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Inhaltsverzeichnis

Trotz Angelitas ungeduldigem Verlangen und Rutlands entschlußfroher Sehnsucht dauerte es lange, bis sie sich wiedersahen. Tagsüber arbeitete er in seinem Büro im Verwaltungspalaste der Killick & Ewarts-Werke, während sie von den zahllosen Pflichten einer großen Dame der Gesellschaft gehetzt und getrieben wurde. Visiten, Empfänge, Theater, Konzerte, Diners, Bälle forderten jetzt in der »Season« ihre Kraft und Teilnahme bis in die späte Nacht. Suchte sie sich einer dieser Veranstaltungen zu entziehen, um einen Abend der Freiheit zu gewinnen, erweckte sie sofort den spürenden Verdacht des Herzogs. Er sagte dann ebenfalls kurz entschlossen ab und wich nicht aus dem Hause. Auch sonst gewahrte sie an vielem seine spionierende Überwachung.

Dennoch gelang es ihr, den Geliebten täglich auf kurze Augenblicke telephonisch zu sprechen. Bald rief sie ihn im Büro, bald abends in seiner Wohnung an, wie die Gelegenheit sich bot. Nur kurze konventionelle Worte, doch sie hörten gegenseitig ihre Stimmen, fühlten über die trennende Entfernung hin das Leben und die Nähe des anderen. Und empfanden auch sonst zu allen Stunden die umtastenden, nahen, liebkosenden Gedanken, die einander suchten und fanden.

Angelitas Ungestüm umgürtete sich mit einer zähen, krampfhaften Geduld. Sie wollte die Beichte des Geliebten hören. Ohne Zaudern und Schwanken erwartete sie ihren Tag. Sie wußte, daß er ihr und sie ihm gehören würde, wenn durch sein offenes Bekenntnis alle Hemmungen zwischen ihnen verscheucht, das lähmende Gespenst aus seinem Hirn und Herzen vertrieben war. Dann würde er frei und bereit sein für bedenkenlose Liebe und ein Glück ohne Ballast und Schwere. Dann würde er mannhaft handeln. Vielleicht mit ihr fliehen. Vielleicht bleiben und allem gesellschaftlichen Aufruhr und Entsetzen trotzen. Sie wußte es nicht. Sie vertraute ihm. Nur eins war ihr gewiß, daß dann endlich, nach diesen verflossenen Jahren des Harrens, das Leben, das tiefste, wahre Leben des Glückes mit ihm beginnen würde. In dieser Zuversicht war sie getrost und wollte diese kurze Spanne Zeit bis zu diesem alles lösenden Augenblicke in Geduld und Vorsicht und beherrschter Fassung ertragen.

Am Tage vor ihrer ersten großen Gesellschaft rief sie ihn an.

Der Herzog hatte auch bei den Spitzen der englischen Wirtschaft Karten abwerfen lassen. Zu diesen gehörte der Präsident von Killick & Ewarts, dieser wichtige Faktor in der Land-und Seerüstung Spaniens. Nach dem Marokkokriege hatte das Kriegsministerium in Madrid den größten Teil der Neuarmierung des Heeres und der Flotte von der englischen Weltfirma bezogen.

Rutland hatte bald darauf seine Visitenkarte in Halkinstreet durch den Butler Wisdom abgeben lassen.

So kam es, daß er zu diesem ersten Fest im Hause des Ersten Rates der spanischen Botschaft in London als Gast geladen war.

»Ich freue mich auf morgen abend«, rief Angelita durch den Fernsprecher.

»Ich auch«, antwortete Rutland, »sehr.«

»Leider kann ich Sie nicht zu Tisch führen. Da ist eine Königliche Hoheit, der die Dame des Hauses zukommt.«

»Ich bedauere zum ersten Male meine schlichte Abstammung«, scherzte er.

»Ich auch. Sie bekommen übrigens eine sehr schöne Tischdame.«

»Hoho«, rief er übermütig. Seit ihrem Besuche und seinem Entschluß, ihr alles zu bekennen, war eine Erlösung über ihn gekommen. Es war, als hätten schon jetzt die Geister der Vergangenheit ihre niederdrückende Macht über ihn verloren. Er fühlte sich frei und unbeschwert wie in den Tagen vor der großen Katastrophe seines Lebens.

»Aber ich bitte mir aus, daß Sie sich nicht in sie verlieben.«

»Kann keine Garantie übernehmen. Wer ist es denn?«

»Die schöne Amerikanerin, die zur Zeit allen Londoner Lebemännern die Köpfe verdreht, Mrs. Jan Bouterweg. Sind Sie ihr schon begegnet?«

»Nein. Aber mit dem Manne habe ich täglich zu tun. Wir haben sehr freundschaftliche Geschäfte miteinander.«

»Ich bitte, diese freundschaftlichen Beziehungen nicht auf die Frau zu erstrecken«, drohte sie lächelnd.

»Wollen sehen, was sich machen läßt.« Dann ernst:

»Ich freue mich so ungeduldig auf morgen.«

Nach einer kleinen Pause des Glückes, es war ihm, als fühle er ihre sinnenwarme Nähe über den Draht hin erregend und körperlich, sagte sie unvorsichtig und leise: »Vielleicht finden wir einen Augenblick zur Aussprache. Leb’ wohl! Oh, wenn es erst morgen abend wäre!«

Dann hing sie ein. Ihre Zofe war in das Boudoir getreten. Sie traute keinem mehr in ihrem Hause. –

*

Vor der Villa des Herzogs Breton de Los Herreros staute sich eine prunkvolle Auffahrt. Die ragenden Gipfel der staatlichen, diplomatischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Welt Londons kamen zu diesem Balle zu Gaste, mit dem der Vertreter des spanischen Botschafters und seine Gattin sich in der englischen Gesellschaft einführten.

Zwei Zimmer des Erdgeschosses waren ausgeräumt und dienten als Garderoben, links für die Damen, rechts für die Herren.

Rutland hatte gerade seinen Pelz den betreuenden Händen eines Lakaien übergeben. Er plauderte dabei in strahlender Laune und herzpochender Erwartung mit zwei Herren der englischen Regierung, die nicht wenig verwundert waren, den verdüsterten Gebieter von Killick & Ewarts heute abend so aufgeräumt und sprühend zu finden.

Da rief der eine, der sich der offenen Tür zukehrte, leise: »Dort ist die bezaubernde Gattin des amerikanischen Flottenkrösus!«

Unwillkürlich wandte Rutland den Kopf. Der »amerikanische Flottenkrösus« konnte nur Jan Bouterweg sein, mit dem er morgen den Vertrag über den Bau von fünf Vierzigtausend-Tonnen-Passagierdampfern abschließen wollte. Seiner diplomatischen Verhandlungskunst und großzügigen Preisbildung war es gelungen, die Heimatskonkurrenz des USA.-Mannes siegreich aus dem Felde zu schlagen.

Er sah eine kleine, zierliche, pelzumbauschte Gestalt in die Tür der gegenüberliegenden Damengarderobe huschen und verschwinden. Es war nur eine flüchtige Vision. Doch sie entschied.

Er hatte das Gesicht der Dame deutlich gesehen. Untrüglich deutlich.

Und taumelte. Mußte sich an einen der Kleiderständer halten, um nicht kraftlos niederzuschlagen. So umstürzend hatte der Anblick dieses schönen Frauengesichtes in sein Lebensmark gegriffen.

Sein Gesicht war kreidig-fahl, die Augen erloschen, die Hand, die sich an den Kleiderhalter krallte, zitterte; die Knie schlugen gegeneinander und knickten ein, vermochten den Körper nicht zu tragen. Ein gefällter Mann stand in der Herrengarderobe.

Jan Bouterweg, der seiner Frau auf dem Fuße folgte, war breit lärmend und jovial eingetreten. Der in Amerika eingebürgerte hünenhafte Holländer wollte Rutland mit ausgestreckter Hand begrüßen.

»Hallo, Rutl –«, da stockte er perplex. »Nanu, Mann, was ist Ihnen? Sehen ja aus wie der leibhaftige Tod!«

Die anderen wurden aufmerksam.

Man umringte bewegt den Leiter von Killick & Ewarts, der gebrochen und schlotternd den Kleiderständer umklammerte. Rutland fühlte die gebieterische Notwendigkeit des Augenblicks. Er riß alle Spannkraft seines Willens zusammen.

»Mir ist nichts«, lallte er und blickte mit irrenden, toten Augen über die bestürzten Männer hin, die ihn umringten. »Eine momentane Schwäche – ein Schwindel –«

»Einen Arzt!« rief irgendwo eine Stimme.

»Bitte nicht!« wehrte Rutland matt. In ihm brannte nur der eine Gedanke: kein Aufsehen erregen! Fort aus diesem Hause, aus der Nähe dieser Frau.

Ratlos umstand ihn der Chor der Herren.

»Bitte, Mr. Bouterweg, entschuldigen Sie mich bei der Dame des Hauses und –« fügte er rasch hinzu – »dem Herzog. Um alles in der Welt, machen Sie kein Aufheben von – dieser kleinen Sache.« Er sprach mühsam. »Stören Sie nicht das Fest. Ich fühle mich – schon wohler. Bitte, meinen Pelz.«

Der Lakai brachte ihn mit mitleidiger Miene.

Die Gäste standen unentschlossen und verdutzt in ihren Fräcken umher.

»Guten Abend, meine Herren. Morgen wird wieder alles gut sein. Ein nichtiger Anfall meiner alten Tropenmalaria.«

Er versuchte ein verzerrtes Lächeln.

Man wollte ihm helfen, ihn stützen, führen.

Er wehrte ab.

»Danke sehr. Es ist wirklich nichts. Kümmern Sie sich nicht um mich. Und ich bitte Sie – sprechen Sie nicht mehr davon. Bitte Diskretion. Guten Abend. Nein, danke, Sie brauchen sich wirklich nicht zu bemühen. Ich finde meinen Wagen schon allein.«

Man öffnete ihm die Tür, die jemand im ersten Augenblick der Bestürzung zugeworfen hatte, und wagte nicht, sich dem störrischen kranken Manne aufzudrängen.

Er spähte ängstlich auf die Tür der Damengarderobe, schleppte sich dann hastig zum Portal, drängte sich überstürzt durch die dichte Schar der hereinflutenden Gäste, wurde verwundert angerufen, gefragt, lächelte wieder verzerrt und ausweichend, war endlich draußen, auf der Straße, arbeitete sich mit rücksichtslosen Ellbogen durch die lebende Mauer der Gaffer hindurch, die den Eingang der Villa flankierte, scherte sich nicht um Murren, Unwillen und Püffe, gewann die freie Dunkelheit, lief jetzt dahin, dicht an den Vorgärten der Häuser entlang, als hetze die aus dunklem Tore hervorgebrochene Vergangenheit hinter ihm her wie eine dem Käfig entsprungene Bestie.

Es war gut für seinen Ruf und sein Ansehen, daß ein schwerer schwefliger Nebel in den Straßen hing und den laufenden eleganten Herrn gegen staunende Blicke barg und umhüllte.

An einer Querstraße zwang der Verkehr ihn anzuhalten. Die Pause in der Bewegung gab ihm ein wenig Überlegung zurück. Langsam schritt er weiter. Besonnenheit stieg in ihm auf.

Zum ersten Male war heute die Vergangenheit sichtbar vor ihn getreten.

In der ersten Zeit nach der Tat hatte er gefürchtet und immer unter dem Drucke der Angst gelebt, einem Menschen aus dem alten Lebenskreise zu begegnen und erkannt zu werden. Mit den Jahren hatte sich diese Furcht gelegt, war schließlich völlig von ihm gewichen, nachdem er in seinem Wirkungskreise mit zahllosen Amerikanern zusammengetroffen war, die einst in den Zeitungen sein Bild gesehen hatten als – den berüchtigten Helden einer blutigen Sensation und einer schaurigen Untat, ohne daß ihnen das Geringste an ihm aufgefallen wäre.

Einmal hatte er auch beruflich mit amerikanischen Seeoffizieren zu tun, Leuten, die er früher dienstlich flüchtig gekannt hatte. Auch sie hatten nichts gemerkt. Ja, einmal war sogar die Rede auf seinen Fall gekommen, man hatte ihm sein Schicksal haarklein erzählt, freilich entstellt, freilich in Muriels erlogenem Berichte. Und er hatte interessiert zugehört, vollkommen gefaßt und unbeteiligt beherrscht.

Doch auf eine Begegnung mit Muriel war er nicht vorbereitet.

Dieses unerwartete Wiedersehen mit dem Unheil seines Lebens hatte ihn hinterrücks niedergeworfen. Er fühlte nichts mehr für diese Frau. Hatte seit der Katastrophe, seit der Auslösung seiner ersten vertrauenden Liebe in die mörderische Tat nichts mehr für sie empfunden. Nicht Zorn, nicht Rachsucht, nicht Haß, nichts.

Auch heute, als ihn ihre Gegenwart unerwartet überfallen hatte, entmannte ihn kein Empfinden seelischen Zusammenhanges. Es war nichts als spontane Angst vor der Entdeckung. Nichts anderes. Die nackte Furcht, daß nun alles vorbei sei. Daß alles zusammenstürze, was er sich in diesen langen bitteren Jahren aufgebaut hatte. Daß sie aufschreien würde, mit dem Finger auf ihn zeigen und rufen:

»Dort steht der Mörder Stephen Jerrams!« Das war es, was ihm jede Vorsicht und jeden Halt geraubt hatte. Weiter nichts.

Ganz langsam schlich er jetzt dahin durch den dichten Nebel. Ziellos. Doch der Instinkt führte ihn seiner Wohnung zu.

Hm. Sie war verheiratet! Mit seinem Millionen-Dollarkunden Jan Bouterweg. Ausgerechnet von allen Menschen auf der weiten Welt mit seinem Kunden Bouterweg!

Verrücktes Leben!

Warum übrigens nicht mit Bouterweg so gut wie mit irgendeinem anderen? Daran war im Grunde nichts Seltsames. Oder doch? Und gerade auf Angelitas erster Gesellschaft mußte er sie treffen.

Sie hatte sich so auf ihn gefreut! Was würde sie denken, wenn sie erfuhr, daß ihm in ihrem Hause schlecht geworden sei? Töricht hatte er sich gehen lassen. Es kam aber zu plötzlich. Und dann – er mußte fort aus diesem Hause. Durfte dieser Frau nicht vor die Augen treten. Sie hätte ihn erkannt. Sie sicher.

Daß sie ausgerechnet Jan Bouterweg heiraten mußte, seinen Millionenkunden, und mit ihm nach London kommen. Irrsinniger Zufall des Lebens!

Seine Gedanken irrten im Kreise.

Ohne Staunen, ohne es bewußt zu bemerken, kam Rutland vor sein Haus und ging hinein. In der Halle erschien Wisdom, der Butler, und nahm dem Herrn den Pelz ab. Sein Gesicht war so verdutzt, daß es Rutland auffiel.

»Ach so!« sagte er. »Ja, ich fühlte mich nicht ganz wohl. Sagen Sie dem Chauffeur, daß er mich nun nicht abzuholen braucht«, fügte er töricht hinzu, nur, um etwas zu sagen und ging im Frack, wie er war, in die Bibliothek.

Wisdom zögerte vor der Tür, zuckte dann ergeben die Schultern und stieg hinab zur Küche, den anderen zu berichten, daß der Herr schon von der Gesellschaft heimgekehrt sei. –

»Aber wenn er krank ist, müssen wir uns doch um ihn kümmern!« bedachte Jane, die Köchin, erregt.

»Ich werde hinaufgehen und ihn fragen, ob er etwas braucht«, schlug Amy, das Hausmädchen, hilfsbereit vor und sprang auf. Eine herrliche Gelegenheit, sich dem Herrn bemerkbar zu machen! Doch Wisdom winkte sie hoheitsvoll auf ihren Küchenstuhl nieder.

»Sie werden nichts dergleichen tun, Miß Amy!« gebot er gemessen. »Wenn einer mit dem Herrn spricht, bin ich derjenige. Aber ich werde mich hüten. Der Herr sah düsterer aus, als ich ihn je gesehen habe.«

»Düsterer?!« staunte die Köchin. »Wo er diese letzten Tage, seit die geheimnisvolle Dame abends bei ihm war, so lustig und fröhlich war. Sogar gepfiffen hat er in seinen Zimmern!«

Der Chauffeur nickte gewohnheitsmäßig pflichtbewußt dem Sparkassenbuche seiner Erkorenen Zustimmung.

»Düsterer!« erhärtete Wisdom. Dann kniff er abschließend die schmalen Lippen ein. Er hatte schon fast mehr gesprochen, als sich mit seiner Würde vertrug.

Alle schwiegen und horchten gespannt zur Decke hinauf. Die Bibliothek lag über der Küche. Dort oben hörten sie, wie so oft, den Schritt des Herrn, der den Raum durchmaß, von einer Seite zur anderen, ruhelos, »wie ein böses Gewissen«, hatte die Köchin es einmal zur allgemeinen Empörung und unter scharfem Verweise Wisdoms genannt.

»Wenn dahinter man bloß nicht diese geheimnisvolle Dame steckt«, bedachte endlich eifersüchtig Amy. Und damit war wieder, wie allabendlich seit diesem ungewöhnlichen mysteriösen Besuche, das ergiebige Thema der ruhevollen Unterhaltung des Personals im Gange.

Oben in seinem Zimmer erwog Rutland kühl und überlegen die neue Lage. Er hatte sich nun wieder fest in der Hand. Tief in ihm wucherte nur noch eine Erbitterung auf sich über seinen Mangel an Geistesgegenwart und Haltung dem Streiche des Schicksals gegenüber. Doch das war nun vorbei und einmal geschehen.

Vielleicht war diese Überrumpelung seiner Lebensgeister diesmal sogar das Beste für ihn gewesen. Seine Schwäche hatte ihm den willkommenen Anlaß geboten, dieser Frau auszuweichen. Was wäre geschehen, wenn er sie nicht zufällig in der Diele erblickt hätte?! Wenn er ihr erst oben im Saale plötzlich unvorbereitet gegenübergestanden hätte! Welch ein Glück in diesem Unglück, daß sein guter Stern ihn noch rechtzeitig gewarnt hatte. Doch nicht unfruchtbar darüber grübeln!

Er zwang seine entrinnenden Gedanken zum Übersinnen der jetzt gebotenen Schritte.

Morgen um zehn Uhr kam Bouterweg zu ihm ins Büro, die notariellen Verträge über den Schiffskauf zu unterzeichnen. Dann war das Geschäft endgültig abgeschlossen, der Zweck der Europareise des mächtigsten amerikanischen Reeders erfüllt. Er würde wohl bald mit seiner Gattin England verlassen.

Bis dahin mußte er jeder Möglichkeit einer Begegnung mit ihr ausweichen. Verreisen! Ja, auf seinen Landsitz in Northampton fliehen. Dort war er sicher. Ja, sofort nach der Unterzeichnung der Verträge nach Lowick Manor reisen. Dann war das Unheil beschworen.

Beruhigt, im Gefühle der Geborgenheit und Abwendung der Gefahr, schritt er auf und nieder. Aber plötzlich stand mit einer greifbaren Deutlichkeit, wie kaum je zuvor, das bleiche Gesicht des getöteten Jerram in einer dunklen Ecke des weiten Raumes.

Lautlos öffnete Rutland den Mund. Unterdrückte mühsam den Schrei des Entsetzens, der sich seiner Kehle entrang. Blickte sich wirr im Zimmer um. Auch dort war das weiße Gesicht, mit der entsetzten, in Todesfurcht verzerrten Entstellung, die es trug, als er auf ihn abgedrückt hatte. Auch dort – dort –

Rutland preßte die Lider über die Augen und ballte in starrer törichter Angst die Hände in den Taschen der Frackhose.

Blödsinn! Wahn! Haltung! Er schritt zur Tür und drehte den großen Lüster an. Das Zimmer erstrahlte in hellem grellem Lichte. Der alberne Spuk in den Winkeln war gewichen.

Schwer atmend, immer mit dem lästigen Druck im Rücken, als ob hinter ihm jemand schleiche, nahm Rutland die Wanderung wieder auf. Blickte sich ab und zu vorsichtig forschend um und hätte sich vor Wut über seinen überreizten Angstzustand ohrfeigen mögen.

Die Toten ruhen, das wußte er doch. Erbärmliche Feigheit und gefühlsduselige Schwäche!

Doch plötzlich, aus der Zerrüttung seiner Nerven geboren, flüsterte in ihm eine warnende Stimme. Es schien ihm mit einem Male unvorsichtig, morgen Bouterweg noch zu treffen. Wußte selbst nicht, weshalb. Konnte sich keine logische vernünftige Erklärung für dieses schwimmende Bedenken geben. Hatte einfach Angst und Besorgnis.

Er blickte sich mit hastenden Augen im Zimmer um. Nun ja, er konnte ja ganz zeitig verreisen. Eine Notiz ins Büro schicken. Oder noch besser, vorgeben, daß er krank sei. Nach dem Anfall heute abend würde jeder ihm glauben.

Aber, was gewann er damit? Nur er kannte alle Einzelheiten dieses Riesengeschäftes. Er allein hatte alle Verhandlungen geführt. Kein anderer würde die Verantwortung übernehmen und diese Verträge für ihn unterzeichnen. Er gab den Leuten nur unnötig zu denken. Weiter nichts. Erregte Aufsehen, Aufmerksamkeit. Nein, es war ja lächerlich! Was –

Da schrillte das Telephon auf seinem Schreibtische. Er machte einen nervösen Sprung vorwärts, so aufgepeitscht war sein Gemüt.

Zögernd, verzagt nahm er den Hörer auf.

Es war Angelita.

»John«, flüsterte sie fassungslos, »ich bin in Todesangst um dich!«

»Aber nein, Liebste. Es geht mir schon wieder sehr gut. Eine kleine Attacke meiner alten Malaria.«

»Bist du im Bett?«

»Noch nicht. Ich lege mich aber sofort.«

»Laß dir einen Arzt kommen. Ich flehe dich an. Ich vergehe vor Angst um dich.«

»Aber Kind!«

»Soll ich zu dir kommen?!«

»Nein, nein! Um alles nicht! Du kannst doch von deiner Gesellschaft nicht fortlaufen!«

»Ich kann alles. Für dich – alles!«

»Nein. Ich schwöre dir, es geht mir ausgezeichnet. Ich bin nur so traurig, daß ich dich heute abend nicht gesehen habe.«

»Wenn du nur gesund bist –. Ich komme morgen – in jedem Falle.«

»Lieb, ich muß morgen vormittag ins Büro. Unbedingt. Ein wichtiger Abschluß.«

»Nein, tu das nicht! Schone dich.«

»Ich muß.«

»Dann komme ich abends.«

»Sei vorsichtig, Kind.«

»Mir ist alles gleich.«

»Ich wollte morgen eigentlich auf meinen Landsitz fahren. Ausspannen.«

»Fahr übermorgen. Ich muß dich vorher noch sehen.«

»Gut. Mach dir keine Sorgen um mich.«

»Ich muß jetzt zurück zu meinen Gästen. Gute Nacht, mein Geliebter. Gute Besserung!«

»Danke, du Gute.«

»Also morgen!«

Sie hing ab. Ging zu ihrer Gesellschaft zurück, in sich gekehrt und verstört. Ihre Gäste waren über sie verwundert und enttäuscht. Man hatte so viel von dem Charme, der Klugheit und den gesellschaftlichen Talenten der jungen Herzogin gehört. Alles Bluff.

Stumpf war sie und höchst langweilig.

Lord Hastings war zugegen, scharf bewacht von dem Herzog. Angelita hatte mit ihm flirten wollen, den Gatten auf der falschen Fährte zu halten. Sie vergaß es in dem Leid und der Sorge um den Geliebten. Der Herzog wurde stutzig, glaubte dann aber in seiner Diplomatie diese List der Liebenden zu durchschauen. Diese Enthaltsamkeit, diese Fernhaltung war Schlauheit und Tücke. Doch ihn betrog man so leicht nicht. Er ließ sich nicht täuschen. Er wachte! Jetzt war er seiner Sache sicherer als je. Und wehe den Betrügern, wenn er sie erwischte! –

Rutland ging wieder durch das Zimmer. Jetzt war es entschieden. Morgen früh konnte er nicht abreisen. Erst übermorgen. Aber was lag daran! Er würde die Verträge unterzeichnen. Nicht unüberlegt und vernunftswidrig handeln! Es war doch lächerlich! Was konnte ihm in seinem Büro geschehen?!!

10

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Rutland prallte zurück, taumelte, schwankte.

Wisdom schloß die Tür.

Muriel stand stumm und lächelte. Die Kehle des Mannes würgte. In seinen Augen leuchtete noch – wie eingefroren – der letzte Schimmer seiner erwartungsvollen Freude.

»Muriel!« formten seine erbleichten Lippen.

Sie nickte lächelnd.

Plötzlich war über ihm etwas aus den alten Tagen, eine Wehrlosigkeit gegenüber dieser Frau, ein Unterliegen unter ihrem Lächeln.

»Also – hast – du mich doch erkannt?« flüsterte er, den Oberkörper weit zu ihr vorgebeugt.

»Aber natürlich, George«, sagte sie leichthin, »habe ich dich erkannt. Zuerst nicht, aber als du unser Kind begrüßtest, war ich meiner Sache sicher.«

Er blickte sich hilflos um.

»Sei doch nicht so bestürzt«, ermunterte sie freundlich.

»Ich werde dich nicht verraten. Im Gegenteil. Deshalb bin ich doch gekommen.«

»Weshalb bist du gekommen?« fragte er mit Anstrengung, ohne Begreifen.

Sie lächelte wieder, fast ein wenig verächtlich.

»Ich habe mich doch in dir getäuscht, George.«

Er zuckte bei diesem Namen zusammen. Das erstemal hatte er ihn in seiner kopflosen Benommenheit überhört.

»Ich glaubte, du wärest nun ein gefestigter Mann geworden, den nichts mehr aus dem Gleichgewicht bringen kann.«

Dieser Vorwurf schlug durch die Wirrnis in seinem Schädel hindurch. Er riß sich zusammen. Biß die Zähne aufeinander, daß sie laut in die Stille knirschten. Seine Fäuste ballten, die Brust blähte sich von der unmenschlichen Anspannung.

Ruhiger, doch mit belegter, rauher Stimme fragte er: »Weshalb bist du gekommen? Was willst du noch von mir?«

»Mit dir alles besprechen«, entgegnete sie unbefangen.

»Was alles?«

»Nun – – alles.«

Damit löste sie sich von der Tür, an der sie noch immer stand und kam auf ihn zu. Obwohl er heute vormittag stundenlang neben ihr gesessen und nichts empfunden hatte, versagte ihm der Atem, als sie jetzt auf ihn zukam. Heute vormittag war sie so unpersönlich gewesen, so ganz die Frau eines anderen, so fremd und losgelöst von ihm, als wäre sie nie sein Weib gewesen.

Jetzt, hier in der Abgeschlossenheit und Vertrautheit seines Hauses, war plötzlich über die Jahre und Klüfte, die sie trennten, über die Tat und ihre Schrecken hinweg eine Brücke geschlagen, auf der sie zu ihm kam, wie sie einst Tausende von Malen in ihrer kleinen Wohnung in Manila auf ihn zugeschritten war.

»Wir wollen uns doch setzen, George«, schlug sie gemütlich vor – in »Gemütlichkeit« war sie immer groß gewesen – »und alles in Ruhe und Freundschaft besprechen.«

Sie setzte sich in den Klubsessel, in dem er kurze Zeit zuvor die Vergangenheit endgültig begraben und einer neuen, glücklichen, erlösten Gegenwart und Zukunft entgegengeträumt hatte, und schlug, völlig »zu Hause«, die Beine übereinander.

»Schöne Beine«, dachte er verworren. Dann fiel der Gedanke über ihn her, daß Angelita jeden Augenblick kommen konnte. Was würde –? Er mußte hinausgehen und Wisdom Bescheid sagen. Die beiden Frauen, die sich kannten, durften einander hier nicht begegnen. Der Butler mußte Angelita in ein anderes Zimmer führen.

Er ging auf die Tür zu, blieb aber wieder stehen. Wozu unnötig die Dienerschaft aufmerksam machen? Muriel mußte ja gleich wieder gehen. Er konnte Wisdom noch anweisen, wenn es draußen klopfte oder läutete.

Inzwischen sagte Muriel verweisend: »Aber, George, lauf doch nicht so nervös hin und her. Die Sache ist wirklich nicht so schlimm. Ich war ja zuerst auch erstaunt, als ich dich heute morgen sah. Und ganz entsetzt, als ich dich untrüglich erkannte. Aber im Laufe des Nachmittags habe ich alles überlegt und, wenn wir beide klug sind, ist es vielleicht gar nicht so furchtbar. Ich dachte doch bestimmt, wie alle, du wärest tot. Wärest damals bei dem Untergange deines Torpedobootes ertrunken. Es waren ja nur drei Überlebende. Und nun lebst du! Zuerst, als ich begriff, was das für mich bedeutet, war ich ganz außer mir. Denke dir doch bloß: Jetzt habe ich zwei Männer! Denn unsere Ehe besteht doch noch.«

Sie blickte mit einem kleinen koketten Lächeln zu ihm auf. Er sah ernst und zerfahren auf sie nieder.

»Zu drollig, du, zwei Männer! Jetzt habe ich mich schon ein bißchen an den Gedanken gewöhnt. Aber mein Mann – ich meine Jan – darf nie erfahren, daß du lebst. Nie. Darum bin ich zu dir gekommen.«

Sie griff nach seiner schlaff herabhängenden Hand und zog ihn dicht an sich heran, so dicht, daß ihre Beine ihn berührten. Er fühlte, wie sie die Waden in den dünnen Seidenstrümpfen an ihn schmiegte.

»Du, Georgy, nicht wahr? Du schwörst mir, daß Jan nie erfahren wird, daß du lebst?« schmeichelte sie und streichelte seine Hand.

Er trat von ihr zurück. »Ich habe nicht das geringste Interesse daran, deine neue Ehe zu stören«, stieß er hervor.

»Nicht wahr?! Du bist mir nicht mehr böse? Ich weiß, es war sehr schlecht von mir. Aber, Georgy, wirklich, ich habe nur dich geliebt.«

»Laß das jetzt«, wehrte er brüsk.

»Nein, wirklich. Du mußt mir vergeben. Das mit dem armen Stephen – ich weiß wirklich nicht mehr, wie das eigentlich gekommen ist. Sieh mal, Georgy, du warst so viel auf deinem Torpedoboot, immer Dienst, Dienst, Dienst! Und ich so viel allein, und das heiße Klima in Manila, so fern von meiner ganzen Familie, – ich habe mich so greulich gelangweilt, und da – ich weiß, es war furchtbar schlecht von mir –.«

»Laß es doch!« hemmte er wieder ihren Redestrom.

»Ich wollte nur, – du sollst nicht schlecht von mir denken, aber eigentlich, Georgy, ist ja noch alles ganz gut geworden. Damals wollte ich fast verzweifeln. Als ich aus meiner Ohnmacht aufwachte – du hast mir eine sehr schmerzende Wunde an der Schulter beigebracht –, erschießen wolltest du mich, du böser, unüberlegter Mann!«

Sie blickte ihn zärtlich schmollend an und streifte den Mantel, dann das Kleid darunter von der Schulter.

»Da – sieh – da ist noch die Narbe. Komm, küsse sie, Georgy, damit du einmal die Wunde geküßt hast, die du mir beibrachtest, du schlimmer, jähzorniger, verliebter Mann.«

Er war jetzt ganz ruhig geworden, hatte nur den einen Wunsch, sie los zu werden, ehe Angelita kam.

»Laß die Faxen«, sagte er unwillig.

Sie ließ das Kleid wieder auf die Schulter gleiten und blickte enttäuscht, gekränkt zu ihm auf.

»Du bist mir noch immer böse, Georgy«, schmollte sie. »Wie kann man so nachtragend sein! Nach so vielen Jahren! Wo es dir doch sehr gut geht. Präsident von so einer großen Gesellschaft! Und damals warst du doch nur ein kleiner Oberleutnant der amerikanischen Marine!«

»Ja, ja«, gab er drängend zu und dachte: wenn sie nur schon ginge!

»Wenn ich es recht bedenke, Georgy, verdankst du das eigentlich alles mir. Hätte ich dich damals nicht –, wenn du damals nicht so unvermutet nach Haus gekommen wärest – was wärest du heute groß? Vielleicht Admiral. Was wäre das schon Gewaltiges gegen deine jetzige Stellung.«

»Ja – ja«, sagte er wieder und überlegte, wie er sie fortbringen könne.

»Ich bin ja auch sehr zufrieden«, erzählte sie wieder versöhnt. »Jan ist sehr gut zu mir, ich habe ihn sehr gern. Er trägt mich auf Händen. Wir sind auch sehr reich. Wenn ich es jetzt so bedenke, hat sich alles zum Guten gewendet. Freilich, der arme Stephen! Aber, weißt du, er war schuld an allem; obwohl man ja über die Verstorbenen nichts Böses sagen soll. Aber es ist wahr. Er hat mich verführt. Und dabei war er doch dein bester Freund!«

»Laß die Toten ruhen«, mahnte er ungeduldig.

Sie schwieg einen Augenblick. Dann fragte sie mit ihrem reizenden Lächeln: »Wie gefällt dir Esta? Sieht sie dir nicht lächerlich ähnlich?«

Er nickte. Und sagte dann beteiligter: »Das Kind hat so erschütternd traurige Augen.«

Sie rückte ungeduldig in dem Sessel umher. »Setz dich doch, Georgy. Es ist so ungemütlich, wenn du da vor mir herumstehst.«

»Laß nur«, wehrte er wieder.

»Wie du willst«, gab sie nach. »Ja, denke nur, wie schrecklich! Sie hatte vor einigen Jahren eine Nurse. Jeder in Amerika kannte doch unsere traurige Geschichte. Es hat doch solches Aufsehen erregt. Und deshalb hat Jan mich ja auch geheiratet.«

»Deshalb?«

»Nun ja. Er ist doch so stark und hilfsbereit. Ganz Amerika hatte solches Mitleid mit mir. Alle Zeitungen brachten mein Bild. Und da kam Jan und nahm mich.«

Rutland schwieg. In ihm qualmte eine schmerzhafte Ironie.

»Du wolltest von dem Kind und der Nurse erzählen«, bedeutete er.

»Ja, richtig. Denke dir, Georgy, diese dumme Person erzählt doch dem Kinde, daß sein Vater ein Mörder ist!«

Ein unterdrückter, abwehrender Schrei gurgelte aus Rutlands Mund. Er stand einige Sekunden erstarrt, von Schmerz durcheist.

»Töricht, nicht wahr? Ich habe sie auch schön heruntergeputzt.«

»Sie – hat – Esta – natürlich deine Schilderung der – der Sache mitgeteilt?« arbeitete er mühsam hervor.

»Meine – Schilderung?!« rief Muriel verwundert und starrte zu ihm auf. Dann lachte sie klingend auf. »Ach so. Jetzt verstehe ich. Aber Georgy! Ich konnte doch unmöglich die Wahrheit sagen! Bedenk doch! In Amerika. Ich wäre doch moralisch tot gewesen. Ich hätte mir doch ganz einfach das Leben nehmen müssen. Was wäre mir bei dieser Schande anderes übriggeblieben? Und was wäre dann aus Esta geworden? Was hätten meine Eltern gesagt und alle meine Freunde?!«

Ein undeutliches Geräusch entquoll seinen Lippen.

»Das war doch unmöglich, Georgy!« fuhr sie eifrig fort. »Ich war außer mir, als ich aus der Ohnmacht erwachte und den armen Stephen tot neben mir sah. Oh – war ich da wütend auf dich! Mich in eine solche Lage zu bringen! Zuerst war ich ganz verzweifelt. Dann überlegte ich. Und dabei hatte ich solches Grauen vor dem Toten! Aber man durfte ihn doch unter keinen Umständen in meinem Schlafzimmer finden. Das siehst du doch ein, Georgy?«

Er rührte sich nicht.

»Ach, war das entsetzlich, den schweren toten Mann anzuziehen! Furchtbare Angst vor ihm hatte ich. Dann habe ich ihn ins Wohnzimmer geschleppt. Ich! Deine arme, kleine, schwache Muriel! Und dabei blutete die Wunde in meiner Schulter so und tat so weh! Dann mußte ich noch alle Spuren im Schlafzimmer verwischen. Und dann erst rief ich um Hilfe.«

»Ich weiß«, sagte er mit dunkler Stimme. »Ich habe mir später amerikanische Zeitungen verschafft.«

»War das nicht klug von mir?« rief sie eifrig mit argloser, ahnungsloser Selbstsucht. »Ich dachte doch, du bist tot. Dir konnte ich doch nicht mehr schaden. Da war es doch gleich, ob ich dich beschuldigte. Ich glaubte, ich lebte noch allein von uns dreien. Da war es doch natürlich, daß ich mich aus der furchtbaren, bloßstellenden Lage zu retten suchte, in die du mich gebracht hattest, nicht wahr?«

»Das hast du damals doch noch nicht gewußt«, stellte er gelassen fest.

Sie stutzte. »Wieso?«

»Du hast doch erst nachher erfahren, daß mein Boot gerammt worden war.«

Sie überlegte einen Augenblick. Dann hatte sie ihre kindliche Unverfrorenheit wiedergewonnen.

»Aber Georgy, wie kannst du bloß so kleinlich sein und dich an solche Belanglosigkeiten klammern! Ob ich das nun einen Tag früher oder später erfuhr, ist doch wirklich gleichgültig!«

»Natürlich«, nickte er und konnte den sarkastischen Ton nicht ganz unterdrücken. »Da hast du mich als einen gemeinen Mörder hingestellt.«

»Nein, Georgy, das habe ich nicht!« widersprach sie beleidigt. »Wie darfst du so etwas sagen! Das ist ungerecht von dir, so etwas zu behaupten. Ich habe nur gesagt, daß du immer schon auf den armen Stephen eifersüchtig warst.«

»Ohne Grund –«, schaltete er ein.

»Aber, Georgy, das mußte ich doch sagen. Sonst hätten doch alle Leute gewußt, daß – er – mich geliebt hat!« –

»Freilich, das vergaß ich.«

»Siehst du, wie du mir unrecht tust! Das andere kam dann alles ganz von selbst. Man fragte mich doch dann so viel. Die Polizei und alle. Ich mußte doch schwören. Da mußte ich doch bei dem bleiben, was ich zuerst gesagt hatte.«

»Ohne Zweifel.«

»Und dann sah es plötzlich so aus, als hättest du dem armen Stephen schon lange nach dem Leben getrachtet.«

»Und hätte ihm aufgelauert, wäre nach Hause geschlichen, hätte euch beide harmlos plaudernd im Wohnzimmer angetroffen und auf euch beide losgeknallt«, – ergänzte Rutland grimmig.

»Ja«, bestätigte sie etwas kleinlaut. Dann wippte sie impulsiv in dem Sessel auf.

»Richtig, Georgy, gut, daß du mich daran erinnerst. Das wollte ich dich ja immer fragen: Wieso bist du an jenem Abend eigentlich wieder nach Hause gekommen? Du hattest doch Nachtdienst!«

»Ja«, sagte er bitter, »ich hatte Nachtdienst. Das wußtest du und Jerram. Darum fühltet ihr euch so sicher.«

»Pfui, Georgy, wie kannst du so etwas sagen!« tadelte sie.

»Aber als ich zum Quai kam, war Alarm. Die ganze aktive Flotte der Marinestation von Manila sollte auslaufen zu einem großen Manöver. Eine andere amerikanische Flotte kam – als markierter Feind – von Japan her. Ich hatte noch fünfzehn Minuten Zeit. Da rannte ich nach Hause, dir zu sagen, daß ich vielleicht mehrere Tage fortbleiben würde. Ich fürchtete, du könntest dich um mich ängstigen.«

Er lachte hohl auf.

»Ja, ja«, raunte sie nachdenklich, »es war ein großes Unglück.«

Sie schwiegen beide.

Dann stand sie auf.

»Ich muß jetzt fort, Georgy. Sonst merkt Jan am Ende was. Und er darf doch nichts wissen. Das wäre entsetzlich, wenn er erführe, daß du lebst, und wir eigentlich gar nicht verheiratet sind. Also, zu keinem etwas sagen! Das schwörst du mir, Georgy. Ja, bitte, das mußt du mir schwören, sonst habe ich keine Ruhe mehr!«

»Ich schwöre es dir«, sagte er, von dem Wunsche beseelt, sie loszuwerden. Angelita konnte jeden Augenblick kommen.

»So – danke. Jetzt habe ich dein Wort. Jetzt bin ich viel ruhiger, obwohl ich ja wußte, du würdest es mir geben. Du warst immer so gut zu mir. Wirklich, Georgy, ich habe dich noch immer lieb.«

Und ehe er recht wußte, was geschah, hatte sie ihn umschlungen und ihn auf den Mund geküßt. Er spürte nur die Woge ihres Parfüms, Puders und Lippenstiftes, die ihn umwallte.

»So, Georgy, und nun gehe ich. Ich habe mich so gefreut, dich einmal wiederzusehen. Ich habe so oft an dich gedacht. Natürlich als Toten. Laß es dir recht gut gehen, mein lieber, alter Georgy.«

Er begleitete sie hinaus. Dort stand der Butler bereit, ihr die Tür zu öffnen. Sie gaben sich noch einmal die Hand. »Good bye.« »Good bye.« Dann ging sie.

»Wenn sie Angelita nur nicht im Vorgarten begegnet!« dachte er besorgt.

Dann war er wieder in der Bibliothek.

Im Munde hatte er einen faden, bitteren Geschmack.

14

Inhaltsverzeichnis

Im Juli des Jahres tagte in Genf wieder eine der Abrüstungskonferenzen. An Sir John Rutland erging seitens der englischen Regierung der ehrenvolle Ruf, die britische Delegation als Sachverständiger zu begleiten. Er nahm an.

Diese erste politische Sendung begegnete seinen ehrgeizigen Plänen. Er suchte ein neues Feld der Betätigung und der Auszeichnung, immer noch von der fixen Idee besessen, Angelita zu beweisen, daß er auch ohne ihre heimliche Hilfe zu den steilsten Gipfeln männlichen Erfolges klimmen könne. Er wählte als Nächstliegendes, für einen Mann seiner wachsenden Volkstümlichkeit, die Politik.

Schon lange umbuhlten ihn die Parteien. Er wollte hineinspringen in die Arena der Staatsgeschäfte, sich bei den Neuwahlen als Kandidat für das Parlament aufstellen lassen und dann Angelita zeigen, wes Geistes Kind er war. Keiner seiner Bekannten zweifelte daran, daß er in ernsthafter Beschäftigung mit der Politik, bei seiner überragenden wirtschaftlichen Sachkenntnis, seiner Berufsenergie und Rednergabe, der kommende Mann Englands sei. Konservative und Liberale warben um seine Gunst und seinen offiziellen Beitritt zu ihrer Partei. In den Klubs weissagte man ihm die Karriere der größten englischen Staatsmänner, eines Pitt, eines Canning, eines Disraeli, Lloyd George und Lord Reading, der in wenigen Jahren vom unbekannten Anwalt Rufus Isaacs zum Vizekönig von Indien emporgestiegen war.

Die Regierung Baldwin griff zu und entsandte ihn, Englands besten Kenner des Rüstungswesens, in die Abrüstungskonferenz nach Genf.

Es war ein erster Schritt zu einer neuen ruhmreichen Laufbahn. Rutland wußte, daß Angelita, diese kluge, politisch geschulte Frau, verstehen und aufhorchen würde. Deshalb nahm er, trotz leiser Bedenken, die aus der Vergangenheit flüsterten, die Berufung an.

Die Hauptmächte der Konferenz waren England, Frankreich, Amerika und Japan. Es war in erster Linie eine Besprechung zur Herabminderung der Flottenbauten der beteiligten Staaten. Jedes Land entsandte unter Führung eines Staatsmannes seine hervorragenden Marineleute.

Rutland übersah durchaus nicht die Möglichkeit, in Genf mit Seeoffizieren der Vereinigten Staaten, vielleicht mit Kameraden von ehedem, zusammenzutreffen. Er lief keineswegs blind und unbedacht in die Gefahr. Doch er achtete sie gering, verachtete sie.

Gewiß, Muriel hatte ihn erkannt. Aber kein anderer Mensch hatte so nahe neben ihm gelebt wie sie, und sogar sie hatte zuerst gezweifelt und geschwankt, und erst, als er Esta begrüßte, ihre Gewißheit gefunden.

So verwarf er die Skrupel, die ihm kamen, in einer fatalistischen Gleichgültigkeit, einer ihm ungewohnten Nachlässigkeit, in einer allzukühnen Schicksalsversuchung. Vielleicht auch nur in dieser verblendeten Sucht nach neuen, nach politischen Ruhmestaten. In der Tiefe seines Gemütes wirkte als bestimmender Faktor all seines Tuns die Triebkraft, seiner Tüchtigkeit Achtung abzuzwingen, die nicht durch ihre Unterstützung flügge geworden war. Dahinter trat alles andere zurück. Er wollte Staatsmann werden, einer der großen Lenker des englischen Weltreiches. Für Angelita, gegen sie.

Doch er durfte diesen Weg, der durch das Herz, die Ehre und das Ansehen einer großen stolzen Nation führte, nur einschlagen, wenn er die verbürgte Gewißheit besaß, daß die Vergangenheit ein-für allemal vergangen war.

Nun, in Genf würde er sein Kind ja nicht begrüßen und sich nicht verraten. Übrigens war er schon wiederholt mit Offizieren der USA.-Navy zusammengetroffen, ohne daß er ihnen irgendwie aufgefallen war. Es wäre auch eine erstaunliche Duplizität der Zufälle, wenn er, nach fast sieben Jahren, nun innerhalb weniger Monate zweimal erkannt werden würde.

Allzu groß erschien ihm das Risiko nicht. Als er geadelt worden war, hatten nicht nur englische, sondern vor allem amerikanische Zeitungen und Wochenschriften sein Bild gebracht. Gerade in den Blättern war es hundertfach erschienen, die in den Marinekreisen Amerikas gelesen wurden. »Der König des Flottenbaues« nannten sie ihn jenseits des Atlantik. Viele seiner früheren Kameraden hatten sein Porträt gesehen. Und nicht eine Stimme des Erkennens hatte sich erhoben!

Nein; das Wagnis, das er einging, war nicht allzu groß. Ihm blieb auch keine Wahl, wenn er fest entschlossen war, die Leiter einer großen Staatskarriere zu ersteigen. Die Entsendung zu dieser wichtigen Konferenz, auf der endlich einmal weittragende Beschlüsse von realer Wirkung gefaßt werden sollten, war die erste Sprosse dieser Jakobsleiter. Er wollte sie betreten – für Angelita, – gegen sie!

Er fuhr nach Genf, vorbereitet und gerüstet auf alle Möglichkeiten. Was konnte geschehen? Frühere Kameraden, wenn er wirklich mit solchen zusammentraf, konnten eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Oberleutnant zur See George Paterson feststellen. Was besagte das? Nichts! Keiner würde wagen, zu behaupten, daß der weltbekannte Chef von Killicks & Ewarts, das von der englischen Regierung entsandte Mitglied der Königlichen Delegation, der vor sieben Jahren bei den Flottenmanövern in den japanischen Gewässern mit seinem Torpedoboote untergegangene Mörder des Leutnants Stephen Jerram sei. Keiner. Zumal Paterson, nach Muriels gefälschtem Berichte, allen als ein tückischer, vorsätzlicher Mörder aus Eifersucht galt. Wer würde wagen, das Mitglied dieser Abrüstungskonferenz als einen gemeinen Mörder zu bezeichnen?! Das war eine diplomatische und gesellschaftliche Unmöglichkeit.

Doch trotz aller dieser Überlegungen und innerlichen Bereitschaft erbleichte Sir John, als ihm im Hotel Beau Rivage zu Genf die Liste der amerikanischen Delegation überreicht wurde. Neben den Namen von Männern, die er aus seiner früheren Laufbahn vom Hörensagen kannte, traf er auf den Namen eines Offiziers, der sein waghalsiges Draufgängertum im ersten Augenblicke entmutigte und ernüchterte. Es war der Korvettenkapitän Roland Jerram, wie sein jüngerer Bruder, der Getötete, einst Mitschüler Rutlands in der Kadettenschule von West Point und Kamerad des jungen Leutnants auf dem Linienschiff »Dakota«.

Im ersten Moment durchzitterte Rutland eine Schwäche, die seinem Zusammenbruch in der Herrengarderobe des Hauses des Herzogs Breton de Los Herreros martervoll ähnelte.

Die Herren der englischen Delegation standen in der Halle des Hotels, bereit, zur ersten Sitzung der Konferenz im Palaste des Völkerbundes zu fahren. Mit aller Fassung, die ihm möglich war, reichte Rutland die Liste seinem Nachbarn und trat beiseite.

Wieder, wie an jenem Abend der Gesellschaft bei Angelita, packte ihn das jagende Verlangen nach Flucht. Seine Vernunft bewies ihm sofort die Unausführbarkeit. Eine Krankmeldung vor dieser ersten wichtigen Sitzung hätte unliebsames verräterisches Aufsehen erregt, zumal er noch vor wenigen Minuten bei dem gemeinsamen Frühstück gesund und guter Dinge gewesen war.

Ausgeschlossen. Ganz ausgeschlossen! Durch! Den Stier bei den Hörnern gepackt! Jerram hatte ihn seit etwa zehn Jahren nicht gesehen. Freilich, er kannte ihn gut. Sie hatten die meisten Streiche in West Point gemeinsam vollführt, Stephen, Roland und er. Die »Unzertrennlichen« hatten sie geheißen. Auch auf der »Dakota«, dem ersten Kommando nach dem Examen, waren sie alle drei, auf besonderes Bitten, noch zusammengeblieben. Dann hatten ihre Dienstwege sich getrennt. Roland Jerram war ein Jahr älter als der Bruder und Rutland.

Sir John blieb nicht viel Zeit zur Sammlung. Man brach auf. Während der kurzen Fahrt über den Kai und die Rue du Montblanc plauderte der Staatssekretär, der Führer der englischen Delegation, mit dem Rutland zusammen fuhr, angeregt mit ihm. Er mußte antworten, lächeln, harmlos tun. Aber in seinem Herzen braute dumpfe Furcht und eine bleiche Reue über sein Wagnis.

Doch als die Herren sich in dem großen Saale des Völkerbundpalastes mit der schönen Fenstergalerie, die in der Julisonne blendend glitzerte, versammelten, durchströmte Rutland beim Anblicke der amerikanischen Marineuniform, die er seit Jahren zum ersten Male wiedersah – die Herren von der USA.-Flotte, mit denen er in London zusammengetroffen war, hatten stets Zivil getragen – die Ruhe und entschlossene Verwegenheit, die ihm dieser Waffenrock seit frühester Knabenzeit eingedrillt und anerzogen hatte.

Was denn? Was konnte geschehen? Eine Ähnlichkeit. Nun ja. In gewissem Sinne glichen sich alle diese harten, kantigen, englischen und amerikanischen angelsächsischen Seemannsgesichter. Die Ähnlichkeit einer großen Rassenfamilie. Er wußte, daß er durch seine niederdeutsche Abkunft die typischen scharfgeschnittenen nordischen Züge trug. Allright! Mit Volldampf voraus! Ihn belebte der kühne Angriffsgeist, der ihn so oft auf der Brücke seines Torpedobootes beseelt hatte, wenn es bei stockdunkler Nacht mit abgeblendeten Lichtern gegen den markierten Feind ging. Drauf und dran!

Die politischen Führer der Delegationen machten sich zuerst miteinander bekannt, soweit sie sich nicht schon früher begegnet waren. Dann stellten sie gegenseitig die Mitglieder ihrer Delegation vor.

»Sir John Rutland – Korvettenkapitän Roland Jerram«, sprachen die Stimmen des englischen und amerikanischen Führers.

Rutland blickte gelassen und liebenswürdig auf das Gesicht des langen dürren Mannes, dessen breit vorspringende Backenknochen und kleines spitzes Kinn im Verein mit den großen abstehenden Ohren schon in West Point schmerzlicher Gegenstand manchen Übermutes und vieler Karikaturen gewesen waren. Unwillkürlich packte Rutland wieder die Komik dieses altgewohnten Gesichtes.

Jerram schüttelte die dargebotene Hand konventionell freundlich. Dann kam es. Nicht wie bei Muriel in London, wie ein Puff in die Herzgrube, der sie zurückwarf und aufschreien ließ. Ganz leise kam es über den Kapitän. Die heiter begrüßenden grünen Augen verglasten, wurden seltsam belebt und zugleich starr. Die Backenknochen traten noch weiter und eckiger aus den Wangen hervor, das Kinn spitzte sich noch drolliger zu.

Doch da war auch schon alles vorüber. Rutland hatte das übliche »so glad to meet you« gemurmelt und war weitergeschritten. Auch Jerram mußte die anderen Herren begrüßen, ehe er sich noch halb erholt hatte.

Dann begann die erste Sitzung.

Wohl fühlte Sir John die Blicke des Kapitäns, die sich in seine Züge einzufressen suchten. Er hatte ihn erkannt, kein Wunder, schwankte aber und zweifelte.

Der gute alte Roland Jerram! Obwohl er der Älteste von ihnen war, hatten sein Bruder Stephen und Rutland stets ihren Spott und Schabernack mit ihm getrieben, immer gegen ihn zusammengehalten. Roland hatte den jüngeren, sehr hübschen Bruder abgöttisch und neidlos geliebt und sich alles von ihm und seinem Busenfreunde George bieten lassen. Die beiden jungen Bengels hatten seine Gutmütigkeit weidlich ausgenutzt.

»Der gute alte Roland Jerram«, dachte Rutland. Und etwas von der jungenhaften Verulkungsstimmung war wieder in ihm. Eine hübsche Nuß gab er ihm da zu knacken, wie in den alten Tagen, wenn sie ihn vor den Lehrern reingelegt hatten. Er war immer eine etwas komische Figur gewesen wegen seines grotesken Äußeren, den langen, klapperdürren Gliedern und dem Eulengesichte. Trotz seiner glänzenden Leistungen, seiner Courage und seiner nautischen Begabung.

Ihre Blicke begegneten sich. Wie ertappt, schlug Jerram vor diesen trotzigen selbstbewußten Augen des englischen Delegaten die Lider nieder.

Da schwand Rutlands Teilnahme. Wie fern lagen diese Zeiten von West Point und der »Dakota« hinter ihm! Wie hoch war er hinausgewachsen über die kleinen Interessen eines Marineoffiziers der USA.! Nie vorher war ihm das so eindringlich bewußt geworden, wie jetzt beim Anblicke der alten Uniformen und der alten Kameraden. Welten lagen zwischen ihnen, Welten der Arbeit, der Erfahrung, der Verantwortung, des Erfolges.

Die Debatte wurde lebhafter. Er meldete sich zum Wort. Vergaß Jerram, der gespannt auf diese Stimme lauschte. Es war die alte wohlbekannte Stimme Patersons. Freilich, ohne jeden amerikanischen Anklang. Rutland hatte kritisch an seiner Aussprache gearbeitet, seit damals in Tokio Egan ihn auf seinen heimischen Akzent hingewiesen hatte. Er sprach wie ein Engländer, wie ein Londoner City-Mann.

Rutlands klare, kluge, einsichtsvolle Rede fand den lebhaften Beifall der Versammlung.

Seine Ruhe und Sicherheit übertölpelte Jerram. Wenn es wirklich Paterson war, mußte er doch auch ihn erkannt haben. Und diese Begegnung sollte ihn so kalt lassen? Konnte ein Mensch sich so fabelhaft beherrschen? Er wurde sehr irre an seinen berühmt guten Seemannsaugen. Und dann! Wie sollte dieser Mensch, der damals beim Untergang seines Torpedobootes angeblich ums Leben gekommen war, heute als Chef von Killicks & Ewarts, als englischer Edelmann und eins der angesehensten und einflußreichsten Mitglieder der britischen Delegation auferstehen! Ihn narrte eine zufällige, freilich verblüffende Ähnlichkeit.

Er blickte wieder zu ihm hinüber. Seine Augen riefen: »Ja, ja, er ist es! Die Natur schafft nicht zwei ganz gleiche Exemplare eines Menschen. Er ist es!« Doch seine Vernunft redete dazwischen und murrte: »Unsinn. Wie kann er es sein! Mach dich nicht lächerlich!«