Emmy von Rhoden / Else Wildhagen / Suse la Chapelle-Roobol

 

Der Trotzkopf Anthology (Gesamtausgabe)

 

In Sprache und Schreibweise modernisiert. Mit den Originalillustrationen und ausführlichen Vorwort sowie Autorenbeschreibung


Impressum

Covergestaltung:       Johannes Krüger

 

Illustrationen:            August Mandlick / Willy Planck

 

Übersetzung:            Band 4: Anna Herbst

 

Digitalisierung:       Gunter Pirntke

 

Bearbeitung:             Johannes Krüge

 

Herausgeber:      BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke

 

ISBN:                   9783955017507

 

2015 andersseitig.de


andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


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(mehr unter Impressum-Kontakt)

 

 

Der Trotzkopf. Eine Pensionsgeschichte für erwachsene Mädchen von Emmy von Rhoden. Illustriert von August Mandlick. Verlag von Gustav Weise, Stuttgart.

 

Trotzkopfs Brautzeit von Else Wildhagen, zweiter Band zum Trotzkopf, illustriert von Willy Planck. Verlag von Gustav Weise, Stuttgart.

 

Aus Trotzkopfs Ehe von Else Wildhagen, dritter Band zum Trotzkopf, illustriert von Willy Planck. Verlag von Gustav Weise, Stuttgart.

 

Trotzkopf als Großmutter von Suse la Chapelle-Roobol, autorisierte Übersetzung aus dem Holländischen von Anna Herbst. Vierter Band zum Trotzkopf, illustriert von Willy Planck. Verlag von Gustav Weise, Stuttgart.

Vorwort

 

Mit „Der Trotzkopf“ Anthology liegt uns ein Zyklus vor, welcher drei Autorinnen verzeichnet. Ein Umstand, der in der Literaturgeschichte nicht allzu häufig auftritt.

 

Was ist die Vorgeschichte und wie kam es dazu, dass hier gleich Mutter, Tochter und eine völlig fremde diesen Stoff aufgriffen?

 

Der Trotzkopf ist der Titel eines 1885 erstmals erschienenen Mädchenbuches von Emmy von Rhoden. Der Roman wurde vom Verlag Weise kurz nach dem Tod der Autorin veröffentlicht.

 

Zu Der Trotzkopf sind im Laufe der Zeit verschiedene Fortsetzungen und Folgebände erschienen, die in ihrer Handlung nicht immer aufeinander aufbauen: Drei Bände stammen von Else Wildhagen, der Tochter von Rhodens, nämlich Trotzkopfs Brautzeit (1892), Aus Trotzkopfs Ehe (1895) und Trotzkopfs Nachkommen, ein neues Geschlecht (1930), Doris Mix veröffentlichte 1895 Frau Ilse, die Niederländerin Suze la Chapelle-Roobol den Band Stijfkopje als grootmoeder (dt. Trotzkopf als Großmutter, 1905) und Marie Luise Mancke unter dem Pseudonym Marie von Felseneck die zwei Bücher Trotzkopfs Erlebnisse im Weltkriege (1916) und Trotzkopf heiratet (1919). Die Bücher von Mix und von Mancke wurden von Wildhagen als Plagiate betrachtet.

 

Band 5 wurde 1930 wiederum von Else Wildhagen als Entgegnung auf La Chapelle-Roobols Roman verfasst, ist jedoch in Vergessenheit geraten. Band 4 gilt heute als letzter Teil der Serie.

 

Der große Erfolg von Der Trotzkopf führte zu einigen Nachahmungen und angeblichen „Fortsetzungen“ des Romans durch andere Autorinnen, die von Wildhagen nicht als legitime Fortsetzungen des Werks ihrer Mutter betrachtet wurden.

 

1895 erschien das Buch Frau Ilse von Doris Mix, das als „Fortsetzung von Der Trotzkopf“ vermarktet wurde. Dies war laut Wildhagens Vorwort zu Aus Trotzkopfs Ehe (1895) nicht das einzige Plagiat: „Nun aber, da sich von anderer Seite eine Trotzkopf-Literatur zu bilden scheint und sich andere berufen und berechtigt fühlen, die Gestalten der Trotzkopf-Bücher für Erzählungen zu verwenden, die sie als Fortsetzungen der Trotzkopf-Romane verstanden wissen wollen, muss ich meine bisherigen Bedenken aufgeben.“ (Wildhagen spricht über die Gründe für ihren Entschluss, das Werk der Mutter selbst fortzusetzen.)

 

1916 und 1919 veröffentlichte Maria Mancke unter dem Pseudonym Marie von Felseneck die Bücher Trotzkopfs Erlebnisse im Weltkrieg und Trotzkopf heiratet, die, ebenso wie das Werk von Mix, rasch in Vergessenheit gerieten.

 

Vorbild für Ilse Macket war Emmy von Rhodens eigene Tochter Else, die im Pensionat des Fräulein Möder bei Eisenach aufwuchs. Der Roman entstand teilweise nach Elses Tagebuchaufzeichnungen. Vorbild für Nellie Grey war Elses beste Freundin, die Engländerin Nellie Gladstone (eine Verwandte des Premierministers William Ewart Gladstone); Fräulein Güssow ist der Lieblingslehrerin Emma Schwartz nachempfunden, Miss Lead der unsympathischen Englischlehrerin Miss Wood.

 

Trotz eines geänderten Frauenbildes wird der Trotzkopf bis heute immer wieder aufgelegt. Bei aller erlernten Fügsamkeit bleibt Ilse dennoch ein temperamentvolles Mädchen, das nicht wegen seiner Tugenden, sondern vor allem wegen seiner Natürlichkeit geliebt wird. Die Bemerkung des Vaters, sein wildes Kind habe ihm vorher besser gefallen, zeigt Kritik am Erziehungsideal.

 

Die Ursprungsautorinnen

 

Emmy von Rhoden (eigentlich Emilie Auguste Karoline Henriette Friedrich geborene Kühne; geboren am 15. November 1829 in Magdeburg; gestorben 7. April 1885 in Dresden) war die Erfinderin dieses Zyklusses.

 

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Emmy von Rhoden - Fotografie (ca. 1880)

 

„Emmy von Rhoden“ war das Pseudonym von Emmy Friedrich, einer Tochter des Bankiers August Friedrich Kühne und dessen Ehefrau Henriette Friederike geb. Rudeloff. 1854 heiratete sie mit 25 Jahren den Schriftsteller und Journalisten Dr. Friedrich Friedrich. Mit ihm hatte sie einen Sohn und eine Tochter, die spätere Schriftstellerin Else Wildhagen.

 

Als ihr Ehemann 1867 zum Chefredakteur der Berliner Gerichtszeitung berufen wurde, folgte sie ihm mit den Kindern in die Hauptstadt. 1872 ließ sie sich in Eisenach nieder, in den Jahren 1876 bis 1885 lebte und wirkte sie in Leipzig. Ihre letzten Lebenstage verbrachte Emmy von Rhoden in Dresden, wo sie 1885 im Alter von erst 55 Jahren starb.

Rhodens literarisches Schaffen besteht zum Großteil aus Erzählungen, die im Familienbuch des österreichischen Lloyd und in der Berliner Zeitschrift Victoria veröffentlicht wurden. Daneben entstand nach langen Recherchen, u. a. an der Schule ihrer Tochter, der Roman Der Trotzkopf. Eine Pensionsgeschichte für erwachsene Mädchen. Der Stuttgarter Verleger Gustav Weise veröffentlichte ihn wenige Wochen nach ihrem Tod. Das Buch wurde ein großer Erfolg, gehörte – ähnlich den Nesthäkchen-Bänden – über Generationen als sogenannter Backfischroman zur Standard-Lektüre heranwachsender junger Mädchen und ist auch heute noch bekannt.

 

Heute ist dieser Roman nicht unumstritten.

 

Else Wildhagen, wurde am 10. Januar 1861 in Leipzig als Else Friedrich; geboren und starb am 9. August 1944 in Leipzig. Sie war die Tochter der Schriftstellerin Emmy von Rhoden und des Schriftstellers Hermann Friedrich Friedrich. Sie war seit 1885 verheiratet mit dem Göttinger Justizrat Dr. Georg Wildhagen.

 

Else Wildhagen wuchs in Dresden und im Mädchenpensionat Möder bei Eisenach auf. Ihre Tagebuchaufzeichnungen inspirierten ihre Mutter, ein Mädchenbuch über das Internatsleben zu schreiben. Der Roman Der Trotzkopf, der 1885 posthum erschien, erzielte einen solchen Erfolg, dass der Verleger eine Fortsetzung publizieren wollte. Else Wildhagen schrieb unter dem Pseudonym ihrer Mutter den zweiten Band, Trotzkopfs Brautzeit, der 1894 in erster Auflage erschien. Erst in der 10. Auflage wurde die Identität der Autorin enthüllt.

 

1895 erschien der dritte Band, Aus Trotzkopfs Ehe, den Else Wildhagen nach langem Zögern auf Drängen des Verlegers verfasst hatte. In einem Vorwort zu Aus Trotzkopfs Ehe bemerkt Else Wildhagen, sie sei sich der Schwierigkeiten bewusst, die eine abermalige Fortsetzung mit sich bringe: „Nun aber, da sich von anderer Seite eine Trotzkopf-Literatur zu bilden scheint und sich andere berufen und berechtigt fühlen, die Gestalten der Trotzkopf-Bücher für Erzählungen zu verwenden, die sie als Fortsetzungen der Trotzkopf-Romane verstanden wissen wollen, muss ich meine bisherigen Bedenken aufgeben.“ Else Wildhagen bezieht sich hier auf den Roman Frau Ilse von Doris Mix, der ebenfalls 1895 erschien. 1916 und 1919 veröffentlichte Maria Mancke unter dem Pseudonym Marie von Felseneck die Bücher Trotzkopfs Erlebnisse im Weltkrieg und Trotzkopf heiratet, die – ebenso wie das Werk von Mix – rasch in Vergessenheit gerieten.

 

1908 veröffentlichte Else Wildhagen unter dem Titel Erst wäg’s, dann wag’s drei „Ehestudien“; 1909 folgte eine Erzählung Unsere jungen Mädchen. Einen vierten Trotzkopf-Band zu schreiben, lehnte Wildhagen dagegen ab. Sie wollte erst eine angemessene Zeit verstreichen lassen, bis die fiktive Ilse auch in der Realität im Großmutteralter wäre.

 

Kaum bekannt ist dagegen, dass Else Wildhagen 1930 einen fünften Roman – Trotzkopfs Nachkommen – ein neues Geschlecht – veröffentlichte, der heute nicht mehr aufgelegt wird.

 

Band 4 der Reihe, Trotzkopf als Großmutter (Originaltitel: Stifkopje als Grootmoeder), stammt aus der Feder der Niederländerin Suze La Chapelle-Roobol, erschien 1905 und wurde von Anna Herbst ins Deutsche übertragen. Band 4, der mit dem Tod der Hauptfigur endet (Ilse Gontrau stirbt als Urgroßmutter im Kreis ihrer Familie an Altersschwäche), gilt heute als letzter Band der Serie.

 

Suze la Chapelle-Roobol wurde am 15. April 1856 in Den Haag geboren und starb am 17. September 1923 in Den Haag. Werke von ihr sind unter anderen: Luxus fordern, 1914, Girlfriends 1918 und Luxus Verlangen (1924). Von dieser Autorin gibt es leider keine weiteren Daten.

 

Die Handlung

 

Hauptfigur ist die zu Beginn der Handlung 15-jährige Ilse Macket, die gemeinsam mit ihrem Vater und der Stiefmutter Anne auf dem Gut Moosdorf in Pommern lebt. Ilses Mutter ist kurz nach ihrer Geburt gestorben. Ilse wächst wild und ohne jede Erziehung auf, benimmt sich jungenhaft und tyrannisiert ihre Gouvernanten, bis die Stiefmutter das Haus betritt. „Frau Anne“ und der Pfarrer Wollert wollen Ilse zur standesgemäßen Dame erziehen, doch das Mädchen widersetzt sich beiden. Gemeinsam überzeugen sie den Oberamtmann Macket, das Mädchen in ein Pensionat zu geben.

 

Ilse kommt in das Pensionat von Fräulein Raimar. Hier gewinnt sie bald die Freundschaft der Lehrerin Charlotte Güssow und der englischen Schülerin Ellinor Grey, genannt Nellie. Nellie ist Waise und bereitet sich auf den Beruf der Gouvernante vor, wofür Ilse sie lebhaft bedauert.

 

Wendepunkt ist ein Vorfall in der Handarbeitsstunde, in der Ilse von Fräulein Raimar bloßgestellt wird. Das Mädchen reagiert mit einem Wutanfall und riskiert, aus dem Internat ausgeschlossen zu werden. Fräulein Güssow erzählt ihr zur Warnung die Lebensgeschichte des Mädchens Luzie, das durch ihr trotziges Wesen den Bräutigam Kurt abgeschreckt hat und fortan als Lehrerin ihr Brot verdienen muss. Die Erzählung macht tiefen Eindruck auf Ilse. Sie entschuldigt sich bei Fräulein Raimar und fügt sich nach und nach in das Internatsleben ein.

 

Allmählich lernt Ilse die zu dieser Zeit für Mädchen vorgesehenen Fähigkeiten wie Nähen, Stricken, Zeichnen und Tanzen. Auch pflegt sie ihre schwerkranke, um einiges jüngere Mitschülerin Lili, die jedoch an einer schweren Hirnhautentzündung stirbt. Die berufsbedingte Abwesenheit von Lilis Mutter (einer erfolgreichen Schauspielerin) wird als Lieblosigkeit kritisiert.

 

Auf der Heimreise aus der Pension trifft Ilse den Landratssohn Leo Gontrau, an dem sie sofort Gefallen findet.

 

Als Ilse in ihr Elternhaus zurückkehrt, findet sie ein kleines Brüderchen vor. Außerdem ist ihr Onkel Kurt zu Gast. Er entpuppt sich als der verschwundene Verlobte von Fräulein Güssow, die die Luzie aus der warnenden Erzählung ist. Die beiden heiraten, so dass Fräulein Güssow ihren Beruf aufgeben kann. Auch Nellie findet einen Mann - den Lehrer Dr. Althoff - und braucht nicht mehr Gouvernante zu werden.

 

Die Erzählung endet mit der Verlobung von Ilse und Leo.

 

In Band 2 verlässt Ilse nach einem Streit mit ihrem Verlobten Leo das Elternhaus und fährt zu ihrer Freundin Nellie. Sie trifft auch die Pensionsfreundinnen Flora und Rosi wieder, die ebenfalls mittlerweile verheiratet sind.

 

Ilse beobachtet das Verhalten der Freundinnen und stellt fest, dass Nellie eine unterwürfige Ehefrau ist, während Floras und Rosis Ehemänner unter dem Pantoffel stehen. Flora wird für ihren Egoismus vom Schicksal hart bestraft: Nach einer Schlittenpartie, zu der sie ihren kränkelnden Mann gedrängt hat, stirbt er an Lungenentzündung. Flora bleibt als schwergebeugte junge Witwe zurück.

 

Die gefügige Nellie erscheint Ilse als das Ideal einer Ehefrau. Sie kehrt zu Leo zurück und bittet ihn um Verzeihung.

 

Auch die Freundin Orla taucht wieder auf. Sie fällt wie in der Pension aus dem Rahmen, denn sie plant, Medizin zu studieren, und erregt damit erhebliches Aufsehen. Es werden keine Zweifel daran geäußert, dass Frauen in der Lage sind, Medizin zu studieren, jedoch werden Frauen als körperlich und seelisch zu zart angesehen, um all das Elend zu ertragen, das ein Arzt zu Gesicht bekomme.

 

Orlas Plan kommt nicht zur Ausführung, da Orla sich mit dem Arzt Dr. Andres verlobt. Der Roman endet mit Ilses und Leos Heirat.

 

Band 3 schildert Ilses und Leos Familienleben – sie sind verheiratet und Eltern zweier Töchter, Ruth und Marianne, zu Beginn der Handlung acht beziehungsweise sieben Jahre alt. Die temperamentvolle Ruth ist Ilses Ebenbild, die sanfte Marianne das Gegenteil. Eine große Rolle spielt Leos Freund Professor Fuchs, ein alter Junggeselle und der Patenonkel von Tochter Ruth.

 

Obwohl Band 3 von derselben Autorin geschrieben wurde wie Band 2, hat sich das Verhältnis der Freundinnen Ilse und Nellie geändert. Die gefügige Nellie erscheint hier nicht mehr als das Ideal einer Ehefrau – Ilse kritisiert Nellies Demut gegenüber ihrem Mann mit den Worten „Du verwöhnst deinen Mann zu sehr“ und stellt fest, der reizbare Dr. Althoff wisse seine gutmütige Frau nicht genug zu schätzen. Darüber hinaus ist sie der Meinung, eine Frau, die zu allem Ja und Amen sage, würde ihrem Mann Leo mit Sicherheit bald langweilig werden.

 

Auch die Freundinnen Rosi und Flora treten wieder in Erscheinung. Flora ist in zweiter Ehe mit dem Gutsbesitzer August Werner verheiratet und Mutter der Zwillinge Hildegard und Thusnelda. Die Pastorenfrau Rosi ist eine herrschsüchtige Ehefrau und strenge Mutter, deren Härte ihren Sohn Fritz veranlasst, von zu Hause fortzulaufen.

 

Es erfolgt ein Zeitsprung von zehn Jahren. Rosis Sohn Fritz ist nach Hause zurückgekehrt; er ist während seiner Abwesenheit in Amerika ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden. Ilses und Leos Tochter Ruth steht am Beginn einer großen Karriere als Sängerin, während Marianne ihren ersten Liebeskummer erlebt.

 

Der Roman endet mit Ruths erstem Konzert und der Verlobung von Marianne und Fritz.

 

Band 4 zeigt Ilse Gontrau als Witwe und Großmutter. Der Tod ihrer Freundin Nellie und vor allem der Verlust ihres Mannes haben Ilse schwer getroffen. Nach Leos Tod verliert sie für lange Zeit allen Lebensmut, bis Professor Fuchs sie ermahnt, sich aufzuraffen, dankbar zu sein für das Glück, das sie erfahren hat, und an ihre Kinder und Enkel zu denken. „Onkel Heinz“ ist immer an Ilses Seite und ihr bester Freund. Auch als alte Frau ist sie noch temperamentvoll und nicht selten aufbrausend.

 

Ihre Tochter Ruth ist eine berühmte Sängerin, Marianne lebt mit ihrem Mann Fritz in Amerika, kehrt jedoch mit ihm und den drei Kindern Maud, Agnes und Karl nach Deutschland zurück.

 

Aus Fritz’ Schwester Elisabeth ist eine verbitterte alte Jungfer geworden, die seit dem Tod der Mutter völlig vereinsamt ist und von jungen Leuten und Männern verspottet wird. Nur Ilse hat Mitleid mit ihr und versucht, sie unter Menschen zu bringen und freundlicher zu stimmen. Außerdem erklärt sie ihren Enkelinnen energisch, dass die Ehe nicht den Wert einer Frau erhöhe und eine unverheiratete Frau durchaus kein lächerliches Wesen sein müsse.

 

Ruths Sohn Gustav, ein angehender Künstler und weltfremder Träumer, heiratet die gleichnamige Enkelin von Ilses Jugendfreundin Flora, und Agnes verlobt sich mit Floras Enkel Ludwig.

 

Im Vordergrund der Erzählung steht Ruths Tochter Irma, die bei Ilse lebt. Irma ist ein hübsches und für ihr Alter sehr kindliches Mädchen, das Gegenteil ihrer Cousinen Maud und Agnes, deren Nüchternheit und Selbständigkeit auf ihre amerikanische Erziehung zurückgeführt werden.

 

Floras zweiter Enkel, der Landwirt Hans, verliebt sich bei der ersten Begegnung sofort unsterblich in Irma, die jedoch für den „Bauern“ nur Spott übrig hat.

 

Irma schwärmt für den adeligen Studenten Otto von Hochstein, mit dem sie sich ohne Ilses Wissen heimlich trifft. Ottos reiche Eltern dürfen nichts von Irma erfahren, da ihnen die Tochter eines Künstlerehepaares als Schwiegertochter nicht gut genug wäre. Otto hält Irma mit Versprechungen hin, bis die neugierige und klatschsüchtige Tante Elisabeth hinter die heimlichen Treffen kommt und Ilse einweiht. Ilse verbietet Irma jeglichen Kontakt mit Otto, bis sein Vater bei ihr um Irmas Hand anhält. Irma ist empört, und das bis dahin innige Verhältnis zur Großmutter bekommt erste Risse.

 

Otto erweist sich als Schwindler: Eines Tages erhält Irma eine Anzeige seiner Verlobung mit einer anderen Frau. Sie bricht seelisch zusammen und fasst dann den trotzigen Entschluss, Hans zu heiraten, um Otto zu beweisen, dass sie um einen Mann nicht in Verlegenheit ist. Hans fällt zunächst auf Irma herein, doch Ilse warnt ihn. Hans liebt Irma immer noch, will sich jedoch nicht als Lückenbüßer missbrauchen lassen, hält Irma eine Standpauke und reist ab.

 

Ähnlich wie Ilse in Band 2 Hals über Kopf von zu Hause abreist, verlässt Irma das Haus der Großmutter und geht mit ihren Eltern nach München. Nach einigen Wochen kehrt sie reumütig zurück und hat inzwischen erkannt, dass sie den ehrlichen Hans liebt. Sie bittet ihn um Verzeihung und wird seine Frau.

 

Der Roman endet - nach einem kurzen Überblick über das weitere Leben von Ilses Enkelkindern - mit Ilses Tod im Kreise der Familie.

 

Rezension

 

Eigentlich müssten einer modernen Frau beim Lesen dieses Buches die Haare zu Berge stehen.

 

Ilse ist nicht mädchenhaft genug, sie muss ihre Stiefmutter lieben, obwohl sie allein mit dem Vater glücklich war, sie muss um Verzeihung bitten, obwohl ihre Lehrerin sie vor der ganzen Klasse blamiert hat, sie muss etwas lernen, aber nicht, um ihr Können beruflich zu verwenden, sondern nur, um eine präsentable Ehefrau zu werden, sie ist entsetzt bei dem Gedanken, selbst arbeiten zu müssen, und auf der Heimreise aus der Pension trifft sie einen jungen Mann, bei dem man gleich weiß: Der wird's...

 

Die Sache mit der Entschuldigung bei Fräulein Raimar hat mich lange Zeit verwirrt - Fräulein Güssow (Ilses Lieblingslehrerin) ist nämlich selbst der Meinung, dass Fräulein Raimar "ihren berechtigten Tadel in einer anderen Weise" hätte aussprechen sollen - und trotzdem besteht sie darauf, dass Ilse die Vorsteherin um Verzeihung bittet! Habe erst Jahre später kapiert, was Fräulein Güssow meint: Dass nämlich Fräulein Raimar schon deshalb im Recht ist, weil sie die Lehrerin und die Erwachsene ist - ebenso wie später Ilses Verlobter bei ihrem Streit im Recht sein soll, weil er der Mann ist und folglich das Sagen haben muss.

 

Vieles in dem Buch wirkt heute einfach nur komisch und unbegreiflich - z. B., dass Ilse im Pensionat urplötzlich von der Geburt ihres kleinen Bruders erfährt - offenbar hatte sie keine Ahnung, dass ihre Stiefmutter schwanger war! In der Ausgabe des Buches von ca. 1900 ist neben der entsprechenden Textstelle tatsächlich ein Storch abgebildet.

 

Aus heutiger Sicht schockierend ist auch, wie schnell sich Ilse mit Leo verlobt - bei der zweiten Begegnung, und zwar noch VOR dem ersten Kuss! Da denkt man mit Grauen an die Hochzeitsnacht - die dürfte ein ziemlicher Schock für Ilse werden, wenn sie noch an den Storch glaubt...

 

Als "Erziehungsleitfaden" ist der "Trotzkopf" also aus heutiger Sicht denkbar untauglich. Sollte es deswegen aber verbannt werden? Nein und nochmals Nein.

 

Das Buch ist historisch interessant. Es ist gut geschrieben und leicht zu lesen. Die Charaktere sind - wenn auch sehr typisiert - liebenswert und witzig. Die Verlobung gleich nach der Schulzeit ist typisch für Mädchenbücher dieser Art. Man muss sich fragen: Was hat Ilse für Aussichten, wenn sie nicht heiratet? Die Antwort ist simpel: keine - oder nur die, zu Hause bei den Eltern zu versauern. Berufstätigkeit ist keine Option für ein Mädchen ihres Standes, nicht einmal auf ein reiches Erbe kann sie hoffen, denn ihre Stiefmutter hat ja einen Stammhalter zur Welt gebracht. Dann doch lieber heiraten und Kinder bekommen, oder?!

 

Und Ilse selbst? Nun ja, sie gibt nach - leider! Aber dennoch: Sie ist beliebt nicht wegen der neuerworbenen Bravheit, sondern wegen ihrer Natürlichkeit, ihrer Fröhlichkeit, ihrer Ehrlichkeit und weil sie "ohne jede Ziererei" ist. Sie bleibt das ganze Buch hindurch lebhaft und temperamentvoll. Mit anderen Worten, Ilse verbiegt sich nicht ganz, sie ist auch in der Ehe (Band 3) durchaus keine perfekte Hausfrau nicht so unterwürfig wie ihre Freundin Nellie (einfach schrecklich - welcher Mann hält so eine gehorsame Frau aus?) und meint sogar, dass ihrem Leo eine Frau, "die zu allem Ja und Amen" sagt, langweilig werden würde. Und auch als Großmutter hat sie noch eine Menge Temperament!

 

Das ist aus heutiger Sicht nicht viel, aber es sind immerhin erste Ansätze - dass ein Mädchen überhaupt rebelliert, dass der Vater feststellt, sein wildes Kind habe ihm VOR der Internatszeit besser gefallen, dass sich Ilse nicht vollkommen umwandelt - das sind die Gründe, weshalb der "Trotzkopf" heute noch sympathisch ist und sicher noch lange blieben wird.

 

Es ist völlig selbstverständlich, dass Ilse keine moderne Frau im heutigen Sinne ist - schließlich wurde das Buch erstmals 1885 veröffentlicht. Außerdem tut es der Geschichte um Ilse keinerlei Abbruch, dass sie nicht in heutiger Zeit spielt. Im Gegenteil ich finde und fand genau das reizvoll- sich in eine andere Zeit hineinlesen zu können. Ilses Entwicklung vom "kleinen Trotzkopf" zur erwachsenen Frau und Großmutter ist an vielen Stellen rührend. Auch wenn die Rolle der Frau heutzutage anders ist hat sich eines sicherlich nicht geändert: In Positionen wie Ilses - mit dem Ehemann als stadtbekannte Persönlichkeit - ist nach wie vor niemand vor gesellschaftlichen Zwängen geschützt - auch wenn diese heutzutage anders aussehen mögen.

 

Fazit: Ein wunderbares Buch, was wohl niemals aus der Mode kommen wird und mehrere Generationen erfreut hat und immer noch erfreuen wird.

 


Der Trotzkopf

 

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»PAPA, DIANA HAT JUNGE!«

Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer, in welchem sich außer dem Angeredeten, dessen Frau und dem Prediger des Ortes, noch Besuch aus der Nachbarschaft – ein Herr von Schäffer mit Frau und seinem erwachsenen Sohne – befand.

 

Alles lachte und wandte sich dem kleinen Backfische zu, der ohne jede Verlegenheit auf den Papa zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.

 

»Es sind vier Stück, Papa,« erzählte sie lebhaft, »und braun sehen sie aus, wie Diana. Komm sieh dir sie an, es sind zu reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Spitzen. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt, sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger.«

 

Herr Oberamtmann Macket hatte den Arm um die Schulter seines Lieblings gelegt und strich ihm das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht, dabei sah er sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, was eigentlich zu verwundern war, da Ilse in einem Aufzuge hereingekommen, der durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen, besonders in diesem Augenblicke, wo fremde Augen denselben musterten. Das verwaschene, dunkelblaue Kattunkleid, blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht, und einige Flecken und Risse darin dienten ebenfalls nicht dazu, die Eleganz desselben zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleide hervorblickten, waren tüchtig bestaubt und sahen eher grau als schwarz aus. Aber wie gesagt, Herrn Macket genierte dieser Aufzug gar nicht, er sah in die fröhlichen, braunen Augen seines Lieblings, um dessen Kleider kümmerte er sich nicht.

Er war im Begriffe, sich zu erheben, um seines Kindes Wunsch zu erfüllen, als seine Gattin, eine vornehme Erscheinung mit sanften und doch bestimmten Zügen, ihm zuvorkam. Sie hatte sich erhoben und trat auf Ilse zu.

 

»Liebe Ilse,« sagte sie in freundlichem Tone und nahm dieselbe bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen, Kind. Willst du mir auf einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«

 

Sehr ruhig, aber sehr bestimmt waren die Worte gesprochen und Ilse fühlte, dass ein Widerstand dagegen vergeblich sein würde. Ungern und gezwungen folgte sie der Mutter in das anstoßende Gemach.

 

»Was willst du mir sagen, Mama?« fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.

 

»Nichts weiter, mein Kind, als dass du sogleich auf dein Zimmer gehst und dich umkleidest. Du wusstest wohl nicht, dass Gäste bei uns waren?«

 

»Doch, ich wusste es, aber ich mache mir nichts daraus,« gab Ilse kurz zur Antwort.

 

»Aber ich, Ilse. Ich kann nicht gleichgültig dabei sein, wenn du in einem so unordentlichen Kostüme dich blicken lässt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren; bedenke, dass du seit Ostern konfirmiert bist, eine angehende junge Dame aber muss den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken, er wird dich auslachen und dich verspotten.«

 

»Der dumme Mensch!« fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn! Tut, als ob er ein Herr wäre mit seinem Klemmer und geht doch noch in die Schule.«

 

»Er ist in Prima auf dem Gymnasium und zählt neunzehn Jahre. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind, hörst du?«

 

»Nein, – ich ziehe kein anderes Kleid an, ich will mich nicht putzen!«

 

»Wie du willst, aber dann bitte ich dich, ja ich wünsche es entschieden, dass du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst,« gab Frau Macket mit großer Ruhe zur Antwort.

 

Ilse biss auf die Unterlippe und trat mit dem Fuße heftig auf die Erde, aber sie sagte nichts. Mit einer schnellen Wendung ging sie zur Tür hinaus und warf dieselbe unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes.

 

»O wie schrecklich ist es jetzt!« stieß sie schluchzend heraus. »Warum hat auch der Papa wieder eine Frau genommen, – es war so viel, viel hübscher, als wir beide allein waren! Alle Tage muss ich lange Reden hören über Sitte und Anstand und ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht – und wenn sie es zehnmal sagt!« – –

 

Als sie mit ihrem Vater noch allein war, führte sie freilich ein ungebundeneres und lustigeres Leben. Niemand hatte ihr Vorschriften zu machen oder durfte ihre dummen Streiche hindern; was sie auch ausführte, es galt alles als unübertrefflich. Das Lernen wurde nur als langweilige Nebensache betrachtet und die Gouvernanten fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon. Beklagte sich ja einmal diese oder jene bei dem Vater und hatte derselbe auch wirklich den festen Entschluss gefasst, ein Machtwort zu sprechen gegen sein unbändiges Kind, er kam nicht dazu, es auszuführen. Sobald er mit ernster Miene ihr gegenüber trat, fiel Ilse ihm um den Hals, nannte ihn ihren »einzigen, kleinen Papa«, trotzdem er ein sehr großer, kräftiger Mann war, und küsste ihm Mund und Wangen. Versuchte er, ihr ernste Vorstellungen zu machen, hielt sie ihm den Mund zu.

 

»Ich weiß ja alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiss bessern!« mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie den Papa – ach und wie gern ließ er sich also trösten! Er konnte dem Kinde nie ernstlich zürnen, es war sein alles.

 

Als Ilses Mutter starb, legte sie ihm das kleine hilflose Ding in den Arm. Es hatte die schönen, frohen Augen der früh Geschiedenen geerbt, und blickte sie ihn an, war es ihm, als ob die Gattin, die er so sehr geliebt hatte, ihn anlächele.

 

Lange Jahre war er einsam geblieben und hatte nur für sein Kind gelebt. Da lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges, sanftes Wesen fesselte ihn so, dass er sie heimführte.

 

Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatze, seinem Kinde die treueste, liebevollste Mutter zu sein und alles aufzubieten, um ihr die früh Verlorene zu ersetzen; indes jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstande. Bald ein Jahr waltete sie nun schon als Frau und Stiefmutter und noch immer hatte sie es nicht vermocht, Ilses Liebe zu gewinnen. – – –

 

Die Gäste blieben zum Abendessen auf Moosdorf, so hieß das große Gut des Oberamtmann Macket. Als der Tisch gedeckt war und alle sich an demselben niedergesetzt hatten, fragte Herr Macket, warum Ilse noch nicht anwesend sei.

 

Frau Anne erhob sich und zog an der Klingelschnur. Der eintretenden Dienstmagd befahl sie, das Fräulein zu Tisch zu rufen. – – – –

 

Ilse saß noch in derselben Stellung am Fenster. Sie hatte sich eingeschlossen und die Magd musste erst tüchtig pochen und rufen, bevor sie sich bequemte, die Tür zu öffnen.

 

»Sie sollen herunterkommen, Fräulein, die gnädige Mama hat es befohlen,« sagte Kathrine und betonte das »sollen« und »befohlen« so recht auffallend.

 

»Ich soll!« rief Ilse und wandte den Kopf hastig herum, »aber ich will nicht! Sag’ das der gnädigen Frau Mama!«

 

»Ja,« sagte Kathrine, so recht befriedigt von dieser Antwort, denn auch sie war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, dass wieder eine Frau in das Haus gekommen war, welche der schönen Freiheit ein Ende gemacht hatte, »ja, ich werd’s bestellen. Gnädiges Fräulein haben ganz recht, das ewige Befehlen, wenn man selbst alt genug ist, ist höchst unpassend, noch dazu, wenn fremde Leute dabei sind.«

 

Und sie ging hinunter in das Speisezimmer und führte wörtlich Ilses Bestellung aus.

 

Herr Macket blickte seine Frau verlegen an, er wusste gar nicht, was diese Antwort bedeuten sollte. Sie verstand seine stumme Frage und ohne im geringsten den Unmut merken zu lassen, den sie in ihrem Innern empfand, sagte sie gelassen: »Ilse ist nicht ganz wohl, lieber Mann, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Kathrine hat ihre Bestellung ungeschickt ausgerichtet.«

 

Alle Anwesenden errieten sofort, dass Frau Anne eine Ausrede machte, nur Herr Macket glaubte, dass es sich in Wahrheit so verhielt.

 

»Wollen wir nicht lieber einen Boten zum Arzt schicken?« fragte er besorgt.

 

Die Antwort hierauf gab ihm sein Kind selbst, das heißt, sie bewies ihm, dass ihr kein Finger weh tat. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reif mit einem Stock über den großen Rasenplatz, und der Jagdhund, Tyras, sprang demselben nach, und wenn er mit seinen Pfoten den Reif beinahe erhascht hatte und ihn doch nicht halten konnte, stieß er ein ärgerliches Geheul aus, worüber Ilse sich totlachen wollte.

 

Herrn Mackets Gesicht verklärte sich ordentlich bei diesem Anblicke. Er stand auf, trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers und eben im Begriffe, Ilse zu rufen, hielt ihn Frau Anne davon zurück.

 

»Lass sie – ich bitte dich, – lieber Mann,« bat sie, vor Unwillen leicht errötend, und zu den Gästen gewendet setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, indes Ilses Benehmen zwingt mich dazu.«

 

Und sie erzählte so mildernd als möglich den kleinen Vorfall. Es wurde darüber gelacht, ja Herr von Schäffer behauptete, die kleine habe Temperament und es sei schade, dass sie kein Knabe sei. Seine hochgebildete Frau konnte ihm nicht beistimmen, sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich und nannte es auf dem Heimwege ein enfant terrible.

 

Als die Gäste fortgefahren waren, blieb der Prediger noch zurück. Derselbe war ein wohlwollender, nachsichtiger Mann, der Ilsen väterlich zugetan war. Er hatte sie getauft und eingesegnet, unter seinen Augen war sie herangewachsen. Seit kurzer Zeit, seitdem die letzte Gouvernante ihren Abschied genommen hatte, leitete er auch ihren Unterricht.

 

Es trat ein augenblickliches, beinahe peinliches Stillschweigen ein. Ein jeder der drei Anwesenden hatte etwas auf dem Herzen und scheute sich doch, das erste Wort zu sprechen. Herr und Frau Macket saßen am Tische, er rauchend, sie eifrig mit einer Handarbeit beschäftigt. Prediger Wollert ging im Zimmer auf und ab und sah recht ernst und nachdenklich aus. Endlich blieb er vor dem Oberamtmann stehen.

 

»Es kann nichts helfen, lieber Freund,« redete er denselben an, »das Wort muss heraus. Es geht nicht mehr so weiter, wir können das unbändige Kind nicht zügeln, es ist uns über den Kopf gewachsen.«

 

Der Oberamtmann sah den Prediger verwundert an. »Wie meinen Sie das?« fragte er, »ich verstehe Sie nicht.«

 

»Meine Meinung ist, geradeheraus gesagt, die,« fuhr der erstere fort, »das Kind muss fort von hier, in eine Pension.«

 

»Ilse? In eine Pension? Aber warum, sie hat doch nichts verbrochen!« rief Herr Macket ganz erschreckt.

 

»Verbrochen!« wiederholte lächelnd der Prediger. »Nein, nein, das hat sie nicht! Aber muss denn ein Kind erst etwas Böses getan haben, um in ein Institut zu kommen? Es ist doch keine Strafanstalt. Hören Sie mich ruhig an, lieber Freund,« fuhr er besänftigend fort und legte die Hand auf Mackets Schulter, als er sah, dass dieser heftig auffahren wollte. »Sie wissen, wie ich Ilse liebe, und wissen auch, dass ich nur das Beste für sie im Auge habe; nun wohl, ich habe reiflich überlegt und bin zu dem Resultate gekommen, dass Sie, Ihre Frau und ich nicht Macht genug besitzen, sie zu erziehen. Sie trotzt uns allen dreien, was soll daraus werden? Sie hat soeben ein glänzendes Beispiel ihrer widerspenstigen Natur gegeben.«

 

Der Oberamtmann trommelte auf dem Tische. »Das war eine Ungezogenheit, die ich bestrafen werde,« sagte er. »Etwas Schlimmes kann ich nicht darin finden. Mein Gott, Ilse ist jung, halb noch ein Kind, und Jugend muss austoben. Weshalb soll man einem übermütigen Mädchen so strenge Fesseln anlegen und es Knall und Fall in eine Pension bringen? Was ist dabei, wenn es einmal über den Strang schlägt? Verstand kommt nicht vor den Jahren! Was sagst du dazu, Anne,« wandte er sich an seine Frau, »du denkst wie ich, nicht wahr?«

 

»Ich dachte wie du,« entgegnete Frau Anne, »vor einem Jahre, als ich dieses Haus betrat. Heute urteile ich anders, heute muss ich dem Herrn Prediger recht geben. Ilse ist schwer zu erziehen, trotz aller Herzensgüte, die sie besitzt. Ich weiß nichts mit ihr anzufangen, soviel Mühe ich mir auch gebe. Gewöhnlich tut sie das Gegenteil von dem, was ich ihr sage. Bitte ich sie, ihre Aufgaben zu machen, so tut sie entweder, als ob sie mich nicht verstanden hat, oder sie nimmt höchst unwillig ihre Bücher, wirft sie auf den Tisch, setzt sich davor und treibt allerhand Nebendinge. Nach kurzer Zeit erhebt sie sich wieder und fort ist sie! Da hilft kein gütiges Zureden, keine Strenge, sie will nicht! Frage den Herrn Prediger, wie ungleichmäßig Ilses wissenschaftliche Bildung ist, wie sie zuweilen sogar noch orthografische Fehler macht.«

 

»Was kommt bei einem Mädchen darauf an,« entgegnete Herr Macket und erhob sich. »Eine Gelehrte soll sie nicht werden; wenn sie einen Brief schreiben kann und das Einmaleins gelernt hat, weiß sie genug.«

 

Der Prediger lächelte. »Das ist Ihr Ernst nicht, lieber Freund. Oder würde es Ihnen Freude machen, wenn man von Ihrer Tochter sagte, dass sie dumm sei und nichts gelernt habe! Ilse hat gute Anlagen, es fehlt ihr nur der Trieb, die Lust zum Lernen. Beides wird sich einstellen, sobald sie unter junge Mädchen ihres Alters kommt. Das Streben derselben wird ihren Ehrgeiz wecken und ihr bester Lehrmeister sein.«

 

Die Wahrheit dieser Worte leuchtete Herrn Macket ein, aber die Liebe zu seinem Kinde ließ es ihn nicht laut eingestehen. Der Gedanke, dasselbe von sich zu geben, war ihm furchtbar. Nicht täglich es sehen und hören zu können, – ihm war als ob die Sonne plötzlich aufhören müsse zu scheinen, als solle ihm Licht und Leben genommen werden.

 

Frau Anne empfand, was in ihres Mannes Herzen vorging, liebevoll trat sie zu ihm und ergriff seine Hand.

 

»Denke nicht, dass ich hart bin, Richard, wenn ich für den Vorschlag unsres Freundes stimme,« sagte sie. »Ilse steht jetzt auf der Grenze zwischen Kind und Jungfrau, noch hat sie Zeit, das Versäumte nachzuholen und ihre unbändige Natur zu zügeln. Geschieht das nicht, so könnte man eines Tages unser Kind als unweiblich bezeichnen, wäre das nicht furchtbar?«

 

Er hörte kaum, was sie sprach. »Ihr wollt sie einsperren,« sagte er erregt, »aber das hält sie nicht aus. Lasst sie erst älter werden, es ist dann immer noch Zeit genug, sie fortzugeben.«

 

Dagegen protestierten Frau Anne und der Prediger auf das entschiedenste; sie bewiesen, dass jetzt die höchste Zeit sei, wenn die Pension noch etwas nützen solle.

 

»Ich wüsste ein Institut in W., das ich für Ilse ausgezeichnet empfehlen könnte,« erklärte der Prediger. »Die Vorsteherin desselben ist mir genau bekannt, sie ist eine vorzügliche Dame. Neben der Pension, die unter ihrer Leitung herrlich gediehen ist, hat sie eine Tagesschule in das Leben gerufen, die sich von Jahr zu Jahr vergrößert hat. Ilse würde den besten Unterricht und die liebevollste Pflege vereint finden. Und welch ein Vorzug ist nicht die wunderbare Lage dieses Ortes. Die Berge ringsum, die kostbare Luft – – –«

 

»Ja ja,« unterbrach ihn Herr Macket unruhig und abwehrend, »ich glaube das alles gern! Aber lasst mir Zeit, bestürmt mich nicht weiter. Ein so wichtiger Entschluss, selbst wenn er notwendig ist, bedarf der Reife.« –

 

Er kam schneller als er geglaubt hatte. –

 

Am andern Morgen, es war noch sehr früh, traf der Oberamtmann sein Töchterchen, wie es eben im Begriffe war, hinaus auf die Wiese zu reiten, um das Heu mit einzuholen. Ungeniert hatte Fräulein Ilse sich auf eines der Pferde, das vor dem Leiterwagen gespannt war, von dem Kutscher hinaufheben lassen, derselbe stand auf dem Wagen und hielt die Zügel in der Hand.

 

»Guten Morgen, Papachen!« rief sie ihm laut schon von weitem entgegen, »wir wollen auf die Wiese fahren, das Heu muss herein; der Hofmeister sagt, wir bekommen gegen Mittag ein Gewitter. Ich will gleich mit aufladen helfen!«

 

Der Vater hatte heute nicht die unbefangene Freude an dem Wesen seines Kindes, ihm fielen die Worte seiner Frau vom gestrigen Abend ein. Ilse sah wenig weiblich in diesem Augenblicke aus, eher glich sie einem wilden Buben. Wie ein solcher saß sie auf dem Pferde und hatte die Füße an beiden Seiten herunterhängen. Das kurze blaue Kleid deckte dieselben nicht, man sah den plumpen, hohen Lederstiefel und noch ein Stück des bunten Strumpfes. Es war wahrlich kein schöner Anblick.

 

»Steig’ herab, Ilse,« sagte Herr Macket, dicht zu ihr tretend, um ihr beim Heruntersteigen behilflich zu sein, »du wirst jetzt nicht auf die Wiese reiten, hörst du, sondern deine Aufgaben machen.«

 

Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass der Vater in so bestimmter Weise zu ihr sprach. Im höchsten Grade verwundert blickte sie ihn an, aber sie machte keine Miene, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Sie schlug die Arme ineinander und fing an, herzlich zu lachen.

 

»Hahahaha! Arbeiten soll ich! Du kleiner reizender Papa, wie kommst du denn auf diesen komischen Einfall? Mach’ nur nicht ein so böses Gesicht! Weißt du, wie du jetzt aussiehst? Gerade wie Mademoiselle, die letzte, Papa, von den vielen, – wenn sie böse war! ›Fräulein Ilse, gehen Sie auf Ihr Zimmer mais tout-de-suite. Aben Sie mir compris!‹ Dabei zog sie die Stirn in Falten und riss die Augen auf – so«, und sie versuchte es nachzuahmen. »Oh, es war zu himmlisch! Adieu Papachen, zum Frühstück komm’ ich zurück!«

 

Sie warf ihm noch eine Kusshand zu, lachte ihn schelmisch an und fort ging’s im lustigen Trabe hinaus auf die Wiese in den taufrischen Sommermorgen hinein.

 

Herr Macket schüttelte den Kopf, mit einem Male stiegen ernstliche Bedenken wegen Ilses Zukunft in ihm auf. Er fand den Gedanken, sie in eine Pension zu geben, heute weniger schrecklich, als gestern. Sie hatte ihm soeben den Beweis gegeben, dass sie auch ihm Widerstand entgegensetzte. Freilich musste er sich gestehen, dass er durch seine Nachgiebigkeit denselben in ihr groß gezogen hatte.

 

Er ging in das Speisezimmer und trat von dort auf die Veranda, die weinumrankt sich an der Vorderseite des Hauses entlang zog. Seine Frau erwartete ihn dort am gedeckten Frühstückstische.

 

Ganz gegen seine Gewohnheit war er still und einsilbig. »Hattest du Unannehmlichkeiten?« fragte Frau Anne und reichte ihm den Kaffee.

 

»Nein,« entgegnete er, »das nicht.« Er hielt einen Augenblick inne, als ob es ihm schwer würde, weiter zu sprechen, dann fuhr er fort: »Ich möchte dir eine Mitteilung machen, oder richtiger gesagt, dir meinen Entschluss wegen unsres gestrigen Gespräches verkünden. Zum 1. Juli soll Ilse in die Pension.«

 

»Du scherzest,« sagte Anne und sah ihn fragend an.

 

»Es ist mein Ernst,« erwiderte er. »Wirst du im stande sein, bis zu dem Termine alles zu Ilses Abreise einrichten zu können? Wir haben heute den 12. Juni.«

 

»Ja, das würde ich können, lieber Richard; aber verzeihe, mir kommt dein Entschluss etwas übereilt vor. Wird er dich nicht gereuen? Lass Ilse die schönen Sommermonate noch ihre Freiheit genießen und gib sie erst zum Herbste fort. Der Abschied von der Heimat wird ihr dann weniger schwer werden.«

 

»Nein, keine Änderung,« sagte er, bei einem längeren Hinausschieben seinen Wankelmut fürchtend, »es bleibt dabei – zum 1. Juli wird sie angemeldet.«

 

Nach einigen Stunden kehrte Ilse wohlgemut mit erhitzten Wangen und über und über mit Heu bestreut zum zweiten Frühstücke zurück. Wie sie war, ohne den Anzug zu wechseln, trat sie höchst vergnügt auf die Veranda.

 

»Da bin ich,« rief sie. »Bin ich lange geblieben? Ich sage dir, Papa, das Heu ist kostbar! Nicht einen Tropfen Regen hat es bekommen. Du wirst deine Freude daran haben. Der Hofmeister meint, so gut hätten wir es seit Jahren nicht gehabt.«

 

»Lass das Heu jetzt, Ilse,« entgegnete Herr Macket, »und höre zu, was ich dir sagen werde.«

 

Er sagte es ziemlich ernst, es wurde ihm nicht leicht, von seinem Plane zu sprechen – sie war so ahnungslos, ja sie nahm gar keine Notiz von seiner Stimmung. Ihr Augenmerk war auf den wohlbesetzten Frühstückstisch gerichtet, sie war sehr hungrig von der Fahrt.

 

»Soll ich dir Frühstück schneiden?« fragte Frau Anne freundlich, aber Ilse lehnte es ab.

 

»Ich will es schon selbst tun,« sagte sie, nahm das Messer und schnitt sich ein tüchtiges Stück Schwarzbrot ab. Die Butter strich sie fast fingerdick darauf. Nachdem sie ein dickes Stück Wurst zugelangt hatte, fing sie an, wohlgemut zu essen. Bald von dem Brote, bald von der Wurst, die sie in der Hand hielt, einen Bissen nehmend. Höchst ungeniert lehnte sie dabei hintenüber in einem Sessel und schlug die Füße übereinander. Es schmeckte ihr köstlich.

 

»Ich denke, du wolltest mir etwas sagen, Papachen!« rief sie mit vollem Munde, »nun schieß los, ich bin ordentlich neugierig darauf.«

 

Er zögerte etwas mit der Antwort, noch war es Zeit, noch konnte er seinen Entschluss zurücknehmen – einen Augenblick überlegte er und es fehlte nicht viel, so hätte er es wirklich getan, aber die Schwäche ging vorüber und so ruhig wie es ihm möglich war, teilte er Ilse seinen Beschluss mit.

 

Wenn er erwartet hatte, dass sie sich stürmisch widersetzen würde, so hatte er geirrt. Zwar blieb ihr buchstäblich der Bissen im Munde stecken vor Überraschung und Schreck, aber ihr Auge flog zur Mutter hinüber und sie unterdrückte den Sturm, der in ihr tobte. Um keinen Preis sollte diese erfahren, wie furchtbar es ihr war, die Heimat, den Vater vor allem, zu verlassen, sie, die doch sicherlich nur allein die Anstifterin dieses Planes war, denn der Papa – nein! Nimmermehr würde er sie von sich gegeben haben!

 

»Nun, du schweigst?« fragte Herr Macket, »du hast vielleicht selbst schon die Notwendigkeit eingesehen, dass du noch tüchtig lernen musst, mein Kind, denn mit deinen Kenntnissen hapert es noch überall, nicht wahr?«

 

»Gar nichts habe ich eingesehen!« platzte Ilse heraus, »du selbst hast mir ja oft genug gesagt, ein Mädchen brauche nicht so viel zu lernen, das allzu viele Studieren mache es erst recht dumm! Ja, das hast du gesagt, Papa, und nun sprichst du mit einmal anders. Nun soll ich fort, soll auf den Schulbänken sitzen zwischen andern Mädchen und lernen, bis mir der Kopf weh tut. Aber es ist gut, ich will auch fort, ja ich freue mich auf die Abreise. Wenn nur erst der 1. Juli da wäre!«

 

Und sie erhob sich hastig, warf den Rest ihres Frühstücks auf den Tisch und eilte fort, hinauf in ihr Zimmer, und jetzt brachen die Tränen hervor, die sie bis dahin nur mühsam zurückgehalten hatte.

Frau Anne wäre dem Kinde gar zu gern gefolgt, sie fühlte, was in dem jungen Herzen vorging, aber sie wusste genau, dass Ilse ihre gütigen Worte trotzig zurückweisen würde; so blieb sie zurück und hoffte auf die Zeit, wo Ilses gutes Herz den Weg zu ihrer mütterlichen Liebe finden werde. – –

 

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Die wenigen Wochen bis zum festgesetzten Termine vergingen schnell. Frau Anne hatte alle Hände voll zu tun, um Ilses Garderobe in Ordnung zu bringen. Die Vorsteherin der Pension hatte auf Herrn Mackets Anfrage sofort geantwortet und sich gern zu seiner Tochter Aufnahme bereit erklärt. Zugleich hatte sie ein Verzeichnis der Sachen mitgeschickt, die jede Pensionärin bei ihrem Eintritt in das Institut mitzubringen habe.

 

Ilse lachte spöttisch über die, nach ihrer Meinung vielen unnützen Dinge, besonders die Hausschürzen fand sie geradezu lächerlich. Sie hatte bis dahin niemals eine solche getragen.

 

»Die dummen Dinger trage ich doch nicht, Mama!« sagte sie, als Frau Anne dabei war, den Koffer zu packen, »die brauchst du gar nicht einzulegen.«

 

»Du wirst dich doch der allgemeinen Sitte fügen müssen, mein Kind,« entgegnete die Mutter. »Warum wolltest du auch nicht? Sieh’ einmal her, diese blau und weiß gestreifte Schürze mit den gestickten Zacken ringsum, ist sie nicht ein reizender Schmuck für ein kleines Fräulein, das sich im Haushalte nützlich machen wird?«

 

»Ich werde mich aber im Haushalte nicht nützlich machen!« rief Ilse in ungezogenem Tone, »das fehlte noch! Ihr denkt wohl, ich soll dort in der Küche arbeiten oder die Stuben aufräumen? Die Schürzen trage ich nicht, ich will es nicht!«

 

»Übertreibe nicht, Ilse,« entgegnete Frau Anne, »du weißt recht gut, dass man dergleichen nie von dir verlangen wird. Wenn du durchaus die Schürzen nicht tragen magst, so kannst du ja deinen Wunsch der Vorsteherin mitteilen, vielleicht erfüllt sie dir denselben.«

 

»Ich werde sie nicht erst darum fragen! Solche Dinge gehen sie gar nichts an!« war Ilses unartige Antwort.

 

Sie verließ die Mutter, auf welche sie einen wahren Groll hatte. All die schönen Wäsche- und Kleidungsstücke, die Frau Anne mit Liebe und Sorgfalt für sie ausgewählt hatte, fanden keine Gnade vor ihren Augen, nicht einen Funken Interesse zeigte sie dafür.

 

Dem Papa erklärte sie, dass sie ein kleines Köfferchen für sich selbst packen werde. Niemand solle ihr dabei helfen, niemand wissen, welche Schätze sie mit in das neue Heim hinüberführen werde.

 

»Das ist eine prächtige Idee, Ilschen,« stimmte Herr Macket bei, »nimm nur mit, was dir Freude macht.«

 

Und er ließ sofort einen allerliebsten, kleinen Koffer kommen und überraschte seinen Liebling damit. Als Ilse ihm erfreut und dankend um den Hals fiel, als sie ihn seit längerer Zeit zum ersten Mal wieder »mein kleines Pa’chen« nannte, da wurde es ihm so weich ums Herz, dass er sich abwenden musste, um seine Rührung zu verbergen.

 

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