FLORIAN KNISATSCHEK

SELTENE

ZWIEBELN

IM

KONGO

Kurzgeschichten

aus dem Leben gegriffen


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Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Österreichischen Nationalbibliothek.

Karina-Verlag, Vienna
1. Auflage Mai 2015

Cover Gestaltung und Zeichnung, Layout © by Karin Pfolz

Text © by Florian Knisaritsch

Lektorat: Bettina Böhm, Karina-Verlag

Karina Verlag, Vienna. Print: ISBN 978-3-903056-34-3

E-Book: 978-3-903056-35-0

Sämtliche Orte, Namen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind daher rein zufällig, jedoch keinesfalls beabsichtigt.

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Inhalt:

VORWORT
HERR LANDESHAUPTFRAU UND DIE BILDER
TIERARZT
SELTENE ZWIEBELN IM KONGO
WENN ICH IHREN NAMEN STAMMLE
GRAZ – ÖBB – WIEN
OLLA
HASSAPIKKALAKKEN
FÄHRT EIN WEISSES SCHIFF NACH HONGKONG
TÜRKENBELAGERUNG
SYNCHRONSCHWIMMER
HORST
DAGMAR KOLLER
DER ALZHEIMER – WITZ
DER GOLDENE SCHWAN
DER PAPST IST TOT
WINNETOU
UM NACHTMAHL GIBT ES HEUTE SEKT.
EISZAPFEN IM WINTER
DER TSUNAMIKOLUMNIST
EIGENHEITEN UND EIN FREILANDEI
EIN GEDICHT
FEINRIPP
DIE GESETZE DES WETTERS
FRÜHSTÜCK BEI MIR
FLIEGENINVASION
JEAN CLAUDE VAN DAMME
MICHAELA
KÜRBISKERNDESASTER
KRAUT UND RUAM
PARANÜSSE
SEMMERING
WILD, WIDE, WEST
MÄNNER SIND ALLE GLEICH
LAMBRUSCO - ALONE AT HOME
Florian Knisatschek,

VORWORT

Jeder Tag hat gewisse Ingredienzien. Ohne unser Zutun, die hat er einfach. Sie sind einfach vorhanden. Und an jedem Tag - zu einer gewissen Stunde - werden all diese Vorkommnisse dann in einen großen Kübel gekippt, damit am darauf folgenden Tag wieder genug Platz ist für neue Zutaten. Im Lauf der Zeit kommt da einiges zusammen. Ob man will oder nicht. Selbst wenn wir uns auf den Kopf stellen und in die Luft scheißen, fällt der Haufen auf den Boden, und landet - zu jener gewissen Stunde - in diesem Kübel, zusammen mit von Zahnärzten entfernten alten Plomben, weißen Schneepflugbergen am Fahrbahnrand, Feinrippleiberln, alten Kriminalfilmen und Radiosendungen, Regierungen samt zuhauf einzelner, seltsamer Vertreter dieser abgelaufenen Gelsensprays, Rülpser diverser angeblich Prominenter, und zuhauf so Sachen wie Gefühle. Ja, gut, schlecht, wurscht, romantisch, grob, vereinsamt, egal. Alles drin in dem Matsch! Und bevor das alles dann am Ende aller Zeit in der kosmischen Biogasanlage verschwindet, meistens mit einem großen Knall, der von ganz fernen Lichtjahren und so, ganz leise zu hören ist, und von Heinz Oberhummer zappelnd moderiert wird, ja bevor es so weit ist, hat man die Möglichkeit, da eine Handvoll Geschehnisse aus dem Kübel zu schöpfen, füllt sie in ein handliches und nach Möglichkeit formschönes Kaleidoskop und lugt mal rein!

Mist, jetzt hab ich vergessen den Bordeaux zu dekantieren, dabei trinke ich Erdbeermilch! Und die Flasche Uhudler ist auch schon halb leer! Und die Ecke ist rund! Und weil ich nicht mehr rauche, verglüht die Zigarette im Aschenbecher! Und wer jetzt noch immer glaubt, dass hier irgendwas autobiografisch sei, fragt am besten die liebe Dagmar Koller, die Urne von Horst oder den tapferen Bruno Baumann. Oder Adalbert Stifter, aber der kennt mich nicht.

Picasso hatte angeblich eine blaue Phase. Die hat er sich vielleicht selbst erdacht, das weiß man nie. Die Ingredienzien aus dem großen Kübel der nächsten Seiten sind vorwiegend aus hiesiger schwarz-blauer Phase.

Immer Spaß macht so ein Kaleidoskop! … was passiert denn grad da drin? ... oh, ich mach grad einen Knicks und hebe leicht zum Gruße mein Hütchen!

Ihr Florian Knisatschek

HERR LANDESHAUPTFRAU UND DIE BILDER

Also wenn das stimmt, was Manfred Deix heute gesagt hat, dass bei ihm bis vor zehn Jahren unter fünfzehn Viererln gar nix gegangen ist, dann bin ich ja ein Lärcherl diesbezüglich. Und nachdem mir der Herr Doktor trotzdem geraten hat, mich etwas einzuschränken, ist das jetzt also zweimal die Woche so, das mit dem Einschränken.

Und wahrscheinlich ist es auch deshalb so, dass mir jetzt immer öfter der linke Arm einschläft. Weil nämlich der gefäßverengenden Wirkung der Zigaretten jetzt nicht mehr die gefäßerweiternde Wirkung des Alkohols in voller Bandbreite gegenübersteht.

Der Herr Doktor hat gesagt, das mit dem Rauchen ist erst mal nebensächlich. Die haben ja alle keine Ahnung von ausgleichender Chemie. Und wahrscheinlich ist es auch deshalb so, dass mir zu einem Bild keine rechte Geschichte drumherum einfallen will. Dabei hätte ich schöne Bilder.

Zum Beispiel das Bild von einer Frau, die darauf besteht, als Mann angesprochen zu werden. Als Hauptmann! Als Landeshauptmann!

Ja, richtig! Es geht um die Steiermark und um „Herrn Landeshauptmann Frau ‚Walter’ Klasnic“. Und ich hab so ein dominant-monströses Bild vor meinem inneren Auge, wo sie auf einem riesigen Polyester-Kürbiskern reitet, hoch über Graz, in essbarer Unterwäsche aus Kürbiskernölpresskuchen, mit einem Zepter wachelnd, laut kreischend, “ÖVP! ÖVP!“, brüllt und alle mit dem steirischen schwarz-grünen Gold segnet.

Also wenn das kein Bild ist!

Ein dominant-monströses Bild eben.

Dieses Bild ist derart dominant, dass man es gar nicht in eine Geschichte einbauen kann. Kein Spannungsbogen hätte da noch Platz angesichts dieser Monstrosität. Kein anderes Bild hätte da noch irgendeinen Platz.

Ich nehme einen Schluck Weißwein und mein linker Arm wacht langsam wieder auf. Die HB aus Usbekistan sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.

Du dummer Doktor du! Seit ich deinen Rat befolge, fallen mir immer weniger Geschichten ein. Und sag mir, wie soll ich denn deine Rechnung bezahlen, wenn mir nix mehr einfällt?

Du g`scheiter Doktor du! Seit ich deinen Rat befolge, finde ich das „Ä“ auf der Schreibmaschine deutlich schneller. Und wir leben ja immerhin in einer LEISTUNGSGESELLSCHAFT. Und da ist so was ENORM WICHTIG!

Du braver Doktor du! Hast drei Eprouvetten meines Blutes genommen, und etwas Geld, hast mich dann drei Tage später zur Auflösung des Gesundenuntersuchungs-Rätsels in deinen Wartesaal eingeladen, mich schließlich hereingebeten und hast schweigend geschaut.

„Und? Hab ich AIDS?“

„Nein, das ist eine andere Untersuchung.“

„Und? Gelbsucht?“

„Wäre möglich, ist aber eine andere Untersuchung.“

„ … Krebs?“

„ …? …? …? … ist a andere Untersuchung.“

„Äh, … Magengeschwür? Durchfall?“

„Da müsst ma spiegeln.“

Na gut. „Und wie schaut’s mit der Schilddrüse aus? Von wegen Appetitlosigkeit und so?“

„Na, da müsst ma extra untersuchen.“

Im Endeffekt hab ich eine etwas vergrößerte Leber, die mir gegen den Darm drückt, nur leicht, was gelegentlich zu einem „Flatus Interruptus“ führt, wie das in der Fachsprache heißt. So weit, so gut. Dass ich sauf und rauch, weiß ich selber.

Ich bin dann frustriert zu meinem Zahnarzt. Der hat mich gründlich geröntgt und gesagt:

„Herr Knisatschek, sie wissen eh, dass ihre Zähne älter sind als sie!“

Er gab mir eine Spritze, und ich hab so mild und zufrieden gelächelt, wie das mein altes Gebiss zulässt. Dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Früher, ja früher, so mit sechzehn und so, als meine Wirbelsäule noch agil war, da konnte ich völlig zugekifft auf irgendeinem Polsterberg einschlafen. Mit einer Knuffigkeit, die man in diesem Alter auch zweifelsfrei verdient. Ich muss mir heute meinen Polster so ergonomisch als nur irgend möglich formen, damit ich’s im Bett so lange schmerzfrei aushalte, bis endlich „Bianca, Wege zum Glück“, im Fernsehen kommt.

Obwohl man immer ein kreuzfideler Bursche war, kommen immer häufiger Rückenschmerzen. Nein, nein, nein, nicht die, die man durch eine einfache Massage lösen kann, sondern solche, die unter den Schulterblättern liegen. Da kommst einfach nicht hin beim Massieren. Oder die, die vor der Wirbelsäule liegen, zwischen Wirbelsäule und Lunge. Wie sollst denn das massieren?

Also gut, ich bin marode, aber um es mit Barbara Karlich zu halten: „Gespannt, was die nächsten fünfzig Jahre bringen werden“.

Aber die Bilder, ja die schönen Bilder, also die, die mir der Herr Landeshauptfrau Waltraud Klasnic in seiner Dominanz aus dem Hirn geätzt hat, die fallen mir immer noch nicht ein.

Möglicherweise sollte ich einfach nicht so viel ORF schaun.

Aber jetzt, wo ich mich wieder etwas beruhige, beim guten Welschriesling, beginnen meine Synapsen wieder kleine Blitze zueinander zu senden, eine kleine „innerhirnige“ Kommunikation taucht auf, und langsam entwickeln sich auch wieder Bilder. Kleine noch, Bildchen sozusagen. Manfred Deix taucht auf, essbare Unterwäsche aus Kürbiskernölpresskuchen. Kleine Arztgespräche: „Krebs?“, „…? …? …? … ist a andere Untersuchung“.

Mein lieber Zahnarzt fällt mir wieder ein, mit seiner lieben Spritze, mein eingeschlafener linker Arm (der übrigens in der Zwischenzeit wieder gänzlich erwacht ist … warum erfrischt mich das Ottakringer so?), Bildchen eben, wie im wahren Leben.

Und es ist komisch, man sagt ja, dass einem kurz bevor man stirbt, das ganze Leben vor dem inneren Auge vorbeizieht.

Das ist bei mir jeden Tag so.

Um fünf in der Früh.


TIERARZT

Heute kommt der Tierarzt. Zum Absauen.

Kommt er zu einer Kuh, heißt das dann: Abstieren. Im Volksmund: „Ostian“.

Der Bauer muss dabei nüchtern bleiben. Ja! Damit er nicht auf blöde Gedanken kommt.

Der Tierarzt hingegen muss nicht zwingend nüchtern sein, ja, man spricht sogar von glücklichen Kühen, wenn der Tierarzt ihres Vertrauens alles andere als nüchtern war.

Das Abstieren hat aber absolut nichts mit Sodomie oder ähnlich gearteten Perversionen zu tun, sondern ermöglicht es der Kuh schlicht, so gut wie jungfräulich an die zehn, oder mehr Kälber zu gebären. Bei Schafen ist das nicht so. Drum werden die auch naturgemäß öfters geopfert.

Unser Tierarzt ist mittlerweile seit fast fünfzehn Minuten wieder fort, ja ein Außendienst jagt den anderen.

Unser Bauer ist inzwischen alles andere als nüchtern und sieht sich Barbara Karlich an, die im TV. Mit dem heutigen Thema: „Jungfräulich in die Ehe“.

Unser Bauer, wollen wir ihn der Einfachheit halber „Bauer“ nennen, sitzt in einer Einbauküche, die nicht im Geringsten an „Eiche-Dekor“ erinnert und blickt etwas illuminiert in Richtung Herrgottswinkel. „Illuminiert“ ist gut, sagt ein über tausendseitiges Buch. Unter Umständen ist „illuminiert“ gut! Und hat über tausend Seiten. Deshalb spricht man über dieses Buch meist als eine Art Phantom. Väterliches Phantom …

Kühe sind wie Menschen, denkt Bauer, sie bekommen so gut wie nie Zwillinge. Und Jesus ist ans Kreuz genagelt. Drum kann er nicht überall sein.

Unser Tierarzt, und nennen wir ihn der Einfachheit halber „Franz“, ist inzwischen jenseits des nächsten Hügels, in einem Kuhstall, hantiert mit einer eher dünnen, aber sehr langen Pipette an Kuhhinterleibern herum, und versucht fünf Minuten später einer äußerst widerspenstigen Sau Mutterglück hinterrücks einzuflößen. Ja, ja, der Außendienst …

Währenddessen hat sich Bauer vom Herrgottswinkel abgewandt und widmet sich etwas widerwillig seinem Essen. Widerwillig deshalb, weil: warmes Sauerkraut mit Knödeln. Den dazugehörigen Rest hat der Franz damals wegen eines angeblichen „Kunstfehlers“ versaut.

Hauptsache unbefleckt …

Man will ja keinem Tier gönnen, was man sich selbst … Schnell blickt Bauer zum Herrgottswinkel. Krapfen zum Nachtisch. Krapfen, weil es Anfang Februar ist.

Im Stall hängt kein Jesus und kein „gebenedeit“. Im Stall hängen Schnüre gespannt mit Leim. Gegen die gemeine Stallfliege.

Kühe, mit ihren wunderbar rosaroten Schnauzen schauen des Öfteren gebannt, mit unverwandt großen Augen, aber nichts wissend auf diese Schnüre, wo selbst noch dem Tod geweihte Fliegen sich paaren.

Ich bin eine Kuh, denkt sich eine Kuh. Habe braune und weiße Flecken – weil sie nämlich zur Gruppe der Fleckrinder gehört – und gehöre zur Gruppe der weiß-braunen Fleckrinder. Drum hab ich auch diese weiß-braunen Flecken!

Der Krapfen war etwas verdorrt.

Bauer sitzt mit Staubzucker- und Marillenmarmeladeresten bei seinem Nachtisch-Nachtisch und kippt ein halbes Achterl Zwetschgenschnaps.

„Die Bienen“, denkt Bauer recht illuminiert, während hinter sieben Hügeln unser Tierarzt Franz, in einem hundert Meter langen Stall, einen Stier nach dem anderen gegen einen Plastikkuharsch stoßen lässt, „ja, die Bienen.“

Franz sitzt hinter Plastikkuhärschen in einem mobilen Kobel, einmeterzwanzig im Quadrat, freut sich über schmerzfreie Bandscheiben und fängt Stiersperma. Trockeneis ist ständiger Begleiter im Außendienst.

Bauers Stall ist gut bevölkert. Stiere sind wild. Das über tausendseitige Buch liegt, sich selbst rezitierend, im Nachtschrank. Mutter Maria, du Unbefleckte, gebenedeit sei dein Leib.


SELTENE ZWIEBELN IM KONGO

Noch schnell und gründlich Hände waschen, den Rotwein entkorken und mir überlegen, ob ich es mag, wenn grüne Gottesanbeterinnen vom Plafond fallen, dann kann der Feierabend beginnen.

Eine Zigarette gedreht, Rotwein eingegossen, beobachte ich eine von diesen Gottesanbeterinnen, wie sie versucht, meinen Plafond von Ost nach Südwest zu überqueren. Was weiß ich, wo die hinwollen.

Es war ein anstrengender Tag. Hart geradezu. Erst hatte das ältere Fräulein vom Amt für Vereinswesen etwas an meinen Vereinsstatuten auszusetzen, dann musste ich im hohen Norden, innerhalb des Polarkreises, eine fast erfrorene Crew von vermeintlichen Aliens retten (was weiß ich, was die dort wollen - also die Crew), und dann weiter nach Polen, in ein stillgelegtes Kohlebergwerk, um dort irgendwelchen Menschen zu helfen, doch noch Kohle abzubauen, … drum auch das Händewaschen. Und stolz bin ich, diese heutigen Termine logistisch so verbunden zu haben, dass die alle auf der Nordhalbkugel waren.

Und ich glaub, darauf kann ich wirklich stolz sein! Ich mein, ich bin ja schließlich kein Jagerhofer, der vom Wolfgangsee zum Fuschlsee eilt, um dann noch schnell, nach einer kurzen Handwäsche, mit Udo Jürgens und Franz Antel am Attersee ungezwungen zu plaudern und anschließend mit Tourismusbeauftragten an einem anderen, nahegelegenen See zu scherzen. Ausgelassen über Damenunterwäsche spricht man nicht!