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Schriften zum Recht der Inneren Sicherheit

Band 23

Herausgegeben von

Prof. Dr. Dirk Heckmann

und

Prof. Dr. Thomas Würtenberger

Die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

Eine rechtsvergleichende Untersuchung

Dr. Björn Krumrey

D6
Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss. der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, 2014

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epub-ISBN 978-3-415-05365-6
Print ISBN 978-3-415-05356-4

© 2014 Richard Boorberg Verlag

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Meiner Familie

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2013/2014 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung sind im Wesentlichen auf dem Stand von Oktober 2013. Für die Veröffentlichung konnte im Nachtrag die Neustrukturierung des französischen Inlandsnachrichtendienstes im Mai 2014 Berücksichtigung finden.

Bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, der mich bei der Auswahl des Themas beraten, bei der weiteren Bearbeitung in meinem Vorhaben bestärkt und mir bei auftretenden Fragen immer weitergeholfen hat. Ebenfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens.

Für die Aufnahme der Dissertation in diese Schriftenreihe danke ich ferner Herrn Prof. Dr. Heckmann und Herrn Prof. Dr. Würtenberger. Mein Dank gilt zudem dem DAAD für die Förderung mit einem Doktorandenstipendium. Dieses hat mir ermöglicht, die Literatur für den französischen Teil der Arbeit an der Bibliothèque nationale de France und der Université Panthéon-Assas in Paris zusammenzustellen.

Schließlich danke ich meinen Eltern, die meine Ausbildung unterstützt, gefördert und sie mit Interesse begleitet haben. Besonderer Dank gilt meiner Frau Ute. Sie hat mir in dieser Zeit viel Verständnis entgegengebracht und die Arbeit durch intensive Gespräche und Anregungen vorangebracht. Für wertvolle Hinweise und weiterführende Diskussionen danke ich Simon Hentrei. Außerdem bin ich meiner Schwester Birgitta für die gründliche Lektüre und ihre Unterstützung dankbar sowie Björn Arndt, der mit seinem Rat ebenfalls zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat.

Münster, im Juni 2014

Björn Krumrey

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

A.   Einführung

B.   Gegenstand und Methode der Untersuchung

C.   Gang der Untersuchung

Erster Teil:
Die Organisation des Schutzes der Verfassung durch die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

A.   Die Nachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands

  I.   Begriffe

1.   Die französischen „services de renseignement“

2.   Die deutschen Begriffe: Nachrichten- und Geheimdienst, Verfassungsschutz

3.   Das der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis

  II.  Die nachrichtendienstliche Struktur

1.   Die Nachrichtendienste in Frankreich

2.   Die Nachrichtendienste in Deutschland

3.   Rechtsvergleich

B.   Die Organisation der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Der französische Inlandsnachrichtendienst: die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI)

1.   Die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit

2.   Die Inlandsnachrichtendienste vor der Reform 2008: DCRG und DST

a)   Direction centrale des renseignements généraux (DCRG)

aa)   Entstehung der DCRG

bb)   Überblick über die Aufgaben der DCRG

cc)   Die Organisationsstruktur der DCRG

b)   Direction de la surveillance du territoire (DST)

aa)   Entstehung der DST

bb)   Überblick über die Aufgaben der DST

cc)   Die Organisationsstruktur der DST

3.   Die Reform der französischen Sicherheitspolitik in Folge des Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale 2008

a)   Hintergrund der Reform

b)   Délégation parlementaire au renseignement

c)   Der neue Inlandsnachrichtendienst DCRI

d)   Das Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale

e)   Veränderte Koordinationsgremien

4.   Der Inlandsnachrichtendienst DCRI

a)   Die Organisationsstruktur der DCRI

b)   Zusammenarbeit innerhalb der DCRI

c)   Personelle und finanzielle Ausgestaltung der DCRI

  II.  Der deutsche Inlandsnachrichtendienst

1.   Entwicklungslinien des Verfassungsschutzes nach 1945

2.   Das Verständnis des Verfassungsschutzes in Deutschland

a)   Das Konzept der streitbaren Demokratie

b)   Das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten

3.   Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter für Verfassungsschutz

a)   Die innerdeutsche Kompetenzverteilung des Verfassungsschutzes

b)   Die Organisationsstruktur des BfV

c)   Zusammenarbeit zwischen BfV und den Landesämtern für Verfassungsschutz

d)   Personelle und finanzielle Ausgestaltung

  III. Rechtsvergleich

C.   Die Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Rechtsgrundlagen der DCRI

1.   Das Dekret Nr. 2008–609 und weitere Regelungen

2.   Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Rechtsgrundlagen der DCRI

a)   Der verfassungsrechtliche Rahmen in Frankreich

aa)   Die Abgrenzung zwischen loi und règlement in der Constitution von 1958

bb)   Rechtsformen der von der Regierung erlassenen Verordnungen (règlements)

b)   Einordnung der Rechtsgrundlagen der DCRI

aa)   Das Dekret Nr. 2008–609

bb)   Die Rechtsgrundlagen zu den Befugnissen der DCRI

cc)   Zusammenfassung

  II.  Die Rechtsgrundlagen des BfV

1.   Der verfassungsrechtliche Rahmen im Grundgesetz

2.   Das Bundesverfassungsschutzgesetz

3.   Zusammenfassung

  III. Rechtsvergleich

Zweiter Teil:
Die Aufgaben und Befugnisse der Inlandsnachrichtendienste sowie die jeweilige nationale Zusammenarbeit

A.   Die Schutzgüter und Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Schutzgüter der Inlandsnachrichtendienste

1.   Die „intérêts fondamentaux de la nation“ als Schutzgut der DCRI

a)   Die Schutzgüter der DCRG und DST

b)   Systematische Auslegung

aa)   Art. 410–1 Code pénal

bb)   Code de la sécurité intérieure

cc)   Rechtsprechung des Conseil constitutionnel

c)   Schlussfolgerung

2.   Die Schutzgüter des Verfassungsschutzes

a)   Die freiheitliche demokratische Grundordnung

b)   Der Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes

3.   Rechtsvergleich

  II.  Die Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste

1.   Die Aufgaben der DCRI

a)   Die Aufgabenbereiche

aa)   Spionageabwehr

bb)   Terrorismusbekämpfung

cc)   Schutz der wirtschaftlichen Sicherheit und des „secret de la défense nationale“

dd)   Überwachung und Bekämpfung der Cyber-Kriminalität

ee)   Überwachung von Personen und Organisationen

b)   Nachrichtendienstliche und polizeiliche Aufgaben der DCRI

aa)   Die DCRI als service de renseignement

(1)   Information der Regierung

(2)   Verhinderung von Gefährdungen der intérêts fondamentaux de la nation

bb)   Die DCRI als service de police judiciaire spécialisé

c)   Abgrenzung zu anderen Sicherheitsbehörden

2.   Die Aufgaben des BfV

a)   Sammlung und Auswertung von Informationen

b)   Die Aufgabenbereiche

aa)   Extremismusbeobachtung

bb)   Spionageabwehr

cc)   Tatsächliche Anhaltspunkte als Aufgabenbegrenzung

dd)   Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen

c)   Mitwirkungsaufgaben des BfV beim Geheimschutz

d)   Abgrenzung der Aufgaben des Verfassungsschutzes zur Polizei

3.   Rechtsvergleich

a)   Zu den Aufgaben

b)   Zu den Aufgabenbereichen

c)   Zur konkreten Ausgestaltung

B.   Die Befugnisse der Inlandsnachrichtendienste

  I.   Die Befugnisse der DCRI

1.   Nachrichtendienstliche Befugnisse

a)   Die Informationserhebung

aa)   Offene Informationserhebung

bb)   Auskunftsverlangen

(1)   Auskunftsverlangen bezüglich Telekommunikationsdaten

(2)   Auskunftsverlangen bezüglich Daten aus der Videoüberwachung

cc)   Zugriff auf Dateien

(1)   Grundzüge der französischen Rechtslage zu Dateien

(2)   Zugriff auf allgemeine Verwaltungsdateien

(3)   Zugriff auf Dateien mit Daten von Beförderungsunternehmen

dd)   Verdeckte Informationserhebung

(1)   Telekommunikationsüberwachung

(2)   Einsatz von Scheinidentitäten

b)   Informationsverarbeitung

aa)   Die Dateien der DCRG und DST

bb)   Die Datei CRISTINA

2.   Repressiv-polizeiliche Befugnisse

  II.  Nachrichtendienstliche Befugnisse des BfV

1.   Informationserhebung

a)   Offene Informationserhebung

b)   Auskunftsverlangen und Ersuchen der Datenübermittlung

c)   Heimliche Informationsbeschaffung

2.   Informationsverarbeitung und -nutzung

3.   Keine polizeilichen Befugnisse des BfV

  III. Rechtsvergleich

1.   Zu den polizeilichen Befugnissen der DCRI

2.   Zu den nachrichtendienstlichen Befugnissen

C.   Die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit nationalen Sicherheitsbehörden und die Koordination der Nachrichtendienste

  I.   Die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit nationalen Sicherheitsbehörden

1.   Die Zusammenarbeit der DCRI mit den französischen Sicherheitsbehörden

a)   Übermittlung von Informationen

b)   UCLAT als institutionelle Zusammenarbeitsform

2.   Die Zusammenarbeit des BfV mit anderen deutschen Sicherheitsbehörden

a)   Übermittlung von Informationen durch und an das BfV

b)   Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden durch gemeinsame Dateien

c)   Institutionelle Formen der Zusammenarbeit

  II.  Die Koordination der Nachrichtendienste

1.   Die Koordination der französischen Nachrichtendienste

a)   Der Conseil national du renseignement

b)   Der Coordonnateur national du renseignement

c)   Das Secrétariat général de la défense et de la sécurité nationale

d)   Zusammenfassung und Stellungnahme

2.   Die Koordination der deutschen Nachrichtendienste

a)   Der Bundessicherheitsrat und das Sicherheitskabinett

b)   Der Beauftragte der Bundesregierung für die Nachrichtendienste und der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt

c)   Der Staatssekretärsausschuss für das geheime Nachrichtenwesen und Sicherheit

  III. Rechtsvergleich

Dritter Teil:
Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste

A.   Die parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste in Frankreich

  I.   Die nachrichtendienstliche Kontrolle bis 2007

  II.  Die Délégation parlementaire au renseignement (DPR)

1.   Die Rechtsgrundlage der DPR

2.   Die Besetzung der DPR

3.   Geheimschutz

4.   Die Aufgabe der DPR

5.   Die Befugnisse der DPR

B.   Das deutsche parlamentarische Kontrollgremium (PKGr)

  I.   Entwicklungslinien der parlamentarischen Kontrolle in Deutschland

  II.  Die Rechtsgrundlagen des PKGr

  III. Die Besetzung des PKGr

  IV. Geheimschutz

  V.  Die Aufgaben des PKGr

  VI. Die Befugnisse des PKGr

C.   Rechtsvergleich

Vierter Teil:
Weitere Diskussionen um die Inlandsnachrichtendienste

A.   Neue Entwicklungen

  I.   Entwicklungen in Frankreich

1.   Die Berichte von Ausschüssen der Nationalversammlung

2.   Die Ankündigung einer Reform des Inlandsnachrichtendienstes im Juni 2013

3.   Das Livre blanc sur la défense et la sécurité nationale 2013

  II.  Entwicklungen in Deutschland

B.   Zur Frage einer gesetzlichen Rechtsgrundlage für den französischen Inlandsnachrichtendienst

  I.   Verfassungsrechtliche Zulässigkeit und Ausgestaltung einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

  II.  Vorteile einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

  III. Ergebnis

Zusammenfassung und Schlussbetrachtungen

Nachtrag: Die Direction générale de la sécurité intérieure (DGSI)

Literaturverzeichnis

Verzeichnis französischer Gesetzgebungsberichte und sonstiger Dokumente

Anhang

A.   Das Dekret Nr. 2008–609 vom 27. Juni 2008

B.   Das Gesetz Nr. 2007–1443 vom 9. Oktober 2007

C.   Die Internetseite der DCRG

D.   Die Internetseite der DST

E.   Die Internetseite der DCRI

F.   Das Dekret Nr. 2014–445 vom 30. April 2014

Abkürzungsverzeichnis

A

Arrêté

a. E.

am Ende

Abs.

Absatz

AFRI

Annuaire Français de Relations Internationales

AJDA

L’actualité juridique – Droit administratif

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

Art.

Artikel

Ass. nat.

Assemblée nationale

ATDG

Antiterrordateigesetz

Aufl.

Auflage

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BKA

Bundeskriminalamt

BND

Bundesnachrichtendienst

BT-Drs.

Bundestagsdrucksache

Bulletin criminel

Bulletin des arrêts de la Cour de cassation, Chambre criminelle

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfSchG

Bundesverfassungsschutzgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CCSDN

Commission consultative du secret de la défense nationale

D

Décret

DCPJ

Direction centrale de la police judiciaire

DCRG

Direction centrale des renseignements généraux

DCRI

Direction centrale du renseignement intérieur

DCSP

Direction centrale de la sécurité publique

DGSE

Direction générale de la sécurité extérieure

DGSI

Direction générale de la sécurité intérieure

Diss.

Dissertation

Doc.

Document

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DPR

Délégation parlementaire au renseignement

DRM

Direction du renseignement militaire

DST

Direction de la surveillance du territoire

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

f./ff.

folgende Seite(n)

Fn.

Fußnote

G 10

Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

GG

Grundgesetz

GTAZ

Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum

Habil.

Habilitation

Hrsg.

Herausgeber

i. V. m.

in Verbindung mit

JORF

Journal officiel de la République française (Amtsblatt der französischen Republik)

JZ

Juristenzeitung

L

Loi

LfV

Landesämter für Verfassungsschutz

lit.

litera

m. w. N.

mit weiterem/weiteren Nachweis(en)

MAD

Militärischer Abschirmdienst

numéro

NJW

Neue juristische Wochenschrift

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

PKGr

Parlamentarisches Kontrollgremium

PKGrG

Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz)

R

Règlement

RDP

Revue de droit public

Rec.

Recueil des décisions du Conseil constitutionnel (Entscheidungssammlung des Conseil constitutionnel)

Rec. Lebon

Recueil Lebon (Entscheidungssammlung des Conseil d’Etat)

RFDA

Revue française de droit administratif

RFDC

Revue française de droit constitutionnel

Rn.

Randnummer

RSC

Revue de science criminelle et de droit pénal comparé

S.

Seite

Série A

Série A des publications de la Cour européenne des droits de l’Homme: Arrêts et décisions (bis 1995)

SÜG

Sicherheitsüberprüfungsgesetz

u. a.

und andere

VBlBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerwArch

Verwaltungs-Archiv

vgl.

vergleiche

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZD

Zeitschrift für Datenschutz

ZG

Zeitschrift für Gesetzgebung

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert als

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

Einleitung

A.    Einführung

Die zunehmende Bedrohung durch extremistische und terroristische Angriffe geht in Frankreich und in Deutschland einher mit einer Verstärkung staatlicher Mechanismen zur Abwehr dieser Gefahren. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts richten sich terroristische Straftaten „gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes“.1 Das Gericht bekräftigte daher, dass „der Terrorismusbekämpfung im rechtsstaatlichen Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung ein erhebliches Gewicht beizumessen ist“.2 Die Notwendigkeit eines effektiven Schutzes des Staates und der Bevölkerung ist dabei mit rechtsstaatlichen Vorgaben an staatliches Handeln in Einklang zu bringen. Inlandsnachrichtendiensten3 kommt in diesem Rahmen eine zentrale Bedeutung zu. Sie stehen allerdings vor der Herausforderung, dass sich ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit oftmals auf die Fälle reduziert, in denen sie Anschläge nicht verhindern konnten. Die Reaktionen auf derartige vermeintliche Fehlleistungen reichen von Forderungen nach Reformen bis hin zu ihrer Abschaffung.4

Eine Diskussion über den Bestand und die Ausgestaltung der Inlandsnachrichtendienste findet seit 2011 sowohl in Frankreich als auch in Deutschland statt. Das veranschaulicht die sogenannte „Affäre Merah“, in die der französische Inlandsnachrichtendienst, die Direction centrale du renseignement intérieur (zentrale Abteilung für Inlandsnachrichten, DCRI), verwickelt ist. Obwohl die DCRI Mohamed Merah wegen seines islamistischen Hintergrundes mehrere Jahre überwachte und ihn anlässlich seiner Aufenthalte in Afghanistan und Pakistan sogar befragte, wurde seine Observierung aus bisher nicht geklärten Gründen eingestellt.5 Merah ermordete im März 2012 in Montauban und Toulouse sieben Menschen aus antisemitischen und islamistischen Motiven. Anschließend hielt er dem französischen Inlandsnachrichtendienst sogar dessen Untätigkeit vor.6 Die genauen Hintergründe der Taten und der Versäumnisse der verantwortlichen Sicherheitsbehörden sind vielschichtig und beschäftigten seitdem unter anderem eine interne Ermittlungskommission der Polizei sowie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung.7

Auch der deutsche Inlandsnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), steht seit 2011 im Rahmen der „NSU-Affäre“ in der Kritik. Jahrelang hatte eine rechtsextremistische Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, Anschläge, Überfälle und zehn Morde an Personen mit Migrationshintergrund sowie an einer Polizistin verübt, ohne dass der rechtsextremistische Hintergrund und vor allem der Zusammenhang der Taten vom Verfassungsschutz oder der Polizei entdeckt wurden.8 Seitdem haben sich insbesondere ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie weitere Kommissionen mit der Aufklärung dieser Versäumnisse befasst.9 Während dieser Aufarbeitung wurden von den Verfassungsschutzbehörden Akten vernichtet, was zu weiterem Unverständnis in der Öffentlichkeit und zum Rücktritt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz führte.10

Diese beiden aktuellen Ereignisse aus den Jahren 2011 und 2012 lassen trotz ihrer Unterschiede hinsichtlich der Art der Gefährdung im Einzelnen vergleichbare Herausforderungen und daraus resultierende Anforderungen an die jeweiligen Inlandsnachrichtendienste erkennen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen die Organisation und die Funktionsweise der Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland untersucht und miteinander verglichen werden. Anlass der Untersuchung ist dabei die institutionelle Reform des französischen Inlandsnachrichtendienstes im Juli 2008. Diese ist eingebettet in weitere institutionelle Veränderungen des französischen Nachrichtendienstrechts von 2007 bis Ende 2009. Unter anderem ist erstmals ein allgemeines parlamentarisches Kontrollgremium der Nachrichtendienste eingerichtet worden. Den Diskussionsbedarf über die Nachrichtendienste illustriert eine Aussage vom damaligen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy, der noch 2007 in einem informellen Gespräch mit früheren Innenministern zum Ausdruck gebracht haben soll, dass die Arbeit der Nachrichtendienste ein „Mysterium“ darstelle und nicht genau bekannt sei, was sie machten.11 Durch die angesprochenen Veränderungen besteht eine gleiche Ausgangslage zum deutschen Verfassungsschutz, der seit 1978 durch ein parlamentarisches Kontrollgremium der Nachrichtendienste kontrolliert wird und im Hinblick auf seine Organisationsstruktur seit seiner Gründung im Jahr 1950 im Grundsatz unverändert besteht. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, vor welchen Hintergründen die jüngeren Reformentwicklungen in Frankreich durchgeführt wurden und wie sie zu bewerten sind. Vor den eingangs geschilderten ähnlichen Herausforderungen und der unterschiedlichen Entwicklung gilt es zu analysieren, wie Frankreich und Deutschland den Ausgleich zwischen Effektivitätsinteressen einerseits und der Wahrung rechtsstaatlicher Vorgaben in der Organisation der Inlandsnachrichtendienste andererseits bewältigen.

B.    Gegenstand und Methode der Untersuchung

Gegenstand der Untersuchung ist der Vergleich der Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland. Bei den Inlandsnachrichtendiensten handelt es sich in beiden Ländern um diejenigen Behörden, die einen Beitrag zum Schutz des Staates leisten, indem sie Informationen mit einem Inlandsbezug über extremistische Angriffe sammeln und auswerten. Die Erkenntnisse dienen der Information der Regierung und können sodann für weitere Zwecke wie die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten eingesetzt werden.12 Der französische Inlandsnachrichtendienst wird insbesondere in der deutschen wissenschaftlichen Aufarbeitung pauschal und allenfalls im Überblick behandelt, wobei sich die bisherigen Darstellungen im Wesentlichen auf die Vorgängerbehörden der DCRI beziehen.13 So wird zumeist ohne eine nähere Auseinandersetzung angeführt, dass weitreichende Aufgaben und kaum kontrollierte Befugnisse bestehen.14 Eine systematische Darstellung und Bewertung des reformierten Inlandsnachrichtendienstes und der Auswirkungen der Reformen im Nachrichtendienstbereich der vergangenen Jahre fehlt hingegen, ebenso ein hier ansetzender Vergleich des französischen mit dem deutschen Inlandsnachrichtendienst.15

Methodisch soll rechtsvergleichend vorgegangen werden. Danach können einzelne Rechtsinstitute miteinander verglichen werden, sofern sie dieselbe Funktion in den ausgewählten Rechtsordnungen erfüllen.16 Nach der Auswahl der Vergleichsgegenstände ist die jeweilige Rechtslage einzeln in sogenannten Länderberichten darzustellen, wobei auch eine Gliederung in Teilfragen zweckmäßig sein kann.17 Hierbei sind insbesondere die begrifflichen Besonderheiten der jeweiligen Rechtsregime zu beachten.18 Eine Gegenüberstellung der Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands resultiert daraus, dass beide Länder einer vergleichbaren Bedrohungslage in Europa ausgesetzt sind und daher besonders interessant ist, wie mit diesen Herausforderungen umgegangen wird. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, durch den Vergleich der Organisation, der Aufgaben und Befugnisse sowie der parlamentarischen Kontrolle der Inlandsnachrichtendienste in beiden Ländern die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, Unterschiede aufzudecken und diese zu bewerten.19 Die Erkenntnisse des Vergleichs dienen dazu, die jeweils in Frankreich und in Deutschland im Nachrichtendienstrecht bestehende Rechtslage zu überdenken und Defizite aufzuzeigen, die in künftigen Reformprozessen berücksichtigt werden könnten.20 Die Bedeutung dieser Vorgehensweise zeigt beispielsweise das Gesetzgebungsverfahren zur Schaffung des parlamentarischen Kontrollgremiums in Frankreich, bei dem auch rechtsvergleichende Überlegungen zum deutschen Nachrichtendienstsystem Beachtung fanden.21 Die Herausarbeitung nachrichtendienstlicher Besonderheiten zweier zentraler Akteure in der Europäischen Union erleichtert überdies den Zugang zu der zunehmend an Bedeutung gewinnenden europäischen Zusammenarbeit der nationalen Nachrichtendienste und trägt dazu bei, künftige europaweite Entwicklungen an den Erkenntnissen auszurichten.

Insgesamt soll es sich nicht um einen umfassenden Rechtsvergleich der Inlandsnachrichtendienste in allen Aspekten handeln. Vielmehr stehen in erster Linie die neuen Entwicklungen in Frankreich im Vordergrund und sollen erläutert und bewertet werden. Hierbei konzentriert sich die Untersuchung auf die französische Rechtslage, die durch die Reformen seit 2007 entstanden ist. Diese Reformen sind das Ergebnis einer längeren Entwicklung und führen zu zentralen institutionellen Veränderungen und Anpassungen des französischen Inlandsnachrichtendienstes und des Nachrichtendienstsystems insgesamt. Der deutsche Verfassungsschutz soll im Rahmen dieses Rechtsvergleichs als Bezugspunkt und europäisches Referenzmodell fungieren, mit dem der französische Inlandsnachrichtendienst verglichen wird. Die Darstellung des deutschen Inlandsnachrichtendienstes beschränkt sich deshalb auf das Vorstellen der jeweiligen Grundzüge, um eine Vergleichsgrundlage herzustellen. In einem ersten Schritt werden die jeweiligen Einzelaspekte der Inlandsnachrichtendienste gegenübergestellt und sodann in einem zweiten Schritt die Ergebnisse zusammengeführt und miteinander verglichen.22 Innerhalb dieses Rechtsvergleichs soll zudem auf Vorgaben und Empfehlungen des Europarates Bezug genommen werden, die in einzelnen Bereichen eine übergreifende Bewertung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Inlandsnachrichtendienste ermöglichen.

Die „Affäre Merah“ Anfang 2012 und der französische Regierungswechsel im Frühjahr 2012 haben dazu geführt, auf Seiten der Regierung die eingeleiteten Reformen um den französischen Inlandsnachrichtendienst zu evaluieren und weitere Veränderungen vorzuschlagen. Die Darstellung der DCRI in dieser Arbeit basiert auf der gegenwärtigen Rechtslage und umfasst solche Änderungen, die bis Oktober 2013 umgesetzt wurden. Gleiches gilt für den deutschen Verfassungsschutz. Zur besseren Einordnung einer möglichen weiteren Entwicklung soll abschließend auf einige aktuelle Vorschläge im Überblick eingegangen werden.

C.    Gang der Untersuchung

Der erste Teil der Untersuchung stellt die Organisation der Inlandsnachrichtendienste in den Vordergrund. Nach einem Überblick über die in Frankreich und Deutschland vorhandenen Nachrichtendienste und Begrifflichkeiten wird die Reformentwicklung des französischen Inlandsnachrichtendienstes näher skizziert und seine Organisationsstruktur erläutert. Dem werden die Entwicklungslinien und die Struktur des deutschen Verfassungsschutzes gegenübergestellt. Hauptgesichtspunkt der weiteren Darstellung ist die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste. Dabei soll der verfassungsrechtliche Rahmen aufgezeigt und in die jeweilige Normenhierarchie eingeordnet werden.

Im zweiten Teil werden die Schutzgüter und Aufgaben sowie die Befugnisse des französischen und deutschen Inlandsnachrichtendienstes miteinander verglichen und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Zudem ist auf die Zusammenarbeit der Inlandsnachrichtendienste mit anderen Sicherheitsbehörden auf nationaler Ebene einzugehen, die die Stellung der Inlandsnachrichtendienste im französischen und deutschen Nachrichtendienstsystem verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund wird auch die nationale Koordination der Nachrichtendienste behandelt.

Der dritte Teil befasst sich mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste in Frankreich und Deutschland, die für die Arbeit und das Verständnis beider Inlandsnachrichtendienste von Bedeutung ist. In diesem Bereich soll gegenübergestellt werden, dass in Frankreich erst 2007 ein allgemeines parlamentarisches Kontrollgremium geschaffen wurde, während die deutschen Nachrichtendienste bereits seit 1978 durch ein solches Gremium parlamentarisch kontrolliert werden. Hierbei ist die Entwicklung darzustellen und die Rechtslage der parlamentarischen Kontrollgremien zu vergleichen.

Abschließend ist im vierten Teil ein Überblick zu weiteren Entwicklungen und Diskussionen um die Inlandsnachrichtendienste zu geben. Hierzu zählen insbesondere Reformvorschläge in Frankreich, die seit der Präsidentschaftswahl im Mai 2012 und dem damit einhergehenden Regierungswechsel im Raum stehen und ausgearbeitet werden. Kern der Diskussion ist die Frage nach einer gesetzlichen Rechtsgrundlage des französischen Inlandsnachrichtendienstes. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse des Rechtsvergleichs und weiteren Schlussbetrachtungen.

 

1 BVerfGE 133, 277, 333 f., Rn. 133 (Antiterrordateigesetz).

2 BVerfGE 133, 277, 333 f., Rn. 133 unter Verweis auf BVerfGE 115, 320, 357 f.

3 Die im Rahmen der Arbeit gebrauchten Begriffe, unter anderem des Nachrichtendienstes, werden aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammenhängend im Ersten Teil, A. I. erläutert.

4 Siehe z. B. Leggewie/Meier, Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2012, S. 63, 63 ff.

5 Vgl. im Einzelnen z. B. den Untersuchungsbericht der internen Polizeiinspektion Desprats/Léonnet, Affaire Merah, Rapport 2012, S. 1 ff.; Décugis/Labbé/Recasens, Le Point, 29. März 2012, S. 48, 48 ff.

6 Vgl. Hollande, Déclaration à Toulouse, 17. März 2013, S. 1 f., 4 f.; Borredon/Cazi, Le Monde, 20. Oktober 2012, S. 1 f.

7 Siehe den Untersuchungsbericht der Polizeiinspektion Desprats/Léonnet, Affaire Merah, Rapport 2012 und den Bericht des Untersuchungsausschusses Cavard/Urvoas, Rapport, Doc. Ass. nat., n° 1056, 24. Mai 2013.

8 Vgl. den Überblick der Taten in BMI/IMK, Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, 2013, S. 123 ff.

9 Siehe z. B. BMI/IMK, Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, 2013, sowie den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses „Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund“, BT-Drs. 17/14600 vom 22. August 2013.

10 Kutscha, NVwZ 2013, S. 324, 324 sieht die Vorfälle um den NSU als „schwerste Legitimationskrise“ in der Geschichte des deutschen Verfassungsschutzes an. Vgl. Sattar, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Juli 2012, S. 2.

11 Vgl. das Zitat bei Denécé, in: Denécé (Hrsg.), Renseignement, médias et démocratie, S. 231, 231 m. w. N.

12 Zu den Aufgaben der Inlandsnachrichtendienste im Einzelnen Zweiter Teil, A. II.

13 Zur DCRI s. z. B. Segell, in: Jäger/Daun (Hrsg.), Geheimdienste in Europa, S. 35, 43 ff. Zu den Vorgängerbehörden der DCRI: Morisse-Schilbach, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 299, 310 ff.; Hirsch, Die Kontrolle der Nachrichtendienste, S. 229 ff.; Borgs-Maciejewski, in: BfV (Hrsg.), Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 165, 165 f. stellt in den 1990er Jahren fest, dass die Vorgängerbehörden „ohne spezielle Rechtsgrundlage“ geführt wurden.

14 Vgl. etwa Morisse-Schilbach, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 299, 310; Smidt, in: Morisse-Schilbach/Peine (Hrsg.), Demokratische Außenpolitik, S. 143, 159; Borgs-Maciejewski, ZRP 2006, S. 41, 43.

15 Würtenberger, in: Würtenberger/Gusy/Lange (Hrsg.), Innere Sicherheit, S. 231, 232 legt im Rahmen eines allgemeinen Vergleichs des französischen und deutschen Sicherheitsrechts dar, dass eine Rechtsvergleichung im Sicherheitsrecht „noch weitestgehend“ fehlt. Der politikwissenschaftliche Vergleich von Canu, Der Schutz der Demokratie in Deutschland und Frankreich, 1997, hat einen weitergehenden Ansatz, bei dem die Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands nur einen Teil der Untersuchung darstellen. Die Arbeit von Ferro, L’image des services de renseignement, 2012, vergleicht im Überblick das gesamte französische und deutsche Nachrichtendienstrecht, konzentriert sich dabei aber auf das Bild und die Wirkung der Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit aus dem Blickwinkel der Politikwissenschaften.

16 Zur Methode der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 4 f., 31 ff.; zum öffentlichen Recht Starck, JZ 1997, S. 1021, 1026 ff.; Sommermann, in: Handbuch der Grundrechte, Band I, § 16 Rn. 50 ff.

17 Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42.

18 Starck, JZ 1997, S. 1021, 1026 ff.

19 Zu den Zielen der Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 13 ff., 43 ff.; Starck, JZ 1997, S. 1021, 1023 ff.; nach Schmidt-Aßmann/Dragon, ZaöRV 2007, S. 395, 397, 467 f. ist der Rechtsvergleich im öffentlichen Recht „ganz vorrangig als gegenseitiger Lernprozess“ zu verstehen.

20 Zum rechtspolitischen Element der Rechtsvergleichung Sommermann, DÖV 1999, S. 1017, 1020 f.

21 Siehe Garrec, Rapport, Doc. Sénat, 2006–2007, n° 337, 20. Juni 2007, S. 12 ff.; Vinçon, Avis, Doc. Sénat, 2006–2007, n° 339, 20. Juni 2007, S. 10 ff. Vgl. auch Dritter Teil, C.

22 Zu dieser Vorgehensweise Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42.

Erster Teil:
Die Organisation des Schutzes der Verfassung durch die Inlandsnachrichtendienste in Frankreich und Deutschland

 

Bevor die Inlandsnachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands im Detail untersucht werden, soll zunächst ein Überblick über die jeweilige nachrichtendienstliche Struktur in beiden Ländern gegeben werden (A.). Hieran anschließend soll die nähere Organisation der Inlandsnachrichtendienste untersucht werden, wobei auch der geschichtlichen Entwicklung insbesondere der französischen Behörde Bedeutung zukommt (B.). In einem letzten Abschnitt werden die Rechtsgrundlagen der Inlandsnachrichtendienste behandelt und miteinander verglichen (C.).

A.    Die Nachrichtendienste Frankreichs und Deutschlands

Zur Einordnung der in dieser Arbeit zu behandelnden Inlandsnachrichtendienste soll zunächst ein kurzer Überblick über die zugrundeliegenden Begriffe (I.) und die jeweiligen nationalen Dienste (II.), die sicherheitsrelevante Informationen sammeln, gegeben werden.

I.     Begriffe

Als notwendige Grundlage der Arbeit gilt es in einem ersten Schritt die verwendeten Begriffe, wie etwa die des Nachrichten- und Geheimdienstes sowie des Staats- und Verfassungsschutzes, zu erläutern.

1.     Die französischen „services de renseignement“

Die im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch als Nachrichten- oder Geheimdienste bezeichneten Behörden werden in Frankreich als services de renseignement bezeichnet.23 Weitere nicht einheitlich gebrauchte Begriffe für die handelnden Behörden sind services de sécurité, services intérieures, services secrets, services spécialisés oder police politique. Da eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Begriffe nicht oder nur zum Teil besteht, soll daher eine Auseinandersetzung in sprachlicher und institutioneller Hinsicht erfolgen, um daran anschließend das dieser Arbeit zugrunde gelegte Verständnis festzulegen. Unter einem service de renseignement kann Staats- und Verfassungsschutz bzw. Nachrichten- oder Geheimdienst verstanden werden.24 Zentraler Oberbegriff ist das Wort renseignement, welches mit Auskunft, Nachricht, Mitteilung oder Information übersetzt werden kann.25 Eine wörtliche Übersetzung der handelnden Behörden legt daher den Begriff des Nachrichtendienstes nahe. In Abgrenzung hierzu kann service secret als Geheimdienst übersetzt werden.26

Der Begriff renseignement durchzieht das französische Sicherheitsrecht und findet sich insbesondere in den Namen der maßgeblichen Behörden wie der vorliegend zu untersuchenden Direction centrale du renseignement intérieur oder der Vorgängerbehörde Direction générale des renseignements généraux (allgemeine Abteilung für allgemeine Nachrichten) wieder.27 Gleiches gilt für übergreifende Institutionen im Nachrichtendienstrecht, wie das parlamentarische Kontrollgremium (Délégation parlementaire au renseignement) oder den nationalen Koordinator (Coordonnateur national du renseignement). Weiterhin hat der Begriff seine Grundlage in Gesetzen und im wissenschaftlichen Diskurs.28 Die sonstigen einleitend genannten Bezeichnungen beziehen sich offenbar auf Teilbereiche des Sicherheitsrechts, auch wenn ein einheitlicher Gebrauch nicht konsequent zu beobachten ist. So wird service de sécurité (Sicherheitsbehörde) oder service de sécurité intérieure (Behörde für die innere Sicherheit) speziell für die Inlandsüberwachung, services secrets hingegen für die Auslandsüberwachung herangezogen.29 Police politique (politische Polizei), police d’information (Informations-/Nachrichtenpolizei) oder renseignement politique (politische Nachricht) machen zum einen die später zu untersuchende Beziehung zur Polizei deutlich, unterstreichen zum anderen den Einfluss der Politik bzw. der Regierung auf die Dienste.30

Insgesamt ist festzustellen, dass der Begriff renseignement bzw. service de renseignement für die handelnden Behörden von zentraler Bedeutung im französischen Sicherheitsrecht ist.31 Die Behörden können anknüpfend an die obige Übersetzung sprachlich als Nachrichtendienste benannt werden, ohne damit eine systematische Einordnung oder Bewertung aus juristischer Sicht vorzunehmen.

2.     Die deutschen Begriffe: Nachrichten- und Geheimdienst, Verfassungsschutz

Auch in Deutschland ist im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und anderen Diensten im allgemeinen Sprachgebrauch scheinbar undifferenziert von Nachrichtendiensten, Geheimdiensten, Sicherheitsbehörden oder dem „Verfassungsschutz“ die Rede. Diese Begriffe sind ebenfalls keine eindeutig festgelegten Fachbegriffe, jedoch sind sie größtenteils wissenschaftlich aufgearbeitet und voneinander abgrenzbar. Als Nachrichtendienste werden solche Behörden bezeichnet, die Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln sammeln und auswerten, ohne darauf aufbauend weitere Maßnahmen vorzunehmen.32 Dies stellt begrifflich gerade den Unterschied zur Bezeichnung der Geheimdienste dar, die neben dem Sammeln und Auswerten von Informationen „aktive Maßnahmen“ wie Agitation, Desinformation, Diversion, Konspiration, Sabotage, Subversion, Unterwanderung, politische Morde etc. ergreifen, um den Gegner im In- und Ausland zu stören oder zu beeinflussen.33 Der Geheimdienstbegriff ist demnach weiter gefasst, der des Nachrichtendienstes hingegen spezieller. Wie die anderen deutschen Dienste ist auch das BfV ausschließlich auf das Sammeln und Auswerten von Informationen beschränkt, ohne nach seinem gesetzlichen Auftrag weitere aktive Handlungen vornehmen zu dürfen. Demzufolge ist das BfV als Nachrichtendienst im oben genannten Sinn zu qualifizieren und soll im Folgenden auch so bezeichnet werden.34

Der Begriff des Staatsschutzes ist älter und zugleich weitgehender als der des Verfassungsschutzes und meint den Schutz eines Staates vor sämtlichen Gefahren gegen seinen Bestand.35 Der im allgemeinen Sprachgebrauch oft nur institutionell als Bezeichnung für das BfV oder die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) genutzte Begriff des Verfassungsschutzes hat darüber hinaus aber eine konzeptuelle Bedeutung und betrifft nicht nur die Nachrichtendienste. Insgesamt fallen unter diesen erst mit der Entstehung von Verfassungen auftretenden Begriff alle Regelungen, die die besondere Grundordnung des Staates sichern sollen.36 Diese Regelungen können inhaltlich strafrechtlicher (sog. strafrechtlicher Verfassungsschutz) oder staatsrechtlicher Natur (sog. staatsrechtlicher Verfassungsschutz) sein und werden von den Nachrichtendiensten (sog. nachrichtendienstlicher Verfassungsschutz) und von weiteren Sicherheitsbehörden (exekutiver Verfassungsschutz) ausgeübt.37 Die in Art. 73 Abs. 1 Nr. 10, 1. Alt. lit. b Grundgesetz (GG) enthaltene Legaldefinition des Verfassungsschutzes umschreibt daher nur einen Bereich der Aufgaben des Schutzes der Verfassung.38 Danach wird der Verfassungsschutz definiert als Schutz „der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes“. Folglich ist das BfV damit materiell für den nachrichtendienstlichen Verfassungsschutz zuständig.

3.     Das der Untersuchung zugrundeliegende Begriffsverständnis

Nach den vorangegangen Erläuterungen können sowohl die DCRI als auch das BfV als Nachrichtendienste bezeichnet werden. Dabei ist anzumerken, dass die deutsche Abgrenzung und Einordnung nicht allein sprachlicher Natur ist, sondern die genannte wissenschaftliche Differenzierung unter Einbeziehung der gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse erfolgt ist. Demgegenüber handelt es sich bei den französischen Nachrichtendiensten in erster Linie um eine Übersetzung des Begriffes der services de renseignement, ohne damit eine weitergehende inhaltliche Einstufung vorzunehmen. Um eine einheitliche sprachliche Grundlage zu gewährleisten, soll in Kenntnis dieses Unterschiedes im folgenden Rechtsvergleich begrifflich für beide Dienste von Nachrichtendiensten ausgegangen werden. Die Beurteilung der Aufgaben und Befugnisse der DCRI bleibt der weiteren Darstellung dieser Arbeit vorbehalten und soll durch eine allein sprachliche Unterscheidung nicht vorweggenommen werden.39 Insbesondere eine Übertragung des deutschen Begriffsverständnisses von Geheim- und Nachrichtendiensten auf die französischen Dienste ist nicht möglich, aber auch nicht erforderlich.40 Die Abgrenzung und die Einordnung sind zugeschnitten auf das deutsche Nachrichtendienstrecht und vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland zu sehen.41

Im Folgenden soll dementsprechend in sprachlicher Hinsicht der Begriff der „Nachrichtendienste“ für alle deutschen und französischen Dienste gebraucht werden und „Inlandsnachrichtendienste“ bzw. „Dienste“ allein den hier zu untersuchenden speziellen Teil der Nachrichtendienste für das Inland bezeichnen. Der Begriff „Verfassungsschutz“ in seinem institutionellen Sinn hingegen soll nur für den deutschen Inlandsnachrichtendienst herangezogen werden.

II.    Die nachrichtendienstliche Struktur

Zur weiteren Abgrenzung ist es angezeigt, überblicksartig die jeweilige Struktur der Nachrichtendienste in beiden Ländern vorzustellen.

1.     Die Nachrichtendienste in Frankreich

Die nachrichtendienstliche Struktur in Frankreich besteht aus sechs Nachrichtendiensten mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen.42 Hierzu zählen zunächst die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI) und die Direction générale de la sécurité extérieure (allgemeine Abteilung für die äußere Sicherheit, DGSE), die als Behörden mit allgemeiner Zuständigkeit („services à compétence générale“) bezeichnet werden.43 Während die dem Innenministerium unterstehende DCRI, die Gegenstand dieser Arbeit ist, für die Inlandsüberwachung zuständig ist, ist die Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE) der französische Auslandsnachrichtendienst. Dieser ist dem Verteidigungsministerium zugeordnet und befasst sich mit dem Sammeln und Auswerten von Informationen, die die Sicherheit Frankreichs betreffen, sowie der Spionageabwehr44 außerhalb des französischen Staatsgebietes.45 Neben diesen beiden zentralen Behörden gibt es vier weitere im Hinblick auf ihre Aufgaben spezialisierte Nachrichtendienste („services spécialisés46): die dem Verteidigungsministerium zugeordnete Direction du renseignement militaire (DRM), die für das Sammeln militärisch relevanter Informationen zuständig ist,47 die Direction de la protection et de la sécurité de la défense als weiterer interner Dienst des Verteidigungsministeriums für Sicherheitsfragen,48 die Direction nationale du renseignement et des enquêtes douanières49 für Zollfragen und die dem Finanzministerium unterstehende Abteilung Traitement du renseignement et action contre les circuits financiers clandestins50 für den Kampf vornehmlich gegen Geldwäsche.51 Auch wenn weitere Behörden Informationen mit nachrichtendienstlichem Bezug sammeln, beziehen sich die zentralen Regelungen im Nachrichtendienstrecht allein auf diese sechs Nachrichtendienste.52

2.     Die Nachrichtendienste in Deutschland

Wie in Frankreich gibt es auch in Deutschland keinen einheitlichen Nachrichtendienst. Die als „nachrichtendienstliche Trias“ bezeichneten Behörden sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND).53 Die Struktur des deutschen Inlandsnachrichtendienstes folgt dem föderalen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland und wird institutionell durch das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) gewährleistet. Diese sind zusammen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)54 unter anderem dafür zuständig, Informationen über solche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Neben weiteren Aufgaben fällt auch die Spionageabwehr im Inland in den Aufgabenbereich des BfV und der LfV.55 Der BND hingegen ist der deutsche Auslandsnachrichtendienst. Er ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes und sammelt Informationen „zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind“.56 Der MAD als dritter Nachrichtendienst untersteht dem Bundesministerium für Verteidigung und dient der Extremismusabwehr speziell im Bereich der Bundeswehr. So kommt ihm insbesondere die Aufgabe zu, Informationen über Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu sammeln, wenn sich diese gegen Personen oder Einrichtungen aus dem Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums richten oder von diesen ausgehen.57 Allen deutschen Nachrichtendiensten ist gemeinsam, dass sie organisatorisch von Polizeibehörden zu trennen sind und ihnen auch keine polizeilichen Befugnisse zustehen. Auf diesen für das deutsche Sicherheitsrecht zentralen Grundsatz wird später gesondert eingegangen.58

3.     Rechtsvergleich

Die hier nur im Überblick aufgezeigte Struktur der Nachrichtendienste zeigt Parallelen. Sowohl Frankreich als auch Deutschland besitzen mehrere voneinander nach Aufgaben und dem Beobachtungsfeld zu trennende Nachrichtendienste und unterscheiden sich insofern von Staaten, deren Nachrichtendienste zu einem einzigen für alle Bereiche zuständigen Nachrichtendienst fusioniert sind.59 Das BfV und die LfV als Inlandsnachrichtendienst finden ihr Äquivalent in der DCRI, der BND als Auslandsnachrichtendienst der generellen Aufgabenstruktur nach in der Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE). Für den speziellen Bereich des Militärs bestehen Ähnlichkeiten zwischen dem MAD und der Direction du renseignement militaire (DRM). Diese strukturellen Übereinstimmungen sind der Ausgangspunkt für einen Vergleich im Detail. Hierbei beschränkt sich die nachfolgende Untersuchung auf den Bereich der Inlandsüberwachung und analysiert, inwiefern die jeweilige organisatorische Ausgestaltung der DCRI und des BfV einander gleichen und in welchen Aspekten sie voneinander abweichen.

B.    Die Organisation der Inlandsnachrichtendienste

I.     Der französische Inlandsnachrichtendienst: die Direction centrale du renseignement intérieur (DCRI)

Während die zivile Auslandsaufklärung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges allein von einer Behörde, der Direction générale de la sécurité extérieure (DGSE),60 ausgeübt wird, existierten bis 2008 zwei Nachrichtendienste, die mit der Inlandsaufklärung beauftragt waren. Dies war zum einen die Direction centrale des renseignements généraux (DCRG), zum anderen die Direction de la surveillance du territoire (DST). Beide Inlandsnachrichtendienste fusionierten im Jahr 2008 im Zusammenhang mit weiteren Veränderungen des gesamten französischen Nachrichtendienstrechts zur DCRI.

In einem ersten Abschnitt ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zunächst auf die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste (1.) einzugehen. Hiervon ausgehend sollen die Vorgängerbehörden des jetzigen Inlandsnachrichtendienstes erläutert (2.) sowie die Reformen des französischen Nachrichtendienstrechts der Jahre 2007 bis 2009 skizziert werden, die zur Einordnung der Gesamtentwicklung erforderlich sind (3.). Zuletzt wird die Organisation des Inlandsnachrichtendienstes DCRI dargelegt (4.).

1.     Die Wahrnehmung der französischen Nachrichtendienste in der Öffentlichkeit

Nähert man sich dem französischen Verständnis zu den Nachrichten- bzw. dem Inlandsnachrichtendienst, so ist zunächst kennzeichnend, dass nach der Aussage von Verantwortlichen der Nachrichtendienste lange Zeit keine „culture du renseignement“ (nachrichtendienstliche Kultur) vorherrschte.616263