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Andreas Stütz

WELTFLUG

Zwei Überflieger

auf fünf Kontinenten

Delius Klasing Verlag

Der Möwe Jonathan

1. Auflage

© by Delius, Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-7688-3282-3 (Print)

ISBN 978-3-7688-8133-3 (E-Book)

ISBN 978-3-7688-8328-3 (E-Pub)
 

Lektorat: Birgit Radebold, Anja Ross

Schutzumschlaggestaltung: Buchholz/Hinsch/Hensinger, Hamburg

Datenkonvertierung E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck
 
 
Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis
des Verlages darf das Werk, auch Teile daraus,
nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

 

www.delius-klasing.de

Inhalt

Vor dem Start

Europa

Afrika

Australien und Neuseeland

USA

Südamerika

Nachwort

Vor dem Start

Im Sommer 1974 lag ich im schwäbischen Biberach auf dem Sofa und schaute Fernsehen. Es kam meine Lieblingsserie im WDR: Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt. Sie handelte von einem Jungen, der Tobbi hieß und den Bauplan eines kleinen Hubschraubers (»Fliewatüüt«) entwickelt hatte, mit dem man fliegen (flie …), wassern (… wa …) und auch noch fahren (… tüüt) konnte. Ein Roboter mit Namen Robbi hatte die Pläne von Tobbi heimlich entwendet und das »Fliewatüüt« gebaut.Im Laufe der Serie starteten die beiden mit dem »Fliewatüüt« zu einer abenteuerlichen Reise. Ich verschlang die Sendung damals förmlich.

»Wenn ich groß bin, möchte ich auch einmal mit einem ›Fliewatüüt‹ verreisen«, rief ich begeistert. Meine Mutter lachte und schüttelte den Kopf. Jungs und ihre Träume, dachte sie wohl.

Meine Frau Melanie Stütz wuchs in Erfurt auf, in der ehemaligen DDR. Als Kind wollte sie Kosmonautin werden. Mit ihren Eltern träumte sie vom grenzenlosen Reisen in den 1980er-Jahren. Den ersten Schritt dazu wagten sie im Oktober 1989 mit ihrer dramatischen Flucht über die grüne Grenze: Sie waren in dem ersten von acht Zügen, die von Prag in den Westen Deutschlands fuhren.

1998 lernten Melanie und ich uns in München kennen und wir heirateten wenige Jahre später. Wir beschlossen, uns eines Tages auf Weltreise zu begeben – dann vielleicht sogar mit einem »Fliewatüüt«.

Im Jahre 2006 rief Melanies Mutter Iris in München an.

»Du, ich habe ein ›Fliewatüüt‹ im Fernsehen gesehen«, rief sie aufgeregt. Und tatsächlich. In einer Fernsehreportage wurde über ein in Deutschland neu zugelassenes Fluggerät berichtet. Es war eine Art Minihubschrauber und nannte sich Tragschrauber oder Gyrocopter.

Der Unterschied zu einem Hubschrauber besteht darin, dass der Rotor des Tragschraubers nicht wie bei einem Hubschrauber vom Motor, sondern nur vom Fahrtwind angetrieben wird. Wie ein Ahornsamen dreht sich der Rotor durch die anströmende Luft und erzeugt durch die eigene Drehung den Auftrieb, mit dem das Flugzeug fliegen kann. Ein Propeller im Heck des Flugzeugs sorgt für den erforderlichen Vortrieb. Der Tragschrauber verfügt über einen 100-PS-Boxermotor, fliegt mit der Autobenzinsorte Super und verbraucht abhängig von den Windverhältnissen 12–15 Liter auf 100 Kilometer. Der Tragschrauber kann maximal bis auf eine Höhe von etwa 3300 Meter steigen und mit einer Tankfüllung drei bis vier Stunden lang fliegen. Man kann den Rotor fixieren und dann fast wie ein Auto fahren. Mit speziellen Schwimmbehältern kann der Tragschrauber auch auf dem Wasser landen. Das hörte sich fantastisch an.

Melanie und ich recherchierten im Internet und fanden heraus, dass man mit dem Tragschrauber einen Probeflug machen konnte. Wir vereinbarten einen Termin und fuhren gemeinsam mit meinen Eltern in ein Dorf in der Nähe von Regensburg. Gemeinsam mit meinem Vater unternahmen wir je einen Rundflug und waren von dieser Art des Fliegens begeistert.

Melanie und ich beschlossen, den Pilotenschein für den Tragschrauber zu machen, dann einen zu kaufen und damit unsere Weltreise zu wagen. Wir begannen mit der Ausbildung für die Sport-Pilotenlizenz (SPL) und bestanden im Spätsommer 2007 die Prüfung. Gemeinsam mit meinen Eltern besuchten wir die Flugzeugmesse Aero 2007 in Friedrichshafen. Dort entdeckte ich ein Tragschraubermodell, das zumindest optisch meinen Vorstellungen von einem »Fliewatüüt« am meisten entsprach.

Im April 2008 feierte mein Vater seinen siebzigsten Geburtstag. Melanie und ich wussten, dass es einer seiner Lebensträume war, den Jakobsweg entlangzupilgern. So schenkten wir ihm eine gemeinsame Pilgerreise auf dem Jakobsweg mit dem Tragschrauber. Mit dem Flug des »Fliewatüüts« entlang des Jakobswegs wollten wir gleichzeitig auch die Machbarkeit unserer Weltreise mit einem Tragschrauber testen.

Wir kauften für unseren Weltflug in Europa den auf der Aero gesehenen weißen Tragschrauber mit geschlossener Kabine und konnten ihn sogar mit der legendären Kennung des Fliewatüüts (FWT) zulassen: D-M FWT (gesprochen Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango).

Im Januar 2009 fanden wir heraus, dass ein Firmenkonsortium gerade die Produktion eines Kinofilms zu Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt plante. Ich kontaktierte den Regisseur und Kameramann Andy Bierschenk und dessen Firma BDF GmbH in Köln. Andy war begeistert von unserem Vorhaben, und wir beschlossen, einen gemeinsamen Dokumentarfilm zum Flug des »Fliewatüüts« auf dem Jakobsweg zu produzieren.

Dann erkrankten erst mein Vater und dann meine Mutter schwer, und es wurde deutlich, dass mein Vater uns nicht auf die Pilgerreise entlang des Jakobsweges würde begleiten können. Stattdessen produzierten wir einen Film für ihn, um ihm zumindest virtuell die Pilgerreise auf dem Jakobsweg zu ermöglichen.

Im Februar 2009 trainierten Melanie und ich das Fliegen bei schlechtem Wetter in Vipperow, in der Nähe von Berlin. Wir flogen bei Windstärke 7, bei Schneefall, bei Nebel, bei Regen sowie bei tiefen Minusgraden, um uns auf unsere Reise vorzubereiten.

Im April 2009 war das Team für den Jakobsflug startbereit. Es bestand neben Melanie und mir aus Andy Bierschenk (Kameramann und Regisseur), Robert Stein (Regieassistent) sowie Melanies Eltern Karl-Heinz und Iris Scheffler (Bodencrew). Wir starteten mit einem weißen Tragschrauber mit geschlossener Kabine, etwa so geräumig wie ein Smart, und zwei Wohnmobilen.

Europa

1

Uns blieben noch 30 Sekunden bis zum totalen Stromausfall an Bord! Mir rasten die Gedanken durch den Kopf. Verdammt, was ist auf einmal los? Ruhig bleiben, nur ruhig bleiben, dachte ich. 29 Sekunden. Erbarmungslos zählte die digitale Anzeige im Cockpit die Sekunden, die uns auf unserem ersten Tragschrauberflug noch blieben.

28 Sekunden, 27 Sekunden … Ich hatte keine Zeit mehr, über die Ursachen unseres Problems nachzudenken. Wir mussten landen und zwar sofort.

Melanie krallte sich in ihren Sitz.

»Lärz-Turm, hier Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango«, funkte ich mit gepresster Stimme die Flugleitung von Rechlin-Lärz an, dem ehemaligen sowjetischen Militärflughafen in der Nähe Berlins. Von hier aus waren wir zu unserer Weltreise mit Tragschrauber gestartet.

»Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango, hier Lärz-Turm«, antwortete der Flugleiter.

»Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango, wir haben ein technisches Problem. Haben nur noch wenige Sekunden Strom. Die Bordspannung fällt ab. Der Funk wird ebenfalls gleich ausfallen. Erbitten Freigabe für direkten Landeanflug.«

»Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango, Freigabe zum direkten Landeanflug erteilt. Viel Glück!«, antwortete Lärz-Turm. Drei Sekunden, zwei Sekunden, eine Sekunde … Der Bildschirm der Instrumentenanzeige wurde schwarz. Die Funkverbindung riss ab. Ich schaltete die Bordelektronik aus und wieder ein. Ein kurzes Aufflackern, dann war der Bildschirm wieder schwarz.

»Motordrehzahlanzeige – ausgefallen, Rotordrehzahlanzeige – ausgefallen, Motortemperaturanzeige – ausgefallen, Öldruckanzeige – ausgefallen, Rotorkopftemperaturanzeige – ausgefallen«, machte Melanie eine Bestandsaufnahme.

Alle Systeme waren tot, bis auf den Motor. Der brummte unbeeindruckt gleichmäßig weiter.

»Der Motor ist zum Glück unabhängig vom Bordstromnetz«, signalisierte ich Melanie.

Weit gekommen waren wir noch nicht. Zum Glück hatten wir bereits nach zehn Minuten wieder den Flughafen Rechlin-Lärz in Sicht. Ich ging in den direkten Anflug auf Piste 26 über. Die Anzeige für unsere Geschwindigkeit in der Luft funktionierte über den Druck der anströmenden Luft und war von der Stromversorgung unabhängig. So konnten wir ohne Probleme unsere sichere Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern beim Landen einhalten, als wäre nichts passiert.

Nach dem Aufsetzen auf der Teerpiste des Militärflughafens rollten wir auf dem Vorfeld bis zum Turm der Flugleitung. Dann stellte ich den Motor ab.

»Was war das denn?«, rief Melanie entsetzt. Ihr stand der Schock ins Gesicht geschrieben.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte ich, »plötzlich war der Strom einfach weg.«

»Lass uns in den Hangar fahren«, sagte Melanie. »Bevor wir die Ursache für das technische Problem nicht gefunden haben, können wir ohnehin nicht weiterfliegen.«

Ich schaltete die Zündmagnetschalter ein und drehte den Zündschlüssel für den Anlasser. Aber es tat sich nichts. Noch nicht einmal die kleinste Reaktion.

»Die Batterie ist offenbar tiefentladen«, sagte ich.

Wir baten den Flugleiter um Starthilfe. Er stieg in sein Auto und fuhr zum Tragschrauber aufs Vorfeld. Dort öffnete er die Motorhaube seines Fahrzeuges und verband unsere Tragschrauberbatterie über ein Starthilfekabel mit seiner Lichtmaschine. Bereits nach kurzer Zeit kam wieder neues Leben in unsere Batterie. Ich startete den Propeller. Er sprang ohne Probleme an.

»Jetzt müssen wir den Motor erst einmal eine Zeit lang laufen lassen, damit die Batterie wieder geladen wird«, rief ich gegen den Motorenlärm an.

Dann entdeckte ich die Ursache unseres Problems. Ein Elektromagnet war nach dem Start nicht mit abgeschaltet worden. Eigentlich wurde der Schalter beim Startvorgang automatisch umgelegt und damit ausgeschaltet.

»Der Magnet hat erst die Batterie vollständig entladen und ist dann sogar noch durchgebrannt«, analysierte ich.

»Das müssen wir erst austauschen, bevor wir nach Aachen starten können«, sagte Melanie. Wir waren beide erschrocken, dass ein so kleines Detail wie ein nicht umgelegter Schalter zur Katastrophe führen konnte.

Fliegen war die schärfste Form ultimativer Kompromisslosigkeit. Die kleinsten menschlichen Unachtsamkeiten oder technischen Fehler konnten den Tod bedeuten. Wenn wir unser Weltflug-Abenteuer überleben wollten, sollte uns möglichst nichts dergleichen unterlaufen. Alles, was wir taten, geschah zum ersten Mal. Unser Tragschrauber war bisher nicht als Langstreckenflugzeug getestet worden.

2

Es war die Nacht vor dem Abflug in Aachen. Ich schlief unruhig, und um 05:00 Uhr wachte ich auf, noch viel zu früh zum Aufstehen. Draußen dämmerte schon der Tag. Es herrschte dichter Nebel. Heute würden wir mit unserem Team von Aachen aus starten. Hoffentlich, dachte ich, waren unsere Startprobleme bei Rechlin-Lärz kein böses Omen.

Ich hatte keine Angst. Ich wusste, das Abenteuer bestand aus Prüfungen. Es würde Mut erfordern. Wir würden mit schlechtem Wetter zu kämpfen haben. Der Jakobsweg war dafür berüchtigt, dass das Wetter sehr schnell umschlagen konnte. Sturm, Gewitter und Schneefall würden sich mit Perioden des Sonnenscheins abwechseln. Aber genau deshalb war dieser Flug der geeignete Testlauf für unsere Weltreise.

Wie würde es sein, über die Pyrenäen zu fliegen? Gefährliche Abwinde konnten das beste Flugzeug in eine Bergflanke drücken. Würden wir überhaupt hoch genug fliegen können? Die Pyrenäen waren teilweise über 3000 Meter hoch. Die maximale Flughöhe unseres Tragschraubers lag nur wenig darüber. Würde es reichen?

Würde die Technik zuverlässig funktionieren unter solchen Bedingungen? Wie würden wir mit den zahlreichen Flugverbotszonen in Frankreich zurechtkommen? Wir hatten schon häufiger von hohen Geldbußen und Haftstrafen für Flugvergehen in Frankreich gehört. Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, bis ich wieder einschlief.

Bevor unser Wecker geklingelt hatte, waren wir um 06:30 Uhr hellwach. Wir sprangen aus dem Bett. Gegen 08:00 Uhr würde jemand den Hangar für uns öffnen, so war es vereinbart. Monatelange Vorbereitungen gipfelten in diesem Moment. Dann würden wir den Tragschrauber aufs Vorfeld ziehen und alles Erforderliche für die Segnung unserer Reise durch Pfarrer Schippers um 08:30 Uhr vorbereiten.

Unser evangelischer Pfarrer zog sich seine Soutane über und begann pünktlich mit der Andacht. Er sprach einige Gebete und erteilte Melanie und mir schließlich den Segen für den Jakobsweg und alle kommenden Reisen mit dem Tragschrauber. Er erläuterte, dass das Pilgern durchaus auch eine evangelische Tradition sei. Es gäbe sogar einen Luther-Pilgerweg im Osten Deutschlands.

Nach einem abschließenden gemeinsamen Vaterunser drückte er Melanie und mich herzlich und wünschte uns alles Gute für unser Weltflug-Abenteuer.

Erst gegen 15:00 Uhr löste sich der Nebel auf und Melanie und ich bereiteten unseren Start vor. Der Flugplatz in Valenciennes schloss um 18:30 Uhr. Wir mussten jetzt los, wenn wir noch rechtzeitig dort landen wollten.

Ich ließ den Motor warm laufen, meldete mich beim Tower am Flugplatz in Aachen-Merzbrück an und wir rollten zum Startpunkt der Piste. Ich beschleunigte den Prerotator. Langsam begann sich der Rotor auf die für den Start erforderlichen 200 Umdrehungen vorzudrehen. Dann entkoppelte ich den Rotor vom Motor, löste die Bremse, zog den Steuerknüppel zurück und schob gleichzeitig den Gashebel ganz nach vorn. Ab jetzt würde der Rotor nur noch vom Fahrtwind angetrieben. Der Tragschrauber beschleunigte auf der Asphaltpiste. Die Fahrbahnmarkierung flitzte unter uns durch. Bei 80 Stundenkilometern hob sich erst die Nase des Tragschraubers. Dann hoben wir ab und beschleunigten weiter. Die Landebahn entschwand unter uns. Wir flogen über ein Feld in Richtung Autobahn und stiegen rasch weiter. Links von uns kamen Masten einer Hochspannungsleitung. Sie wirkten wie ein Zaun. Da mussten wir vorbei, dann konnte das Abenteuer beginnen.

Über Funk verabschiedete ich mich beim Tower und bedankte mich für die Unterstützung in den vergangenen Tagen. Der Tower funkte etwas ungläubig zurück, ob wir denn nun wirklich losfliegen wollten?

Die Begleitmannschaft mit Karl-Heinz, Iris, Andy und Robert war mit den beiden Wohnmobilen kurz nach 14:00 Uhr aufgebrochen. Es gab nichts, womit sie den Piloten beim Start hätten helfen können. Ohnedies war zu erwarten, dass Melanie und Andreas vor ihnen am Zielort in Valenciennes sein würden.

Beim Abschied hatten alle Beteiligten sehr gemischte Gefühle gehabt. Keiner wusste so recht, was ihn auf der Reise erwarten würde. Die Begleitmannschaft nahm die Autobahn in Richtung Liège/Brüssel. Sie ließ Brüssel rechts liegen und fuhr weiter in Richtung Amiens. Sie erreichte schließlich gegen 17:30 Uhr den Flugplatz von Valenciennes. Aber Melanie und Andreas waren nicht da! Iris rief die Mobilnummern der beiden an. Es meldete sich jeweils nur die Mailbox. Wo steckten die zwei nur?

Das Team stellte die Wohnmobile auf den angrenzenden umzäunten Parkplatz des Flugplatzes und ging in die Empfangshalle. Ein rundlicher Mittfünfziger mit schütterem Haar sah sie fragend an, als sie zu viert eintraten. Der Mann sprach ein wenig Englisch und Robert erklärte ihm, dass ein Tragschrauber auf dem Weg zum Flugplatz wäre und sie auf diesen warten wollten.

Der Mann vom Flugplatz wies Robert darauf hin, dass der Platz in spätestens einer Stunde schließen würde und es dann nicht mehr gestattet sei, zu landen. Auf die Frage, wo sie denn das Flugzeug abstellen könnten, falls sie noch pünktlich kämen, wies der Mann ihnen nicht unfreundlich den Platz neben dem Tower auf dem Vorfeld zu.

»Nein«, sagte er, »Platz im Hangar haben wir leider derzeit keinen. Es ist außerdem auch schon zu spät, die meisten Kollegen haben bereits Feierabend.«

Es war zwischenzeitlich 18:00 Uhr. Die vier horchten in den Himmel. Aber es gab kein entferntes Brummen, das den Tragschrauber ankündigen würde. Der Flugplatz wurde geschlossen. Nach und nach verließen die Flugplatzmitarbeiter das Gebäude. Der Parkplatz leerte sich. Das Restaurant nebenan schloss ebenfalls und schaltete die Beleuchtung aus.

18:30 Uhr: Stille. Immer noch kein Geräusch, keine Spur von einem kleinen weißen Tragschrauber. Die Bodencrew machte sich Sorgen: Melanie und Andreas hätten seit zwei Stunden da sein müssen. Irgendetwas stimmte nicht. Was war passiert? Die Handys waren immer noch nicht erreichbar. Aufgrund des bei der Flugüberwachung aufgegebenen Flugplanes hätten sie längst gelandet sein müssen. Wenn sie den Flugplan nicht geändert hatten, müssten sich die Rettungskräfte jetzt auf die Suche nach ihnen machen. Wenn das dann ein Missverständnis war, konnte es richtig teuer werden. Das Team machte sich nun ernsthaft Sorgen.

Wir erreichten gegen 19:00 Uhr die Nähe des Flugplatzes von Valenciennes. Auf meine zahlreichen Kontaktaufnahmen per Funk gab es keine Antwort. Offenbar war niemand mehr vor Ort. Ich überlegte, was wir tun sollten. Es blieb uns aber gar nichts anderes übrig, als hier und jetzt zu landen. Wir mussten runtergehen, auch wenn der Flugplatz eigentlich schon geschlossen hatte. Für einen anderen Flugplatz hätten wir nicht mehr genug Sprit gehabt.

Ich versuchte noch einige Male, per Funk Kontakt aufzunehmen, bekam jedoch wieder keine Antwort. Also machten wir einen tiefen Überflug über dem Flugplatz und entdeckten dabei auch das Team am Ende der Startbahn. Alle waren aufgesprungen und hüpften auf dem Vorfeld. Sie winkten wie verrückt.

»Wollen die uns davor warnen, auf dem geschlossenen Platz zu landen, oder freuen sie sich über unsere Ankunft?«, fragte ich Melanie. Ich meldete den Endanflug per Funk und ging auf der Graspiste zur Landung über. Schließlich setzten wir sicher auf der holprigen Piste auf und rollten bis zu den Flugplatzgebäuden. Melanie und ich waren beide sehr erleichtert, dass die erste Auslandsetappe unserer Reise glücklich zu Ende gegangen war.

Das Wetter in Valenciennes war sonnig und trocken, als wir gelandet waren. Wir parkten den Tragschrauber vor dem Flugplatzgebäude und zogen die orangefarbene Abdeckplane über die Kabine. Ich drehte den Tragschrauber gegen den Wind. Unser Zelt bauten wir zu zweit direkt daneben auf.

Der Abendhimmel bot einen herrlichen Sonnenuntergang. Der Anblick vermittelte den Eindruck grenzenloser Weite. Wenn so das Wetter der nächsten Tage werden würde, wäre es perfekt, dachte ich.

Nachdem die Sonne untergegangen war, war es sehr kalt geworden. Es dürften kaum mehr als 3–4 °C gewesen sein, als wir uns auf die Nacht vorbereiteten. Das Team hatte sich auf die zwei Wohnmobile aufgeteilt. Melanie und ich schliefen in unserem Zelt ein.

3

Gegen 23:30 Uhr wurden Melanie und ich von ohrenbetäubendem Lärm geweckt. Offenbar war ein Flugzeug gelandet und schien nun direkt vor unserem Zelt den einzig möglichen Parkplatz gefunden zu haben. Die Propeller erzeugten mächtig Wind, aber zum Glück in die Richtung vom Zelt weg.

Ich äugte aus dem Zelteingang und konnte auf dem zwischenzeitlich hell erleuchteten Flugplatzvorfeld vor uns die dröhnenden Propeller einer Transall-Transportmaschine sehen. Verschiedene Servicefahrzeuge pendelten emsig zwischen Flugplatzgebäuden und dem Flugzeug hin und her. Wo waren nur all die Leute auf einmal hergekommen? Vor noch nicht einmal einer Stunde war der Flugplatz vollkommen verwaist gewesen. Das Flugzeug wurde bei laufenden Motoren umgeladen und betankt. Die Motoren springen wohl nicht mehr an, wenn die erst einmal ausgeschaltet sind, dachte ich sarkastisch.

Uns klingelten schon die Ohren vom Lärm, als das Flugzeug nach ungefähr einer halben Stunde plötzlich drehte, wieder zurück zur Piste rollte und donnernd mit Vollgas abhob. Das war genug Unterhaltungsprogramm für diese Nacht, dachten wir, und schliefen wieder ein.

Um 24:00 Uhr wurden wir wieder wach. Hatten wir zwischenzeitlich geschlafen? War das Flugzeug wieder gelandet? Wütend rüttelte Wind an unserem Zelt. Das Wetter schien sich zu ändern. Es kamen Sturmböen auf. Mir fiel ein, dass ich aufgrund des schönen Wetters während der Ankunft auf eine Sturmbespannung verzichtet hatte. Ich kroch daher aus dem Zelt, spannte die Seile der Sturmbespannung und vertäute im Schein meiner Taschenlampe das Zelt an zusätzlichen Erdnägeln. Todmüde schlüpfte ich zurück ins Zelt und wir schliefen wieder ein.

Gegen 01:00 Uhr wurden Melanie und ich von einem fremdartigen Geräusch halb wach. Schlaftrunken wie wir waren, hörte es sich an wie das dumpfe Trommeln afrikanischer Djembén aus der Ferne. Das Trommeln wurde heftiger. Als ich schließlich richtig wach wurde, bemerkte ich, dass es zu regnen begonnen hatte.

Dann goss es in Strömen. Wunderbar, dass es inzwischen Zelte gibt, die so schön dicht halten. Ich wollte gerade wieder einschlafen, als ich aufschreckte. Das Flugzeug! Plötzlich fiel mir siedend heiß ein, dass unser Tragschrauber ja auch draußen stand. Der hatte sich durch seine Dachluken und Türspalten leider als absolut nicht regendicht erwiesen. Es kam Hektik im Zelt auf, und wir quälten uns aus den Schlafsäcken und dem Zelt hinaus in das Unwetter der tiefschwarzen Nacht.

»Die Plane über der Tragschrauberkabine ist nicht wasserdicht. Wir müssen die Plastikfolie aus dem Wohnmobil von Iris und Karl-Heinz holen und darüberziehen!«, schrie Melanie in den Wind und verschwand durch den Regen in die Dunkelheit zum Wohnmobil ihrer Eltern. Völlig durchnässt kam sie mit der Folienrolle zurück. In Sturm und peitschendem Regen zogen Melanie und ich umständlich die Kunststofffolie über das Flugzeug. Oder besser gesagt, wir versuchten es. Jedes Mal, wenn wir die Folie am Tragschrauber befestigt hatten, riss sie der Wind wieder weg.

»Wir müssen die Folie komplett um den Flieger wickeln!«, schrie ich durch den Sturm.

»… Mehr ziehen, sonst haftet die Folie nicht …!«, schrie Melanie zurück.

Schließlich krochen wir triefend nass wieder in unser Zelt zurück. Trotz des laut prasselnden Regens waren wir gerade eingeschlafen, als wir wieder wach wurden. Dieses Mal hatten wir ein dumpf zupfendes Geräusch gehört, gefolgt von einem Rütteln an unserer Zeltwand. Vor dem Zelt stand unter einem Regenschirm Melanies Vater Karl-Heinz. Er hatte sich Sorgen gemacht und fragte sich, ob das Zelt bei dem Regen dicht hielt.

Gegen 02:00 Uhr wurden wir zum x-ten Mal wach. Wir hörten zunächst nur ein leises Summen. Schließlich wuchs das Summen zu einem ohrenbetäubenden Kreischen an. Es klang, als hätten sich vor unserem Zelt 20 Männer mit ihren Kreissägen versammelt. Erschrocken schälte ich mich wieder aus dem Schlafsack und öffnete den Reißverschluss des Zeltes. Was ich dort sah, ließ mir das Blut in den Adern stocken: zwei große, extrem helle Scheinwerfer direkt hinter dem Tragschrauber. Alles war in gleißend helles Licht getaucht. Ich konnte kaum etwas erkennen. Hinter dem Tragschrauber schien irgendwas Gigantisches zu stehen. Es wirkte wie ein Ufo, das dort gerade gelandet sein musste oder jetzt starten würde. Schließlich konnte ich vom Zelt aus erste Umrisse erkennen. Vielleicht zehn Meter hinter unserem kleinen Tragschrauber stand ein mindestens zwei Stockwerke hoher Düsenjet, der gerade seine Triebwerke anlaufen ließ.

Trotz Sturmbespannung geriet unser Zelt durch den von den Triebwerken erzeugten Wind in dramatische Seitenlage. Laut knatternd rüttelten Kunststofffolie und Schutzplane an unserem Tragschrauber. Sehen uns denn die Piloten nicht?, fragte ich mich verzweifelt. Ich betete, dass das Zelt nicht von den Triebwerken umgeworfen würde. Schließlich drehte der Düsenflieger bei und entfernte sich langsam in Richtung Piste. Wir waren hundemüde, standen aber noch so unter Strom, dass wir eine ganze Weile benötigten, bis wir schließlich im trommelnden Regen wieder einschlafen konnten.

4

Am nächsten Morgen war alles komplett durchweicht. Wir entschlossen uns dennoch, bereits um 07:00 Uhr das nasse Zelt abzubauen und einzupacken. Damit wollten wir uns unnötigen Ärger mit der Flugplatzleitung ersparen. Da wir am Vorabend nach der regulären Öffnungszeit des Flugplatzes gelandet waren, konnten wir natürlich auch nicht fragen, ob es erlaubt war, auf dem Gelände zu zelten. Und nach dieser Nacht sprachen einige Argumente dagegen.

Melanie und ich frühstückten und betankten das Flugzeug. Das Wetter schien sich gebessert zu haben. Die Wolken hingen zwar noch tief, aber zumindest regnete es nicht mehr. Wir beschlossen, dass wir heute die nächste Strecke angehen würden, mit dem Tagesziel Orléans.

Doch zunächst wollten wir uns im Flugplatzgebäude von Valenciennes nach den aktuellen Wetternachrichten erkundigen. Melanie kam mit einem Feuerwehrmann ins Gespräch. Der hochgewachsene Mann mit modischem Kurzhaarschnitt trug einen dunkelblauen Feuerwehranzug mit der Aufschrift »Sapeur-Pompier«. Er machte einen sympathischen und zufriedenen Eindruck.

»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?«, fragte er.

»Nein, danke«, erwiderte Melanie.

Ich schilderte dem Mann unser Vorhaben und bat ihn um die neuesten Wetternachrichten. Der Feuerwehrmann verschwand für einige Minuten und kam schließlich mit einem Internetausdruck der aktuellen Wetternachrichten zurück. Ich sah mir die Wetteranalyse an und war besorgt. Zu dem Feuerwehrmann sagte ich:

»Das sieht aber gar nicht gut aus. Die Wolkenuntergrenze liegt ja bei gerade einmal 300 Fuß Höhe, damit kommen wir nicht weit.« Der Feuerwehrmann zuckte mit den Achseln. Mit zuversichtlicher Miene meinte er jedoch:

»Das kann sich schnell ändern. Warten sie die nächste Wettermeldung in etwa 30 Minuten ab, vielleicht ist es dann besser.«

Wir saßen in den Sesseln des Eingangsbereichs und luden unsere Handys an den Steckdosen auf. Ein untersetzter Sechziger mit lichtem Haar kam auf uns zu und begrüßte uns herzlich. Er hatte mitbekommen, dass wir angekommen waren, und war sehr neugierig, mehr über unseren Tragschrauber und unsere Tour zu erfahren.

Schließlich begann der ältere Herr von sich zu erzählen: Er sei Gefängniswärter in der örtlichen Justizvollzugsanstalt gewesen. Er habe »seine« Gefangenen Porzellanfiguren bemalen lassen und diese erfolgreich verkauft. Zwischenzeitlich sei er pensioniert. Auf Melanies Frage nach seinem Kindheitstraum sagte er: Er habe immer mit einem Helikopter fliegen wollen. Das sei aber für seine finanziellen Verhältnisse zu teuer.

Er würde Melanie und mir aber gern erklären, wie er sich seinen Traum dennoch erfüllt habe. Wir sollten ihm doch folgen, fügte er mit geheimnisvoller Miene hinzu. Der Mann stürmte los und wir versuchten, mit ihm Schritt zu halten. Wir gingen in den hinteren Bereich der Flugzeughallen. Einige der Hangars waren offen. Dort standen gut erhaltene Flugzeuge aus den 1950er- und 1960er-Jahren.

Schließlich hielt er vor einem Hangar mit einem alten Hubschrauber.

»Sehen Sie!«, rief er. »Ich halte für einen reichen Mann diesen alten Hubschrauber instand.« Stolz erklärte er uns die Details des Hubschraubers und bestand darauf, dass Melanie und ich in der Kanzel Platz nahmen. Der Mann machte Fotos und freute sich über unser Interesse. Schließlich meinte er:

»Der Hubschrauber verbraucht 500 Liter Kerosin pro Betriebsstunde. Es gibt einen eigenen Tankwagen hierfür«, er deutete auf einen Transporter mit einem großen Fass im Laderaum. »Die Betriebsstunde kostet daher über € 1000. Da ich aber den Hubschrauber warte, muss ich auch Testflüge durchführen. Und das zum Glück nicht auf meine Kosten«, fügte er stolz grinsend hinzu.

Wir verabschiedeten uns und gingen wieder zum Flugplatzgebäude zurück. Als wir in den Empfangsbereich eintraten, kam der Feuerwehrmann mit einem Lächeln auf uns zu.

»Die Wolkenuntergrenze wird in ein bis zwei Stunden bereits bei fast 1000 Fuß liegen«, sagte er. Der Feuerwehrmann bot uns an, unseren Zielflugplatz bei Orléans anzurufen und gleich nach einem Einstellplatz im Hangar zu fragen. Wir freuten uns über die Hilfsbereitschaft und fragten ihn bei dieser Gelegenheit, was denn seine Kindheitsträume waren. Er überlegte kurz, nickte dann und zeigte auf die Aufschrift an seinem Anzug. »Feuerwehrmann, ich wollte schon immer Feuerwehrmann werden«, antwortete er strahlend.

Melanie und ich stiegen in unseren Tragschrauber ein und begannen mit der Flugvorbereitung. Ich ließ den Motor warm laufen und bat um Startgenehmigung. Schließlich rollten wir zum Rollhalt der Piste und beschleunigten den Rotor. Ich gab Vollgas, löste die Bremse und nahm Fahrt auf. Wir stiegen erst sehr langsam, um noch weiter zu beschleunigen, und gingen dann in einer weiten Linkskurve auf Reisekurs. Unter uns zog die Stadt Valenciennes vorbei. Von oben sah alles immer so aufgeräumt und überschaubar aus. Alles in Spielzeuggröße. Die kleinen Autos schienen wie von Geisterhand gesteuert durch die Straßen zu fahren. Die Häuser hatten die Größe von Streichholzschachteln. Der Flug verlief heute sehr ruhig. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Der Himmel wirkte, als sei eine gigantische Herde von Schäfchenwolken aufgezogen, die langsam dicker wurden und sich träge vom Wind treiben ließen.

Als wir in die Nähe von unserem Zwischenziel Etrépagny kamen, versuchte Melanie, die Flugleitung anzufunken, doch es antwortete niemand. Schließlich schwenkte ich in die Platzrunde ein, als sich plötzlich doch noch eine Stimme auf Französisch meldete.

»In welcher Richtung fliegen Sie die Piste an?«, wollte die Stimme wissen. Sie schien allerdings nicht vom Tower zu kommen, sondern von einem anderen Piloten, der mit seinem Flächenflugzeug eine Durchstartübung machen wollte. Es dauerte einen Moment und wir sahen tatsächlich ein weißes Flugzeug auf den Flugplatz zufliegen. Melanie gab ihm die geplante Landerichtung durch. Der Pilot ließ uns zuerst landen und wartete in der Platzrunde kreisend auf seinen Moment.

Ich ging in den Endanflug über und landete auf einer Graspiste inmitten einer weitläufigen Hochebene. Die Landschaft erstreckte sich vom Platz aus in alle Richtungen endlos bis zum Horizont. Wir rollten auf der Grasbahn bis zu einer Blechhütte, die wohl so etwas wie der lokale Tower war. Nach dem Abstellen des Motors stiegen wir aus und gingen zur Hütte, um zu sehen, ob jemand vor Ort war. Aber das Gebäude war leer.

Melanie rief Iris an und meldete, dass wir sicher gelandet waren. Die beiden Wohnmobile waren noch ungefähr eine Stunde vom Platz entfernt. Daher legten wir uns auf die Wiese und genossen die Sonnenstrahlen, die nach dem schlechten Wetter der vergangenen Nacht die reinste Wohltat waren.

Verträumt blickte ich den emsig durch die Wiese fliegenden Hummeln nach. Was für Flugmanöver die beherrschen! Und tatsächlich: Mit spielerischer Leichtigkeit schienen die Hummeln in der Luft im rechten Winkel abbiegen zu können. Sie stiegen mal senkrecht in die Höhe, schienen jäh herunterzufallen, nur um exakt vor der anvisierten Blüte minutenlang brummend in der Luft stehen zu bleiben und sich am Blütennektar zu laben. Wie unglaublich plump ist dagegen doch unser eigenes Fliegen. Das beste und teuerste von Menschenhand entwickelte Flugzeug der Welt kann nicht annähernd solche Manöver fliegen wie diese kleinen Hummeln.

Zwischenzeitlich trafen die Wohnmobile ein. Ich betankte das Flugzeug. Schön, dass wir uns beim Fliegen immer abwechseln können, dachte ich, als Melanie zur zweiten Tagesetappe nach St. Denis de l’Hôtel in der Nähe von Orléans startete. Die Zahl der Himmelsschäfchen hatte nun deutlich zugenommen. Noch fanden alle ausreichend Platz, und die Sonne schien freundlich dazwischen. Das flache Land wurde von einer leicht hügeligen Landschaft abgelöst. Statt der städtischen Siedlungen sahen wir vermehrt verstreute Weiler. Immer öfter erspähten wir Schlösser. Die Felder waren durch dunkelgrüne Hecken oder kleine Steinmauern eingefasst. Nach etwa 90 Minuten Flugzeit erreichten wir St. Denis de l’Hôtel. Ich kündigte wie üblich per Funk unsere Landung an und erwartete schon gar keine Antwort mehr. Doch diesmal schien der Tower besetzt zu sein. Eine Frauenstimme antwortete mir zunächst auf Französisch und wechselte nach meiner ersten französischen Funkantwort in akzentfreies Englisch.

Der Tower informierte uns über die geöffnete Piste und die Windrichtung. Melanie setzte zur Landung an und wir staunten beim Aufsetzen über diesen Flugplatz: Er war einer der modernsten und bestausgestatteten Plätze, die wir bisher angesteuert hatten. Alles schien neu zu sein. Es gab eine ganze Reihe großer, neu gebauter Hallen. Piste und Rollwege waren tadellos geteert. Der Tower war noch keine fünf Jahre alt. Es gab sogar ein zentrales Abfertigungsgebäude mit Wartebereich, Sicherheitskontrollen und einer Kaffeelounge. Alles wirkte wie ein Großflughafen, nur eben im Liliputformat.

Nach der Landung rollten wir zu den Hallen. Dort kam ein freundlicher Mittvierziger, Philippe Pré, auf uns zu und stellte neugierig Fragen. Auf unsere Frage nach einem Hangarplatz öffnete er uns die Hallentore. Gemeinsam schoben wir den Tragschrauber in die Halle.

Auf diesem Flugplatz wurde Sicherheit offenkundig großgeschrieben. Alle Türen waren elektronisch gesichert und auf das Vorfeld kam man nur durch ein Drehkreuz, das sich über die Tastatureingabe einer Geheimzahl aktivieren ließ. Melanie und ich wurden von Philippe durch die Sicherheitsschleuse in das angrenzende Vereinsgebäude begleitet.

Schließlich beschlossen wir, in den Tower zu gehen, um bei der Flugleitung die Landegebühr zu bezahlen. Als wir in das Gebäude eintraten, öffnete sich geräuschlos eine Schiebetür. So musste es im Raumschiff Enterprise sein, wenn man die Kommandobrücke betrat. Anders als bei Star Trek mussten Melanie und ich nun allerdings auf einer schmalen Treppe in die erste Etage steigen, um zum Captain des Flughafens zu gelangen.

Melanie klopfte an die offene Bürotür und sah Monsieur Philippe Clément, den Chef des Flugplatzes, über seinen Schreibtisch gebeugt. Er lugte kurz über den Brillenrand und richtete sich in seinem Sessel auf. Als wir ihn begrüßten, rückte er seine verschmutzte Brille zurecht und antwortete mit knapp bemessener Freundlichkeit, die keinen Zweifel an seinem Arbeitspensum aufkommen ließ. Überall an der Wand hingen Luftbilder des Flugplatzes und Pläne zu den geplanten Erweiterungsstufen.

Ich fragte ihn nach seinen Kindheitsträumen. Nach kurzem Überlegen antwortete der Chef des Flugplatzes:

»Kindheitsträume? Ich habe nie Kindheitsträume gehabt. Ich lebe von Tag zu Tag. Träume habe ich schon«, sagte er, »aber mehr im Sinne von Plänen.«

Der voluminöse Chef deutete auf die Erweiterungen seines Flugplatzes. Dieser Mann lebte im und für seinen Flugplatz. Seine Frau kümmerte sich um die Finanzen. In Kürze sollte eine erweiterte Startbahn gebaut werden. Dann könnten dort auch Jumbos landen.

»Die Gemeinde verdient sehr viel Geld mit dem Flugplatz«, fügte er hinzu. Warum, verstanden wir sofort, als wir erfuhren, wie hoch die Gebühren für Landung, Hangar und den zum Flugplatz gehörenden Campingplatz sein würden. Das war bisher einsamer Rekord.

Wir bezahlten, gingen zurück ins Vereinsgebäude und plauderten mit den dort versammelten Männern. Als wir zum Campingplatz gehen wollten, sagte man uns, dass es dort keine Warteräume gäbe. Wir sollten doch lieber im Vereinsheim auf das Eintreffen der Wohnmobile warten.

Wir warteten noch weitere zehn Minuten, wollten dann aber wirklich zum Campingplatz aufbrechen. Wieder drängte man uns zum Bleiben. Man sagte uns, es wäre doch draußen kalt und es gäbe auf dem Campingplatz kein Restaurant oder dergleichen.

Es gruppierten sich immer mehr Männer um uns herum. Die Situation kam uns zunehmend unheimlich vor. Irgendetwas schien hier vor sich zu gehen. Alle schienen darüber Bescheid zu wissen. Nur wir nicht. Warum durften wir nicht zum Campingplatz? Warum standen jetzt alle um uns herum? Melanie rief Iris auf dem Mobiltelefon an. Aber die Wohnmobile waren noch gut eine Stunde von uns entfernt. Wir tauschten fragende Blicke aus und gingen langsam und unauffällig zu unserer auf dem Tisch liegenden Ausrüstung.

Für das Boden- und Filmteam war es gar nicht so einfach, die großen Wohnmobile durch die engen Gassen der französischen Dörfer zu manövrieren. Sie hatten bereits über sieben Stunden Autofahrt hinter sich gebracht. Gegen 11:00 Uhr waren sie am Morgen von Valenciennes aufgebrochen. Bei Amiens hatten sie Rast gemacht. In der alten Pilgerstadt am Jakobsweg soll der Überlieferung nach der heilige St. Martin im Winter von 338 n. Chr. seinen Mantel mit einem Bettler geteilt haben. Fast 1000 Jahre später wurde hier das größte Sakralgebäude Frankreichs erbaut, die Kathedrale von Amiens. Das Team fuhr mit den beiden Wohnmobilen weiter Richtung Paris und war gerade an der Stadt Orléans vorbeigefahren, als Melanie auf dem Handy anrief. Was sie berichtete, klang irgendwie seltsam. Die beiden waren eingekreist von Männern, die sie nicht zum Campingplatz gehen lassen wollten? Was ging denn da vor sich?

Es kamen immer mehr Vereinsmitglieder zusammen. Jean Pinet, ein älterer eleganter Herr mit dünnem Oberlippenbart, schien der Grand Seigneur der Truppe zu sein. Er hatte die vornehme und zugleich coole Ausstrahlung eines David Niven im besten Alter. Monsieur Pinet verschwand kurz hinter dem Bartresen des Vereinsheims und holte eine Kiste mit Champagnerflaschen hervor. Schließlich begannen zwei Vereinsmitglieder, der Reihe nach Gläser auf dem Tresen aufzustellen und diese mit Champagner zu füllen.

Vielleicht feiert einer der Flieger heute seinen Geburtstag, dachte ich. Doch dann dämmerte es mir. Monsieur Pinet begann mit den Vereinsmitgliedern, auf unsere Ankunft anzustoßen. Man feierte tatsächlich die Ankunft unseres Tragschraubers. Das war also der Grund gewesen, warum man uns nicht gehen lassen wollte.

Melanie und ich stießen erleichtert und fröhlich mit den Vereinsmitgliedern an. Wir hatten außer Keksen den ganzen Tag nichts gegessen und waren nach mehreren Gläsern Champagner bereits in allerbester Stimmung, als das Team mit den Wohnmobilen sichtlich erledigt von der langen Autofahrt schließlich eintraf.

Nachdem sich jeder vom Team mit großem Hallo bei den versammelten Vereinsmitgliedern vorgestellt hatte, brachen wir gemeinsam zum Campingplatz auf. Karl-Heinz nutzte das trockene Wetter und warf den Grill an. Trotz der nur noch 5 °C saßen wir vergnügt bis spät in die Nacht zusammen und feierten.

5

Am nächsten Morgen schreckten wir gegen 05:00 Uhr von lautem Explosionskrachen auf. »Was war das?«, fragte Melanie. Es schien immer näher zu kommen. Wumm, Wumm, Wumm. Die Explosionen wurden lauter und folgten nun in immer kürzeren Abständen. Ich überlegte mir, was das nur sein könnte. Vielleicht ein Jäger? Aber warum ballerte er denn wie wild in der Gegend herum? Ich machte den Zelteingang auf. Dieses Mal hatten wir extra unser Zelt in sicherem Abstand zur Landepiste auf dem Campingplatz des Flugplatzes aufgeschlagen.

Im Zwielicht erkannte ich ein rotes Auto in der Ferne. Langsam fuhr es an der Piste entlang. Es sah aus, als werfe der Fahrer während der Fahrt Handgranaten aus dem offenen Autofenster in die Büsche.

Um die Vogelschwärme vom Flugplatz fernzuhalten, wurden hier offenbar jeden Morgen Knallkörper aus dem fahrenden Auto herausgeworfen. Die Vögel erschraken und blieben dem Flugplatz hoffentlich für eine Weile fern.

Ich hatte schon die dritte Telefonnummer gewählt, um irgendjemanden am Flugplatz unseres nächsten Bestimmungsortes, Châtelleraut, zu erreichen. Schließlich wählte ich noch eine vierte Nummer, die wir im Internet gefunden hatten, und hatte Silvio von Silvair am Apparat, einen Flugzeughändler mit Sitz am Flugplatz Châtelleraut Targé. Er bot uns via Telefon gleich einen Hangar und eine Campingmöglichkeit an.

Bei sonnigem Wetter starteten wir und genossen den Himmel über dem französischen Jakobsweg. Wir flogen entlang der Loire in Richtung der Innenstadt von Orléans, kreisten einige Male um die Turmkronen der Kathedrale und gingen schließlich auf Kurs Südwest.

Auf dem Flug nach Châtelleraut hatten wir den Eindruck, eine leichte Rundung der Erde am Verlauf des Horizontes erkennen zu können. Wenn man die gerade Instrumententafel als Lineal ansah und den dahinterliegenden Horizont anpeilte, war dieser eindeutig leicht gekrümmt.

Wir sahen, wie die Schatten der Wolken über die Felder wanderten. Es passierte uns immer wieder, dass wir plötzlich erschraken, wenn es um uns herum unvermittelt dunkel wurde. Wenn eine Wolke den Tragschrauber in Schatten tauchte, wirkte es, als schwebte über uns ein Raumschiff. Der Wind hatte erheblich zugenommen. In 1800 Fuß Höhe hatten wir fast 80 Stundenkilometer Gegenwind. Die angezeigte Luftgeschwindigkeit betrug 120 Stundenkilometer. Das bedeutete, dass wir nur mit ernüchternden 40 Stundenkilometern über Boden vorankamen. Ein frisiertes Mofa wäre heute schneller, dachte ich, als sich mit einem knackenden Geräusch die französische Flugsicherung per Funk meldete.

»Delta-Mike-Foxtrot-Whiskey-Tango, bitte nennen sie ihren Flugzeugtyp«, forderte eine Frauenstimme. Melanie und ich lachten. Wir kannten das Ritual bereits. Es war uns schon öfters passiert, dass sich die Flugsicherung unsere Reisegeschwindigkeit nicht recht erklären konnte.

»Sag doch einfach, wir sind ein Luftmoped«, schlug Melanie grinsend vor. Offenbar hinterließen wir mit unserem Tempo Einbrennspuren auf dem Radarbildschirm der Flugsicherung. Ich funkte zurück:

»Flugzeugtyp ist Tragschrauber.« Wahrscheinlich bogen die sich in der Flugsicherung jetzt vor Lachen über unser Tempo bei diesem Gegenwind.

Nach der Landung in Châtelleraut rollten wir zu den großen Hallen am Vorfeld und parkten neben einem schwarzen Privathubschrauber. Ein groß gewachsener drahtiger Mann mit Glatzkopf kam zu unserem Tragschrauber und stellte sich uns temperamentvoll vor. Es war Silvio, und nicht nur sein Name klang italienisch, er selbst war durch und durch Italiener. Er lebte seit Jahren in Frankreich und verdiente sein Geld mit dem Verkauf von italienischen Flugzeugen in Frankreich.

»Reich wird man davon ja nicht«, sagte Silvio. »Aber ich habe schon als Kind von Flugzeugen geträumt und lange nach einem Weg gesucht, Familie, Fliegen und Beruf in Einklang zu bringen.« Silvio half uns dabei, den Tragschrauber in den Hangar zu schieben.

Wenig später traf auch das Team ein, und wir bezogen unser Nachtlager direkt neben dem Hangar. Als wir unser Zelt aufbauten, gesellten sich immer mehr neugierige Piloten zu uns. Melanie erzählte von unserem Vorhaben und erwähnte, dass wir auf diese Weise den Jakobsweg und seine Kulturschätze dokumentieren wollten.

»Ihr müsst euch unbedingt die Église St. Jacques ansehen«, meinte einer der Piloten. »Kommt, ich bringe euch hin. Fahrt einfach meinem Auto nach.« Melanie und ich freuten uns über die Hilfsbereitschaft, und das gesamte Team fuhr ihm in die Innenstadt von Châtelleraut hinterher.

Ein Hauch von Geschichte war in dieser Stadt überall spürbar. Wir gingen zunächst einmal zur Tourismusinformation und erhielten dort unseren ersten offiziellen Jakobspilgerstempel. Vielleicht würden wir ja auch als fliegende Pilger eine Compostela erhalten, d. h. eine Urkunde, die uns die Beendigung des Jakobswegs bescheinigte.

Dann schlenderten wir weiter zur romanischen Kirche, die 2008 ihr tausendjähriges Jubiläum gefeiert hatte. Das Portal war von einer aus Holz geschnitzten Statue des heiligen Jakob bekrönt, das steinerne Tympanon über den Eingangstüren mit zahlreichen Jakobsmuscheln versehen.

6

Am nächsten Morgen war es bewölkt und die Wettervorhersage für heute sah Sichtweiten von mehr als acht Kilometer vor, das war akzeptabel. Wir waren früh im Hangar und machten die Checks am Flugzeug. Nachdem wir getankt und die Flugplatzgebühren abgerechnet hatten, flogen wir in Richtung St. Jean d’Angély.

Während des Fluges verschlechterte sich die Sicht. Es fing schließlich an zu regnen und wurde unangenehm nass, leider auch im Flugzeug. An den Türrahmen rann unaufhörlich Wasser herein. Durch die Dachluken tropfte es auf unsere Hosenbeine. Das Wasser sammelte sich im Fußraum. Melanie versuchte während des Fluges notdürftig, zumindest das an den Türritzen eindringende Wasser mit Putzlappen aufzusaugen.

Der Platz von St. Jean d’Angély war eine Graspiste auf einem Bergrücken inmitten von blühenden Rapsfeldern. Das Gelb des Rapses stand in starkem Kontrast zu den tiefdunklen Wolken am Himmel und schien dadurch nur noch intensiver zu leuchten. Wir landeten und rollten über die holprige Graspiste bis zum Hangar. Der Platz schien verwaist zu sein. Es hatte kurzzeitig aufgehört zu regnen. Wir zogen dennoch die Stretchfolie, die wir seit der ersten Regennacht nun stets dabeihatten, über die Türen und Fenster. Die Fußmatten hängten wir zum Abtropfen über die Seitenleitwerke.

Unterhalb des Platzes sahen wir im Tal ein kleines Dorf mit einer aus den Häusern herausragenden Kirche. Das musste wohl St. Jean d’Angély sein. Nach ungefähr einer Stunde erreichte uns auch das Team mit den Wohnmobilen. Ich tankte den Flieger auf und wir starteten zum Flug nach Bordeaux. Es begann wieder zu regnen. Das Wasser lief uns weiter auf die ohnehin schon nassen Hosen. Auch die Scheiben begannen, innen zu beschlagen. Ich wischte die Fenster frei und wir fuhren eine Anhöhe hoch zum Startpunkt. Als wir dort angelangt waren, meinte ich zu Melanie:

»Warte, ich muss erst noch einmal die Scheiben wischen.«

Melanie antwortete: »Das ist Nebel.«

»Wie, Nebel?«, fragte ich. Und tatsächlich. Die Scheiben waren nicht beschlagen. Es hatte sich draußen leichter Nebel gebildet, und die Sicht verschlechterte sich. Ich kuppelte den Rotorantrieb ein und begann mit dem Vorrotieren. Zunächst schien alles wie gewohnt zu funktionieren. Dann gab es bei etwa 100 Umdrehungen pro Minute plötzlich einen lauten Knall, und der Motor war aus. Stille. Wir sahen uns verblüfft an.

»Was war das denn?«, fragte Melanie.

»Vermutlich haben die Keilriemen für den Rotor blockiert, oder sie sind abgerissen«, antwortete ich. Ich stieg aus, um nachzusehen, was passiert war. Es war nichts zu erkennen. Ich konnte nur Vermutungen anstellen. Möglicherweise waren die gepuderten Keilriemen nass geworden, durch die Nässe verklebt und dann blockiert. Genau das sollte das Pudern eigentlich verhindern, was in trockenem Zustand auch gut funktionierte.

Die Riemen machten einen lockeren Eindruck. Vielleicht waren sie überdehnt worden. Jedenfalls schien unsere Reise für heute beendet zu sein. Wir rollten den Tragschrauber im Regen zurück zum Hangar und riefen Iris an. Das Team war inzwischen schon in der nächsten Stadt, ungefähr eine halbe Autostunde entfernt. Melanie bat das Team, umzudrehen und die Ersatzriemen mitzubringen.

Wir warteten und warteten. Warum brauchte das Team nur so lange, um wieder zurückzukehren? Sollten wir noch einmal versuchen zu starten? Vielleicht waren die Riemen ja doch nicht überdehnt. Am Hangar ließ ich den Motor an und kuppelte den Rotor ein. Jetzt funktionierte es prima.

Ich rief Iris an und informierte sie darüber, dass der Rotorantrieb beim erneuten Test einwandfrei funktionierte. Ich schlug vor, dass das Team weiter nach Bordeaux fahren sollte, wenn ich nicht innerhalb der nächsten 20 Minuten noch einmal anrufen würde. So lange würden wir für einen erneuten Start benötigen.

Wir rollten also mit dem Tragschrauber wieder den Berg zum Startpunkt der Piste hinauf. Es regnete jetzt heftig und das Wasser tropfte beharrlich in die Kabine. Die Sicht hatte sich weiterhin verschlechtert. Am Startpunkt angelangt, machten wir uns klar zum Vorrotieren. Ich wischte die beschlagenen Scheiben und stellte mit Schrecken fest, dass die Sicht nun für einen Streckenflug nicht mehr ausreichte.

Wir diskutierten die Alternativen. Plan A hieß: hierbleiben. Bei Regen, ohne Schutz, ohne Wasser, ohne Strom. Die Wohnmobile hätten außerhalb des Flugplatzes parken müssen. Der Platz war von einem Zaun umgeben und niemand war vor Ort, um das Tor aufzuschließen. Diese Alternative schien bei dem gegebenen Wetter nicht angenehm, aber vernünftig zu sein. Plan B sah vor, eine Platzrunde zu drehen und sich dann, wenn es die Sicht erlaubte, in Richtung Bordeaux voranzutasten.

Die Sicht wurde wieder etwas besser, und ich konnte jetzt zumindest die ungefähr drei Kilometer entfernten Strommasten erkennen. Eigentlich war für heute ja eine Sicht von mindestens acht Kilometer vom Wetterdienst vorhergesagt worden.

Die Tropfen platschten weiter auf die nassen Hosenbeine.

»So funktioniert auch eine ziemlich wirksame Foltermethode«, bemerkte ich trocken. Alles war nass bis auf die Unterhose. Ich seufzte. Das war wohl der Jakobsweg. Eine weitere Prüfung.

Wir entschlossen uns zu einem Platzrundenflug, um die Lage zu erkunden. Der Start verlief dieses Mal problemlos. Wir stiegen schnell und sahen, dass die Sicht doch nicht ganz so schlecht zu sein schien, wie befürchtet. Wir wollten es also wagen und drehten auf Reisekurs ein.

»Warum fliegst du denn im Kreis?«, fragte Melanie.