IV.

Inhaltsverzeichnis

Am folgenden Morgen nimmt Kleopatra ein Bad. Gedämpftes Licht fällt bläulichrot durch die bunten Scheiben des Fensters in das Badezimmer. Weich ausgestreckt liegt sie in der warmen, duftenden Flut, hat das Kinn gegen die Brust gepreßt und betrachtet prüfend den kleinen Körper.

Ich habe ja einen Bauch, denkt sie erschreckt, und streicht über den kaum gewölbten Leib. Die Haut hat den seidigen Glanz alten Elfenbeins. Mehr turnen! Mehr gymnastische Übungen, beschließt sie. Gleich anfangen, sofort nach dem Bade. Und Eiras muß schärfer massieren. Sie befühlt ängstlich die Brüste. Nein, die sind fest und hart – ganz jungfräulich, und füllen mit ihrem glatten spitzen Kegel grade ihre kleinen Handhöhlungen. Kein Mal ist an ihrem Leibe, kein Zeichen der Mutterschaft. Die Kunst der ägyptischen Ärzte ist groß, größer noch Kleopatras Geduld und verbissener Eifer, ihren kleinen ebenmäßigen Körper in seiner schimmernden jungen Makellosigkeit zu erhalten.

Ungestüm will sie sofort einen Plan erweiterter Leibesübungen entwerfen und festlegen. Sie ruft Charmion, Eiras. Da stürmt die Griechin schon herein. Schwenkt triumphierend ein kleines Bündelchen. Man kennt unter den Vertrauten die Holztäfelchen, die Cäsars Briefe bergen. Oft schickt er sie in plötzlicher Laune, jäher Notwendigkeit.

»Gib her – gib rasch her!« Die Königin streckt den schlanken muskelkräftigen Arm aus der Wanne. Wasserperlen rieseln nieder. Charmion bastelt an der grünen Schnur, die versiegelt die Täfelchen zusammenhält. Kleopatras Hand fingert ungeduldig, nervös, gierig. Sie fühlt bis ins Mark und ins Herz, der Brief bringt Gutes. Ein Fluidum geht von ihm aus. Plötzlich ist in ihrer Brust etwas von der Lust, dem staunenvollen Frohsinn, der sie entzückt und emporgetragen hat in den ersten glücksquellenden Tagen ihrer Liebe zu Gajus Cäsar. In dem Briefe brennt unerwartet Gutes! Her damit – her damit!

Sie drängt, sie treibt. Ihre Hast hetzt die geschickten Finger der Griechin zu Mißgeschick. Jetzt haben die Schnüre sich zu einem Knoten verwirrt. »Zerreiß das Band!« Es knallt auf. Mit feuchten Fingern klappt die Königin die Täfelchen auseinander. Liest die kühne herrische Schrift auf dem schwarzen Wachse. Ihr Herz klopft so heftig, daß Charmion seinen Schlag gegen die nasse Brust pochen sieht.

Dann schlägt Kleopatra die Täfelchen zusammen. Das Holz ist feucht durchtränkt von ihren Fingern. Sie reicht es Charmion, »leg es auf das Tischchen dort« – und springt, einen Wasserschwall mit sich reißend, aus der Wanne.

Ihre grünen Augen funkeln. Das Programm der neuen Leibesübungen ist vergessen. Sie wird getrocknet, gerubbelt, Eiras tritt an, die gewiegte Masseuse, die kunstbegabte Friseuse und Haarpflegerin. Die Königin merkt nichts. Ihre Gedanken irren ins Weite, hinüber über den Tiber, in den Senat. Ihr kluges Hirn weiß den Brief auswendig. Jedes Wort.

»Mein Liebstes, alles scheint noch gut zu werden. Dein Geist und deine Wünsche liegen waltend über Rom. Habe elend geschlafen, böse dumme Träume. Fühlte mich hundsmiserabel. Wollte gar nicht in die Sitzung gehen. Da kommt eben Decimus Brutus Albinus, einer meiner intimsten Freunde, und verrät mir, daß der Senat gestern in geheimster Sitzung einstimmig, bitte einstimmig! beschlossen hat, mir heute den Königstitel anzubieten. Unter gewissen Modalitäten, die nicht interessieren. Wie dein alter politischer Roué, der mit allen Hunden gehetzt, mit allen Wassern gewaschen ist, sich doch irren kann! Du behältst wieder einmal recht – wie immer. Freue dich. Ich komme vom Senat und Königszuge zum Forum sofort zu dir. C.«

Sie eilt in den Garten, rennt sinnlos umher. Ein kleiner hochmütiger Triumph ist in ihr. Sie kennt diese Römer besser als er, der Kluge, Gerissene, Kühne, Altersbedächtige, der einer von ihnen ist! Sie wissen, daß die Republik faul und morsch ist. Daß Einer den verrotteten Staat führen muß. Ihm wollen sie die Last aufbürden und die Verantwortung. Sie begreift es. Das ist es natürlich, nicht Liebe, nicht Dankbarkeit. Dankbarkeit und Liebe! Sie weiß, was die in der großen Politik wiegen. Nicht eine Flaumfeder.

Jetzt – grade jetzt – vielleicht – bieten sie ihm die Krone an –

Sie eilt zurück ins Haus, vor Ungeduld knisternd. Weiß nicht, womit sie die Zeit morden soll. Die Zeitung! Vielleicht steht schon etwas davon in der Zeitung. Vielleicht war die Sitzung gestern doch nicht so geheim, vielleicht ist etwas durchgesickert.

Charmion stürzt mit der Zeitung herbei. Auch diese »Tagespost« ist ein Werk Cäsars. Kleopatra überfliegt die Blätter. Sie, die zehn Sprachen geläufig spricht, liest Latein wie eine Römerin. Nichts. Nichts davon. Aber viel anderes. Andere politische Maßnahmen, Anordnungen, Regierungsakte Cäsars. Ein Mieterschutzgesetz: auf ein Jahr wird wegen der Geldnot die Miete für alle Wohnungen bis zu 2000 Denaren gesetzlich gestundet. Die Arbeitslosenversorgung neu geordnet: statt 320 000 Empfänger öffentlicher Speisung nur noch 150 000. Der Arbeitslosigkeit wird auf anderem Wege gesteuert. Neubauten in Rom – sie werden einzeln angeführt – Verschickung von 80 000 Bürgern in die überseeischen Kolonien zur Urbarmachung, Abschiebung der Bevölkerung der Großstädte auf das Land. Ausbau des Hafens von Ostia. Ferner eine kleine Änderung der Straßenverkehrsordnung in Rom.

Ein Tag aus seinem Leben und seiner Verwaltung. Inmitten der Vorbereitung auf den größten Krieg, den er je geführt hat, Sorge für das Soziale, Wichtigste und Geringste.

Ein Gefühl des Fremdseins, der Vereinsamkeit überschleicht die Königin. Was weiß sie im Grunde von diesem Manne! Wie fern steht er ihr im Letzten! Nie hat er über diese in ihm reifenden Pläne gesprochen. Freilich, freilich, sie hat immer nur von dem großen Staatsgedanken geredet, die heilige Flamme in ihm anzufachen und zu behüten. Wie fern und fremd und überlegen ist dieser Mann ihr in seinem Eigensten!

Sie beißt unmutig die regelmäßigen weißen Zähne in die Unterlippe. Dann wirft sie nach ihrer Gewohnheit den Kopf zurück. Muß anders werden. Alles würde anders werden, wenn sie erst sein Weib war – seine Königin vor aller Welt. Wenn Ost und West unter seinem und ihrem Szepter vereint ist. An jeder seiner Regierungspläne und Verwaltungstaten will sie teilhaben, an jedem –

Sie horcht auf. Ein Läufer draußen. Sie hört Flüstern. Ist Seleukos wahnsinnig, ihn aufzuhalten? Hat er noch nicht genug an der Peitsche von gestern! Totpeitschen! durchtobt es sie, während sie in das Peristyl hinausstiebt.

»Warum läßt du den Boten nicht zu mir?!« keucht sie den Aufseher der Läufer gefahrdrohend an.

»Herrin –« Der Mann hebt verstört machtlos den Arm.

»Später«, zischt sie. Der Mann wird weiß wie die im Sonnenlicht glimmenden Kiesel des Gartenweges. Er weiß, der Aufschub bedeutet Tod.

»Was bringst du?«

Der Bote stockt. Furcht lähmt ihm die Zunge. Böse Kunde bringt dem Überbringer oft Untergang.

»Was bringst du, Mensch!« Sie packt den nackten Arm des Mannes, zwickt ihn, daß dem Läufer die Sinne aufflammen in Schmerz.

Was haben diese Menschen? Warum sprechen sie nicht? Es kann doch nur Gutes –

»Herrin, laß nicht mich entgelten –«

Hinter ihrer Stirn ist es weich, wolkig. Eine Ahnung. Irrsinn! Im Senat haben sie den Antrag gestellt. – Was haben diese Menschen? Da noch mehr – das Gesinde – der Hofstaat – was wollen die alle hier? – Was bedeutet dieser Auflauf? Täuscht sie sich oder sehen die wirklich alle so bestürzt – zerflattert aus?

»Was ist?« stößt sie trotz aller Härte unsicher hervor.

Der Bote starrt auf seinen verletzten Arm. Ein blutblauer Fleck hat sich dort gebildet. Sie pufft den Mann mit der geballten Faust in die Brust. »Willst du endlich reden?«

Er taumelt auf. »Herrin – Cäsar –«

Er bricht ab.

»Was ist mit Cäsar?« Cäsar ist jetzt doch König. Warum stockt der Mann schon wieder, Todesgrauen weiß in den Pupillen? Warum blickt er zerquält, Hilfe suchend auf die andern? Was stehen sie alle und senken schreckhaft den Blick –?

»Was ist mit Cäsar?« Ihre Stimme klingt ihr fremd und nie gehört.

»Cäsar ist – ermordet!«

Sie hat das Gefühl, daß sie stürze. Klaftertief, von einem hohen Turm zur Erde nieder. Gleich wird sie auf den Boden aufschlagen – furchtbar, zerreißend, zerschmetternd. Sie wartet auf den Aufschlag auf die Erde. Fühlt das Vorübersausen der Luft an den Schläfen – in den Ohren – wartet auf den Aufprall – weiter nichts – weiter weiß sie noch nichts.

Der Aufprall kommt nicht. Sie sinkt, sinkt in rasender Eile – immer tiefer – tiefer. Sie weiß nicht, daß sie steht und schwankt – hin und her – nach vorn und zurück schwankt auf den Sohlen der Schuhe.

Dann hört das brausende Hinabstürzen plötzlich auf. In dem Hirn wird eine Öffnung. Eine Helle klafft herein. Was hat er gesagt? Aus den Tiefen des Bewußtseins klimmt es schwarz empor. Da hat doch Einer etwas gesagt. Wer? Sie hebt den Blick. Die Augen sind umflort, die unteren Lider schwimmen in Blut.

»Was hast – du – gesagt?« fragt sie, jedes Wort regnet nieder, schwer, einzeln wie dicke Gewittertropfen auf ein Kupferdach.

»Cäsar ist im Senat ermordet worden«, flüstert der Läufer. Er weiß, gleich wird ihr Jähzorn ausbersten und ihn vernichten.

»Noch einmal!«

»Cäsar ist im Senat ermordet worden.«

Sie blickt den Mann starr an. Ihre grünen Augensterne, die in einer blauen Iris stehen, sind wie die Augen einer Schlange, die zum Angriff vorstoßen will.

Langsam umklammert das Gehirn die Kunde. Langsam, schwerfällig begreift das fein ziselierte flinke Gehirn. Dann öffnen sich die Lippen. Es dauert noch, ehe ein Laut hervorbricht. Dann gellt diese wunderbare Altstimme, die ein Menschenruhm ist von Alexandrien bis Rom über alle Lande des Mittelmeeres hin, zerrissen, zerfetzt zum Himmel empor.

»Nein – nein – du lügst – du Hund. Du lügst!«

Der Läufer beugt das schwarze Haupt unter sein Geschick.

»Du lügst! Das ist nicht wahr! Das kann nicht wahr sein!!«

Es schrillt hinaus in die weiten Gärten, die rings die Villa umhegen. Sie weiß längst, daß es wahr ist. Ein Krampf, ein Wahn, der nach ihr tastet, eine widerstrebende Wut will es nicht wahr haben. Da taumelt sie. Mardion, der Eunuch, greift zu. Bewahrt sie vor dem Fall. Charmion schiebt ihr den Rand eines Sessels in die Kniekehlen. Sie bricht rücklings nieder. Fällt hinein, steif, ungelenk, ohne Beugung der Hüfte. Liegt ausgestreckt. Charmion, die sorgsame, selbst vernichtete, weht das Gefolge aus dem Raum. Nur den Boten hält sie zurück. Eiras bringt Essenzen, Belebungsmittel, reibt der Herrin die Schläfen, die Stirn, das Herz.

Kleopatra richtet sich auf. Ihr Gesicht ist gelb und verfallen. Doch sie hat sich in der Hand. Sie winkt dem Boten, ganz matt, kaum merklich.

»Wer hat – Cäsar ermordet?«

Der Mann muß sich tief zu ihren Lippen hinabbeugen. Ihre Frage ist ein Hauch.

»Marcus Brutus, Gajus Cassius – Decimus Brutus, viele – alle.«

Sie neigt wieder den Kopf, die Hände auf die Armlehne des Sessels gerammt, den Oberkörper vorgebeugt, das Gesicht nach unten. Ihr Nacken steht wachsweiß gegen das schwarze Haar.

Ohne sich aufzurichten, stöhnt sie hervor, es ist wie würgendes Erbrechen:

»Auch – Decimus – Brutus?«

»Ja, Herrin.«

Da sackt sie zusammen. Das Gesicht schlägt auf die Oberschenkel nieder. Der Mund preßt sich auf die Knie, ein Aufheulen pfeift zwischen Mund und Knien wimmernd hervor. Im Augenblick weiß ihr unbeirrbarer Verstand alles. Sie haben ihn in die Senatssitzung gelockt, ihm vorgegaukelt, sie wollten ihn zum König erheben, – um ihn zu ermorden. Sie sieht alles, sie weiß alles. Ihr Gehirn rast weiter. Sie züngelt auf wie eine verheerende Flamme. Der Bote, die Mädchen sehen sie entsetzt. Sie lodert durch die Veranda. Von ihrem Munde schäumen Worte.

Nein, nein. »Ermordet« – »List« – »Verrat« – das sind Worte – Worte nur – Laute. Worte können das Weltgeschehen nicht ändern – nicht aufhalten – können nicht Reiche stürzen. Das ist nicht wahr – das kann keine Wirklichkeit sein, die zählt, die gilt! Sie läuft ziellos umher, kommt zurück, wirft sich wieder in den Sessel. Der Kopf fällt wieder haltlos tief herab. Laute, zerpreßte Schreie gurgeln hervor. Dann wird sie still, ganz still. Ihr Scheitel zittert.

Andere Boten. Nachrichten prasseln auf sie nieder. Sie winkt nur mit einem Finger Gewährung. Keiner weiß, ob sie hört, begreift.

»Dreiundzwanzig Dolchstiche – er liegt am Fuße der Säule des Pompejus – alles flieht – schließt die Häuser – die Straßen sind von Entsetzen verödet.«

Sie versteht alles, hält das verwüstete Haupt dem Hagelschauer der Nachrichten hin. Der schimmernde schwarze Scheitel zittert.

VIII.

Inhaltsverzeichnis

Am folgenden Tage empfängt Antonius die Königin. Er hat einen greulichen Kater. Sein schwerer Kopf raucht von Fusel, Schmerz und Schuldbewußtsein. Die Ausflüge der »Bande« – Mimen, Schauspielerinnen, Kruppzeug, Tanzmädels, Zuhälter, Dirnen stellen die Mitglieder – sind keine sanfte Angelegenheit. Es geht etwas orgiastisch her. Man opfert Bacchus und Venus über Gebühr und Können. Selbst die unbändige Kraft Marc Antons torkelt gebrochen und verwüstet in das Haus des Pompejus heim.

Hier kracht das Donnerwetter auf ihn nieder. Fulvias Suada ist nie lieblich und kosend. Ihre Gardinenpredigten vollends wirken nicht als Balsam auf ein alkoholvergiftetes Haupt und Gemüt. Zermartert und zerschmettert erträgt er die gerechte Strafe.

Dann sitzt er dösig vor Kopfweh in der Bibliothek und empfängt die Kunden. Es ist ein schwarzer Tag für den gepeinigten Mann, ein Tag voll Sehnsucht nach einem Bett und Ruhe und einem weichen Kissen für den Schädel; in dem jede geringste Bewegung ein Heer von Folterknechten an ihr boshaftes Handwerk treibt. Jedes Haar beherbergt einen Spezialisten der Tortur.

Es ist keine günstige Stunde für eine Frau, die einen Mann für sich und ihre Reize gewinnen will.

Griesgrämig grüßt er Kleopatra. Deutet kläglich auf einen Stuhl. Dieser verdammte Schmerz im Nacken!

Sie läßt sich nicht einschüchtern von dieser kärglichen Wiedersehensfreude. Übertrieben lebhaft und liebenswürdig ruft sie:

»Wir kennen uns doch, Marc Anton! Von Alexandrien her.«

Er sieht sie verständnislos an aus seinen großen schwarzen Bernhardiner-Augen. Und denkt an das unterschlagene Testament.

»Weißt du nicht mehr? Damals, als du als junger Reiteroberst unter Gabinius meinen Vater nach Alexandrien zurückführtest!«

Er weiß noch. Doch er hat sich damals um die fünfzehnjährige Prinzessin in dem Königsschloß am Meere wenig gekümmert. Er hat nie für unerfahrene Anfängerinnen geschwärmt. Alexandrien war voll von fachkundigen willfährigen Weibern.

»Ganz Alexandrien war damals toll verliebt in den schneidigen Kavallerieoberst.« Sie lächelt ein Lächeln, das seinen geschundenen Nerven wohltut. Es klingt wie das Rieseln eines kühlen Baches.

Durch den Nebel in seinem Hirn hindurch schlägt ihre plumpe Schmeichelei. Auch er lächelt, eitel und erinnerungslüstern. Doch dieses Lächeln schmerzt in jeder Haarwurzel. Er will zur Sache kommen, diese peinliche Affäre ein für allemal hinter sich bringen.

»Womit kann ich dir dienen?« fragt er geschäftsmäßig.

»Du bist Cäsars bester Freund gewesen.« Sie wirft nach ihm ihr Netz aus.

»Hm«, brummt er abwartend.

»Du bist sein Nachfolger, führst die Staatsgeschäfte fort in seinem Geiste.«

Wieder: »Hm.« Es scheint ihm fraglich, ob alles, was jetzt geschieht, im Sinne des Meisters ist.

»Ich will dir seinen Sohn anvertrauen.«

»Mir?« Er deutet mit dem Zeigefinger auf seine breite Brust.

»Ja, ihn und sein Recht.«

»Welches Recht?« Er spielt den Unschuldigen, Ahnungslosen, spielt schlecht, trotz seines intimen Verkehrs mit den Mimen Roms.

Jetzt dringt sie gradewegs auf ihr Ziel los. »Cäsar hat oft mit mir von seinem Testament gesprochen. Cäsarion ist sein Universalerbe.«

Er gähnt. Er möchte es unterdrücken. Doch es ist unwiderstehlich. Steigt empor aus dem verdorbenen Magen. Das Mundaufreißen zersprengt ihm den Schädel. Gräßlich! Dabei muß er sich zusammennehmen. Diese Stunde entscheidet alles, seine Zukunft, seine Karriere. Und er kann kaum aus den Augen sehen! War doch ein bißchen zu arg heute nacht. Man ist kein Jüngling mehr mit Vierzig. Die Unverwüstlichkeit – ach ja, er muß antworten. Vorsichtig!

»So – so?« tut er harmlos. »Ein Testament?

Merkwürdig. Im Tempel der Vestalinnen ist keins hinterlegt, das Cäsarion –«

»Das ist sehr möglich«, unterbricht sie. »Er wollte es vorläufig nicht öffentlich deponieren. Wollte warten – bis er König war.«

»Freilich, freilich«, nickt er ins ungewisse Leere.

»Aber unter seinen Papieren –«

»Ist nichts«, fällt er allzu rasch ein. »Ich habe alle seine Papiere gesichtet. Ein Testament war nicht darunter.« Seine Augen irren an ihr vorüber.

»Wie – kein Testament?!«

»Doch, doch. Eins natürlich. Eine Abschrift. Das Original ist bei den Vestalinnen hinterlegt. Morgen wird es feierlich eröffnet.«

»Was enthält es?« fordert sie und sucht ihre Erregung zu meistern. Sie ahnt die Arglist, die man mit ihr und ihrem Sohne treibt.

»Von Cäsarion steht nichts darin.«

»Sondern?«

»Ein gewisser Octavian ist Alleinerbe.«

»Wer ist das? Ich habe nie von ihm gehört.«

»Ich, offen gesagt, auch nicht. Ich war einfach paff. Ein Großneffe Cäsars. Ein neunzehnjähriger unbekannter Mensch. Sein Vater ist ein kleiner Winkelbankier in Velletri. Sein Großvater stand daselbst in dem feinen Rufe eines Wucherers.«

»Und den hat Cäsar zu seinem Universalerben – ?« Ihr bleibt der Atem weg.

»Jawohl. Er hat ihn auch adoptiert. Er erhält Cäsars Namen und alles.«

Sie schweigt. Ein neuer heftiger Schlag auf ihr vielgeprüftes Haupt. Sie sieht nicht klar durch diesen Wust, der auf sie eindringt. Nur eins weiß sie, rein gefühlsmäßig, daß man mit ihr ein diabolisches Spiel treibt. Daß der zerzauste Fleischhaufen dort sie hintergeht. Dieser grobschlächtige Gauner dort kennt nicht die feine Kunst der Verstellung. Er arbeitet mit unzulänglichen Mitteln.

Er schweigt und trommelt mit seinen muskulösen Fingern auf die Tischplatte. Jeder Wirbel dringt ihr störend ins Hirn. Sie muß denken, rasch, entscheidend alles überlegen. Es geht um Leben und das Weltreich. Um ihre und Cäsarions Zukunft. Sie muß schnell alles überdenken. Sie läßt sich nicht tölpelhaft betrügen, um Cäsars Erbe von diesem verkaterten Boxer dort begaunern. Sie ahnt die Wahrheit. Ahnt und errät sie hellseherisch. Er will lieber mit dem jungen, unerfahrenen Menschen zu tun haben als mit ihr. Sie fürchtet er. Dieser Niemand Octavian ist ihm ein bequemerer, ungefährlicherer Gegner. Das Testament bei den Vestalinnen ist alt, verjährt. Das neue, das es aufhebt, hat der Hüne dort vernichtet oder hält es verborgen. Er will Cäsars Macht und Reichtum und Erbe an sich bringen. Diese Nichtigkeit Octavian wird ihm dabei nicht im Wege stehen. Sie weiß alles, als wäre sie bei diesem Banditenstreiche Zeuge gewesen. So plump, glaubt man, sie abtun zu können!

Zorn, Wut, Demütigung treibt ihr das heftige Blut in die Stirn. Sie will ausbrechen. Doch ihre Klugheit und politische Einsicht ist stärker, ihr Wille behält die Oberhand über ihr heißes Blut.

Wie soll sie ihren Verdacht, der fast Gewißheit ist, beweisen? Ruhe – Kaltblütigkeit! Gewalt, Kühnheit kann nichts erreichen, nichts gewinnen. Nur alles verderben. Das erkennt und durchschaut sie sofort. Der Bursche da vor ihr ist nicht dumm. Nur ein miserabler Intrigant. Aber zäh. Der gibt nicht her, was er einmal gewonnen hat. Ihre Menschenkenntnis liest ihn wie einen aufgerollten Papyros. Ablisten kann man ihm die Beute vielleicht. Ihn übertölpeln. Gute Miene machen zu diesem verruchten Spiele. Ihn einlullen, gewinnen, diesen Riesen mit den rotgeränderten Augen. Ihn einwiegen, ihm klar machen, daß sie keine Gefahr für ihn bedeutet. Daß sie alles aufs Wort glaubt. Ihn dann unversehens hinterrücks überfallen. Vor allem sein Vertrauen gewinnen, ihn mürbe machen, ihn umgarnen, wie eine Spinne die Fliege fängt, und sein Geheimnis aus ihm heraussaugen. Ihn verführen, erotisch umstricken, so widerlich er heute ist mit seinem gedunsenen Gesicht und den verglasten Augen.

»Ich begreife es nicht«, beginnt sie ihr arglistiges Spiel. »Kein Testament zu Cäsarions Gunsten?«

»Keins«, erhärtet er.

»Wo er so oft davon gesprochen hat. Aber so sind die Männer. Immer verschieben sie das Wichtigste.« Sie seufzt und schlägt die unwiderstehlichen Augen groß zu Antonius auf. Ach, sie weiß, wie elend sie aussieht. Die Trümmer eines Kaiserreiches sind auf ihre Schönheit niedergeprasselt und haben sie verschüttet und begraben. Sie weiß es, und ihr fehlt der rechte Elan und das Selbstvertrauen. Sie ist nicht in Form. Gar nicht. Aber für diesen Kriegsmann langt es wohl noch. Mit Geist und seelischer Feinheit kann man ihm nicht beikommen. Dieser Nachfolger Cäsars ist kein Cäsar. Mit grob brutalen Mitteln muß man ihm zuleibe gehen. Sich zu ihm hinabstimmen.

Sie setzt sich so, daß er sie ganz sehen kann. Zieht das Kleid durch eine scheinbar ungewollte Bewegung empor. Ach, die ältesten abgebrauchtesten Tricks muß sie anwenden, sie, die eine Königin des Raffinements ist! Sie zeigt die zarten Fesseln, die gradlinigen Beine – hoch hinauf – bis über die Knie. Macht ihm Augen. Feuert grüne Leuchtraketen auf ihn ab. Und plaudert dabei anmutig fort.

»Es ist sehr schmerzlich für seinen einzigen Sohn. Aber doch nicht so schlimm.«

Er horcht auf. Die alkoholischen Wolken in seinem Gehirn heben sich. Nicht so schlimm?

»Ich freue mich«, sagt er erleichtert, »daß du es so vernünftig nimmst.« Er hat es sich weit schwerer vorgestellt.

Sie zuckt kokett die Schultern. »Ich habe früh gelernt, mich in das Unvermeidliche zu schicken. Und dann« – sie blitzt ihn eindeutig an – »ich weiß, Cäsars Freund und Nachfolger wird Cäsars Sohn nicht vergessen.«

»Ich bin nicht Cäsars Nachfolger«, weist er ihre Künste mißmutig zurück, »das ist Octavian.«

Sie lächelt verschwörerisch. »Du wirst mit diesem jungen Manne aus der Provinz sehr bald fertig werden. Du bist der Herr in Rom und wirst es bleiben. Denn dir allein gebührt die Herrschaft.«

Sie trägt dick auf. Fühlt, dieser Klotz da verträgt und bedarf einen derben Keil.

Er lächelt wieder geschmeichelt. Sie hat seine schwache Seite feinfühlig aufgespürt. Und da sieht er ihre Beine zum ersten Male. Wird aufmerksam. Sapperlot, hat das Weib Knöchel! Und die Schenkel. Seine Augen bleiben an ihrer Blöße haften. Schämig verhüllt sie sich. Sie weiß, Entbehrung reizt.

Er hebt den Blick, läßt ihn über ihre schmale Gestalt zum Kopfe hinaufwandern. Gar nicht übel, die Kleine. Bißchen blaß und fahl. Dunkle Ringe unter den Hexenaugen. Kein Wunder. Hat allerhand durchgemacht in den letzten Tagen. Keine Kleinigkeit, den Geliebten, einen Julius Cäsar, zu verlieren! Aber! Donnerschlag – er ist Cäsars Nachfolger. Wenn er es auch noch vorsichtig leugnet. Er ist Cäsars Nachfolger. Warum nicht in allem? Warum nicht –? Eine Königin – eine Kleopatra, deren Schönheit Sprichwort ist von Alexandrien bis zu den Säulen des Herkules. – Potzwetter, etwas anderes als diese kleine – ganz fidele – hm, köstlich fidele Schauspielerin – heute nacht war sie ein verliebt rasender Kobold – aber – –

Hallo, da zeigt sie ja wieder diese marmorglatten Schenkel. Die will ihn doch! Eine waschechte Königin hat er noch nie besessen! Die reichste Fürstin dieser Erde. Ungeahnte Möglichkeiten. Und gar nicht so geistig, so helle, so gelehrt und schwierig, wie er immer geglaubt hat. Im Gegenteil, eine harmlose, sehnsüchtige, kleine, verlassene Frau.

Eine leise Ahnung, daß er vielleicht doch die größte Dummheit seines Lebens begangen hat, als er das Testament vernichtete, dämmert in seinem wüsten Schädel auf. Freilich, Fulvia – Fulvia hat dazu gedrängt. Er weiß plötzlich, daß sie es aus Eifersucht getan hat. Blöd ist er ihr auf den Leim gegangen, dem Weibe! Hat das natürliche Bindeglied zwischen sich und dieser Kleinen da vernichtet! Er greift zur Karaffe. Stürzt eiskaltes Wasser in die brennende Kehle.

»Durst?« lächelt Kleopatra teilnehmend.

»Mächtig.«

»Wohl eine kleine Orgie gefeiert?«

Da wird der große Gassenbube, der er ist – er stammt aus kleinen ärmlichen Verhältnissen –, in ihm wach. Er blinzelt ihr vertraulich zu.

»Wilde Sache«, prahlt er.

»Du müßtest dich hinlegen, du Armer«, barmt ihre Wunderstimme. »Kalte Umschläge auf den Kopf und tüchtig verwöhnen lassen.«

Er nickt voll Mitleid mit sich. »Müßte ich. Aber –« Er sieht zur Tür.

»Hast du niemand, der dich ein bißchen lieb bemuttert?«

Er schüttelt kläglich, über sein herbes Los gerührt, den mächtigen Kopf.

»Komm zu mir – in die Villa«, lockt sie mutig.

»Möchte schon«, gesteht er. Seine schönen Augen leuchten auf.

»Möchtest du?!« Ihr Gesicht ist weich und voll Zärtlichkeit.

Er nickt heftig wie ein Junge, dem man ein nie erhofftes Geschenk anbietet. »Weißt du, Kleopatra, du bist eigentlich ganz anders, als –«

»Als mein Ruf«, hilft sie gütig aus.

Wieder nickt er eifrig. »Sie sagen alle – ich darf doch offen mit dir sprechen? –«

»Aber natürlich«, lacht sie gefällig.

»Du seist eine hochfahrende Person, tückisch, kurz, eine ganz Gefährliche.«

»So?«

»Ja. So’n Unsinn. Reizend bist du.«

»Ich freue mich, daß ich dir gefalle.«

»Gefällst mir sogar ganz großartig. Au!« Er hat den Kopf hochgeworfen und alle Folterknechte entfesselt.

Da ist sie neben ihm. »Ich kenne das. Leide selbst oft an Kopfschmerzen. Da gibt es nur ein unfehlbares Mittel.«

Und ehe er recht weiß, was sie plant, steht sie hinter ihm und massiert ihm den wulstigen Nacken. Streicht mit ihren kleinen dünnen Fingern längs der Adern des Halswirbels.

»Ah – gut«, ächzt er, »das tut gut.«

»Weiß ich.«

Er schnurrt vor Wohlbehagen. »Du – wonnig ist das –, Hexenhändchen hast du!«

»Ja«, lacht sie, »wir Ägypter verstehen uns auf die Heilkunde.«

»Scheint mir auch«, kichert er und beugt kindlich gefügig den Kopf weiter nach vorn.

Sie streicht mit beiden Händen. Preßt beide Daumen gegen seinen nackten Hals und massiert mit den Zeige-und Mittelfingern über die dicken, geschwollenen Gefäße. Drängt das Blut aus dem Schädel. Und reißt alle Energie zusammen, zwingt sie in die reibenden Fingerspitzen, als wolle sie ihren Willen, ihre Wünsche aus ihrem Blute in ihn hineinströmen, in ihn hineinjagen und hineinreiben.

»Du – gut ist das!«

Da öffnet sich wieder diese vertrackte Tür zum Nebenzimmer. Immer muß Fulvia herumspionieren. »Der Orkus verschlinge sie!« flucht er erbittert.

Kleopatra ist nicht die Frau hastiger verräterischer Bewegungen in der Überraschung. Sie massiert weiter, scheinbar gelassen, so vernichtend ihr diese Störung ist. Zwei Minuten später hätte sie ihn geküßt und überwältigt. Der abgefeimte Plan ist zerschellt.

Fulvia macht runde, verdutzt starre Augen. Die Königin als Masseuse! Sie ist auf vieles bei ihrem Marcus gefaßt. Auf dieses Schauspiel nicht.

Er sucht sich hastig Kleopatras Händen zu entziehen. Die Lage ist sehr verdächtig. Vor kaum einer Stunde hat er ewige Besserung gelobt. Er springt auf. Eine Hölle lodert in seinem Schädel. Verlegen steht er da.

»Willst du mich der Dame nicht vorstellen?« mahnt Fulvia zwischen den Zähnen.

Er gehorcht. Kleopatra ist ganz Zuvorkommenheit, Unschuld und Harmlosigkeit, Fulvia Entrüstung, eisige Gemessenheit und Abwehr.

»Sind in deiner Heimat die Könige Masseure?« Sie kann die Bosheit nicht um eine Welt unterdrücken. Sie würde an jeder bissigen Bemerkung, die sie hinunterschluckt, ersticken. Und sie ist keine Selbstmörderin.

»O gewiß«, lächelt Kleopatra munter, »bei ihren kranken Freunden.«

»Wir sind hier nicht in – Afrika.«

»Darum müssen die armen kranken Römer auch so bitter leiden.«

Fulvia fixiert sie durchdringend. Sie ist es nicht gewöhnt, im Kampfe der Zungen zu unterliegen.

Da fällt Antonius von Kleopatra ab. Die Angst vor seiner Frau hat ihn in den Klauen.

»Es geht mir schon viel besser«, murrt er schuldbewußt. »Ja – also – ich kann nichts für dich tun.«

Kleopatra sucht die Verachtung aus ihrem Blick auszumerzen.

Hilflos fährt er fort: »Das hinterlegte Testament ist allein maßgebend.«

Fulvia ist sofort im Bilde. »Des göttlichen Cäsar Wille ist heilig«, sekundiert sie salbungsvoll.

Kleopatra begreift, daß ihre Chance für heute verronnen ist. Doch Fulvia raubt ihr jede Hoffnung auf ein Morgen.

»Hast du der Königin gesagt, Marcus, daß ihr Gefahr droht?«

Er blickt sie verständnislos an, verdirbt alles, der Tropf.

»Mir Gefahr?« lächelt Kleopatra krampfhaft.

»Ja – dir.«

Da begreift das verkaterte Gehirn. Eilfertig will er alles gut machen, was er gesündigt hat. »Ich kam noch nicht dazu, liebe Fulvia. Wir hatten noch anderes zu besprechen.«

»Das habe ich bemerkt.«

»Aber« – er stammelt – ist wieder zusammengeschrumpft, ein armer ausgeblasener Sklave seiner Frau – »ich wollte es ihr gerade sagen.«

»Das Volk grollt dir.« Fulvia hat wieder Wort und Führung. »Es sagt, du hast Cäsar in den Tod getrieben.«

Kleopatra weiß, das Weib hat recht. Sie leidet schwer unter dieser Selbstanklage. Doch kein anderer, diese Frau da nicht, hat ein Recht, in ihr Heiligstes und Persönlichstes hineinzugreifen.

»Ich?!« empört sie sich.

»Ja, du«, erhärtet Fulvia mit grimmiger Ruhe. »Du hast ihm den irren Gedanken an die Monarchie eingegeben. Das Volk wird Rache von dir fordern.«

Sie blickt Antonius an, Bestätigung heischend. Er nickt, will brav und fügsam sein.

»Du tust gut, so rasch als möglich abzureisen.« Fulvia faltet die Arme unter dem Busen.

Da schreit die Demütigung unbeherrscht aus Kleopatra heraus: »Man kann mich doch nicht aus Rom – man kann Cäsars –« Sie stockt. Doch Fulvia vollendet den Satz:

– – »Geliebte sehr wohl ausweisen. Sie ist vogelfrei. Jedenfalls lehnen wir – Marcus Antonius lehnt jede Verantwortung für dein und deines Kindes Leben ab.«

»Jede«, unterstreicht Antonius markig.

Ein feiger Waschlappen! wütet Kleopatra. Und weiß, alles ist verloren. Diese eifersüchtige Megäre da wird die Schergen auf sie und ihr Kind hetzen. Sie liest ihren und ihres Sohnes Tod in den unerbittlichen bösen, kalten Augen. Sie handelt sofort. Hier ist nichts mehr zu gewinnen. Der Mann ist ihrem Netze entschlüpft.

»Ich werde morgen reisen«, entscheidet sie und versucht doch noch, diesem Pantoffelhelden einen Blick hinzufeuern, ihn zu locken, dieses Weib zu hintergehen. Doch er weicht ihren Augen aus im Banne Fulvias.

»Lebewohl«, sagt Fulvia, »gute Reise«.

»Lebewohl«, echot er.

»Danke.« Sie geht.

Ihr Spiel in Rom ist aus.

Und dennoch wartet sie heute, wartet sie die ganze Nacht. Sie hat ihm doch ihren Willen, ihre Wünsche in das Blut gerieben. Vielleicht kommt er doch! Sie begreift es nicht, daß sie vergeblich um einen Mann geworben hat.

Der Morgen kommt, nicht Antonius.

Ganz früh meldet sich bei ihr die Eskorte, die ihr nach Brindisi sicheres Geleit geben soll. Fulvia hat sie geschickt.

Tief gebeugt innerlich – nach außen trägt sie den schönen Kopf majestätisch hoch wie immer – verläßt sie die Stadt, deren Königin sie geworden wäre, wenn nicht – wenn nicht – –

Sie weiß nicht, daß das Gift, das sie dem Manne ins Blut geträufelt hat, wirken wird, langsam, langsam. Daß sie doch als Siegerin geht. Daß dieses Weib, das sie heute aus Rom verjagt, büßen und sterben wird an ihr.

X.

Inhaltsverzeichnis

Längst hat Marc Anton die Nachricht von ihrem Nahen und der mythologischen Aufmachung ihres Kommens erhalten. Er hat sich mitten auf den Marktplatz der Stadt gesetzt, feierlich, als Herr Asiens, als Vertreter der Macht Roms im Orient. Da sitzt er erwartungsvoll mit seinem Stabe. Ganz allein mit seinen Offizieren sitzt er da. Alles Volk ist zum Hafen enteilt.

Ausgestorben ist der Markt, ausgefegt von dem Alltagstrubel sind die Gassen. Alles, was gehen, laufen, dahinstürzen kann, steht auf den Kais und starrt hinaus auf die goldene Galeasse.

Antonius sitzt auf elfenbeinernem Sessel inmitten seines Stabes mit feierlich gemessner Amtsmiene. Sie wird ihm sauer genug. Er hat keinen Sinn für Feierlichkeit. Doch er ist Richter hier, der die Sünderin und Büßerin erwartet. Er weiß noch nicht recht, wie und womit er sie strafen wird. Sie hat seinen Feind Cassius, den Mörder Cäsars, – ein Luder! – ihres Geliebten Cäsars, unterstützt. Hm. Er hat mit sich zu Rate gehen wollen. Ist noch nicht dazu gekommen. Gab zu viel anderes zu tun. Ein gefährliches Pflaster, dieser Orient. Diese Weiber! Diese Weine! Er wird schon etwas finden, wenn sie erst demütig und verängstigt vor ihm steht.

Das beste wird sein, er setzt sie einfach ab, erklärt Ägypten zur römischen Provinz, plündert ihren Schatz, von dem die Märchen künden, sackt ihn ein, macht sie als Gefangene zu seiner Sklavin und Maitresse. Ist ja ein entzückender kleiner Balg. Wie sie ihn damals massiert hat!

Er lacht lauf auf. Lucilius, sein Stabschef, beleidigt und verärgert über das lange Warten auf öder Flur, fragt in schroffer Respektlosigkeit: »Was wieherst du, Marcus? Mir ist gar nicht zum Lachen zumute. Eine Frechheit von diesem Weibstück! Hat offenbar keine große Eile, sich vor dir niederzuwerfen.«

»Sie wird schon kommen«, sänftigt der General gutmütig.

»Ich habe Würfel da«, verrät der Legat Quintus Ovinius.

»Bravo«, brüllt Antonius. »Vertreiben wir uns die Zeit, bis Frau Venus auftritt.«

Ein flottes Spielchen auf den togabedeckten Knien des Statthalters von Rom beginnt. Kleine Vermögen werden gewonnen und verloren. Die Schatten der Amtsgebäude um den Marktplatz werden länger und blau. Verbleichen dann ganz. Es dämmert. Die Nacht fällt rasch in diesen östlichen Landen. Die Spieler können die Augen der Würfel nicht mehr unterscheiden. Der Zwang bringt sie in die Wirklichkeit zurück.

Antonius blickt auf. Eine Horde Ordonnanzen steht militärisch wartend. Sie haben nicht gewagt, die Zerstreuung der Herren Offiziere zu stören.

Jetzt treten sie vor, erstatten Meldung. Die Schiffe haben festgemacht inmitten des Hafenbeckens, Düfte streichen herüber zum Kai, an Bord spielt eine ägyptische Kapelle – kein Nachen löst sich von den Schiffen – das Volk jubelt der Königin – der Venus ekstatisch zu.

»Jubelt ihr zu?« wiederholt Antonius perplex und stiert die Herren des Stabes an. Sie ist doch eine Büßerin! Was heißt da: zujubeln!

»Unverschämtheit«, murrt Lucilius.

»Eine durchtriebene Orientalin«, nickt Ovinius leichtfertig.

»Wo steckt denn der Dämlack Dellius?« braust Antonius auf. Er hat das dunkle Gefühl, daß die Sache beginnt, blamabel zu werden.

Die Ordonnanzen wissen es nicht. Wie sollen sie auch wissen, daß Kleopatra ihn an Bord festhält? Liebenswürdig unterhält ihn der schlaue Eunuch Mardion, verweigert ihm aber unter nichtigen Vorwänden das Boot zur Fahrt zum Kai. Der Römer schnaubt vergebens Wut und Rache.

Hilflos, zornig und unschlüssig blickt Antonius von einem zum andern. »Kinder, was macht man mit diesem tollen Weibsbild?« fragt er ratlos.

»Schleif sie her. Sofort!« rät der Stabschef Lucilius.

Die andern stimmen eifrig bei.

»Hm.« Antonius reibt sich schabend das gewaltige Kinn. »Ausgezeichnet. Fahr du hinüber, Lucilius. Du bist ein Weiberfeind und der Energischste von uns. Befiehl ihr kategorisch, sofort vor mir zu erscheinen. Nimm zehn Mann mit. Wenn sie Faxen macht, brauch Gewalt.«

Lucilius klirrt in seiner Rüstung über den leeren, widerhallenden Markt.

Eine halbe Stunde verrinnt, ehe er wiederkehrt. Allein. Verlegen lächelnd, einen seltsamen feuchten Schimmer in den schwarzen Augen.

»Na?« schmettert Antonius ihm über den Marktplatz entgegen. »Wo hast du sie?«

Lucilius antwortet erst, als er vor dem Triumvirn steht. »Das ist ja ein ganz wunderbares Geschöpf!« bricht er hingerissen aus. Der kalte, energische Lucilius hingerissen! »Das ist ja wahrhaftig Venus in voller Leibhaftigkeit. Also, Marcus, mach mit mir, was du willst. Konnte den Befehl nicht ausführen. Die Frau hat einen Charm! Die kann man nicht einfach verhaften. Ich nicht. So etwas Süßes, Kluges, Anmutiges – –«

Ein schallendes Gelächter läßt ihn aufstarren und verstummen. Die Offiziere biegen sich in Heiterkeit. Lucilius verliebt! Auf Anhieb bis über beide Ohren verschossen! Zum Totlachen. Antonius führt den Chor der Ausgelassenen.

»Hast du ja fein gemacht, du, der Energischste von uns! Der Weiberfeind.« Er ist aufgesprungen und haut ihm die Tatze auf die Schulterplatte des Panzers, daß der starke Mann schief einknickt. »Wunder mich nur, daß du überhaupt zurückgekehrt bist.«

Lucilius reißt sich zusammen. Der Schlag hat ihm weh getan. Er liebt diese plumpen Vertraulichkeiten des Generals nicht. Stramm dienstlich meldet er: »Die Königin lädt dich ein, Imperator, als ihr Gast an Bord ihres Schiffes zu kommen.«

Erneute ausberstende Lustigkeit.

»Sie lädt mich ein – sie, die ich vor mich befohlen habe.«

»Zu Befehl.« Lucilius ist plötzlich sehr militärisch.

Die Herren blicken sich verdutzt belustigt an.

Da zitiert der Witzbold des Stabes, Plancus:

»Denn wenn der Frühling keusch sein holdes Antlitz entschleiert,
Künden zuerst aufjubelnd im Chor die gefiederten Sänger
Venus, dein Nahn, und ihr Herz durchblüht dein berückender Zauber.
Froh durchtummelt das Wild die grünende Au, in die Wellen
Stürzt es sich kühn. So folgt im Bann deiner zwingenden Schönheit
Jedes Geschöpf dir, wohin du es strahlend rufst und gebietest.«

Jeder lacht, selbst Lucilius vergißt seinen Ärger. Jeder kennt die berühmten Verse des Titus Lukrez.

Dann ruft Antonius jungenhaft fröhlich: »Also, Kinder, machen wir es wie das liebe Vieh. Stürzen wir uns kühn in die Wellen. Folgen wir dem mächtigen Geheiß unserer Venus!«

Aufgepeitscht, in wildem Tumulte geht es zum Hafen. Sie laufen wie ungestüme Knaben zu einer lockenden Schau, diese Herren der Welt. Nur Lucilius schreitet gemessen hinterdrein. Er hat seine Würde wiedergefunden.

Als sie zum Kai gelangen, herrscht schon die frühe, jähe Nacht des Orients über Land und Strom. Ein dunkler, sternenklarer Samthimmel spannt sich über das Wasser. Einzelne Lichter steigen draußen auf und nieder, die Steuer-und Backbordlaternen der ankernden Schiffe. Sonst ist alles blauschwarz.

Doch da – urplötzlich – flammt aus dem See ein Wunder der Helle. Das Märchenschiff verwandelt sich in eine Springflut des Lichts. Die Masten, die Rahen, die Reeling, die Aufbauten zeichnen sich nach in züngelnden Linien. Stehen als brennende Umrisse gegen die finstere Nacht. An unsichtbaren Fäden, in Kränzen, in Girlanden, in verschlungenen Ketten, Arabesken, Gewinden, geheimnisvollen mystischen Zeichen glüht und glost und glimmt und funkelt es. Die leise gewellten Wogen des Sees spiegeln tausendfach in zitternden Kringeln diesen Sprühregen wider. Der goldene Rumpf des Schiffes ist eine Lohe, die aus dem dunklen Wasser geistert. Auf dem obersten Deck schwelt ein magisches, blaues, undeutbares Leuchten. Baldachin und Lager und Aphrodite, Amoretten, Charmion, Eiras, Nymphen und Venusgefolge phosphoreszieren durchsichtig und zur Unwirklichkeit entrückt.

Die schwarze Masse am Kai brüllt auf. Halb ist es Entsetzen, abergläubische Panik, halb aufgeputschte gierige Wonne des Schauens. Sie glauben nicht an leibhaftige Gegenwart der Götter, diese aufgeklärten Großstädter, sie wissen, es ist fauler Zauber, schöner Zauber – aber, man kann doch nicht wissen. Am Ende ist es doch Venus in Person. Man hat so manches von der Ägypterin gehört. Den alten Cäsar hat sie behext. Vielleicht steht sie doch durch rätselhafte Bande im Bunde mit der Schaumgeborenen. Eine atemlose Stille folgt dem ersten jähen Aufschrei furchtverzückten Aberglaubens und Staunens. Angstdurchbebte Andacht, sehenstolle Neugier starrt schweigend hinüber zu dem ägyptischen Feuerwerk.

Antonius und sein Stab erreichen im kritischen Augenblick den Kai. Vor ihren Augen spritzt und knistert das Flammenmirakel aus der dunklen Flut. Vielleicht Zufall. Vielleicht gibt ein unsichtbares Lichtsignal vom Lande die Erklärung. Die Herren stehen und starren wie die Menge, die so betäubt ist, daß sie den römischen Eroberern nicht ehrerbietig weicht. Liktoren müssen ihnen den Weg bahnen.

»Heiliger Donner!« stößt Antonius zwischen den Zähnen hervor, »großartig, wirklich ganz großartig!« Er wendet sich in kindlichem Stolze zu den Herren, als falle auch auf ihn ein verklärender Schimmer aus dem Glanze dieser imponierenden Schaustellung.

»Die Frau versteht den Rummel! Was? Die hätte Theaterdirektor in Rom werden müssen.«

Damit springt er die Stufen hinab in die Staatsbarkasse, die an der Kaitreppe leise auf und nieder scharrt. Am Fallreep empfängt sie mit orientalischer Grandezza der Hausminister Potheinus. Geleitet den Statthalter der römischen Provinzen des Ostens mit seinem Gefolge aufs Deck. Überrascht blinzelnd gegen den Lichtschwall bleiben alle stehen, bewundern den Venusstaat aus nächster Nähe.

»Großartig«, wiederholt Antonius und reckt anerkennend die Gladiatorenbrust, »wirklich famos, mein Lieber.« Potheinus verneigt sich anmutig.

»Nun wollen wir mal Frau Venus begrüßen.«

Er bedeutet den Herren zurückzubleiben und schreitet mit Potheinus der blauen Göttergrotte zu. Die Offiziere schmunzeln, liebäugeln mit den Nereiden, Nymphen, Grazien. Die sind nicht menschenscheu und spröde. Aus dem Lächeln aus der Ferne wird irdische Annäherung.