23. 3 Prävention einzelner psychischer Störungen: Besonderheiten
  24. 3.1 Psychosen
  25. Frauke Schultze-Lutter, Chantal Michel und Benno G. Schimmelmann
  26. 3.2 Affektive Störungen
  27. Patrick Pössel
  28. 3.3 Angststörungen
  29. Roselind Lieb und Cornelia Witthauer
  30. 4 Prävention von verhaltensspezifischen Störungen
  31. 4.1 Schlafstörungen
  32. Thomas C. Wetter und Tatjana Crönlein
  33. 4.2 Prävention von Essstörungen
  34. Dagmar Pauli
  35. 4.3 Tabakprävention: Was können wir hieraus für die Suchtprävention insgesamt lernen?
  36. Jochen Mutschler, Kenneth Dürsteler-MacFarland und Marcus Herdener
  37. 4.4 Suizid
  38. Manfred Wolfersdorf
  39. 4.5 Aggressives Verhalten im Kindes- und Jugendalter
  40. Herbert Scheithauer
  41. 5 Zukunftsperspektiven
  42. Vladeta Ajdacic-Gross
  43. Stichwortverzeichnis

Verzeichnis der Herausgeber und Autoren

 

 

Herausgeber

Vladeta Ajdacic-Gross

PD Dr. phil.

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Militärstraße 8 / PF 1930

8021 Zürich

Schweiz

Wulf Rössler

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych.

Universität Zürich

Leuphana Universität Lüneburg

Universität São Paulo

Militärstraße 8

Postfach 1930

8021 Zürich

Schweiz

Autoren

Hartmut Berger

Prof. Dr. med.

Ärztlicher Direktor

Vitos Philippshospital Riedstadt

Postfach 1362

64550 Riedstadt

Deutschland

Margarete Bolten

Prof. Dr.

Università Cattolica del Sacro Cuore

Faculty of Psychology

Via Legnano 28

20121 Milano

Italien

Tatjana Crönlein

Dr. phil.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum

Schlafmedizinisches Zentrum

Universitätsstraße 84

93053 Regensburg

Deutschland

Kenneth Dürsteler-MacFarland

Dr. med.

Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel

Wilhelm Klein-Straße 27

4012 Basel

Schweiz

Marcus Herdener

Dr. med.

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik

Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen

Selnaustraße 9

8001 Zürich

Schweiz

Michael Kaess

Dr. med.

Zentrum für Psychosoziale Medizin der Universitätsklinik Heidelberg

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Blumenstraße 8

69115 Heidelberg

Deutschland

Roselind Lieb

Prof. Dr. phil.

Fakultät für Psychologie

Universität Basel

Missionsstraße 62A

4055 Basel

Schweiz

Siebke Melfsen

PD Dr. phil.

Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst

Universität Zürich

Neumünsterallee 3

8032 Zürich

Schweiz

Chantal Michel

MSc

Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Universität Bern

Bolligenstraße 111

3000 Bern 60

Schweiz

Jochen Mutschler

PD Dr. med.

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Klinik für Psychiatrie,

Psychotherapie und Psychosomatik

Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen

Selnaustraße 9

8001 Zürich

Schweiz

Dagmar Pauli

Dr. med

Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst

Universität Zürich

Stv. Ärztliche Direktorin

Neumünsterallee 3

8032 Zürich

Schweiz

Patrick Pössel

Prof. Dr. rer. soc.

Woodford and Harriett Porter Building

College of Education and Human Development

1905 South 1st Street

Louisville, KY 40292

USA

Franz Resch

Prof. Dr. med. univ.

Zentrum für Psychosoziale Medizin der Universitätsklinik Heidelberg

Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Blumenstraße 8

69115 Heidelberg

Deutschland

Steffi G. Riedel-Heller

Prof. Dr. med.

Institut für Sozialmedizin,

Arbeitsmedizin und Public Health

Universität Leipzig

Medizinische Fakultät

Philipp-Rosenthal-Straße 55

04103 Leipzig

Deutschland

Bernd Röhrle

Prof. Dr. rer. soc., em.

Universität Marburg

FB 04

Gutenbergstraße 18

35032 Marburg

Deutschland

Nicolas Rüsch

Prof. Dr. med.

Sektion Public Mental Health

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II

Universität Ulm und Bezirkskrankenhaus Günzburg

Parkstraße 11

89073 Ulm

Deutschland

Herbert Scheithauer

Prof. Dr. phil.

Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie

Wissenschaftsbereich Psychologie, Pf 19

Freie Universität Berlin

Habelschwerdter Allee 45

14195 Berlin

Deutschland

Benno G. Schimmelmann

Prof. Dr. med.

Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Universität Bern

Bolligenstraße 111

3000 Bern 60

Schweiz

Frauke Schultze-Lutter

PD Dr. phil.

Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Universität Bern

Bolligenstraße 111

3000 Bern 60

Schweiz

Katarina Stengler

Prof. Dr. med.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Universitätsklinikum Leipzig

Semmelweisstraße 10

04103 Leipzig

Deutschland

Gabriela Stoppe

Prof. Dr. med.

MentAge® Beratung-Praxis-Forschung

Gerbergasse 16

4001 Basel

Schweiz

Susanne Walitza

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych.

Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst

Universität Zürich

Neumünsterallee 9

8032 Zürich

Schweiz

Thomas C. Wetter

Prof. Dr. med.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum

Schlafmedizinisches Zentrum

Universitätsstraße 84

93053 Regensburg

Deutschland

Cornelia Witthauer

MSc

Fakultät für Psychologie

Universität Basel

Missionsstraße 62A

4055 Basel Schweiz

Manfred Wolfersdorf

Prof. Dr. med., Dr. h.c.

Klinik für Psychiatrie

Psychotherapie und Psychosomatik

Bezirkskrankenhaus Bayreuth

Nordring 2

95445 Bayreuth

Deutschland

Vorwort

 

 

Die Aussage »Vorbeugen ist besser als Heilen« gehört mittlerweile zum Kernbestand medizinischen Wissens – präziser gesagt zum Kernbestand medizinisch-somatischen Wissens.

Dies gilt so nicht für psychische Erkrankungen. Die Psychiatrie hat sich lange Zeit als Sachwalter von Menschen mit schweren und anhaltenden psychischen Erkrankungen verstanden. Rückfälle verhindern und den solchermaßen betroffenen Menschen mit schwersten psychischen Beeinträchtigungen ein halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen, stand für lange Zeit im Zentrum der psychiatrischen Wissenschaften. Nur sehr zögerlich hat sich die Psychiatrie dem Gedanken der »Vorbeugung« geöffnet, z. B. im Rahmen der Früherkennung und -behandlung von schizophrenen Psychosen.

Es war nun unser Ziel, eine Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Wissens zur Prävention psychischer Erkrankungen zu machen. Es ist erstaunlich, welcher Wissensbestand zur Prävention psychischer Erkrankungen vorhanden und wie wenig davon bislang in die Versorgungspraxis eingeflossen ist.

Psychische Erkrankungen sind mehrheitlich Erkrankungen des jungen Erwachsenenalters. Viele dieser Erkrankungen neigen zu einem chronischen Verlauf und beeinträchtigen in unterschiedlichem Ausmaß den Lebensvollzug. Die Neurowissenschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zu unserem Verständnis psychischer Erkrankungen beigetragen. Vor allem haben wir auch gelernt, in welchem Ausmaß der menschliche Organismus in Wechselwirkung mit unserer Umwelt steht. Das Gehirn ist ein plastisches Organ, dessen Funktionsfähigkeit wesentlich durch die gemachten Erfahrungen bestimmt wird.

Erfahrungen sind modifizierbar, und zwar von frühester Kindheit an. Vermutlich gibt es keine größere gesellschaftliche Herausforderung, als jungen Menschen eine vertrauensvolle Erfahrungs- und Entwicklungswelt zu ermöglichen. Die Werkzeuge hierfür wären vorhanden, wir müssen sie aber einsetzen. Unsere Interventionsmöglichkeiten beginnen beim Individuum oder richten sich auf Risikopopulationen.

Public Health Maßnahmen sind in der Regel Systemmaßnahmen, die erst einmal nicht auf die einzelne Person gerichtet sind. Zielsetzung ist es, die Zugangsschwelle zu einer risikoreichen Umgebung einzuschränken. Ganz gut gelingt dies bei Suchtmitteln z. B. durch Zugangsbeschränkungen, wie dem Kaufverbot für Alkohol für Jugendliche, dem nicht mehr 24-stündigen Zugang z. B. zu Alkohol an Tankstellen oder freien Zugang zu Zigarettenautomaten, oder auch durch eine Regulierung über den Preis, wie bei Alkohol und Zigaretten. Gut funktioniert dies auch in der Suizidprävention z. B. durch Zugangsbeschränkungen zu sogenannten Hotspots, also beliebte Orte für Suizide, oder für Schusswaffen.

Viele dieser Maßnahmen, die wir unter Verhaltens- oder Verhältnisprävention einordnen, haben eher prohibitiven Charakter und werden entsprechend kontrovers diskutiert. Der »mündige Bürger«, der für sich selbst entscheiden könne, wird in dieser Debatte häufig bemüht. Die Frage, inwieweit wir die Freiheit des Einzelnen zum Nutzen der Allgemeinheit einschränken dürfen, wird uns noch weiter beschäftigen.

Dem Ansatz der Gesundheitserziehung steht die Gesundheitsförderung gegenüber. Die Gesundheitsförderung will nicht nur vor Schaden bewahren, sondern gesundheitsförderliche Lebensweisen unterstützen und dazu beitragen, Widerstandskräfte zu entwickeln. Dies ist ein ehrgeiziges Unterfangen, das wir nicht aus den Augen verlieren sollten, auch wenn dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt. Hierbei überschreiten wir auch die Grenzen einer traditionellen Gesundheitspolitik, wenn Missbrauch, Gewalt, mangelnde Bildung, fehlende soziale Unterstützung und Armut ins Spiel kommen. Menschen, die ihrem Leben einen Sinn geben können, sind auf der Ebene der psychischen Gesundheit jedenfalls deutlich widerstandsfähiger.

Wir wünschen unseren Lesern, dass sie dieses Buch nutzen können, sich selbst ein Urteil über den Stand der heutigen Präventionsansätze im Bereich der psychischen Gesundheit bilden können. Aus Sicht der Herausgeber kann die Präventionsbewegung bei psychischen Erkrankungen mit Selbstbewusstsein in die Zukunft schauen.

 

Wulf Rössler

Vladeta Ajdacic-Gross

1         Einführung

 

 

1.1        Stand der Prävention psychischer Störungen

Vladeta Ajdacic-Gross und Wulf Rössler

Um eine Standortbestimmung der Prävention psychischer Störungen vorzunehmen, bedarf es mehrerer Projektionsebenen:

•  Abgleich mit der Entwicklung der Prävention in der somatischen Medizin,

•  Vorstellung von der Entwicklung von Klassifikationen und grundlegenden Kon-zepten in der Prävention,

•  Bestandsaufnahme entlang dieser Klassifikationen und Konzepte.

Dieser Text bietet zum Einstieg eine kommentierte Auslegeordnung, ohne den Beiträgen in diesem Sammelband vorgreifen zu wollen. Eine brillante Einführung in die Grundbegriffe und -konzepte liegt ebenfalls bereits vor (Junge-Hoffmeister 2009).

1.1.1      Public Health und Public Mental Health – gleicher Name, unterschiedliche Kontinente

Die Entwicklung der Prävention in der Medizin – und allgemeiner der Public Health – ist im Wesentlichen durch eine begrenzte Auswahl von Krankheiten geprägt. Dies waren und sind in erster Linie Infektionskrankheiten, prominent ergänzt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch kardiovaskuläre und Krebserkrankungen mit Ausstrahlung in verschiedene andere Bereiche, wie Gewicht, Bewegung, Nikotinmissbrauch, Missbrauch weiterer Substanzen etc. Es handelt sich einerseits um besonders häufige Erkrankungen, zugleich auch um Erkrankungen mit hohen gesellschaftlichen Kosten – z. B. gemessen an Mortalitätshäufigkeiten oder potenziell verlorenen Lebensjahren. Anderseits handelt es sich um Krankheiten, deren Ätiologie vergleichsweise gut verstanden ist, sei es, weil letztere mäßig komplex ist, sei es, weil sie mit großem Aufwand erforscht wurde. Risikofaktoren und Ätiopathogenese können gezielt angegangen werden.

Von beschränktem Einfluss auf die Entwicklung der Prävention sind hingegen solche Krankheiten geblieben, die mit einem hohen Komplexitätsgrad ausgestattet sind und deren Ätiopathogenese nach wie vor weitgehend unklar ist (Autoimmunerkrankungen, neurologische Erkrankungen). Hierzu zählen nicht zuletzt psychiatrische Erkrankungen. Die Risikofaktoren präsentieren sich in diesem Kontext diffus und polyvalent. Zwar würden sie gerade deswegen eine höhere Hebelwirkung versprechen, dennoch fehlen angemessene Modelle und gesundheitspolitische Ansätze für effektive Präventionsmaßnahmen. Dies, obgleich Autoimmun- ebenso wie psychiatrische Erkrankungen zumeist in jungem Alter beginnen, chronisch verlaufen und zudem hochgradig komorbid sind, d. h. sich für präventive Maßnahmen eigentlich aufdrängen würden.

Die Möglichkeiten und Optionen, über welche die fortgeschrittenen Subdisziplinen der Medizin verfügen, prägen die Diskussion auch in Bezug auf die Public Mental Health. Viele Reibungsverluste, übertriebene Hoffnungen, fehlgeleitete Ressourcen in der Public Mental Health gehen schlicht darauf zurück, dass Ansprüche, Konzepte und Maßstäbe unkritisch aus Domänen der Medizin übernommen werden, die an einem anderen Punkt der Entwicklung stehen.

1.1.2      Klassifikationsansätze zur Prävention

Die Ungleichzeitigkeit des Wandels in der Public Mental Health und – im Vergleich dazu – in unterschiedlichen Bereichen der Public Health lässt sich gut anhand der Phasen präventiver Strategien illustrieren. Karmaus (Karmaus 1982) unterschied diese folgendermaßen:

•  Phase der sozialhygienischen Prävention

•  Phase der Ausrottung »unwerten Lebens«

•  Phase der Impfprogramme

•  Phase »wenn er nur früher zum Arzt gegangen wäre«

•  Phase der Früherkennungsprogramme

•  Phase des Risikofaktorenscreenings

•  Phase der Gesundheitserziehung

Die Prävention psychischer Störungen steckt mit einem Bein noch tief in sozialhygienischen Bemühungen, während das andere Bein Schritte in verschiedene Richtungen versucht. In den mehr als 30 Jahren seit Karmaus’ Phasenunterscheidung hat sich einiges getan. Eine ganze Reihe von punktuellen Präventionsprojekten und -maßnahmen ist entwickelt worden, wovon auch dieser Sammelband zeugt. Die Suizidprävention hat einen eindrücklichen Aufschwung erlebt, trotz der riesigen Verständnislücken, welche die Suizidologie seit mehr als 100 Jahren begleiten. Die Gesundheitserziehung ist durch die Gesundheitsförderung ersetzt/ergänzt worden, daneben durch eine Reihe von sich überlappenden und zugleich konkurrierenden Konzepten der positiven Gesundheit.

Die Fortschritte sind verheißungsvoll, und dennoch bleibt der Weg lang. Davon zeugen indirekt viele Texte, die der Diskussion von Präventionsklassifikationen und weiterer Nebenschauplätze (Partnerschaften, Koordination, Informationsverbreitung, Monitoring, Evaluation etc.) mangels substanzieller Alternativen breiten Raum geben (Generaldirektion Gesundheit & Verbraucherschutz 2004). Dennoch ist es auch an dieser Stelle unverzichtbar, auf die einzelnen Unterscheidungsdimensionen (siehe u. a. Mrazek & Haggerty 1994; Riedel-Heller 2006; Junge-Hoffmeister 2009) einzugehen:

•  Prävention vs. Intervention vs. Postvention: Differenzierung entlang des Verlaufs einer Krankheit oder Störung

•  primäre vs. sekundäre vs. tertiäre Prävention: dito

•  universale vs. selektive vs. indizierte Prävention: Differenzierung entlang der Adressate (nach Risikostatus aufgeschlüsselt); ganze Bevölkerung(-sgruppen)/Zielgruppen mit erhöhtem oder spezifisch definiertem Risiko/Zielgruppen mit vorliegenden Symptomen, Auffälligkeiten o. Ä.

•  system- vs. individuenorientierte Prävention: Gegenüberstellung System, Strukturen, Kontexte vs. Individuen, Gruppen

•  Verhältnis- vs. Verhaltensprävention: dito

•  direkte vs. indirekte Prävention: Differenzierung von Maßnahmen, die sich direkt auf ein Thema oder breit ausrichten

•  Adressate (strukturell aufgeschlüsselt): Population vs. Subgruppen vs. Individuen

•  strukturelle Kontexte: Öffentlichkeit vs. Settings

•  zeitliche Kontexte: ereignisabhängige/-unabhängige Prävention

•  entwicklungsalter- bzw. lebensalterspezifische Prävention

Die ersten drei Unterscheidungen sind besonders wichtig. Hatte die Unterscheidung zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention während der 1980er Jahre noch die Differenzierung von Prä-, Inter- und Postvention abgelöst, ist heute die Aufteilung in universale, selektive und indizierte Prävention das Maß (fast) aller Dinge.

1.1.3      Lücken und Lichtblicke

Anhand der Klassifikationen lassen sich die bisherigen Schwerpunkte der Prävention psychischer Störungen deutlicher eingrenzen. Im Vergleich zur Prävention bei somatischen Krankheiten fällt als allererstes das weitgehende Fehlen von universalen, populationsbezogenen Maßnahmen auf, im wesentlichen Maßnahmen der primären Prävention. Der WHO-Report 2001 zur psychischen Gesundheit (WHO 2001) stellte noch trocken fest, dass primäre Prävention bei Depression, Schizophrenie oder hyperkinetischen Störungen nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere fehlendes Wissen zu spezifischen Risikofaktoren und spezifischen ätiopathogenetischen Mechanismen hervorzuheben. Die meisten bekannten Risikofaktoren (Images Tab. 1.1) beziehen sich gleichzeitig auf mehrere psychische Störungen, was an sich eher ein Vorteil als ein Nachteil wäre (s. auch oben). Nur ein Teil der Risikofaktoren lässt sich sinnvollerweise durch präventive Maßnahmen angehen, während andere Risikofaktoren von kulturellen, sozio-ökonomischen oder lebenslaufspezifischen Einflüssen bestimmt sind.

Schwangerschaft/Geburt

Tab. 1.1: Risikofaktoren für psychische Störungen

Images

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Dennoch gibt es auch Lichtblicke. Während direkte universalpräventive und populationsbezogene Maßnahmen weitgehend fehlen, bestehen viele indirekte Maßnahmen. Sie richten sich an verschiedene andere Ziele, implementieren jedoch – beabsichtigt oder nicht – auch die psychische Gesundheit:

•  Gewaltprävention

•  Unfallprävention

•  Prävention anderer traumatisierender Ereignisse

•  verschiedene präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen während der Schwangerschaft (u. a. Infektionskrankheiten – Röteln, Toxoplasmose; Substanzmissbrauch)

•  Beratung und aufsuchende Hilfe für Mütter/Familien mit erhöhtem Risiko

•  Coaching adoleszenter Mütter

•  Prävention und Behandlung von Infektionskrankheiten, die mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen einhergehen (u. a. Streptokokkeninfektionen der oberen Luftwege, Geschlechtskrankheiten)

•  Substanzmissbrauch und -abhängigkeit

•  gemeindenahe Pflege kranker oder alter Menschen

•  Förderung von Freiwilligenhilfe, Nachbarschaftshilfe, sozialen Netzwerken, sozialer Unterstützung

•  Maßnahmen zur Gesundheitserziehung, -förderung, Mental Health Literacy

Darüber hinaus überschneidet sich die Prävention psychischer Störungen mit der Prävention von Verhaltensstörungen, wie dem Suizid. Dort tun sich weitere Lichtblicke auf. Die Suizidprävention hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht, gerade auch im Bereich von populationsbezogenen Maßnahmen – notabene ohne über ein ausreichendes Grundlagenwissen zu verfügen, ohne befriedigende Instrumente zur Erfassung des individuellen Suizidrisikos, ohne Evidenzbasierung etc. (Images Kap. 4.4). Was sich daraus lernen lässt:

•  das Spektrum möglicher universaler Präventionsmaßnahmen erweitert sich in dem Maße, als Verhaltensmuster involviert sind, die sich direkt oder über die beteiligten Mittel (z. B. Suizidmittel), Rhythmen oder soziale Kontexte modifizieren lassen;

•  beim gegebenen Stand der Forschung (bzw. des Verständnisses des Gegenstandes) ist es angezeigt, präventive Maßnahmen aus natürlichen Experimenten und aus der Grundlagenforschung herzuleiten, während ein sinnvolles evidenzbasiertes Vorgehen (Röhrle 2008) irgendwann einmal in der Zukunft realistisch werden wird.

Bei manchen verhaltensspezifischen Störungen wie Essstörungen (Eckert et al. 2006) ist es denkbar, dass die Prävention deutlich mehr Erfolgschancen bietet als die Therapie.

1.1.4      Schwerpunkte der Prävention psychischer Störungen

Seit dem WHO-Bericht von 2001 ist nicht nur eine Reihe weiterer Reports erschienen, auch eine Vielzahl neuer Präventionsprojekte und -maßnahmen wurde durchgeführt. Viele darunter waren und sind an Settings gebunden, sei es an Schule, Universität, Militär, Arbeitsplatz, Gesundheitsdienste (Cuijpers et al. 2008). Darunter sind sowohl universale, selektive, wie auch indizierte Projekte und Maßnahmen (Munoz et al. 2010). Generell würde man unterschiedliche Effektstärken zwischen diesen Varianten erwarten – höhere bei selektiven und indizierten Projekten (Passon et al. 2011) – jedoch lassen die Ergebnisse an Eindeutigkeit zu wünschen übrig (Neil & Christensen 2007). Zudem hat es sich als problematisch erwiesen, dass sich die Effekte mittel- und langfristig ausdünnen (Pössel et al. 2006).

Wie breit das Spektrum der Präventionsansätze von universal bis indiziert angelegt ist, hängt nicht nur von den Settings ab, sondern auch von den anvisierten Störungen. Je früher eine Störung beginnt und je häufiger sie ist, desto dringender wäre ein früher und breit gefächerter Einsatz von Präventionsmaßnahmen (Heinrichs and Hahlweg 2007). Dies trifft beispielsweise auf Angststörungen zu (Neil and Christensen 2009), aber auch auf affektive Störungen (Sims et al. 2006). Im Vergleich dazu sind Maßnahmen zu Borderline-Störungen (Chanen & McCutcheon 2013), Psychosen und Schizophrenie (Compton 2004; Klosterkotter 2008) zumeist auf die indizierte Prävention beschränkt. Dennoch – und erst recht mit Blick auf das Kontinuumskonzept psychischer Störungen – darf das Potenzial universaler, populationsbezogener Prävention auf keinen Fall unterschätzt werden (Mojtabai et al. 2003). Geoffrey Roses Argumentation sei in Erinnerung gerufen, dass die Prävention bei vielen Betroffenen mit mäßigem Risikoprofil weitaus erfolgreicher sein kann als die Prävention bei wenigen Betroffenen mit ausgeprägtem Risikoprofil oder schon bestehenden Symptomen.

Eine zweite große Gruppe von Präventionsmaßnahmen ist in regionale oder nationale Programme integriert, die sich typischerweise zwischen primärer und sekundärer Prävention verorten (Bramesfeld et al. 2003). Ein wichtiges Thema solcher Programme (z. B. »time to change«) (Henderson & Thornicroft 2009) ist die Entstigmatisierung psychischer Krankheiten – dies sowohl in der Absicht, den Sozialstatus von Menschen mit psychischen Störungen zu verbessern, als auch mit dem Ziel, betroffene Menschen zu ermuntern, rechtzeitig Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein weiteres zentrales Thema ist das Wissen und die Einstellung gegenüber psychischer Gesundheit und Krankheit. Als prominentes Beispiel für diese Art von Programmen sei das Nürnberger Bündnis gegen Depression genannt (Dietrich et al. 2010), wo mehrere Ziele im Rahmen eines konzertierten Vorgehens verfolgt werden: Weiterbildung von Hausärzten, Öffentlichkeitsarbeit zur Verbreitung von Informationen über Depression, Zusammenarbeit mit Multiplikatoren und Medien, Initiierung von Selbsthilfegruppen.

Das Nürnberger Bündnis ist nicht zuletzt deshalb besonders interessant, weil es aufzeigt, unter welchen Voraussetzungen populationsbezogene Präventionsprogrammen erfolgreich sein können. Dazu zählen:

•  koordinierter Einsatz mehrerer synergistischer Maßnahmen, die sich an verschiedene Adressate wenden (im Nürnberger Beispiel: Bevölkerung, Betroffene, Ärzte, Professionelle);

•  kontinuierliche Weiterführung des Programmes mit niedrigerer Intensität, um nachhaltige Effekte zu erreichen.

Literatur

Bramesfeld A, Wismar M, Albrecht D (2003) [Mental health promotion and prevention of mental diseases: are there population-based concepts? Looking abroad]. Gesundheitswesen 65:226–235.

Chanen AM, McCutcheon L (2013) Prevention and early intervention for borderline personality disorder: current status and recent evidence. Br J Psychiatry (Suppl 54):s24–29.

Compton MT (2004) Considering schizophrenia from a prevention perspective. Am J Prev Med 26:178–185.

Cuijpers P, van Straten A, Smit F, Mihalopoulos C, Beekman A (2008) Preventing the onset of depressive disorders: a meta-analytic review of psychological interventions. Am J Psychiatry 165:1272–1280.

Dietrich S, Mergl R, Freudenberg P, Althaus D, Hegerl U (2010) Impact of a campaign on the public’s attitudes towards depression. Health Educ Res 25:135–150.

Eckert J, Reimer C, Strauss B (2006) Primärprävention bei Essstörungen. Psychotherapeut 51:187–196.

Generaldirektion Gesundheit & Verbraucherschutz (2004). Massnahmen gegen Depressionen. Luxemburg, Europäische Kommission.

Heinrichs N, Hahlweg K (2007) Primäre Prävention psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen: ein gewinnbringender Ansatz? Dtsch Med Wochenschr 132:2208–2211.

Henderson C, Thornicroft G (2009) Stigma and discrimination in mental illness: Time to Change. Lancet 373:1928–1930.

Junge-Hoffmeister J (2009) Prävention psychischer Störungen. In: Schneider S, Margraf J (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 3: Störungen im Kindes- und Jugendalter. Berlin: Springer. S. 901–922.

Karmaus W (1982) Phasen präventiver Strategien. In: Abholz H-H (Hrsg.) Risikofaktorenmedizin. Konzept und Kontroverse. Berlin: de Gruyter. S. 27–37.

Klosterkotter J (2008) Indicated prevention of schizophrenia. Dtsch Arztebl Int 105:532–539.

Mojtabai R, Malaspina D, Susser E (2003) The concept of population prevention: application to schizophrenia. Schizophr Bull 29:791–801.

Mrazek PB, Haggerty RJ (1994) Reducing risk for mental disorders: frontiers for preventive intervention research. Washington: National Academy Press.

Munoz RF, Cuijpers P, Smit F, Barrera AZ, Leykin Y (2010) Prevention of major depression. Annu Rev Clin Psychol 6:181–212.

Neil AL, Christensen H (2007) Australian school-based prevention and early intervention programs for anxiety and depression: a systematic review. Med J Aust 186:305–308.

Neil AL, Christensen H (2009) Efficacy and effectiveness of school-based prevention and early intervention programs for anxiety. Clin Psychol Rev 29:208–215.

Passon AM, Gerber A, Schröer-Günther M (2011) Wirksamkeit von schulbasierten Gruppeninterventionen zur Depressionsprävention. Kindheit und Entwicklung 20:236–246.

Pössel P, Schneider S, Seemann S (2006) Effekte und Kosten universaler Prävention von Internalisierungssrörungen bei Kindern und Jugendlichen. Verhaltenstherapie 16:201–220.

Riedel-Heller SG (2006) Ist die Primärprävention psychischer Störungen möglich? Psychiatr Prax 33:145–147.

Röhrle B (2008) Die Forschungslage zur Prävention psychischer Störungen und Förderung psychischer Gesundheit. prävention (1):10–13.

Sims BE, Nottelmann E, Koretz D, Pearson J (2006) Prevention of depression in children and adolescents. Am J Prev Med 31:S99–103.

WHO (2001) World Health Report 2001: Mental Health. Geneva: WHO.

1.2        Prävention und das Stigma psychischer Erkrankungen

Nicolas Rüsch

Der mögliche Nutzen durch die Prävention psychischer Erkrankungen ist beträchtlich, sowohl im Hinblick auf die Belastung Betroffener und ihrer Angehörigen durch die Erkrankung als auch in sozioökonomischer Hinsicht. Forschungsergebnisse zeigen, dass Prävention die Inzidenz psychischer Erkrankungen verringern (Cuijpers et al. 2008) und dabei kosteneffizient sein kann (Mihalopoulos et al. 2011). Dennoch sind Programme zur Prävention psychischer Erkrankungen selten Bestandteil der Routineversorgung im Bereich der Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik oder Public Health. In diesem Kapitel soll die Hypothese entworfen werden, dass das Stigma psychischer Erkrankung sowie mangelndes Wissen über psychische Erkrankungen die Implementierung und den Erfolg von Präventionsmaßnahmen erschweren können (Rüsch & Thornicroft 2014). Der hier postulierte Zusammenhang zwischen Stigma, Wissen und Prävention könnte aus mehreren Gründen relevant sein. Erstens können so Forschungsergebnisse zu Prävention mit denen zu Stigma und sozialer Exklusion in Verbindung gebracht und unser Verständnis der Zusammenhänge erleichtert werden. Zweitens ließe sich untersuchen, wie Antistigma-Interventionen die Prävention psychischer Erkrankungen beeinflussen – und umgekehrt, ob Präventionsmaßnahmen sich auf Stigmatisierung auswirken. Auf dieser Basis könnten Interventionen entwickelt werden, die sich auf Stigmatisierung und Prävention günstig auswirken.

Im Folgenden sollen zunächst Elemente von Stigma und Wissen über psychische Gesundheit umrissen w erden (Images Abs. 1.2.2). Anschließend wird skizziert, wie sich diese auf drei Bereiche der Prävention psychischer Erkrankungen auswirken (Images Abs. 1.2.3). Schließlich werden einige Folgerungen für Prävention und Antistigma-Interventionen diskutiert (Images Abs. 1.2.4).

1.2.1      Grundkonzepte von Stigma und Wissen über psychische Gesundheit

Zunächst sollen hier Grundbegriffe zu Wissen über psychische Gesundheit sowie Stigma und Diskriminierung erläutert werden, um dann darauf aufbauend in Abschnitt 1.2.3 ihren Zusammenhang mit verschiedenen Formen der Prävention psychischer Erkrankungen zu schildern.

Wissen über psychische Gesundheit

Was Wissen über Gesundheit und Krankheit angeht, so ist Grundlagenwissen über körperliche Erkrankungen weitverbreitet. Die meisten Mitglieder der Allgemeinheit kennen Möglichkeiten der Prävention (z. B. safe sex), Risikofaktoren (z. B. Rauchen), Möglichkeiten der Früherkennung (z. B. Koloskopie) und der Frühintervention (z. B. in Frühstadien von Gebärmutterhalskrebs). Dieses Wissen wird konkret wirksam, indem viele Menschen sich entscheiden, Risikofaktoren zu verringern und an Früherkennungsprogrammen teilzunehmen – mit oft erheblichem Nutzen für den Einzelnen wie für Gesellschaft und Gesundheitssystem.

Die Lage stellt sich allerdings beim Wissen über psychische Gesundheit anders dar, denn große Teile der Öffentlichkeit wissen wenig über Möglichkeiten etwa der Früherkennung und Frühintervention bei psychischen Erkrankungen. Tony Jorm und Kollegen in Australien haben für diesen Bereich den Ausdruck der »mental health literacy« geprägt (Jorm 2012). Damit ist nicht nur Wissen etwa über Symptomatik gemeint, sondern, wie oben für körperliche Erkrankungen angedeutet, auch hier konkrete, handlungsleitende Kenntnisse. Die wichtigsten Bestandteile sind a) Wissen über die Prävention verschiedener psychischer Erkrankungen, b) das Erkennen einer entstehenden psychischen Störung, c) die Kenntnis von Unterstützungs- und Behandlungsmöglichkeiten, d) Vertrautheit mit wirksamen Selbsthilfestrategien bei leichteren Symptomen sowie e) Erste-Hilfe-Fertigkeiten für Menschen in psychischen Krisen (mental health first aid; Kitchener et al. 2010; Jorm 2012).

Öffentliche Stigmatisierung

Psychische Erkrankungen sind immer noch häufig mit einem Makel behaftet (Schomerus et al. 2012). Daher haben Betroffene oft ebenso sehr mit Stigmatisierung zu kämpfen wie mit den Symptomen ihrer Erkrankung. Zunächst sollen hier Bestandteile von Stigmatisierung skizziert werden (Corrigan, 2005; Link & Phelan 2001; Rüsch et al. 2005). Im ersten Schritt werden »psychisch Kranke« von der »normalen« Allgemeinbevölkerung unterschieden und als krank etikettiert. Das ist schon deshalb problematisch, weil bekanntlich keine Trennlinie zwischen diesen zwei vermeintlichen Gruppen existiert, sondern die Übergänge fließend sind – doch erst so wird der »normalen« Bevölkerungsmehrheit die Unterscheidung zwischen »ihnen« und »uns« ermöglicht.

Im zweiten Schritt werden negative Stereotype an die als »krank« Etikettierten geknüpft, z. B. »Psychisch Kranke sind faul, gefährlich und unheilbar«. Stereotype sind Gemeinplätze, die allgemein bekannt sind, ob ihnen nun zugestimmt wird oder nicht. Zum nächsten Schritt, dem Vorurteil, kommt es, wenn man Stereotypen zustimmt und emotional reagiert (»Ja, das stimmt, sie sind gefährlich und machen mir angst«). Diskriminierendes Verhalten schließlich entsteht, wenn Mitglieder der Bevölkerungsmehrheit aufgrund von Vorurteilen Betroffene benachteiligen, z. B. ihnen keinen Arbeitsplatz geben oder den Ausbau von Behandlungsmöglichkeiten ablehnen. Stigma und Diskriminierung können dabei nur in einem Machtgefälle zwischen der Mehrheit und der stigmatisierten Minderheit stattfinden.

Anders als häufig behauptet, haben sich die Einstellungen der Öffentlichkeit gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert, sondern teilweise verschlechtert (Schomerus et al. 2012). Aus der Perspektive Betroffener bleibt öffentliche Stigmatisierung daher ein Haupthindernis für soziale Integration, sei es unter an Schizophrenie (Thornicroft et al. 2009) oder an Depression Erkrankten (Lasalvia et al. 2013).

Selbststigma

Neben öffentlicher Stigmatisierung ist Selbststigma die zweite der drei Grundformen von Stigma. Selbststigma besteht, analog zu öffentlicher Stigmatisierung, ebenfalls aus den drei (nun gegen sich selbst gerichteten) Kernelementen Stereotyp, Vorurteil und Diskriminierung und entsteht, wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen negative Stereotype über sich nicht nur kennen, sondern ihnen im Sinne eines Vorurteils zustimmen (»Ja, ich bin psychisch krank und daher gefährlich und unheilbar.«). Dies führt zu emotionalen und Verhaltensreaktionen wie Scham, verringertem Selbstwertgefühl und sozialem Rückzug (Rüsch et al. 2006). Viele Betroffene, die unter Selbststigma leiden, geben daher wichtige Lebensziele wie Arbeit, ärztliche Versorgung oder selbstständiges Wohnen auf – nicht aufgrund psychiatrischer Symptomatik, sondern weil sie Vorurteile internalisiert haben. Dies wird auch »why try-Effekt« genannt, sinngemäß »Warum soll ich versuchen, meine Ziele zu erreichen? Aufgrund meiner psychischen Erkrankung bin ich es weder wert noch dazu in der Lage, sie zu erreichen« (Corrigan et al. 2009).

Strukturelle Diskriminierung

Diskriminierung kann sich auf die Mitglieder von Minderheiten auswirken, auch ohne dass sich eine Person aufgrund persönlicher Vorurteile diskriminierend verhält. Diese Einsicht ist nicht neu, sondern etwa aus der Rassismusforschung gut belegt und gilt auch für die Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen (Pincus 1996). Das Phänomen, dass Regeln und Abläufe in einer Gesellschaft eine Gruppe systematisch benachteiligen, wird als strukturelle (oder auch institutionelle) Diskriminierung bezeichnet (Corrigan et al. 2004). Es wird dabei zwischen absichtlicher und unabsichtlicher struktureller Diskriminierung unterschieden.

Ein Beispiel unabsichtlicher struktureller Diskriminierung dürfte etwa bei der relativen Unterfinanzierung der Versorgung psychisch Erkrankter vorliegen (im Vergleich zum somatischen Behandlungssystem). International ist in reichen Ländern – einschließlich Mitteleuropa – über ein Fünftel der krankheitsbedingt verlorenen gesunden Lebensjahre auf psychische Erkrankungen zurückzuführen (disability adjusted life years); dennoch werden dort nicht einmal 7 % der Gesundheitsbudgets für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung ausgegeben (Saxena et al. 2007). Diese Ressourcenallokation führt unausweichlich zu qualitativ schlechteren und quantitativ unzureichenderen Behandlungsangeboten für psychisch Erkrankte. Die Ungleichverteilung könnte unbeabsichtigte Nebenwirkung eines (gut gemeinten) Ausbaus der Behandlung körperlicher Erkrankungen sein, sie könnte aber auch auf weitverbreiteten Vorurteilen gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen beruhen (Corrigan & Watson 2003; Schomerus et al. 2006). Modelle struktureller Diskriminierung lenken das Augenmerk darauf, dass die Verbesserung persönlicher Einstellungen nicht ausreicht, sondern tiefgreifendere soziale Einstellungsänderungen nötig sind, um die Auswirkungen von Stigma nachhaltig zu verringern (Link & Phelan 2001).

Traditionelle Klassifikation der Prävention nach Krankheitsstadium Primärprävention Sekundärprävention Tertiärprävention

Tab. 1.2: 4 × 3-Matrix von Wissen-/Stigma-Variablen (untere Zeilen) versus Arten der Prävention (Spalten). In den Zellen sind Aspekte von Stigma und mangelndem Wissen genannt, die die jeweilige Art der Prävention erschweren können

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1.2.2      Einfluss von Wissen und Stigma-Variablen auf Prävention

Im Folgenden wird skizziert, wie sich Wissen über psychische Gesundheit und Formen von Stigma auf die Prävention psychischer Erkrankungen auswirken können. Wir orientieren uns dabei an der in Tabelle 1.2 entworfenen 4 × 3-Matrix, die in ihren unteren Zeilen vier Wissen-/Stigma-Variablen und in ihren Spalten drei Formen von Prävention enthält. Nicht alle der in dieser Tabelle postulierten Zusammenhänge zwischen Wissen/Stigma und Prävention sind empirisch belegt, weil zu manchen Zusammenhängen noch keine Daten vorliegen.

Um die Übersichtlichkeit zu verbessern, betrachten wir zusammengefasst drei Kategorien von Prävention. Diese drei Kategorien gehen hervor aus zwei Konzeptualisierungen von Prävention. Erstens wird Prävention traditionell untergliedert nach Krankheitsstadien in Primärprävention (Reduktion von Risikofaktoren zur Verminderung neuer Krankheitsfälle, also der Inzidenz), Sekundärprävention (Intervention in der Frühphase des Krankheitsprozesses zur Verringerung der Zahl manifester Erkrankungen, d. h. der Prävalenz) sowie Tertiärprävention (Reduktion von Rückfallraten und krankheitsbedingten Einschränkungen nach Manifestation der Erkrankung). Zweitens unterscheidet die neuere Klassifikation nach Zielpopulation (Institute of Medicine 1994), also nach Allgemeinbevölkerung (universale Prävention), Personen mit Risikofaktoren ohne Krankheitssymptome (selektive Prävention) sowie Personen mit Beschwerden, die Frühsymptome einer Erkrankung sein können (indizierte Prävention). Wie in Tabelle 1.2 aufgeführt, fassen wir hier beide Ansätze in drei Kategorien zusammen, wobei die traditionelle Tertiärprävention in der neueren Klassifikation des Institute of Medicine, die Prävention nur vor Erkrankungsbeginn ansiedelt, naturgemäß keine Entsprechung findet.

Zusammenfassend vermuten wir zwei Haupteffekte. Erstens findet Prävention möglicherweise nicht statt, weil sie nicht implementiert wird (als Folge struktureller Diskriminierung, öffentlicher Stigmatisierung oder mangelnden Wissens) oder weil Menschen nicht an Präventionsprogrammen teilnehmen (aus Furcht vor öffentlicher Stigmatisierung, durch Selbststigma oder geringes Wissen). Zweitens bleibt Prävention, auch wenn sie stattfindet, womöglich erfolglos (durch direkte negative Auswirkungen öffentlicher Stigmatisierung, Selbststigma oder struktureller Diskriminierung auf das Wohlergehen der Zielgruppe). Dies wird im Folgenden nach Arten der Prävention erläutert.

Primär- oder universale Prävention

Diese Form von Prävention bezieht sich auf die Allgemeinbevölkerung. Zumindest zwei Schwierigkeiten bestehen für wirksame Arbeit in diesem Bereich: Erstens sind Ursachen und Entstehung vieler psychischer Erkrankungen weiterhin nur in Ansätzen bekannt; zweitens sind die wenigen Risikofaktoren, deren negative Auswirkungen gut belegt sind, oft nur schwer zu beeinflussen. Damit soll keine Resignation verbreitet, sondern lediglich darauf hingewiesen werden, dass gesamtgesellschaftliche Anstrengungen weit über das Gesundheitssystem hinaus nötig sind, um hier Veränderungen zu erreichen. Entsprechend schwierig ist die Evaluation solcher Bemühungen, also der Nachweis, bevölkerungsweite Primärprävention tatsächlich die Inzidenz psychischer Erkrankungen senkt.

Zwei bekannte und in der Allgemeinbevölkerung weitverbreitete Risikofaktoren sollen kurz genannt werden. Zum einen Gewalt-, Missbrauchs- oder Verlusterfahrungen in der Kindheit, die ein Risikofaktor für verschiedenste Erkrankungen wie Drogenabhängigkeit (Afifi et al. 2012), Borderline-Störung (Crowell et al. 2009; Widom et al. 2009) oder Depression (McCrory et al. 2012) sind, zum anderen Substanzmissbrauch, der ein Risikofaktor nicht nur für psychotische Erkrankungen ist (Kolliakou et al. 2012; Large et al. 2011). Eine neuere Übersichtsarbeit fand immerhin Hinweise, dass bevölkerungsweite Interventionen begrenzte Verhaltensänderungen erreichen können, etwa im Bereich Rauchen oder Drogenmissbrauch (Jepson et al. 2010).

Selektive, indizierte oder Sekundär-Prävention

Dieser Bereich von Prävention gilt Personen, die ein erhöhtes Risiko zeigen, eine psychische Erkrankung zu entwickeln, jedoch aktuell nicht manifest erkrankt sind. Daher stellt er im Blick auf Etikettierungsprozesse und Stigma einen Grenzfall dar zwischen der oben diskutierten Primär- und universalen Prävention einerseits und der im nächsten Abschnitt besprochenen Tertiärprävention andererseits. Personen mit erhöhtem Risiko zeigen (v. a. im Falle indizierter Prävention) bereits Frühzeichen einer möglichen psychischen Erkrankung. Sie können daher bereits – müssen aber noch nicht – durch andere als »psychisch krank« etikettiert sein; beispielsweise kann die Inanspruchnahme von Behandlung zu solcher Etikettierung führen. Gleiches gilt für die Selbstetikettierung: Sie können – müssen aber nicht – sich selbst als »psychisch krank« ansehen. Die Zielgruppe dieser Art von Prävention wird sich also teils als Teil der »normalen« Öffentlichkeit, teils als »krank« ansehen.

Was Wissen über psychische Gesundheit anbelangt, so erleichtert korrektes Erkennen von Schwierigkeiten als Zeichen einer psychischen Erkrankung das Hilfesuchverhalten unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Wright et al. 2011b). Dies passt zu dem Befund, dass Personen in der Frühphase einer psychotischen Erkrankung, die sich nicht als krank ansehen, seltener psycho- und pharmakotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen (Álvarez-Jiménez et al. 2009; Baloush-Kleinman et al. 2011).

Im Bereich öffentlicher Stigmatisierung gibt es Belege dafür, dass die Etikettierung als »psychisch krank« unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Stigmatisierung (Wright et al. 2011a) führt und auch das Etikett des Risikozustands für eine Psychose zum Wunsch nach größerer sozialer Distanz beiträgt (Yang et al. 2013). Um ihre Etikettierung etwa als Folge des Kontakts zu einer psychiatrischen Einrichtung zu vermeiden, können junge Menschen einer Behandlung aus dem Weg gehen. Erste Befunde unserer Arbeitsgruppe deuten darauf hin, dass unter jungen Menschen mit hohem Risiko, psychotisch zu erkranken, die Selbstetikettierung als »psychisch krank« zwar mit positiveren Einstellungen zu psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung assoziiert ist; je mehr jedoch in dieser Gruppe Stigma als Stressor und Bedrohung empfunden wird, desto negativer sind andererseits die Einstellungen zu Behandlung (Rüsch et al. 2013). Viel spricht also dafür, dass in Bezug auf Früherkennung und Frühintervention das Etikett »psychisch krank« ein zweischneidiges Schwert ist und, je nach Kontext und Selbstkonzept, die Teilnahme an Sekundärpräventionsprogrammen erschweren oder erleichtern kann.

Auch die Scham darüber, selbst psychisch krank zu sein oder möglicherweise in Zukunft psychisch zu erkranken, scheint als emotionale Seite von Selbststigma sowohl Personen mit hohem Risiko, psychotisch zu erkranken, zu belasten (Rüsch et al. 2014b) als auch in der Allgemeinbevölkerung dazu zu führen, dass das professionelle Hilfssystem skeptischer gesehen wird (Rüsch et al. 2014c).

Was schließlich strukturelle Diskriminierung angeht, so gilt das schon oben Angedeutete: Programme zur Frühintervention (im Sinne indizierter Prävention) sind auch in reichen Ländern sehr schlecht ausgebaut, was Betroffene mit dem Risiko einer beginnenden psychischen Erkrankung systematisch benachteiligt.

Tertiär-Prävention

In diesem Abschnitt geht es darum, wie Wissen und Stigma-Variablen Rückfallprophylaxe und Rehabilitation bei bestehenden psychischen Erkrankungen beeinflussen. Je besser Menschen mit psychischen Erkrankungen über Risikofaktoren und Behandlungsmöglichkeiten zur Rückfallprophylaxe Bescheid wissen, desto eher führen sie eine laufende Behandlung fort oder nehmen rechtzeitig Hilfe in Anspruch. Psychoedukation ist ein etablierter Ansatz, um das Wissen Betroffener zu verbessern, und hat sich als wirksame und kosteneffiziente Rückfallprophylaxe erwiesen (Colom et al. 2003, 2011; Shimodera et al. 2012). Auch Psychoedukation Angehöriger scheint die Rückfallraten zu senken (Shimazu et al. 2011).

Was öffentliche Stigmatisierung angeht, so können Menschen mit psychischen Erkrankungen die Fortsetzung oder Wiederaufnahme von Behandlung vermeiden, um nicht durch die Behandlung als »psychisch krank« etikettiert zu werden (label avoidance). Dieser Zusammenhang hat sich in verschiedenen Studien belegen lassen und betrifft Pharmako- wie Psychotherapie (Clement et al. 2014). Stigma und Diskriminierung können auch indirekt den Krankheitsverlauf verschlechtern und so Tertiärprävention erschweren. Denn Menschen mit psychischen Erkrankungen erfahren regelmäßig Benachteiligungen in wichtigen Lebensbereichen, etwa bei der Arbeits- und Wohnungssuche sowie in Sozialkontakten, was die ihnen für Krankheitsbewältigung zur Verfügung stehenden materiellen und sozialen Ressourcen verringert (Thornicroft et al. 2009; Lasalvia et al. 2013).

Selbststigma und Scham führen häufig zu sozialem Rückzug (Rüsch et al. 2006) und zur Aufgabe von Lebenszielen, einschließlich der Suche nach guter Behandlung einer psychischen Erkrankung (Corrigan et al. 2009). Vermutlich aus diesen Gründen ist Selbststigma ein Risikofaktor für psychiatrische Rehospitalisationen (Rüsch et al. 2009). Scham über die Behandlung war in einer Verlaufsstudie beispielsweise mit geringerem Hilfesuchverhalten für depressive Symptomatik unter Studenten assoziiert (Vogel et al. 2006).