Titelbild

François Rabelais

Gargantua

Pantagruel

Mit 29 Holzstichen von Gustave Doré

Aus dem Französischen übersetzt und

kommentiert von Wolf Steinsieck

Übersetzung der Verse und Nachwort

von Frank-Rutger Hausmann

Reclam

2013 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Die Holzstiche von Gustave Doré sind entnommen aus:

Rabelais, Œuvres, illustrations de Gustave Doré, 6 Bde., Paris:

Michel de l’Ormeraie, 1971, einem Nachdruck der Ausgabe von 1873

Umschlaggestaltung: Cornelia Feyll und Friedrich Forssman

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke

der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960239-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-010874-1

www.reclam.de

Inhaltsübersicht

Gargantua

Pantagruel

Anhang

Literaturhinweise

Abkürzungen

Kommentar

Nachbemerkung des Übersetzers

Nachwort

Hinweis zur E-Book-Ausgabe

[7] Das höchsterstaunliche Leben

des großen

Gargantua,

Vater des Pantagruel.

Verfasst von Alcofribas Nasier,

Abstraktor der Quintessenz.

Ein Buch voller Pantagruelismen.

Inhalt

Vorwort des Verfassers

Erstes Kapitel
Über die Herkunft und über das alte Geschlecht des Gargantua

Zweites Kapitel
Firlefanz mit Gegengift, gefunden in einem altehrwürdigen Denkmal

Drittes Kapitel
Wie Gargantua elf Monate im Mutterleib getragen wurde

Viertes Kapitel
Wie Gargamelle, als sie mit Gargantua schwanger war, eine Unmenge Kutteln aß

Fünftes Kapitel
Die Reden der Zecher

Sechstes Kapitel
Wie Gargantua auf höchst seltsame Art zur Welt kam

Siebtes Kapitel
Wie Gargantua seinen Namen erhielt, und wie er Wein schlürfte

Achtes Kapitel
Wie man Gargantua kleidete

Neuntes Kapitel
Kleidung und Farben Gargantuas

Zehntes Kapitel
Was die Farben Weiß und Blau bedeuten

Elftes Kapitel
Über die Jugendzeit Gargantuas

Zwölftes Kapitel
Über die künstlichen Pferde Gargantuas

Dreizehntes Kapitel
Wie Grandgousier anhand der Erfindung eines Arschwischs die außergewöhnliche Intelligenz Gargantuas erkannte

Vierzehntes Kapitel
Wie Gargantua von einem Sophisten in Latein unterrichtet wurde

Fünfzehntes Kapitel
Wie Gargantua anderen Erziehern anheimgegeben wurde

Sechzehntes Kapitel
Wie Gargantua nach Paris geschickt wurde, und von der riesengroßen Stute, die er ritt, und wie sie die Schmeißfliegen der Beauce vernichtete

Siebzehntes Kapitel
Wie Gargantua den Parisern den Willkommensgruß entbot, und wie er die großen Glocken aus der Kirche Notre-Dame wegnahm

Achtzehntes Kapitel
Wie Janotus von Bragmardo entsandt wurde, um von Gargantua die großen Glocken wiederzubekommen

Neunzehntes Kapitel
Die Ansprache, die Meister Janotus von Bragmardo vor Gargantua hielt, um die Glocken wiederzubekommen

Zwanzigstes Kapitel
Wie der Sophist sein Tuch davontrug, und wie es kam, dass er mit den anderen Magistern prozessierte

Einundzwanzigstes Kapitel
Gargantuas Studium nach der Methode seiner sophistischen Lehrer

Zweiundzwanzigstes Kapitel
Gargantuas Spiele

Dreiundzwanzigstes Kapitel
Wie Gargantua von Ponokrates derart erzogen wurde, dass er nicht eine einzige Stunde des Tages vertat

Vierundzwanzigstes Kapitel
Wie Gargantua seine Zeit verbrachte, wenn es regnete

Fünfundzwanzigstes Kapitel
Wie zwischen den Fladenbäckern von Lerné und den Leuten Gargantuas ein großer Streit entstand, der schwere Kriege nach sich zog

Sechsundzwanzigstes Kapitel
Wie die Einwohner von Lerné auf Geheiß ihres Königs Pikrocholos die Hirten Gargantuas überraschend angriffen

Siebenundzwanzigstes Kapitel
Wie ein Mönch von Seuilly den Weingarten der Abtei vor der Plünderung durch die Feinde bewahrte

Achtundzwanzigstes Kapitel
Wie Pikrocholos La Roche-Clermault im Sturm einnahm, und wie schwer Grandgousier sich tat, Krieg zu führen

Neunundzwanzigstes Kapitel
Der Inhalt des Briefes, den Grandgousier an Gargantua schrieb

Dreißigstes Kapitel
Wie Ulrich Gallet zu Pikrocholos gesandt wurde

Einunddreißigstes Kapitel
Die Rede von Gallet an Pikrocholos

Zweiunddreißigstes Kapitel
Wie Grandgousier um des Friedens willen die Fladen zurückgeben ließ

Dreiunddreißigstes Kapitel
Wie einige Hofmeister des Pikrocholos diesen durch voreiligen Ratschlag in allergrößte Gefahr brachten

Vierunddreißigstes Kapitel
Wie Gargantua Paris verließ, um seinem Land zu Hilfe zu eilen, und wie Gymnastes auf die Feinde traf

Fünfunddreißigstes Kapitel
Wie Gymnastes mit Geschick Hauptmann Tripet und andere Leute von Pikrocholos ums Leben brachte

Sechsunddreißigstes Kapitel
Wie Gargantua die Burg an der Vède-Furt zerstörte, und wie sie durch die Furt setzten

Siebenunddreißigstes Kapitel
Wie Gargantua die Kanonenkugeln aus den Haaren fielen, als er sich kämmte

Achtunddreißigstes Kapitel
Wie Gargantua sechs Pilger im Salat verspeiste

Neununddreißigstes Kapitel
Wie der Mönch von Gargantua festlich bewirtet wurde, und über die schönen Reden, die er während des Abendessens hielt

Vierzigstes Kapitel
Warum alle Welt die Mönche meidet, und warum einige eine größere Nase haben als andere

Einundvierzigstes Kapitel
Wie der Mönch Gargantua zum Schlafen brachte, und über sein Stunden- und Gebetbuch

Zweiundvierzigstes Kapitel
Wie der Mönch seinen Gefährten Mut zusprach, und wie er an einem Baum hing

Dreiundvierzigstes Kapitel
Wie Gargantua auf den Erkundungstrupp von Pikrocholos stieß, und wie der Mönch Hauptmann Tyravant tötete und dann von den Feinden vor Beginn der Schlacht gefangen genommen wurde

Vierundvierzigstes Kapitel
Wie der Mönch sich seiner Wachen entledigte, und wie der Trupp von Pikrocholos besiegt wurde

Fünfundvierzigstes Kapitel
Wie der Mönch die Pilger mitbrachte, und welch freundliche Worte Grandgousier ihnen sagte

Sechsundvierzigstes Kapitel
Wie großmütig Grandgousier den gefangenen Toucquedillon behandelte

Siebenundvierzigstes Kapitel
Wie Grandgousier seine Legionen zu den Fahnen rief, und wie Toucquedillon Hastiveau tötete und dann auf Befehl von Pikrocholos getötet wurde

Achtundvierzigstes Kapitel
Wie Gargantua Pikrocholos in der Festung La Roche-Clermault angriff und das Heer des besagten Pikrocholos besiegte

Neunundvierzigstes Kapitel
Wie Pikrocholos auf der Flucht das Unglück ereilte, und was Gargantua nach der Schlacht tat

Fünfzigstes Kapitel
Die Ansprache, die Gargantua an die Besiegten hielt

Einundfünfzigstes Kapitel
Wie die siegreichen Gargantisten nach der Schlacht belohnt wurden

Zweiundfünfzigstes Kapitel
Wie Gargantua für den Mönch die Abtei von Thélème bauen ließ

Dreiundfünfzigstes Kapitel
Wie die Abtei der Thelemiten gebaut und ausgestattet wurde

Vierundfünfzigstes Kapitel
Inschrift über dem Tor von Thélème

Fünfundfünfzigstes Kapitel
Wie das Haus der Thelemiten beschaffen war

Sechsundfünfzigstes Kapitel
Wie die Ordensbrüder und Ordensschwestern von Thélème gekleidet waren

Siebenundfünfzigstes Kapitel
Wie die Lebensweise der Thelemiten geregelt war

Achtundfünfzigstes Kapitel
Rätselprophezeiung

[15] An die Leser

O Leser, die ihr lest in diesem Buch,

lasst fahren alle eure Leidenschaften,

und wenn ihr’s lest, so sprecht mir keinen Fluch,

kein Übel bringt’s, noch macht es abgeschlafft.

Fürwahr, hier lernt ihr keine Meisterschaft,

es sei denn in des Lachens hoher Kunst,

denn andrer Stoff fand bei mir niemals Gunst,

da ich den Schmerz sah, der euch höhlt und narrt.

Von Lachen schreib’ man, nicht von Tränenbrunst,

denn Lachen ist der Menschen Eigenart.

[17] Vorwort des Verfassers

Erlauchte Zecher und ihr, teure Syphilitiker – denn euch und niemand sonst sind meine Schriften gewidmet –, in Platons Dialog Das Gastmahl sagt Alkibiades zum Lobe seines Lehrmeisters Sokrates, der unbestritten aller Weisen Oberhaupt ist, unter anderem, dass dieser den Silenen gleiche. Silene nannte man einst kleine Dosen, wie wir sie heutzutage in den Läden der Apotheker finden: von außen bemalt mit allerhand lustigen und reizenden Figuren, als da sind: Harpyien, Satyrn, gezäumte Gänschen, Hasen mit Hörnern, gesattelte Enten, fliegende Böcke, Hirsche, die in der Deichsel gehen, und manch andere aus der Phantasie gemachte Darstellungen, die die Leute zum Lachen bringen sollen, so wie Silen es tat, des guten Bacchus Erzieher. Aber in ihrem Inneren bewahrte man feine Spezereien auf wie Balsam, grauen Ambra, Amomum, Moschus, Zibet, Edelsteine und andere kostbare Dinge. So, sagt Alkibiades, sei Sokrates gewesen, denn, hättet ihr ihn gesehen und ihn nach seiner äußeren Erscheinung beurteilt, so hättet ihr keinen Pfifferling für ihn gegeben: so hässlich war er von Gestalt und so lächerlich in seinem Auftreten. Seine Nase war spitz, stierartig sein Blick, sein Gesicht war das eines Narren; sein Benehmen war einfältig, bäurisch seine Kleidung, Vermögen hatte er so gut wie keins, war ohne Glück bei den Frauen, untauglich für jedes Amt im Staate, immerzu lachend und immerfort bereit, einem jeden zuzutrinken, immerzu spottend und immer sein göttliches Wissen verbergend.

Aber hättet ihr diese Dose geöffnet, so hättet ihr darinnen eine himmlische und unschätzbare Spezerei gefunden: übermenschlichen Verstand, wunderbare Tugend, unüberwindlichen [18] Mut, eine Nüchternheit ohnegleichen, unumstößliche Zufriedenheit, unerschütterliche Zuversicht und eine unglaubliche Nichtachtung all der Dinge, nach denen Menschen sich nächtelang verzehren, um derentwillen sie laufen, arbeiten, zur See fahren und kämpfen.

Wozu dies Präludium, warum diese Zueignung, so werdet ihr fragen. Nun, weil ihr, meine wackeren Jünger und einige andere müßige Narren, vorschnell urteilt, wenn ihr die lustigen Titel einiger Bücher unserer Erfindung lest, als da sind Gargantua, Pantagruel, Saufbold, Die Würde der Hosenlätze, Speckerbsen mit Kommentar, und dann annehmt, es sei in ihnen nichts anderes enthalten als Spöttelei, Späße und lustige Lügenmärchen, da das Aushangschild, will sagen der Titel, als Hohn und Spott verstanden wird, ohne dass man dies auf seine Richtigkeit hin überprüft. Es geziemt sich nicht, mit solcher Leichtfertigkeit Menschenwerk zu beurteilen. Sagt ihr doch selber, die Kutte mache nicht den Mönch aus; denn mancher trägt ein Mönchsgewand und ist in seinem Innersten alles andere als ein Mönch; und mancher trägt einen spanischen Mantel und hat mit Spanien nicht das geringste zu tun.

Deshalb muss man das Buch aufschlagen und sorgsam abwägen, was hier ausgeführt ist. Und so werdet ihr erkennen, dass die darin enthaltene Spezerei von wahrlich anderem Wert ist, als die Dose es versprach, will sagen: die Dinge, von denen hier die Rede ist, sind bei weitem nicht so närrisch, wie der Titel des Buches vorgibt. Gesetzt den Fall, ihr fändet Dinge darin, die im buchstäblichen Sinne sehr lustig sind und dem Titel entsprächen, so dürft ihr euch nicht daran aufhalten, wie beim Gesang der Sirenen, sondern ihr müsst diese Stelle, von der ihr meint, dass sie vielleicht [19] nur aus Übermut geschrieben worden sei, in einem übertragenen Sinn auslegen.

Habt ihr jemals eine Flasche geköpft? Ja verdammt noch mal! dann erinnert euch doch daran, wie ihr euch dabei angestellt habt. Habt ihr jemals einen Hund beobachtet, der einen Markknochen findet? Platon sagt im zweiten Buch der Politeia, der Hund sei das philosophischste Tier der Welt. Wenn ihr es getan habt, so werdet ihr bemerkt haben, wie sorgsam er ihn hütet, mit welcher Inbrunst er ihn festhält, wie umsichtig er ihn anbeißt, ihn zerbricht und wie geschickt und emsig er ihn aussaugt. Wer bringt ihn dazu, dies so zu tun? Was erhofft er sich von diesem Eifer? Welchem Gut strebt er nach? Es geht ihm nur um ein bisschen Mark. Und in der Tat: dieses bisschen ist köstlicher als viele andere Speisen, zumal das Mark, wie Galen in Buch III De Facultatibus naturalibus und in Buch XI De usu partium corporis humani sagt, eine Nahrung ist, die die Natur als eine vollkommene erzeugt hat.

Es ziemt euch, nach des Hundes Vorbild klug zu sein, auf dass ihr diese wohlgenährten Bücher wittert, riecht und schätzt; dabei müsst ihr behende sein im Aufspüren und kühn im Zugriff; durch aufmerksames Lesen und gründliches Nachdenken brecht ihr dann den Knochen auf und saugt das Wesentliche, das Mark, heraus – also das, was ich unter diesen pythagoräischen Symbolen verstehe – in der sicheren Hoffnung, dass die Lektüre euch gewitzt und klug macht. Ihr findet hier einen gänzlich anderen Geschmack und eine sehr viel verborgenere Lehre, die euch großartige und ungeheuerliche Geheimnisse offenbaren wird, sowohl was unsere Religion angeht als auch die Lage des Staatswesens wie die der häuslichen Geschäfte.

Glaubt ihr denn allen Ernstes, Homer habe, als er die Ilias und [20] die Odyssee schrieb, jemals an die Allegorien gedacht, die Plutarch, Heraklides Pontikos, Eustathios und Phornutus ihm untergeschoben haben und die hernach Poliziano von ihnen gestohlen hat? Wenn ihr dies glaubt, so seid ihr meilenweit von meiner Meinung entfernt: ich bin überzeugt, dass Homer an jene so wenig dachte wie Ovid in seinen Metamorphosen an die heiligen Lehren des Evangeliums, auch wenn ein gewisser Bruder Lubin, ein richtiger Nassauer, justament dies zu beweisen versucht hat, und zwar für den Fall, dass er ebenso rappelköpfige Leute träfe, wie er selber einer war; denn wie das Sprichwort sagt, das richtige Deckelchen auf das richtige Töpfchen.

Wenn ihr es aber nicht glaubt, wie ist es zu erklären, dass ihr beim Durchlesen glauben wollt, dass meine Chroniken mit Allegorien befrachtet sind, obgleich ich bei der Niederschrift so wenig an dergleichen Dinge dachte wie ihr, die ihr vielleicht auch beim Trinken saßt, so wie ich. Denn um dieses herrliche Buch zu schreiben, habe ich nur die Zeit verwendet, die ich brauche, um mich zu regenerieren, damit meine ich die Zeit fürs Essen und Trinken. Das ist der rechte Augenblick, um solch anspruchsvolle Materie und Stoffe zu behandeln, so wie es Homer zu tun verstand, das Urbild aller Philologen, und desgleichen Ennius, Vater der lateinischen Dichter, wie Horaz bezeugt, wenngleich eine Missgestalt behauptet hat, seine Dichtung röche mehr nach Wein als nach Öl.

Dasselbe sagt solch ein Lump auch von meinen Büchern, aber ich scheiß ihm was! Ist denn der Duft des Weines nicht um ein Vielfaches lieblicher, freundlicher, verlockender, himmlischer und köstlicher als der des Öles? Und wenn man von mir sagte, ich hätte mehr für Wein als für Öl ausgegeben, so rechnete ich mir [21] dies ebenso zur Ehre an wie Demosthenes, von dem man allerdings das Gegenteil behauptete.

Mir bedeutet es wirklich nur Ehre und Ruhm, spricht man von mir als von einem lustigen Zechkumpan, der zu leben versteht. Als solcher bin ich allen guten Gesellschaften von Pantagruelisten herzlich willkommen.

Ein alter Griesgram warf Demosthenes vor, seine Reden stänken wie der Wischlappen eines grauslich verdreckten Ölkrämers. Daher legt alles, was ich tu und sage, aufs beste aus; verehrt dies käseförmige Hirn, das euch mit diesen schönen Gespinsten versorgt, und, sofern ihr könnt, nehmt mich immer von der rechten Seite.

Amüsiert euch, meine Lieben, und lest fröhlich, was jetzt kommt. Aber Moment noch, ihr Eselspimmel, auf dass euch der Schanker die Beine wegzieht, wenn ihr vergesst, zu gegebener Zeit auf meine Gesundheit zu trinken – dann aber gebe ich euch auf der Stelle Genugtuung.

[23] Erstes Kapitel

Über die Herkunft und über das alte Geschlecht des Gargantua

Ich verweise euch auf die große pantagruelinische Chronik, in der ihr euch über die Genealogie und über das alte Geschlecht des Gargantua kundig machen könnt. Dort werdet ihr des längeren darüber unterrichtet, wie die Riesen auf diese Welt kamen, und wie Gargantua, der Vater des Pantagruel, in direkter Linie von jenen abstammt. Lasst es euch nicht verdrießen, wenn ich momentan hiervon Abstand nehme, obwohl es sich ja so verhält, dass, je häufiger man diese Geschichten erzählt, desto größere Freude sie Ew. Herrlichkeiten bereiten. Denn bereits Platon – in Philebos und Gorgias – und auch Flaccus haben darauf hingewiesen, dass es Geschichten gibt, die umso köstlicher sind, je öfter man sie erzählt.

Wollte Gott, dass ein jeder seinen Stammbaum so genau kennte, von der Arche Noah an bis zum heutigen Tage. Ich glaube schon, dass heutzutage manch ein Kaiser, König, Herzog, Fürst und Papst auf dieser Erde von irgendwelchen Ablasskrämern und Kiepenkerlen, wie umgekehrt manch ein armer Teufel, Habenichts und Elender aus dem Blute und Geschlecht großer Könige und Kaiser abstammt, wenn man bedenkt, auf welch wundersame Weise Königtümer und Kaiserreiche

von den Assyrern auf die Meder,

von den Medern auf die Perser,

von den Persern auf die Mazedonier,

von den Mazedoniern auf die Römer,

von den Römern auf die Griechen,

von den Griechen auf die Franzosen

übergegangen sind.

[24] Um euch über mich, der ich zu euch spreche, aufzuklären, so glaube ich, dass ich von irgendeinem reichen König oder Fürsten vergangener Zeiten abstamme. Denn es ist schier unmöglich, jemanden zu finden, der versessener darauf ist, König und reich zu sein, als ich es bin, auf dass ich tüchtig tafeln kann, nicht zu arbeiten und mich nicht zu sorgen brauche, und meine Freunde und alle tugendhaften und gelehrten Leute reich ausstatten kann. Aber was das angeht, so tröste ich mich damit, dass ich das im Jenseits sein werde, ja selbst noch mehr, als ich es augenblicklich zu wünschen wage. Tröstet euch bei Missgeschick mit diesen und noch besseren Gedanken und, wenn möglich, tut einen frischen Trunk.

Kommen wir zu unserem Thema zurück: ich sage euch, nur dank einer göttlichen Fügung unseres Herrn ist uns die Herkunft und Genealogie des Gargantua lückenloser erhalten als andere – außer der des heiligen Messias. Hierüber zu sprechen steht mir jedoch nicht zu, außerdem sind die Teufel, will sagen die Verleumder und Heuchler, dagegen.

Nun, die Genealogie hat Jean Audeau auf einer Wiese gefunden, die er unweit des Gualeau-Bogens besaß, unterhalb der Olive in Richtung Narsay, und deren Gräben er gerade ausschlämmen ließ. Die Landarbeiter stießen mit ihren Hacken auf ein gewaltiges bronzenes Grab, dessen Ausmaße nicht festzustellen waren, da sie ein Ende desselben nicht finden konnten. Dieses reichte weit unter die Schleusen der Vienne hinaus.

Als sie das Grab an einer bestimmten Stelle öffneten, die durch einen Becher gekennzeichnet war, um den herum in etruskischen Buchstaben geschrieben stand: HIC BIBITUR, fanden sie neun Flaschen, die so angeordnet waren, wie man in der Gascogne die Kegel aufstellt. Unter der mittleren Flasche lag ein Büchlein; dick, [25] umfangreich, groß, grau, niedlich, klein, schimmelig, das stärker, aber nicht besser als Rosen roch.

Hierin wurde der fragliche Stammbaum gefunden, der, durchweg in Kanzleischriftlettern, nicht etwa auf Papier geschrieben war noch auf Pergament oder Wachs, sondern auf Ulmenrinde; diese waren aber vom hohen Alter so verwittert, dass man kaum drei Buchstaben hintereinander erkennen konnte.

Man rief mich herbei (obwohl ich dessen unwürdig bin), und bewaffnet mit einer Brille übte ich mich in der Kunst, unsichtbare Buchstaben zu lesen, so wie Aristoteles es lehrt; ich übertrug den Stammbaum, den ihr, wenn ihr pantagruelisiert, lesen könnt, will sagen, wenn ihr nach Lust und Laune zecht und dabei die haarsträubenden Abenteuer des Pantagruel lest. Am Schluss des Buches fand sich eine kleine Abhandlung mit dem Titel: Firlefanz mit Gegengift. Mäuse und Schaben oder andere arglistige Tiere (auf dass ich nicht lüge) hatten den Anfang angeknabbert; aus Ehrfurcht vor dem Altehrwürdigen habe ich den Rest wie nachstehend aufgeführt.

Zweites Kapitel

Firlefanz mit Gegengift, gefunden in einem altehrwürdigen Denkmal

(Ge)…kommen ist er nun, der Kimbernüberwinder,

(Qu)…er durch die Lüfte hin, aus Abscheu vor dem Tau.

(Als) … er erschienen ist, da füllt man die Zylinder

(Mit) … frischer Butter, die als Regenhosenstau

[26] Großmutter ganz und gar begoss, die arme Frau,

so dass mit lautem Schrei sie rief: »Ihr Herren, fangt ihn,

sein Bart ist durch und durch mit Mist verdreckt, die Sau,

wo nicht, so stellt ihm mindest eine Leiter hin.«

Und manche sagten gar, die Stiefel ihm zu lecken,

sei deutlich besser, als sich Ablass zu erstehen.

Doch unversehens kam ein Kerl von einem Gecken

aus jenem Loch, wo stets die besten Plötzen stehen,

und sprach: »Um Gottes willn, passt auf, halt, vorgesehen,

der glatte Aal hat in der Bude sein Versteck,

dort findet ihr, bei Licht betrachtet und besehen,

in seiner Chorpelzmütze einen dicken Fleck.«

Als es nun höchste Zeit zur Bibellesung war,

man leider nur die Hörner eines Kalbes fand.

»Mir ist«, sprach er, »in meiner Mitra sonderbar,

ganz kalt rings um den Kopf und eisstarr der Verstand.«

Man gab ihm warmen Rübenduft als Proviant,

er war’s zufrieden, sich am Ofen auszubreiten,

wofern man ein paar neue Bahren hergesandt,

für so viel böse Leute, die sich rasend streiten.

Es war die Rede auch wohl von Sankt Patricks Loch,

von Gibraltar und tausend andren Felsenrillen,

ob man sie denn nicht schließen könnte noch und noch,

dass sie verstummen müssten wie nach Hustenpillen.

Zumal sie alle sähen voller Widerwillen,

wie sie bei jedem Wind und Wetter offenstehen.

[27] Geläng es endlich, sie zu schließen, ganz im stillen,

so könnten sie getrost sofort als Geiseln gehen.

Auf diesen Ratschluss rupfte Herkules, der grade

aus Libyen herbeigekommen war, den Raben.

»Was ist denn hier los?« sagte Minos, »oh wie schade,

dass alle Welt sie, nur nicht mich, geladen haben.

Es wolln die Lust mir nehmen diese Bettelknaben,

dass weder Frösche ich zu liefern mich bequeme

noch Austern; nein, der Teufel soll sich an mir laben,

wenn ihre Kungelei’n ich mir zu Herzen nehme.«

Um sie zu bändigen, erschien Q. B., der Lahme,

mit Schutzgeleit der Brüder Lustig, jenen Staren,

ein Großzyklopenvetter, Sieber ist sein Name,

der schlachtete sie ab, so schneuzt euch nur, in Scharen!

Auf dieser Brache sucht man Ketzer und Bulgaren,

die ohne Schaden schwammen durch die Gerberbrühe,

vergebens. Lauft nur hin, schlagt Krach, trotzt den Gefahren,

ihr kriegt mehr Lohn als vor’ges Jahr für eure Mühe.

Es hat der Vogel Jupiters darauf beschlossen,

in naher Zukunft auf den schlimmsten Fall zu setzen,

doch als er sah, wie sie sich stritten, die Genossen,

da musst’ er fürchten, sein Imperium flög in Fetzen.

Des Empyreums Feuer wollt’ er höher schätzen

und es am Stamme rauben, dort am Bücklingsmarkt,

als heitre Luft den Massoreten auszusetzen,

wogegen allerorten Aufruhr jetzt erstarkt.

[28] Der Streit ward letztlich beigelegt mit scharfem Schwerte

trotz Ate, die da saß mit reiherschlankem Bein,

wo sie Penthesilea sah, die aufbegehrte,

ein altes Kräuterweib zu sein, tagaus, tagein.

Ein jeder schrie sie an: »Verdammtes Köhlerschwein,

hast du ein Recht zu sitzen hier in unsrer Mitten?

Du stahlst der Römer Bannertuch, du ganz allein,

das wir aus Pergament so gut zurechtgeschnitten.«

Wär’ Juno nicht gewesen unterm Himmelszelt,

die mit dem großen Uhu grade Vögel fing,

dann war es um ihr Leben schlecht bestellt,

dass nicht die Haut zerfetzt ihr von den Rippen hing.

Von diesem Happen sollte, schätzt es nicht gering,

zwei Eier der Proserpina sie wohl behalten,

doch falls sie dabei jemals in die Falle ging,

verschlösse man sie in des Weißdornberges Spalten.

Und sieben Monat’ später (zweiundzwanzig weg),

da trat an ihre Seite höflich und ganz leise,

der einst Karthago schleifte, welches Sakrileg,

und forderte sein Erbteil ein, und das war weise.

Zumindest sollten teilen sie in diesem Kreise

nach dem Gesetz, das gleichweis Niet und Nagel hält,

und von der Suppe lassen, dieser schönen Speise,

den Schuften etwas, die den Schuldschein ausgestellt.

Es kommt das Jahr, geprägt von einem Türkenbogen,

auch von fünf Spindeln und der Kochtopfböden drei,

[29] da wird ein schofler Königssteiß ganz überzogen

mit einem Mönchshabit aus einer Klausnerei.

Habt Mitleid! Wollt ihr wegen solcher Heuchelei

so viele Morgen Land umsonst verschlingen lassen?

Hört auf, hört auf! Lasst endlich diese Äfferei,

zieht euch zurück zum Bruder aller Schlangenrassen.

Ist dieses Jahr vorbei, wird herrschen »Der da ist«

in Frieden und in Eintracht mit der Freunde Schar.

Auf Erden kennt man nicht mehr Schimpf noch Schmach noch Zwist

und jeder gute Wille führt zum Ziel, fürwahr.

Die Freude, die dem Himmelsvolk versprochen war

vor Zeiten, wird in seiner Warte residieren.

Die müde Rosseherde, das ist absehbar,

wird dann als wahre Königszelter triumphieren.

Und diese Zeit der Taschenspielertricks wird währen,

so lange bis der Kriegsgott Mars in Ketten liegt.

Doch dann kommt eine Zeit, die andren umzukehren,

ergötzlich schön und lieblich süß und sehr vergnügt.

Nur Mut! Greift zu bei diesem Mahl, nehmt, was ihr kriegt,

denn das Gewesene kehrt niemals, niemals wieder,

um alles Gold der Erde nicht, es ist versiegt,

und jeder sehnt sich nach dem Einst, das war splendider.

Zum guten Schluss wird jener, der aus Wachs besteht,

wohl in des Stundenzeigers Haspe einquartiert,

[30] und keiner wird dann grüßen: »Vivat, Majestät!«

den Glöckner, der den dicken Kessel hält und rührt.

Wär jemand da, ein Schwert zu packen wohl versiert,

es wären alle schweren Sorgen ausgemerzt,

auch könnte man mit fester Schnur, ganz ungeniert,

in einen Sack die Narreteien einsperrn, ganz beherzt.

Drittes Kapitel

Wie Gargantua elf Monate im Mutterleib getragen wurde

Grandgousier war zu seiner Zeit ein kreuzfideler Bursche, der für sein Leben gern zechte und mit Vorliebe Gesalzenes aß. Deshalb verfügte er gewöhnlich über einen ordentlichen Vorrat an Mainzer und Bayonner Schinken, über eine Menge an geräucherten Ochsenzungen und, wenn es die Jahreszeit hierfür war, über Kaldaunenwürste, gepökeltes Ochsenfleisch mit Senf, Kaviar von Seebarben, über einen Vorrat an Bratwürsten, nicht etwa aus Bologna, denn er fürchtete die lombardischen Giftbrocken, sondern aus der Bigorre, aus Longaulnay, aus der Brenne und aus der Rouergue.

Als er das Mannesalter erreicht hatte, heiratete er Gargamelle, die Tochter des Königs der Schmetterlinge, ein hübsches Mädel mit heiterem Mondsgesicht. Häufig machten die beiden das Tier mit den zwei Rücken, rieben fröhlich ihre Schwarte aneinander, bis sie mit einem schönen Sohn schwanger wurde, den sie bis zum elften Monat trug.

Denn so lange, ja selbst länger, können Frauen schwanger sein, [31] vor allem dann, wenn es sich um eine herausragende Persönlichkeit handelt, oder um jemanden, der zu seiner Zeit große Heldentaten vollbringen wird.

Homer erzählt, dass das Kind, das die Nymphe von Neptun bekam, ein ganzes Jahr später geboren wurde, also im zwölften Monat. Denn (wie Aulus Gellius im III. Buch berichtet) diese lange Zeitspanne entsprach der Herrlichkeit Neptuns, auf dass das Kind in Vollkommenheit heranwachse. Aus ebendiesem Grund ließ Jupiter die Nacht, in der er mit Alkmene schlief, achtundvierzig Stunden dauern, denn in kürzerer Zeit hätte er den Herkules nicht schmieden können, der die Welt von Ungeheuern und Tyrannen säuberte. Die alten Herren Pantagruelisten haben bestätigt, was ich sage, und haben die Geburt eines Kindes im elften Monat nach dem Tod des Vaters nicht nur für wahrscheinlich, sondern auch für rechtmäßig erklärt: Hippokrates im Buch De alimento, Plinius in Buch VII, Kapitel 5, Plautus in Cistellaria, Marcus Varro in der Satire, die den Titel Das Testament trägt, worin er sich diesbezüglich auf die Autorität des Aristoteles beruft, Censorinus im Buch De die natali, Aristoteles in Buch VII, Kapitel 3 und 4, De natura animalium, Gellius in Buch III, Kapitel 16, Servius in Egl., worin er den Vers von Virgil zitiert:

Matri longe decem, etc. …

und tausend andere Verrückte, deren Zahl noch durch die Rechtsgelehrten vergrößert wird: Digesten: De suis et legit., l. Intestato, § fi. und in Autent., De restitut. et ea que parit in xj mense. Darüber hinaus haben sie ihr speckräuberisches Gesetz brillant verpackt: [32] Gallus, ff. De lib. et posthu. und l. septimo ff. De stat. homi. und einige andere, die ich im Moment nicht zu nennen wage.

Dank dieser Gesetze können die Witwen zwei Monate nach dem Tode ihres Mannes nach Herzenslust wieder anfangen, Arschbackenklemmen zu spielen, dabei ihre Liebesspiele wieder aufnehmen, konsequent setzen und volles Risiko gehen.

Ich bitte euch inständig, meine lieben Freunde, wenn ihr welche findet, die es wert sind, dass ihr euren Hosenlatz öffnet, steigt drauf und bringt sie mir. Denn wenn sie im dritten Monat schwanger sind, so wird der Nachkomme der Erbe des Verstorbenen sein, und ist die Schwangerschaft bekannt, dann können sie unverfroren weitermachen: und dann auf gut Glück, komme, was wolle, denn der Bauch ist ja schon rappelvoll.

So machte es auch Julia, die Tochter des Kaisers Augustus: sie ließ sich nur mit ihren Trommlern ein, wenn sie wusste, dass sie schwanger war, so wie ein Schiff, das seinen Steuermann nur dann aufnimmt, wenn es zuvor kalfatert und beladen ist. Und wenn irgendjemand sie tadelt, dass sie sich während der Schwangerschaft milzmösen lassen, während die Tiere, wenn sie tragend sind, kein Männchen an sich heranlassen, dann antworten sie, dass es sich ja nur um Tiere handele, sie aber Frauen seien, die sich gut darauf verstehen, die schönen und netten kleinen Rechte der Überschwängerung zu genießen. So antwortete einst Populia, wie Macrobius es in seinem Buch II der Saturnalien berichtet.

Wenn der Teufel aber nicht will, dass sie schwanger werden, dann muss man schon den Hahn zudrehen und ’s Maul halten.

[33] Viertes Kapitel

Wie Gargamelle, als sie mit Gargantua schwanger war, eine Unmenge Kutteln aß

Nunmehr erfahrt ihr, unter welchen Umständen und auf welche Art und Weise Gargamelle niederkam, und wenn ihr es nicht glaubt, dann soll euch der Dünnpfiff treffen!

Am Nachmittag des dritten Februar bekam sie Durchfall, weil sie zu viele Kutteln gegessen hatte. Kutteln sind fette Eingeweide von Mastochsen. Mastochsen sind Ochsen, die am Futtertrog und auf Grummetwiesen gemästet werden. Grummetwiesen sind Wiesen, die zweimal im Jahr Gras tragen. Von solchen fetten Ochsen hatten sie dreihundertsiebenundsechzigtausendundvierzehn schlachten lassen, um sie Fastnachtsdienstag einzusalzen; dann hätten sie im Frühjahr Pökelfleisch in rauhen Mengen und könnten so zu Beginn der Mahlzeiten eine gesalzene Vorspeise verputzen, um sich dann besser über den Wein herzumachen. Kutteln gab’s reichlich, wie ihr euch denken könnt, und so köstlich, dass jeder sich danach die Finger leckte. Die Oberteufelei an der Sache war nur, dass man sie nicht lange aufbewahren konnte, ohne dass sie schlecht wurden. Dies war einfach unannehmbar. Und so entschloss man sich, sie restlos zu vertilgen. Hierzu wurden alle Landmänner aus Cinais, Seuilly, La Roche-Clermault und aus Vaugaudry eingeladen, nicht zu vergessen die aus Coudray-Montpensier, aus Gué de Vède und andere Nachbarn, will sagen, allesamt Schluckspechte, prima Kumpel und bumsfidele Kegelschieber.

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Der gute Grandgousier hatte seine helle Freude daran und gebot, voll in die Schüsseln zu steigen. Seiner Frau jedoch riet er, [35] weniger zu essen, da die Zeit ihrer Niederkunft bevorstand, und diese Innereien nun nicht gerade eine sehr empfehlenswerte Nahrung seien. »Es muss schon einer große Lust haben, Scheiße zu kauen«, sagte er, »wenn er den dazugehörigen Sack frisst.« Trotz seiner Ermahnungen aß sie sechzehn Mud, zwei Kübel und sechs Töpfe. O welch herrliche fäkalische Materie musste da wohl in ihrem Bauche bullern!

Nach dem Essen gingen sie alle miteinander auf die Saulsaie-Weiden, und dort tanzten sie auf dem dichten Gras zum Klang der fröhlichen Schalmeien und der süßen Dudelsäcke so vergnügt, dass es ein himmlischer Zeitvertreib war, ihnen bei ihrer Kurzweil zuzusehen.

Fünftes Kapitel

Die Reden der Zecher

Dann entschlossen sie sich, am selben Ort eine kleine Vesper zu sich zu nehmen. Da kreisten die Flaschen, da machten Schinken die Runde, flogen die Becher und klangen die Kannen.

Sechstes Kapitel

Wie Gargantua auf höchst seltsame Art zur Welt kam

Während sie solch platte Trinksprüche klopften, fühlte sich Gargamelle unten immer schlechter. Grandgousier erhob sich aus dem Gras und sprach ihr liebevoll zu, denn er meinte, die Wehen hätten eingesetzt. So sagte er ihr, dass sie sich zur Ruhe im Gras der Saulsaie-Weide niedergelassen habe, um in Kürze zwei neue Füßchen zu bekommen. Nun solle sie wieder neuen Mut schöpfen für die Geburt ihres Kindchens, und obwohl der Schmerz ihr ein wenig zu schaffen mache, so sei dieser doch von kurzer Dauer. Die Freude, die darauf folge, werde ihr sicherlich alle Unannehmlichkeit vertreiben, so dass sie sich nicht einmal daran werde erinnern können.

»Ihr braucht nicht mehr Mut als ein kleines Schäfchen«, sagte er, »entledigt Euch erst einmal von diesem hier, dann machen wir schnell ein nächstes.«

[42] »Ha«, sagte sie, »ihr habt gut reden, ihr Männer. Sei’s drum, ich werde mich anstrengen, da es ja Euer Wunsch ist. Doch wollte Gott, man hätte ihn Euch abgeschnitten.«

»Was?« sagte Grandgousier.

»Ha, stellt Euch nicht dümmer, als Ihr seid«, sagte sie. »Ihr habt schon gut verstanden.«

»Meinen Fritz? Beim Ziegenblut! Wenn danach Euch der Sinn steht, dann lasst ein Messer kommen.«

»Ach«, sagte sie, »da sei Gott vor. Gott verzeihe mir. Ich hab es einfach nur so gesagt, hört nicht auf das, was ich sage. Aber ich habe heute noch viel auszustehen, Gott steh’ mir bei, und alles nur wegen Eurem Fritz und Eurem Vergnügen.«

»Nur Mut, nur Mut«, sagte er, »kümmert Euch nicht um den Rest und lasst die vier vorderen Ochsen ziehen. Ich geh noch einen trinken. Sollte Euch in der Zwischenzeit irgendetwas widerfahren, ich bin ganz in der Nähe; ruft laut in die Hände, und im Nu bin ich zur Stelle.«

Wenig später fing sie zu stöhnen an, zu wehklagen und zu schreien. Von allen Seiten eilten Unmengen an Hebammen herbei, die sie unten herum abtasteten; die fanden nur einige übelriechende Hautfetzen und dachten, dies sei das Kind. Ihr aber war nur der Hintern durchgegangen infolge der Erschlaffung des Rektums (das ihr auch den Mastdarm nennt), weil sie zu viele Kutteln gegessen hatte, wie wir weiter oben beschrieben haben. Eine hässliche Alte aus dieser Gesellschaft, die in dem Ruf stand, eine große Heilkünstlerin zu sein, und die bereits vor mehr als sechzig Jahren aus Brizepaille bei Saint-Genou gekommen war, verabreichte ihr ein zusammenziehendes Mittel, das so gewaltig war, dass es alle Schließmuskeln so nachhaltig zusammenzog, dass man sie nur [43] mit größter Mühe mit den Zähnen hätte erweitern können. Eine greuliche Vorstellung: so ähnlich wie der Teufel während der Messe des heiligen Martin versuchte, seine Pergamentrolle mit den Zähnen zu verlängern, als er das Getratsche zweier Weiber aufschreiben wollte.

Infolge dieses misslichen Umstandes gaben die Kotyledonen der Gebärmutter nach, die das Kind mit einem Sprung verließ, um in die Herzblutader einzusteigen. Dann stieg es das Zwerchfell hoch bis oberhalb der Schultern (wo die genannte Ader sich zweiteilt), nahm seinen Weg nach links und kam durch das linke Ohr heraus.

Sobald es geboren war, schrie es nicht wie die anderen Kinder »mimmi, mimmi!«, sondern rief mit lauter Stimme: »Trinken! Trinken! Trinken!«, so als wollte es alle Welt zum Trinken einladen, und man hörte es im ganzen Land von Beuxe bis Bibarais.