Teufelstaufe

 

 

 

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Band 41

 

Teufelstaufe

 

von Rüdiger Silber und Logan Dee

nach einer Story von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2015

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Lektorat: Reinhard Schmidt

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: story2go | Die eBook-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind …

Unterdessen wird Coco Zamis von Asmodi erpresst. Der Fürst der Finsternis entreißt ihr das noch ungeborene Kind und benutzt es als Pfand. Während die junge Hexe bisher sicher war, dass sie es von dem Verräter Dorian Hunter empfangen hat, behauptet Asmodi, dass er es ist, der sie geschwängert hat.

Um ihr ungeborenes Kind wiederzuerlangen, begibt sie sich in Asmodis Hände. Doch keine der Aufgaben, die er ihr stellt, erfüllt sie zu seiner Zufriedenheit. Behauptet zumindest er und erpresst sie weiterhin.

Schließlich gelingt es ihr mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen.

Aber jetzt ist es ihr eigener Vater, Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert.

 

 

 

 

Erstes Buch: Der Dämonenstab

 

 

Der Dämonenstab

 

von Rüdiger Silber

nach einer Story von Uwe Voehl

 

1.

 

Gegenwart

Wien, Zentralfriedhof

Der Mann stand gebeugt vor dem frischen Grab. Äußerlich regungslos starrte er auf das vorläufige hölzerne Grabkreuz mit dem aufgemalten Namen, dem Geburts- und Sterbedatum, und auf den Blumenschmuck. Abgeworfenes Herbstlaub lag zwischen den Chrysanthemen und Margeriten, den Stiefmütterchen und den Vergissmeinnicht. Die Farbe der Blüten war symbolisch gewählt: Weiß für den Tod. Blau für die treue Erinnerung. Grün für die Hoffnung. Einzelne Blumen zeigten bereits erste Zeichen der Verwelkung.

Der Mann bückte sich und legte einen Strauß frischer, leuchtend roter Rosen auf das Grab.

Er hob ein welkes Blatt auf. Es war brüchig und braun. Wie die Mumie eines Blattes. Er zerrieb das Blatt zwischen den Fingern. Und unter dem Rand der Sonnenbrille, die er an jenem grauen Herbstnachmittag trug, rann eine Träne hervor.

Der Mann hieß Anton Klingler und hatte Erfahrung im Trauern. Schließlich war er nicht zum ersten Mal Witwer geworden. In den vergangenen zehn Jahren hatte er vier Frauen überlebt. Jede war vermögend gewesen, und auf jede hatte er bald nach der Hochzeit eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen.

Anton Klingler machte ausschließlich Witwen mittleren Alters mit lohnenswerten Erbansprüchen den Hof. Den Kontakt suchte er mithilfe von Zeitungsinseraten. Aber vielleicht war es an der Zeit für eine Veränderung. Zeit, den Modus Operandi zu wechseln …

Aus den Augenwinkeln musterte Klingler die Frau, die ein Stück entfernt vor einem anderen Grab verharrte. Die Trauerkleidung, die sie trug, wirkte teuer. Das tiefschwarze Kostüm war figurbetont geschnitten und umspannte üppige Rundungen, die von der schmalen Taille wie eingeschnürt wirkten. Der Rock reichte knapp über die Knie und ließ stramme Waden sehen. Unter dem breitrandigen schwarzen Hut hatten sich etliche helle Haarsträhnen gelöst.

Klingler besaß das Augenmaß des Kenners. Der Körper dieser Frau hatte die Blütezeit hinter sich und den Zenit reifer Weiblichkeit erreicht. Eine gut erhaltene, attraktive Fünfzigerin, schätzte er. Leider war das Gesicht hinter einem Witwenschleier verborgen.

Sie stand mit gefalteten Händen vor einer alten Familiengrabstätte mit einem prachtvollen Monument aus Marmor. Nichts wies darauf hin, dass dort kürzlich jemand bestattet worden war. Doch das hatte wenig zu bedeuten. In diesen über Generationen benutzten Familiengräbern wurden aus Platznot oft nur noch Urnenbestattungen vorgenommen. Möglicherweise war die Dame bereits länger im Witwenstand, aber noch immer untröstlich. Beides würde sich vielleicht bald ändern …

Bislang hatte Klingler nie zweimal in derselben Stadt gefreit. Die Gräber seiner verblichenen Gemahlinnen verteilten sich über halb Europa. Nur deshalb war bislang noch kein Verdacht auf ihn gefallen. Aber gewiss würde es nicht schwer werden, seine nächste Wiener Braut zu einem Ortswechsel zu überreden.

Wie von Trauer übermannt, senkte Anton Klingler das Haupt und rieb sich hinter den getönten Brillengläsern über die Augen. Dann näherte er sich gemessenen Schrittes der Witwe.

Er räusperte sich. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Trauer störe …« Höflich nahm Klingler die Sonnenbrille ab und blinzelte die Dame aus feuchten, rot geriebenen Augen an. Er wies auf die rostige Gießkanne, die auf der Einfassung des Familiengrabes stand. Ein besserer Vorwand, um die Auserwählte anzusprechen, war ihm nicht eingefallen. »Aber die Blumen auf dem Grab meiner Frau benötigen etwas Wasser. Dürfte ich mir kurz den Sprenger von Ihnen ausleih…«

Klingler verstummte abrupt. Sein Blick klebte auf der Handtasche, die, vom Schulterriemen gehalten, auf der ausladenden Hüfte ihrer Besitzerin ruhte. Eine merkliche Hitze ging von dem Accessoire aus. Im ersten Moment glaubte Klingler, die Dame führe in der Tasche einen elektrischen Handwärmer mit sich. Aber dafür war der November bisher nicht kalt genug.

Doch dann bemerkte er, dass die Handtasche pulsierte, sich blähte und zusammenzog wie ein schwach pumpendes Herz oder eine flach atmende Lunge.

»Gefällt Ihnen meine Handtasche?«

Die Dame hatte den Hutschleier zurückgeschlagen. Sie war viel älter, als Klingler angenommen hatte. Ihre kreidige Gesichtshaut war straff über den Schädelknochen gespannt und von unzähligen Runzeln und Furchen durchzogen. Sie wirkten wie ein Netz von Sprüngen in einer Gipsmaske. Die Miene zeigte von Trauer keine Spur. Das trockene schwarze Augenpaar glänzte wie Kohlesplitter. Zwar waren die Lippen zu einem weißen Strich zusammengepresst – aber dieser Strich bog sich zu einem Grinsen.

Die Alte packte Klinglers Rechte. Ihr Griff war überraschend kalt und hart. Sie zwang ihn, mit den Fingerspitzen über das warme, feinporige, pulsierende, bläulich-schwarze Leder der Handtasche zu streicheln. Was Klingler für einen Knopf gehalten hatte, erwies sich bei der Berührung und näherem Hinsehen als menschlicher Nabel.

Die knirschende Stimme der Alten ging ihm durch Mark und Bein. »Diese Tasche wurde vor zweihundert Jahren gefertigt, unter anderem aus der Haut und dem Gebärorgan einer überaus fruchtbaren Negersklavin, die den Besitz ihres Herrn zu Lebzeiten um ein Dutzend kräftiger Negerkinder vermehrt hat.«

Die Alte gab Klinglers Finger frei, und er riss die Hand zurück, als habe eine Giftnatter danach geschnappt. Er wirbelte herum und ergriff blindlings die Flucht. Zu spät bemerkte er den Mann, der ihm plötzlich im Weg stand.

Der Mann war gut einen Kopf größer als Klingler und so stark und schwer, dass es Klingler vorkam, als sei er gegen eine Mauer gerannt.

Der Fremde schrie auf.

Es war ein höllischer Wutschrei.

Benommen taumelte Klingler zurück. Er begriff, dass der Mann etwas fallen gelassen hatte. Etwas, das er unter dem zusammengefalteten Mantel, den er in der Armbeuge trug, versteckt gehalten hatte, und das nun nach dem Zusammenstoß auf dem laubbestreuten Kiesweg lag.

Klingler starrte von Grauen erfüllt darauf.

Er war am helllichten Tag in einen Albtraum geraten!

Zu seinen Füßen lag ein Glaszylinder, in dem eine klare, perlende Flüssigkeit schwappte. In der Flüssigkeit schwamm ein menschlicher Fötus.

Der Fötus strampelte schwächlich.

 

Trotz seines mörderischen Zorns kümmerte Michael Zamis sich im ersten Moment nur um den Fötus. Rasch bückte er sich und hob den Glaszylinder auf. Offenbar war das Gefäß unbeschädigt geblieben. Der Fötus wirkte unruhig. Die kleinen Füße und Fäuste ruderten schwach in der Nährflüssigkeit. Über der Nasenwurzel hatte sich eine winzige Falte eingegraben und verlieh dem unfertigen Gesicht einen missbilligenden Ausdruck. Zum soundsovielten Mal fragte Michael Zamis sich, wem das Ungeborene ähnlich sah.

Die Erleichterung darüber, dass der Fötus unverletzt geblieben war, wich prompt der Rachsucht. Michael Zamis blickte sich nach der Kreatur um, die ihn angerempelt hatte.

»Keine Sorge«, sagte die Frau in Schwarz. »Der Kerl kommt nicht davon. Er hat die Handtasche berührt.«

»Hat sonst jemand den Vorfall beobachtet?«

»Sonst sind wir hier weit und breit allein«, beruhigte ihn die Frau. »Obwohl ich mich noch immer frage, warum du dich unbedingt nachmittags an einer alten Grabstätte auf dem Zentralfriedhof mit mir verabreden musst. Auch bei euch in Wien gibt es doch sicher Orte, die verschwiegener sind und sich besser für die Übergabe eignen.«

Michael Zamis spähte misstrauisch umher. »Ich hatte keine Zeit zu verlieren«, sagte er. »Asmodi hat das Ungeborene in seinem alchemistischen Labor mit einer aufwendigen magischen Apparatur am Leben erhalten. Aber als ich ihn zwang, es mir zu übergeben, schwamm es in diesem Glas, in dieser Bizzel-Plörre. Anfangs war der Fötus recht lebhaft, wie ein fast fertiger Säugling. Inzwischen rührt er sich kaum noch. Asmodi hat ihn mir ausgehändigt wie ein in Formaldehyd eingelegtes pathologisches Objekt. Ich fürchte, er hat Schaden genommen oder stirbt sogar.«

Die Frau nahm den Fötus in Augenschein. »Sagtest du nicht, er sei ein Dämonenspross?«

»Natürlich! Wozu bräuchte ich dich sonst?«

»Dann ist er zäh«, stellte die Frau fest. »So schnell stirbt ein Dämon nicht, und sei er noch so winzig. Dieser Winzling hier erscheint mir trotz allem in guter Verfassung zu sein.«

Michael Zamis stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Immerhin war die Frau eine Dämonen-Amme – eine Dämonin, die darauf spezialisiert war, den Dämonennachwuchs in die menschlichen Leihmütter einzupflanzen. Niemand kannte sich besser mit ungeborenen Dämonen aus.

»Öffne das Glas«, forderte sie. Während Michael Zamis den Deckel des Zylinders abschraubte, griff die Amme nach der Handtasche. Beim Aufklappen gab die Lasche ein schmatzendes Geräusch von sich. Das Innere der Handtasche wirkte wie ein schmiegsames Futteral aus feuchter Schleimhaut. Pochende rote und blaue Äderchen schlängelten sich an den Innenseiten entlang. Seitlich saß ein faustgroßes, pulsierendes Gebilde von purpurroter Färbung. Es wurde der Länge nach von einem Lippenpaar geteilt, das entfernt an eine Vagina erinnerte.

Nach der Anweisung der Amme hob Michael Zamis den Fötus aus dem Zylinderglas und ließ ihn behutsam in das aufklaffende Innere der Tasche gleiten. Die Amme nahm das von der Plazenta abgetrennte Ende der Nabelschnur und strich damit über die Lippen des purpurnen Organs. Die Lippen stülpten sich vor und saugten die Nabelschnur ein. Zugleich füllte sich das Innere der Tasche, das den Fötus aufgenommen hatte, mit einem klaren, speichelartigen Sekret. Michael Zamis beobachtete, wie die steile Falte auf der Stirn des Fötus sich glättete. Das Gesicht nahm einen entspannten Ausdruck an. Es sah aus, als sei der Fötus friedlich eingeschlummert.

Die Dämonen-Amme klappte die Handtasche zu. Michael Zamis ließ langsam die Atemluft entweichen. Vorläufig war der Balg in Sicherheit!

Jetzt erst hatte er Augen für die äußere Erscheinung der Dämonin.

»Dafür, dass dir unser Treffpunkt nicht diskret genug vorkommt, hast du dich aber ziemlich auffällig in Schale geworfen.«

»Ich wähle meine Mode immer nach dem Ambiente«, versetzte die Dämonin. »Übrigens macht meine Bekleidung mich nicht auffällig, sondern unauffällig. Die meisten Menschen besuchen den Zentralfriedhof um der Ruhe oder der Romantik willen. Begegnen die Friedhofs-Flaneure der Trauer und dem Tod, wenden sie peinlich berührt den Blick ab. An einem Ort wie diesem bewirkt ein solches Witwenkostüm mehr als jede andere Aufmachung, dass die Menschen dich gar nicht bemerken wollen. Davon abgesehen«, fügte sie hinzu und ließ den Schleier wieder vors Gesicht fallen, »gibt die Trauerkleidung mir die Möglichkeit, mein Antlitz zu verbergen.«

»Du weißt, was du zu tun hast«, sagte Michael Zamis.

Die Dämonin legte ihm die Hand auf den Arm. Es war eine Geste, die um Vertrauen warb. Aber er hätte zu gern ihren Gesichtsausdruck gesehen.

Sie wandte sich ab.

Michael Zamis blickte ihr nach, während sie davonging.

Schließlich goss er die Flüssigkeit aus dem Glaszylinder in den Efeu auf dem Familiengrab und stellte das Gefäß neben der Gießkanne auf der Marmorumfriedung ab. Dann hob er seinen Mantel auf, zog ihn über und entfernte sich ebenfalls.

Er war kaum drei Minuten lang zwischen den Gräbern entlanggeschritten, als ihm der Stoffhaufen ins Auge fiel, der mitten auf dem Weg lag. Er identifizierte ihn als einen dunklen Mantel, der ihm bekannt vorkam. Dann sah er auch die Sonnenbrille daneben liegen.

Er trat näher. Unter dem Mantel bewegte sich etwas.

Michael Zamis beugte sich vor und hob vorsichtig den Mantel an.

Die beiden Friedhofsratten ließen sich nicht stören. Dort lag, verheddert in das blutgetränkte Kleidernest, ein Säugling. Sie fraßen ihm gerade das Gesicht weg. Und während sie fraßen, schrumpfte ihre Beute noch immer.

Michael Zamis klangen die Worte der Amme im Ohr. Der Kerl kommt nicht davon. Er hat die Handtasche berührt. Tatsächlich. Bald würde er nur noch ein Fötus sein. Und dann ein Embryo. Und dann …

Michael Zamis riet den Ratten stumm, sich mit dem Fressen zu beeilen.

 

 

2.

 

Wien, Villa Zamis

Michael Zamis konnte die Nervosität nicht unterdrücken. Er wusste, wer soeben das Familienanwesen betreten hatte. Sobald die Besucherin zu ihm ins Raucherzimmer geführt würde, wollte er sich aus dem Sessel heraus zu seiner imposanten Größe erheben und sie mit patriarchalischer Strenge begrüßen. Doch stattdessen federte er immer wieder unruhig aus dem Lehnstuhl empor und durchmaß mit hastigen Schritten den Raum. Endlich schaffte er es, sitzen zu bleiben, indem er sich eine Zigarre anzündete und das Whiskyglas, das er in der Hand hielt, auf einen Zug leerte und sofort nachfüllte.

Im selben Moment ertönte das Klopfen an der Tür.

»Her…«

Doch die Besucherin wartete die Aufforderung nicht ab. Sie stieß die Tür auf und trat über die Schwelle.

»Coco!«, sagte Michael Zamis nur. Ein Blick ins Gesicht seiner Tochter genügte, und sein Drehbuch für diese Begegnung war vergessen. »Ich …«

»Wo ist mein Kind?«, fiel Coco ihrem Vater ins Wort. Das Lodern der Wut in ihren Augen strafte den eisigen Klang ihrer Stimme Lügen.

Michaels Augen wurden schmal. »So nicht, Tochter!«, sagte er hart. »Setz dich. Aber schenk dir vorher einen Drink ein. Vielleicht entspannt dich das. Und dann … hör mir zu!«

Etliche Sekunden lang kämpften Vater und Tochter mit Blicken. Schließlich wandte Coco sich abrupt ab und trat vor den niedrigen Wandtisch, auf dem Gläser und eine Auswahl teurer hochprozentiger Getränke standen. Sie griff wahllos zu. Erst als sie sich eingeschenkt hatte und die Flasche zurückstellte, las sie beiläufig das Etikett. Beluga Vodka. Helmut von Bergens ›flüssiger Diamant‹, den sie in Moskau gekostet hatte. Unbewusst hatte sie wohl doch eine Wahl getroffen.

»Ich ziehe es vor, zu stehen«, sagte sie.

Ihr Vater nickte. »Wie du willst.« Er führte die Zigarre zum Mund. Doch sie war erloschen, und er ließ sie in den Ascher fallen. Stattdessen nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Glas.

»Asmodi hat Wort gehalten und mir das Kind gegeben«, bestätigte Michael Zamis dann. »Aber er hat es mir ausgehändigt wie eine in Alkohol konservierte Abnormität aus einem Monstrositäten-Kabinett. Es schwamm mit loser Nabelschnur in irgendeiner sprudelnden Flüssigkeit in einem stinknormalen Glas. Darin wäre das Kind nicht lange am Leben geblieben. Was hättest du getan, Coco, wenn ich es dir so übergegeben hätte?«

Cocos Finger krampften sich um das Wodkaglas. Die Knöchel traten weiß hervor. Bevor das Glas zerspringen konnte, nahm sie einen tiefen Schluck. Das Getränk schien ihr den Rachen in Brand zu setzen. Sie verzog jedoch keine Miene. Ihr Puls ging schneller, aber ihr Körper entspannte sich ein wenig.

»Ich will mein Kind«, beharrte sie mit rauer Stimme.

Michael Zamis zündete sich bedächtig eine neue Zigarre an. Dann erhob er sich aus dem Sessel. Er schritt zum offenen Kamin hinüber und lehnte sich rauchend gegen die Konsole.

»Noch einmal, Coco: Was hast du mit dem Kind vor? Willst du es selbst gebären? Du kennst die möglichen Komplikationen. Sie sind einer der Gründe dafür, warum wir Dämonen unseren Nachwuchs von Menschenfrauen austragen lassen. Oder willst du es vielleicht einer Menschenfrau einpflanzen? Weißt du schon, wem?«

Coco schwieg verbissen.

»Du musst dir etwas bewusst machen, Coco: Dieses Kind ist kein gewöhnlicher Dämonensprössling. Und egal, welcher der infrage kommenden Väter …«

»Nur ein einziger kommt infrage!«, rief Coco aufgebracht.

Michael Zamis ließ sich nicht beirren. »Nehmen wir an, Asmodi ist der Vater …«

»Niemals!«, schrie Coco.

»… dann stammt das Kind vom Fürsten der Dämonen und dem weißen Schaf der Schwarzen Familie …«

»Der Vater ist Dorian Hunter!«

»Noch schlimmer! Denn in diesem Fall stammt das Kind vom weißen Schaf der Schwarzen Familie und dem Feind der Schwarzen Familie, einer Kreatur, die obendrein weder ein Dämon war noch ein einfacher Mensch.«

Vater und Tochter starrten einander feindselig an. Michael Zamis zog an der Zigarre, blies den Rauch aus und erklärte möglichst ruhig: »Ich … wir, die Schwarze Familie … müssen wissen, wer tatsächlich der Vater ist. Nicht, wen du dir als Vater wünschst, sondern wessen Lenden das Kind tatsächlich entstammt. Erst dann kann entschieden werden, ob das Kind leben soll; und wie es, falls es leben soll, aufgezogen wird.«

Bei den letzten Andeutungen ihres Vaters war alles Blut aus Cocos ohnehin blassem Gesicht gewichen. Sie setzte zu einer Entgegnung an, doch das Sippenoberhaupt ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Ein Geschöpf, das herkunftsbedingt solche Risiken für die Schwarze Familie birgt wie dieses Kind, darf auf keinen Fall einer alleinerziehenden Mutter anvertraut werden, die sich jeder familiären Aufsicht verweigert und so wenig Verantwortung besitzt, dass sie noch nicht einmal sicher weiß, von wem sie das Kind hat …!«

Coco explodierte. Sie schleuderte das Wodkaglas in den Kamin, wo es klirrend zersprang. Der Alkohol spritzte, und fauchend stoben die Flammen empor.

Sie atmete tief durch. Ihre Augen wurden zu grün funkelnden Schlitzen. »Wo … ist … das … Kind?«, zischte sie.

Auch in Michael Zamis brodelte es. Aber er genoss es auf perverse Art, die Wut seiner aufsässigen Tochter mit eiserner Gelassenheit zu kontern.

Er schnippte die angerauchte Zigarre ins Kaminfeuer und antwortete lächelnd: »An einem ganz besonderen Ort.«

Coco starrte ihr Gegenüber hasserfüllt an. Plötzlich straffte sie sich und ballte die Hände zu Fäusten. An ihrem Hals traten die Sehnen und an ihren Schläfen die Adern hervor. Aus den Schlitzen ihrer Augen sprühten Funken.

Augenblicklich spannte auch Michael Zamis jeden Muskel seines Körpers an. Er breitete die Arme aus und spreizte die Finger. Er bleckte die Zähne, und aus seinen Augen schienen Flammen zu schießen.

Coco hatte ihren Vater mit Magie angegriffen.

Das Ringen währte nicht lange. Coco ging in die Knie.

Der Sieger schnaufte. »Du verfügst über mächtige Hexenkräfte, Tochter. Aber das ist auch das Einzige, was du von mir geerbt hast. Gewachsen bist du mir trotzdem nicht.«

Mit gequälter Miene kam Coco wieder auf die Beine. Sie weinte nicht, denn als Hexe besaß sie keine Tränen. Aber ihre Stimme klang erstickt, die Worte gepresst: »Ich … lasse nicht zu, dass mir das Kind noch einmal weggenommen wird … ich werde den Ort finden, an dem du es versteckst!«

Coco machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Zimmer hinaus. Bevor die Tür hinter ihr ins Schloss krachte, hörte sie noch Michael Zamis' höhnische Worte: »Diesen Ort findest du nie!«

Im nächsten Moment vernahm sie verstohlene Schritte, die vom Teppich gedämpft wurden, und sah einen Schatten, der um die Flurbiegung huschte.

Coco kümmerte sich nicht darum. Keuchend durchmaß sie den Korridor auf dem Weg zur Haustür. Bevor sie die Garderobe erreichte, erhaschte sie abermals den flüchtigen Anblick einer Gestalt, die ihr offenbar auswich und durch die nächste Tür entschwand. Sie glaubte jedoch, Thekla Zamis, ihre Mutter, erkannt zu haben.

Sie riss ihre Jacke vom Kleiderhaken und stürmte durch die Haustür ins Freie.

Erst als Coco das Familiengrundstück hinter sich gelassen hatte, bemerkte sie den Fetzen Papier, der aus der Außentasche der Jacke lugte. Sie zog ihn hervor, blickte beiläufig darauf – und blieb abrupt auf dem Bürgersteig stehen. Auf dem Zettel standen ein paar hastig hingeworfene Wörter in einer eleganten, Coco wohlbekannten Handschrift.

Morgen 14 Uhr Gloriette – Thekla

 

Wien, Schönbrunner Schlosspark

Die ›Gloriette‹ war Coco vertraut, wie jedem Wiener und ungezählten Wien-Touristen. Coco war an der Bushaltestelle Stranitzkygasse ausgestiegen und die Hohenbergstraße entlanggegangen. Dann hatte sie die Brücke überquert und die Allee durchschritten und schon bald die Gloriette erblickt, die sich auf der Kuppe des Schönbrunner Hügels erhob.

Nun stand sie vor der Freitreppe zum Mittelteil des flachen, breiten Kolonnadenbaus. Ein riesiger Adler, die Weltkugel in den Krallen, und allerlei Waffenschmuck krönten diesen mittleren Teil, der einem Triumphbogen ähnelte und von dem rechts und links je ein Arkadenflügel mit schlanken Säulen und luftigen Rundbögen abging.

Coco spähte unter den wenigen Touristen umher, die den Vorplatz um diese Zeit belebten. Von Thekla Zamis war nichts zu sehen. Aber Coco war fast eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit eingetroffen. Zudem kannte sie ihre Mutter: Wenn Thekla die ›Gloriette‹ als Treffpunkt nannte, dann meinte sie mit Sicherheit das Café gleichen Namens, das im Mittelteil des Gebäudes residierte.

Bereits in wenigen Tagen, Mitte November, endete die diesjährige Saison für die Gloriette. Das Café würde dann seine Pforte monatelang schließen. Die Aussichtsplattform auf dem Flachdach der Gloriette war schon jetzt nicht mehr zugänglich. Kein Mensch stand dort oben hinter der Balustrade und genoss die Fernsicht. Bis zum Neubeginn im Frühling beherrschte der steinerne Adler den Himmel über dem Bauwerk allein.

Seit Coco die kurze Nachricht Theklas gelesen hatte, rätselte sie darüber, was ihre Mutter im Schilde führte. Beabsichtigte Thekla das Amt der Schlichterin zwischen Vater und Tochter zu übernehmen? Dann hatte sie unbewusst einen aus psychologischer Sicht ausgesprochen günstigen Ort für das Treffen gewählt – einen Ort, mit dem Coco, Michael Zamis betreffend, eine ihrer wenigen ungetrübten Erinnerungen verband.

Alle irgendwie liebevollen Erinnerungen an ihren Vater gingen weit zurück – in Cocos frühe Kindheit. Einmal, Jahre bevor Coco und ihre Schwester Vera auf Onkel Behemoths Internatsschule für junge Dämonen geschickt worden waren, hatte Michael Zamis mit ihnen beiden, seinen jüngsten Töchtern, einen Ausflug nach Schloss Schönbrunn unternommen. Auf dem Programm hatten die Wagenburg, das Palmenhaus und der Tiergarten gestanden. Anschließend hatte Michael Zamis den Mädchen im Café Gloriette riesige Eisportionen spendiert.

Den Abschluss hatte ein Besuch der Aussichtsterrasse gebildet. Es war Sommer gewesen, der Himmel weit und blau, die Aussichtsterrasse voller Menschen.

»Hier ist es aber ganz schön voll. Wollen wir lieber unter uns sein?«, hatte Michael Zamis seine Töchter gefragt.

»Au ja, Papa, die Menschen stören nur«, hatte Vera gesagt. Coco, die jüngere der beiden, war als begeistertes Echo eingefallen: »Au ja! Au ja!«

»Aber was sollen wir machen, damit die Menschen weg sind?«, hatte Michael Zamis gefragt.

Vera hatte auf die Balustrade gezeigt. »Mach, dass sie alle da raufklettern und runterspringen, Papa!«

Michael Zamis hatte Vera väterlich über dem Scheitel gestreichelt und sie gelobt: »Fürwahr ein dämonischer Vorschlag!« Dann hatte er Coco angeblickt. »Und was schlägt meine Jüngste vor?«

Coco hatte verlegen am Finger gekaut. Doch dann hatte ein Geistesblitz ihre Miene erhellt.

»Mach, dass sie alle ganz dringend Pipi müssen!«

Michael Zamis hatte so dröhnend gelacht, dass die Menschen sich nach ihm umdrehten. »Coco, mein Kind, du hast einen gesunden Sinn für Verhältnismäßigkeit … Veras Idee ist spaßiger, aber der Spaß lohnt das Aufsehen nicht, das die Ausführung erregen würde.«

Vera hatte geschmollt, aber Coco hatte vor Vergnügen gequietscht, als die Plattform sich plötzlich zu leeren begann und der Strom der Menschen, die von äußerster Eile getrieben schienen, sich an der Treppe staute. Als der Vater seinen Töchtern dann noch die Malheure ausgemalt hatte, die sich vor den Damentoiletten abspielten, hatte sie sich begeistert an sein Bein geklammert vor lauter Wonne, einen so tollen Papa zu haben.

Minuten später war der letzte Mensch mit durchnässten Hosenbeinen den Abgang hinuntergestolpert. Michael Zamis hatte die beiden Mädchen, die noch zu klein waren, um über die Brüstung zu blicken, mit starken Armen umfangen und hinaufgehoben.

In südlicher Richtung hatte sich das ungeheure Panorama der Voralpen ausgebreitet. Gegen Norden bot sich ein weiter Ausblick auf Schloss Schönbrunn und die Stadt Wien dar.

»Die Hauptstadt«, hatte Michael Zamis gesagt. »Ein gewaltiger Pferch für 1,7 Millionen Menschen. Nutzvieh der Dämonensippen. Und die mächtigste Sippe Wiens, das sind wir. All das, was ihr hier seht, gehört den Zamis: uns … mir … euch.«

Vera, nun wieder versöhnt, hatte mit heller Stimme ausgerufen: »Ein riiieeesiges Puppenhaus. Und wir dürfen mit all den Puppen darin spielen!«

 

Coco schüttelte die Erinnerung ab und betrat das Café. Thekla hatte bewusst eine ruhige Stunde für das Treffen gewählt. In dem weiten, hohen Raum mit den riesigen Fenstern, den kannelierten Säulen und prunkvollen Stuckaturen wirkten die wenigen Gäste etwas verloren. Coco erspähte ihre Mutter sofort an einem der rückwärtigen Ecktische.

Thekla blickte erst auf, als Coco an ihren Tisch trat. Die Glätte ihrer wächsernen Züge stand wie immer in sonderbarem Kontrast zu dem weißen Haar, das ihr fein geschnittenes Gesicht umrahmte und über die schmalen Schultern fiel. Die dunklen Augen verrieten keine Emotion.

Coco sagte nichts, sondern legte den Zettel mit der Nachricht, den Thekla ihr in die Jackentasche gesteckt hatte, auf den Tisch.

Thekla ergriff das Papier mit ihren langen, dünnen Fingern und riss es ohne hinzusehen langsam in immer kleinere Schnipsel. »Nimm Platz, Coco«, sagte sie ruhig.

Coco zog den gegenüberliegenden Stuhl zurück und setzte sich. »Vater weiß nichts von unserer Verabredung?« Sie meinte es eher als Feststellung und weniger als Frage.

»Natürlich nicht.« Thekla ließ die Papierschnipsel unter dem Tisch auf den Boden rieseln. »Und das soll auch so bleiben.«

»Willst du mir helfen?«, fragte Coco. In Gedanken fügte sie hinzu: Kannst du mir denn überhaupt helfen?

»Mir geht es nicht um dich, Coco.«

»Es geht um mein Kind.« Coco war sicher, dass Thekla ihre jüngste Auseinandersetzung mit Michael Zamis belauscht hatte. Einen anderen Grund Theklas für diese Zusammenkunft konnte sie sich gar nicht vorstellen.

»Es geht um die Familie«, entgegnete Thekla.

Im selben Moment trat ein Kellner an den Tisch.

Coco bestellte das Erstbeste, was sie beim Blick auf die Karte sah. »Einen kleinen Mocca, bitte.«

»Sonst noch etwas?«, fragte der Kellner.

»Ich rate dir sehr zu dem Topfencremetörtchen«, mischte Thekla sich ein.

Coco betrachtete das Topfencremetörtchen, das vor Thekla auf dem Teller lag. Sie hatte es ebenso wenig angerührt wie die Tasse mit Tee. Dabei saß sie offenbar schon länger hier, denn der Tee dampfte nicht mehr.

Coco schüttelte unwillig den Kopf, und der Kellner entfernte sich.

Coco beugte sich vor. Eindringlich fragte sie: »Weißt du, wo mein Kind ist, Mutter?«

Statt darauf zu antworten, hob Thekla die Tasse an den Mund. Doch als das kalt gewordene Getränk ihre Lippen berührte, zog sie eine Grimasse und setzte die Tasse wieder ab. »Bei Asmodi«, erwiderte sie dann.

»Bei … Asmodi?«, wiederholte Coco perplex. Trotz ihrer maßlosen Verblüffung entging ihr nicht der Hass, der in Theklas schwarzen Augen brannte, als sie den Namen des Dämonenfürsten aussprach. Thekla zuckte die schmalen Schultern. »Existiert denn ein Beweis dafür, dass Michael das Kind auch wirklich von Asmodi eingefordert hat? Oder falls er es einforderte, dass er es auch tatsächlich entgegengenommen hat? Wer weiß denn schon, welch heimlichen Handel Michael und Asmodi schon wieder abgeschlossen haben? Oder glaubst du im Ernst, dein Vater habe Asmodi aus reiner Gutmütigkeit davonkommen lassen? Zudem ist Michaels Denkweise egoistisch anstatt dynastisch.«

Mocca-Dampf stieg Coco in die Nase. Sie blickte auf die Tasse, den Löffel, die Zuckerwürfel nieder. Von Coco völlig unbeachtet, war der Kellner am Tisch gewesen und hatte die Bestellung ausgeführt.

»Mächtige Oberhäupter von Dämonensippen«, erklärte Thekla inzwischen, »glauben immer, ihre Herrschaft werde ewig währen. Es handelt sich dabei um eine Selbsttäuschung, die mit der vermeintlichen dämonischen Unsterblichkeit einhergeht. Aber die Geschichte zeigt, dass früher oder später immer ein noch stärkerer Dämon kommt, der den anderen vom Thron stößt. Wenn der Herausforderer nicht aus einer feindlichen Sippe stammt, dann aus der eigenen. Ganz so, wie in jedem Wolfsrudel eines Tages der ergraute Leitwolf sich dem stärksten Rüden der Meute unterwerfen muss. In unserer Familie kommt für diese Rolle nur Adalmar infrage. Du kämst auch infrage, Coco … wenn nur dieser unsägliche veganische Komplex von dir nicht wäre.«

»Dieser unsägliche … was?«

»Ich drücke mich bildlich aus«, verdeutlichte Thekla. »Diese Menschen, die sich Veganer nennen, schämen sich dafür, in der Nahrungskette weit oben zu stehen, und verhalten sich entsprechend albern. Genauso schämst du dich dafür, als Dämonin in der Nahrungskette an der Spitze zu stehen, und verhältst dich dementsprechend albern.«

Coco staunte nicht schlecht über die Gedankengänge ihrer Mutter.

Thekla schien es ihr anzusehen. »Ich bin Michael Zamis bedingungslos ergeben«, rechtfertigte sie sich. »Aber ich habe den dynastischen Weitblick, der ihm leider fehlt. Michael glaubt nicht daran, dass seine Herrschaft als Sippenoberhaupt einmal endet, und daher blickt er nicht über dieses Ende hinaus. Ich hingegen blicke sogar über das Ende von Adalmars Herrschaft hinaus. Wer wird nach ihm Oberhaupt unseres Hauses sein? Wer wird dieses künftige Oberhaupt zur Welt bringen oder zeugen?« Thekla zählte auf: »Lydia oder die Zwillinge? Wohl kaum. Georg? Er wird eine langweilige, mittelmäßige Dämonin heiraten und ebenso langweilige, mittelmäßige Kinder haben. Adalmar selbst? Was immer er in der Abgeschiedenheit der Abruzzen treibt – Nachwuchs kommt dabei bestimmt nicht heraus.«

»Du meinst, mein Kind soll …«

Thekla nickte. »Du bist die Mutter des bislang einzigen Stammhalters, Coco. Und das Kind ist wie geschaffen für diesen Rang, stammt es doch vom Dämonenfürsten höchstpersönlich und von einer der talentiertesten Hexen der Schwarzen Familie ab.«

Coco fehlten die Worte. Was Thekla da sagte, klang ja wirklich vollkommen anders als alles, was Michael Zamis im Raucherzimmer der Villa zu ihr gesagt hatte: nämlich dass das Kind eine Gefahr für die Familie darstelle, wenn Asmodi der Vater sei, und eine noch viel größere, wenn Dorian Hunter es gezeugt habe. Hatte Michael ihr nur etwas vorgemacht? Falls er das Kind wirklich an Asmodi zurückgegeben hatte …

»Woher weißt du denn so bestimmt, dass mein Kind bei Asmodi ist?«, forschte Coco nach.

»Von deinem Vater.«

Coco blieb die Spucke weg.

»Ich ging zu ihm, um nach dem Verbleib des Kindes zu fragen«, erzählte Thekla. »Natürlich verschwieg ich ihm meine dynastischen Erwägungen. Stattdessen verlegte ich mich auf sentimentales Gerede über ›unser gemeinsames Enkelkind‹. Michael lächelte mich an und sagte: ›Das Kind ist bei seinem Vater‹!«

Fast wäre Coco vom Stuhl aufgesprungen.

»Also ist es nicht bei Asmodi!«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Der Vater ist Dorian Hunter!«

»Dorian Hunter?«,