Günstig reisen mit Kindern

Von Österreich bis Oman

Geraldine Friedrich (Hrsg.)

reiseratte

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abenteuer oder Abhängen: Welche Reiseform passt zu uns?

Fragen, die sich Eltern vor der Reise mit Kind stellen sollten

Maschinengewehr mit Mayonnaise: Kultur- und Fressurlaub in Südbelgien

„Which lake are you?“ Familien-Sprachurlaub im Lake District

Mit Kind und Kuh: Kulinarischer Müßiggang auf Südtiroler Bauernhof

Haustausch mit drei Kindern: Familienurlaub, ohne Tourist zu sein

Sehnsuchtsziel Budapest: Städtetrip mit Kleinkind und Großeltern

Karussell oder Kultur? Mit Kleinkind und Oma in der Provence

Cluburlaub mit Fußballcamp: Familienurlaub auf Ibiza

Klettern mit Kind: Einfach mal zur Zugspitze!

Deutsche Jugendherbergen: Familienurlaub mit Programm

Fünf Familien und ein Ferienhaus: Skiurlaub mit fünf Babys

Pilgern mit Fahrrad: Mit Baby und Kleinkind auf dem Jakobsweg

Haustür zu und los: Drei Tage per E-Bike durch die Schweiz

Rumänisches Donaudelta: Familienurlaub mit Pelikan

Schippern mit dem Bungalowboot: Reisen mit behindertem Kind

Sitzfleisch für Fortgeschrittene: Familienreise per Fernbus

Günstig um den Globus: Fernreisen mit Kind

Borneo statt Bauernhof: Tipps für Fernreisen mit Kleinkind

Ferienwohnung mit Familienanschluss: Mit Baby in Oman

Freiwilligenarbeit mit Familie: Leben und Arbeiten in einem nordindischen Dorf

Reiseführerverleger Michael Müller: Selbstbestimmtes Reisen mit Auto oder Wohnmobil

Impfen und Reiseapotheke: Kindergesundheit auf Reisen (Bonuskapitel)

Adressen und Tipps

Herausgeberin und Autoren

Impressum

Buchtipp: Reisen mit Kindern

 

Edition Reiseratte, www.edition-reiseratte.de

Impressum

1. Auflage 2015

© Edition Reiseratte im Dryas Verlag

Herausgeberin der Edition Reiseratte: Geraldine Friedrich, Inzlingen

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Lektorat: Birgit Rentz, Itzehoe

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de)Umschlagmotiv: © Sabine Dunst, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von Alexander Altmann/pixelio.de und privaten Bildern der Autoren: Boris Burcza, Ulrike Bliss, Geraldine Friedrich und Olaf Schlippe / Graphiken Zettel: © Anja Kaiser © intereklam - Fotolia.com

Satz: Dryas Verlag, Frankfurt am Main

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN Printausgabe 978-3-945309-02-5; ISBN EBook 978-3-945309-03-2

www.edition-reiseratte.de

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Für Tim

Vorwort

Liebe Eltern, liebe Großeltern,

Reisen mit Kindern bleiben ein Dauerbrenner. Nach dem ersten Band „Reisen mit Kindern – von Bauernhof bis Bali“ haben wir uns erneut auf die Suche nach Autoren und Gesprächspartnern gemacht, die mit ihren Kindern teils abenteuerliche Reisen unternommen haben. Dabei war es uns wichtig, dem Reisebudget eine besondere Bedeutung beizumessen. So haben wir zu jeder einzelnen Reise nicht nur die von der jeweiligen Familie ausgegebenen Gesamtausgaben erfragt, sondern auch Spartipps recherchiert. Wichtig: Diese Gesamtausgaben lassen sich nie eins zu eins auf andere Familien übertragen, da Flugpreise immer abweichen und es letztendlich vom individuellen Konsumverhalten abhängt, wie viel eine Familie vor Ort ausgibt. Sie sollen lediglich eine realistische Orientierung geben. Klar ist auch: Essen, Trinken, Nebenkosten und Taschengeld brauchen Familien ebenso, wenn sie zu Hause bleiben. Diese Ausgaben sind also streng genommen von den Gesamtausgaben abzuziehen. Ebenfalls neu ist ein umfassender Praxisteil mit Tipps und Anregungen, wie und wo Familien ihre Urlaube verbringen können (ab Seite 198).

Im Interview auf Seite 164 berichtet eine Heidelberger Familie von ihrer Reise mit Baby und Kleinkind per Mietwagen durch Oman. Ein schweizerisches Paar verwirklichte seinen Traum und löste sich mit seinen drei Schulkindern fast ein Jahr lang vom Alltagstrott, um ein Behindertenprojekt in Nordindien mit seiner Arbeit zu unterstützen. Fazit des Familienvaters Rémy: Die zehn Monate Indien und Nepal seien „Abenteuer pur“ gewesen, aber für die Seele brachte die Auszeit vor allem eins: Erholung (Seite 173). Eine Arztfamilie aus Karlsruhe pilgerte mit Baby und Kleinkind vier Wochen lang auf dem Jakobsweg – per Fahrrad. Fazit: Eher keine Erholung: (Seite 104). Urlaub auf einem Bungalowboot oder in einer Jugendherberge: Was für die meisten Familien einfach nur eine normale, eher unspektakuläre Reise ist, stellt für eine Familie mit einer stark behinderten Tochter ein logistisches Großprojekt dar (Seite 131).

Ein Vater erklimmt mit seiner zwölfjährigen Tochter die Zugspitze. Geht das? Ja, aber solch ein Unterfangen hält auch Tücken parat (Seite 76). Fernbus statt Fliegen mit Kind? Nein, lautet die Erkenntnis unserer Autorin (Seite 138). Ich selbst wagte mich an die erste mehrtägige Radtour meines Lebens. Mit Mann und Sohn tourte ich ab unserer Haustür drei Tage lang per E-Bike bis nach Luzern und wieder zurück. (Seite 113).

Es muss nicht immer Abenteuer oder Sport sein. In manchen Jahren steht einfach Erholung auf dem Programm: Bauernhof in Südtirol, Cluburlaub auf Ibiza oder Fressurlaub mit Sohn in Belgien. Im Trend liegen Drei-Generationen-Reisen – doch bringen Ferien mit Oma und Opa wirklich die von den Eltern gewünschte Entlastung? (Seite 51 und Seite 60). Last, but not least lässt uns Reiseführerverleger Michael Müller an seinen Reise-mit-Kindern-Erfahrungen teilhaben.

Die Berichte, Reportagen und Interviews sind Erfahrungsberichte unserer Autoren und Interviewpartner. Sie lassen sich logischerweise nicht eins zu eins auf andere Familien übertragen. Wir hoffen, Sie können von unseren Erfahrungen profitieren. Gute Reise!

Inzlingen, Januar 2015. Geraldine Friedrich

Abenteuer oder Abhängen:
Welche Reiseform passt zu uns?

Feriendorf, Rundreise oder Rucksackurlaub – wer eine Reise mit Kindern plant, sollte vor allem eins: ehrlich zu sich selbst sein.

Zwei Erwachsene, zwei Fahrräder, vier Kinder: Eine Heidelberger Familie unternahm mit ihren Kindern im Alter von null bis fünf Jahren während ihrer Elternzeit eine vierzehn Monate dauernde Weltreise. Konkret hieß das: Mama und Papa strampelten auf dem Rad, die Kinder saßen in zwei Anhängern. Oman, Mongolei, Australien. Der Vater hatte bereits Monate vorher eine Excel-Tabelle mit dem Gewicht jedes einzelnen Gepäckstücks angelegt. Die Eltern verkauften das Auto und kündigten die Wohnung, um die Reise zu finanzieren. Wer ist da nicht beeindruckt? Aber: Beeindruckt sein genügt nicht. Genauso wie manch einer es spannend findet, einen verschwitzten Leistungssportler nach zweiundvierzig Kilometern glücklich die Ziellinie überqueren zu sehen, liest er gern über extreme Reiseerfahrungen anderer Familien. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Reiseform zu ihm passt.

Die ersten Fragen bei der Planung eines Urlaubs mit Kind sind daher dieselben wie bei einem Urlaub ohne Nachwuchs: Was für ein Urlaubstyp bin ich? Mag ich Erholung oder bevorzuge ich Abenteuer? Möchte ich Sehenswürdigkeiten genießen, mich an der frischen Luft bewegen – oder am liebsten von allem ein wenig? Wie wichtig ist mir Kinderbetreuung vor Ort?

Für den späteren Urlaubsgenuss mit Kind hilft es sehr, wenn man sich nichts vormacht: Denn gerade bei individuellen Reisen ist der logistische Aufwand erheblich. Eine gewisse physische Kondition und nicht zuletzt Stressresistenz sind Voraussetzung.

Auch wenn es sich bei anderen schön liest oder toll anhört – welche Familie gibt im Nachhinein schon gern zu, dass sie ihre aufwendige Reise mit Kind zu anstrengend fand. Wer bereits kinderlos Rucksackurlaube mit täglichem Bettenwechsel doof fand oder sich nie fürs Wandern motivieren konnte, der wird sich für diese Reiseformen auch nicht mit Kindern begeistern. Ebenso ehrlich sollte man bei der Reiseplanung seine aktuelle Lebenssituation beziehungsweise die des Partners und der Kinder einschätzen: Wer gerade sein Haus renoviert hat oder demnächst einen neuen herausfordernden Job antritt, dem steht der Sinn vielleicht nicht unbedingt nach einer vierwöchigen Radtour mit Kind im Anhänger durch das gebirgige Südfrankreich, sondern bevorzugt eher zwei Wochen Ferien in einem gut ausgestatteten Ferienhaus mit Pool. Das gilt natürlich auch für Kinder, die gerade Stress in der Schule haben oder sich in der schwierigen Entwicklungsphase namens Pubertät befinden. Ebenfalls bedenkenswert: Gerade Einzelkinder finden nur bei längeren Aufenthalten gut Anschluss zu gleichaltrigen Kameraden.

Um es positiv zu formulieren: Fragen Sie sich, welche Urlaubsform Sie favorisiert haben, bevor Ihre Kinder kamen, und knüpfen Sie daran an. Wer Urlaub mit Kinderprogramm und Kinderbetreuung will, ist in den einschlägigen Clubanlagen gut aufgehoben. Preisgünstige Familienferien mit Programm bietet das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH): Von Indianerferien im Schwarzwald über Fossilienklopfen in der Schwäbischen Alb bis hin zum Segelurlaub am Bodensee sind die Angebote vielseitig, sie starten für Kinder ab drei Jahren, kleinere Geschwisterkinder sind aber willkommen.

Der Klassiker bei Familien ist nach wie vor das Anmieten einer Ferienwohnung in einer landschaftlich reizvollen Gegend. Wer seine Bleibe im Vorfeld sorgfältig auswählt, erlebt bei dieser Reiseform wenig unliebsame Überraschungen, außer vielleicht beim Wetter. Für Experimentierfreudige empfiehlt sich die preisgünstige Urlaubsform „Haus-“ bzw. „Wohnungstausch“: Leider haben wir dies bislang nur einmal praktiziert, unser Wohnungstausch fand mit Freunden aus Hamburg statt. Wir haben Kinder im selben Alter – damals zwei und zweieinhalb Jahre – und tauschten über Ostern unsere Wohnung in Riehen bei Basel gegen die Hamburger Wohnung. Vorteil: Beide Wohnungen verfügten über eine kleinkindgerechte Infrastruktur, die vom Autokindersitz (wir tauschten auch die Autos) bis zum Wickeltisch reichte. Das Gepäck blieb klein, kostentechnisch fielen nur die eigene Anfahrt, Lebensmittel und das Essengehen vor Ort an. Das große Plus: Wir entdeckten und erlebten Hamburg aus der Perspektive einer dort lebenden Familie, kauften normal ein, besuchten das Stammrestaurant unserer Freunde und gingen auf deren Spielplatz um die Ecke. Das Eintauchen in die Alltagswelt einer anderen Familie in einer fremden Stadt hat etwas Exotisches. Dieser Wohnungstausch ist für mich bisher die spannendste und authentischste Reiseerfahrung mit Kind gewesen.

Fragen, die sich Eltern vor der Reise mit Kind stellen sollten

Bin ich Ruhe suchend oder rastlos?

Welcher Urlaubstyp bin ich, welchem entspricht mein Partner? Wie lassen sich Kompromisse erzielen? Beispielsweise eine Woche Rundreise, eine Woche Aufenthalt an einem Ort. Man erspart sich Stress, wenn man zumindest in der Hauptsaison die Unterkünfte vorab bucht.

Ehrliche Bestandsaufnahme:

Wie ist die derzeitige Lebenssituation: eher von Stress geprägt oder von Routine? Wie erholungsbedürftig ist die Familie?

Tipps von Freunden:

Hören Sie genau hin, wenn Ihnen befreundete Familien von ihren vergangenen Urlaubserfahrungen berichten, und haken Sie nach. Ordnen Sie aber die Informationen auch entsprechend ein – sollte es sich bei Ihren Freunden um eine sehr penible Familie handeln, nehmen Sie vielleicht Kritik an der „ungepflegten Gartenanlage im Hotel“ nicht ganz so ernst.

Allein reisen oder mit anderen?

Wer mit einer befreundeten Familie samt Kindern in Urlaub fährt oder die Großeltern mitnimmt, kann sich unter Umständen die Kinderbetreuung sparen, muss je nach Wohnsituation aber auch Kompromisse in Kauf nehmen. Es empfiehlt sich mindestens ein Bad je Familie, um unliebsame Diskussionen zu vermeiden.

Budget:

Über welchen Betrag verfügt die Reisekasse? Je weiter weg ich mit meiner Familie reise, desto teurer wird die Anreise, und somit bleiben weniger Geld und Spielraum für Unterkunft und Ausgaben vor Ort. Mitunter sind aber drei Wochen Thailand aufgrund der dort niedrigen Lebenshaltungskosten trotz Flüge günstiger als drei Wochen Ferien in Deutschland.

Zeit:

Wie lange und wann? Ob Haupt- oder Nebensaison, die Wahl der Reisezeit nimmt einen entscheidenden Einfluss auf die Reisekasse. Wer keine schulpflichtigen Kinder hat und nicht auf Schließzeiten von Kindergarten oder Kinderkrippe angewiesen ist, zahlt in der Nebensaison oftmals weniger als den halben Preis der Hauptsaison.

Maschinengewehr mit Mayonnaise:
Kultur- und Fressurlaub in Südbelgien

von Françoise Hauser

Urlaubsform: Städte-Urlaub – oder vielleicht doch eher eine Schlemmerreise?

Beteiligte: Françoise (47) und Elias (11)

Dauer: 5 Tage inklusive Anreise

Reisedistanz: rund 1.000 Kilometer

Reiseverkehrsmittel: eigener Pkw

Kostenfaktor: etwa 500 Euro inklusive Unterkunft, Essen, Benzin und Eintritte für beide Vorbereitungszeit: kurz. Lediglich die Unterkünfte sollte man im Voraus buchen. Je mehr Besuche von Fabriken und Ateliers anstehen, desto eher heißt es Kontakt aufnehmen und per E-Mail anfragen. Die meisten belgischen Handwerksbetriebe und Chocolatiers sind erstaunlich offen, wenn es darum geht, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

„Halt! Auf keinen Fall abbeißen!“ In letzter Sekunde schnappt sich Madame Bertholet, Inhaberin der Patisserie Jacobs von Dinant, Elias’ Lebkuchen-Kachel, bricht mit einem kräftigen Griff eine Ecke des betonharten Couque-Lebkuchens ab und demonstriert den richtigen Umgang mit der wahrscheinlich härtesten Backware der Welt. Ab damit in die Wange. Und dann heißt es speicheln, lutschen, langsam zergehen lassen. Eine gefühlte Ewigkeit lang, denn die Couques bestehen ausschließlich aus Mehl und Honig. Wer diese Mahnungen ignoriert, riskiert bleibende Schäden am Kauwerk.

„Muff ich daff allef effen?“, nuschelt mir Elias auf Deutsch zu.

„Lass drin, bis wir draußen sind“, raune ich zurück. Zugegeben, geschmacklich sind die Couques kein Feuerwerk, aber herrlich skurril. Und das ist es, was zählt, denn auf dieser Reise haben wir eine Mission: probieren – so viel wie möglich, so schräg wie möglich. Wallonien, Belgiens frankophoner Teil, eignet sich dazu hervorragend. Nicht zuletzt, weil es hier eine Menge unbekannter Spezialitäten gibt, aber nur wenige wirklich abschreckende. Schokolade, Bonbons, Waffeln, Kuchen, Schinken und was nicht noch: Elias und ich sind bereit. Abgesehen davon gibt es noch einen guten, fast schon profanen Grund, ausgerechnet diese Region anzusteuern: Sie ist nah und damit auch für einen Kurzurlaub geeignet, vor allem, wenn man wie wir aus dem Südwesten Deutschlands anreist.

Also machen wir uns mit dem Auto auf nach Wallonien, ein Reiseziel, das den meisten Deutschen eher fremd erscheint: Eine Woche nach Belgien? Und nicht ans Meer? Auch nicht nach Brüssel oder Brügge, Gent oder Antwerpen? Dass man auch in Südbelgien Urlaub machen kann, scheint vielen erst einmal nicht bewusst. Oft folgt ein leises „Und was macht man da?“. Um es kurz zu machen: wandern, Kajak fahren, die Ruhe genießen, alte Städte entdecken, Höhlen erforschen, um nur einige Aktivitäten zu nennen. Und natürlich essen. Die Wallonie ist hügelig, grün, von kleinen Flüssen durchzogen, mit malerischen Dörfern, die so weit weg von jeder Stadt zu liegen scheinen, dass man sich insgeheim fragt, was ihre Bewohner wohl den ganzen Tag machen, wenn sie nicht gerade Bauern sind. Eine eigene Sprache haben die Wallonen auch. Und nein, es ist nicht das amtliche Französisch, sondern Wallonisch, das auch Unwissende sofort als eigenständiges Idiom erkennen.

Die erste Station der Reise haben wir bereits hinter uns. Liège (Lüttich) gleich an der Grenze ist kein klassisches Touristenziel. „Morbider Charme“ wäre ein schönes Schlagwort für Liège, oder vielleicht „unentdeckte Schönheit“. Letzteres dürfte den Tourismusbehörden besser gefallen, trägt aber nicht wirklich dem Faktum Rechnung, dass die Stadt ein echtes finanzielles Problem zu haben scheint und sich immer wieder mal an ihren Gegensätzen verschluckt: So unglaublich viele alte Gebäude, denen man die einstige Grandeur mühelos ansieht – immerhin war Liège seit dem Mittelalter ein wichtiges Handelszentrum an der Maas. Und so unglaublich viele davon im Stadium des Verfalls. Dass wir uns trotzdem auf Anhieb in die Stadt verlieben, hat viele Gründe: Zum einen ist Liège kulinarisch gesehen ein grandioser Einstieg. Lièger Bouletten mit Hasensoße, die den Hasen noch nicht einmal vom Sehen kennt, ist einer davon: Fleischklöße in einer süßsauren Soße aus Zwiebeln und Apfelsirup. Oder die Gaufres de Liège (Lütticher Waffeln), mächtig dick und mächtig fettig, von Schokolade umhüllt.

Eher rollend als laufend erkunden Elias und ich nach dem Mittagessen die Altstadt an der Rue Hors-Château. Hier und da tun sich die Impasses auf, kleine Durchgänge zwischen den schiefen Häuschen, und dahinter – geradewegs ein eigenes kleines Stadtviertel, dessen Gassen so eng sind, dass die Lütticher Feuerwehrleute nachts davon wahrscheinlich Albträume bekommen. Ein wenig weiter trainieren wir uns die üppigen Spezialitäten gleich wieder vom Leib, denn die Seitenstraße Montagne de Bueren (Gebirge von Bueren) trägt ihren Namen zu Recht: Rund vierhundert steile Stufen führen zu den höher gelegenen Stadtteilen, die nicht gerade dazu einladen, Bier- oder Colakästen auf Vorrat zu kaufen. Wir schleppen uns hinauf, entlang der Altbauten, während hinter eisernen Gittern üppiges Grün hervorschimmert. Ein Blick nach rechts und nach links, dann schleichen wir uns durch ein geöffnetes Gartentor in einen verwilderten Garten, längst verlassen, vielleicht von einem, der seine Einkäufe nicht mehr schleppen wollte. Über Schleichwege forschen wir weiter, durch unglaublich große Grünanlagen: Parks sind es nicht, auch keine Gärten. Kann es sein, dass eine Stadt von 200.000 Einwohnern sich mitten in der Altstadt solche vergessenen Oasen leistet? Schnell wird es Abend, und wir haben noch nicht einmal einen Bruchteil der Stadt entdeckt. Um es kurz zu machen: Liège scheint auf den ersten Blick wahrlich kein Ort, der zum Familienurlaub einlädt. Und doch sind es gerade diese Entdeckertouren ohne Erklärungen, Ausschilderungen oder pädagogische Aufbereitung, die uns das prickelnde Gefühl geben, irgendwie die Ersten gewesen zu sein.

Abends kehren wir in einer Friture ein, eine kleine Frittenbude, wie es sie in Wallonien zu Tausenden gibt. Für Elias muss es eine Mitraillette sein. Hinter dem martialischen „Maschinengewehr“ verbirgt sich ein Baguette, belegt mit Fritten und einer üppigen Portion Mayonnaise. Bei derartigen Nationalspeisen muss man sich keine Sorgen um die Kinder-Kompatibilität machen.

Am nächsten Tag, auf dem Weg nach Süden, gönnen wir uns einen vielversprechenden Zwischenstopp im Lièger Vorort Seraing: Bei Bonbons à l’Ancienne werden die traditionellen wallonischen Cuberdons hergestellt, kleine bunte Kegel von Gummibärchen-Konsistenz, mit flüssigem Sirup gefüllt. Mitten in einem Wohngebiet steht die unscheinbare Produktionshalle. Hier? Ob das die richtige Adresse ist? Die nächste Stunde wird zum echten Highlight des Urlaubs: Wir bekommen einen Kittel, eine bescheuerte Plastikhaube und dürfen hautnah an die Maschinen, dem Sirup-Rührer zuschauen und ausgiebig probieren. Weil die Cuberdons gegen Verkleben mit Zuckerpuder bestäubt werden, sehen Elias und ich schon nach wenigen Minuten aus wie aus einem Slapstick-Film: über und über weiß, nur die Augen schauen rund heraus. Die Plastikmütze? Der pure Eigenschutz.

Etwas klebrig, aber gut gelaunt geht es entlang der Maas nach Dinant. Dazu muss man wissen: Dinant mit seinen 13.000 Einwohnern ist keine Stadt, die im Mittelpunkt des Weltgeschehens steht. Eine unbestrittene Attraktion hat sie jedoch schon: Adolphe Sax, der Erfinder des Saxophons, wurde im Jahre 1814 in Dinant geboren – eine Tatsache, die sich nicht übersehen lässt. Auf Gebäck, in Schaufenstern, als Skulpturen auf der Brücke, überall ist das Saxophon präsent. So oft begegnet der Besucher Adolphe Sax beziehungsweise dem famosen Instrument, dass ein nicht ganz unwichtiges Detail fast in Vergessenheit gerät: Klar, Monsieur Sax wurde in Dinant geboren, gelebt hat er hier allerdings nicht. Im zarten Alter von zwei Jahren zog er mit seiner Familie nach Brüssel und ward nie wieder gesehen. Dabei ist es nicht so, dass die Stadt nichts zu bieten hätte. So klein ist sie, dass wir nach einem gemütlichen Stadtspaziergang zwischen Mittag- und Abendessen zu dem Schluss gelangen, der Kartograf habe versehentlich einen großen Teil der Stadt auf der Touristenkarte vergessen. Hat er aber nicht. Mehr Straßen wären bei näherer Betrachtung gar nicht möglich gewesen. Dinants prächtige Bauten sind geradezu an den Fels genagelt, der das schmale Tal rechts und links begrenzt.

Und jetzt? Nur wenige Schritte von der Altstadt entfernt, quasi mitten in der Stadt, finden wir den Eingang zur Höhle „La Merveilleuse“ und bekommen mangels Besuchern eine private Führung durch eine der schönsten Höhlen des Landes. Zurück im Tageslicht finden wir eine kleine Pralinenmanufaktur. Das Reiseglück ist perfekt und die Beute so üppig, dass Elias und ich keinen Gedanken mehr an das Abendessen verschwenden müssen, nein – können!

Auf der nächsten Etappe durch die Ardennen lernen wir Belgien von der idyllisch grünen Seite kennen. Zugegeben, das reißt einen Elfjährigen nicht vom Hocker. Spannend wird es erst wieder in Durbuy. Gerade mal vierhundert Einwohner hat der Ort, der sich den Titel „kleinste Stadt der Welt“ verpasst hat. Die engen Gässchen aus grob gehauenen Steinhäuschen des 17. und 18. Jahrhunderts, liebevoll ausstaffiert, sind in der Tat herzallerliebst. Doch ein kurzer Spaziergang (selbstverständlich mit einer Portion Pommes auf der Hand und einem kurzen Zwischenstopp samt Tarte au Riz – Reiskuchen – mit Abstecher in eine Metzgerei, um den Ardennen-Schinken zu probieren) muss genügen, denn wir sind nicht der Architektur wegen hier. Unser Ziel ist die Herberge „La Balade des Gnomes“ (www.labaladedesgnomes.be) im nahe gelegenen Weiler Heyd. Diese mit Worten zu beschreiben ist eine echte Königs-Übung. Sagen wir mal so: Es gibt Menschen, die fahren bis nach Neuseeland, um sich eine echte Hobbithöhle anzuschauen, doch das ist wirklich nicht nötig, denn Heyd kann in dieser Hinsicht gut mithalten. Die Zimmer des seltsamen Hotels sind allesamt einzigartig und so verflucht echt ausgestattet, dass es fast beängstigend ist. Schon am Parkplatz steht das meterhohe Trojanische Pferd, offensichtlich bereits vergeben, denn die hölzerne Zugbrücke unter dem Pferdeschweif ist hochgezogen. Für uns ist die Troll-Höhle reserviert. Der erste Schritt ins Zimmer verschlägt Elias schier den Atem. Mir auch: Es ist eine dunkle Erdhöhle, von der Decke hängen Wurzeln, aus den Nischen lugen kleine Nager, das Bett ein regelrechter Kobel. Auch die anderen Zimmer sind wahre Kunstwerke: Eines wird gar von einem zum Bett umfunktionierten Segelschiff samt Wasserfläche ausgefüllt. Was sich wie kitschiger Kinderkram liest, ist de facto eine Attraktion, die keine Probleme mit Buchungszahlen kennt.

Im Vergleich dazu ist die letzte Station der Reise rundum erholsam – was wäre schon eine Ardennenreise ohne eine anständige Kajakfahrt? Für diese Art der Naturkontemplation lässt sich auch Elias begeistern. In Chiny an der Semois finden wir nicht nur ein erleichternd luftiges, weiträumiges Hotelzimmer im „Comtes de Chiny“, sondern auch einen Kajakverleih (www.kayak-chiny.be) direkt vor dem Hotel. Für die Strecke ins zwölf Kilometer entfernte Florenville berappen wir 25 Euro, dann geht es los. Reißende Strudel gibt es in der Semois eher nicht, dafür aber viele nett blühende Algen, sodass ich mit jedem Paddelschlag meinem Vordermann – in diesem Fall Elias – eine Ladung Grünzeug auf den Rücken schaufle. Der Landschaft tut dies keinen Abbruch: Völlig durchnässt, aber glücklich trudeln wir nach zwei Stunden in Florenville ein. Für uns nicht nur der Kajak-Endpunkt, sondern auch der Ort mit dem letzten Supermarkt vor der Heimreise. Zitronenmayonnaise, Schokolade, Pralinen-Brotaufstrich, Kirsch-Bier, Galette-Waffeln – wir schlagen noch einmal richtig zu. Sogar eine Packung Cuberdons ist dabei. Vielleicht sind es sogar die, deren Herstellung wir quasi „auf Lunge“ erlebt haben?

Vorteile dieser Reiseform:

Nachteile dieser Reiseform:

Erholung oder Abenteuer?

Dank des kulinarischen Schwerpunkts haben wir uns ganz bewusst dagegen entschieden, auf Teufel komm raus alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern. Unter dem Strich war das eine sehr entspannende Entscheidung.

Das würden wir beim nächsten Mal anders machen:

Eigentlich nichts. Oder doch, ein kleines Detail: eine richtig gute Kühlbox mitnehmen, um noch mehr Schokolade und Pralinen unbeschadet nach Hause zu transportieren.

Der ultimative Reisetipp für Wallonien:

Viele belgische Spezialitäten werden in kleinen Manufakturen hergestellt. Praliniers, Brauereien, Metzger und all die anderen Hersteller bieten fast überall Führungen an oder lassen sich schnell zu einem Blick in die Fabrikationsräume überreden. Unsere Favoriten:

Spartipps:

Besonders günstig sind die Chambres d‘hotes, die wallonische Variante des Bed & Breakfast, wie man sie beispielsweise unter www.chambresdhotes.org, http://maisondhote.com oder www.gitesdewallonie.be findet. Günstige Zimmer sind schon ab 50 Euro zu haben. Bucht man sie gleich für eine ganze Woche, sinken die Preise erheblich. In Anbetracht der kurzen Distanzen in der Wallonie ist das eine echte Alternative. Lediglich das Balade des Gnomes ist mit Preisen von etwa 150 bis 225 Euro für das Doppelzimmer inklusive Frühstück hochpreisig, aber eben auch eine Attraktion.

Allgemeine Infos:

Fazit: Die Reise war erstaunlich günstig und dank des kulinarischen Mottos voller spannender Momente. Einige der belgischen Spezialitäten gehören mittlerweile zum Familien-Standardrepertoire und sorgen dafür, dass die Reise nicht in Vergessenheit gerät.

„Which lake are you?“
Familien-Sprachurlaub im Lake District

Text und Interview: Geraldine Friedrich

Urlaubsform: Sprachurlaub im Lake District (GB) mit der gesamten Familie mit dem Anbieter English Experience

Beteiligte: Nicole (41), Rolf (49) und Kira (7)

Dauer: 7 Tage

Reisedistanz: 1,5 Flugstunden Düsseldorf – Manchester

Reiseverkehrsmittel: Flug, ÖPNV, der Transfer vom Flughafen Manchester zum Lake District war inklusive

Kostenfaktor: 745 Euro pro Person plus etwa 150 Euro für den Flug, absolut betrachtet ein teurer Urlaub, aber im Verhältnis zu anderen Sprachreise-Anbietern günstig. Das Preis-Leistungs-Verhältnis empfanden die Reisenden als günstig.

Vorbereitungszeit: gering

Wie kamen Sie darauf, mit Ihrer siebenjährigen Tochter einen Sprachurlaub zu buchen?

Nicole: Meine Tochter lernt Englisch, seit sie zwei ist, und zwar nach der Helen-Doron-Methode, das bedeutet, dass den Kindern die Sprache altersgerecht über Spiele und Lieder näher gebracht wird. Wir wollten nun den Praxistext wagen und dachten, dass uns Eltern selbst ein paar Englischstunden sicher auch nicht schaden.

Wie sind Sie auf Ihren Anbieter gestoßen?

Über einen Flyer, der in der Sprachschule unserer Tochter auslag. Normalerweise sollten teilnehmende Kinder mindestens acht Jahre alt sein, aber weil unsere Tochter schon länger Englisch lernt, war die Teilnahme mit sieben Jahren auch okay.

Waren die Kinder alle im selben Alter?

Nein, überhaupt nicht, die Teilnehmer waren sehr unterschiedlich: Es gab eine Mutter mit elfjährigem Sohn, eine Familie mit neunjähriger Tochter, die in Englisch auf Fünf stand, und drei allein reisende Teenager im Alter von dreizehn bis vierzehn Jahren. Unsere Erwartungshaltung war eher niedrig, denn wie soll man sein Englisch verbessern, wenn sowohl Organisatoren als auch Mitreisende Deutsch sprechen?

Wie lief denn der Sprachkurs vor Ort ab?

Um es gleich vorwegzunehmen: Es gab kein Vokabelpauken im Klassenzimmer, wie man sich das vielleicht vorstellt. Eine Sprachlektion bestand darin, die Seen des Lake District an ihren Umrissen zu erkennen und dann selbst einen See darzustellen. Jeder musste sich also mit Namen, Größe und Lage des darzustellenden Sees vorstellen: „I am Lake Grasmere, I am larger than Rydal Water and smaller than Lake Windermere – which lake are you?“ So ging das weiter über Besonderheiten eines jeden Sees, und am Schluss lagen alle auf dem Boden und stellten die Form des eigenen Sees mit dem Körper nach. Ich habe im Kurs drei Dinge gelernt: Erstens: Ich kenne nun alle Seen des Lake District mit Namen und Größe. Zweitens: Ich lerne Sprachen viel leichter, wenn ich mich parallel zum Sprechen bewege. Drittens: Ich kann mich beim Lernen tatsächlich amüsieren.

Wie war das Freizeitangebot?