Die beiden de Salis

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Wir hörten bereits, daß in dem Staat Santa Fé seit einigen Jahren Don Francisco de Salis als Gobernador herrschte. Unter dem Einfluß des Diktators de Rosas gewählt, stand er seinem hohen Gönner in der rücksichtslosen Ausnützung der ihm übertragenen Machtbefugnisse in keiner Weise nach. Er war weit und breit gehaßt von allen, die nicht seine Kreaturen waren. Er wußte es und lachte darüber, denn die wilde, mordlustige Horde seiner Soldados schützte ihn vor dem Unwillen der Bevölkerung.

Seine Eigenschaft als Gobernador zwang ihn mehr, als ihm lieb war, im Regierungsgebäude zu Santa Fé anwesend zu sein, von wo er, so oft er konnte, nach seiner Estancia Bellavista ritt, die er dem Aufenthalt in der Stadt vorzog.

Das Regierungsgebäude in Santa Fé, noch von den Spaniern im 18. Jahrhundert angelegt, zeigte den Charakter spanischer Bauten; es war ziemlich umfangreich. In seinem Arbeitszimmer weilte der Gobernador an einem mit Papieren bedeckten Tisch, von denen er einige der Durchsicht unterzog.

Die hohe, gebietende Gestalt war ihm trotz der fortschreitenden Jahre geblieben, aber in das noch dichte, dunkle Haar hatten sich zahlreiche weiße Fäden gemischt; das Gesicht war hager und zeigte scharfe Linien. Die starken, dichten Augenbrauen, die ihr ursprüngliches Schwarz bewahrt hatten, gaben ihm durch den Gegensatz zu dem lichteren Haupthaar und Bart einen noch so finstereren Ausdruck als früher.

Die Tür, die in das mit Beamten, Offizieren und Bittstellern gefüllte Vorzimmer führte, öffnete sich, ein Diener trat ein und meldete kurz: »Don Agostino.« Ihm auf dem Fuße folgte ein junger Mann in elegantem Reitanzug. »Nun, Vater«, sagte der Eingetretene, »werden die Lasten der Regierungsgeschäfte dir gestatten, deinem gehorsamen Sohn einen Augenblick zu widmen?«

Er gähnte und warf sich nachlässig in einen Sessel, die Beine übereinanderschlagend. Don Agostino hatte wenig von seinem Vater, er war nur von Mittelgröße, mager und knochig; sein blasses, unschönes Gesicht mit den tiefliegenden, stechenden Augen und dem herrischen Zug um den weichlichen Mund zeugte von einem lockeren Leben.

»Hältst du es doch einmal für nötig, dich bei mir sehen zu lassen?« knurrte der Gobernador und warf dem Sohn einen abschätzenden Blick zu.

»Aber, bester Vater, wann hast du denn Zeit für mich?« Don Agostino gähnte schon wieder. »Außerdem«, sagte er, »deine Regierungsgeschäfte langweilen mich, und für anderes hast du doch kaum Sinn.«

»Schweig!« herrschte Don Francisco ihn an. »Ich möchte dir sagen, daß ich über dein Verhalten wenig erfreut bin. Es ist unverträglich mit deinem Namen, daß du dich in Gesellschaft der liederlichsten Burschen von Santa Fé unter Begehung übler Streiche im Lande herumtreibst.«

»Wenn ich gewußt hätte, daß du schlechter Laune bist, hätte ich mir diesen Besuch geschenkt«, versetzte der liebenswürdige Sohn. »Was willst du überhaupt? Ich habe mit Molino und Tejada, vollendeten Caballeros, ein wenig die Provinz durchstreift, um meine Kenntnisse von Land und Leuten zu verbessern und – –«

»Spar dir die Redensarten«, schnitt der Gobernador ihm das Wort ab. »Hier liegt eine stattliche Anzahl von Beschwerden über dich und deiner Freunde wüstes Treiben.«

»Wahrhaftig, du langweilst mich. Laß die Beschwerdeführer hängen, dann brauchst du dich nicht weiter mit ihrem Geschwätz zu befassen. Was haben wir denn getan? Ein altes, baufälliges Haus angezündet, weil uns in der Nacht fror. Ja, mein Gott, der Mensch muß sich wärmen, wenn er friert; daß das Feuer um sich griff, war nicht unsere Schuld. Tejada hat einen elenden Vaquero niedergestochen, weil der Bursche es nicht nötig hatte, ihm aus dem Wege zu gehen. Por le nombre de dios! Man muß dem Volk Respekt beibringen; es ist ohnehin aufsässig genug.«

Don Francisco sah seinen Sprößling finster an. »Treibe es so weiter«, sagte er, »und es wird nicht lange dauern, bis du mir das ganze Land aufgehetzt hast.«

»Wozu hast du deine Leibgarde?« Don Agostino räkelte sich.

»Hör zu«, sagte der Gobernador, »es ist widerlich, dich daherschwatzen zu hören. Es sind Fehler gemacht worden, von denen ich nicht weiß, wie sie korrigiert werden können. Das Vorgehen gegen d'Urquiza war so ein Fehler. Es hat weit mehr Erbitterung hervorgerufen, als ich ahnen konnte, und es wird Zeit vergehen, bis Gras über diese Geschichte gewachsen ist. Und wem verdanke ich sie? Dir. Oder vielmehr meiner Langmut gegen dich.«

»A bah!« sagte Agostino barsch, »es scheint, du wirst alt, mein Lieber! Ich mußte d'Urquizas Estancia haben; sie ist, abgesehen von Bellavista, die schönstgelegene am ganzen Parana. Ist übrigens die Schenkungsurkunde für mich schon da?«

»Nein!«

»Vielleicht hast du die Freundlichkeit, dich dieserhalb zu bemühen, verehrter Papa.« Er richtete sich etwas im Sessel auf, seine kleinen Augen kniffen sich enger zusammen, der böse Zug um seine Lippen trat schärfer in Erscheinung. »D'Urquiza mußte fort«, zischte er. »Nicht nur, weil ich seine Estancia brauche und nicht nur, weil er es wagte, sich flegelhaft gegen mich zu benehmen, sondern auch, weil er gefährlich ist.«

»Er hat viel Anhang im Land, du solltest das nicht vergessen.«

»Eben weil er Anhang hat.«

»Vielleicht hast du recht, auf die Dauer gesehen. Im Augenblick war die Maßnahme gegen ihn ein Akt politischer Dummheit; es tut mir leid, daß ich dir nachgegeben habe. Außerdem bin ich d'Urquizas wegen in Sorge. Gomez ist noch nicht zurück.«

»Nicht die Maßnahme als solche, aber die Durchführung war ein Akt politischer Dummheit«, erklärte der junge de Salis. »Es ist jämmerlich, wie deine Organe in dieser Sache versagt haben. Seine Frau und seine Kinder sind entkommen, er selbst geriet nur durch Zufall in unsere Hände, und statt daß nun die Sache in irgend einer unauffälligen Form liquidiert worden wäre, bewacht man ihn so nachlässig, daß er in die Pampa entfliehen kann und erst wieder eingefangen werden muß.«

»Es fehlt nur noch, daß du mir Vorwürfe machst!« brauste Don Francisco auf.

»Es handelt sich nicht um Vorwürfe, sondern um die Feststellung von Tatsachen«, sagte Don Agostino. »Du kannst dich darauf verlassen, wäre ich mit der Affäre beauftragt gewesen, ich hätte sie besser erledigt.«

»Er muß gewarnt worden sein.« Der Gobernador zuckte mißmutig die Achseln. »Ich muß hier Verräter haben«, sagte er, »es ist nicht anders möglich. Nun, entkommen kann er nicht, die Pampa gewährt ihm keine Zuflucht, und die Kordilleren erreicht er nicht.« Er begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen, während sein Sprößling in dem Lehnstuhl sitzenblieb.

»Es gärt ringsum«, sagte de Salis, »nicht nur drüben in Entre Rios und Corrientes, sondern auch hier. Die Anzeichen mehren sich.«

»So haben wir vielleicht in Señor d'Urquiza mit sicherem Instinkt einen der Unruhestifter erwischt«, bemerkte der Sohn.

Don Francisco schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »D'Urquiza war des politischen Treibens müde und vollkommen ungefährlich. Entkommt er jetzt unserem Anschlag, dann haben wir in ihm einen erbitterten Feind, der uns zu schaffen machen wird.«

»Pah, Gomez wird ihn fangen«, entgegnete gleichmütig Don Agostino. »Und übrigens, wovor du dich offenbar fürchtest, teurer Vater, das erscheint mir durchaus wünschenswert. Laß die Hydra der Unzufriedenheit ihre Köpfe hervortreiben, wir schlagen sie ab und konfiszieren Estancia nach Estancia. Doch ehe ich's vergesse, ich brauche etwas Geld.«

Der Gobernador blieb stehen. »Schon wieder?« sagte er.

»Was heißt «schon wieder«? Ich begreife dich nicht.« Der junge Herr zog erstaunt die Brauen hoch. »Ich habe im Monte etwas verloren und außerdem verschiedene kleine Ausgaben gehabt. Bitte, gib mir eine Anweisung auf dreißigtausend Pesos.«

Don Francisco stand wie erstarrt; seine Augen drohten aus den Höhlen zu treten. »Bist du wahnsinnig?« zischte er. »Willst du mich, willst du uns mit Gewalt ruinieren?«

Der Señorito erlaubte sich zu grinsen. »Die fürstlichen Manieren habe ich von dir geerbt, verehrter Papa«, sagte er, »du bist das Ideal eines Grandseigneurs, und ich bin, wie du weißt, dein gehorsamer Sohn. Und übrigens haben wir ja d'Urquizas ganzen Besitz. Sei also vernünftig und knausere nicht.«

Das Gesicht des Gobernadors erschien plötzlich grau; die sonst so beherrschten Züge wirkten schlaff und zerfallen. Er warf einen beinahe scheuen Blick auf den gleichmütig im Sessel lehnenden Sohn und ging dann mit müden Bewegungen zu seinem Schreibtisch, an dem er sich niederließ.

Er hatte die Feder soeben erst zur Hand genommen, als ein leises Klopfen an der Tür eine Meldung des Dieners ankündigte.

»Entra!« rief er.

Der Diener trat ein und meldete: »Gomez ist zurück, Excellenza.« De Salis sprang auf. »Herein mit ihm!« rief er hastig.

Gleich darauf stand der Häscher im Raum. Er hatte sich nur flüchtig Zeit genommen, die Spuren seines wilden Streifzuges in Gesicht und Kleidung zu verwischen.

»Nun, hast du ihn?« fragte der Gobernador.

»Nein, Excellenza, leider nicht. Er ist uns entkommen.«

Das Gesicht des Gobernadors lief blaurot an. »Was?« schrie er, »du hast ihn entwischen lassen?«

In Gomez' Gesicht waren Furcht, Tücke und kriecherische Unterwürfigkeit sonderbar gemischt; er hob die Arme und ließ sie mit resignierender Geste wieder fallen. »Wir waren ihm dicht auf den Fersen«, sagte er. »Die Spur führte nach dem Rio Quinto, und dort stellten wir ihn. Und wir hätten ihn jetzt, wenn sich dort nicht Leute gefunden hätten, die ihn uns im letzten Augenblick entrissen.«

»Was für Leute?« knirschte de Salis; er schäumte vor Wut.

»Ein elender Gaucho, ein widerlicher Cabezarojo und ein Aleman.« Und er berichtete kurz über die Vorgänge, die zum Entkommen des Flüchtlings geführt hatten. »Dieser Hund von Aleman hat mir das Pferd und den besten meiner Männer auf eine geradezu unglaubliche Entfernung niedergeschossen«, sagte er. »Unter diesen Umständen waren meine Burschen nicht mehr in den Bereich seiner Büchse zu bringen, und ich mußte umkehren.«

»So geht's«, murmelte Agostino, »wenn man einen Dummkopf auf eine solche Expedition schickt. Aber ich habe es vorher gesagt.«

Der Gobernador trat dicht an Gomez heran. »Du sprachst von einem Gaucho«, sagte er, »wie soll ich das verstehen? Die Gauchos sind Señor de Rosas treu ergeben.«

»Und trotzdem hat ein Gaucho d'Urquiza zur Flucht verholfen«, entgegnete Gomez. »Ein höchst kaltblütiger Schurke, dessen Estancia unmittelbar am Rio Quinto liegt.«

»Das ist sonderbar!« De Salis schüttelte den Kopf.

In Gomez' Augen kam ein kaltes Glitzern; er sah den Gobernador herausfordernd an. »übrigens habe ich am Rio Quinto, bei eben diesem Gaucho, eine überraschung erlebt, Excellenza«, sagte er.

»Was heißt das? Was für eine überraschung?«

»Neben dem Gaucho hielt ein junger Mann, der eine solch auffällige ähnlichkeit mit Eurem verewigten Bruder Don Fernando aufwies, daß jeder, der den Vater gekannt hat, ihn für den Sohn halten muß.«

Der Gobernador zuckte zusammen, als hätte der andere ihm einen Schlag versetzt; in seine Augen kam ein unheimliches Flackern. »Was soll der Unsinn?« fragte er. Es sollte scharf klingen, aber die Stimme hatte einen Bruch.

Gomez erstattete eingehenden Bericht über sein Zusammentreffen mit Aurelio.

De Salis, der aufmerksam zugehört hatte, trat an seinen Schreibtisch zurück; so lag sein Gesicht im Schatten. »Kennst du den Namen des Gauchos?« fragte er und mühte sich um die natürliche Klangfarbe seiner Stimme.

»Juan Perez«, sagte der Häscher.

Don Francisco wandte sich ab. »Du hast dich durch ein Naturspiel bluffen lassen«, sagte er.

»Möglich natürlich«, versetzte Gomez; in seine Stimme kam ein öliger Ton, »allein wer weiß? Vielleicht haben Excellenza durch einen glücklichen Zufall hier einen der so lange gesuchten Erben Don Fernandos gefunden. Wenn Excellenza den jungen Mann gesehen hätten – –«

»Schweig!« herrschte ihn der Gobernador an.

Der Señorito, der bisher dem Gespräch ziemlich teilnahmslos gefolgt war, schien plötzlich interessiert. »Oha«, sagte er, »was sind das denn für erstaunliche Neuigkeiten? Ich denke, die Kinder meines verehrten Herrn Oheims sind bei dem überfall damals zugrundegegangen? Nun muß ich hören, daß nach ihnen gesucht wurde?«

»Infantiles Geschwätz!« sagte der Vater, aber es fiel ihm schwer, seine Züge zu beherrschen.

»Erstaunlich! Erstaunlich!« murmelte Don Agostino.

Der Gobernador bekam sich allmählich wieder in die Gewalt. »Es ist gar kein Zweifel, daß die Kinder tot sind«, sagte er, »es konnte nur nicht bewiesen werden, da man die Leichen nicht fand. Dadurch kamen allerlei Gerüchte auf. Schon um diesen Gerüchten den Boden zu entziehen und mich keinem unsinnigen Verdacht auszusetzen, mußte ich also Nachforschungen anstellen lassen. Nachforschungen, die selbstverständlich im Sande verliefen.«

»Immerhin: erstaunlich, wie gesagt, was man so alles erfährt!« Die Züge des jungen Herrn drückten allerlei Zweifel aus. Aber Señor de Salis war nicht geneigt, sich mit seinem Sohn in Debatten über diesen Gegenstand einzulassen. »Ich habe jetzt noch einige Staatsangelegenheiten mit Gomez zu besprechen«, sagte er, »laß uns einen Augenblick allein.«

»Schön!« Don Agostino griff nach seinem Hut. »Die Anweisung hole ich mir dann«, sagte er, zur Tür gehend, »und, wenn ich dir einen Rat geben darf: den jungen Mann, der eine so verblüffende ähnlichkeit mit meinem Herrn Oheim aufweist, würde ich mir auf alle Fälle etwas näher betrachten.« Er neigte mit übertriebener Grandezza den Kopf und verschwand.

Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als der Gobernador jede Maske fallen ließ. »Was fällt dir eigentlich ein?« brüllte er Gomez an, »wie kommst du Cochino dazu, in Gegenwart meines Sohnes solche Märchen aufzutischen?«

Der Alguacil mit dem Gaunergesicht zuckte die Achseln; der Zorn seines Gebieters schien ihn nicht weiter zu beunruhigen. »Ich dachte natürlich, Don Agostino sei in alles eingeweiht«, sagte er.

»Zarapeto! Er weiß soviel, als ihm nötig ist. Aber nun kein Geschwätz mehr! Was steckt hinter dieser Geschichte? Was ist Wahrheit daran? Denke nicht, daß du mit mir scherzen kannst.«

»Excellenza geruhen ungnädig zu sein.« Gomez schien tief gekränkt. »Wie soll ich wissen, was Wahrheit ist?« sagte er. »Ich habe Euer Gnaden pflichtschuldigst berichtet, was ich gesehen habe. Wenn je eine ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn existierte, dann hier. Ich für meine Person habe nicht den geringsten Zweifel, daß Don Fernandos Sohn vor mir stand.«

»Demonio!« Don Francisco knirschte mit den Zähnen. »Konntest du nicht mehr erfahren? Für was oder wen gilt der Mensch? Zum Teufel! Er wird eben der Sohn des Gauchos gewesen sein.«

»Er war zweifellos kein Gaucho, sondern von altspanischem Blut«, sagte Gomez. »Und er trug ganz unverkennbar die Züge von Eurer Excellenza verstorbenem Bruder.«

»Gut!« Der Gobernador, der mit ruhelosen Schritten den Raum durchmessen hatte, blieb ruckhaft stehen. »Gut!« sagte er. »Und was soll das? Jetzt, nach siebzehn Jahren? Nimm deinen Hirnkasten ausnahmsweise einmal in Anspruch. Nehmen wir an, deine Vermutung habe irgendwelche realen Grundlagen. Wer weiß davon? Kann man annehmen, daß selbst dieser Gaucho etwas davon weiß? Wären, wenn irgendwer Kenntnis von diesen Zusammenhängen hätte, nicht längst irgendwelche Schritte unternommen worden, die angeblichen Rechte des jungen Mannes durchzusetzen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Gomez mit undurchdringlichem Gesicht.

»Du weißt es nicht! Du weißt überhaupt nichts! Du bist ein Narr!« Don Francisco nahm seine Wanderung wieder auf. »Und welcher der beiden Sprößlinge meines Bruders soll es deiner Ansicht nach denn sein?« fragte er nach einer Weile.

»Auch das weiß ich natürlich nicht«, antwortete Gomez. »Aber nach Lage der Dinge kann es eigentlich nur der älteste sein, mit dem der Majordomo damals davonjagte, als wir das Schloß angezündet hatten.«

»Den du Cochino entkommen ließest!« Ein flammender Blitz aus den schwarz überbuschten Augen traf den Häscher. »Das alles ist lächerlich«, sagte Señor de Salis, »wer wollte heute noch die Abstammung des jungen Mannes beweisen? Wir vertun die Zeit, indem wir uns mit der Geschichte befassen.«

»Derartige Prätendenten finden zuweilen mächtige Gönner«, sagte Gomez. »Umstände und Verhältnisse ändern sich manchmal über Nacht«, setzte er mit dünnem Lächeln hinzu. »Don Manuel ist nicht unsterblich.«

Wieder blieb der Gobernador stehen; ein gefährlicher Blick streifte den Mann an der Tür. »Du bist eine Kanaille, Gomez«, sagte er, »und du solltest dich vorsehen. Noch lebt Don Manuel nämlich. Und noch lebe ich. Und du solltest aus langer Erfahrung wissen, daß ich meine Interessen wahrzunehmen weiß. Glaubst du, du könntest mich mit einem Schatten ängstigen? Hirngespinste!« Eine herrische Handbewegung fegte den aufgerufenen Schatten hinweg. »Viel schlimmer ist, daß du d'Urquiza entkommen ließest. Der Mann ist wirklich gefährlich, denn er findet überall geeigneten Boden für seine Umtriebe. Also, was wird? Schwätze jetzt nicht länger, sondern mach' sachliche Vorschläge.«

»An Stelle Eurer Excellenza würde ich mich des Gaucho Juan Perez und seines sogenannten Sohnes versichern. Der Grund liegt nahe. Da beide zweifellos einem Hochverräter zur Flucht verhalfen, sind sie selber des Hochverrats schuldig. Dann werden wir weiter sehen.«

»Gut. Zieh mit dreißig zuverlässigen Lanceros zum Rio Quinto und nimm sie gefangen.«

Die Gaunervisage verzog sich zu einem Grinsen. »Mein Gesicht ist dort an der Grenze zu bekannt geworden«, sagte Gomez. »Ich möchte Euer Excellenza deshalb bitten, einen Mann, den man nicht kennt, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Mein Erscheinen warnt die Leute unnötig, und die Pampa ist weit.«

»Auch gut. Ich will deiner Feigheit diese Brücke bauen, zumal du deine Dummheit so hervorragend unter Beweis gestellt hast. Nun zu d'Urquiza. Was rätst du in diesem Fall?«

»Beordern Excellenza fünfzig Leute nach Cordoba mit einem Befehl des Präsidenten an den dortigen Gobernador, sie mit seiner ganzen Macht zu unterstützen, um den Hochverräter gefangen zu nehmen. Señor Ortega wird sich nicht weigern können, denn die Sicherheit der Konföderation steht auf dem Spiel.«

»Diese Aufgabe wirst du übernehmen, Gomez. Du hast den Mann entkommen lassen, du wirst ihn wieder einfangen. Ich sage dir mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit: ich muß ihn haben, tot oder lebend. Ich rate dir nicht, ihn ein zweites Mal entkommen zu lassen.«

In Gomez' Augen blinkten tückische Lichter, aber seine Stimme klang glatt und geschmeidig. Er sagte: »Mit genügender Macht ausgestattet und von Señor Ortega unterstützt, werden wir den Mann unschädlich machen. Aber ich brauche Geld, vermutlich viel Geld, zu dieser Expedition. Excellenza können sich das selber ausrechnen.«

Der Gobernador sah aus, als würge ihn der Ekel. Er ließ sich am Schreibtisch nieder, schrieb eine Anweisung aus und reichte sie Gomez abgewandten Gesichts. »Hier hast du, was du brauchst«, sagte er. »Für den Kopf d'Urquizas zahle ich dir tausend Pesos, und den Leuten kannst du zweitausend zur Verteilung in Aussicht stellen.«

»Mil gracias, Excellenza!« Gomez nahm das Papier, faltete es und steckte es zu sich. »Excellenza sind der großzügigste aller Caballeros«, sagte er. Don Francisco sah ihn nicht an. »Heute abend reitest du«, befahl er. »Die Befehle für die Mannschaft und das Schreiben für Señor Ortega erhältst du rechtzeitig. Geh.«

Er wartete, bis Gomez das Zimmer verlassen hatte. Ein Schütteln durchlief seinen Körper, und ein gepreßtes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Er zog ein Taschentuch und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dann ging er, ein müder Mann plötzlich, zu seinem Schreibtisch und setzte sich.

Gefährlicher Besuch

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Pati, genannt der Feuerkopf, arbeitete im Garten der Estancia. Er warf von Zeit zu Zeit einen Blick nach Süden, als ob er von dorther etwas erwarte. Auf der Veranda saß im vollen Licht der Morgensonne die alte Mulattin und nähte. Sie sah auf, als Don Estevan aus der Tür trat, und war nicht wenig erstaunt, ihn mit einer alten Reiterpistole und zwei Karabinern beladen zu sehen.

»Um Gottes Willen, Don Estevan«, sagte sie, »was wollt Ihr denn mit dem Schießzeug?«

Der junge Gelehrte schob seine Brille zurecht, sah die Alte flüchtig an und antwortete mit bedächtigem Ernst: »Es könnte ja immerhin sein, daß es den Indios einfiele, auch unserer Estancia einen Besuch abzustatten. Ich halte es jedenfalls für richtig, wenn wir uns auf diese Möglichkeit vorbereiten.«

Da wärest du gerade der Rechte! dachte die Mulattin und konnte angesichts der schmächtigen Gestalt des Lehrers ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Bringt bloß das schreckliche Zeug wieder fort«, sagte sie, »ich sehe es schon losgehen.«

»Señora«, versetzte der Bakkalaureus, »ich habe böse Dinge von diesen Puelchen und Pehuenchen gehört und will Sancho veranlassen, noch einige Verteidigungsmaßregeln für den Fall eines Angriffs zu treffen.«

In eben diesem Augenblick betrat Pati die Veranda. »Nanu, Don Estevan«, sagte er, »was treibt Ihr denn da?«

»Lacht mich nicht aus«, antwortete der Gelehrte. »Wie wäre es, wenn wir eine Art Wall um das Haus errichteten und alle verfügbaren Schußwaffen bereitmachten?«

»Redet ihm das bloß aus, Don Sancho«, sagte die Alte, »es gibt sonst noch ein Unglück.«

Pati sah den Bakkalaureus mit einem offenen Lachen an. »Gebt Euch keine Mühe, Don Estevan«, sagte er, »die Gauchos stehen gegen die Roten im Feld. Wie sollten die Puelchen hierher kommen?«

»Die Gauchos könnten immerhin der übermacht weichen müssen«, versetzte der Gelehrte.

»Weichen?« Pati schien entrüstet. »Die Gauchos vor diesen lumpigen Indios weichen? Ihr habt Vorstellungen!«

»Ich bin geneigt, alles für möglich zu halten und mich deshalb auf alle Möglichkeiten vorzubereiten«, sagte Don Estevan.

Pati wurde plötzlich ernst. »Denkt nicht, daß ich Euch höhnen will, oder daß ich Eure Sorge gering achte«, sagte er, »nur über eines dürft Ihr Euch ruhig klar sein: wenn die Gauchos geschlagen sind, dann sind die Puelchen wie der Wirbelwind hier und schneiden uns mit oder ohne Vorbereitungen die Hälse ab.«

»Das will ich wenigstens so lange wie möglich zu hindern suchen«, sagte der Bakkalaureus, dem es, obgleich er stets hinter den Büchern hockte, keineswegs an Mut und Entschlossenheit fehlte. »Es ist schade, daß wir Don Aurelio nicht hier haben«, sagte er, »er könnte in die Pampa reiten und uns als eine Art Vorposten dienen.«

Pati warf einen Blick in die fernen Berge und sagte: »Es ist gut, daß Aurelio nicht hier ist. Zu halten wäre er nicht gewesen, und zum Kampf mit den Puelchen ist er noch zu jung. Er ist bei dem Aleman ganz gut aufgehoben.«

»Das ist schon richtig«, versetzte der Bakkalaureus, »und im Grunde bin ich auch froh, daß er bei dem Aleman ist. Der Mann weiß auch geistige Güter zu schätzen; der Junge kann manches von ihm lernen.« Er unterbrach sich plötzlich und wies mit der Hand nach draußen. »Was sind denn das für Reiter?« sagte er und zeigte auf den Waldsaum am Fluß.

Pati sprang jäh auf und blickte hinaus. Dort drüben ritten fünf Lanceros; sie kamen den Rio Quinto herauf. Er wandte sein Auge und erblickte eine zweite Gruppe uniformierter Lanzenreiter, die von der anderen Seite näherkamen. Im Antlitz des Rotkopfes erschien ein grimmiger Ausdruck. »So, sind die Kanaillen schon da!« murmelte er.

Ein junger Neger, der im Feld gearbeitet hatte, kam atemlos zur Veranda gelaufen und meldete: »Soldados kommen von Osten her, viele Soldados.« Pati zwang sich zur Ruhe. »Na, hoffentlich bringen sie Gutes«, sagte er. »Geh an deine Arbeit, und sei höflich zu den Soldados!« Als der Neger fort war, wandte er sich Don Estevan zu und sagte: »Wenn Ihr Aurelio lieb habt, Señor, so laßt vor den Soldaten kein Wort über seinen Aufenthalt verlauten.« Der Gelehrte sah ihn erstaunt an. »Wenn Ihr meint, daß es dem Jungen Nachteil bringen könnte, gewiß nicht«, antwortete er. Pati wandte sich der Mulattin zu: »Hast du gehört, Jaquita?«

»Ich habe gehört, Don Sancho«, die Alte sah Pati mit großen Augen an, »Jaquita wird nichts sagen.«

Pati trat vor die Veranda und sah nach den Lanceros aus; die schwenkten ein und kamen auf die Estancia zugeritten.

»Ah, da ist ja der Cabezarojo, den Gomez so ins Herz geschlossen hat«, murmelte der voranreitende Offizier, als er den Rotkopf erblickte, »also sind wir an der richtigen Stelle.« Er kam heran, zügelte sein Pferd und sagte, die Hand leicht an das Käppi legend:

»Nun, mein feuerhaariger Freund, wem gehört denn diese schöne Estancia?«

»Sie gehört Señor Perez, Euer Gnaden«, antwortete Pati und zog seinen breitrandigen Strohhut.

»Und wer bist du?«

»Der Majordomo Don Juans, Sancho Pereira«, antwortete Pati.

»Ich hoffe, Ihr werdet den Soldados seiner Excellenz einige Gastfreundschaft gewähren«, sagte der Offizier.

»Die Soldados Seiner Excellenza sind willkommen«, entgegnete der Majordomo, »sie mögen dieses Haus als das ihrige betrachten.«

»Danke, mein Freund, wir wollen von der Einladung Gebrauch machen.« Er sprang ab, warf den Zügel seines Pferdes einem der Soldaten zu und betrat die Veranda, wo Don Estevan und die Mulattin beieinander standen. Sancho sah, daß der Mann die Abzeichen eines Lugarteniente trug.

Der Leutnant, ein kräftiger, untersetzter Mann mit hochfahrenden Zügen, warf sich in einen der Sessel und musterte die Anwesenden. »Diable, was hast du für einen brennenden Busch auf dem Haupt!« sagte er zu Pati. »Wo stammst du her, Mann? Bist du ein Ingles?«

»Nein, Señor«, antwortete Pati, »ich bin ein Bürger dieses Landes und habe für Don Manuel im Felde gestanden.«

»Caramba! Müssen die unitarischen Hunde gelaufen sein, wenn sie deine brandrote Mähne sahen! – Wer seid Ihr, junger Mann, und was macht Ihr da mit den Gewehren?« wandte er sich Don Estevan zu.

Der Gelehrte warf ihm einen wenig freundlichen Blick zu und sagte mit gemessener Höflichkeit: »Ich bin nicht gewöhnt, in dieser Weise angeredet zu werden, Señor.«

Der Offizier warf ihm einen stechenden Blick zu. »Nun, mein mageres Hühnchen, du wirst dich daran gewöhnen müssen«, zischte er. Dann wandte er sich wieder dem Majordomo zu: »Kann ich die Ehre haben, dem Herrn der Estancia meine Aufwartung zu machen?«

»Bedaure sehr, Señor. Don Juan ist leider abwesend«, sagte Pati.

»Oh, das ist bedauerlich.« Der Offizier schien unangenehm überrascht. »Ist er zum Abend zurück?«

Pati zuckte bedauernd die Achseln. »Das ist sehr zweifelhaft, Señor.«

Der Offizier wandte sich ab; sein Gesicht hatte sich beträchtlich verfinstert. »Dann sorgt für Speise und Trank für mich und meine Leute«, sagte er kurz.

»Sehr wohl, Señor.« Der Majordomo verneigte sich leicht. »Ihr werdet Euch nicht zu beklagen haben.« Er gab Befehl, eine Kuh für die Lanceros zu schlachten, und forderte die Mulattin auf, Mate zu bereiten. Als er um das Haus ging, bemerkte er, daß ein Teil der Reiter nach Osten zu in einem Halbkreis aufgestellt war, während die übrigen den Flußübergang besetzt hielten.

Dieser überzahl Widerstand zu leisten, falls sie Gewalt anwenden würden, war nicht denkbar. Pati segnete die Stunde, die Juan und Aurelio von der Estancia fortführte, denn er fürchtete für beide; daß auch ihm Gefahr drohen könnte, daran dachte er nicht.

Der Offizier hatte es sich auf der Veranda bequem gemacht; er sprach kräftig den Speisen zu, die die Mulattin ihm vorsetzte. Der Bakkalaureus war mit seinen Gewehren in das Innere des Hauses gegangen. Die Lanceros hatten draußen am Fluß Feuer entzündet und brieten bereits Stücke der frisch geschlachteten Kuh.

Pati ging gleichfalls ins Haus und in Juans Gemach. Hier nahm er zwei gute Büchsen von der Wand, untersuchte sie sorgfältig und versteckte sie in der Nähe der kleinen Tür auf der Rückseite des Gebäudes. Dann erschien er wieder in seiner gewöhnlichen, phlegmatischen Haltung auf der Veranda.

Der Offizier hatte zwar mit gutem Appetit gefrühstückt, schien aber gleichwohl schlechter Laune. Er pfiff nach dem Fluß hinüber; einer seiner Männer kam herbeigesprungen. Er flüsterte ein paar Minuten lang eindringlich mit dem Mann und schickte ihn alsdann nach dem Ufer zurück. Gleich darauf bestiegen zwei Lanceros ihre Pferde und überquerten den Quinto.

Don Estevan betrat die Veranda wieder, ausgerüstet mit einer Botanisiertrommel; er wollte an dem Offizier vorbei ins Freie hinaus. Der Lugarteniente rief ihn an. »Kommt einmal hierher, Ihr bebrillter Ziegenbock«, sagte er, »ich will Euch ein bißchen näher betrachten.«

»Ihr scheint nicht zu wissen, mit wem Ihr sprecht«, sagte Don Estevan finster.

»Jedenfalls mit einem dreisten Burschen«, knurrte der Offizier, »aber ich schätze, er wird bald bescheidener werden. Kommt hierher!« schrie er, »ohne Umstände jetzt!«

Der schmächtige Gelehrte trat furchtlos auf ihn zu und sah ihm mit kaltem Blick in die Augen.

»Wer seid Ihr?« herrschte der Offizier ihn an.

»Mit welchem Recht fragt Ihr mich das?« sagte Don Estevan.

»Mit diesem!« schrie der Lugarteniente und schlug auf seinen Säbel. »Ich stehe hier im Namen des Präsidenten und bin beauftragt, nach verdächtigem Gesindel zu suchen.«

»So sucht immerhin«, entgegnete Don Estevan und wandte sich ab.

»Hierher!« brüllte der Offizier. »Hierher auf der Stelle oder ich lasse Euch an einen Pferdeschweif binden und durch die Pampa schleifen.«

»Das werdet Ihr bleiben lassen«, entgegnete Don Estevan, »ich bin Graduierter der Universität zu Buenos Aires.«

»Hab mir schon gedacht, wo Ihr herstammt«, schrie der Offizier, »was treibt Ihr hier auf der Estancia?«

»Ihr werdet meine Antwort kaum verstehen, Señor«, lächelte der Bakkalaureus, »ich treibe botanische Studien.«

»So? Treibt Ihr? Ich denke mir schon, Freundchen, was Ihr hier treibt«, knurrte der Offizier »und verlaßt Euch darauf, ich bringe es heraus. – Wer ist das?« herrschte er die eben eintretende Mulattin an, auf den Bakkalaureus deutend.

»Das ist Don Estevan, Señor«, antwortete Jaquita verschüchtert.

»Was tut der Mann hier?«

»Was soll er tun, Señor? Er lehrt Don Aurelio das Lesen.«

»Wer ist Aurelio?«

»Der junge Señor, Euer Gnaden.«

»So, der junge Señor. Und wo steckt der junge Señor?«

»Er ist mit Don Juan in die Pampa geritten.«

Pati kam herein; er hatte die letzten Worte gehört. »Was befehlt Ihr, Señor?« fragte er höflich.

»Ich will wissen, was dieser bebrillte Jüngling aus Buenos Aires hier tut und wo deine Herren sind! Ich würde mich nicht wundern, wenn ich hier in ein verdammtes Unitariernest geraten wäre.«

In Pati begann der Zorn aufzusteigen, doch bezwang er sich. »Mueran los Unitarios« rief er. »Wir sind gute Konföderierte, Señor.«

»Nun, das wird sich bald zeigen«, sagte der Offizier. Er ließ einen langen Pfiff ertönen. Im gleichen Augenblick wurde vom Süden her heller Hufschlag hörbar, gleich darauf hielt mit strahlendem Gesicht dicht vor der Veranda – Aurelio auf seinem Cid.

»Aurelio!« riefen Pati, Don Estevan und die Mulattin wie aus einem Munde.

»Lieber, alter Pati!« strahlte Aurelio; plötzlich erstarrte sein Gesicht, er gewahrte die Soldaten. Vom Fluß her jagte der herbeigepfiffene Lancero heran. Pati kam zur Besinnung; dicke Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. »Aurelio«, flüsterte er, »um Gottes Willen, Aurelio, du mußt ja fort, du mußt fort!« Er geriet ins Stammeln.

»Por el nombre de Dios!« sagte der Offizier, »da hätten wir ja das junge Hähnchen im Garn. Steig ab!« schrie er Aurelio zu, zog gleichzeitig sein Pistol aus dem Gürtel und spannte den Hahn.

Keines Wortes mächtig, aus allen Wolken gerissen, saß Aurelio auf dem Schimmel; nichts als Erstaunen stand in seinem Gesicht. Das Pistol des Offiziers fiel zur Erde und entlud sich. Der sanfte Don Estevan, der dicht neben den Lugarteniente getreten war, hatte es ihm aus der Hand geschlagen. Der Offizier fuhr herum. »Diable!« brüllte er, »wer wagt es – –? Du Lump!« schrie er den Bakkalaureus an, »bist du wahnsinnig geworden?« Zehn Lanceros parierten vor der Veranda ihre Pferde und umringten Aurelio, der noch immer keines Wortes mächtig war.

»Herunter mit dem Burschen!« schrie der Offizier, auf den Jüngling deutend und zog den Säbel.

Pati, nunmehr zum äußersten entschlossen, hob eben die Faust, um den Mann niederzuschlagen, da dröhnte der Boden abermals unter zahlreichen Pferdehufen; dicht vor der Gruppe verhielt Juan Perez sein schnaubendes Roß, neben ihm Erich Stormar, die Büchse in der Hand, und hinter den beiden an die dreißig junge Gauchos.

»Was geht hier vor?« schrie Juan den überraschten Offizier an, »wer seid Ihr?«

»Ich denke, das seht Ihr«, sagte dieser, »ein Offizier der Armee.«

»Und was wollt Ihr hier? Was bedeutet Euer Auftreten im Haus eines friedlichen Mannes?«

Der Lugarteniente hatte sich gefaßt, er trat einen Schritt zurück. »Ihr seid ja wohl Juan Perez, und der junge Mann auf dem Schimmel ist Euer Sohn?« sagte er. »Nehmt also Kenntnis davon, daß ich beauftragt bin, Euch beide und diesen rothaarigen Burschen da als Hochverräter zu verhaften. Im Namen Don Manuels!« setzte er hinzu, wohl wissend, welchen Zauber dieser Name auf alle Gauchos auszuüben pflegte.

Tatsächlich entstand unter den Reitern bei diesen Worten eine heftige Bewegung. Jetzt kommt es darauf an! dachte Perez; er war sehr blaß geworden, bewahrte aber nach außen hin völlige Ruhe und Gelassenheit.

»Befehl ist Befehl!« sagte er, »habt also die Güte, mir den von Seiner Excellenza unterzeichneten Haftbefehl zu zeigen.«

Der Lugarteniente, von der Ruhe des Gauchos verblüfft, kam ins Stammeln. »Ich habe nur mündlichen Befehl«, sagte er.

»Oh!« versetzte Don Juan mit vollkommener Beherrschung. »Nun, von Don Manuel habt Ihr ihn kaum, das müßte sehr sonderbar zugehen. Zudem sehe ich, daß Ihr die Abzeichen der Provincia Santa Fé an der Uniform tragt. Ihr lügt, wenn Ihr sagt, daß Ihr auf Befehl des Präsidenten handelt.«

Das Gesicht des Offiziers lief hochrot an. »Caracho!« schrie er, »du Gauchohund wagst es, mich einen Lügner zu nennen?«

»Ich will dir etwas sagen«, entgegnete Perez mit gelassener Verachtung in der Stimme, »ich bin Capitano der Gauchoreiterei und bekleide hier außerdem das Amt des Alkalden. Ich verspüre nicht übel Lust, dich als Räuber und Wegelagerer aufhängen zu lassen.«

»Wagt es, mich anzurühren«, stammelte der Offizier, »ich bin Lugarteniente im Dienste der Republik und handle auf Befehl des Gobernadors von Santa Fé, Don Francisco de Salis.«

»Nun also, da haben wir es ja!« Juan Perez zuckte gleichmütig die Achseln, »ein Offizier der Provincia Santa Fé will in unserer Provincia Verhaftungen vornehmen. Und das alles im Namen der Konföderation, die die Freiheit der Staaten und Provinzen garantiert. Wir sind hier keine Unitarier!« schrie er, »wir werden dafür sorgen, daß das Gesetz der Konföderation hier nicht angetastet wird. Was meint Ihr, Companeros?« wandte er sich an seine berittenen Begleiter.

»Viva la confederacion! Mueran los salvajes Unitarios!« riefen die Männer wie aus einem Munde. Einer der jungen Gauchos trieb sein Pferd ungestüm vor. »Wage es, die Hand an Aurelio Perez, den Helden der Pampa zu legen!« brüllte er den Offizier an, »wahrhaftig, du kommst nicht lebend von der Stelle!«

»Ja, wagt es, ihr Schurken!« schrie es jetzt von allen Seiten, »wagt es, und keiner von euch sieht den Parana wieder!« Sie schwangen drohend die Lanzen.

Der Lugarteniente war sehr bleich geworden; seine zwischen den zornigen Gauchos eingekeilten Lanceros fühlten sich reichlich unbehaglich. Die in den Feldern nach Osten hin verteilt gewesenen Soldaten hatten sich zwar genähert, hielten sich aber abwartend in respektvoller Entfernung.

»Ich hoffe nicht, daß Ihr Gewalt gegen uns brauchen wollt«, sagte der Offizier und sah sich unruhig um.

»Unsererseits ist hier von Gewalt keine Rede«, antwortete der Gaucho, »wir kommen soeben von unserem Sieg über die Puelchen zurück und wünschen nichts, als in Frieden gelassen zu werden.«

»Puelchen? Sieg gegen die Puelchen?« stammelte der Lugarteniente.

»Da hättet ihr Gelegenheit gehabt, die Waffen zu erproben, die ihr jetzt niederlegen werdet«, versetzte Perez. »Macht schnell, Mann, legt die Waffen nieder und räumt diese Gegend!«

Der Offizier zögerte; erst als unter den berittenen Gauchos drohendes Murren aufkam, gab er grimmigen Gesichts seinen Leuten den Befehl zur Waffenniederlegung, indem er selbst seinen Säbel auf die Erde warf. Einige der Gauchos, die abgesessen waren, sammelten die Lanzen, Karabiner und Säbel der Lanceros auf, und der Offizier bestieg das ihm von einem seiner Männer vorgeführte Pferd. »Wenn Ihr dieses Verhalten nur nicht eines Tages bereut«, stieß er heraus. Ein Hohngelächter antwortete ihm. Er biß die Zähne zusammen und wandte sein Roß. Bald darauf sahen die Zurückbleibenden die Lanceros in scharfem Trabe nach Osten davonreiten.

Schweigend, maßlos erstaunt, war Aurelio den ihm unverständlichen Vorgängen gefolgt. »Was war das, Vater?« fragte er jetzt.

»Die Klaue des Panthers, mein Junge«, sagte der Gaucho; er winkte ab. »Nichts mehr davon. Hier, Pati« – er wandte sich dem Majordomo zu –, »hier, sieh dir diesen furchtlosen Pampakrieger an. Er hat gegen die Puelchen gekämpft und den Sohn ihres Häuptlings getötet. Seine Freunde haben ihm das Geleit gegeben.«

Aurelio sprang aus dem Sattel und umarmte den Feuerkopf, dem die Augen voll Wasser standen. Er begrüßte dann Don Estevan und die alte Mulattin; seine Gefährten stiegen derweil von den Pferden.

»Her jetzt, was Küche und Keller zu bieten haben«, rief Juan, »Jaquita, bewirte die Caballeros, daß es mir Ehre macht. Heut ist ein Freudenfest, wir feiern einen der glorreichsten Siege, die in der Pampa erfochten wurden.« Während er dann dem staunenden Pati einen kurzen Bericht über die jüngsten Ereignisse gab, wurde aufgetragen, was die Vorratskammern enthielten. Es wurde gebacken und gebraten, und bald saß die ganze Schar in fröhlichster Stimmung beisammen. Juan Perez verteilte Zigaretten, und die allgemeine Fröhlichkeit stieg auf den Höhepunkt.

Pati schien indessen sorgenvoll. »Was werden wir nun aber tun?« fragte er den Gaucho leise. »Morgen, Alter«, antwortete der, »morgen werden wir weitersehen. Heute kommen die Lanceros nicht wieder.« Gitarren wurden herbeigeholt, und heitere und schwermütige Lieder klangen in die Pampa hinaus.

Früh am andern Morgen brachen die jungen Gauchos auf, um nach ihren eigenen verstreut liegenden Behausungen weiterzureiten. Erich Stormar blieb noch zurück; Juan Perez hatte ihn darum gebeten. Er ging in schweren Sorgen umher. Als Aurelio gegen Mittag mit dem Bakkalaureus in die Pampa hinausgeritten war, wo der Gelehrte einigen Pflanzen nachjagte, saß er mit dem Deutschen auf der Veranda. »Es ist gut, daß wir einmal allein sind, Don Enrique«, sagte er, »ich möchte einiges mit Euch besprechen. Ihr habt Euch als tapferer und teilnehmender Freund erwiesen, ich habe Vertrauen zu Euch. Und ich möchte Euch jetzt Dinge sagen, die ich mit keinem meiner Landsleute zu besprechen wage. Ich habe Euch unlängst schon gesagt, daß Aurelio nicht mein Sohn ist und daß ein Geheimnis um seine Geburt schwebt. Ich will Euch heute mehr sagen.«

»Euer Vertrauen ehrt mich«, antwortete der Deutsche, »ich werde es zu verdienen suchen.«

»Hört zu, Don Enrique«, fuhr Perez fort, »ich habe gestern va banque gespielt. Hätte der Lugarteniente einen schriftlichen Verhaftungsbefehl des Diktators gehabt, dann wären wir verloren gewesen, mindestens hätte ich meine Gauchos in furchtbare Verlegenheit gebracht. Jetzt, da ich die Lanceros wie geprügelte Hunde davongejagt habe, wird man am Parana und in Buenos Aires erst recht Rache brüten. Aber hört erst die Vorgeschichte.« Und er erzählte mit gedämpfter Stimme, was er in jener Schreckensnacht am Parana vor siebzehn Jahren erlebt hatte.

Als er schwieg, sah er in ein fassungsloses Gesicht. »Und dieser Meuchelmörder ist heute Gobernador von Santa Fé?« fragte Stormar. »Daß so Unglaubliches möglich ist!«

»Und der mächtigste Mann nach Manuel de Rosas!« sagte Juan bitter. »Ich habe es unter den herrschenden Umständen für aussichtslos gehalten, gegen Don Francisco aufzutreten«, fuhr er gleich darauf fort; »Ihr werdet das begreifen. Hätte ich Rosas für mich gewinnen können, wäre es möglich gewesen«, sagte er, »aber ein solcher Versuch konnte nicht gelingen, Rosas und de Salis sind ein Herz und eine Seele. Und Rosas wird, wie in anderen Dingen, so auch in dieser Sache, tun, was de Salis will. Schon damals, als der Alguacil den General d'Urquiza fangen wollte, war die Gefahr groß; dem Mann war die ähnlichkeit Aurelios mit seinem Vater aufgefallen. Diesmal ist sie unendlich größer. Wären gestern die jungen Gauchos nicht zur Stelle gewesen, hätte die Sache jetzt schon ihr trauriges Ende gefunden. Aurelio und ich, ja selbst mein alter Pati, wären bereits auf dem Weg in die Gefängnisse von Santa Fé. Eines ist deshalb klar: Weder Aurelio noch ich können länger auf der Estancia bleiben. Das ist schlimm«, sagte er und stützte den Kopf in die Hand. »Wir haben hier, Pati und ich, Jahr um Jahr geschuftet, damit wir unserem Pflegesohn einst ein Erbe hinterlassen könnten, wenn es uns schon nicht gelänge, ihm zu seinem Namen und seinem Vermögen zu verhelfen.«

Der Deutsche sah nachdenklich vor sich hin. »Das alles ist sehr böse«, sagte er leise.

»Werde ich des Hochverrats angeklagt«, fuhr Don Juan fort, »und das geschieht zweifellos, dann wird mein Eigentum ohne weiteres konfisziert, und ich kann in die Pampa zu den Straußen gehen oder nach Chile auswandern, um als Verbannter zu sterben.«

Pati betrat heiteren Gesichts die Veranda. »Was ist?« fragte er erschrocken, als er die düsteren Mienen der beiden Männer gewahrte.

»Oh, nicht viel, Companero« – Perez lächelte verkrampft –, »wir überlegen nur gerade, wohin wir unsere Schritte lenken sollen, wenn wir die Estancia verlassen.«

»Die Estancia verlassen?« stammelte Pati und riß die Augen auf, »aber warum denn, um alles in der Welt?« Aber dann schien ihm etwas zu dämmern. »Oh!« sagte er nur und fuhr sich mit der Hand in das leuchtende Haar.

»Ich würde jedenfalls nicht dazu raten, einen zweiten Besuch der Lanceros abzuwarten«, sagte Juan.

»Oh, mucha miseria!« stöhnte Pati.

»Setz dich zu uns. Alter, wir müssen gemeinsam beraten«, sagte Juan.

Erich Stormar sah auf; eine nachdenkliche Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. »Ich hätte eventuell einen Vorschlag«, sagte er.

»Laßt ihn hören.«

»Es scheint zwar ein bißchen windig bestellt mit der Konföderation, für die der Herr in Buenos Aires zu kämpfen vorgibt«, begann Stormar, »doch gibt es immerhin einige Staaten in diesem Land, die von den ihnen zustehenden Grundrechten Gebrauch machen und sich nicht ohne weiteres der Diktatur von oben fügen. Wie wäre es, wenn Ihr mit Eurem Pflegesohn in einen dieser Staaten ginget. Ich denke in erster Linie an Cordoba. Der dortige Gobernador, Señor Ortega, liefert Euch gewiß nicht aus, wenn Ihr Euch unter seinen Schutz stellt.«

»Nein«, antwortete Perez, »das wird er wohl nicht tun. Es ist dies ein Vorschlag, den ich selbst vorbedacht habe. Aber ich kann diesen Weg nicht gehen. Ich bin in der Pampa geboren und bin ein Gaucho. Meine Heimat am Salado habe ich Aurelios wegen verlassen, um uns hier eine neue Heimat zu schaffen. Die Gauchos sind Don Manuel ergeben. Würde ich nach Cordoba oder einer der nördlichen Povincias gehen, dann könnte der Fall eintreten, daß ich gezwungen wäre, eines Tages die Waffen gegen de Rosas zu führen. Das hieße, wie die Dinge liegen, aber, daß ich sie gegen die Gauchos führen müßte. Das will ich und kann ich nicht. Mich nach Chile wenden, hieße das Vaterland verlassen und Aurelios Zukunft endgültig preisgeben – auch das kann ich nicht.«

Aber zu seinem Recht kann Aurelio zweifellos nur gelangen, wenn der Diktator und mit ihm sein Mordgeselle de Salis stürzt«, sagte der Deutsche, »das wißt Ihr selbst doch am besten.«

»Ich weiß es«, versetzte der Gaucho, »aber was soll ich daran tun? Ich muß es Gott überlassen, den Jungen zu seinem Recht und zu seinem Eigentum zu verhelfen. Meine Aufgabe aber ist es, ihn bis dahin vor Gefahren zu schützen.«

»Ja, aber wie?« Der Deutsche war mittlerweile in heftige Erregung geraten. »Ich habe keine ruhige Stunde mehr, bis ich den Jungen in Sicherheit weiß«, sagte er.

Pati, der in dumpfem Brüten dagesessen hatte, räusperte sich. »Wenn ich mir auch einmal eine Bemerkung erlauben dürfte«, sagte er. »Ihr, Don Juan, seid zwar ein viejo cristiano und sehr klug, aber manchmal habe ich auch einen Gedanken.«

»Sprich ihn aus, Pati, sprich ihn aus«, lächelte Juan.

»Ihr wollt nicht nach Cordoba oder weiter nach Norden gehen«, sagte Pati. »Gut. Ich verstehe das. Aber warum geht Ihr dann nicht mit Aurelio nach Buenos Aires?«

Die beiden anderen sahen erstaunt auf.

»Ich bin dort auf gewachsen«, fuhr Pati fort, »ich kenne jeden Winkel, jeden Fußbreit der Umgebung und will zehn Jahre dort weilen, ehe mich auch nur einer meiner alten Bekannten entdeckt.«

Perez verzog spöttisch das Gesicht. »Mit Aurelio direkt in die Höhle des Pumas!« sagte er, »Torheit!«

»Nein, Don Juan«, Erich Stormar schaltete sich ein, »nein, vielleicht ist das gar kein törichter Gedanke. Buenos Aires ist groß, stark bevölkert, und niemand wird Euch dort suchen, gerade dort nicht. Der Gedanke Don Sanchos ist vielleicht kühn, aber nicht töricht.«

»Nach der Stadt des Diktators?« Der Gaucho schüttelte den Kopf.

»Voraussetzung wäre natürlich, daß Ihr die Mittel habt, um eine Zeitlang dort zu leben«, sagte Stormar.

»Das wäre nicht so schlimm«, versetzte der Gaucho, »ich habe etwas Geld bei einem Banquero dort stehen und mehr als tausend Pesos von einem Kaufmann für Häute zu bekommen; an Mitteln würde es also einstweilen nicht fehlen, allein – –«

»Wenn ihr Euch nicht nach Chile, Paraguay oder Brasilien retten und auch nicht in eine der nördlichen Provincias übersiedeln wollt, möchte ich Buenos Aires wirklich für die geeignetste Zuflucht halten«, sagte der Deutsche.

Pati schaltete sich ein. »Droht uns dort Gefahr«, sagte er, »so ist der La Plata, den ich so genau kenne wie Don Juan die Pampas, unser Zufluchtsort. Das Wasser hinterläßt keine Spuren.«

»Eines ist jedenfalls klar«, ergänzte Stormar, »in der dünn bevölkerten Pampa werdet Ihr leichter aufgespürt als in der großen Stadt. Außerdem seid Ihr dort im Mittelpunkt aller Begebenheiten, die Einfluß auf Aurelios Schicksal haben können.«

Juan Perez erhob sich und ging mehrmals auf der Veranda hin und her. Schließlich blieb er am Tisch stehen, sah den Feuerkopf an und sagte mit einem schwachen Lächeln: »Gingen wir wirklich in die Stadt, müßtest du, guter Pati, jedenfalls zurückbleiben. Es ist mir überhaupt vollkommen rätselhaft, wo wir dich unterbringen sollten.«

»Ich? Zurückbleiben?« stammelte Pati erschrocken. »Aber warum denn?«

»Weil dein goldener Schopf uns schon in den ersten vierundzwanzig Stunden zum Verhängnis würde, mein Lieber. Er hat hier in der Pampa schon bei mehreren Leuten Aufsehen erregt. Der Alguacil, der neulich d'Urquiza verhaften wollte, und der Lugarteniente, der uns gestern beehrte, haben ihn sicherlich in gutem Andenken behalten, davon sei überzeugt.«

Der gute Pati! Er fuhr sich mit beiden Händen in das brandrote Haar und sah ganz verzweifelt von einem zum anderen. »Aber das geht doch nicht«, stammelte er, »denkt doch einen Augenblick nach, Don Juan. Ich soll Euch und Aurelio verlassen? Das geht doch nicht! Das ist doch überhaupt nicht auszudenken!«

»Ja, es ist schlimm, Pati«, sagte der Gaucho. Es war ihm nicht leicht zumute, wahrhaftig, aber wie er den alten Gefährten, den treuen Pati, so ratlos und verzweifelt vor sich sah, kam ihm ein Lächeln an.

»Don Juan«, stammelte der Majordomo, »wenn Ihr meint, wenn Ihr wirklich meint, meine Haarfarbe könnte Euch, könnte Aurelio Gefahr bringen, dann – dann –«, er würgte an den Worten, die nicht herauswollten.

»Ich meine das ganz ernst, Pati«, sagte der Gaucho. Habe nur keine Angst! dachte er dabei, habe nur keine Angst, daß ich mich von dir trenne, wir werden schon einen Ausweg finden.

»Dann«, vollendete Pati, »dann müßte man mein Haar eben färben.«