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Inhalt

Unterwegs zum letzten Umzug

Eine politische Frechheit

Eine religiöse Respektlosigkeit

Das Wort im Zusammenhang

Ist das sicher?

Was wir unterwegs tun

Der Vorläufer Abraham – ein Modell

Städte boten Sicherheit

Städte versprechen Reichtum

Die Stadt der Zukunft

Gott schafft die neue Stadt

Gott selbst ist das Stadtzentrum

Die heilige Hauptstadt der Welt

Es gibt ein Draußen

Eine gesungene Predigt

Zielstrebig leben

Der Jerusalem-Psalm

Städte zum Weinen

Sucht der Stadt Bestes!

Zwangsweise und bereitwillig mobil

Die Zeit drängt

Vom Abschiednehmen

Gott hat uns nicht vergessen!

Der rote Faden der Zukunft

Unterwegs zum letzten Umzug

Wenn ich alle Studentenbuden mitzähle, bin ich in meinem Leben bisher sechzehnmal umgezogen. Ist das viel oder wenig – verteilt auf sieben Jahrzehnte? Es gibt wahrscheinlich Leute, die sind mobiler, andere sind sesshafter. Man sucht es sich nicht immer aus. Wem es Spaß macht, der zieht wie ein Nomade durch die Welt. Andere sind wie Eichen im Heimatboden verwurzelt.

Meine Frau und ich wohnen zur Miete und sprechen gelegentlich darüber, ob und wann ein weiterer Umzug nötig ist. Bisher wurden Ortswechsel durch Studium und Beruf verursacht. Im Alter stellen sich die Fragen anders. Die Kinder sind selbständig. Wie viel Raum ist noch nötig? Was kann man bezahlen? Wie ist es mit den Treppen? Und wohin mit den vielen Sachen, die man im Laufe des Lebens angesammelt und nicht rechtzeitig entsorgt hat? Bei Bücherwürmern wie mir gibt es da auch noch die Bücherwände …

Der englische Theologe John Stott, der 2011 im gesegneten Alter von 90 Jahren gestorben ist, hat in seinem letzten Buch das Leben als eine Pilgerreise zwischen zwei Zuständen der Nacktheit beschrieben. Man kommt nackt auf die Welt und kann im Tode nichts mitnehmen. Den Anfang finden wir ganz nett, weil wir, wenn es gut geht, den Zustand der Nacktheit und Hilflosigkeit überwinden, wenigstens teilweise. Je länger, desto weniger gefällt es uns, hilflos und auf andere angewiesen zu sein. Wir werden selbständig und unabhängig. Wenigstens möchten wir das gern werden.

Im Alter stellt sich dann heraus, dass wir noch hilfsbedürftiger werden, als wir trotz der behaupteten Selbständigkeit schon immer waren. Wer seine Menschenwürde in der Selbständigkeit und Unabhängigkeit sieht, muss folglich die zunehmende Schwäche und Hilfsbedürftigkeit im Alter als schweres Problem ansehen.

Dank der verbesserten Lebensbedingungen ist das zu erwartende Lebensalter in unseren Breiten stark angestiegen. Mädchen, die heute geboren werden, sollen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 92 Jahren haben. Jungen einige Jahre weniger. Damit ist aber automatisch verbunden, dass diese alten Menschen auch schwächer und hilfsbedürftiger werden. Gegenwärtig werden 1,3 Millionen Demenzkranke in Deutschland gezählt. Im Jahr 2050 sollen es doppelt so viele sein. Es ist nicht zu bestreiten, dass das Alter sehr beschwerlich sein kann. Im Buch des Predigers Salomo lesen wir in 12,1:

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du sagen wirst: »Sie gefallen mir nicht.«

In jedem Fall ist es hilfreich – egal, wie alt wir sind – wenn wir uns nicht in Illusionen wiegen, als könnten wir ohne die Hilfe anderer leben. Es ist unmenschlich, die Würde des Menschen von seiner Leistung und Leistungsfähigkeit oder gar von seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit abhängig zu machen. Unser Leben ist Gottes Geschenk. Wir leben von Anfang bis Ende vom Empfangen und vom Beschenktwerden. Alles wirklich Wichtige im Leben können wir weder kaufen noch erarbeiten. Vom leiblichen Leben angefangen über Vertrauen und Liebe, die Zeit und die Ewigkeit – wir bekommen alles geschenkt. Die Rechnung der Leistungsgläubigen geht nicht auf. »Nur Arbeit war sein Leben«, ist ein passender Spruch für eine Maschine, nicht einmal auf ein Pferd passt er.

Es mindert die Würde des Menschen nicht, dass er auf Empfangen und Hilfe angewiesen ist. Im Gegenteil: Es gehört gerade zu seiner Würde. Darum ist es menschlich, wenn wir uns mitsamt unserer Hilfsbedürftigkeit ansehen, annehmen und wertschätzen. Wenn wir das nicht lernen, werden wir in einer älter werdenden Gesellschaft unmenschliche Zustände erleben. Dann wird die Organisation der Beihilfen zum sogenannten menschenwürdigen Sterben, bei der es doch nur um möglichst problemlose Entsorgung der alten Menschen geht, im Vordergrund stehen.

Die Frage nach dem letzten Umzug stellt sich unausweichlich. Wir haben hier keine bleibende Stadt. Geht es dabei nur um die Frage »Wie viel Erde braucht der Mensch?«, die Tolstoi in seiner Erzählung von dem Bauern Pachom stellt? Der Landwirt erhält die Möglichkeit, so viel Land zu erwerben, wie er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umwandern kann. In seiner Habgier will er immer noch weitergehen, überschätzt seine Kräfte und bricht kurz vor Sonnenuntergang tot zusammen – und kurz, bevor er den Ausgangspunkt erreicht. Am Schluss heißt es: »Der Knecht nahm die Hacke, grub Pachom ein Grab, genauso lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckte – sechs Ellen –, und scharrte ihn ein.«

Es befördert durchaus unsere Lebensweisheit, wenn wir uns des Umzugs unseres Körpers in Sarg und Grab bewusst sind – und das nicht erst, wenn wir im Seniorenalter sind. Aber es ist noch eine ganz andere Sache, wenn wir uns des Umzugs in Gottes neue Stadt gewiss sein können. Davon redet die Jahreslosung 2013: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Wir werden in diesem Buch nach der Stadt der Zukunft Ausschau halten. Ich schreibe es mit der Absicht und dem Wunsch, dass das Leben der Leser von einer zukunftsträchtigen Vorwärtsbewegung erfasst und einer brennenden Hoffnungsfreude erfüllt wird. Wir werden aber nicht versäumen, auch über das notwendige Loslassen und Verabschieden nachzudenken. Auf diese Weise wollen wir die Jahreslosung durchbuchstabieren. Wir wollen sie in ihrem biblischen und geschichtlichen Zusammenhang bedenken und manchen Beobachtungen und Gedanken Raum geben, die dadurch ausgelöst werden.

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen bei dieser Entdeckungsreise!

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Eine politische Frechheit

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Der Satz war und ist eine politische Frechheit.

Die ganze damalige Welt bewunderte das ewige Rom – »Roma Aeterna«. Die Welthauptstadt hatte im 1. Jahrhundert nach Christus etwa eine Million Einwohner und konnte prachtvolle Bauten, vierstöckige Häuser für Mietwohnungen, eine ausgezeichnete Wasserversorgung und sogar ein funktionierendes Abwassersystem vorweisen. Vor allem war sie das Zentrum der Macht in der Welt. Rom, die ewige Stadt, war selbstverständlich die bleibende, also auch die zukünftige Stadt. Niemand wagte das zu bezweifeln, jedenfalls nicht ausdrücklich und öffentlich.

Nur diese jüdische Sekte, die daran glaubte, dass mit Jesus von Nazareth der verheißene Messias Gottes bereits gekommen sei, ließ sich vom ewigen Rom nicht besonders beeindrucken. Sie benahmen sich nicht aufrührerisch. Im Gegenteil. Sie zahlten brav ihre Steuern, von denen Rom eine Menge erhob. Sie respektierten die Arbeit der Regierung, soweit sie halbwegs für Recht und Gerechtigkeit, für Frieden und wirtschaftliches Auskommen sorgte. Sobald die Machthaber aber den Bogen überspannten und sich als die höchsten Autoritäten über das Gewissen der Menschen aufspielten, stießen sie bei den Jesus-Leuten auf Granit. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apostelgeschichte 5,29). So schlicht und einfach war ihre Überzeugung. Aber dafür ließen sie sich prügeln, köpfen und aufhängen.

Nein, Rom war nicht die Vision dieser Leute, die man seit einiger Zeit nach ihrem Glauben an Jesus Christus »Christen« nannte. Sie waren keine Mitläufer und Speichellecker der Mächtigen. Rom war für den Missionar Paulus nur eine Durchgangsstation. Dort gab es eine große Christengemeinde, die er in einem Brief ausführlich über die Grundlagen und Konsequenzen des Glaubens an Jesus Christus informierte. Paulus wollte in Rom Station machen, um von dort aus nach Spanien weiterzureisen und die Botschaft von Jesus in diese unerreichte Gegend Europas zu tragen. Rom war nichts weiter als ein Etappenziel.

Die ganze Welt sollte die Botschaft von der Rettung durch Jesus Christus hören. Erst dann würde Gottes Herrschaft in Herrlichkeit aufgerichtet. So hatte Jesus es angekündigt: Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen (Matthäus 24,14).

Dann wird Gott die Hauptstadt der neuen Welt Gottes, das neue Jerusalem, errichten. Die wichtigtuerische Welthauptstadt Rom schrumpft auf das Maß eines Zwischenlagers.

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Eine religiöse Respektlosigkeit

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Dieser Satz war auch eine religiöse Respektlosigkeit.

Die meisten Mitglieder der Jesus-Gemeinschaft waren Juden. Sie hatten nie die Absicht, etwas anderes zu sein oder zu werden. Im Gegenteil, durch ihren Glauben an Jeschua ha-Maschiach, Jesus, den Messias, waren sie zur Erfüllung der Verheißungen des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs gekommen. All die Versprechen, die Gott Abraham, Mose, König David und dem Volk Israel durch die Propheten gegeben hatte, waren durch den Messias Jesus erfüllt. Damit war das Volk Israel in die entscheidende Phase der Geschichte Gottes mit der Welt eingetreten. In dem Messias Jesus hatten sie ihre Identität als Juden, als Glieder des erwählten Volkes Gottes klarer gefunden als je zuvor. Und so bezeugen es auch heute die Juden, die an Jesus als den Messias glauben. Sie nennen sich Messianische Juden, um damit auszudrücken, dass sie nicht vom Judentum zu einer anderen Religion konvertiert sind, als sie sich entschieden, dem Messias Jesus zu vertrauen und zu folgen.

Nach der Prophetie Hesekiels erwarteten die Juden die Wiederherstellung des Tempels und der Stadt Jerusalem (vgl. Hesekiel 40–48). Umso erstaunlicher ist es, dass das Neue Testament die Vision von der Erhaltung bzw. Wiederaufrichtung der Stadt Jerusalem nicht aufnimmt, sondern die »Stadt des lebendigen Gottes«, das himmlische Jerusalem ankündigt (vgl. Hebräer 12,22). Und in der Offenbarung des Johannes 2 heißt es:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

Das ist also die zukünftige Stadt, zu der die Jesus-Leute streben, die sie aufsuchen.

Schauen wir genauer hin, was das bedeutet. Dabei wollen wir – gemäß den Regeln einer soliden Bibelauslegung – zuerst den Zusammenhang des Wortes im 13. Kapitel des Hebräerbriefes betrachten.

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Das Wort im Zusammenhang

Der Verfasser des Briefes an die Hebräer wird nicht genannt. Viele haben ihn dem Paulus zugeschrieben. Das ist aber nicht belegt und nicht nachgewiesen. In der Überschrift heißt es nur »An Hebräer«. Der Brief nimmt stark Bezug auf das Alte Testament. Darum liegt die Annahme nahe, dass er sich an Judenchristen richtete, die sich in den alttestamentlichen Schriften gut auskannten. Aber auch für sogenannte Heidenchristen, also Nichtjuden, die sich zu Jesus bekehrt hatten, war es notwendig, den inneren Zusammenhang von altem und neuem Bund zu verstehen. Denn die Heidenchristen sind durch Jesus ein Teil des Gottesvolkes Israel geworden. Sie sind als Zweige in den Stamm und die Wurzel des Ölbaums eingepfropft worden, wie Paulus es in Römer 9–11 beschreibt. Darum kann man das Neue Testament nicht ohne das Alte Testament verstehen. Bischof Augustinus (354–430 n.Chr.) hat geschrieben: »Novum Testamentum in Ve- tere latet. Vetus in Novo patet.« Das heißt: Das Neue Testament ist im Alten verborgen, und das Alte Testament ist im Neuen offenbar. Das gilt für alle Schriften der Bibel. Im Hebräerbrief wird es besonders deutlich.

Der Brief beginnt mit einem starken Bekenntnis zu Jesus Christus:

Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name (Hebräer 1,1-4).

Damit ist Jesus in die gesamte Gottesgeschichte mit Israel eingebunden. In Jesus zeigt sich Gott als der Schöpfer und Erhalter des Weltalls. Jesus ist auch das Ziel der Geschichte. Durch ihn geschieht die Erlösung der Welt. Er ist Herr über alle Mächte. Das ist ein umfassendes Bekenntnis.

In den folgenden Kapiteln des Briefes wird die Bedeutung von Jesus im Einzelnen entfaltet und begründet. Dabei wird deutlich, dass in Jesus der Dienst des Hohepriesters zur Erfüllung kommt. Der Hohepriester hatte die wichtige Aufgabe, am jährlichen Großen Versöhnungstag (Jom Kippur) das Sühnopfer für Israel darzubringen. Zu diesem Zweck durfte nur er das Allerheiligste im Tempel betreten und das Blut des Opfertieres an der Stelle ausgießen, wo die Bundeslade mit den Gesetzestafeln stand. Allerdings bestand immer eine gewisse Unsicherheit, ob der Hohepriester wirklich rein und das Opfertier fehlerlos und für Gott annehmbar waren. Durch Jesus wird diese Unsicherheit überwunden. Er ist das vollkommene Opfer und der reine Hohepriester zugleich, durch den die Versöhnung mit Gott geschieht. Im Alten Testament wird also modellhaft vorgebildet, was in Jesus Christus zur endgültigen Erfüllung kommt. So ist der gekreuzigte, auferstandene und erhöhte Jesus Christus gleichzeitig Ursache und Garantie unserer Errettung und Versöhnung mit Gott.

Der Hebräerbrief stellt Jesus vor unsere Augen und macht uns dadurch unserer Errettung gewiss. In einigen Kapiteln beschreibt der Verfasser des Briefes die Konsequenzen, die unsere Rettung durch Jesus für die Gestaltung unseres Lebens hat. Auch dabei stellt er uns in den Zusammenhang der gesamten Geschichte Gottes mit den Menschen. Besonders eindrücklich geschieht das in der Parade der Glaubenden von Abel an im 11. Kapitel.

Im 13. Kapitel werden zum Abschluss einige praktische Mahnungen angefügt, zum Beispiel zu den Themen Gastfreundschaft, Barmherzigkeit, Ehe, Umgang mit Geld … Im Anschluss wird Jesus Christus wieder in die Mitte gestellt: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit (Hebräer 13,8). Das ist offenbar nötig, weil die Nachfolger des Jesus Christus in ihrem Glauben angefochten wurden. Wahrscheinlich wurde ihre Lebensweise von jüdischer Seite in Frage gestellt. Es ging um die Einhaltung der Speise- und Reinheitsgebote. Die meisten Mitglieder der Jesus-Gemeinschaft waren Juden. Sie lebten jetzt aber zusammen mit Jesus-Nachfolgern, die aus dem Heidentum gekommen waren. Im ganzen Neuen Testament lesen wir, dass es heftige Auseinandersetzungen in den Gemeinden gab, ob man den jüdischen Regeln folgen müsse oder nicht. Der Hebräerbrief zeigt sehr ausführlich, dass die Verheißungen und Gebote Gottes im Alten Bund in Jesus zur vollkommenen Erfüllung geführt worden sind. Also konnte das Vorläufige und Zeichenhafte des Alten Bundes jetzt nicht mehr bindend sein. Speise- und Reinheitsgebote mussten nicht mehr beachtet werden. Darum mahnt und ermutigt der Hebräerbrief die angefochtenen Christen:

Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz