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Lotte Minck (*1960) ist von Geburt halb Ruhrpottgöre, halb Nordseekrabbe. Nach 50 Jahren im Ruhrgebiet und etlichen Jobs in der Veranstaltungs- und Medienbranche entschied sie sich, an die Nordseeküste zu ziehen. Erst kürzlich überkam sie heftiges Heimweh nach dem Ruhrpott, als sie nach Jahren auf dem Land zum ersten Mal in einen echten Stau geriet, der aus mehr als sieben Autos vor einer Ampel bestand und sich diese Bezeichnung dank einer halben Stunde totalen Stillstands redlich verdient hatte. Ihre Heldin Loretta Luchs und alle Personen in Lorettas Universum sind eine liebevolle Huldigung an Lotte Mincks alte Heimat.

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Ruhrpott-Krimödien mit Loretta Luchs bei Droste:
Radieschen von unten
Einer gibt den Löffel ab
An der Mordseeküste

Lotte Minck

Wenn der Postmann
nicht mal klingelt

Eine Ruhrpott-Krimödie mit Loretta Luchs

Droste Verlag

Figuren und Handlung dieses Romans sind frei erfunden.
Ähnlhckeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2015 Droste Verlag GmbH, Düsseldorf
Umschlaggestaltung: Droste Verlag unter Verwendung einer Illustration von Ommo Wille, Berlin
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-7700-4118-3

www.drosteverlag.de

Kapitel 1

In zwei Minuten von Neuschwanstein in den Buckingham
Palace – Loretta geht zum Kaffeeklatsch

»Müssen wir da jetzt wirklich hin?«, quengelte ich zum wiederholten Mal und ging Isolde damit sicher gehörig auf den Keks, auch wenn sie nicht reagierte. Jedenfalls nicht so, wie ich es mir erhoffte, denn sie warf mir lediglich einen amüsierten Blick zu und fuhr ansonsten unbeirrt weiter.

Mist.

Sie hatte mich vom Callcenter abgeholt, und jetzt waren wir auf dem Weg zu Harry Vaske, der Fernsehnation bekannt als Kommissar Wickerling aus der gleichnamigen Erfolgsserie. Laut Isolde hatte er uns zum Kaffee eingeladen, weil er uns zeigen wollte, wie superdufte mein Porträt in seiner Bude aussah. Oder so ähnlich.

Als Isolde mich davon informiert hatte, fand ich die Idee lustig, aber mittlerweile hatte ich meine Meinung geändert. Aber hallo. Außerdem rumorte in mir der Verdacht, dass mehr hinter dieser Einladung steckte. Nur leider nutzte mir das rein gar nichts. Da musste ich jetzt durch.

Ich kam gerade von einer Samstagsschicht, für die ich kurzfristig eingesprungen war. Wen rief Dennis natürlich als Erste an, wenn jemand an seiner Sexhotline ausfiel? Klar: unverheiratete Singles wie Loretta. Die anderen hatten ja schließlich Familie und am Wochenende etwas vor. Ich hatte zugesagt, aber nur unter der Bedingung, dass ich im Gegenzug am Montag einen freien Tag bekam.

»Wir sind da!«, verkündete Isolde aufgeräumt und parkte ihren kleinen Flitzer vor einem großen, prunkvollen Altbau mit riesigen Fenstern und anbetungswürdigen Erkern. »Und jetzt möchte ich ein freundliches Gesicht sehen, Schätzchen.«

Wir klingelten und winkten in die Kamera an der Gegensprechanlage; daraufhin summte es, und die Tür ging auf. Das Treppenhaus sah aus, als hätten sie es aus Schloss Neuschwanstein entführt, aber Harry Vaske sah aus, wie ich ihn aus dem Sommer in Erinnerung hatte: salopp und etwas zu jugendlich aufgebretzelt für sein Alter, mit medienwirksamem Lächeln und voller Leutseligkeit.

»Immer herein, liebe Damen!«, rief er aus und trat einen Schritt zurück, um uns in seine Empfangshalle einzulassen.

Er herzte und küsste die strahlende Isolde, gab mir einen Handkuss und nahm uns die Wintermäntel ab. Dann bat er uns mit einer Geste durch eine halb offen stehende Flügeltür ins Wohnzimmer.

Also dann.

»Heiliges Kanonenrohr!«, rief ich unwillkürlich aus und blieb in der Zimmertür stehen.

Isolde prallte prompt gegen mich, weil sie so schnell nicht hatte reagieren können. Obwohl sie mich dezent von hinten anstupste, rührte ich mich nicht vom Fleck.

Irgendwie konnte ich mich nicht überwinden, den Raum zu betreten. Ich brauchte noch ein bisschen Zeit, um mich zu sammeln.

Harry Vaske strahlte mich an. »Na, Frau Luchs? Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«

So ungern ich es zugab: Allerdings, das hatte es.

Ich nickte langsam.

Der berühmte Fernsehkommissar freute sich sichtlich über meine Fassungslosigkeit. Ich wusste, er war bereits knapp über 70, aber das sah man ihm wirklich nicht an. Sein volles Haar war braun getönt, wobei der Friseur darauf geachtet hatte, ihm silberne Schläfen zu lassen, damit es für einen Mann seines Alters nicht allzu unnatürlich wirkte. Er war hochgewachsen, durchtrainiert und leger gekleidet. Bestimmt machte er regelmäßig Sport, um seine Figur zu erhalten. Stolz stand er vor dem Bild. Meinem Porträt. Mein Gesicht riesengroß an seiner Wohnzimmerwand. Das muss man erst mal verpacken.

»Erinnern Sie sich?«, fuhr er fort. »Unsere kleine Plauderei im Sommer? Ich hatte doch angekündigt, Ihr Porträt erwerben zu wollen!«

Natürlich erinnerte ich mich.

Wir waren uns auf der Vernissage von Isoldes Lebensgefährtin Maria begegnet, der Herr Fernsehkommissar und ich. Marias Ausstellung präsentierte großformatige Schwarzweißfotos, und auf einem der Bilder war mein Gesicht. Gigantisch groß. Sie klären Morde auf, ich kläre Morde auf, hatte Vaske damals gesagt, und wie witzig er es finden würde, mein Porträt zu besitzen.

Ich weiß noch, wie ich dachte, dass es bei ihm ganz klar einen Riss in der Realität geben musste. Er klärte Morde auf? Der Mann war ein Fernsehkommissar!

Er hatte das Bild tatsächlich gekauft. Das wusste ich zwar schon länger, aber erst jetzt, als ich es mit eigenen Augen bei ihm hängen sah, wurde es Wirklichkeit.

Und jetzt glotzte ich mein riesiges Gesicht an, das von der lindgrünen Wand aus einem schlichten silbernen Rahmen zurückglotzte. Ein Wunder, dass ich nicht in Ohnmacht gefallen war.

»Loretta!«, zischte es hinter mir, und Isolde gab mir wieder einen kleinen Schubs.

Das Stäbchenparkett knarrte unter meinen Schritten, als ich mich schließlich aus meiner Erstarrung löste und den Raum betrat. Eine Gruppe Formationstänzer hätte mehr als genug Platz gehabt, dort ihre Choreografie aufzuführen, mitsamt Hebefiguren und Tanzpartner-Weitwurf. Meine Altbauwohnung kam mir schon großzügig vor, aber das hier war monumental. Buckingham-Palace-monumental. Vier Meter hohe Decken mit Stuck, Flügeltüren, Fenster wie Kinoleinwände, Blick auf den Stadtpark. Die Einrichtung war männlich: Chrom, Glas und schwarzes Leder. Keinerlei Schnörkel oder Schnickschnack.

»Aber setzt euch doch«, sagte Harry Vaske und deutete auf das Ecksofa, auf dem mühelos zehn bis zwölf Personen sitzen konnten, ohne sich zu berühren. »Kaffee? Tee?«

»Wir nehmen einen Kaffee. Oder, Schätzchen?«, erwiderte Isolde und zog mich neben sich aufs Polster.

»Kaffee. Ja. Gerne«, murmelte ich.

Das Bild war gegenüber vom Ecksofa platziert, sodass ich keine Chance hatte, mir selbst zu entgehen. Ein Sitzmöbel mit dem Rücken zu meinem Foto gab es nicht.

»Theeeee-aaaaaah!«, jubilierte Vaske in Richtung einer weiteren Flügeltür, die einen Spalt offen stand. »Unser Besuch ist da!«

Umgehend fegte eine Frau ins Zimmer, die ich sofort sympathisch fand. Nicht nur, weil sie klein und rund war, sondern besonders, weil sie kunterbunte Kleidung trug und wie ein fröhlicher Kolibri durch den Raum flatterte.

Sie stürmte zu Isolde und drückte ihr einen herzlichen Schmatzer auf die Wange, dann streckte sie mir die Hand hin. »Willkommen bei uns.«

Ihr Händedruck war herzlich und warm.

»Vielen Dank für die Einladung, Frau Vaske.«

Sie schüttelte kichernd den Kopf. »Ich heiße Klopschinski, so viel Zeit muss sein. Ich verrate Ihnen jetzt ein Geheimnis: Harry Vaske heißt in Wirklichkeit Hartmut Klopschinski. Macht sich aber nicht so gut auf einem Filmplakat.« Wieder kicherte sie und deklamierte dann mit Pathos in der Stimme: »Höllenhunde in der Sahara – mit Hartmut Klopschinski in der Hauptrolle! Das klingt, als würde er nach den Dreharbeiten zum Kiosk gehen und erst mal ein Bierken süppeln, fand sein damaliger Manager.«

Sie wollte sich ausschütten vor Lachen, und ihre grauen Locken flogen, als sie sich zu ihrem Mann umdrehte und ihn stürmisch umarmte.

Dann wandte sie sich mir wieder zu. »Aber nennen Sie mich Thea. Wir sind Harry und Thea, ganz simpel. Und ich darf Sie Loretta nennen, nicht wahr? Ich bin richtig aufgeregt! Da hängen Sie seit ein paar Monaten bei uns an der Wand, und jetzt sitzen Sie leibhaftig auf meinem Sofa. Verrückt.«

Du findest diese Situation verrückt?, dachte ich. Frag mich mal!

Das Ehepaar Vaske … äh … Klopschinski verkündete, den Kaffee holen zu wollen, und verließ den Raum.

»Isolde!«, flüsterte ich sofort. »Jetzt sag mir endlich, warum wir wirklich hier sind!«

Meine Freundin grinste. »Du hast recht, es wird Zeit. Du weißt doch, dass ich ein Drehbuch geschrieben habe.«

Natürlich wusste ich das. Immerhin hatte sie mich ständig mit Fragen über meinen Arbeitsalltag gelöchert, denn ihre Hauptfigur arbeitete an einer Sexhotline.

»Also …«, Isolde grinste noch breiter. »Stell dir vor – es soll tatsächlich verfilmt werden!«

»Was? Gratuliere! Das ist ja …« Ich umarmte sie. »Aber du hast gar nicht erzählt, dass es Verhandlungen gibt! Seit wann weißt du es?«

»Ich wollte nichts sagen, solange ich nicht sicher war, dass es klappt. Vorgestern kam das definitive Okay.«

»Das ist wunderbar, Isolde.« Ich stutzte. Und vorgestern war ihre spontane Einladung zu einem Treffen mit dem berühmten Fernsehkommissar gekommen. Mich hatte überrascht, dass er in derselben Stadt wohnte wie ich, aber irgendwo mussten schließlich auch Berühmtheiten wohnen. Aber Moment mal … »Der nette Herr Klopschinski hat nicht zufällig was mit der Verfilmung zu tun? Sind wir deshalb heute hier?«

Aber eigentlich kannte ich die Antwort bereits, bevor sie nickte. Selbstverständlich hatte der nette Herr Klopschinski damit zu tun.

Denn Zufälle gab es nicht.

Nicht in meinem Leben.

Harry und Thea kamen wieder herein, beide mit einem Tablett in den Händen. Tassen wurden verteilt, duftender Kaffee wurde ausgeschenkt, vom Hausherrn selbst gebackene Plätzchen wurden angeboten.

»Na, was sagen Sie dazu, dass wir bald Ihr Leben als Film sehen werden, Loretta?«, fragte Harry schließlich, als wir alle versorgt waren.

Mir fiel vor Schreck beinahe die Tasse aus der Hand.

Ich hatte noch damit zu kämpfen, dass mein Gesicht in der Wohnung dieser Leute an der Wand hing, und plötzlich ging es um mein Leben auf der Leinwand? Ein bisschen viel auf einmal für meinen Geschmack.

»Mein Leben? Das ist wohl etwas übertrieben, oder? Nur, weil ich Isolde ab und zu ein paar Dinge über meine Arbeit erzählt habe, ist es doch nicht mein Leben, um das es im Drehbuch geht.«

»Nun ja …«, er wiegte den Kopf, »immerhin geht es um eine Hobby-Ermittlerin, die bei einer Sexhotline arbeitet …«

Das wurde ja immer schöner!

Behutsam stellte ich meine Tasse auf den niedrigen Glastisch. Besser, ich hatte nichts in den Händen, das ich spontan gegen die Wand werfen konnte, wenn es mit mir durchging.

Dann drehte ich mich zu meiner Freundin um. »Isolde? Hast du mir etwas zu sagen?«

Sie lächelte harmlos und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht habe ich mich ein wenig mehr von deinem Leben anregen lassen, als ich erwähnt hatte.«

»Sie müssen zugeben, dass Ihre aufregenden Abenteuer weiß Gott inspirierend für einen Krimi sind«, fügte Harry hinzu. »Ich mochte ja kaum glauben, was Isolde uns dann später noch über die Vorkommnisse im Sommer erzählt hat! Natürlich hatte die nette Kommissarin Küpper mich über den Abend der Vernissage befragt, aber was danach noch alles passierte … und wie Sie den Fall dann aufgeklärt haben … Hut ab, Loretta. Ich wünschte, die Drehbuchschreiber meiner Serie hätten auch nur annähernd die Fantasie für Geschichten, die Ihnen in der Realität passieren.«

Thea nickte bestätigend, und Isolde warf mir einen Sag-ich-doch-Blick zu.

Nun ja. Vermutlich hatten sie recht – aus ihrer Sicht zumindest. Irgendwie hatte ich ständig mit Todesfällen zu tun: Zuerst in der Schrebergartenkolonie, in der meine beste Freundin und Noch-Mitbewohnerin Diana eine Parzelle besaß, danach bei den Dreharbeiten für eine Fernseh-Kochshow, bei der Isolde, mein Freund Frank und ich teilgenommen hatten, und zuletzt an der Nordsee, wo ich mit der ganzen Clique Urlaub gemacht und den Fernsehkommissar kennengelernt hatte. Bei diesem Mal war sogar jemand, der mir sehr wichtig war, fälschlicherweise unter Verdacht geraten. Da musste ich doch eingreifen und den wahren Schuldigen suchen, das würde ja wohl jeder so machen!

Aufregend war es, das stimmte wohl.

Inspirierend wäre allerdings nicht unbedingt das Wort meiner Wahl gewesen.

»Und wir haben ehrlich gesagt ein Attentat auf Sie vor«, sagte Thea und hielt mir den Teller mit den Plätzchen unter die Nase, als wollte sie mich dadurch schon mal prophylaktisch milde stimmen.

Was könnte wohl noch schlimmer sein, als das eigene Leben zum Drehbuch verwurstet zu sehen?, dachte ich und wappnete mich innerlich für den nächsten Klopper, der mich wahrscheinlich wie eine Abrissbirne aus den Klotschen hauen würde.

Ich seufzte. »Raus damit.«

Thea und Harry warfen sich schelmische Blicke zu, und mir wurde ganz flau im Magen.

Was kam jetzt?

Wollten sie, dass ich die Hauptrolle spielte?

Loretta Luchs as herself?

Schließlich ergriff Isolde das Wort. »Es ist nämlich so, Schätzchen: Wir möchten dich darum bitten, die Schauspielerin, die die Hauptrolle spielen wird, unter deine Fittiche zu nehmen. Bevor die Dreharbeiten losgehen. Du weißt schon: ins Thema einarbeiten.«

Ich wusste echt nicht, was ich sagen sollte, und das passierte mir nicht häufig. Wie absurd war das denn? Und wie bitte schön stellten die Herrschaften sich das in der Praxis vor?

»Ich soll ihr Schauspielunterricht geben?«, fragte ich mit gespieltem Erstaunen. »Davon verstehe ich aber nun wirklich nicht viel. Meine letzte Rolle war einer der Heiligen Drei Könige im weihnachtlichen Krippenspiel meines Kindergartens. Und dabei bin ich über meinen Umhang gestolpert und habe die Krippe mit dem Jesuskind umgerissen. Das Publikum hat gerast, aber die Jungfrau Maria fand, dass ich ihr die Schau stehle, und hat mir büschelweise Haare ausgerissen, bevor man sie von mir runtergezerrt hat. Also, was könnte ich der zukünftigen Hauptdarstellerin beibringen? Stolpern, hinfallen, prügeln und heulend von der Bühne rennen. Wenn ich damit helfen kann – gerne!«

»Hehehe«, machte Harry Vaske aufgeräumt, »immer zu Scherzen aufgelegt. Hab ich’s nicht gesagt, Thea? Dieses Mundwerk! Herrlich! So habe ich Sie in Erinnerung, Loretta: schlagfertig und amüsant.«

Na prima. Sah ganz so aus, als wäre der Mann mein Fan. Toll.

»Es handelt sich um eine ganz wunderbare Kollegin«, erklärte Harry, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte. »Sie ist so etwas wie unser Schützling, schon seit Jahren. Sie hat bisher fast ausschließlich am Theater gearbeitet und ist unsicher, wie sie die Rolle anlegen soll. Und da dachten wir, Sie könnten ihr beratend zur Seite stehen. Das sollen Sie natürlich nicht umsonst machen.«

Ich horchte auf. Nicht umsonst? Plötzlich klang die gerade noch so absurde Bitte der anderen schon deutlich vernünftiger. Mein altes Auto würde es nicht mehr lange machen, also konnte ich jeden Cent zusätzlich gut gebrauchen. Nicht umsonst, so, so …

Ein melodisches Signal erklang, das sich als Türklingel entpuppte, als Thea aufsprang, »Da ist sie ja schon!« zwitscherte und aus dem Wohnzimmer eilte.

Hier wurde wirklich nicht lange gefackelt. Gab es nicht mal vor Urzeiten eine Show im Fernsehen, die Lass dich überraschen hieß? Offenbar befand ich mich auf einer Zeitreise in die Vergangenheit und war gerade mittendrin. Ich suchte Isoldes Blick und sah sofort, dass auch sie nicht damit gerechnet hatte. Harry nippte an seinem Tee und zwinkerte mir aufmunternd zu.

Als Thea wieder hereinkam, war sie in Begleitung einer zierlichen Frau, deren glattes hellrotes Haar zu einem langen Zopf geflochten war. Ich schnappte nach Luft, denn ich kannte das Gesicht von den Plakaten, die in der Stadt für das hiesige Theater warben. Sie sah irgendwie anders aus, aber sie war es, eindeutig. Diese Frau war der Star des Ensembles, soweit ich das mitbekommen hatte.

Harry sprang auf und eilte ihr entgegen.

»Emily – wie schön, dass du es doch noch geschafft hast!«

Küsschen rechts, Küsschen links. Dann nahm er sie an der Hand und führte sie zum Sofa.

»Emily, das ist Loretta Luchs. Loretta – Emily Eichberger. Und die Dame neben ihr ist Isolde Frankenberg, der wir das famose Drehbuch zu verdanken haben.«

Emily Eichberger schüttelte uns die Hand, und ich war überrascht, wie schüchtern sie wirkte. Von einer Bühnengröße ihres Formats hätte ich erwartet, dass sie den Raum ausfüllte und selbst Isolde, deren schillernde Präsenz stets überwältigend war, zu einem Mauerblümchen verblassen ließ. Ich hatte mit großen Gesten und dramatischem Auftritt gerechnet.

Innerlich schüttelte ich über mich selbst und meine himmelschreiende Naivität den Kopf. Ich lief ja schließlich auch nicht in der Weltgeschichte herum und hechelte jedem Mann Sexgeflüster ins Ohr, nur weil ich an einer Sexhotline arbeitete. Ich unterdrückte ein Kichern bei der Vorstellung, in der Kassenschlange beim Discounter den Herrn vor mir mit einer Spontanvorstellung von Nanette, dem kessen französischen Zimmermädchen, zu beglücken. Warum sollte Emily Eichberger also in ihrer Freizeit die Lady Macbeth geben?

Sie setzte sich neben mich und hockte mit zusammengepressten Knien da wie ein kleines Mädchen, das auf eine Strafpredigt wartet. Sie blickte auf das Foto an der gegenüberliegenden Wand, dann sah sie mich von der Seite an, dann wieder das Foto, dann wieder mich.

»Das sind Sie«, sagte sie leise.

Bingo – der Kandidat hat 1.000 Punkte!, hätte ich am liebsten gerufen, unterließ es aber aus Angst, sie würde vor Schreck ins nächstbeste Mauseloch hechten.

»Allerdings ist sie das!«, dröhnte Harry jovial. »Hat mich eine schöne Stange Geld gekostet, nebenbei bemerkt.«

Seine Thea feuerte mit hochgezogenen Augenbrauen einen strafenden Blick in seine Richtung, und er verstummte verlegen. Aha, über Geld zu reden, galt in der Casa Klopschinski als unfein.

Gut zu wissen.

Isolde übernahm. »Das ist eine Fotoarbeit meiner Lebensgefährtin Maria. Gefällt Ihnen das Bild, Emily?«

Die Schauspielerin nickte. »Es ist sehr … pur. Wunderbar. Meine Agentur verlangt immer Pressefotos von mir, auf denen ich stark geschminkt bin. Ein Porträt wie dieses hier finde ich sehr viel schöner.«

Deshalb sah sie so anders aus: Sie war komplett ungeschminkt und wirkte deutlich jünger als auf den offiziellen Bildern, die ich von ihr kannte. Und bestimmt tat die Bühnenschminke, mit der ihr Gesicht auf den Theaterplakaten zugekleistert war, noch mal ihr Übriges, um sie älter erscheinen zu lassen.

»Maria ist zurzeit für einen Auftrag in Marokko«, sagte Isolde, »aber wir sehen uns heute ja nicht zum letzten Mal. Wenn Sie mögen, bringe ich Sie beide zusammen. Danach werden Sie garantiert Fotos von sich haben, mit denen Sie glücklich sind.«

Emily Eichberger gerade noch so verschlossenes Gesicht hellte sich auf. »Sehr, sehr gern! Vielen Dank!«

Sofort war eine andere Atmosphäre im Raum. Dafür bewunderte ich Isolde zutiefst: Sie schaffte es immer, dass alle sich wohlfühlten, sagte immer die richtigen Dinge.

Harry Vaske blickte begeistert in die Runde. »Alle sind zufrieden – herrlich. Lasst uns über das reden, weshalb wir hier zusammengekommen sind: unser gemeinsames Projekt.«

Kapitel 2

Blümchenblusen und Regenjacken mit Rüschen –
Loretta ist zum Heulen zumute (tut es aber nicht)

»Diana! Das glaubst du nicht!«, brüllte ich, kaum dass ich die Wohnungstür aufgeschlossen hatte.

Die Wohnung war dunkel, aber aus Dianas Schlafzimmer gegenüber der Küche fiel Licht. Ich galoppierte den Flur entlang und blieb im Türrahmen stehen, als ich sah, womit sie beschäftigt war.

Sie guckte aus der Wäsche wie jemand, der mit den Fingern im Marmeladenglas erwischt worden war. »Ich dachte, ich könnte schon mal die Sommersachen … die ziehe ich doch die nächsten paar Monate sowieso nicht an …«

Ich ging hinein und setzte mich auf ihr Bett, während sie nicht so recht wusste, wie sie die halb gefüllte Umzugskiste verschwinden lassen sollte, vor der sie kniete.

Es war nicht wegzuleugnen: Meine beste Freundin würde sehr bald ziemlich weit weg wohnen. Im Sommer hatte sie sich während unseres Aufenthaltes an der Nordsee Hals über Kopf in den zum Niederknien netten Anwalt Okko verliebt – und er sich in sie. Seit einigen Monaten führten sie eine Fernbeziehung mit knapp 300 Kilometern zwischen ihnen. Jetzt wollten sie nicht mehr nur zusammen sein, sondern auch zusammen leben, und ich konnte ihnen nicht verübeln, dass die Wahl auf den idyllischen Küstenort gefallen war, wo er seine Kanzlei hatte. Bald könnte Diana jeden Tag mit Okkos extrem entzückendem Hund Heini am Strand spazieren gehen.

Ich war ein bisschen neidisch.

Und ziemlich traurig.

Aber ich wollte nicht, dass sie meinetwegen ein schlechtes Gewissen hatte. Immerhin war ich ein großes, tapferes Mädchen, das Todesfälle aufklärte. Da würde mich die Tatsache, dass meine liebste Freundin wegzog, wohl kaum umhauen können.

Also grinste ich und sagte: »Mach ruhig weiter. So bist du mir wenigstens ausgeliefert, während ich erzähle.«

Diana grinste erleichtert zurück. Sie fuhr damit fort, Wäsche aus der Kommode zu holen und in den Karton zu stapeln. »Und? Wie war’s bei Kommissar Widerling?«, fragte sie dann.

Hihihi … Kommissar Widerling. Meine über 70-jährige Kollegin Doris liebte die Serie, in der Harry Vaske seit gefühlten Jahrhunderten die Hauptrolle spielte. Und Doris’ Gatte Erwin, von mir liebevoll auch Minipli-Man genannt, stand als Ex-Bulle derlei Formaten, die mit dem realen Polizeialltag natürlich nicht das Geringste zu tun hatten, zumindest skeptisch gegenüber. Für ihn war der Mann Kommissar Widerling. Basta.

»Nur nebenbei: In Wirklichkeit heißt der Mann Hartmut Klopschinski. Aber seine Agentur fand …«

»Dass dieser Name unfassbar unsexy klingt?«, fiel Diana mir amüsiert ins Wort. »Dem stimme ich zu. Vorbehaltlos.«

»Ihr seid euch also einig – wie schön. Harry ist übrigens ganz nett, habe ich festgestellt. Und ich habe Thea kennengelernt, seine Frau. Sie ist klasse.«

Diana kräuselte die Lippen. »Ach, man ist schon beim Vornamen? Sieh da. Doris wird ausrasten, wenn sie hört, dass du bei ihm zu Hause warst.«

Ich ließ mich rückwärts in die Kissen fallen. »Wenn ich ihr erzähle, worum es bei dem Treffen heute Nachmittag ging, sollte sicherheitshalber ein Notarzt in der Nähe sein, weil sie glatt der Schlag treffen wird. Todsicher.«

»Ach?«, sagte sie wieder, aber diesmal mit deutlich mehr Neugier in der Stimme. »Erzähl.«

Na also. Endlich hatte ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. »Du weißt doch, dass Isolde ein Drehbuch geschrieben hat.«

Diana nickte. Ja, das hatte sie mitgekriegt. Allerdings hatten Isoldes Interviews zu unserem Berufsalltag an der Hotline meist am Wochenende stattgefunden, wenn Diana bei Okko gewesen war – oder Okko hier bei uns. Auf jeden Fall hatte Diana definitiv andere Prioritäten gehabt, als Fragen zu beantworten.

»Dieses Drehbuch wird verfilmt werden.«

»Wahnsinn! Das ist ja klasse für Isolde. Und was hat Kommissar Widerling damit zu tun?«

Ich richtete mich auf, um sie stumm anzustarren. Mal sehen, wie lange sie brauchen würde, um …

»Neiiiin!«, kreischte sie, als der Groschen gefallen war. »Der Typ spielt in dem Film mit?! Dieser abgehalfterte Fernsehgreis? Kann der denn überhaupt was anderes als Kommissar?«

»Muss er gar nicht«, erwiderte ich, »es handelt sich um einen Krimi. Obwohl … wir haben nicht darüber geredet, welche Rolle er spielen wird.«

Sie setzte ein ernstes Gesicht auf und schnarrte in einer erstaunlich guten Imitation des Fernsehkommissars: »Wo waren Sie am Sonntag um Mitternacht? Leugnen ist zwecklos – die Beweise gegen Sie sind überwältigend! Ich glaube, das sagt er in jeder verdammten Folge.« Sie gackerte und fuhr fort: »Ich wette, so redet er auch mit seiner Frau. Ungefähr so: Hast du dieses Frühstücksei zu hart gekocht? Leugnen ist zwecklos – die Beweise gegen dich sind überwältigend!«

»Dafür, dass du es nie guckst, weißt du aber gut, was er in jeder Folge sagt.«

Diana winkte ab. »Ach, das kennt doch jeder. Das ist so etwas wie Beam mich hoch, Scotty oder Hol schon mal den Wagen, Harry. Reine Folklore, mittlerweile. Ich wette, der ist wie ein Pawlow’scher Hund auf diesen Text konditioniert.«

»Vielleicht spielt er ja gar nicht den Kommissar, sondern den Vater der Hauptdarstellerin? Oder einen irren Mörder?«

Diana kicherte. »Das glaubst du doch selbst nicht, Loretta. Einmal Kommissar, immer Kommissar. Das ist wie ein Fluch, und das sagen alle, die jemals eine Serienhauptrolle gespielt haben. Egal, ob sie Ärzte, Anwälte oder Nonnen waren. Was anderes als den Bullen nimmt dem doch kein Mensch mehr ab.« Sie legte ein paar Kleidungsstücke in den Karton und fragte dann hinzu: »Aber was bitte hast du denn jetzt genau damit zu tun?«

»Die weibliche Hauptfigur ist zufällig Mitarbeiterin einer Sexhotline. Aber das ist noch nicht alles: Ich soll die Schauspielerin, die diese Rolle übernehmen wird, in die Geheimnisse unserer Branche einweihen«, erklärte ich betont lässig, als wäre das gar nichts. »Für ’ne Menge Kohle, nebenbei bemerkt.«

Diana reagierte wie erhofft.

»Heiliges Kanonenrohr!«, japste sie. »Loretta Luchs beim Film! Wenn das nicht spektakuläre Neuigkeiten sind! Worum geht es in der Geschichte? Herrje – lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«

»Weiß ich doch selbst noch nicht. Isolde gibt mir morgen das Drehbuch.«

»Ist das spannend! Und wer spielt die Hauptrolle? Neben Kommissar Widerling, meine ich.«

»Emily Eichberger. Ich habe sie vorhin bei Vaske getroffen.«

Diana nickte beeindruckt. »Wow. Die Theatergöttin, nicht schlecht. Die kenne ja sogar ich. Na ja, ist ja auch kein Wunder bei den Millionen Plakaten in der Stadt. Aber die ist doch ein echter Star. Was treibt die Frau denn bloß zum Fernsehen? In einen gemeinsamen Film mit Herrn Klopschinski?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Keinen Schimmer. Vielleicht ein unschlagbares finanzielles Angebot? Was verdient man wohl beim Theater? Bestimmt weniger als beim Film.«

»Vermutlich. Obwohl die beim Theater ganz sicher mehr ackern müssen. Hast du schon einen Plan, wie die Schulung ablaufen soll? Nur Theorie oder auch Praxis?« In unstillbarer Heiterkeit gluckste sie vor sich hin, während sie weitere T-Shirts aus dem Schrank holte, neu zusammenlegte und sorgfältig in den Karton schichtete. »Kleines Praktikum an der Hotline für die feine Theaterdame? Stelle ich mir sensationell vor. Legen Schauspieler nicht immer besonderen Wert auf Authezi … Auzenthi … verflucht, ich hasse dieses bescheuerte Wort! Das hat der Teufel sich ausgedacht, um die Menschen zu ärgern …« Sie holte tief Luft und sagte dann langsam und akzentuiert: »Au-then-ti-zi-tät. Authentizität, Authentizität.« Triumphierend reckte sie eine Faust hoch. »Ha – nimm das, Satan – dreimal hintereinander fehlerfrei!«

»Dem hast du’ s aber gezeigt … Daran wird der gehörnte Fürst der Finsternis lange zu knabbern haben. Ich bin beeindruckt. Jetzt muss er sich ein neues, noch komplizierteres Wort ausdenken, um dich in die Knie zu zwingen.«

Wir lachten uns kaputt, dann wurde sie ernst. »Nicht so beeindruckt, wie ich von dem bin, was du demnächst vorhast. Und ein bisschen neidisch bin ich auch.«

»Du bist neidisch? Noch ein paarmal schlafen, und du lebst mit Prince Charming höchstselbst zusammen an der Nordseeküste. Kein verdammter Märchenerzähler hätte sich eure Lovestory besser ausdenken können. Du liebst ihn, er liebt dich – und einen süßen Hund hat er auch noch. Hallo? Und jetzt noch mal zum Mitschreiben: Worauf genau bist du bitte schön neidisch? Nur damit ich es auch wirklich verstehe.«

Sie stand auf, kam die paar Schritte herüber und setzte sich zu mir aufs Bett. »Ich werde dich wahnsinnig vermissen, Loretta. Das letzte Jahr war astrein. Wir zwei Bekloppten hier zusammen, das hat echt Spaß gemacht. Ich mag dich gar nicht alleine lassen.«

Ja, davor hatte ich auch Bammel.

Allein in der großen Wohnung. Keine lustigen Nächte mehr mit viel Wein, Chips und schnulzigen Liebesfilmen, deren Sentimentalität wir gemeinsam lautstark verhöhnten … Keine Frühstücksorgien mehr am Sonntagmorgen … Keine Diana mehr, mit der ich morgens zur Arbeit fuhr und die dann in der Kabine neben mir saß und Männer zur Schnecke machte.

Ich schluckte und sagte munter: »Aber ich bin doch nicht alleine! Ich habe Bärbel und Frank. Und Bärbels Kinder. Außerdem Doris, Erwin und Isolde – und ihre Maria, wenn sie nicht gerade durch die Weltgeschichte reist. Wenn ich mich einsam fühle, leihe ich mir eine von Isoldes Miezekatzen aus.«

Tatsache blieb allerdings: Mit meinen liebsten, besten Freunden war ich gleichzeitig von glücklichen Paaren umzingelt. Das war sowieso schon haarig, aber mit Diana hatte ich immer jemanden an meiner Seite gehabt, die genau wie ich Single gewesen war. Gemeinsam waren wir ein Bollwerk gegen Frustration.

Aber bald würde ich gänzlich ohne Deckung und Unterstützung sein, was dieses heikle Thema betraf. Ich war ja nicht deshalb Single, weil ich keinen Mann in meinem Leben haben wollte. Nein, ich hatte einfach Pech mit Männern. Und über die einzige kleine Affäre, die ich nach der Trennung von Tom gehabt hatte, hatte ich offiziell den Schleier des Vergessens gesenkt. Meine Freunde waren so nett, dieses Debakel niemals zu erwähnen. Nun, vielleicht redeten sie untereinander darüber, aber in meiner Gegenwart taten sie es dankenswerterweise nicht.

»Außerdem gibt es ja diesen aufregenden Auftrag«, fuhr ich fort, »da werde ich überhaupt keine Zeit haben, dir hinterherzu- trauern. Die Zeit wird vergehen wie im Flug, und im Sommer rücke ich euch da oben auf die Pelle.«

»Das wird genial. Aber jetzt mal im Ernst: Wie stellst du dir die Schulung dieser Schauspielerin vor? Willst du sie wirklich zuhören lassen, wenn du arbeitest?«

Ich zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich hatte noch keine Zeit, darüber nachzudenken. Wie auch? Ich weiß es ja erst seit vorhin. Ich muss erst einmal das Drehbuch lesen. Außerdem habe ich Emily Eichberger gerade erst kennengelernt. Sie wirkt total schüchtern und weltfremd. Und bei uns am Telefon geht es doch ziemlich deftig zur Sache …«

»Na und? Dann wird die zarte Dame halt mal mit dem prallen, wahren Leben konfrontiert. Davon kann sie doch nur profitieren. Frag doch Dennis, ob du sie mal mitbringen darfst. Dann kann sie ein paar Stunden zuhören. Oder einige Tage lang. Er hat garantiert nichts dagegen.«

Das zu prophezeien, war keine große Kunst.

Dennis Karger, unser Chef, stand auf alles, was mit Film und Fernsehen zu tun hatte. Außerdem war er absolut elektrisiert von meinen unfreiwilligen mörderischen Abenteuern – ich würde mit einem derartigen Anliegen offene Türen bei ihm einrennen. Eine Schauspielerin, die sich für einen Film in seiner Firma … nun … inspirieren lassen wollte, das würde ihn direkt hoch auf Wolke 7 katapultieren, kein Zweifel. Dafür wird er sich ganz sicher in sein schickstes 70er-Jahre-Outfit werfen und seine fetten Koteletten besonders buschig bürsten. Wie ein Gockel, der sich extra aufplustert, um die Damenwelt zu beeindrucken.

Diana war mittlerweile bei ihren Blusen angelangt. Sie stand am Kleiderschrank, zog eine nach der anderen vom Bügel, um sie kritisch zu begutachten, und ließ sie dann zu Boden fallen.

»Ich wusste überhaupt nicht, wie viele ich von diesen Dingern habe«, murmelte sie angesichts des duftigen Haufens zu ihren Füßen. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eingedenk des Klimas an meinem zukünftigen Wohnort in Zukunft primär rustikale Kleidung angesagt ist.«

»Ich werde im Internet mal nach geblümten Gummistiefeln und Regenjacken mit Rüschen Ausschau halten. Gibt es bestimmt. Dann musst du deinen Stil nicht allzu drastisch verändern. Es gibt keinen Grund, weshalb du deinem Stil nicht auch bei Windstärke 10 treu bleiben solltest.«

Sie forschte in meinem Gesicht nach Anzeichen von Ironie, aber ich hatte es vollkommen ernst gemeint. Diana liebte es, sich in Blumenmuster aller Art zu hüllen. Ich dagegen war eindeutig der Ringelpulli-zu-Jeans-Typ. Sie die anmutige Elfe, ich die burschikose Kumpeline.

Sie hielt ein zartes Gebilde mit Rosenmuster hoch. »Kannst du welche davon gebrauchen? Sonst frage ich Bärbel.«

»Seit wann trage ich halb transparente, geblümte Walleblusen mit Rüschen?«, fragte ich entgeistert. »Bist du betrunken?«

Diana seufzte. »Leider nicht. Aber das ist eine gute Idee. Ich könnte einen Eimer Wein vertragen. Und einen Happen zu essen.«

»Heute mal chinesisch?«

»Perfekt. Für mich bitte Hummerkrabben. Und Frühlingsrollen. Und gebackene Banane für hinterher.«

Ich bestellte beim Lieferservice und deckte in der Küche den Tisch: Porzellanschälchen, Stäbchen, Weingläser, Kerzen. Plötzlich merkte ich, dass ich mir Mühe gab, den Tisch besonders hübsch aussehen zu lassen.

Wurde ich etwa sentimental?

Ja, wurde ich. Unsere gemeinsamen Mahlzeiten waren gezählt. Und ich wollte eines der letzten Essen ganz sicher nicht aus Pappschachteln futtern.

Ich setzte mich und goss mir Wein ein. Nur die Kerzen auf dem Tisch und auf der Fensterbank spendeten ein wenig Licht, das den großen Raum spärlich erhellte. Fröhliches Summen erklang aus Dianas Zimmer. Ich hörte sie umhergehen, Schubladen und Schranktüren öffnen und wieder schließen. Dann das Geräusch des Klebeband-Abrollers, als sie einen fertig gepackten Karton verschloss. Leises Quietschen des dicken Filzstiftes, als sie den Karton beschriftete.

Ich seufzte und kam mir schrecklich einsam vor.

Bestimmt werde ich nie wieder jemanden treffen, der sein Leben mit mir teilen will, dachte ich, und ich werde als schrullige alte Lady in einem kleinen Häuschen enden, umgeben von 22 Katzen, die mein ganzer Lebensinhalt sind. Ich werde meine Zeit damit verbringen, Überwürfe für mein Sofa zu häkeln, und bei den Kindern in der Nachbarschaft als Hexe gelten. Ich werde …

Es klingelte, und Diana schrie: »Futter! Endlich!«

Sie stürmte zur Wohnungstür, und ich hörte sie mit dem Lieferanten plappern. Seinen überschwänglichen Dankesworten entnahm ich, dass Diana ihm ein fürstliches Trinkgeld gegeben hatte. Dann kam sie, mit Schachteln verschiedener Größe bepackt, in die Küche und stellte alles auf der Arbeitsfläche ab. Sie öffnete eine Box nach der anderen. Alle Sentimentalität wich schlagartig von mir, als sich appetitlicher Essensduft verbreitete.

Wir füllten unsere Schälchen und stellten das restliche Essen bei 80 Grad in den Backofen, um es warm zu halten. Das Schlemmen konnte beginnen.

»Hmmm … ich liebe Glutamat«, verkündete Diana und klemmte eine besonders große Hummerkrabbe zwischen ihre Holzstäbchen. »Und diese fetten, köstlichen …« Sie kaute genüsslich, mit geschlossenen Augen.

Wir ließen uns Zeit mit dem Essen.

Plötzlich sagte Diana: »Das hier …«, sie deutete mit den Stäbchen auf den Tisch, »das hier kann mir kein Okko der Welt ersetzen. Aber du verstehst doch, dass ich bei ihm sein will?«

Sie hatte mir gegenüber tatsächlich ein schlechtes Gewissen, dass sie unser gemeinsames Heim verließ. Aber war es nicht so, dass diese Möglichkeit stets im Raum stand, wenn zwei Singlefrauen zusammenwohnten?

»Natürlich verstehe ich das, Diana. Er ist wunderbar, und du hast einen so wunderbaren Mann mehr als verdient. Ganz bestimmt wird mir die Wohnung ohne dich furchtbar leer vorkommen. Aber jedes Ende ist ein neuer Anfang. Und du ziehst ja nicht nach Neuseeland oder so. Wir sind gerade mal drei Stunden Autofahrt voneinander entfernt. Das ist gar nichts.« Ich hob mein Glas. »Lass uns dieses Thema endgültig beerdigen, ja? Ich nehme dir nichts übel, glaub mir bitte.«

Sie nickte und stieß mit mir an.

Den Rest des Abends verbrachten wir damit, jede Menge Wein zu trinken und uns über einen Liebesfilm lustig zu machen.

Lautstark und sehr, sehr höhnisch.

Kapitel 3

Sonnenbrillen können Leben retten –
selbst wenn Ohrenstöpsel vielleicht die klügere Wahl gewesen wären

Folgerichtig waren wir am nächsten Vormittag bei unserem Eintreffen zum offiziellen, sonntäglichen Abschiedsbrunch bei Isolde mittelschwer verkatert.

Unsere Gastgeberin lachte, als sie die Tür öffnete und unsere zerknitterten Gesichter sah. Gegen die grelle Februarsonne trugen wir die größten Sonnenbrillen, die wir hatten.

»Die Blues Brothers!«, rief Isolde aus. »Welche Ehre!«

»Hmpf«, sagte ich – zu mehr war ich noch nicht fähig. Ich brauchte dringend einen Kaffee.

»Die anderen da?«, fragte Diana, deren Gehirncomputer wohl noch daran ackerte, die Datenbank zum Erstellen grammatikalisch korrekter, ganzer Sätze hochzufahren. Tatsächlich hatten weder sie noch ich uns zugetraut, unfallfrei Auto zu fahren, und waren deshalb mit dem Taxi gekommen.

Isolde beantwortete Dianas Frage, indem sie die Hand hinter ihr rechtes Ohr legte und flüsterte: »Horcht.«

Wir horchten und hörten: nichts. Also waren die anderen eindeutig noch nicht eingetroffen. Innerlich atmete ich auf. Uns würde also noch etwas Zeit bleiben, uns ein wenig zu akklimatisieren und unsere spürbar protestierenden Körper damit zu versöhnen, dass wir sie aus unseren weichen Betten genötigt und quer durch die Stadt geschleift hatten.

Isolde zog uns an den Ärmeln in die Wohnung. »Kommt rein, ihr Elendsgestalten. Ein Espresso wird euch auf die Beine helfen. Übrigens seid ihr eine Stunde zu früh dran.«

Wie bitte? Wir hätten noch eine Stunde länger im Land der Träume verweilen können? Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Andererseits – noch etwas mehr Zeit als erwartet, um uns auf vor Freunde kreischende Kinder vorzubereiten, die an uns hingen und mit uns spielen wollten. Ich liebte Bärbels Kinder, aber sie waren zweifellos anstrengend. Besonders dann, wenn ich Kopfschmerzen hatte.

Wie Zombies schlurften wir hinter Isolde her ins Wohnzimmer des rundum verglasten Penthouses, das sie mit ihrer Partnerin Maria bewohnte. Unisono stöhnten Diana und ich auf. Penthouse plus Rundum-Verglasung plus Wintersonne ergibt was? Genau: gleißende Helligkeit. Mit abgewandtem Gesicht tastete ich mich zu den Fenstern und schloss die Holzjalousien auf der Sonnenseite, was ein hübsches Streifenmuster auf die Sitzlandschaft warf.

»Ich danke dir. Du bist eine echte Freundin«, ächzte die dekorativ gestreifte Diana, die sich auf dem Sofa matt der stürmischen Sympathiekundgebungen von Isoldes drei Katzen zu erwehren versuchte.

Es waren mal vier Stubentiger gewesen, aber die Greisin der kleinen Herde war kurz vor Weihnachten eines Abends friedlich eingeschlafen und am nächsten Morgen nicht mehr aufgewacht.

Ich setzte mich neben Diana, und sofort wandten die Katzen sich mir zu. Eine kletterte auf die Rückenlehne und donnerte ihren Kopf von hinten rhythmisch gegen meinen, um auf sich aufmerksam zu machen. Die beiden anderen kletterten mir auf den Schoß und streckten sich nebeneinander quer über meinen Beinen aus. Die kleinen Biester wussten genau, dass sie von mir die ersehnten Streicheleinheiten bekamen, während Diana in dieser Frage eher zurückhaltend war. Mit Okkos Hund konnte sie deutlich mehr anfangen.

»Wie soll ich bitte mit zwei Händen drei Katzen streicheln?«, fragte ich. »Diana, du musst mir eine abnehmen.«

Hatten die immer schon so laut geschnurrt, oder kam es mir mit meinem verkaterten Brummschädel heute nur besonders laut vor? Die immer noch andauernde Kopfstupserei war auch nicht gerade angenehm …

Doch meine angebliche Freundin schüttelte den Kopf. »Du könntest dir eine wie einen Fellkragen umlegen, dann hast du die Hände für die anderen beiden frei.«

Mit wehender Leinentunika kam Isolde wieder herein. Es klirrte, als sie das Tablett auf dem Sofatisch abstellte. Sie servierte unsere Tassen – Klirr! Klirr! – und holte dann einen Schnellhefter aus einer Schublade ihres antiken indischen Sideboards. Sie legte ihn neben meine Tasse und sagte: »Das Drehbuch.«

Ich versuchte, mich vorzubeugen, um nach Espresso und Schnellhefter zu greifen, aber die Katzen auf meinen Beinen ignorierten meine Bemühungen geflissentlich. Um an den Couchtisch zu reichen, hätte ich mich halb erheben müssen, aber sie hatten nicht vor, ihre Position zu verändern, das stand mal fest. Beide Katzen hatten die Augen fest geschlossen und gaben vor, tief zu schlafen. Ich bildete mir ein, dass sie sich sogar extra schwer machten, und ruderte hilflos mit den Armen.

»Hehehe«, gackerte Diana hämisch und schlürfte mit demonstrativem Genuss ihren Espresso.

Isolde nahm übereck auf dem U-förmigen Riesensofa Platz und schnalzte leise mit der Zunge. Die Tiere reagierten sofort: Sie spitzten die Ohren, hoben die Köpfe, öffneten die Augen. Dann marschierten sie mit hochgereckten Schwänzen im Gänsemarsch zu ihrer geliebten Dosenöffnerin und rollten sich schnurrend rechts und links von ihr zusammen.

Ich war frei und rückte nach vorn an die Polsterkante. Zuerst nahm ich einen überaus wohltuenden Schluck Espresso, dann griff ich nach dem Schnellhefter. Sex kills stand auf dem Pappdeckel.

»Wird der Film so heißen?«, fragte ich.

»Keine Ahnung.« Isolde zuckte mit den Schultern. »So habe ich es genannt, aber das wird sich vermutlich noch ändern. Bis dahin ist es der sogenannte Arbeitstitel.«

Als ich den Schnellhefter aufblätterte, fügte sie hinzu: »Lies es lieber in Ruhe. Heute Abend.«

Ich nickte und legte das Drehbuch wieder auf den Tisch.

»Und Kommissar Widerling spielt also auch mit«, sagte Diana. »Aber erzähl mir nicht, du hast ihm die Rolle auf den Leib geschrieben. Dann würde ich nämlich Zweifel an deinem guten Geschmack kriegen.«

»Na ja …«, Isolde grinste verlegen, »das hat sich so ergeben. Er war mit Thea hier zu Gast, weil er doch das Porträt von Loretta gekauft hat. Maria brachte ins Gespräch, dass ich an einem Drehbuch arbeite, da war er natürlich neugierig und bot an, mir zu helfen. Er hat es gelesen und fand es gut. Zusammen haben wir noch ein paar Dinge daran geändert, und dann war es so weit, dass ich es anbieten konnte. Dabei einen renommierten Schauspieler im Boot zu haben, der die Hauptrolle spielen will, ist ein gutes Verkaufsargument.«

Diana griff zur Kanne und schenkte sich und mir nach. »Und weil eine Hand die andere wäscht, liebe Isolde …«

»Genau. Harry brachte mich mit einem befreundeten Produzenten zusammen. Der kurze Dienstweg, sozusagen. An derartige Leute muss man erst einmal rankommen, wisst ihr? Wenn man niemanden persönlich kennt … Jedenfalls gefiel dem Produzenten das Drehbuch gut, und ehe ich kapierte, was los war, hatte er es auch schon gekauft. Er und Harry hoffen, dass die Verfilmung so viel Erfolg hat, dass daraus eine Serie wird.«

»Aber Vaske hat doch bereits eine Serie«, warf ich ein. »Geht das denn? Zeitlich, meine ich?«

»Es ist noch nicht offiziell, aber es gibt Gerüchte, dass Kommissar Wickerling aufs Altenteil geschickt wird«, raunte Isolde. »Er soll einen jüngeren Nachfolger bekommen. Aber das muss unter uns bleiben, hört ihr?«

So war das also: Der berühmt-berüchtigte Harry Vaske war auf der Suche nach einem neuen Job. Das passierte also nicht nur uns Normalsterblichen, sondern auch Schauspielern.

»Und was wird er in deinem Film spielen?«, warf Diana ein.

»Einen pensionierten Polizisten«, erwiderte Isolde.

Ich fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen. »Waaaaas? Er spielt Erwin?«

»Dann muss er sich auf jeden Fall eine Minipli machen lassen!« Diana kugelte sich vor Lachen. »Das will ich sehen! Unbedingt! Nein, nicht nur ich – das will die Nation sehen!«

»Nein, so eins zu eins dürft ihr euch das nicht vorstellen«, sagte Isolde hastig. »Aber natürlich waren du, Loretta, und auch Erwin in gewisser Weise Vorbilder für die Figuren. Ich bitte euch – die Kombination ist unschlagbar! Die Frau von der Sexhotline, die immer wieder in mysteriöse Todesfälle und Ermittlungen verwickelt wird, und der Ex-Bulle.«

Aus ihrer Sicht war das vermutlich so.

Und aus der Sicht einer hoffentlich interessierten Öffentlichkeit wohl auch, jedenfalls wünschte ich ihr das. Ehrlich, das tat ich wirklich. Aber aus meiner ganz persönlichen Perspektive … hm, nun ja. Ich riss mich wahrlich nicht darum, immer wieder über tote Leute zu stolpern oder selbst in Gefahr zu geraten. Allerdings war es dann natürlich ein wahrer Segen, dass ich den Ex-Polizisten Erwin kannte, mit dem ich ein echt gutes Team abgab. Minipli-Man und Hornbrillen-Girl. Unschlagbar.

»Aber du hast nicht einen unserer realen Fälle für deine Geschichte verwurstet, oder?«, fragte ich.

Isolde schüttelte so vehement den Kopf, dass ihr schneeweißer Bubikopf in Unordnung geriet. »Nee, natürlich nicht. Du weißt doch: Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen …« Es klingelte, und sie sprang auf. »Das sind die anderen. Seid ihr bereit?«

Bereit oder nicht: Einen Wimpernschlag später ging es zu wie auf einem Volksfest. Frank und Erwin schleppten Tragekisten mit Essen an uns vorbei; ihre fröhlich trompetete Begrüßung quittierten wir mit einem schlaffen Winken. Doris dirigierte lautstark, wo was im Esszimmer aufgebaut werden sollte, und enterte dann die Küche, nachdem sie Diana und mich kopfschüttelnd gemustert hatte. Sie war alt und erfahren genug, um zu erkennen, dass wir zu keiner Konversation fähig waren. Timo, Lea und Kevin rasten wie aufgezogen herum und suchten die Katzen, die sich mit angelegten Ohren blitzartig verkrümelt hatten. Sie mussten sich immer wieder aufs Neue an Bärbels lebhafte Brut gewöhnen, waren aber gutmütig und sanft genug, um sich dann – nach einer Schrecksekunde – von den Kindern streicheln und herumschleppen zu lassen.

»Warum sperrt ihr denn die wunderbare Sonne aus?«, fragte Bärbel und machte Anstalten, die Holzjalousien wieder hochzuziehen.

»Chhhhhhhh …«, machte ich in perfekter Imitation des Fauchens eines Filmvampirs und duckte mich weg, die Hände zu Nosferatu-artigen Krallen gehoben. Diana tat es mir nach.

»Okay, okay«, sagte Bärbel grinsend. »Keine Sonne, hab verstanden. Ihr würdet sonst schmelzen, richtig? Oder zu Staub zerfallen.«

»Wahrscheinlich beides. Zu viel Wein gestern«, nuschelte Diana. »Wir brauchen noch ein paar Minuten.«

Die Kinder kamen johlend angerast und machten Anstalten, uns mit Indianergeheul zu umkreisen.

Bärbel reagierte sofort und fing sie ein. »Pssst. Tante Didi und Tante Lolo haben Kopfweh. Schön leise sein, hört ihr?«

Die Kinder sahen uns forschend an.

»Ist so leise genug?«, wisperte Lea dann.

»Sehr gut«, sagte Bärbel. »So ist es genau richtig. Wollt ihr beim Tischdecken helfen?«

»Jaaaaaaaa!«, kreischten sie dreistimmig in trommelfellzerfetzender Lautstärke und tobten in die Küche, gefolgt von Bärbel.

»Das war knapp«, murmelte Diana. »Vorhin dachte ich schon, es geht wieder. Aber dann … so viele Leute. Und alle auf einmal.«

Ich rappelte mich aus meiner halb liegenden Position hoch und leerte meine Tasse. »Komm, reiß dich zusammen. Alle sind dir zu Ehren hier. Verdirb es ihnen nicht.«

»Ich will nicht«, sagte Diana. »Einige von ihnen sehe ich für lange Zeit zum letzten Mal. Frank und Erwin helfen ja beim Umzug, und Doris treffe ich noch bei der Arbeit, aber die anderen … Isolde, Bärbel, die Kinder …« Sie seufzte.

Wir lauschten dem Soundtrack aus Küche und Esszimmer: Lachen, Geschirrklappern, Neckereien, Kindergeplapper.

Diana kramte ihr Handy aus der Tasche. »Damit kann ich doch auch aufnehmen, oder?«

Wir fummelten uns mit vereinten Kräften durchs Menü auf dem Display, dann hatten wir die entsprechende Funktion gefunden. Auf Zehenspitzen schlich sie zum hohen Raumteiler, der den Wohnbereich vom Esszimmer trennte, und hielt ihr Handy in Richtung der Geräuschkulisse.

Ich beobachtete sie und wäre vor Rührung beinahe in Tränen ausgebrochen. Sie nahm ihre Freunde auf, um sie immer bei sich zu haben.

Das Büfett hätte locker für 30 Leute gereicht.