cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 1407

 

Der Eremit von Satrang

 

Der Notruf eines Todgeweihten – Gucky macht eine schreckliche Entdeckung

 

von Clark Darlton

 

img2.jpg

 

Ende Februar des Jahres 448 NGZ, das dem Jahr 4035 unserer christlichen Zeitrechnung entspricht, beginnt neues, unerwartetes Unheil über die Milchstraße hereinzubrechen.

Das letzte Viertel der Galaxis Hangay aus Tarkan, dem sterbenden Universum, materialisiert in unserer Lokalen Gruppe – und das bleibt nicht ohne schwerwiegende Folgen, wie sich später herausstellt. Zwar vollzieht sich dadurch die Rückkehr der Superintelligenz ESTARTU in ihre angestammte Mächtigkeitsballung, ebenso wie die glückliche Heimkehr der Tarkan-Expedition mit Perry Rhodan, Reginald Bull, Atlan und den übrigen Teilnehmern aus unserer Galaxis – aber es geschieht auch Schlimmes.

Die Tarkan-Rückkehrer bekommen es am eigenen Leib zu spüren, als sie sich der Heimat nähern. Ein Stasisfeld lässt sie zeitlos verharren, und als es sie wieder freigibt, sind im übrigen Kosmos 695 Jahre verstrichen.

Eingedenk dieser Tatsache operieren die Galaktiker mit großer Vorsicht, als sie sich der Heimat nähern. Sie sammeln Informationen über die neuen Gegebenheiten. Doch das bringt nichts ein, denn die »Barriere im Nichts« verhindert die Rückkehr in die Milchstraße.

Nun aber erhoffen sich die Galaktiker von einem Unbekannten Hilfe in ihrer Sache. Dieser Unbekannte nennt sich DER EREMIT VON SATRANG ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Ilt auf einer Extratour.

Perry Rhodan und Ras Tschubai – Sie folgen Guckys Spuren.

Schorsch und Bixby – Ein Gurrad und ein Terraner auf dem Planeten Satrang.

Der Eremit – Ein Todgeweihter.

1.

 

Es war wieder einmal eine jener berühmt-berüchtigten und teils auch gefürchteten einsamen Entscheidungen des Mausbibers Gucky, als er, ohne jemanden eindeutig zu informieren, Reginald Bulls Schiff, die CIMARRON, per Teleportation verließ und sich hinab auf die Oberfläche des Planeten Satrang begab, der als zweiter die orangegelbe Sonne Helos umlief.

Es war Ras Tschubai, der Perry Rhodan die Nachricht überbrachte. Die ersten Vorstöße zur isolierten heimatlichen Milchstraße waren gescheitert, und die Tarkan-Flotte hatte sich zurückgezogen.

Noch gab es für das Phänomen »Wahnsinnsbarriere« keine logische Erklärung, nur eins war ganz sicher: Sie war unmöglich zu überwinden.

Perry Rhodan deutete auf den freien Sessel in seiner Kabine.

»Setz dich erst mal hin, Ras. Der Kleine hat sich also mal wieder selbstständig gemacht, sagst du? Um ehrlich zu sein: Es verwundert mich nicht nach dem, was passiert ist. Auf dem Planeten, wo der Unbekannte, der sich ›Eremit von Satrang‹ nennt, lebt, gibt es eine automatische Station, die eine Botschaft abstrahlte. Da muss doch ein Ilt neugierig werden.«

»Er hätte wenigstens fragen können«, knurrte Ras.

»Sicher, das hätte er. Aber vergiss nicht, dass die eindeutig automatische Abstrahlung durch eine kurze – nun, nennen wir es mal Livesendung – abgelöst wurde. Ein Sterbender schickte uns seinen Hilferuf.«

»Ich erinnere mich. Dieser geheimnisvolle Eremit wurde beraubt, und nun ist er dem Tode geweiht. Was kann man ihm wohl geraubt haben? Und was für einen Kampf führte er? Gegen wen? Und was soll die Bemerkung, dass die vergangenen Jahrhunderte umsonst gewesen sind?«

»Fragen, Ras, die nicht einmal ich beantworten kann. Um so besser kann ich Guckys Handlungsweise verstehen, wenn ich sie auch nicht gerade gutheiße. Wir werden ihm sobald wie möglich folgen müssen.«

Die Entfernung zu der unüberwindlichen Barriere betrugen nun fünfhundert Lichtjahre, aber hier würde sich ihr gefährlicher Einfluss nicht bemerkbar machen. Darauf ließ schon die Funksendung des Eremiten schließen, der zum Kampf gegen die »Finsteren Herrscher« aufrief, die die heimatliche Milchstraße abriegelten.

»Wenn wir nur wüssten, was das für ein Objekt war, das Satrang so übereilt verließ und der Ortung entkam. Ein Raumschiff mit einem uns unbekannten Antrieb? Hat es etwas mit dem Raub zu tun, den der Eremit erwähnte?«

Bull meldete sich über Interkom: »Ich wiederhole noch einmal: Bei den meisten Schiffen, die um Satrang orbital geparkt sind, handelt es sich um Wracks, zumindest aber um von der Mannschaft verlassene Flugkörper. Auf dem Kontinent sind technische Anlagen einwandfrei festgestellt worden. Tut mir leid, aber weitere Erkenntnisse liegen nicht vor.«

»Die werden wir sammeln. Wir werden Gucky schnellstens folgen. Wenn wir ihn nicht finden, findet er uns.«

»Wenn er will«, gab Bull zu bedenken. »Konnte er denn nicht warten, bis wir mehr über diese unbekannte Welt wissen?«

Rhodan ging nicht darauf ein. Er erkundigte sich nur noch nach den Lebensbedingungen auf Satrang, versorgte sich und Ras Tschubai mit der ihm notwendig erscheinenden Ausrüstung und folgte der unsichtbaren Spur des Mausbibers, über deren Endpunkt es jedoch kaum einen Zweifel geben konnte.

Gemeinsam mit dem Teleporter entmaterialisierte er.

 

*

 

Es war dem Ilt völlig klar, dass er einen gehörigen Anpfiff riskierte, als er ohne Erlaubnis die CIMARRON verließ, aber erstens war sein Fell im Verlauf der Jahrhunderte noch dicker geworden, und zweitens gehörte die Neugier zu seinen herausragenden Eigenschaften.

Der eigentliche Hauptgrund für seine Handlungsweise war jedoch die Tatsache, dass sich ein intelligentes Lebewesen in Todesnot befand. Allerdings war jede Anpeilung seit Verstummen der letzten Sendung unmöglich geworden.

Er rematerialisierte hoch über dem südlichen Kontinent und ließ sich telekinetisch und mit kurzen Teleportersprüngen in die Tiefe gleiten. Sein Ziel war ein weitläufig angelegtes Siedlungsareal mit unterschiedlich großen Gebäudekomplexen, die ihn irgendwie an Hospitäler oder Wohnheime erinnerten. Nur undeutlich und verworren empfing er sinnlose Gedankenfetzen.

Er konnte nichts entdecken, das an einen starken Sender erinnerte oder doch zumindest etwas Ähnliches vermuten ließ. Und stark musste der nun schweigsame Sender sein, denn die Botschaft des unbekannten Eremiten wurde in verschiedenen Sprachen abgestrahlt, was auf einen weitreichenden Radius schließen ließ. Kein Wunder, beinhaltete sie doch die Warnung, sich nicht den Grenzen der Milchstraße zu nähern.

Mit einem letzten Sprung materialisierte er in einem gut angelegten Park, der einige flache Gebäude voneinander trennte. Spazierwege führten durch gepflegte Rasenstücke und Buschinseln. Dazwischen wuchsen hohe Bäume.

Jetzt erst konzentrierte sich der Ilt auf die wirren Mentalimpulse, die auf ihn einströmten und nicht sofort zu trennen waren. Er bemerkte auch einige Spaziergänger, die das milde Klima und den Sonnenschein genossen. Einige hatten es sich auf den überall stehenden Bänken bequem gemacht, einzeln oder auch in Gruppen.

Ein Bild des Friedens, dachte Gucky verblüfft, wären nicht die verwirrenden Gedankenimpulse gewesen. Für einen Moment ignorierte er sie, um sich mehr optisch zu informieren.

Da hockten zwei löwenähnliche Gurrads auf einer Bank, die Beine weit von sich gestreckt und die Augen wie im Halbschlaf geschlossen. Dicht daneben unterhielten sich zwei Hauri mit einer Kartanin, so als hätte es nie zuvor Konflikte und Meinungsverschiedenheiten gegeben. Selbst ein flacher Matten-Willy floss quer über den Rasen und schien sich einen besonders sonnigen Platz zum Ausruhen zu suchen.

Einen Terraner, Blue oder Ertruser konnte Gucky nicht entdecken, überhaupt keinen Stammbewohner der Milchstraße.

Obwohl er sich offen zeigte und nicht einmal den Versuch unternahm sich verborgen zu halten, kümmerte sich niemand um ihn. Allerdings blickten einige der sich offensichtlich hier Erholenden kurz auf, wenn er an ihnen vorüberging oder ihnen begegnete, und grüßten ihn höflich.

Das war aber auch alles. Er wurde so gut wie überhaupt nicht beachtet, so als gehöre er schon seit Jahren zu ihnen.

Er fand eine freie Bank und setzte sich. Nun konnte er sich endlich intensiv auf das Gedankenchaos konzentrieren und versuchen, ein oder zwei Muster zu isolieren, um Informationen zu erhalten.

Es war komplizierter, als er befürchtet hatte.

Er peilte mental die Kartanin an, die sich mit den beiden Gurrads unterhielt. Die Impulse kamen klar und deutlich, wenn sie auch nur wenig Sinn ergaben.

»Eine Heizdecke wollte ich schon immer haben, wir Kartanin frieren leicht. Ihr mit dem dichten Pelz müsst ja noch viel mehr unter der Hitze leiden als ich.«

Der fehlt 'ne Schindel im Dachgestühl, dachte Gucky erschrocken, ließ sich aber nicht weiter ablenken. Der eine Gurrad sagte gerade:

»War das ein Knall, als wir das andere Schiff rammten! Aber wir hatten keine Heizdecken an Bord.«

»Wie schade«, bedauerte die Kartanin. »Man hätte das Leck damit abdichten können.«

»Was für ein Leck?«, erkundigte sich der zweite Gurrad.

»Im Speisesaal bei uns regnet es durch«, erklärte die Kartanin reichlich zusammenhanglos. »Man sollte den Fußboden neu belegen.«

Gucky schaltete hastig ab. Ein bereits schwach vorhandener Verdacht verdichtete sich zur halben Gewissheit. Sein suchender Blick erwischte den Matten-Willy, der inzwischen so flach wie eine Riesenflunder geworden war, um noch mehr Sonnenwärme aufnehmen zu können.

»Eine Sonne ist besser als keine«, kam sein Gedankenimpuls bei Gucky an. »Aber hundert oder zweihundert sind besser.«

So unvernünftig klang das gar nicht, wenn man bedachte, woher der Matten-Willy stammte. Also lauschte der Ilt weiter.

»Wie konnte mein Posbi auch nur so blöd sein, diese verhexte Galaxis anzusteuern? Nun liege ich hier zwischen lauter Verrückten und warte darauf, dass mir der Eremit hilft.«

Es traf Gucky wie ein elektrischer Schlag. An sich waren es gleich zwei Schläge. Sein Verdacht, sich in einem Sanatorium für Geistesgestörte zu befinden, bestätigte sich, und zum zweiten hatte die Flunder den Eremiten erwähnt.

Er kümmerte sich nicht weiter um die beiden Gurrads und die Kartanin, die gerade damit begann, die Vorzüge eingemachter Rattenschwänze zu beschreiben, sondern erhob sich und schlenderte quer über den Rasen zu dem Matten-Willy, der ihn bemerkte und sich träge in ein verzerrtes Ebenbild eines Mausbibers verwandelte, um sich aufsetzen zu können. Ihm fehlten nur noch der platte Biberschwanz und die großen Lauscher.

»Wohl neu eingetroffen?«, sagte er laut in perfektem Interkosmo.

»Kann man wohl sagen, mein Freund. Du scheinst noch einigermaßen normal zu sein, also darf ich dir wohl ein paar Fragen stellen, oder nicht?«

»Unter Blinden ist der Einäugige König«, erklärte der Matten-Willy zu Guckys Verblüffung. »Ich bin nur halbverrückt.«

»Auch gut«, akzeptierte der Mausbiber die Belehrung. »Was ist eigentlich hier los, und wer ist der Eremit?«

»Keine Ahnung, wer das ist. Ich weiß nur, dass es ihn gibt. Muss wohl so eine Art Chefarzt hier sein. Habe ihn nie gesehen.«

»Das ist alles, was du weißt?«

»Geh mir aus der Sonne«, wechselte der Matten-Willy abrupt das Thema und begann, wieder eine flache Flunder zu werden. »Frag jemand anderen, ich will meine Ruhe haben. Ihr habt doch alle einen gehörigen Knacks weg.«

Selbst seine Gedankenimpulse versiegten.

Gucky erhob sich aus seiner sitzenden Stellung, unschlüssig, was er als nächstes unternehmen sollte. Vernünftig wäre es, in die CIMARRON zurückzuspringen, aber das ließ sein Ehrgeiz nicht zu. Wenn schon, dann sollte das mit echten Ergebnissen geschehen, damit der zu erwartende Rüffel schwächer ausfiel. Aber schließlich hatte er ja eine Nachricht hinterlassen, zwar nicht ganz eindeutig und klar, aber immerhin ...

... immerhin dämmerten ihm einige Erkenntnisse. Dieser Planet, zumindest aber der Teil des Kontinents, auf dem er sich aufhielt, war ein einziges Sanatorium für jene Wagemutigen, die es versucht hatten, die Barriere des Wahnsinns, von der die gesamte Milchstraße umgeben war, zu durchbrechen. Besatzungen, die beim ersten Anzeichen der drohenden Gefahr umgekehrt waren, hatten geistig weniger gelitten als jene, die es mehrfach und länger versucht hatten. Daher die bereits festgestellten Unterschiede, was den geistigen Zustand der »Patienten« betraf.

Und dieser geheimnisvolle Eremit? War er es, der diese gewaltigen Anlagen errichtet hatte, um den Geschädigten zu helfen? Aus purer Nächstenliebe? Nein, folgerte Gucky und erinnerte sich der aufgefangenen Sendung an Bord der CIMARRON. Der Eremit benötigte Bundesgenossen, um die Milchstraße von den »Finsteren Herrschern oder Mächten« zu befreien – wer immer diese auch sein mochten.

Und nun starb dieser Eremit.

Er, Gucky, musste ihn finden, ehe es zu spät war.

 

*

 

Als Ras Tschubai mit Perry Rhodan in einem anderen Areal des von der Fernortung angepeilten Siedlungsgebiets materialisierte, wurden sie ohne jede Vorwarnung von einem unbeholfen wirkenden Roboter mit erstaunlich primitiver Bewaffnung angegriffen.

Der nur entfernt an ein humanoides Wesen erinnernde zwei Meter hohe Metallriese fuhr wirbelnde Messer aus seinen stumpfen Armenden und ging damit auf die beiden Terraner zu, langsam, aber zweifellos zum Töten entschlossen.

»Feiner Empfang«, urteilte Ras und entsicherte den Kombistrahler. »Von dem erfahren wir nichts.«

»Aber jemand hat ihn programmiert.«

Der Angreifer war noch zehn Meter entfernt. Er kam nur schleppend voran, so als seien seine Energiereserven nahezu erschöpft.

»Wer denn? Dieser sogenannte Eremit?«

»Möglich. Jetzt sind es nur noch fünf Meter.«

Ras zögerte nicht länger. Er hob die Waffe und zielte auf die Brust des Giganten. Der Energiestrahl traf die Zentralsteuerung und zerstörte sie. Langsam, wie in Zeitlupe, fiel der Koloss um und rührte sich nicht mehr.

In einiger Entfernung stand eine Gruppe Hauri. Sie hatten den Vorfall zwar beobachtet, schienen sich aber nicht darum zu kümmern. Ohne die geringste Unterbrechung setzten sie ihre Unterhaltung fort, als gehöre die Zerstörung eines Robots zum alltäglichen Ereignis.

»Ob uns die etwas erzählen können?«

»Versuchen wir es, Perry. Gehen wir zu ihnen.«

Ras hatte die Waffe in die Halterung zurückgeschoben und gesichert. An dem gestürzten Roboter vorbei folgten sie dem kaum zwei Meter breiten Weg, der an Rasenflächen und Teichen vorbeiführte, und näherten sich den knapp einem Dutzend Hauri, die keine Notiz von den Neuankömmlingen nahmen und ihre Unterhaltung fortsetzten.

Sie sprachen einmal Hangoll, dann wieder Interkosmo. In dieser Hinsicht waren ihre Worte durchaus verständlich, nur fehlte ihnen jeder Sinn. Jede der handelnden Personen schien sich in einem anderen Theaterstück zu befinden und ihre einstudierte Rolle aufzusagen.

Ras warf Rhodan einen fragenden Blick zu.

»Opfer der verdammten Barriere?«

Rhodan nickte.

»Ohne Zweifel. Sie sind wahnsinnig geworden, haben es wohl zu oft und zu lange versucht. Und dann wurden sie hierher gelotst – von dem Unbekannten, der sich Eremit nennt. Er versucht, sie von ihrem Wahnsinn zu heilen und dann zum Kampf gegen die Unbekannten zu gewinnen, die unsere Galaxis isolieren. Alles bekommt allmählich seinen Sinn.«

»Das da aber«, bemerkte Ras und deutete unauffällig in Richtung der Hauri, »ergibt nur wenig Sinn. Oder sollen wir fragen?«

Ohne zu antworten, machte Rhodan ein paar Schritte und wandte sich an einen der Hauri, der ein Gedicht aufzusagen schien, denn sein Pathos war unverkennbar.

»Hör zu, mein Freund, wo finde ich den Eremiten?«

Der Hauri warf ihm nur einen kurzen Blick zu, dann deklamierte er weiter. Dem Tonfall nach musste es sich um ein sehr feierliches Werk handeln, wenn auch niemand zuhörte, sondern mit seinen eigenen Deklamationen vollauf beschäftigt war.

»Es handelt vom Untergang des Universums«, glaubte Ras herausgehört zu haben.

Rhodan nahm ihn beim Arm und zog ihn ein Stück zur Seite.