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Anselm Grün
Gute Worte für das ganze Leben

topos premium
Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus

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Eine Initiative der
Verlagsgruppe engagement

www.toposplus.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-8367-0002-3
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5012-7
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6012-6

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
© by Vier-Türme GmbH, Verlag, D-97359 Münsterschwarzach Abtei
Die Texte in diesem Buch sind verschiedenen, im Vier-Türme-Verlag bereits
erschienenen Büchern des Autors entnommen.
Umschlagmotiv | © MauMyHaTa / photocase.de
Einband- und Reihengestaltung | Finken & Bumiller | Stuttgart
Satz | SATZstudio Josef Pieper | Bedburg-Hau
Herstellung | Friedrich Pustet | Regensburg
Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

Gute Worte für goldene Zeiten

Geburt

Taufe

Hochzeit

Geburtstag

Festzeiten des Lebens

Die Freude eines jeden Tages

Gute Worte für Zeiten des Umbruchs und Aufbruchs

Älterwerden

Fastenzeiten

Stille Zeiten

In der Lebensmitte

Entscheidungen treffen

Gute Worte für schwierige Zeiten

In Zeiten von Krankheit

Wenn ich mich verletzt fühle

Wenn ich einen lieben Menschen verloren habe

Segensworte für unterwegs

Vorwort

Der heilige Benedikt rät dem Cellerar, dem wirtschaftlichen Leiter des Klosters, er solle dem Bruder, dem er seine Wünsche nicht erfüllen kann, wenigstens ein gutes Wort geben. Und dann zitiert Benedikt das Buch des Jesus Sirach: „Ein gutes Wort geht über die beste Gabe“ (Sirach 18,16f.). In diesem Buch möchte ich Ihnen, liebe Leser, gute Worte mit auf den Weg geben. Ich kann – wie der Cellerar in der Regel Benedikts – Ihre Probleme nicht lösen und Ihnen nicht alle Steine aus dem Weg räumen. Doch wenn wir der Bibel trauen, so ist ein gutes Wort zwar nicht Ersatz für unterbliebene Hilfeleistung, aber es kann in sich eine heilende Kraft haben. Ein gutes Wort ist wie ein kostbares Geschenk, das wir mit uns nehmen. Wir können es immer im Herzen tragen. Und mit diesem guten Wort im Herzen können wir manche Situationen besser durchstehen. Das gute Wort, das im Herzen wohnt, verwehrt all den verletzenden und erniedrigenden Worten den Zutritt zu unserem Herzen.

In einer alten Mönchsgeschichte lesen wir: „Ein gutes Wort macht auch die Bösen gut.“ Das gute Wort, so glauben die Mönche, hat eine verwandelnde Kraft. Es verwandelt das Böse in uns in etwas Gutes. So wünsche ich Ihnen, dass die guten Worte, die hier in die verschiedensten Situationen des Lebens hineingesprochen werden, auch für Sie eine verwandelnde Kraft haben. Sie mögen Verzweiflung in Hoffnung verwandeln, Angst in Vertrauen, Müdigkeit in neue Lebendigkeit, Dunkelheit in Licht, Traurigkeit in Freude.

Im Psalm 119 heißt es: „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Psalm 119,105). Worte können mein Dasein erhellen. So hat es uns auch Johannes in seinem berühmten Prolog verkündet. In dem Wort, das Gott zu uns spricht, ist Leben und Licht (Johannes 1,4). Worte zeigen uns den Sinn unseres Lebens. Wir erkennen auf einmal, was das Geheimnis von Geburt und Tod, das Geheimnis von Wachsen und Vergehen, von Erringen und Loslassen ist. So wünsche ich Ihnen, dass die Worte in diesem Buch Licht sind für Ihren Weg, dass Sie nicht im Dunkel gehen, sondern im Licht. Im Licht zu gehen macht das Herz weit und hell. Es gibt uns Zuversicht und Freude.

Als Maria ihren zwölfjährigen Sohn drei Tage lang gesucht und ihn schließlich im Tempel gefunden hatte, verstand sie nicht, was er zu ihr sagte. Das Wort, dass Jesus in dem sein muss, was seines Vaters ist, war für sie dunkel. Da heißt es von Maria, dass sie die Worte Jesu mit dem Geschehenen nicht zusammenschaute, sondern dass sie durch die Worte Jesu hindurchschaute („diaterein“). Sie verstand sie nicht, aber sie versuchte, durch die Worte auf den Grund ihrer Seele zu schauen. Dort, in der Stille, klärte sich das Unerklärliche auf. Dort war sie auf einmal trotz allen Nichtverstehens mit sich im Frieden. Manchmal werden Sie die Worte und das Geschehen nicht zusammenbringen. Dann können Sie von Maria lernen. Lassen Sie die Worte ins Herz fallen, kosten Sie sie und lassen Sie sich vom Wort hineinführen in das wortlose Geheimnis auf dem Grund Ihrer Seele, in den stillen Raum, in dem aber alles klar ist, obwohl Sie nichts erklären können.

So wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dass die guten Worte Sie begleiten durch das ganze Jahr, durch das ganze Leben, dass sie Licht sind für Ihren Weg, dass Sie Ihren Weg im Licht Gottes gehen können und dass Sie die Worte und das Geschehen zusammensehen, um durch Wort und Geschehen hindurch Gott zu erkennen, der Ihr Leben trägt, der Sie begleitet und mit seinem Wort an die Hand nimmt und führt. Gottes gute Worte, Gottes Segensworte mögen Sie einhüllen wie ein schützender und wärmender Mantel. Und Gottes gute Worte mögen Ihr Leben verwandeln, mögen Sie in Berührung bringen mit dem einmaligen Wort, das Gott in Ihnen ausspricht und das nur für Sie bestimmt ist als ein Passwort, das nur für Sie passt.

Pater Anselm Grün

Gute Worte für
goldene Zeiten

Geburt

Willkommen, kleines Wunder!

Herzlichen Glückwunsch zur Geburt eures Kindes! Ihr habt einem Kind das Leben geschenkt. Wenn ihr es betrachtet, wird euch das Geheimnis dieses neuen Lebens aufgehen. Da lebt ein Kind, in dem ganz viel von euch und euren Anlagen steckt. Aber dennoch ist es ein einmaliges Kind. Ihr erkennt vielleicht einige Züge von euch selbst wieder in seinem Gesicht. Und ihr überlegt, wem das Kind wohl mehr gleicht, dem Vater oder der Mutter, welche Züge die vom Vater oder von der Mutter sind.

Und dennoch ist es nicht nur ein Abbild von euch. Es ist dieses einzigartige Kind, das auf seine ganz persönliche Weise auf euch reagiert und das eigene Gefühle und Gedanken hat. Ihr könnt euch nicht sattsehen an diesem Wunder, das euer Kind ist.

Vertrauensvoll geborgen

Das Kind, das ihr in euren Armen haltet, sucht bei euch Geborgenheit. Und ihr freut euch, wenn ihr ihm Geborgenheit schenken könnt. Es ist auch ein Wunder, dass da ein Mensch sich euch ganz anvertraut, dass er sich in euren Armen einfach fallen lässt, dass er einschläft in euren Armen und sich an euren Leib schmiegt. Gebt eurem Kind das Gefühl, dass es willkommen ist auf der Erde, dass es in euren Armen ein tiefes Vertrauen lernen kann. Das Urvertrauen, das das Kind von euch geschenkt bekommt, soll es ein Leben lang begleiten und es befähigen, voll Vertrauen die neuen Schritte zu tun, die von ihm ständig gefordert werden.

Je mehr Vertrauen ihr ihm schenkt, desto vertrauensvoller wird es sich den Situationen stellen, in die es in seinem Leben kommen wird.

Einlassen und nachspüren

Es ist schön, wenn das Kind in euren Armen friedlich einschläft. Ihr könnt es beobachten, wie zufrieden es ist und dass es sich euch anvertraut. Doch leider wird es nicht immer so friedlich sein. Manchmal wird es schreien. Oft werdet ihr es schnell beruhigen können. Ihr wisst: Das Kind hat Hunger. Es will gestillt werden. Oder es will in den Arm genommen und getragen werden. Oder es will hin- und hergewiegt werden. Manchmal werdet ihr aber auch nicht wissen, was euer Kind hat. All eure Versuche, es zu beruhigen, gelingen nicht. Und ihr werdet unruhig und nervös. Umso wichtiger ist es dann, sich auf das Kind einzulassen und sich hineinzuspüren, was es wohl jetzt braucht.

Ein Kind schreit nie grundlos. Das Schreien ist seine Weise, sich zu Wort zu melden. Ich wünsche euch, dass ihr dann immer die richtige Antwort findet auf das, was euer Kind von euch möchte.

Ganz gegenwärtig

Euer Kind wird euren Rhythmus in den nächsten Wochen und auch in den nächsten Jahren bestimmen. Ihr könnt eure Zeit nicht mehr einfach verplanen. Ihr müsst euch nach den Bedürfnissen des Kindes richten. Manche Kinder sind pflegeleicht, andere sind typische Schreikinder. Dann solltet ihr nicht gleich die Schuld bei euch selbst suchen. Ihr solltet euch einfach einlassen auf dieses Kind, das vielleicht bedürftiger ist als andere. Wertet nicht. Das Kind ist, wie es ist. Und es will ganz und gar angenommen werden. Je mehr ihr euch auf das Kind einlasst, desto besser werdet ihr es kennenlernen und desto besser werdet ihr euch aufeinander einstellen. Euer Kind fordert euch auch heraus, Geduld und Hoffnung zu lernen. So lernt ihr euch auch selbst besser kennen. Das Kind deckt euch auf, wenn ihr gerade nicht bei euch seid. Und es lädt euch ein, ganz gegenwärtig zu sein.

Selbst wieder Kind werden

Wenn ihr euer Kind betrachtet, werdet ihr euch selbst wie in einem Spiegel erkennen. Ihr seid auch einmal so ein kleines Kind gewesen. Ihr wart auf die Liebe eurer Mutter und eures Vaters angewiesen. Ihr könnt euch vielleicht an diese Zeit nicht mehr erinnern. Aber euer Kind bringt euch in Berührung mit eurem eigenen Ursprung. Ihr seid auch einmal wie dieses Kind ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Lasst euch von eurem Kind dazu einladen, das eigene Leben dankbar zu betrachten.

Was ist jetzt aus euch geworden? Und wem verdankt ihr, was und wer ihr geworden seid? Kommt mit eurem eigenen inneren Kind in Berührung. In euch ist auch etwas von der Ursprünglichkeit, die ihr in eurem Kind wahrnehmt. Euer Kind lädt euch ein, wieder selbst zum Kind zu werden und kindlich umzugehen mit eurem inneren Kind.

Einmalig und einzigartig

Euer Kind ist nicht festgelegt. Es wird nicht einfach ein Programm erfüllen, das in einem großen Computer gespeichert ist. Es wird sein eigenes Leben leben.

Die „Festplatte“ seines „Computers“ ist noch leer. Sie wird jetzt durch jede Begegnung mit euch ein wenig beschrieben. Meditiert über euer Kind: Was wünscht ihr ihm? Wie soll der Lebensweg einmal aussehen? Was möchtet ihr von eurem Kind auf seine „Festplatte“ schreiben lassen? Und: Welche Zukunft traut Gott eurem Kind zu? Traut eurem Kind zu, dass es das einmalige Kind wird, als das Gott es in euch und durch euch gebildet hat.

Es geht nicht darum, dass ihr dem Kind eure Erwartungen überstülpt. Ihr sollt die Einmaligkeit eures Kindes betrachten. Es ist nicht nur euer Kind, sondern auch ein Geschenk von Gott. Es gehört nicht allein euch. Es gehört Gott und es gehört sich selbst. Es will seinen eigenen Weg gehen und sein eigenes Leben leben.

Mutter sein

Mit deinem Kind wirst du dich selbst neu kennenlernen. Als Mutter wirst du neue Seiten in dir entdecken. Du spürst, wie schön es ist, Mutter zu sein. Die Mutter nährt das Kind. Sie gibt ihm Geborgenheit, sie vermittelt ihm, dass es auf Erden willkommen ist. Sie schenkt ihm Urvertrauen. Eine Mutter bewertet auch nicht. Sie urteilt nicht über das Kind, sie nimmt es einfach an, wie es ist. Wenn du nun selbst Mutter bist, kannst du deine eigene Mutter besser verstehen. Du wirst würdigen, was sie für dich getan hat. Das Mütterliche ist etwas Wesentliches in der Frau. Entdecke die Mütterlichkeit in dir als eine große Fähigkeit, die Gott dir geschenkt hat. Du erlebst das Schöne an deinem Muttersein, wenn du dein Kind stillst, es in deinen Armen hältst und ihm Geborgenheit schenkst. Genieße dein Muttersein. Er ist eine wichtige Erfahrung deines Menschseins.

Vater sein

Du bist nun Vater geworden. Auch als Vater wirst du neue Seiten an dir entdecken. Du bist nicht nur der Angestellte in deiner Firma oder der Jungunternehmer oder der Lehrer. Du bist nun Vater geworden. Vater sein bedeutet, dem Kind den Rücken zu stärken, damit es sich ins Leben hinaus wagt. Dein Kind braucht den Vater, der ihm Halt gibt, der ihm Mut schenkt, das Leben selbst in die Hand zu nehmen, etwas zu riskieren, voller Vertrauen auf andere Menschen zuzugehen. Und das Kind braucht den Vater, an den es sich lehnen kann, von dessen Kraft es zehren kann. Der Vater schützt das Kind. Er gibt ihm Sicherheit.

Spüre, wie schön es ist, Vater zu sein. Du hast diese Fähigkeiten in dir. Jetzt, mit deinem Kind, kannst du sie entfalten. Und du wirst erfahren, dass es dir selbst guttut, dein Vatersein bewusst zu leben. Du kannst dich jeden Tag auf dein Kind freuen, darauf, es in deine Arme zu nehmen und mit deinem Lächeln in ihm ein Lächeln hervorzurufen.

In die Welt sehen

Wenn du dein Kind betrachtest, dann meditiere dich in seine Sinne hinein. Du kannst dann deine Hand jeweils auf eines seiner Sinnesorgane legen, dein Kind segnen und ihm gute Wünsche sagen.

Lege deine Hand auf seine Augen und wünsche dem Kind, dass aus seinen Augen immer Güte strahlen möge. Mit den Augen möge dein Kind das Schöne in der Welt sehen und sich an der Schönheit freuen. Es möge aber auch das Schöne und das Gute in jedem Menschen sehen. Seine Augen mögen nicht bewerten, sondern die Menschen sein lassen, wie sie sind. Wenn die Augen deines Kindes das Schöne im Menschen sehen, dann vermag es die Menschen auch zu lieben. Und es kann sie sein lassen.

Seine Augen mögen immer strahlend sein und den Menschen, die sie anschauen, Lebendigkeit, Güte und Liebe vermitteln. Und seine Augen mögen in allen Menschen letztlich Christus erkennen als ihren wahren Grund und in aller Schöpfung Gott als das Geheimnis allen Seins.

Worte der Liebe und der Hoffnung

Halte deine Hände zärtlich auf den Mund deines Kindes und überlege, welche Wünsche dir dabei einfallen. Dein Kind möge Worte sprechen, die die Menschen erfreuen. Es sollen gute Worte sein, die gut vom Menschen sprechen. Und es mögen auch Worte sein, die ein Lächeln hervorrufen, die andere Menschen ermutigen und ihnen Hoffnung schenken.

Sein Mund möge bewahrt bleiben vor verletzenden und bitteren Worten, die die Atmosphäre vergiften. Die Kirchenväter sagen: Mit unseren Worten bauen wir ein Haus, entweder ein kaltes Haus, in dem niemand wohnen möchte, oder ein warmes Haus, in dem sich die Menschen wohlfühlen. Mögen die Worte deines Kindes ein Haus bauen, in dem die Menschen gerne wohnen, weil sie die Liebe in den Worten spüren und die Hoffnung, die davon ausgeht.

Hören und zuhören

Halte deine Hände an die Ohren deines Kindes und sprich alle guten Wünsche aus, die in dir aufsteigen. Dein Kind möge gut zuhören können. Vielleicht kennst du die Geschichte von Momo von Michael Ende? Momo konnte so gut zuhören, dass ihr Zuhören die Menschen verwandelt hat. Ihr Zuhören hat den Menschen vermittelt, dass sie alles aussprechen dürfen, dass ihre Worte nicht bewertet werden, dass alles, was sie sagen, sein darf.

Vielleicht wirst du deinem Kind aber auch wünschen, dass es keine bösen und verletzenden Worte zu hören bekommt und dass es die Ohren verschließt vor üblem Gerede, das das Miteinander der Menschen nur zerstört. Seine Ohren mögen auch in verletzenden Worten noch die Sehnsucht nach Liebe heraushören. Seine Ohren mögen zudem die Zwischentöne hören, die in den Worten der anderen auftönen. Dann wird von ihm Segen ausgehen für die Menschen, denen es vertrauensvoll und aufmerksam zuhört.

Das Leben in die Hand nehmen

Nimm die kleinen und zarten Hände deines Kindes in deine Hand. Wünsche deinem Kind, dass es mit seinen Händen sein Leben selbst in die Hand nimmt und es gut gestaltet.

Seine Hände mögen anpacken und Gutes tun. Von diesen Händen möge Segen ausgehen für die Menschen. Es sollen Hände sein, die zärtlich sein können, die anderen Menschen Geborgenheit und Halt geben, die andere liebevoll berühren und sie trösten.

Seine Hände mögen aber auch vor Verletzungen bewahrt werden, von den typischen Handwunden, die wir in den Wunden Jesu erkennen: Es sind die Wunden, festgenagelt zu werden, festgeklammert zu werden, entwertet oder geschlagen zu werden. Oder auch die Wunde, wenn andere die schützende und bergende Hand wegziehen und das Kind fallen lassen.

Seine Hände mögen immer Schutz vermitteln. Und sie mögen so handeln, dass von ihnen Segen ausgeht für die Menschen. Seine Hände mögen anderen Menschen die Hand reichen, wenn es einmal einen Konflikt gibt. Es sollen versöhnende und Frieden stiftende Hände sein.

Fest stehen und eigene Wege gehen

Berühre mit deinen Händen die kleinen Füße des Kindes und wünsche deinem Kind, dass es immer gut stehen kann, dass es zu sich selbst stehen, für sich einstehen und etwas durchstehen kann, wenn Schwierigkeiten auf es zukommen.

Es möge mit seinen Füßen gute Wege gehen, Wege, die in immer größere Lebendigkeit, Freiheit, Frieden und Liebe hineinführen. Dein Kind möge immer auf gutem Fuß mit anderen stehen. Und es möge kraftvolle Schritte ins Leben tun, es möge auf andere zugehen, wenn sie sich allein fühlen.

Dein Kind möge stehen wie ein Baum, tief verwurzelt in der Erde und seine Krone zum Himmel entfaltend. Es möge nicht umfallen, wenn es jemand umbiegen möchte. Es möge Stehvermögen zeigen wie ein Baum. Doch es möge auch nicht starr stehen wie ein Betonpfeiler, sondern wie ein Baum, der sich im Wind wiegt, ohne seinen Stand zu verlieren.

Wünsche deinem Kind, was der alte Zacharias im Lukasevangelium seinem Sohn gewünscht hat: dass Gott seine Schritte auf den Weg des Friedens lenke (Lukas 1,79).

Wünsche für euren gemeinsamen Weg

Was du deinem Kind wünschst, das wünsche ich auch dir als Mutter, als Vater. Eure Augen mögen in eurem Kind immer das Schöne und Gute sehen. Eure Augen mögen eurem Kind vermitteln: Du darfst sein. Wir bewerten dich nicht. Wir schauen auch dann, wenn wir dich nicht verstehen, tiefer in dich hinein und glauben immer an das Gute.

Sprecht Worte zu eurem Kind, die aus euren Herzen kommen, Worte, die ermutigen und Hoffnung und Liebe spenden. Auch wenn eure Worte dem Kind einmal Grenzen setzen, sollen sie nie verletzen, sondern immer einen Weg zum Leben weisen.

Hört gut zu, was euer Kind euch sagt. Hört auch auf das, was euer Kind nicht ausspricht, was aber in seiner Seele verborgen ist. Eure Hände mögen dem Kind immer Halt und Geborgenheit schenken und es liebevoll streicheln. Und steht zu eurem Kind, stellt euch immer vor euer Kind, wenn es von außen bedrängt wird. Steht für euer Kind ein, wenn es euren Beistand braucht. Und steht mit eurem Kind schwierige Situationen durch, damit es durch euch auch Stehvermögen lernt.

Ihr sollt ein Segen sein

Euer Kind möge für dich als Mutter oder Vater ein Segen sein. Und ihr sollt für das Kind ein Segen sein. Segen bedeutet einmal: gute Worte sagen. Sagt eurem Kind gute Worte, die das Gute in ihm hervorlocken. Und Segen bedeutet Fruchtbarkeit und Aufblühen. Wünscht eurem Kind, dass es immer Gottes Segen spürt, dass es unter diesem Segen aufblüht und gut heranwächst.

Segen meint immer auch: behütet und beschützt zu sein. Segnet euer Kind, damit Gottes Segen es immer einhüllt wie ein schützender Mantel. Und schaut euer Kind immer an mit Augen, die den Segen erkennen, der euch in eurem Kind entgegenkommt.

Euer Kind möge Segen sein für euch als Eltern, damit ihr durch das Kind neues Leben, neue Lebendigkeit und neue Liebe in euch entdeckt. Das Kind möge ein Segen sein für die ganze Familie. Es möge Licht bringen in das Leben der Familie. Und es möge eine Quelle der Freude sein für alle, die diesem Kind begegnen.

Segen zum Wachsen und Werden

Guter Gott, segne dieses Kind,

dass es sich nicht durch Enttäuschungen entmutigen lässt und nicht resigniert,

wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen geht.

Schenke ihm Kraft, dass es sich dem Leben

mit seinen Herausforderungen stellt

und so innerlich wächst und stärker wird.

Begleite du es mit deinem Segen dorthin,

wohin ich es nicht begleiten kann.

Ich sende ihm meine Liebe und mein Wohlwollen.

Aber ich weiß nicht, ob es meine guten Gedanken immer spürt.

Ich vertraue deinem Segen,

der es begleitet und seine Wege beschützt,

damit es immer mehr in das Bild hineinwächst,

das du dir von ihm gemacht hast.

Taufe

Die neue Identität

In der frühen Kirche war die Taufe ein Ritual, das sowohl bei den Täuflingen als auch bei den Mitfeiernden einen tiefen Eindruck hinterließ. Der Taufe ging eine mehrjährige Vorbereitung voraus. Darin wurden die Täuflinge in das Geheimnis des christlichen Lebens eingeführt.

Offensichtlich verstand es die frühe Kirche, die Menschen für ein Leben mit und aus Jesus Christus zu begeistern. Da erfuhren sie eine Alternative zu dem sinnlosen und gottlosen Treiben, wie es die ausgehende Antike kennzeichnete. In der Taufe vollzogen die Täuflinge einen Bruch mit ihrer bisherigen Biografie. Sie entschieden sich für ein Leben, das sich nicht nur an den Worten Jesu orientierte, sondern das aus einer anderen, einer göttlichen Quelle gespeist wurde. Sie hatten das Gefühl, durch die Taufe erst wirklich zum Leben zu kommen. Alles Bisherige war – wie es der Erste Petrusbrief beschreibt – „mataios“, das heißt sinnlos und leer, bloße Illusion, ein „Scheinleben“. In der Taufe gaben sie die alte Identität auf, um in Jesus Christus eine neue Identität zu finden. Das Leben der ausgehenden Antike war ja geprägt durch den Ruf nach „panem et circenses – Brot und Spiele“. Es war eine dekadente Welt. Der Sinn des Lebens war verloren gegangen. Es drehte sich alles nur noch um Neugier und Sensationen, um Vergnügen und Belustigungen. Aus diesem leeren Treiben brachen die Täuflinge aus, um in Christus eine neue Identität zu finden. Der Bruch mit ihrer alten Identität wurde eindrucksvoll in der nächtlichen Tauffeier zum Ausdruck gebracht. Da stiegen die Täuflinge nackt in das Taufbecken und wurden dreimal mit Wasser übergossen. Sie widersagten dem Bösen und der Sinnlosigkeit eines gottfernen Lebens und entschieden sich, dieser Welt zu entsagen, sich nicht mehr von Erfolg und Leistung, von Vergnügen und Ausschweifung zu definieren, sondern von Christus her.

Neugeburt

Sie erfuhren ihre Taufe wie eine Neugeburt. In Christus haben sie eine neue Existenz bekommen. Die neue Existenz ist geprägt von der Erfahrung einer großen Freiheit. Jetzt definieren sich die Täuflinge von Gott her, jetzt sind sie freie Menschen. Sie haben keinen Kaiser mehr über sich. Sie sind nicht mehr dazu verdammt, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Sie sind wahrhaft frei und können den Weg gehen, der sie zum wirklichen Leben führt. Und die Taufe vermittelte ihnen die Erfahrung einer neuen Nähe Gottes und einer Liebe, in der sie sich bedingungslos geliebt wussten. Taufe war für sie die Einweihung in das Geheimnis des erlösten und befreiten Lebens und in das Geheimnis eines Gottes, der sie hineinnahm in den Kreislauf seiner göttlichen Liebe.

Wenn die Täuflinge nackt aus dem Becken stiegen und dann vom Bischof – oder die Frauen von einer Frau – mit wohlriechenden Ölen gesalbt wurden, dann erfuhren sie sich wirklich als neue Menschen, als Menschen, die ganz und gar eingehüllt sind in die Liebe Gottes. Und sie erfuhren zugleich, dass sie in der Kirche neue Brüder und Schwestern fanden, eine Gemeinschaft, in der sie vorurteilslos angenommen waren, die sie aber auch herausforderte zu einem sinnvollen und erfüllten Leben.

Anteil an Gott

Die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach Freiheit von den Erwartungen und Ansprüchen dieser Welt bewegt sicher auch heute viele Menschen. Aber viele fragen sich, was diese Sehnsucht mit Jesus Christus zu tun hat, warum ausgerechnet die Gemeinschaft mit Christus ihnen die Freiheit und das Leben in Fülle schenken sollte. Es würde doch genügen, irgendwie einen spirituellen Weg zu gehen. Der könnte doch auch ohne Jesus gelingen. Es wäre sicher eine eigene Schrift nötig, um die Rolle Jesu auf unserem Weg der Menschwerdung zu beschreiben.

Für die frühen Christen war die Begegnung mit Jesus so faszinierend, dass sie die Gefahr der Verfolgung auf sich nahmen, um diese neue Lebensqualität in sich zu erfahren, die ihnen Jesus schenkte. Doch was war es, was die Menschen an Jesus so bewunderten und was sie bewog, ihr Leben aufs Spiel zu setzen? Der Zweite Petrusbrief, der die Botschaft Jesu in die Situation der hellenistischen Geisteswelt hinein übersetzt, sah die anziehende Wirkung Jesu darin begründet, dass Jesus uns alles schenkt, was für uns und unser Leben gut ist. In Jesus ist die Herrlichkeit Gottes aufgeleuchtet.

Bedeutung der Taufe

Als die Kindertaufe mehr und mehr zum Normalfall wurde, ging viel von der existenziellen Wirkung der Taufe verloren. Und bis heute bleibt ein Unbehagen, was denn wohl die Feier der Kindertaufe bedeuten solle. Das Kind bekommt doch gar nichts davon mit. In der Vergangenheit wurden dann manche Deutungen gegeben, die ein Verständnis der Kindertaufe eher erschwert haben, wie zum Beispiel, dass das Kind von der Erbsünde befreit werde, dass aus einem Heidenkind ein Gotteskind werde oder dass es durch die Taufe in die Kirche eingegliedert werde.

Das erste Verständnis klingt magisch und pessimistisch, als ob das Kind ohne Taufe kein Gotteskind sei und nicht in den Himmel kommen könne. Wenn die Taufe einseitig als Eingliederung in die Kirche verstanden wird, dann hat das den Beigeschmack von Vereinnahmung. Die Kirche wird dann wie ein Verein verstanden, der möglichst schnell seine Mitglieder an sich binden möchte. Die Frage ist, wie wir heute die Taufe verstehen können. Und wie können wir die Taufe so feiern, dass die Menschen fasziniert vor dem Geheimnis des Lebens stehen, dass sie sich freuen können über das Geschenk des Kindes, das Gott ihnen zugedacht hat?

Die Taufe ist zwar etwas genuin Christliches. Trotz aller Ähnlichkeiten mit den jüdischen Waschungen, wie sie in Qumran üblich waren, ist sie doch etwas Besonderes. Auf der anderen Seite gibt es in allen Religionen Riten um die Geburt eines Kindes herum. Alle Völker und Kulturen haben offensichtlich das Bedürfnis, das Geheimnis der Geburt und das göttliche Geschenk eines Kindes durch Riten auszudrücken. Und oft kreisen diese Riten um das Thema Wasser und Waschung. Es soll vom Kind alles abgewaschen werden, was sein wahres Wesen verhüllt. Und es soll in Berührung kommen mit der wahren Quelle des Lebens.

Ich möchte hier nicht eine vollständige Tauftheologie entfalten, sondern – wie die Kirchenväter – in einer bildhaften Sprache aufzeigen, was die Taufe (gerade auch die Kindertaufe) für uns bedeuten kann, wie wir sie feiern und wie wir aus der Wirklichkeit unserer Taufe als freie und bedingungslos geliebte Menschen leben können.

Das Sakrament der Taufe

Die Taufe ist ein Sakrament. Doch mit diesem Begriff können viele heute nichts mehr anfangen. Sakrament meint eine „Weihehandlung mit eidlicher Verpflichtung“ (Neunheuser, 825). „Sacramentum“ war eigentlich der Fahneneid des römischen Soldaten. Im Sakrament der Taufe bindet sich der Täufling an Christus. Er drückt damit aus, dass er gemeinsam mit Christus sein Leben gestalten möchte. Doch Sakrament meint noch etwas anderes. Es ist die Übersetzung des griechischen Wortes „mysterion“. Mysterium aber bedeutet die Einweihung des Glaubenden in das Geheimnis des Lebens, in das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Die Frage ist, wie uns diese beiden Begriffe helfen können, die Taufe eines Kindes zu verstehen.

Das Geheimnis des Kindes

In der Taufe feiern wir das Geheimnis des Kindes. Was macht sein Wesen aus? Wer ist dieses Kind in seiner tiefsten Wirklichkeit? Indem wir das Leben des Kindes mit dem Schicksal Jesu Christi in Berührung bringen, soll uns deutlich werden, wer dieses Kind eigentlich ist, was Leben bedeutet, wie wir es mit den Augen des Glaubens sehen können. Im Licht des Schicksals Jesu soll uns das Geheimnis des Kindes aufgehen, sollen wir erkennen, dass das Kind nicht nur irdisches Leben hat, sondern auch göttliches, dass der Tod keine Macht mehr über es hat, da es schon Anteil hat an der Auferstehung Jesu. Doch was soll der Ritus der Taufe im Täufling und in den Menschen, die die Taufe feiern, bewirken? Der Ritus öffnet uns die Augen, damit wir das Kind nicht nur als Kind dieser Eltern und dieser Großfamilie sehen, sondern als göttliches Kind, in dem Gott einen neuen Anfang setzt, in dem etwas Einmaliges und Einzigartiges in dieser Welt aufleuchtet.

Aber der Ritus bewirkt mehr. Im Ritus berührt Jesus Christus selbst das Kind, gießt ihm sein göttliches Leben und seine bedingungslose Liebe ein, berührt es, vermittelt ihm Gottes Schutz und zeigt ihm seine Schönheit auf. Wir reden nicht nur über das Kind. Wir feiern sein Geheimnis, indem wir es in das Geheimnis Gottes hineinhalten, wie es uns in Jesus Christus am klarsten aufgeleuchtet ist. Aber in einem Ritus geschieht nie nur etwas mit den Menschen, an denen der Ritus vollzogen wird, sondern immer auch mit denen, die am Ritus teilnehmen. Am kleinen Kind selbst wird die Wirkung des Ritus beschränkt bleiben, da es kaum bewusst mitbekommt, was da an ihm geschieht. Wir feiern die Taufe auch für uns, um das Kind mit neuen Augen zu sehen und neue Verhaltensweisen und Beziehungsmuster durch die vorgegebenen Rituale einzuüben. Das Kind ist nicht nur das Kind seiner Eltern. Es ist Kind Gottes. Es hat eine göttliche Würde. Es ist frei. Es gehört nicht den Eltern, sondern Gott. Es wird seinen eigenen Weg gehen. Es hat einen Engel zu seiner Seite, der es begleiten wird, der es auch durch die Gefährdungen des Lebens und durch die Verletzungen gut gemeinter Erziehung sicher hindurchführt. So entlastet die Taufe die Eltern, die sich oft genug unter Druck setzen, dass sie auch ja alles richtig machen in der Erziehung. Denn Fehler der Erziehung könnten ja unheilvolle Folgen haben und dem Kind auf Dauer schaden. Die Taufe zeigt uns, dass Gott über das Kind seine schützende Hand hält, dass die heilende Kraft Christi stärker ist als die verwundenden Mechanismen unserer neurotischen Psyche, dass jedes Kind seinen Engel hat, der über es wacht.

Das Wasser

Wie das Leben beschaffen ist, das wir in der Taufe feiern, soll an einigen Bildern entfaltet werden, wie sie in den Taufriten aufleuchten. Da ist einmal das Bild des Wassers, wohl das zentrale Bild der Taufe. Für die frühen Christen, die nackt in das Taufbad stiegen, war es eindrücklicher als für uns, die wir nur ein paar Spritzer Wasser über den Kopf des Kindes gießen. Wasser ist einmal der Ursprung allen Lebens.

Alles Leben entspringt aus dem Wasser. In den Märchen wird vom Lebenswasser gesprochen, das die Wunden heilt und einen für immer leben lässt. Es gibt das Bild des Jungbrunnens. Wer daraus trinkt, bleibt immer jung. Quelle und Brunnen sind in allen Kulturen heilige Orte. Am Brunnen begegnen sich Menschen, da gehen Männer auf Brautschau, wie etwa Mose oder Isaak. Der Brunnen hat eine erotische Dimension. Und er ist Ort der Gottesoffenbarung. Hagar, die von Abraham verstoßene Magd, findet an der Wasserquelle wieder Mut zum Leben. Jesus begegnet der samaritischen Frau am Brunnen und spricht zu ihr von dem Wasser, das er geben wird. Wer davon trinkt, „wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Johannes 4,14). Der Taufbrunnen ist so ein Brunnen, an dem wir aus dem Wasser schöpfen, das in uns selbst zu einer Quelle wird, die nie versiegt. Auch die erotische Dimension der Quellen und Brunnen wird am Taufbrunnen sichtbar. Es ist letztlich die Liebe Gottes, die da über uns gegossen wird und die in uns zu einer unerschöpflichen Quelle wird. Unser tiefster Durst geht nach einer Liebe, die nie aufhört, weil sie von einer Quelle gespeist wird, die nie vertrocknet. Diese göttliche Liebe wird uns im Quellwasser der Taufe geschenkt. Aus ihr können wir immer trinken, wenn unsere menschliche Liebe brüchig wird, wenn sie uns zwischen den Fingern zerrinnt.

Wasser der Reinigung

Wasser hat in allen Religionen und Kulturen auch eine Reinigungsund Erneuerungskraft. Das Wasser der Taufe reinigt uns von den Fehlern der Vergangenheit und erneuert uns, damit wir als neue Menschen leben. Das ist für einen Erwachsenen, der mit Wasser übergossen wird, verständlicher als für ein Kind.

Wovon soll das Kind gereinigt werden? Es hat doch noch nicht gesündigt. Wenn die Kirche des Mittelalters meinte, das Kind werde von der Erbsünde abgewaschen, so könnten wir das in unsere Sprache heute so übersetzen: Das Kind wird aus dem Schicksalszusammenhang herausgenommen. Alles, was das Kind belastet, angefangen von den Erbfaktoren bis hin zur psychischen Familiensituation, die bedingt ist durch die Kindheitserfahrungen der Eltern, der Großeltern und Urgroßeltern, wird in der Taufe abgewaschen.

Natürlich geschieht das nicht magisch. Man kann ja nicht sagen, dass alle psychischen Verwicklungen durch die Taufe einfach aufgelöst werden. Aber indem wir das Wasser über das Kind schütten, können wir uns vorstellen, dass das Kind nicht dazu verdammt ist, das Schicksal seiner Eltern und Großeltern zu wiederholen, dass es nicht einfach Ergebnis des Stammbaums ist, sondern ganz neu anfangen kann. Das Kind ist nicht festgelegt durch die Vergangenheit, sondern offen für das Neue, das Gott in diesem Kind wirken möchte. Nicht die dunklen Familiengeheimnisse werden das Kind prägen, sondern der Engel Gottes, der das Kind in die Freiheit und zum Leben führt, trotz aller Verstrickungen in die überkommene Familiensituation. Man kann sich auch vorstellen, dass das Wasser all die Trübungen abwäscht, die wir dem Kind antun, die Trübungen aufgrund unserer Bilder, die wir dem Kind überstülpen und die sein Wesen verstellen und beeinträchtigen. Das Taufwasser will das Kind reinigen von allem, was das einmalige Bild Gottes verdunkelt, das in ihm zum Ausdruck kommt.

Geistige Fruchtbarkeit

Wasser ist ferner ein Bild für die geistige Fruchtbarkeit. Es gibt Menschen, die in Routine erstarren, von denen nichts mehr ausgeht. Da ist alles vertrocknet und erstarrt. Die Taufe erinnert uns immer wieder daran, dass in uns eine Quelle sprudelt, die uns nie eintrocknen lässt. Es ist die Quelle des Heiligen Geistes, aus der wir immer schöpfen können. Da werden wir immer inspiriert zu neuen Ideen, da sind wir in Berührung mit der göttlichen Kreativität. Wer aus dieser Quelle heraus arbeitet, der wird nie erschöpft. Aus ihm wird die Arbeit herausfließen. Er hat Lust daran. Und er hat Freude an dem Leben, das in ihm aufblüht. Jeder von uns lebt auch in der Angst, dass seine Kraft versiegen könnte, dass er keine neuen Ideen mehr findet, dass er langweilig wird und leer. Die Taufe verheißt uns, dass die Quelle in uns unerschöpflich ist, weil sie göttlich ist. Sie wird uns immer frisch und lebendig halten und die Saat befruchten, die in uns aufgehen will.

Der offene Himmel

Wenn wir die Taufe Jesu betrachten, dann werden uns noch andere Aspekte des Wassers und der Taufe vor Augen geführt. Markus beschreibt die Taufe Jesu so: „In jenen Tagen kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen, und als er aus dem Wasser stieg, sah er, dass der Himmel sich öffnete und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam. Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Markus 1,9–11). Wenn Jesus ins Wasser hinabsteigt, dann ist das ein Bild dafür, dass er in die Tiefen der Erde eindringt. Das Wasser ist in der Psychologie ein Bild des Unbewussten. In der Taufe steigen wir hinab in die Tiefen des Unbewussten, in die Abgründe der eigenen Seele, in das Schattenreich, in das alles hineingedrängt wurde, was wir vom Leben ausgeschlossen haben. Und gerade indem wir hinabsteigen in die eigene Dunkelheit, öffnet sich über uns der Himmel. Das ist ein schönes Bild für das Geheimnis des Christen. Wir haben den Mut, unser eigenes Menschsein anzunehmen, mit allen Höhen und Tiefen, auch mit der Finsternis, die sich in unserem Unbewussten eingenistet hat. Wir verdrängen nichts. Aber gerade indem wir den Mut haben, in die eigene Tiefe zu steigen, öffnet sich über uns der Himmel. Der offene Himmel zeigt uns den Horizont an, in dem wir als Christen leben. Es ist der offene Horizont Gottes. Unsere Seele hat teil an der Weite des Himmels, am Glanz des Sternenhimmels, an der Farbenpracht des sommerlichen Himmels und am milden Licht des herbstlichen Himmels. Wir sollten nicht zu klein von uns denken. Über uns öffnet sich der Himmel. Unser Leben reicht bis in Gott hinein.

Bedingungslos angenommen

Aus dem Himmel spricht Gott uns zu, dass wir bedingungslos angenommen und daseinsberechtigt sind. Karl Frielingsdorf hat in seinem Buch „Vom Überleben zum Leben“ beschrieben, dass viele Kinder sich nur bedingt daseinsberechtigt fühlen. Sie erfahren, dass sie nur angenommen werden, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, wenn sie Erfolg haben, wenn sie etwas leisten, wenn sie den Eltern keine Sorgen machen, wenn sie pflegeleicht sind, wenn sie sich anpassen. Wenn ein Kind sich nur bedingt angenommen weiß, entwickelt es Strategien des Überlebens. Um beliebt zu sein, unterdrückt es immer die eigene Meinung, verdrängt es alle Traurigkeit und jeden Zorn, um den Eltern ja keine Sorgen zu machen. Um anerkannt zu werden, leistet es immer mehr, verausgabt sich völlig. Aber es wird nie die Bestätigung erfahren, nach der es sich sehnt. Somit lebt es nie wirklich. Es wird vom Leben abgeschnitten. Frielingsdorf nennt dieses reduzierte Leben „Überleben“. Damit das Kind überleben kann, braucht es diese Strategien des Leistens und Sich-Anpassens. Leben kann es nur, wenn es bedingungslose Daseinsberechtigung erfährt. In der Taufe hören wir die Stimme Gottes: „Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter. An dir habe ich Gefallen.“ Nicht weil du etwas leistest, mag ich dich, sondern so, wie du bist, ist es gut. So bist du ganz und gar willkommen, angenommen, geliebt. Diese absolute Daseinsberechtigung, die wir in der Taufe erfahren, ist die Voraussetzung, dass wir nicht nur überleben, sondern wirklich leben können.

Wiedergeburt

Das Taufwasser, das vom Heiligen Geist befruchtet ist, wird auch als heiliger Schoß verstanden, aus dem die Menschen wiedergeboren werden. Das Bild der Wiedergeburt beschreibt einen wesentlichen Aspekt der Taufe. Im Johannesevangelium sagt Jesus zu Nikodemus: „Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Johannes 3,3). Als Nikodemus das nicht versteht, verdeutlicht ihm Jesus das Geheimnis der Wiedergeburt: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist“ (Johannes 3,5f.).

Die Wiedergeburt meint, dass der Täufling eine neue Identität bekommt. Seine alte, seine biologische Identität war von natürlichen Zwängen bestimmt. Die Wiedergeburt aus dem Geist schenkt ihm Freiheit. In der Taufe wird das Kind wiedergeboren zum ewigen Leben, da wird es vergöttlicht. Es ist nicht mehr Fleisch, nicht mehr hinfällig und schwach, sondern Geist, das heißt, es hat teil an der Unsterblichkeit und Ewigkeit Gottes. Es ist ein neuer Mensch geworden, eingetaucht in unvergängliches, göttliches Leben. Dieses göttliche Leben kann man nicht sehen, man kann daran nur glauben. Aber wenn wir an die Wiedergeburt des Täuflings aus dem Heiligen Geist glauben, dann sehen wir das Kind mit anderen Augen an, dann entdecken wir in ihm die göttliche Schönheit, etwas Unvergängliches und Ewiges, das jetzt schon hineinreicht in die Ewigkeit Gottes, dann finden wir hier auf Erden im Antlitz des Kindes schon den Himmel, dann geht uns im Menschen das Geheimnis Gottes auf.

Die Taufkerze

Dass jeder Mensch ein Lichtblick ist für diese Welt, das drückt der Taufritus dadurch aus, dass der Priester die Taufkerze an der Osterkerze entzündet und sie dem Täufling überreicht.

Manchmal erleben wir die Kinder nur als Last. Die Taufe will unseren Blick dafür öffnen, dass mit jedem Kind ein Licht aufgeht in dieser Welt. Nicht umsonst haben die Alten sich vorgestellt, dass mit jedem Menschen ein Stern aufgeht, der am nächtlichen Himmel der Menschheit leuchtet. Durch jeden Menschen möchte die Welt heller und wärmer werden. Das ist unsere tiefste Berufung, dass wir die Augen der Menschen um uns herum erleuchten und dass wir in ihre kalten Herzen etwas Wärme bringen.

Die frühe Kirche hat die Taufe „photismos“ genannt: Erleuchtung. Die Taufe zeigt also nicht nur, dass im Kind ein Licht für uns aufgeht, sondern dass das Kind selbst erleuchtet wird vom ewigen Licht Gottes. Die frühe Kirche hat die Blindenheilung in Johannes 9,1–12 als Taufgeschichte verstanden. In der Taufe gehen uns die Augen auf. Da sehen wir die eigentliche Wirklichkeit. Die Legende von der heiligen Odilia hat das aufgegriffen. In der Taufe wurde die blind geborene Frau sehend. Die Taufe erleuchtet unsere Augen, dass wir in uns das Licht Gottes erkennen.

Das weiße Gewand

Was ein Christ ist, das drückt die Taufe mit dem Anlegen des weißen Gewands aus. Die frühen Christen schritten ja nackt in das Taufbecken und zogen dann weiße Gewänder an. Sie verwirklichten, was Paulus im Galaterbrief schreibt: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus als Gewand angelegt“ (Galater 3,27). Paulus greift hier auf die Vorstellung vom himmlischen Gewand zurück, das für uns im Himmel bereitliegt. Durch die Taufe sind wir eins geworden mit Christus, sind wir gleichsam himmlische Menschen geworden, die nun die Schönheit des Himmels auf dieser Erde widerspiegeln.

Das Anlegen des Gewands ist nicht nur etwas Äußeres, es verwandelt vielmehr den ganzen Menschen, auch sein Herz. Wir sind durch die Taufe andere Menschen geworden. Wir haben eine neue Existenz gewonnen. Wir sind erfüllt vom Geist Jesu, der auch unseren Leib zum Leuchten bringen möchte, wie es die Kirchenväter immer wieder ausdrücken. Im Anlegen des weißen Gewands vollziehen wir einen Ritus, in dem wir neue Verhaltensweisen dem Kind gegenüber ausprobieren. Mir hat meine Schwester einmal von einem Mann gesagt: „Der sieht einen an, als ob er einen ausziehen möchte.“ Im Gegensatz dazu soll ich mit diesem Kind so umgehen, dass es sich mit einem weißen Gewand angezogen fühlt, dass es sich eingehüllt fühlt in Liebe, dass es sich seiner Würde freuen kann. Mein Blick soll es bedecken, anstatt zu entblößen. Ritus heißt immer auch, sich in neue Verhaltensweisen hineinspielen, die dem Menschen eher gerecht werden als unsere alten Spiele und Muster.

Verwandlung

Alle Bilder und Riten, die wir bisher angeschaut haben, sagen etwas über das Geheimnis des einzelnen Menschen aus. Aber – so fragen viele, die die alte Tauftheologie im Kopf haben – was wird denn durch die Taufe anders als vorher und was hat das mit der Kirche zu tun, in die der Einzelne doch durch die Taufe aufgenommen wird? Die Taufe stellt nicht nur dar, was der Mensch ist, sondern sie bewirkt auch eine Verwandlung. Ein Sakrament – so sagt es die alte katholische Lehre – besteht darin, dass durch etwas Sichtbares etwas Unsichtbares zum Ausdruck kommt und dem Menschen vermittelt wird. Durch die äußeren Riten wird dem Täufling Gottes Gnade geschenkt.