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Miguel de Cervantes Saavedra

Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha

(Buch 5)

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag, Wien 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Leben und Taten des scharfsinnigen edlen Don Quijote de la Mancha (Buch 5) 

ISBN: 978-3-99041-582-5 

Erstes Kapitel

 

Handelt von dem, was sich weiter in der Schenke zutrug, nebst andern wissenswürdigen Begebenheiten.

 

 

So endigte der Gefangene seine Erzählung, und Don Fernando sagte: »Wahrlich, Herr Kapitän, die Art, wie Ihr Eure Begebenheiten erzählt habt, ist so, dass sie dem Wunderbaren der Geschichte selber gleichkömmt; alles ist höchst seltsam und voller Zufälle, die den Zuhörer in Erstaunen setzen, und das Vergnügen, welches wir im Anhören empfunden haben, ist so groß, dass, wenn uns auch der Morgen in dieser Erzählung überraschen sollte, wir uns doch freuen würden, wenn sie von neuem anfinge.« Don Antonio und die übrigen sagten das nämliche und boten sich zu allen Diensten an, mit so freundschaftlichen und aufrichtigen Versicherungen, dass der Kapitän über ihr Wohlwollen großes Vergnügen empfand. Am meisten freundschaftlich war Don Fernando, der ihn einlud, ihm zu folgen, weil er veranstalten wolle, dass sein Bruder, der Marques, bei der Taufe der Zoraida Pate wäre, und dass er ihn so unterstützen wolle, dass er in seine Heimat mit allem Ansehen zurückkehren könne, wie es einem Manne von seinem Stande zukomme. Der Gefangene dankte mit vieler Höflichkeit für alle diese Anerbietungen, doch lehnte er es zugleich ab, irgendetwas davon anzunehmen.

   Indessen war es Nacht geworden, und indem es ganz finster wurde, kam eine Kutsche mit einigen Leuten zu Pferde an. Diese verlangten ein Nachtlager, worauf die Wirtin antwortete, dass in der ganzen Schenke kein Fußbreit Platz mehr sei.

   »Wenn das auch ist«, sagte der eine von den Reitern, der eingetreten war, »so wird doch wohl noch etwas für den Herrn Hörer übrig sein.«

   Bei diesem Namen erschrak die Wirtin und sagte: »Señor, die Wahrheit zu sagen, so haben wir keine Betten; wenn Ihr Gnaden, der Herr Hörer, aber welche mit sich bringt – wie ich glaube –, so sei er so gnädig einzutreten, denn ich und mein Mann wollen unsere Stube räumen, um es dem gnädigen Herrn bequem zu machen.«

   »So kann es geschehen«, sagte der Stallmeister. Indessen war aus der Kutsche schon ein Mann gestiegen, aus dessen Kleidung man sogleich sein Amt ersehen konnte, denn sein langes Kleid mit den weiten Ärmeln gab zu erkennen, dass er der Hörer sei, von dem der Diener erst gesprochen hatte. Er führte an der Hand ein Mädchen, die ungefähr sechzehn Jahre alt schien, in Reisekleidern, so edel, schön und liebenswürdig, dass alle über diesen Anblick erstaunten; so dass, wer nicht Dorothea, Luzinde und Zoraida gesehen hatte, die in der Schenke waren, glauben musste, dass schwerlich eine solche Schönheit wie dieses Mädchen zu finden sei. Don Quixote war beim Eintritte des Hörers und des Mädchens zugegen, und als er sie sah, sprach er: »Der ehrwürdige Herr können sicher hereintreten und in diesem Kastell der Ruhe pflegen, denn ob es gleich hier eng und schlecht eingerichtet ist, so ist doch nichts in der Welt so eng und unbequem, dass nicht die Waffen und Wissenschaften noch Platz finden sollten, vorzüglich wenn sie als Führer und Herold die Schönheit mit sich bringen, wie sie die Wissenschaft Eurer Gnaden in dieser schönen Jungfrau mit sich bringt, der sich nicht nur Kastelle auftun und eröffnen, sondern selbst Felsen spalten und die hohen Gebirge sich niedersenken, um ihr eine Aufnahme zu bereiten. Tretet herein in dieses Paradies, denn hier werdet Ihr Sterne und Sonnen finden, des Himmels wohl würdig, den Ihr mit Euch führt; hier werdet Ihr die Waffen in ihrem Glanz und die Schönheit in ihrer Glorie erblicken.«

   Der Hörer stand verwundert über diese Anrede des Don Quixote, den er hierauf in der Nähe genauer betrachtete, worauf er sich über sein Äußeres ebenso wie über seine Worte verwunderte, und ohne dass er wusste, was er antworten solle, verwunderte er sich von neuem, als er Luzinde, Dorothea und Zoraida vor sich erblickte, die auf die Neuigkeit von den neuen Gästen, und was ihnen die Wirtin von der Schönheit des Mädchens gesagt hatte, gekommen waren, um sie zu sehen und zu bewillkommnen; und Don Fernando, Cardenio und der Pfarrer begrüßten ihn auf eine einfachere, aber sehr höfliche Art. Der Herr Hörer trat herein, gleich erstaunt über das, was er sah, als was er hörte, und die Schönheiten der Schenke begrüßten die schöne Jungfrau. Der Hörer merkte nun wohl, dass die Gegenwärtigen angesehene Leute waren; aber der Anzug, das Gesicht und der Anstand des Don Quixote brachten ihn immer noch in Verwirrung; nachdem er alle höfliche Anerbietungen beantwortet und die Gelegenheit der Schenke betrachtet hatte, wurde es so eingerichtet, wie man es schon vorher eingerichtet hatte, dass alle Frauen sich in dem oben beschriebenen Gemache aufhalten und dass die Männer draußen, wie zu ihrer Bewachung, bleiben sollten; damit waren der Hörer und seine Tochter zufrieden, denn das war das junge Mädchen, sie ging mit den Damen sehr gern und freudig fort. Mit einem Teil des kleinen Bettes, welches dem Wirt gehörte, und mit der andern Hälfte, die der Hörer mit sich brachte, wurde so gut als möglich für die Nacht eine Einrichtung getroffen.

   Der Gefangene fühlte vom ersten Augenblicke, da er den Hörer sah, sein Herz klopfen und eine Ahnung, dass dieser sein Bruder sei; er fragte einen von den Dienern, die mitgekommen waren, wie er heiße und ob er nicht wisse, aus welcher Gegend er wäre. Der Diener antwortete, dass er der Lizentiat Juan Perez de Viedma genannt werde und, wie er gehört, aus einem Orte in den leonischen Gebirgen gebürtig sei.

   Durch diese Nachricht wurde seine Meinung bestätigt, dass dieser sein Bruder sei, der nach dem Rat seines Vaters den Wissenschaften gefolgt war. Er war hierüber erschüttert und vergnügt und rief Don Fernando, Cardenio und den Pfarrer beiseite, denen er erzählte, was sich zugetragen hatte und dass er gewiss wisse, der Hörer sei sein Bruder. Er hatte zugleich vom Diener erfahren, dass er als Hörer nach Indien in die mexikanische Regierung gehe; auch wusste er, dass das Mädchen seine Tochter sei, bei deren Geburt die Mutter gestorben war, und dass er durch die Mitgift sehr reich geworden, die mit der Tochter im Hause geblieben war. Er fragte sie um Rat, auf welche Weise er sich zu erkennen geben solle, wie er es erst erproben möchte, ob sein Bruder, wenn er sich ihm nenne, ihn verstieße, da er so arm sei, oder ob er ihn mit Liebe aufnehmen würde.

   »Überlasst es mir, diese Probe zu machen«, sagte der Pfarrer, »vorzüglich da ich überzeugt bin, Herr Kapitän, dass Ihr sehr gut aufgenommen werdet, denn der Verstand und das edle Wesen, das an Eurem Bruder sichtbar ist, lässt keineswegs mutmaßen, dass er stolz oder unbrüderlich handeln könne oder dass er die Zufälle des Glücks nicht auf die wahre Art zu schätzen wüsste.«

   »Dennoch«, sagte der Kapitän, »möchte ich mich nicht so plötzlich, sondern durch einen Umweg zu erkennen geben.«

   »Ich versichere Euch«, antwortete der Pfarrer, »dass ich es so unternehmen will, dass alle zufrieden sein sollen.«

   Man hatte indes das Abendessen bereitet, und alle setzten sich um den Tisch, außer der Gefangene und die Damen, die für sich in ihrem Gemach die Mahlzeit einnahmen. Während der Mahlzeit sagte der Pfarrer: »Ich hatte sonst, Herr Hörer, einen Kameraden Eures Namens zu Konstantinopel, wo ich zwei Jahre als Gefangener war; dieser Kamerad war einer der tapfersten Soldaten und Hauptleute in der spanischen Infanterie, aber so brav und tapfer er war, ebenso unglücklich war er auch.«

   »Und wie hieß dieser Kapitän, mein Herr?« fragte der Hörer.

   »Er heißt«, antwortete der Pfarrer, »Ruy Perez de Viedma und war aus einem Orte in den leonischen Gebirgen gebürtig; er erzählte mir etwas, was sich mit seinem Vater und seinen beiden Brüdern zugetragen, dass, wenn es mir nicht ein so wahrhaftiger Mann erzählt, ich es für eins von jenen Märchen gehalten hätte, welches sich die alten Frauen beim winterlichen Feuer erzählen, denn er sagte mir, wie sein Vater unter seine drei Söhne sein Vermögen geteilt habe und ihnen Ratschläge mitgegeben, die eines Cato würdig waren. Er wählte sich das Kriegshandwerk, und es gelang ihm so gut, dass er in wenigen Jahren durch seinen Mut und seine Tapferkeit, ohne eine andere Hülfe als seine Bravheit, Kapitän der Infanterie wurde und sich auf dem geraden Wege sah, bald Oberst zu werden. Aber das Glück war ihm entgegen, denn indem er alles Gute erwarten konnte, verlor er die Freiheit in jener glorreichen Schlacht, die Tausenden die Freiheit verschaffte, in jenem Treffen bei Lepanto; ich wurde in Goleta gefangen, und nach mancherlei Begebenheiten trafen wir uns als Kameraden in Konstantinopel. Von dort kam er nach Algier, wo sich mit ihm eine der seltsamsten Begebenheiten zutrug, die man nur in der Welt erleben kann.«

   So fuhr der Pfarrer fort und erzählte kürzlich alles, was seinem Bruder mit der Zoraida begegnet war. Der Hörer war sehr aufmerksam, so dass er noch nie so sehr wie in dieser Stunde ein Hörer gewesen war. Der Pfarrer führte die Erzählung bis zu jenem Punkte, als die Franzosen die Christen plünderten, die in der Barke waren, in welcher Armut und Dürftigkeit sein Kamerad und die schöne Mohrin geblieben wäre; was sich seitdem mit ihnen zugetragen, wisse er nicht, ob sie nach Spanien gekommen oder ob sie die Franzosen mit nach Frankreich geführt hätten.

   Alles, was der Pfarrer sagte, hörte der Kapitän von Zeit zu Zeit heimlich mit an, sowie er auch alle Bewegungen seines Bruders beobachtete. Als der Pfarrer seine Erzählung beendigt hatte, holte dieser einen tiefen Seufzer und sagte mit Augen voller Wasser: »O Señor, wenn Ihr wüsstet, wie diese Neuigkeiten, die Ihr mir mitgeteilt habt, mich so innig angehen, dass ich gezwungen bin, in Tränen auszubrechen, die ganz gegen meinen Willen und gegen alle Schicklichkeit aus meinen Augen fließen! Dieser Kapitän, von dem Ihr erzählt, ist mein älterer Bruder, der mit großmütigerem Herzen als ich oder mein anderer jüngerer Bruder sich das ehrenvolle und edle Handwerk des Krieges erwählte, welches einer von den dreien Wegen war, die unser Vater uns vorschlug, geradeso wie es Euch Euer Kamerad erzählt hat, welches Euch wie ein Märchen vorgekommen ist. Ich folgte den Wissenschaften, in denen mich Gott und mein Fleiß zu der Würde erhoben haben, in welcher Ihr mich gegenwärtig seht. Mein jüngerer Bruder ist in Peru, und zwar so reich, dass er meinem Vater und mir mehr überschickt hat, als sein Anteil betrug; er hat meinen Vater so sehr unterstützt, dass dieser nunmehr seinem großmütigen Hange folgen kann; auch ich habe durch seine Hülfe meine Studien anständiger und bequemer vollenden können, bis mir mein jetziges Amt zuteilwurde. Mein Vater lebt noch in hohem Alter und wünscht nur von seinem erstgebornen Sohne etwas zu hören, er bittet Gott in immerwährendem Gebet, dass der Tod nicht seine Augen verschließen möchte, bis er die Augen seines Sohnes wiedergesehen. Über diesen wundere ich mich nur, da er so verständig ist, dass er in allen Leiden und Trübsalen, wie auch in Glücksfällen, sich niemals bemüht hat, seinem Vater Nachricht von sich zu geben, denn wenn er oder einer von uns um seine Lage gewusst hätte, hätte er nicht nötig gehabt, seiner Ranzion wegen auf das wundervolle Rohr zu warten. Die Ungewissheit ängstigt mich jetzt nur, ob ihm die Franzosen die Freiheit geschenkt oder ob sie ihn umgebracht haben, um ihren Raub zu verdecken. Dies macht, dass ich meine Reise nicht mit dem Vergnügen fortsetzen kann, mit welchem ich sie angetreten habe, sondern mit großer Melancholie und Traurigkeit. O du mein edler Bruder! Wüsste ich, wo du jetzt bist, so wollte ich dich aufsuchen und aus deinen Leiden erlösen, und wenn ich selbst dafür leiden sollte! O wer wird unserm alten Vater die Zeitung bringen, dass du noch lebst, wenn du auch im tiefsten Gefängnisse der Barbarei lägst, dass du mit seinem, meines Bruders und meinem Vermögen erlöst würdest! O schöne und großmütige Zoraida! Wer kann dir das vergelten, was du an meinem Bruder getan hast! Wenn wir doch bei der Wiedergeburt deiner Seele und bei deiner Hochzeit zugegen wären, die uns so große Freude gemacht hätte!«

   Dies und noch mehr sagte der Hörer, indem er inniglich der Nachrichten wegen gerührt war, die er von seinem Bruder empfangen hatte, so dass alle, die ihn anhörten, über das Bezeigen seiner Traurigkeit ebenfalls bewegt wurden. Da der Pfarrer sah, dass seine Absicht und der Wunsch des Kapitäns so gut in Erfüllung gegangen war, wollte er ihn nicht länger in seiner Traurigkeit verharren lassen, er stand also vom Tische auf und ging in das Gemach, in dem sich Zoraida befand, er nahm diese bei der Hand, und ihr folgten Luzinde, Dorothea und die Tochter des Hörers. Der Kapitän war in Erwartung, was der Pfarrer vornehmen würde, der ihn auch mit der andern Hand fasste und so mit beiden dahin ging, wo sich der Hörer nebst den übrigen Rittern befand, worauf er sagte: »Trocknet, Herr Hörer, Eure Tränen, denn das, was Ihr sehr wünschtet, ist in Erfüllung gegangen, denn dieser ist Euer edler Bruder und diese Eure edle Schwägerin; den Ihr hier vor Euch seht, ist der Kapitän Viedma, und diese ist die schöne Mohrin, die ihm so viel Gutes erzeigt hat; die Franzosen, von denen ich Euch erzählte, haben sie in diese Dürftigkeit versetzt, damit Ihr die Großmut Eurer edlen Seele beweisen könnt.«

   Der Kapitän wollte seinen Bruder umarmen, dieser legte ihm beide Hände auf die Brust, um ihn aus der Ferne genauer zu betrachten; als er ihn aber erkannt hatte, umarmte er ihn so inbrünstig und vergoss in seiner Entzückung so viele Freudentränen, dass die meisten von denen, die zugegen waren, seinem Beispiel folgten. Was sie hierauf miteinander sprachen, die Empfindungen, die sie äußerten, lassen sich kaum vorstellen, viel weniger beschreiben. Bald erzählten sie sich ihre Begebenheiten, bald zeigten sich beide ihre brüderliche Gesinnung, bald umarmte der Hörer die Zoraida, bald bot er ihr sein Vermögen an, bald musste sie seine Tochter umarmen, bald erneuerten die schöne Christin und die schönste Mohrin die Tränen in aller Augen. Don Quixote hatte alle diese seltsamen Begebenheiten aufmerksam beachtet, ohne ein Wort zu sagen, indem er alles den Chimären der irrenden Ritterschaft zuschrieb. Es wurde beschlossen, dass der Kapitän und Zoraida mit seinem Bruder nach Sevilla gehen sollten und dem Vater von dem wiedergefundenen Befreiten Nachricht geben, damit er bei der Hochzeit und Taufe der Zoraida zugegen sein könne, weil es dem Hörer nicht möglich war, seine Reise aufzuschieben, denn er hatte Nachricht bekommen, dass innerhalb eines Monats eine Flotte von Sevilla nach Neu-Spanien segeln würde, und es wäre ihm sehr nachteilig gewesen, diese Gelegenheit zu versäumen. Kurz, alle waren über diese glückliche Begebenheit des Gefangenen vergnügt und voller Freude, und da die Nacht schon über die Hälfte verflossen war, beschloss man, beieinanderzubleiben und den übrigen Teil der Nacht zu ruhen.

   Don Quixote erbot sich, die Bewachung des Kastells über sich zu nehmen, damit kein Riese oder ein anderer schlecht denkender Schurke einen Angriff darauf tue, gierig nach dem großen Schatz der Schönheit, der im Kastelle verschlossen sei. Die ihn kannten, sagten ihm Dank und gaben dem Hörer von dem seltsamen Humor des Don Quixote Nachricht, worüber er sich nicht wenig belustigte. Nur Sancho Pansa war überaus verdrießlich, dass man die Ruhe so lange aufschiebe, er richtete sich auch allein besser als alle übrigen ein, denn er lagerte sich auf den Schmuck seines Esels, was ihm aber teuer zu stehen kam, wie man nachher erfahren wird.

   Als die Damen sich in einem Gemache versammelt und die übrigen sich so gut eingerichtet hatten, als es möglich war, ging Don Quixote aus dem Kastelle hinaus, um eine Schildwache vorzustellen, wie er versprochen hatte.

   Es geschah hierauf, dass, da es nur noch wenig vor Tagesanbruch war, in die Ohren der Damen eine so volle und schöne Stimme erklang, dass alle gezwungen wurden, aufmerksam zuzuhören, vorzüglich Dorothea, die noch munter war, an deren Seite Doña Clara de Viedma schlief; denn so hieß die Tochter des Hörers. Keiner konnte sich vorstellen, wer es sein möchte, der so schön und ohne alle Begleitung eines Instrumentes sang. Bald schien der Gesang im Hofe und bald wieder aus dem Stalle zu kommen. Und indem sie noch in dieser Verwirrung und sehr aufmerksam waren, näherte sich Cardenio der Türe des Gemaches und sagte: »Wer nicht schläft, höre zu, denn es lässt sich ein Maultierbursche mit einer solchen Stimme hören, dass sein Gesang ein wirklicher Zauberklang ist.«

   »Wir hören sie schon, Señor«, antwortete Dorothea. Hierauf ging Cardenio wieder zurück, und Dorothea horchte mit der größten Aufmerksamkeit, worauf sie folgendes vernahm.

 Zweites Kapitel

 

Enthält die anmutige Geschichte des Maultiertreibers, nebst andern seltsamen Begebenheiten, die sich in der Schenke zutrugen.

 

 

Schiffer nenn ich mich der Liebe,

Fahr auf ihren tiefen Fluten,

Ohne Hoffnung zu erreichen

Eines Hafens sichre Buchten.

 

Ein Gestirn lenkt meine Wege,

Das von fern mir zeigt die Spuren,

Schöner und von hellerm Glanze,

Als je Palinur erkundet.

 

Nicht weiß ich, wohin es leitet,

In Verwirrung tief versunken,

Schaut die Seele dies nur brünstig,

Darauf ruhend ohne Ruhe.

 

Sprödigkeit, zu weit getrieben,

Tugend, wie sonst nie gefunden,

Sind die Wolken, die sehnsücht'gen

Blicken oftmals es verdunkeln.

 

Klar anleuchtendes Gestirne,

Läutern muss mich dein Gefunkel,

Und mein Tod muss mir erscheinen,

Wie du völlig mir entschwunden.

 

Als der Singende bis hierhergekommen war, fiel es Dorothea ein, dass es schade sei, wenn Clara eine so schöne Stimme nicht hören sollte, sie rüttelte sie also von einer Seite zur andern, um sie zu ermuntern, und sagte: »Vergib mir, mein Kind, dass ich dich aufwecke, ich tue es nur, damit du die lieblichste Stimme vernehmest, die du vielleicht zeit deines Lebens nicht gehört hast.«

   Clara war noch halb im Traume und hörte zuerst nicht, was ihr Dorothea sagte, sie fragte sie daher, und jene wiederholte ihre Worte, worauf Clara aufmerksam wurde; aber kaum hatte sie zwei Verse vernommen, von dem Sänger vorgetragen, als sie ein so heftiges Zittern befiel, als wenn sie an einem schweren Fieber darniederläge; sie umarmte Dorotheen heftig und sagte: »Ach liebste, teuerste Señora! Warum hast du mich doch aufgeweckt? Das größte Glück, welches mir begegnen könnte, wäre, Augen und Ohren dicht verschlossen zu haben, um diesen unglücklichen Sänger weder zu sehen noch zu hören.«

   »Was sagst du da, mein Kind? Bedenke, was du sprichst, denn der da singt, ist ein Maultierbursche, wie man sagt.«

   »Nein«, antwortete Clara, »er ist ein Herr über eine Herrschaft, ja über meine Seele, die er so beherrscht, dass, wenn er sie nicht lässt, sie ihn ewig nicht verlassen wird.«

   Dorothea verwunderte sich über die sinnigen Reden des jungen Mädchens, weil sie ihr bei weitem verständiger vorkamen, als man von ihrem geringen Alter erwarten durfte, sie sagte daher: »Ihr sprecht auf eine solche Weise, Señora Clara, dass ich Euch nicht verstehen kann, erklärt Euch deutlicher und sagt mir, was meint Ihr mit Seele und Herrschaft, und wer ist dieser Sänger, dessen Stimme Euch so beunruhigt? Antwortet mir aber jetzt noch nicht, denn ich möchte über Euere Erzählung nicht gern das Vergnügen verlieren, welches mir dieser Gesang macht, denn es scheint, als wollte er jetzt mit neuen Versen und neuer Melodie wieder zu singen anfangen.«

   »In Gottes Namen!« antwortete Clara und hielt sich beide Ohren zu, um nichts davon zu hören, worüber sich Dorothea von neuem verwunderte. Sie blieb aber auf den Gesang aufmerksam und vernahm nun folgende Worte:

 

O du mein süßes Hoffen,

Das fort sich reißt den steilen Pfad hinan,

Getrost! es bleibt dir offen,

Was du gesucht, geebnet dir die Bahn,

Erzittre nicht zu sehn

Den Tod auf jedem Schritte mit dir gehn.

 

Die Tränen nie erringen

Ruhmvolles Triumphieren, edlen Sieg,

Denn dem kann nichts gelingen,

Der nicht mit seinem Glücke wagt den Krieg,

Der hin und wider schwankt,

Indessen jeder Sinn an Trägheit krankt.

 

Dass Liebe ihr Ergötzen

Nur teurer will verkaufen, dünkt mir schön,

Denn nichts gleicht jenen Schätzen,

Die durch ihr holdes Licht geläutert gehn,

Auch ist der Spruch bekannt,

Wohlfeil Gekauftes achtet man für Tand.

 

Beständigkeit der Liebe

Unmögliches zu Möglichem wohl macht,

Drum folg ich meinem Triebe,

Zieht er mich gleich durch Klippen und durch Nacht,

Ich traue dem Entschluss,

Dass ich auf Erden Himmel finden muss.