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Miguel de Cervantes Saavedra

Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha

(Buch 3)

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha (Buch 3) 

ISBN: 978-3-99041-580-1 

Erstes Kapitel

 

Enthält ein unglückliches Abenteuer, welches Don Quixote begegnete, indem er einigen ungefügen Yanguesern begegnete.

 

 

Der weise Cide Hamete Benengeli erzählt, dass Don Quixote, nachdem er von seinen Wirten und allen übrigen, die bei dem Begräbnisse des Schäfers Chrysostomus gegenwärtig waren, Abschied genommen, sich mit seinem Stallmeister in dasselbe Gebüsch wandte, in welchem sich die Schäferin Marcella verloren hatte. Als er länger als zwei Stunden nach allen Seiten suchend herum gestreift war, ohne sie zu finden, hielten sie auf einer Wiese an, die frisches Gras bedeckte und durch die ein frischer, so angenehmer Bach floss, welches sie einlud und nötigte, hier die Stunden der Siesta zuzubringen, welche schon mit der größten Hitze einzutreten begann. Don Quixote und Sancho stiegen also ab und ließen den Esel und Rozinante nach ihrem Gelüste von dem schönen Grase fressen, sie selbst aber eröffneten den Schnappsack, und Herr und Knecht verzehrten friedlich und gesellig miteinander, was sie darin antrafen. Sancho hatte Rozinantes Füße nicht gebunden, denn er kannte ihn als so sanft und einen solchen Feind aller Ausschweifungen, dass ihn alle Stuten von der Weide von Kordova nicht von dem Wege rechtens ablenken könnten. Das Schicksal und der Teufel, der nicht immer schläft, fügten es aber, dass ein Zug galizischer Füllen von Yanguesern durch das Tal getrieben wurde, die mit ihren Koppeln mittags gern an Orten stillliegen, wo sie Gras und Wasser finden; der Platz also, auf welchem Don Quixote ruhte, war auch den Yanguesern sehr willkommen.

   Es schickte sich so, dass in Rozinante der Wunsch aufstieg, sich mit den liebenswürdigen Stuten zu ergötzen; er witterte sie also kaum, als er auch schon gegen seine sonstige Gewohnheit und Natur, ohne von seinem Herrn Erlaubnis zu erbitten, sich in einen kleinen, etwas muntern Trab setzte, um mit ihnen sein Bedürfnis zu befriedigen. Diesen aber war, wie es schien, mehr an der Weide als an so etwas gelegen; sie empfingen ihn also mit Hufen und Zähnen, so dass sie ihm bald den Gurt zersprengten und er nackt, ohne Sattel dastand. Was ihm aber freilich noch empfindlicher fallen musste, war, dass die Treiber, da sie die Gewalt sahen, die ihren Stuten geschah, mit Knütteln herbeieilten und ihn mit Prügeln so bedeckten, dass er schlimm zugerichtet auf den Boden stürzte.

   Don Quixote und Sancho, die die Abprügelung des Rozinante mit angesehen hatten, liefen eiligst herbei, und Don Quixote sagte zu Sancho: »Wie ich gewahr werde, Freund Sancho, sind jene dort keine Ritter, sondern gemeine Menschen und schlechtes Volk. Dieses wird gesagt, weil du mir deshalb wohl in der gerechten Rache beistehen darfst, die ich wegen der Befährdung Rozinantes nehmen will, die er unter unsern Augen erlitten hat.«

   »Was Teufel können wir für Rache nehmen?« antwortete Sancho, »sie sind über zwanzig Mann, und wir sind nur zwei, ja vielleicht gar nur anderthalb.«

   »Ich bin für hundert!« versetzte Don Quixote, zog, ohne sich in weitere Gespräche einzulassen, den Degen und griff die Yangueser an, ebenso tat Sancho Pansa, vom Beispiele seines Herrn gereizt und angefeuert. Sogleich gab Don Quixote dem einen einen starken Hieb, der in die Schulter drang und das lederne Koller zerschnitt. Da die vielen Yangueser sich so von zwei einzelnen Menschen gemisshandelt sahen, liefen sie alle mit ihren Knütteln herbei, trieben die beiden in die Mitte hinein und schlugen nun mit vieler Gewalt und Berührigkeit von allen Seiten auf sie ein. Schon mit der zweiten Begrüßung lag Sancho auf dem Boden, und ebendies begegnete dem Don Quixote, ohne dass ihn Geschicklichkeit oder Mut retten konnten, und das Schicksal fügte es, dass er zu den Füßen des Rozinante niedersank, der sich noch nicht hatte aufheben können; woraus man abnehmen kann, wie gewaltig die Wirkung von Krippenstangen in den Händen erzürnter Bauern ist. Als die Yangueser nun glaubten, genug und zu viel getan zu haben, trieben sie eilig die Koppeln zusammen und ließen die beiden Abenteurer in schlechtem Zustande und noch schlechterm Humore liegen.

   Der erste, der sich besann, war Sancho Pansa, der, da er sich so nahe bei seinem Herrn fand, mit schwacher und kranker Stimme sagte: »Herr Don Quixote! ach Herr Don Quixote!«

   »Was begehrst du, Bruder Sancho?« erwiderte Don Quixote ebenso schwach und erschöpft wie Sancho.

   »Ich begehrte, wenn's möglich wäre«, antwortete Sancho Pansa, »dass Euer Gnaden mir nur zwei Schluck von dem Tranke Fieberfraß reichen möchten, wenn Ihr ihn gerade bei der Hand habt, denn vielleicht ist er für zerschlagene Knochen nicht minder als für Wunden nützlich.«

   »Wenn ich Unglückseliger diesen Trank besäße, was ginge uns dann ab?« sagte Don Quixote; »aber ich schwöre dir auf die Ehre eines irrenden Ritters, Sancho Pansa, nicht zwei Tage sollen verlaufen, wenn das Glück es nicht anders fügt, und ich will ihn besitzen oder nicht gesund vor dir stehen.«

   »Wie viele Tage werden dann«, fragte Sancho Pansa, »nach Eurer Meinung verlaufen, in denen wir weder gehen noch stehen können?«

   »In Ansehung meiner muss ich bekennen«, sagte der zerprügelte Ritter Don Quixote, »dass ich die Zahl dieser Tage nicht genau anzugeben weiß; aber ich messe mir selber alle Schuld bei, indem ich nicht gegen Menschen das Schwert hätte ziehen müssen, die nicht so wie ich geschlagene Ritter sind; ich glaube daher, dass zu meiner Strafe, der ich die Gesetze der Ritterschaft verletzte, es der Gott der Schlachten zugegeben hat, dass ich deshalb gezüchtigt würde; darum, Bruder Sancho, lass dir dieses für jetzt undimmerdar gesagt sein, weil es für unsre beiderseitige Wohlfahrt wichtig ist, dass du nämlich, wenn du siehst, dass dergleichen Pöbel uns eine Ungebühr erzeigt, nicht darauf wartest, bis ich das Schwert ziehe, denn ich werde solches keinesweges wieder tun, sondern greife du sogleich nach deinem Degen und züchtige sie nach Herzenslust; kommen ihnen aber Ritter zu Hülfe, dann werde ich dir auch mit aller meiner Gewalt zu helfen wissen, denn du hast ja tausend Zeichen und Beweise gesehen, wie weit sich die Kraft dieses meines tapfern Armes erstrecke.«

   So eingebildet war der arme Mann auf die Besiegung des wackern Biscayers. Dem Sancho Pansa aber schien diese Weisung seines Herrn nicht so durchaus trefflich, er antwortete daher: »Gnädiger Herr, ich bin ein friedfertiger, stiller, ruhiger Mann, ich bin eingelernt, Leiden zu tragen, denn ich habe Frau und Kinder, die ich ernähren und erziehen muss; lasse es sich der gnädige Herr also ebenfalls gesagt sein, befehlen kann ich es nicht, dass ich auch keinesweges mein Schwert ziehen werde, so wenig gegen gemeine Leute wie gegen Ritter, indem ich alle Ungebühr nach Gottes Barmherzigkeit verzeihe, die man mir erwiesen hat, erweist oder die mir noch künftig erwiesen werden möchte, erwiesen wird und erweislich gemacht sein kann von hoch oder niedrig, arm oder reich, Ritter oder Knecht, ohne Akzeption irgendeines Standes oder Gewerbes.«

   Als dies sein Herr hörte, antwortete er: »Ich wünschte nur etwas mehr Atem zu haben, um ohne große Beschwer reden zu können, und dass sich der Schmerz in den Seiten nur so lange legte, bis ich dir, Pansa, bewiesen hätte, in welchem Irrtume du dich befindest. So antworte mir doch darauf, du feiger Knecht: Wenn sich der Glückswind, der uns bisher entgegenwehte, nun zu unserm Vorteil dreht, die Segel unsrer Entwürfe anschwellt, dass wir sicher und ohne Gefahr in den Hafen von einer der Inseln einlaufen, die ich dir versprochen habe, wie würdest du fahren, wenn ich sie gewönne und dich zum Herrn einsetzte? denn du machst es zur Unmöglichkeit, dass du jemals ein Ritter werdest, du wünschest es auch nicht zu sein, dir würde auch so wenig Mut als Wille zu Gebote stehen, erlittenes Unrecht zu rächen und dein Besitztum zu verteidigen; denn du musst wissen, dass in neueroberten Reichen und Provinzen die Gemüter der Eingebornen nie so ganz beruhigt oder gänzlich auf der Seite ihres neuen Herrn sind, dass, wenn sie nicht von Furcht gezügelt werden, sie nicht etwas unternehmen sollten, um die Lage der Sachen zu verändern und, wie man zu sagen pflegt, ihr Heil zu versuchen; es ist also notwendig, dass der neue Herrscher Verstand habe, um sich gehörig zu betragen, und Tapferkeit, um jeglichem Unfall zuvorzukommen oder sich dagegen zu beschützen.«

   »In dem, was uns jetzt zugefallen ist«, antwortete Sancho, »hätte ich gewünscht, den Verstand und die Tapferkeit, wovon Ihr sprecht, zu besitzen; aber ich will darauf schwören, so wahr ich ehrlich bin, dass ein Pflaster mehr als Reden heilsam wäre. Seht doch, gnädiger Herr, ob Ihr aufstehen könnt, so wollen wir dem Rozinante aufhelfen, der es freilich nicht verdient, denn er ist doch die hauptsächlichste Ursache der ganzen Prügelei. Ich hätte so was nie vom Rozinante geglaubt, denn ich hielt ihn für einen so keuschen und ordentlichen Kerl wie mich selber. Aber es ist wohl wahr, man braucht lange Zeit, um die Leute kennenzulernen, und kein Ding ist in diesem Leben gewiss. Wer hätte das denken sollen, gnädiger Herr, als Ihr jenem unglückseligen irrenden Ritter die gräulichen Hiebe gabt, dass so bald hinterher eine so tüchtige Tracht von Prügeln folgen sollte, die nun unsre armen Schultern haben erleiden müssen?«

   »Doch sind die deinigen, Sancho«, antwortete Don Quixote, »wahrscheinlich noch zu dergleichen Vorfallenheiten abgehärtet, aber da die meinigen in feinem holländischen Leinen erwachsen sind, so ist es deutlich, dass ich die Leiden dieses Unfalles noch tiefer empfinden müsse; und wäre es nicht, dass ich meinte – ei! was sage ich, meinen? –, ich weiß es gewiss, dass dergleichen Unannehmlichkeit notwendig mit Tragung der Waffen verbunden ist und ich mich also nicht obstinieren darf, so würde ich vor bloßem Zorne augenblicklich sterben.«

   Hierauf antwortete der Stallmeister: »Gnädiger Herr, da nun solche Unglücksfälle einmal das Obst und die Ernte der Ritterschaft sind, so sagt mir doch, ob sie selten oder oft eintreffen oder ob sie nur in gewissen Jahreszeiten zur Reife kommen, denn ich glaube, dass wir nach zwei solchen Obsternten vergeblich auf die dritte lauern würden, wenn uns Gott nicht nach seiner unendlichen Barmherzigkeit zu Hülfe käme.«

   »Wisst, Freund Sancho«, sagte Don Quixote, »dass das Leben der irrenden Ritter tausend Gefahren und Unglücksfällen unterworfen ist, und auch gleicherweise ist es im augenblicklichen Bereich der irrenden Ritter, Könige und Kaiser zu werden, wie es die Erfahrung an so vielen und verschiedenen Rittern bewiesen hat, deren Geschichte ich umständlich weiß; wie ich dir auch gleich von einigen erzählen könnte, wenn es mir die Schmerzen erlaubten, die sich bloß durch die Stärke ihres Armes zu einer solchen Höhe emporgeschwungen haben, nachdem sie sich vorher oft und vielmals in mancherlei Unglück und Trübsal befunden hatten. Denn der tapfere Amadis von Gallia sah sich in der Gewalt seines Todfeindes, des Zauberers Arcalaus, von welchem als gewisse Wahrheit erzählt wird, dass er ihm mehr als zweihundert Streiche mit dem Zaume seines Pferdes gegeben habe, nachdem er ihn an eine Säule in seinem Hofe festgebunden. Ein geheimer, aber glaubwürdiger Autor schreibt ebenfalls, wie der Ritter des Phoebus in einem gewissen Schlosse plötzlich in eine gewisse Falle geraten sei, die sich unter seinen Füßen eröffnet habe; er sei hierauf in einem tiefen unterirdischen Abgrund an Händen und Füßen gefesselt worden, worauf sie ihm, was man ein Klistier nennt, aus Schneewasser und Sand gegeben, welches ihm übel bekam, und wäre ihm nicht in dieser großen Fährlichkeit ein Weiser, sein guter Freund, zu Hülfe gekommen, so möchte es dem armen Ritter schlimm ergangen sein. Ich darf mich also wohl mit diesen wackern Leuten trösten, denn der Unglimpf, den sie erduldeten, war noch härter, als den wir heute haben aushalten müssen; überdies, Sancho, musst du mitwissend sein, dass die Wunden nicht verunglimpfen, die man mit den Instrumenten erhält, die ein anderer zufällig in den Händen hat, auch steht es im Gesetze vom Duelle mit ausdrücklichen Worten: ›Schlägt ein Schuster einen andern mit dem Leisten, den er in den Händen hat, so kann von jenem nicht gesagt werden, dass er geprügelt sei, wenn freilich gleich Leisten und Prügel aus Holz erwachsen.‹ Ich sage dieses, damit du nicht auf den Gedanken verfällst, dass, weil wir in diesem Kampfe zerschlagen sind, wir darum auch verunglimpft wären, denn die Waffen, die jene Menschen führten und mit denen sie uns zerklopften, waren nichts weiteres als ihre Krippenstangen, und kein einziger von ihnen, soviel ich mich erinnern kann, führte eine Lanzenstange oder Schwert und Dolch.«

   »Mir ließen sie gar nicht Zeit«, antwortete Sancho, »dies alles zu beschauen, denn kaum hatte ich meinen wackern Degen herausgezogen, so ölten sie mir die Schultern mit ihren Hebebäumen auch schon so ein, dass ich Gesicht und Gehör verlor und mich auf den Beinen nicht halten konnte, so dass ich hingelegt wurde, wo ich jetzt noch liege und wo es mir keinen Kummer macht, nachzudenken, ob mir die Stangenkrücken eine Verunglimpfung sind oder nicht, so überwältigte mich der Schmerz von den Hieben, die sich ebenso meinem Gedächtnisse wie meinen Schultern eingedrückt haben.«

   »Du musst dessen ungeachtet erfahren, Freund Pansa, dass es kein Andenken gibt, welches die Zeit nicht verlöscht, und keinen Schmerz, den der Tod nicht vertilgt.«

   »Ich weiß nicht, wie es noch ein größeres Unglück geben könnte als solches, wobei man warten muss, dass es die Zeit vertilgt oder der Tod verlöscht. Wäre unser Unglück doch lieber von der Art, dass wir es mit etlichen Pflastern ausheilen könnten, das käme erwünschter; aber ich sehe wohl ein, dass alle Salben in einem Hospitale nicht hinreichen würden, uns nur leidlich aufzuhelfen.«

   »Höre auf damit und nimm Kraft aus deiner Schwäche, Sancho«, antwortete Don Quixote, »und so will ich ebenfalls tun, damit wir nach dem Rozinante sehen können; ich glaube, dass der Arme nicht den schlechtesten Teil unsers Unglücks genossen hat.«

   »Darüber muss man sich nicht verwundern«, antwortete Sancho, »denn er ist ebenfalls irrender Ritter. Worüber ich mich aber verwundere, ist, dass der Esel so frei und ohne Handgeld davongekommen ist, da unsre Hände und Füße es so haben entgelten müssen.«

   »Das Glück lässt bei Unfällen immer noch eine Tür offen, durch welche man sich retten kann«, erwiderte Don Quixote; »hiermit mein ich, dass dieses Tierlein uns nunmehr den Rozinante ersetzen muss, damit ich so ein Kastell aufsuchen möge, in welchem ich von meinen Wunden genese. Auch halte ich diese Reiterei mir nicht zu Unehren, denn ich erinnere mich gelesen zu haben, dass jener wackere alte Silenus, Begleiter und Erzieher des fröhlichen Gottes des Gelächters, als er in die Stadt mit hundert Toren einzog, ungemein vergnügt auf einem herrlichen Esel ritt und saß.«

   »Es ist gut, wenn er ritt und saß, wie Ihr da erzählt«, antwortete Sancho, »aber es ist doch ein großer Unterschied, ob einer so ritt und saß oder wie ein Sack mit Dreck querüber hängt.«

   Hierauf erwiderte Don Quixote: »Die Wunden, die in Schlachten empfangen werden, geben Ehre, aber nehmen sie nicht; also, Freund Pansa, trachte nichts Weiteres zu erwidern, sondern, wie schon gesagt, erhebe dich lieber, so gut du vermagst, und lege mich dann, wie es dir am besten deucht, über deinen Esel, damit wir fortziehen, ehe die Nacht beginnt, und wir aus diesem einsamen Walde kommen mögen.«

   »Ich habe aber von dem gnädigen Herrn sagen hören«, antwortete Sancho, »dass es für die irrenden Ritter ganz was Besonderes ist, in Einöden und Wüsteneien zu schlafen den größten Teil des Jahres, und dass sie sich das zum trefflichen Glücke rechnen.«

   »Dieses geschieht«, sagte Don Quixote, »wenn sie nicht weiter können oder wenn sie verliebt sind; und wahr ist es, dass mancher Ritter sich auf einem Felsen der Sonne und dem Schatten sowie allen Unfreundlichkeiten der Witterung zwei Jahre hindurch aussetzte, ohne dass es seine Dame wusste, und einer von diesen war Amadis, als er sich Schöndunkel nannte und auf dem Felsen Armut wohnte, ich weiß nicht ob acht Jahr oder acht Monate hindurch, denn hierin bin ich nicht so ganz gewiss, weil er dort, über ich weiß nicht welche Betrübnis, Buße tat, die ihm die Dame Oriana erzeigt hatte. Aber lassen wir dieses, Sancho, und vollbringe, ehe dem Esel ein ähnlicher Unfall wie dem Rozinante zustößt.«

   »Das wäre gar der Teufel!« sagte Sancho, und mit dreißig Seufzern, sechzig Jammerausrufungen und hundertundzwanzig Flüchen und Verwünschungen über den, der ihn dort hingebracht habe, machte er Anstalt und stand auf dem halben Wege, wie ein Bogen zusammengekrümmt, ohne dass es ihm möglich war, sich gerade aufzurichten; in solcher Mühseligkeit zäumte er demnach seinen Esel auf, der sich ebenfalls bei der unmäßigen Freiheit dieses Tages ziemlich weit entfernt hatte. Darauf gingen sie zum Rozinante, der, wenn er sich nur hätte beklagen können, gewiss nicht hinter Sancho oder seinem Herrn zurückgeblieben wäre. Kurz, Sancho packte Don Quixote über den Esel, an dessen Schweif er den Rozinante band, er selbst führte den Esel am Stricke, und so trat er nach und nach den Marsch nach der Gegend an, wo er die große Straße vermutete. Das Schicksal, welches ihn aus dem Guten ins Bessere führte, brachte sie nach einer kleinen Meile auf den wirklichen Weg, auf dem sich eine Schenke zeigte, die ohne Widerspruch nach Don Quixotes Gedanken ein Kastell war. Sancho bestand darauf, es sei eine Schenke, Don Quixote nein, sondern ein Kastell; ihr Streit bestand so lange, bis sie ganz nahe gekommen waren, worauf denn Sancho ohne weitere Untersuchung mit seiner ganzen Koppel hineinzog.

Zweites Kapitel

 

Was dem sinnreichen Edlen in der Schenke begegnete, die er für ein Kastell hielt.

 

 

Der Schenkwirt, der Don Quixote quer über dem Esel hängen sah, fragte Sancho, was ihm fehle. Sancho antwortete, ihm fehle weiter gar nichts, als dass er von einem Felsen herunter einen Fall getan habe, wodurch ihm die Ribben ein wenig zerschlagen worden wären. Der Schenkwirt hatte eine Frau, nicht so wie die meisten dieses Standes gesinnt, denn sie war von Natur mitleidig, und es dauerte sie das Unglück ihres Nächsten; sie nahm es also sogleich über sich, Don Quixote zu verbinden, und ihre Tochter, ein junges Mädchen von hübschem Aussehen, stand ihr darin bei, ihren Gast zu kurieren. In derselben Schenke diente eine asturianische Magd, mit breitem Munde, flachem Hinterkopf, platter Nase, einem schielenden und einem nicht ganz gesunden Auge; die Vorzüge des Körpers ergänzten nun freilich die übrigen Fehler. Ihre Höhe von den Füßen bis zum Kopfe betrug nicht ganz vier Fuß, und ihre aufgetürmten Schultern zwangen sie, mehr als sie es gemocht hätte, den Boden zu beschauen. Diese zarte Jungfrau unterstützte also wieder die Tochter, und beide besorgten dem Don Quixote ein elendes Bett in einem Schuppen, der, wie man an deutlichen Spuren sah, seit vielen Jahren dazu gedient hatte, das Stroh aufzubewahren; hier wohnte zugleich ein Eseltreiber, dessen Bett von dem unsers Don Quixote etwas entfernt war, und ob es gleich nur aus den Sätteln und Decken seiner Maultiere bestand, doch das Lager des Don Quixote bei weitem übertraf, welches auf zwei ungleichen Bänken gebaut war, über welche man vier ungehobelte Bretter legte, auf diese wurde eine Matratze, nicht dicker wie eine Decke, ausgebreitet, voller Klöße, die, wenn man nicht an einigen zerrissenen Stellen gesehen hätte, dass sie Wolle waren, man dem Gefühle nach wohl für Kiesel hätte halten können, dazu zwei Betttücher aus steifem Leder und eine Bettdecke, deren Fäden man, ohne sich um einen zu verrechnen, hätte zählen können, wenn man sich die Mühe hätte geben wollen.

   In dieses vermaledeite Bett musste sich Don Quixote niederlegen, worauf ihn die Wirtin mit ihrer Tochter auf dem ganzen Körper bepflasterte, indem Maritorne dazu leuchtete, denn so hieß die Asturierin. Beim Pflasterauflegen bemerkte die Wirtin, wie Don Quixote allenthalben blutrünstig war, und sagte, es schienen ihr mehr Spuren von Schlägen als einem Falle zu sein. »Schläge waren es nicht«, sagte Sancho, »sondern der Felsen hatte viele Spitzen und Ecken, wovon jeder einen blauen Flecken zurückgelassen hat«; er fuhr fort: »Seid doch von der Güte, liebe Frau, und sorgt, dass noch einige Lappen übrigbleiben mögen, denn sie werden nicht unnütz sein, weil mir der Buckel auch ziemlich weh tut.«

   »Ihr müsst also«, antwortete die Wirtin, »wohl auch einen Fall getan haben?«

   »Das nicht«, sagte Sancho Pansa, »sondern von dem Schrecken, als ich meinen Herrn herunterfallen sah, tut mir der ganze Körper so weh, als wenn ich tausend Prügel bekommen hätte.«

   »Das ist wohl möglich«, sagte die Tochter, »denn mir träumt oft, als wenn ich von einem Turme herunterfiele und gar nicht auf die Erde kommen könnte, und wenn ich dann aus meinem Traume erwache, bin ich so müde und zerschlagen, als wär ich wirklich heruntergefallen.«

   »Da liegt der Hund begraben«, antwortete Sancho, »dass ich, ohne irgend zu träumen, sondern wacher, als ich jetzt bin, ebenso braun und blau wurde als mein Herr Don Quixote.«

   »Wie heißt der Ritter?« fragte die asturische Maritorne.

   »Don Quixote von la Mancha«, antwortete Sancho Pansa, »er ist ein abenteuernder Ritter und der beste und kräftigste, den man wohl seit lange hierherum in der Welt gesehen hat.«

   »Was ist ein abenteuernder Ritter?« fragte die Magd.

   »Seid Ihr denn so neu in der Welt, dass Ihr das nicht wisst?« versetzte Sancho Pansa. »So wisst denn, mein Kind, dass ein abenteuernder Ritter ein Mann ist, der in zwei Augenblicken geprügelt wird und als Kaiser regiert. Heute ist er die unglückseligste und jämmerlichste Kreatur auf Erden, und morgen hat er zwei oder drei Kronen von Königreichen zu verschenken, die er seinem Stallmeister geben kann.«

   »Wie kömmt es denn aber, da Ihr einem so gewaltigen Herrn dient«, sagte die Wirtin, »dass Ihr noch nicht einmal, wie ich glaube, eine Grafschaft im Besitz habt?«

   »Das ist noch zu früh«, antwortete Sancho, »denn es ist noch nicht länger als einen Monat, dass wir nach Abenteuern herumsuchen, und bis jetzt haben wir noch kein so teures getroffen; auch geschieht es wohl, dass man ein Ding sucht und ein ganz andres findet. Das ist aber wahr, dass, wenn mein Herr Don Quixote von der Verwundung oder dem Falle wieder aufkömmt und ich davon nicht lahm bleibe, ich meine Hoffnungen nicht gegen die höchste Würde in Spanien vertausche.«

   Dieses ganze Gespräch hörte Don Quixote sehr aufmerksam mit an; so gut er konnte, richtete er sich im Bette auf, nahm die Hand der Wirtin und sagte: »Glaubt mir, schöne Dame, dass Ihr Euch glücklich preisen könnt, in dieses Euer Kastell meine Person beherbergt zu haben, der, wenn ich mich nicht selber lobe, ich es darum unterlasse, weil Eigenlob ungeziemlich; jedoch kann Euch mein Stallmeister erzählen, wer ich bin. Nur dieses will ich sagen, dass der Dienst, den Ihr mir erwiesen, ewiglich in meinem Gedächtnisse geschrieben bleiben wird, um Euch zu danken, solange mein Leben dauern mag, und hätten die hohen Himmelsmächte es doch nicht also verhängt, dass die Liebe mich ihren Gesetzen unterworfen und den Augen der schönen Undankbaren, die ich mir nur heimlich nenne, untertänig gemacht hätten, damit die Augen jener schönen Jungfrau die Gebieterinnen meines Willens sein dürften.«

   Verwirrt standen die Wirtin, die Tochter und die edle Maritorne da, da sie diese Redensarten des irrenden Ritters vernahmen, die sie ebenso wenig verstanden, als wenn er Griechisch gesprochen hätte; so viel merkten sie aber, dass sie alle als höflicher Dank und Gunsterbietung gemeint sein sollten; da sie aber an dergleichen Sprache nicht gewöhnt waren, so sahen sie ihn an, verwunderten sich, und da er ihnen ein ander Wesen schien als die Leute, mit denen sie sonst umgingen, so beantworteten sie seine Höflichkeit mit Wirtshausredensarten und gingen dann fort; die asturische Maritorne verband Sancho, der dieser Aufmerksamkeit ebenso sehr bedurfte als sein Herr.

   Der Eseltreiber war mit dieser einig geworden, dass sie sich in der Nacht miteinander ergötzen wollten, und sie hatte ihm ihr Wort gegeben, dass, sowie die Gäste zur Ruhe gebracht und ihre Herrschaft eingeschlafen wäre, sie ihn aufsuchen wollte und ihm, soviel er nur wollte, zu Willen sein. Es war von dieser edlen Magd bekannt, dass sie kein so gegebenes Wort gebrochen hat, wenn sie es auch ohne Zeugen auf einem Berge gegeben hätte, denn sie war auf ihr Herkommen stolz und hielt es sich nicht für schimpflich, als Magd in der Schenke zu dienen, denn sie sagte, Unglück und ein unverdientes Schicksal haben sie so weit heruntergebracht.

   Das harte, schlechte, elende und nichtswürdige Bett des Don Quixote stand voran in der Mitte jenes vermaledeiten Schuppens, dicht darneben machte sich Sancho sein Lager, welches nichts als eine schilfene Matte war und eine Decke, die eher das Ansehen von gekrempeltem Hanf als von Wolle hatte. Hierauf folgte das Bett des Eseltreibers, wie schon gesagt, aus den Sätteln und dem Schmucke seiner besten beiden Maultiere zubereitet, deren er zwölf hatte, die spiegelblank, dick und sehr ansehnlich waren, denn er war einer der reichsten Eseltreiber von Arevalo, wie der Autor dieser Historie sagt, der dieses Treibers besonders erwähnt, weil er ihn kannte und, wie einige sagen wollen, gar verwandt mit ihm war. Dieses beweiset, dass Cide Hamete Benengeli ein forschbegieriger und in allen Dingen überaus gründlicher Geschichtschreiber war, weil aus dem Angeführten erhellet, dass er selbst die unbedeutendsten und gemeinsten Umstände nicht mit Stillschweigen übergeht. Hieran sollten ernsthafte Geschichtschreiber ein Beispiel nehmen, die uns die Begebenheiten immer so kurz und zusammengezogen vortragen, dass sie uns kaum die Lippen berühren, indem sie aus Unbedacht, Bosheit oder Einfalt die wichtigsten Dinge im Tintenfasse zurücklassen. Tausendmal sei der Verfasser des »Tablante de Ricamonte« sowie der Herausgeber des Buches gepriesen, in welchem die Begebenheiten des Grafen Tomillas erzählt werden! Ei, mit welcher Genauigkeit beschreiben diese alle Dinge!

   Nachdem also der Eseltreiber noch einmal sein Vieh besucht und ihnen das zweite Futter gegeben hatte, streckte er sich auf seinen Sätteln hin und erwartete seine höchst gewissenhafte Maritorne. Schon war Sancho bepflastert und im Bette, aber der Schmerz seiner Seiten erlaubte ihm noch nicht einzuschlafen, und Don Quixote hielt vor Schmerz die Augen weit offen, wie ein Hase. In der ganzen Schenke herrschte Stille, es brannte auch kein anderes Licht weiter als eine Lampe, die in der Mitte des Eingangs aufgehängt war. Diese wundersame Stille sowie die Bilder, die unser Ritter beständig aus seinen Büchern, den Urhebern seines Unglücks, in den Gedanken hatte, bildeten in seinem Kopfe eine der seltsamen Narrheiten, auf die nur irgendeine Einbildung verfallen kann. Er bildete sich nämlich ein, in ein sehr berühmtes Kastell geraten zu sein – denn, wie schon gesagt, Kastelle mussten ihm alle Schenken sein, in denen er herbergte – und dass die Tochter des Schenkwirts eine Tochter des Herrn vom Kastelle sei, die sich in sein überaus edles Betragen verliebt und ihm versprochen habe, sich ohne Wissen ihrer Eltern heimlich in der Nacht zu ihm zu schleichen und eine Zeitlang bei ihm zu liegen. Über diese tolle Erfindung, die er für die ausgemachteste Wahrheit hielt, fing er an, sich zu ängstigen und über den gefährlichen Kampf zu sinnen, den seine Keuschheit zu bestehen haben würde, doch gelobte er in seinem Herzen, keine Falschheit gegen seine Dame Dulcinea von Toboso zu begehen, wenn sich ihm auch selbst die Königin Ginevra mit ihrer Dame Quintañona darbieten sollte.

   Indem er noch über diesen tollen Gedanken brütete, kam die Zeit und Stunde – für ihn eine Unglücksstunde –, die die Asturierin festgesetzt hatte. Sie schlich also im Hemde und barfuß, die Haare unter einer wollenen Mütze aufgebunden, nach dem Orte, wo die drei lagen, und suchte leise und mit bedächtigem Fuße ihren Eseltreiber. Sie war kaum zur Tür herein, als sie auch Don Quixote bemerkte, sich im Bette trotz seiner Pflastern und den Schmerzen seiner Ribben aufrichtete und die Arme ausstreckte, um seine schöne asturische Jungfrau zu empfangen, die leise und schüchtern mit den Händen tappte, um den geliebten Gegenstand zu finden. Sie traf auf die Arme des Don Quixote, der sie heftig bei der Hand ergriff, sie zu sich zog und sie, ohne dass sie ein Wort zu sagen wagte, zwang, sich auf sein Bett zu setzen. Er befühlte alsbald das Hemd, das, wie es von Segeltuch war, ihm doch der feinste und zarteste Zindel schien. Um die Hände trug sie Glaskorallen, die ihm den Glanz köstlicher orientalischer Perlen verbreiteten; die Haare, die sich den Pferdemähnen näherten, waren ihm leuchtende Fäden des arabischen Goldes, deren Funkeln selbst die Sonne verdunkelte, ihr Atem, der nach verdorbenem, abgestandenem Salate roch, war ihm ein Strom von süßem, gewürzhaftem Wohlgeruch; kurz, seine Einbildung malte sie mit allen jenen Farben aus, wie er in seinen Büchern die Schilderungen von andern Prinzessinnen gefunden hatte, die kommen, um nach dem schwer verwundeten Ritter ihrer Liebe zu sehen, mit allem übrigen Schmuck, der dort aufgewandt wird. Der arme Mann war auch so verblendet, dass weder die Berührung noch der Atem, noch andere Dinge, die die edle Jungfrau an sich hatte und die jedem andern als einem Eseltreiber Übelkeit erregt hätten, enttäuschen konnten, sondern ihm schien vielmehr, dass er die Göttin der Schönheit in seinen Armen halte. Sie kräftig fassend, sprach er mit verliebter und leiser Stimme folgendes: »Ich wünschte mich in einem solchen Zustande zu befinden, schöne und erhabene Dame, um für eine so übergroße Gunst zu danken, wie Ihr mir durch den Anblick Eurer herrlichen Schönheit habt erzeigen wollen; aber das Glück, welches nie müde wird, die Edlen zu verfolgen, hat mich auf dieses Lager geworfen, auf welchem ich zerquetscht und zerschmettert liege, so dass, wenn ich auch gesonnen wäre, Eurem Wunsche Genüge zu leisten, es mir unmöglich fiele. Jedoch zu dieser Unmöglichkeit kömmt eine andere, größere hinzu, nämlich die versprochene Treue, die ich der unvergleichlichen Dulcinea von Toboso angelobt habe, als der einzigen Beherrscherin meiner innersten Gedanken. Wäre mir dieses nicht entgegen, so würdet Ihr mich als keinen so blöden Ritter schauen, der ungenutzt ein so großes Glück aus den Händen ließe, welches Eure überschwengliche Güte mir hat verschaffen wollen.«

   Maritorne war voller Verdruss und Angst, sich von Don Quixote festgehalten zu sehen, und ohne ihn zu verstehen oder nur auf seine Reden achtzugeben, bemühte sie sich stillschweigend, sich von ihm loszumachen. Der Eseltreiber, den seine bösen Vorsätze munter hielten, hatte seine Geliebte bemerkt, sowie sie zur Tür hereingetreten war; er hatte auch allem, was Don Quixote sagte, aufmerksam zugehört; böse darüber, dass ihn die Asturierin für einen andern verfehlt habe, ging er dem Bette des Don Quixote näher, um zu sehen, auf was diese Reden, die ihm unverständlich waren, hinauswollten. Da er aber sah, dass die Magd bemüht war, sich loszumachen, und dass Don Quixote arbeitete, sie festzuhalten, nahm er diesen Spaß sehr übel, reckte den Arm in die Höhe und ließ einen so schrecklichen Faustschlag auf das magere Gesicht des verliebten Ritters niederfallen, dass er ihm den Mund mit Blut überschwemmte, und damit noch nicht zufrieden, stieg er auf ihn hinauf und trat ihn von einem Ende zum andern in schneller Bewegung mit Füßen. Das Bett, welches schwach war und auf keinem festen Grunde ruhte, konnte die hinzugefügte Last des Eseltreibers nicht aushalten, sondern stürzte in sich zusammen, auf welches laute Poltern der Schenkwirt erwachte und sogleich glaubte, dass Maritorne Händel verursacht habe, weil sie ihm auf sein lautes Rufen keine Antwort gegeben. In diesem Argwohne stand er auf, zündete ein Licht an und begab sich nach dem Orte, wo er das Geräusch vernommen hatte. Als die Magd ihren Herrn kommen sah, und dass er in Wut sei, kroch sie zitternd und bebend ins Bett zu Sancho Pansa, der schon schlief, wo sie sich zusammenkrümmte und in ein Knäuel drückte.

   Der Wirt trat herein und sagte: »Wo bist du, Hure? denn ich weiß, dass das deine Streiche sind.« Indem ward Sancho munter, und da er die Last auf sich fühlte, meinte er, dass ihn der Alp drücke, und schlug rechts und links mit den Fäusten aus, wobei er Maritornen nicht selten traf. Als diese den Schmerz fühlte, ließ sie ihre Schamhaftigkeit fahren und gab dem Sancho die Faustschläge so kräftig zurück, dass er zu seinem Verdruss völlig aus seinem Schlafe wach wurde. Wie er nun diese Begegnung merkte, ohne zu wissen, von wem sie ihm komme, wehrte er sich nach aller Macht, umfasste sich mit Maritornen, und die beiden begannen nun die wütendste und lächerlichste Schlägerei von der Welt. Beim Schein vom Lichte des Wirtes sah nun der Eseltreiber die Verfassung seiner Dame, er ließ Don Quixote und eilte dahin, wo seine Hülfe vonnöten war. Dasselbe tat der Wirt, aber in anderer Absicht, um nämlich die Magd zu züchtigen, weil er glaubte, dass sie allein den ganzen Lärm verursacht habe. Wie man nun im Sprichwort sagt, die Katze an der Ratze, die Ratze am Stricke, der Strick am Stocke, so schlug der Eseltreiber auf Sancho los, Sancho auf die Magd, die Magd auf ihn, auf die Magd der Wirt, und alle arbeiteten mit solcher Hast durcheinander, dass sie sich auch nicht einen Augenblick zu Atem kommen ließen. Das beste war, dass das Licht des Wirtes ausging; in der Finsternis schlugen sie so unbarmherzig aufeinander ein, dass, wo ein Arm hinfiel, keine gesunde Stelle blieb.

   Es traf sich, dass in dieser Nacht in der Schenke ein Häscher wohnte, einer von der sogenannten Heiligen alten Brüderschaft von Toledo; als dieser ebenfalls das ungeheure Lärmen der Schlacht vernahm, rüstete er sich mit seinem kleinen Stabe und der blechernen Amtsbüchse, trat im Dunkeln in das Gemach und sagte: »Friede im Namen der Obrigkeit! Friede im Namen der Heiligen Brüderschaft!« Der erste, auf den er traf, war der gemaulschellte Don Quixote, der in seinem zerbrochenen Bette mit aufgehobenem Munde und ohne Bewusstsein lag, er fühlte mit der Hand seinen Bart und rief: »Respekt vor der Obrigkeit!« Da er aber sah, dass der, den er festhielt, nicht Atem holte oder sich rührte, hielt er ihn für tot und die übrigen Anwesenden für seine Mörder, in dieser Meinung schrie er mit lauter Stimme: »Verschließt die Tür der Schenke, dass keiner entwischt, denn hier ist ein Mensch umgebracht!«

   Dieser Ausruf erschreckte alle, und jeder ließ den Kampf in ebendem Augenblicke fahren, als er den Ausruf vernahm. Der Wirt zog sich nach seiner Stube, der Eseltreiber nach seinen Sätteln, die Magd nach ihrem Verschlage zurück, nur die beiden Unglücklichen, Don Quixote und Sancho, konnten sich nicht von der Stelle rühren, wo sie lagen. Der Häscher ließ hierauf den Bart des Don Quixote los, um Licht zu suchen und die Verbrecher zu fangen, aber er fand keins, denn der Wirt hatte die Lampe mit Vorsatz ausgelöscht, als er in sein Zimmer zurückging, er war also genötigt, nach dem Feuerherde zu gehen, wo er nach vieler Arbeit und langer Zeit ein anderes Licht anzündete.

Drittes Kapitel

 

Enthält die Fortsetzung der mannigfaltigen Mühseligkeit, die den braven Don Quixote und seinen wackern Stallmeister in der Schenke betrafen, die er zu seinem Unglück für ein Kastell ansah.

 

 

Um diese Zeit hatte sich Don Quixote von seiner Betäubung erholt, und mit demselben Ton der Stimme, mit welchem er am vorigen Tage seinen Stallmeister angerufen hatte, als er im Tale der Krippenstangen zu Boden gestreckt war, fing er auch jetzt wieder an: »Freund Sancho, schläfst du? Schläfst du, Freund Sancho?«

   »Wie zum Henker soll ich denn schlafen?« antwortete Sancho voller Verdruss und Ärgernis, »es ist ja nicht anders, als wenn in dieser Nacht sich alle Teufel über mich hergemacht hätten.«

   »Du kannst gewisslich versichert sein«, antwortete Don Quixote, »dass ich entweder ohne alle Kenntnisse bin oder dass dieses Kastell hier ein verzaubertes ist, denn du musst erfahren ... Aber schwöre, dass du das, was ich dir jetzt sagen werde, als ein Geheimnis bis nach meinem Tode aufbewahren willst.«

   »Ich schwöre«, antwortete Sancho.

   »Ich sage dieses nur«, fuhr Don Quixote fort, »weil es mir verhasst ist, die Ehre von irgendjemanden zu kränken.«

   »Nun, ich sage ja, dass ich schwöre«, entgegnete Sancho, »ich will es ja verschweigen, bis Euer Gnaden tot ist, und wollte Gott, ich dürfte es morgen schon entdecken.«

   »Tue ich dir denn so viel Böses, Sancho, dass dein Wunsch meinem Leben eine so nahe Grenze steckt?«

   »Das ist nicht deswegen«, versetzte Sancho, »sondern es ist mir nur verhasst, die Sachen lange aufzuheben, und da möchte ich nicht, dass sie vor dem Aufheben verfaulen möchten.«

   »Es sei also, weshalb es immer sei«, sagte Don Quixote, »denn ich vertraue mehr deiner Liebe und Höflichkeit; du musst also wissen, dass mir in dieser Nacht eins der seltsamsten Abenteuer aufgestoßen ist, das ich wohl zu schätzen verstehe, und um es dir mit wenigem zu sagen, so erfahre, dass unlängst die Tochter des Herrn dieses Kastells zu mir kam, die zarteste und schönste Jungfrau, die in einem großen Teile der Erde zu finden ist. Was soll ich dir von den Reizen ihrer Person sagen? Was von ihrem vorzüglichen Verstande? Was von andern verborgenen Dingen, die ich lieber unberührt und im Stillschweigen vergraben lasse, um die Treue nicht zu brechen, die ich meiner Gebieterin Dulcinea von Toboso gelobt habe? Nur das will ich hinzufügen, dass der Himmel, neidisch über das edle Gut, welches das Glück mir in die Arme geführt hatte, oder vielleicht – und vielmehr ist dieses Gewissheit – weil, wie schon gesagt, dieses Kastell verzaubert ist, es geschah, dass eben, da ich in den süßesten und liebevollsten Gesprächen begriffen war, ohne dass ich sehen oder wissen konnte, woher sie komme, eine Hand kam, die dem Arme eines ungeheuren Riesen angehörte, und mir einen solchen Schlag auf den Backen gab, dass das Blut herausstürzte, worauf ich überdies noch so zerschlagen wurde, dass ich mich weit schlimmer als gestern befinde, als die Treiber der Unenthaltsamkeit des Rozinante halber uns die Ungebühr zufügten, deren du dich erinnern wirst. Woraus ich den Schluss ziehe, dass der Schönheitsschatz dieser Jungfrau von irgendeinem verzauberten Mohren bewacht und mir nicht zugedacht ist.«

   »Und mir auch nicht«, antwortete Sancho, »denn über vierhundert Mohren haben mich dermaßen zusammengeprügelt, dass das mit den Krippenstangen nur Konfekt und Marzipan dagegen ist. Aber sagt mir nur, wie Ihr das für ein schönes und herrliches Abenteuer halten könnt, da wir doch das genossen haben, was man uns gereicht hat? Euer Gnaden freilich nicht so schlimm, denn Ihr habt doch, wie Ihr sagt, die unvergleichliche Schönheit in den Armen gehabt; aber ich? nichts als die kräftigsten Püffe, die ich noch zeit meines Lebens gefühlt habe. Ich Unglückseliger! Ich bin zum Unglücke auf die Welt gekommen! Ich bin kein irrender Ritter und denke es auch niemals zu sein, und doch muss ich von allen Balgereien das Beste abkriegen!«

   »Also bist du ebenfalls geprügelt?« fragte Don Quixote.

   »Habe ich es denn, zum Teufel, nicht schon gesagt?« rief Sancho.

   »Gib dich zur Ruhe, mein Freund«, antwortete Don Quixote, »denn ich will alsbald den köstlichen Balsam verfertigen, der uns in einem Umsehen ganz gesund machen soll.«

   Indem hatte der Häscher sein Licht wieder angezündet und kam nun herein, um nach dem vermeintlichen Toten zu sehen; wie ihn nun Sancho hereintreten sah, im Hemde, mit einem Tuche um den Kopf, die Lampe in der Hand und einem ziemlich widerwärtigen Angesichte, fragte er seinen Herrn: »Gnädiger Herr, sollte das wohl der verzauberte Mohr sein, der von neuem zu prügeln anfangen will, weil er noch im Fasse was behalten hat?«

   »Der Mohr kann er nicht sein«, antwortete Don Quixote, »denn die Verzauberten lassen sich vor niemanden blicken.«

   »Lassen sie sich nicht blicken, so lassen sie sich fühlen«, sagte Sancho, »das kann mein Rücken bezeugen.«

   »Das könnte der meinige ebensowohl«, erwiderte Don Quixote, »aber dieses ist dennoch kein hinreichendes Anzeichen, um jenen dort für den verzauberten Mohren zu halten.«

   Der Häscher kam näher, und da er die beiden in einem so ruhigen Gespräche antraf, stand er voll Erstaunen still. Don Quixote lag aber immer noch mit aufgerecktem Gesichte da, weil er sich, so zerschlagener war, nicht regen oder bewegen konnte. Der Häscher ging also zu ihm und sagte: »Nun, wie steht es, mein guter Kerl?«

   »Ich würde mich anständiger ausdrücken«, erwiderte Don Quixote, »wenn ich an Eurer Stelle wäre. Spricht man hierzulande so mit irrenden Rittern, Ihr Lümmel?«

   Der Häscher, der sich von einem so schlecht aussehenden Menschen so schlecht behandeln sah, verlor die Geduld und warf die Lampe mit allem Öle an Don Quixotes Kopf, worauf er ihn mit zerschlagenem Kopfe liegen ließ und in der Finsternis gleich wieder hinausging. Sancho Pansa sagte: »Ganz gewiss, gnädiger Herr, ist dieses der verzauberte Mohr, der für andere den Schatz aufheben muss, für uns aber nur Faustschläge und Lampenschmisse aufhebt.«

   »So ist es«, antwortete Don Quixote, »und es ist nichts weiter gegen dergleichen Zauberdinge zu tun, wie es denn auch unnütz ist, sich darüber zu ärgern und zu erzürnen, denn sie sind nur unsichtbare Phantome, so dass wir an ihnen durchaus keine Rache nehmen können, wenn wir sie auch schaffen wollten; besser ist es, Sancho, du stehst auf, wenn du es vermagst, gehst zum Kommandanten dieser Festung und verschaffst dir etwas Öl, Wein, Salz und Rosmarin, um den heilsamen Balsam zu verfertigen, denn ich glaube, er würde mir jetzt guttun, da vieles Blut aus der Wunde fließt, die mir das Gespenst geschlagen hat.« Mit vielen Schmerzen seiner Gebeine erhob sich Sancho und ging im Finstern hinaus; er begegnete dem Häscher, der auf der Lauer stand, wie es mit seinem Feinde ablaufen würde; zu diesem sagte Sancho: »Wer Ihr auch sein mögt, mein Herr, seid so gut und erzeigt mir die Wohltat, mir ein wenig Rosmarin, Öl, Salz und Wein zu geben, um einen der besten irrenden Ritter auf der ganzen Erde gesund zu machen, der dort im Bette schwer verwundet liegt von den Händen des verzauberten Mohren, der in der Schenke umgeht.«

   Nach dieser Rede hielt ihn der Häscher für einen Unsinnigen; da es aber schon anfing Tag zu werden, machte er die Tür der Schenke auf und rief den Wirt, dem er die Bitte dieses verständigen Mannes mitteilte. Der Wirt gab ihm sogleich das Verlangte, und Sancho ging zu Don Quixote zurück, der den Kopf auf den Händen stützte und sich über den Lampenschlag sehr beklagte, der ihm aber kein anderes Übel als zwei tüchtige Beulen zugefügt hatte; denn was er für Blut hielt, war nur Schweiß, den er wegen des überstandenen Ungewitters vergoss. Er nahm nun sogleich die Simpla, aus denen er ein Compositum machte, indem er sie zusammentat und eine gute Zeit kochen ließ, bis sie nach seiner Meinung die gehörige Tüchtigkeit erreicht hatten. Er forderte alsbald eine Flasche, um den Trank hineinzugießen, da aber in der Schenke keine zu haben war, so entschloss er sich, ihn in ein Ölbehältnis aus Blech zu tun, mit welchem ihm der Wirt freiwillig ein Geschenk machte. Hierauf betete er über das Gefäß wohl achtzig Paternoster, ebenso viele Ave-Marias, Salves und Credos, und bei jedem Worte machte er ein Kreuz, wie um einzusegnen; bei diesem ganzen Vornehmen waren Sancho, der Wirt und der Häscher gegenwärtig, denn der Eseltreiber war stillschweigend fortgegangen, um seine Tiere zu warten und zu versorgen.