Inhaltsverzeichnis


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Eugenie Marlitt

Amtmanns Magd (Liebesroman)

Ein Klassiker der Frauenliteratur

e-artnow, 2015
Kontakt: info@e-artnow.org

ISBN 978-80-268-4106-7


6.

Inhaltsverzeichnis

Da machte er es nun wie tausend andere Egoisten auch. Nach den Anforderungen der Religion und vielleicht auch einer Art von allgemeiner schläfriger Menschenliebe sind sie geneigt, Almosen von dem Ihren zu geben – aber nur ja keine Berührung mit den Leuten selbst, denen geholfen werden soll! Sie machen einen weiten Bogen um die unangenehmen Verhältnisse, auf daß keiner der fremden Schicksalsfäden an ihren Kleidern hängen bleibe, und schieben die unbequeme Aufgabe sacht und beharrlich aus dem Wege, um – plötzlich mitten in die Situation hineinzuspringen, wenn ihre Eigenliebe ins Spiel gezogen wird. Oder war es nicht die aufgestachelte Eigenliebe, die ihn trieb, dem widerwärtigen Forstmann mit seinen menschenfreundlichen Absichten um jeden Preis zuvorzukommen? – Wäre er nicht am liebsten jetzt gleich, stehenden Fußes, nach dem bisher gemiedenen Vorwerk gegangen, um sich »dem alten Verschwender, dem Prahlhans, dem offenkundigen Spieler und Schlemmer« und den Seinen vorzustellen und sie alle zu bitten, doch ja um Gottes willen nichts Schlimmes von ihm zu denken? Nichts, als die liebe Eitelkeit und das Zorngefühl gegen den Grünrock, der so treu wie Gold sein sollte – hatte das Mädchen nicht so gesagt? – und sich doch nur auf den Opferungsvollen spielte, um dabei zu fischen, was er sich wünschte …

In ärgerlicher Hast wühlte er sich weit rascher als vorher durch das Unterholz und schritt bald auf einem der gebahnten, schmalen Wege, welche auf die nach dem Gute laufende Fahrstraße mündeten; und als er heraustrat, da sah er Frau Griebel von der Schneidemühle herkommen.

Sie trug auch ein Fischnetz am Arm. An dieser Stelle sah es nun freilich nicht so poetisch aus, wie es neulich der schlanken Prüden angestanden; auch zerrte sichtlich eine weit größere Last an den Maschen, als das schmale, für die Kranke bestimmte Fischlein getan.

»Ja, da kommen Sie mir nun ein wenig in die Quere, Herr Markus!« rief sie ihm in unverhehltem Verdruß entgegen. »Konnten Sie sich denn nicht noch ein bißchen im Walde aufhalten, bis ich glücklich zu Hause war und meine Forellen ausgeweidet hatte? – Nun müssen Sie warten und sich am gedeckten Tisch langweilen – ich kann Ihnen nicht helfen! – Na ja, gucken Sie nur her, gesehen haben Sie’s ja doch nun einmal – es gibt richtig Forellchen heute abend, die schönsten, die der Sägemüller in seinem Fischlasten hatte. Luischen hatte frische Butter geschlagen, und vor einer halben Stunde kamen sie an – neue Kartoffeln nämlich. Ein guter Freund von uns, der Schloßgärtner in Heinrichstal, wo mein Mann bis vor drei Jahren Verwalter war, hat mir aus alter Liebe und Freundschaft ein Gerichtchen für Sie abgelassen … Herr Markus, neue Kartöffelchen um die Zeit!« – Sie unterbrach sich plötzlich und blieb stehen.

»I was – da haben wir ja wieder einmal vornehmen Besuch an der Landstraße,« sagte sie grimmig und zeigte mit dem ausgestreckten Arm nach einer Gestalt, die, mit dem Rücken an den Stamm einer Buche gelehnt, quer über die Fahrgeleise hingestreckt lag. »‘s ist doch eine greuliche Zeit jetzt! Die betrunkenen Handwerkburschen liegen wie die Fliegen am Wege, und man muß sich nur immer in acht nehmen, daß man keinen tottritt. Das war früher nicht so! Und wenn Sie zehnmal selber ein Fabrikant sind, Herr Markus, ich sag’s doch – das Fabrikgetriebe macht’s und das ewige Kriegsgetute in die Welt ‘nein! Es müssen deshalb zu viele spazieren gehen, wenn sie auch nicht wollen, und da haben sie die scheußliche Lasterhaftigkeit an sich, sie wissen nicht wie! Und da wird nachher gegen die Verderbtheit gedonnert und zur Umkehr kommandiert – ach ja, mit sattem Magen spricht sich das gar leicht!«

Sie waren inzwischen dem am Boden Liegenden näher gekommen, und Herr Markus bog sich nieder und sah in das blasse Gesicht des Menschen, der mühsam die Lider von den erloschenen Augen hob, um einen scheuen, verstörten Blick auf die Sprechenden zu werfen.

»Aber der Mann ist ja gar nicht betrunken!« sagte Herr Markus und fühlte rasch der schlaff hingesunkenen Hand an den Puls.

»Meiner Treu, das seh’ ich jetzt auch! … Du lieber Gott, ich spreche von neuen Kartoffeln, und da verhungert einer! Ja, ja, wie ich immer sage, die Gottesgaben sind wunderlich verteilt in der Welt.«

Sie fuhr mit der Hand in die Tasche, brachte eine Semmel zum Vorschein und hielt sie dem Manne an den Mund. »Heda, guter Freund, beißen Sie einmal herzhaft da hinein – das wird Ihnen so gut tun, wie wenn man frisches Öl auf eine Lampe schüttet.«

Eine schwache Röte schoß abermals in die Wangen des Erschöpften, wie schon vorhin bei dem Wort »verhungert«, und seine Hand hob sich matt abwehrend.

»I, sperren Sie sich doch nicht wie eine Jungfer!« schalt Frau Griebel ärgerlich. »Ihnen sieht man den Hunger auf tausend Schritt an, und da wollen Sie einem wohl auch noch weismachen, Sie hätten womöglich Lampreten zu Mittag gespeist! … Essen Sie nur von der Semmel da; das hilft Ihnen einstweilen so weit auf die Beine, daß wir Sie nach Hause bringen können, und da hab’ ich noch vom Mittag eine schöne, kräftige Fleischsuppe stehen, und ein gutes Bett sollen Sie auch haben.«

»Versuchen Sie zu essen!« sagte Herr Markus mit freundlicher Bitte, und daraufhin nahm der Mann das Gebäck, und nun, mit dem ersten Bissen, war er nicht mehr Herr seiner selbst; er aß mit unbeschreiblicher Gier und schien alles um sich her zu vergessen.

Er war ein hübscher junger Mann mit einem voll und lang auf die Brust herabfallenden, rötlichblonden Bart. Seine Kleidung war abgetragen; aber man sah, daß er auf Sauberkeit halten mußte – für den neuen, schneeweißen Papierkragen am Halse hatte er vielleicht seine letzten Pfennige hingegeben.

»Ja, ja, wenn das manchmal so eine arme Frau zu Hause wüßte!« sagte Frau Griebel mit einem bezeichnenden Kopfneigen nach dem Essenden. »So einer Mutter ist manchmal kein Bett weich genug und kein Essen zu kräftig für ihren Jungen und nachher –«

Sie verstummte unwillkürlich; denn so hastig seine Schwäche es zuließ, griff der junge Mann nach seinem Hut, der ihm beim Niedersinken entfallen sein mußte, und drückte die breite Krempe tief in die Stirn, als wolle er sein Gesicht den Dastehenden entziehen.

»Na, junger Mann, das brauchen Sie nicht gleich krumm zu nehmen!« meinte Frau Griebel in ihrer unzerstörbar gleichmütigen Sprechweise. »Es hat schon mancher draußen bei anderen Leuten gefochten, oder mit hungrigem Magen im Straßengraben übernachtet, und ist nachher doch zu Hause ein gemachter Mann geworden. Das bleibt nicht an Ihnen kleben, wenn Sie sonst ein ordentlicher Mensch sind! … So, nun wollen wir einmal sehen, ob wir Sie auf die Beine bringen können!«

»Ich habe sechs Wochen lang im Krankenhaus gelegen,« murmelte er fast unverständlich, »und komme –«

»Ja, das sieht man Ihnen an, daß Sie krank gewesen sind,« unterbrach ihn die Frau, »und woher Sie kommen, und was Sie weiter vorhaben, das brauchen wir gar nicht zu wissen. Sie bleiben die Nacht auf dem Gute – ein bißchen Schlaf ist Ihnen so nötig wie das liebe Brot, und morgen wollen wir weiter sehen … Also, Mut, versuchen wir’s einmal!«

Sie faßte ihn kräftig unter den Arm, und auf der anderen Seite half Herr Markus, und es gelang – der junge Mann kam auf die Füße; aber er war doch noch zu schwach, um ohne Stütze gehen zu können. Völlig willenlos ließ er sich fortbringen; daß er sich aber seines erbarmungswürdigen Zustandes vollkommen bewußt war, das sah man an der stillen Verzweiflung, die sich in seinen Zügen malte.

Auf dem weiten Wiesenplan vor dem Gutshause war das Gras gemäht worden. Ganze Wolken süßen Heuduftes wirbelten in den Lüften, während zwei Mägde vom Gute die dörrenden Halmlasten mit dem Rechen auf kleine Haufen zusammenschoben.

Die Mädchen hielten mit offenem Munde inne, als die seltsame Gruppe daherkam, und Luise, das Pachterstöchterchen, das im Rosakleide und weißen Latzschürzchen unter der Hoftür stand und nach Mama und den Forellen ausschaute, flog erschrocken und so behende den Kommenden entgegen, daß die lang herabhängenden, flachsblonden Zöpfe auf ihrem Rücken tanzten.

»Mama, ist er verunglückt?« fragte sie mit stockendem Atem, und ihre hübschen blauen Augen tauchten in entsetzensvollem Mitleiden unter die breite Hutkrempe.

Das bärtige Gesicht des jungen Mannes errötete in Scham unter diesem Blick, und mit übermenschlicher Anstrengung versuchte er, sich strammer aufzurichten und allein weiterzugehen – ein vergebliches Bemühen!

Frau Griebel rief einer der gaffenden Mägde zu, ihren Platz an der Seite des hilflosen Fremden einzunehmen, damit sie selbst das Nötige im Hause zu seiner Aufnahme vorbereiten könne. Das Mädchen kam wohl auf einige Schritt herbei, aber sie murrte und entgegnete tückisch, es sei ihr noch von keiner Herrschaft zugemutet worden, die Bettelleute von der Straße aufzulesen und einen betrunkenen Handwerksburschen wie einen Prinzen nach Hause zu führen – sie habe frischgewaschene Kleider an und wolle sich nicht beschmutzen. Ein Aufstöhnen rang sich aus der Brust des Fremden.

Auf diese Laute hin streckte Luise sofort ihre runden, weißen Arme aus, um den Samariterdienst zu übernehmen.

»Geh nur weg, du Flederwisch!« wehrte Frau Griebel halb lachend, und doch mit einem zärtlich entzückten Blick auf die leichte, zierliche Gestalt ihrer Einzigen, die Hilfe ab. »Du wärst mir auch die Rechte mit deinen Puppenärmchen – ‘s ist gerade, wie wenn ein Rotschwänzchen dahergehüpft käme! – Flink, lauf ins Haus, rücke schnell den Suppentopf von heute mittag aufs Feuer und stecke das große Bett in der Soldatenkammer in frische Überzüge! … Und mit dir werde ich heute noch ein Wörtchen reden!« rief sie der störrischen Magd zu, die schon wieder nach ihrem Rechen griff. »Heute über vier Wochen hast du im Hirschwinkel nichts mehr zu suchen – daß du’s weißt!«

Nach einer halben Stunde lag der Erschöpfte in einem guten Bett. Durch das große, helle Fenster der sogenannten Soldatenkammer im Erdgeschoß guckte der grüne Birnbaum im Hofe herein; der Abendwind kam durch die Waldwipfel mit leisem Fächeln daher und hauchte das saubere Stübchen voll Kühle und Laubduft; die kollernden Truthühner waren zur Ruhe gebracht, und nur auf der Mauer, welche die beiden Höfe trennte, saß ein weißes Kätzchen und putzte sich.

Zum erstenmal hatte Herr Markus selbst die Schlüssel aus dem Wandschränkchen im Erkerzimmer genommen und war in den Weinkeller der seligen Frau Oberforstmeisterin hinabgestiegen, um eine Flasche von dem köstlichen alten, nur für die Armen und Bedürftigen angeschafften Krankenwein aus ihrer dunklen Ecke zu holen.

Der Kranke hatte gegessen und auch von dem Wein getrunken, – aber über seine Lippen war kein Wort gekommen, und je mehr ihm Nahrung und Stärkung die schon halb entflohenen Lebensgeister in das frischer kreisende Blut zurückriefen, desto verzweiflungsvoller sah er aus. Sein Blick hing sehnsüchtig am offenen Fenster, und der Gutsherr dachte im stillen, die erste selbständige Kraftäußerung dieses armen Menschen werde ein Sprung aus dem niederen Fenster sein, um auf Niewiedersehen zu verschwinden und die Erinnerung an ihn und sein Elend in den barmherzigen Seelen so schnell wie möglich zu verwischen.

Aber ein wenig später machte die erschöpfte Natur ihr Recht gebieterisch geltend – er fiel in einen tiefen Schlaf, und Herr Markus verließ das Stübchen, um das Gartenhäuschen aufzusuchen, in dem Frau Griebel das Abendbrot für ihn hergerichtet hatte. Er aß wenig und dachte grollend an das frischgebackene Schwarzbrot, das der Forstwächter heute auf seinem Tische hatte … Wie diese Leute doch treu und zärtlich füreinander sorgten, bei aller Armut! – Frau Griebel war eine brave Frau, eine wackere Seele, und sie hatte das Herz auf dem rechten Flecke; aber die »Forellchen« und »Kartöffelchen« kosteten ihn doch sein gutes Geld – der alte Sägemüller hatte die Fische ganz gewiß nicht aus reiner Liebe für ihn gegeben, und der Herr Schloßgärtner ebensowenig seine Frühkartoffeln. –

Und um das Maß des Verdrusses voll zu machen, hantierten die zwei Mägde mit ihren Heurechen gerade jetzt draußen an der Gartenecke, nahezu unter dem Häuschen auf der Mauer und schnatterten unaufhörlich.

»Was du nur willst – ich schere mich viel drum, ob mir die Alte gekündigt hat oder nicht!« sagte die grobe Magd, welcher vorhin der Dienst aufgekündigt ward. »Wer seine Arbeit so kann, wie ich, der kriegt alle Tage eine andere Herrschaft –«

»Aber um die Zeit nicht,« fiel die andere ein. »In ganz Tillroda ist jetzt keine Stelle offen. Nachher kann dir’s auch gehen, daß du bei Leuten unterkriechen mußt, wie die auf dem Vorwerk – keinen Heller Lohn und die wahre Knechtsarbeit auf dem Felde.«

»Ach was – die jetzige hat’s doch so schlimm nicht! Der hilft der Forstwächter, wo er kann – die kann lachen! Und mit dem Lohn mag’s auch nicht so windig aussehen, wie die Leute sagen. Sie hat doch immer hübsche, knappe Lederstiefelchen an – so viel hab’ ich gesehen, wenn sie auch den Menschen immer auf zehn Schritt aus dem Wege geht und tut, als hätte unsereins Gift an sich.«

»Ja, eine Eingebildete ist sie!« bestätigte die andere. »Ich will nur sehen, wie die’s treibt, wenn sie erst einmal drüben im Grafenholz zu Hause ist! – Die hat Glück! So eine Hergelaufene setzt sich in das schöne, warme Nest!«

»Na, meinetwegen, was geht denn mich die ganze Sippschaft an, wenn ich aus dem Hirschwinkel fort bin!« murrte die Gestrafte ergrimmt und schleuderte einen Rechen voll Halme auf den nächsten Heuhaufen. »Mich ärgert nur das dumme Getue von der Alten! Bringt da den ersten besten Strolch, der am Wege liegt, angeschleppt, legt ihn wie ein Wickelkind ins Bett, und den besten Wein, der im Keller aufzutreiben ist, gießen sie ihm in die Biergurgel – das läßt sich der freilich gefallen! – Eine verrückte Gesellschaft auf dem Gute da! Unsereins wird angeschnurrt wie ein Hund, wenn einmal eine Tür offen bleibt – von wegen der Stehlerei – und da holen sie sich die Spitzbuben selber ins Haus! Ich lachte mich tot, wenn der morgen in seiner Tasche irgend was mitgehen hieße – das gönnte ich der Alten! Nicht zehn Taler nähm’ ich für den Spaß!«

Der Gutsherr schlug klirrend das Fenster zu, und die Lästermäuler duckten sich wie erschreckte Wachteln hinter die nächsten Heuhaufen und scharrten da so emsig die letzten Halme zusammen, als könnten sie vor lauter Arbeit kein Wort über die Lippen bringen.

Es war ein stiller, engumgrenzter Waldwinkel, der kleine Erdensteck da, und auch da litten sie nicht, daß der süße Frieden einmal ausruhend seine Flügel zusammenschlage – Neid und Bosheit nämlich, und so ziemlich alle dämonischen Regungen der Menschenseele, welche auf dem großen Welttheater ihr Spiel treiben.

11.

Inhaltsverzeichnis

Er schlug ohne weiteres den am Fichtengehölz hinlaufenden Weg ein. Seine Vorsätze, aus eigenem Antrieb das Vorwerk nicht wieder aufzusuchen, waren verweht wie die leichten Staubwölkchen, welche die dicke, heiße, träge dahinstreichende Nachmittagsluft von dem ausgedörrten Feldweg aufnahm und vor seinen Augen zerblies. – Er scheute sich auch nicht, nachdem er die linke Flanke des Gehöftes umschritten, vor den geschlossenen Torflügeln halt zu machen und in den Hof durch dieselben Bretterspalten zu sehen, vor welchen zwei Tage früher der Bettler gekauert, dem die Armut ein paar Zehrpfennige hingeworfen hatte.

Über dem weißgebleichten Pflaster des öden Hofes, das seit vielen Tagen kein fallender Regentropfen benetzt hatte, flimmerte die brütende Sonnenglut. Das Federvieh mochte sich von den glühenden Steinen in dunkle Stallecken zurückgezogen haben, und der angekettete Hund, der jenseits der Mauer bei den nahenden Schritten des Gutsherrn einen schwachen Kläffversuch gemacht, hatte es auch wieder aufgegeben, bei der Hitze zu lärmen. In dem Zimmer der alten Leute dagegen, die das alte feuchte Gemäuer des niederen Wohnhauses Tag und Nacht anfröstelte, schien der heiße Brodem willkommen zu sein – zwei Fenster standen weit offen. An dem einen saß lesend der Amtmann, und durch das andere sah Herr Markus die Kranke mit gefalteten Händen still in ihren Kissen liegen. Die beiden Alten waren allein; hinter den vorhanglosen Fenstern zur Rechten der geschlossenen Haustür rührte und regte sich nichts, und das Dachstubenfenster streifte der Blick des Suchenden nur flüchtig – es war ihm sehr gleichgültig, ob Fräulein Erzieherin hinter den Rosenstücken sitze oder nicht; er hatte nur einen Gedanken, nur den einen! Und der trieb ihn an, nun auch nach rechts das Gehöft zu umgehen und das Küchenfenster zu besichtigen. Aber auch hier war es still und einsam, wie im Garten, den er gleich darauf durchschritt, wie auf dem ganzen, zum Vorwerk gehörenden Gelände, das er über den Weißdorn hinweg übersehen konnte.

Er nagte zornig an der Unterlippe – sollte er wirklich nach dem Grafenholz gehen, um zu erfahren, daß er ein Narr sei, daß er demütigenderweise das Nachsehen habe? … Wenn sie das zu Hause gewußt hätten! – Das Triumphgeschrei seiner Bekannten, die er so oft mit ihrem »Liebesfieber« gehänselt, die Entrüstung seiner Stiefmutter, die eine Geheimratstochter war, das boshafte Gekicher der jungen Damen, denen gegenüber er oft genug den ganzen Übermut eines Unbesiegten geltend gemacht, er malte sich das alles in den lebhaftesten Farben; aber dabei durcheilte er immer hastiger sein eigenes Waldrevier und arbeitete sich schließlich durch das Gestrüpp nach dem Schlupfwinkel hinter der Buche, von welchem aus er das Forstwärterhaus beobachten konnte.

Er begriff, daß es stets wie eine Art Rettung des Leibes und der Seele empfunden werden müsse, das wüste, staubumwirbelte Gehöft am Fichtenhölzchen mit dem roten Hause da, wenn auch nur für Stunden, zu vertauschen. Wie ein schmucker, rotglänzender Würfel lag es da auf grüner Rasendecke, die kein sonnenversengtes Hälmchen entstellte, mitten im dunkelnden Buchengrün, hinter sich die himmelhohe, steile, quellenreiche Waldwand, die strotzendes Leben in rieselnden Wasseradern zu Tale schickte.

Heute hatte es sein Äußeres in etwas verändert; die Vogelkäfige mit ihren lärmenden Insassen hingen nicht am oberen Giebelfenster, und alle Fenster der Eckstube, welche der Forstwärter für die Kranke auf dem Vorwerk aufheben wollte, waren durch niedergelassene Rollvorhänge verdunkelt – eine tiefe Ruhe webte um das Haus, eine so behütete Stille, daß man hätte meinen können, die nervenleidende alte Dame sei bereits hierher übergesiedelt.

Jedenfalls lag die Wohnung unter festem Verschluß – es war niemand daheim, und deshalb verließ der Gutsherr nach kurzem Verweilen seinen Beobachtungsposten, um zurückzukehren – in diesem Augenblick machte ein plötzliches schallendes Gelächter seinen Fuß stocken. Es kam von der Hausecke mit den verhüllten Fenstern her – ein anhaltendes, tolles, ausgelassenes Lachen, das, in die tiefe Waldruhe hineinklingend, roh und verletzend das Ohr berührte. – Darauf folgte erregtes Stimmengemurmel, und der eine Rollvorhang flog ein wenig auf, als bewege ihn ein unruhiges Treiben im Inneren der Stube … Der Herr Forstwärter hatte Besuch, eine Gesellschaft guter Freunde, die es sich im kühlen Zimmer wohl sein ließen. Wie Herr Markus meinte, mochten da drüben in der traulichen Ecke Tabakqualm und Bierdunst die Luft erfüllen, und über dem Kartenspiel wurden die lachenerregenden Späße nicht vergessen.

Nun, es war ihm unmöglich, sich das Mädchen in einer solchen Umgebung zu denken – hier war sie nicht! Ihrem stolzen Blick gegenüber wagte sich gewiß kein solch rücksichtsloses Männerlachen hervor, und doch – gerade in diesem Augenblick wurde die Haustür geöffnet, und die Magd trat heraus.

Sie hatte einen irdenen Krug in der Hand und stieg die Stufen herab, die Arme lässig am Leibe niederhängend, mit gesenkten Augen und die Brauen schmerzhaft zusammengezogen – das Bild eines traurigen Insichgekehrtseins.

Der junge Mann hinter der Buche hatte in seiner Empörung auf sie zustürzen wollen; allein er blieb unwillkürlich stehen, als gehe von dieser still herabschreitenden Mädchengestalt ein Schein aus, der die herandrängende dunkle Leidenschaft abwehre … Sie schritt um die Hausecke nach der Quelle am Abhang, welche, in eine einfache Holzrinne gefaßt, ihr kristallhelles Wasser in einen Brunnentrog goß.

Herr Markus ging dem Mädchen nach, und als sie seine Schritte hinter sich hörte, wandte sie sich nach ihm um. Er war ihr bereits so nahe, daß er sehen konnte, wie sie sich verfärbte, wobei aber auch die Schmerzensfalte zwischen den Brauen so plötzlich verschwand, als sei sie weggewischt.

»Wollen Sie sich mit einem frischen Trunk erquicken?« fragte sie, den Krug auf ein Brett unter den rauschenden Wasserstrahl stellend. »Ich werde ein Trinkglas aus dem Hause holen –«

»In der Bibel steht: ›Und eilend ließ sie den Krug hernieder auf ihre Hand und gab ihm zu trinken‹,« versetzte er spöttisch, indem er ihr den Weg nach dem Hause vertrat. »Wenn Sie Rebekka sein wollen, dann müssen Sie sich auch bibelfest zeigen. Aber ich danke Ihnen, ich mag aus dem Kruge nicht trinken … Klares Brunnenwasser!« höhnte er. »Sollte es wirklich nur dieser ›frische Trunk‹ sein, den Sie auch da drüben in der Eckstube der lachenden Gesellschaft kredenzen?«

Sie erschrak heftig, das sah er mit grimmiger Schadenfreude. »Hört man den Lärm draußen?« fragte sie stockend.

»Ei, wundert Sie das – Ich sollte doch meinen, es wären recht ausgiebige Stimmen, die sich dort vergnügen! Ich hoffte schon, die Herren sollten nun auch ein fröhliches Trinklied anstimmen –«

»Sie irren sich,« warf sie mit erblaßten Lippen ein – ein feuchter Glanz verschleierte den Blick, der ihn unsicher streifte.

»Nun denn – ich irre mich! Es sind vielleicht Betbrüder, die dort in der Eckstube zusammenkommen – möglich ist’s ja!« – Er zuckte die Achseln. – »Was geht es im Grunde auch mich an? … Aber eins möchte ich Sie doch fragen: Weiß Ihre Herrschaft um diesen Ihren Verkehr im Forstwärterhause?«

Sie hob ängstlich abwehrend die Hände. »O nein, nein – die alten Leute haben keine Ahnung, und sie dürfen es auch nicht erfahren –«

»So – damit wollen Sie wohl auch mir ein Schloß vor den Mund legen?« fragte er an sich haltend, scheinbar gleichmütig.

»Ich muß Sie allerdings inständigst bitten, falls Sie noch einmal vor Ihrer Abreise auf das Vorwerk kommen sollten, nicht davon zu sprechen. – Ich bitte Sie, Herr –«

»Mein Gott, ja, wenn es denn durchaus sein muß! Ich kann auch schweigen, obschon ich mich sonst nicht zum Beschützer unlauterer Geheimnisse eigne –«

»Unlauter?!« – Sie trat von ihm weg, und er mußte sich fragen, ob dieses Mädchen, das mit einem einzigen Wort, einer einzigen Bewegung eine ganze Reihe aufgestürmter Empfindungen zum Ausdruck brachte, entweder eine vollendete Schauspielerin, oder eine durchaus reine, unter der Herrschaft hoher Bildung stehende Seele sei.

Er bejahte sich tieferbittert das erstere. War denn da ein Zweifel? War die übertriebene Zimperlichkeit, mit welcher sie neulich seinen Blick auf ihr verhülltes Gesicht abgewehrt, nicht die schnödeste Komödie gewesen, angesichts der Tatsache, daß sie hier vor den Augen der lärmenden Männer ohne die entstellende Hülle des »Scheuleders« und des plumpen, dicken Busentuches ungezwungen verkehrte? – Und nun hatte sie auch noch die Stirn, ihn mit sanfter, beweglicher Stimme um Verschwiegenheit zu bitten … Und dabei der bezwingende Liebreiz ihrer Erscheinung, dieses beseelte Gesicht unter dem dicken, nach dem Nacken zurückwogenden Dunkelhaar! Ihm war, als ringle sich eine buntschillernde Natter sanft schmeichelnd nach seinem Herzen, der er in Zorn und Schmerz den Kopf zertreten müsse.

»Ärgert Sie das häßliche Wort?« fragte er schneidend. »Nun denn, sagen wir ›interessant‹, das interessante Geheimnis! … Mit den alten Leuten werden Sie leichtes Spiel haben – sie kommen beide nicht über die Schwelle der Haustür und können Ihren Spuren nicht nachgehen; und ich – nun, ich habe Ihnen ja mein Wort gegeben, daß ich schweigen will – jawohl, schweigen, als wenn mir eine mörderische Hand die Kehle zuschnürte … Aber wie steht es mit Dame Blaustrumpf? Sie ist nicht an ihre Dachstube gefesselt und hat flinke Füße, wie ich mich gestern abend überzeugen durfte. Sie schwebt wie eine Fee und macht es möglich, urplötzlich wie ein Sommerwölkchen zu verschwinden, das der Wind in den Lüften zerbläst – so kann sie auch jeden Augenblick in ihrem grauen Spinnwebenschleier aus jeder beliebigen Waldecke hergeflattert kommen – was dann? –«

Ein kaum merkliches Lächeln schlüpfte um ihre Lippen; sie bog sich über den Brunnen und rückte das Brett mit dem überströmenden Krug aus dem Bereich der Rinne. »Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, daß ich gar nicht imstande bin, irgend etwas ohne ihr Mitwissen zu tun,« antwortete sie, ihrer augenblicklichen Beschäftigung zugewendet.

»Ja, das haben Sie gesagt,« bestätigte er. »Und es ist ja auch ganz natürlich, daß Ihr Fräulein ein solches Geheimnis begünstigt. Ist doch die Intrige das Lieblingsspiel dieser Damen; und kann es einmal nicht in herrschaftlichen Kreisen sein, nun, dann nimmt man auch mit einem niedrigeren vorlieb, lediglich aus Lust an der Sache … Ich kenne diese stille Maulwurfsarbeit im Schoße der Familie – ich kenne sie! … Natürlich arbeiten sie am liebsten für sich selbst. Sie scheinen nichts zu hören, nichts zu sehen, saugen aber förmlich mit allen Poren die großen und kleinen Familiengeheimnisse in sich ein. Man hört nicht, wie und wo sie den Fuß aufsetzen, aber sie setzen ihn auf, das steht fest, und erklimmen meisterhaft Staffel um Staffel, bis sie plötzlich obenauf sitzen, die Demütigen, die Übersehenen, und vor den Augen einer verratenen Braut, oder denen der Töchter eines verwitweten Vaters den Rahm abschöpfen. – Sollte die Kammerjungfer, die Vertraute der Erzieherin im Hause des Generals von Guseck, gar nichts davon zu erzählen wissen? –«

Das Mädchen stand noch halb abgewendet am Brunnen. Sie hatte einmal die Hände gehoben, um sie dann gefaltet wieder sinken zu lassen, und nun sah sie zurück, aber nicht mit dem erregten Blick des Verletztseins, den er an ihr kannte; es sprachen nur schmerzliches Erstaunen und schwerer Vorwurf aus den braunen Augen, die sie langsam zu ihm aufschlug, während sie gepreßt sagte: »Der verwitwete General von Guseck hatte einen erwachsenen Sohn und eine siebzehnjährige Tochter, die Braut war. Sie alle haben zu der Erzieherin der jüngeren Kinder vertrauend und hochachtungsvoll gestanden, als gehöre sie zu ihnen … Und ich weiß, daß die Erzieherin dieses Vertrauen nie, auch nicht mit dem leisesten selbstsüchtigen Gedanken mißbraucht hat. Ich weiß es am besten – ich will die Hand darauf ins Feuer legen –«

»Ei ja, das fehlte noch!« unterbrach er sie herb auflachend. »Die arme, hartgearbeitete Hand da auch noch ins Feuer legen für diese geborene Selbstsucht! … Sind Sie nicht mitgeschleppt worden in die Einöde, in Not und Mangel hinein, damit der Verwöhnten die Pflege und Bedienung nicht fehle? Die alte Frau auf dem Vorwerk sagt selbst, daß Sie zu der harten Feldarbeit nicht erzogen sind, und nun sind Sie gezwungen, sich diesen schweren Dienstleistungen zu unterziehen, weil Ihre vergötterte Dame sonst schwerlich – etwas zu essen haben würde.«

Sie schüttelte lebhaft den Kopf und biß sich mit den kleinen weißen Zähnen auf die Unterlippe. Es war, als kämpfte sie mit Gewalt eine Entgegnung nieder, während ihre Augen einen Augenblick in unbezwinglichem Humor aufleuchteten.

»Bemühen Sie sich nicht weiter,« wehrte er spöttisch jede Entgegnung ab. »Die Ehrenrettung gelingt Ihnen doch nicht – ich weiß das wirklich besser! – Haben diese Damen einmal vom berauschenden Becher des Reichtums gekostet, dann sind sie verloren und verdorben für das häusliche Leben. Sie träumen und denken dann nichts anderes mehr, als sich die Stellung inmitten des himmlischen Wohllebens für immer zu befestigen, und dazu soll und muß ihnen nun solch ein armer, unglücklicher, reicher Mann helfen, gleichviel ob er grauhaarig und altersmürrisch, oder jung und simpel ist, ob er überhaupt will oder nicht … Vielleicht wußten die im Hause des Herrn von Guseck das recht gut und waren auf ihrer Hut, wie ich ja auch lieber zeitlebens einsam bleiben, als eine ehemalige Erzieherin zur Herrin meines Hauses machen würde – lieber das erste beste Bauernkind vom Walde, wenn es nur die Ehrlichkeit auf dem Gesicht und die Wahrheit im Herzen hat!«

Er sah, wie ihr alles Blut aus den Wangen wich, aber sie erwiderte nichts mehr. Sie ergriff den Krug, um ihn von dem Brett zu heben und sich zu entfernen.

»Nun, gehen Sie wirklich wieder dort hinein?« – Er zeigte nach dem Forstwärterhaus. – »Hat denn das wüste Lärmen gar nichts Zurückschreckendes für Sie?«

Sie sah seitwärts, unter halbgesenkten Wimpern hervor, nach ihm hin. »Ich habe starke Nerven, fast wie ein derbes Bauernkind vom Walde, das ja vor dem Sonntagslärm in der Schenke auch nicht zurückschreckt,« entgegnete sie mit großer Schärfe. »In diesem Falle wird übrigens gar nicht gefragt, ob ich mich entsetze oder nicht – ich habe mich einfach dem ›Muß‹ zu fügen –«

»Damit wollen Sie sagen, daß Sie bereits durch Pflichten an das Haus gebunden sind,« fiel er tonlos ein. »Aber welcher Art diese Pflichten sind, darüber mögen sich die Leute ebenso den Kopf zerbrechen, wie über Fräulein Erzieherin, die wie ein Götterbild hinter geheimnisvollen Schleierwolken steckt.« – Sein Ton wurde spitz und satirisch. – »Mein Gott, ja, es mag schon lustig sein, die Welt an der Nase herumzuführen, sehr vergnüglich sogar, und ich verdenke Ihnen diesen Zeitvertreib keinen Augenblick. Die ansässigen Leute im Hirschwinkel freilich sind nicht so harmlos, wie ihr neuer Herr – sie lösen die Rätsel auf ihre Weise und finden kein entschuldigendes Wort für Amtmanns Magd, die zu allen Tageszeiten in das Waldhüterhaus geht – der Mann haust allein –«

Er verstummte. Es war ihm selbst peinlich, zu sehen, wie ihre Hand kraftlos vom Krughenkel niedersank, wie ihr das heiße Rot aufstieg bis unter das Haar an Stirn und Nacken. Den Blick schamvoll weggewendet, stand sie einen Augenblick unbeweglich, und zum erstenmal sah er die Umrisse ihres Profils, die daran schließende feine Linie des Halses so regungslos vor sich, wie ein auf dem dunklen Hintergrund des Buchengrüns festgehaltenes Bild.

Über die obere Halspartie lief ein Samtbändchen, wie ein dünner, mit dem Tuschpinsel ausgeführter, trennender Strich. Unwillkürlich kamen dem jungen Mann die Worte Fausts: »Wie sonderbar muß diesen schönen Hals – ein einzig rotes Schnürchen schmücken« – zu Sinne; und der herrliche Talgrund wandelte und verengte sich ihm zur düsteren Schlucht; das Waldhüterhaus mit seinen verhangenen Fenstern und dem wilden Treiben dahinter, von welchem das Mädchen in sichtlicher Angst wünschte, daß es draußen nicht gehört werden möge, sah plötzlich aus, als dürfe sich das Verbrechen hineinschleichen und drin herbergen … Und hierher ging sie, heimlich, Zeit und Muße dazu förmlich stehlend, wie magnetisch in einen unheimlichen Strudel hineingerissen. – Ein wilder Schmerz durchfuhr ihn bei der Befürchtung, daß sie bereits hinabgestürzt sein könne. Aber stand sie nicht da wie eine aus dem Nachtwandeln Aufgeschreckte, entsetzt, die flammenden Zeugen einer namenlosen Bestürzung auf dem Gesicht? – Vielleicht verscheuchte sie dieser eine bittere Augenblick für immer aus dem Grafenholz! – Er hoffte es, in unbeschreiblicher Spannung keinen Blick von ihr wendend; aber gerade jetzt sah sie wieder auf – eine finstere Entschlossenheit sprach aus ihren Zügen.

»Ich frage nichts nach den Lästerzungen,« sagte sie kurz und warf den Kopf auf.

»Auch nicht, wenn Ihnen ehrbare Leute ihre Tür verschließen?« rief er heftig. »Frau Griebel wehrt sich energisch gegen Ihre Übersiedlung in das Gutshaus, um ihrer unschuldigen Tochter willen!« fügte er in grausamer Deutlichkeit hinzu.

Das schien sie in das Herz zu treffen. In stummer Qual ballte sie die Hände und drückte sie gegen die Brust, und doch sagte sie gleich darauf gefaßt, mit großer Bestimmtheit: »Die Frau wird mir diese Härte später abbitten. Sie ist übrigens nicht die Gebietende auf dem Gute, die Entscheidung hängt von Ihnen ab, und Sie werden mir die Tür nicht verschließen –«

»So – meinen Sie?« unterbrach er sie mit zornigem Lächeln. »Wofür halten Sie mich denn?«

»Wofür ich Sie halte?« wiederholte sie und schlug die Augen langsam zu ihm auf. »Ich halte Sie für einen edlen Mann, für die Großmut selbst. Wenn Sie können, so vergessen Sie die bösen Worte, die ich Ihnen in meiner Verblendung zu sagen gewagt habe … Wie mußte ich mich schämen, als ich erfuhr, in welcher Absicht Sie auf das Vorwerk gekommen waren! Sie haben die alten Leute aus Not und Sorgen errettet! Sie sollten sehen, wie die arme Kranke neu auflebt, seit sie sich unter Ihrem Schutze weiß – schon dafür allein möchte ich Ihnen danken« – sie brach ab und streckte ihm fast schüchtern die Hand hin.

Aber sein verdüstertes Gesicht hellte sich nicht auf. »Lassen Sie das!« ließ er sie hart an und wies mit einer heftig schüttelnden Handbewegung ihre Rechte zurück. »Wofür danken denn Sie? – Ich frage, was geht es die Magd an, wenn ich mit meinem Pächter eine Vereinbarung treffe? Davon verstehen Sie nichts und sollten sich doch ja nicht hineinmischen.« – Groll und Verdruß preßten ihm hörbar die Kehle zusammen. – »Und Ihre Beschuldigungen halten Sie nur immerhin aufrecht! Ich bin nicht gut, ganz und gar nicht, und in diesem Augenblick am allerwenigsten – alles Böse ist lebendig in mir, alle Bosheit und Schadenfreude; wenn ich Ihnen einen Schmerz zufügen könnte, ich tät’ es mit Genuß –«

Das Mädchen streifte ihn mit einem scheuen Seitenblick – er sprach so laut und heftig.

»Und dann, bleiben Sie doch bei der Wahrheit!« fuhr er beherrschter, aber um so anzüglicher fort. »Für die alte Frau dünken Sie, und die verwöhnte Prinzessin in der Dachstube ist gemeint. – Ach ja, Sie denken, der erste Stock im Gutshause sei immerhin eine Entschädigung für die Guseckschen Räume, eine Art Erholungs-und Verschönerungsaufenthalt, in der dem Vogel die verschnittenen Flügel wieder wachsen sollen. Fräulein Erzieherin ist selbstverständlich wieder einmal die Hauptperson – wir werden wohl das Gutshaus feierlich bekränzen müssen, wenn sie einzieht.«

Sie sah niedergeschlagen aus und schüttelte den Kopf. »Die armen Erzieherinnen! In Ihren Augen täten sie jedenfalls besser, ihre Lehrbücher zuzuschlagen und für andere zu scheuern und zu waschen.« – Sie seufzte leise auf. »Nach Ihrer vorgefaßten Meinung ist Agnes Franz eine eitle, arbeitscheue Zierpuppe;« – ein schwermütiges Lächeln flog um ihren Mund, als er spöttisch eifrig mit einer ironischen Verbeugung bejahte – »aber wäre sie es auch je gewesen, die Ziererei hätte ihr vergehen müssen bei ihrer Heimkehr … Ich will ja nicht leugnen, daß sie anfangs nahe daran gewesen ist, die Flinte ins Korn zu werfen und ihren schweren Pflichten in voller Verzweiflung davonzulaufen. Bis ein zwanzigjähriger Mädchenkopf dem strengen Schicksal gegenüber mit sich selber fertig wird, dazu gehört viel, unaussprechlich viel. Aber sie hat sich ja doch hineingefunden.« – Einen Augenblick schwieg sie, als überwältige sie die Erinnerung an das Elend, in welches auch sie von fernher mitgekommen – dann atmete sie erleichtert auf. »Und nun wird ja alles gut! Die lieben, alten Leute sind wohl versorgt für ihren Lebensrest: nun kann sie getrost ihren Beruf wieder aufnehmen. Sie wird freilich so lange Ihre Gastfreundschaft annehmen müssen, als die Kranke ihre Pflege braucht –«

»Mein Gott, was kümmert mich das? Wir werden uns nicht in den Weg kommen. Ich reise in den nächsten Tagen ab. Mag sie doch so lange im Gutshaus bleiben, als sie Lust hat! … Aber Sie?! –«

»Ich?« Sie legte die Hände auf die Brust und sah vor sich nieder. Er war empört über den Anflug eines reizenden Lächelns, das ihr Antlitz unbeschreiblich verschönte – in diesem Augenblick zu lächeln! Sie war doch genau so leichtfertig und weltverdorben wie ihre Dame! – »Nun, ich werde auch bleiben,« sagte sie, ohne aufzublicken. »Wenn Sie das eine wollen, werden Sie das andere müssen.«

»Ei, was Sie da sagen! Darin irren Sie sich aber gründlich, denn ich werde nicht müssen, es sei denn« – er hielt inne und fixierte ihr Gesicht in atemloser Spannung – »es sei denn, daß Sie die Bedenken meiner braven Griebel beseitigen, indem Sie mir versprechen, das Haus dort von dieser Stunde an nicht mehr betreten zu wollen.«

»Nein – das kann ich nicht!« entgegnete sie ohne Zögern, ernst und bestimmt.

Er trat von ihr weg, die Augen voll Haß und Grimm. »So gehen Sie Ihres Weges – ich verliere kein Wort mehr!« rief er. »Nur eines sollen Sie noch wissen,« – er bog sich wieder hinüber und sagte verbissen: »Sie sollen erfahren, daß ich Sie vom Grund meines Herzens verachte.«

Sie fuhr empört auf. Einen Augenblick maßen sich diese beiden Menschen mit Zornesblicken; aber wenn er die Tränen, die ihr an den Wimpern zitterten, für Zeugen mädchenhafter Schwäche und Hilflosigkeit hielt, so irrte er sich. Sie wandte ihm plötzlich mit einer stolzen Wendung den Rücken und hob den Krug vom Brunnenbrett.

»Wissen Sie darauf gar nichts zu sagen?« rief er zürnend.

»Nichts! – Was liegt daran, ob Sie die arme Magd des Amtmanns verachten oder nicht! Sie will nur für ein paar Menschen da sein – für sie ist die Beachtung von seiten anderer nur eine Pein.«

Damit schritt sie vom Brunnen weg, direkt nach dem Forstwärterhaus.

»Grüßen Sie mir Ihre lustigen Freunde da drüben!« rief er ihr in beißendem Tone nach.

Die weiche Luft schien die Laute zu verwehen, noch ehe sie das Ohr des Mädchens erreichten. Nicht die geringste Bewegung verriet, daß sie seinen boshaften Zuruf gehört habe. Sie ging festen Schrittes weiter und war im nächsten Augenblick hinter der Hausecke verschwunden.

1.

Inhaltsverzeichnis

Freundschaft