August von Platen

Geschichte des Königreichs Neapel


e-artnow, 2015
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ISBN 978-80-268-4169-2

Inhaltsverzeichnis


Vorwort.
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.

Altri studi men dolci, in ch'io riponga
L'ingrato avanzo de la ferrea vita,
Eleggerò. L'acerbo vero, i ciechi
Destini investigar de le mortali
E de l'eterne cose – E se del vero
Ragionando talor, fieno a le genti
O mal grati i miei detti o non intesi,
Non mi dorrò, che gia del tutto vago
Desio di Gloria antico in me fia spento:
Vana Diva non pur, ma di Fortuna
E del Fato e d'Amor, Diva più cieca.

Leopardi.

Vorwort.

Inhaltsverzeichnis

Bei einem mehrjährigen Aufenthalte in Neapel konnte es nicht fehlen, daß ich mich mit der Geschichte dieses Landes zu befreunden suchte, und so geschah es auch, daß eine oder die andere Epoche derselben einen so großen Reiz auf mich ausübte, daß ich mich zu näherer Betrachtung und Nachspürung, ja zu eigener Darstellung aufgefordert fühlte. Dies war besonders bei dem vorliegenden Zeitraume der Fall, der einen höchst merkwürdigen Wendepunkt bildet. Da derselbe kaum drei Jahrzehnte begreift, so glaubte ich ihn bis in seine Einzelheiten verfolgen zu können, ohne den Vorwurf einer zu kleinlichen Ausführlichkeit zu verdienen. Teils war es mir um eine umfassendere Darstellung zu thun, als die bisherigen Erzähler jener Begebenheiten im Auge hatten, teils konnte es mir durch jene Einzelheiten am besten gelingen, die Sitten und Charaktere der damaligen Zeit in ein lebendiges Licht zu stellen, worauf mein Augenmerk vorzüglich gerichtet war. Es gibt zwei Arten von Geschichtschreibung, die betrachtende und erzählende. Erstere wird kurzgefaßt am meisten anziehn, letztere wird, wie das epische Gedicht, ohne Einzelheiten langweilig und ermüdend scheinen. In beiden wird freilich der ordnende Geist das Meiste thun müssen.

Bei einer Nation, wie die deutsche, die so oft ihre eigene Universalität zu rühmen pflegt, mag ein so kleingezogener Kreis, wie der hier gegebene, befremdend erscheinen; aber zuweilen läuft die schwere Kunst, alles zu wissen, auf die leichte hinaus, nichts gelernt zu haben. In Italien fehlt es zwar an Weltgeschichten, woran wir so reich sind; doch findet man daselbst, fast durch alle Jahrhunderte hindurch, einen so reichhaltigen Schatz von Chroniken und vortrefflichen zeitgenossischen Geschichtschreibern, daß wir wohl Ursache haben könnten, dieselben mit Neid zu betrachten.

Diese Bemerkung bezieht sich allerdings mehr auf Nord- und Mittelitalien, zumal Toscana und Venedig, als auf das Königreich Neapel, wo eher über Armut an historischen Quellen zu klagen wäre, und namentlich auch in dem Zeitraume, von welchem hier die Rede ist. Doch sind die Beziehungen des selben so mannigfach, daß da, wo einheimische Hilfsmittel abgehen, die genuesischen und aragonischen Geschichtschreiber, sowie die Biographen der Päpste, des Königs Alfons und der berühmtesten Feldherrn jener Zeit hinlängliche Aufklärung gewähren, Aber eben durch die große Verschiedenartigkeit der Quellen war die hier gesetzte Aufgabe schwerer zu lösen, als es, bei ihrem geringen Umfange, der Anschein zeigen möchte.

Was die Anführung jener Quellen betrifft, so schien sie mir nur bei auffallenden und weniger bekannten Thatsachen nötig zu sein; bei solchen aber, die fast ohne Ausnahme von allen Gesamthistorikern Neapels erzählt werden, hielt ich sie für nutzlos, da es mir weder um Störung des unbefangenen Lesers, noch um Darlegung von Gelehrsamkeit zu thun war.

Hoffentlich, wenn diese persönliche Schlußbemerkung erlaubt ist, wird man dem Dichter die Fähigkeit zu historischen Arbeiten nicht absprechen können, oder vielmehr, man wird gestehen müssen, daß es keinen Geschichtschreiber, der von poetischem Genie entblößt wäre, geben kann; denn wie wäre Geschichtschreibung möglich ohne darstellende Kraft? Das eigentliche Verdienst des Dichters beruht auf der Wahrheit seiner Darstellung, und die wirkliche Erfindung beschränkt sich auf die Kenntnis der Natur und der menschlichen Seele. Ohne diesen Grund und Boden der Wirklichkeit würden selbst Homer und Ariost als geringe Poeten erscheinen müssen; denn der würdige Mensch kann nichts Würdiges unternehmen, dessen Hintergrund nicht die Wahrheit wäre. Wie wohlfeil das bloße Aushecken phantastischer Begebenheiten und Abenteuer zu haben ist, dies erhellt täglich aus der Sündflut von Novellen und Romanen, die davon wimmeln. Eine solche, großenteils entnervende Lektüre allmählich zu verbannen und den Geist des Volkes an edlere Beschäftigungen zu gewöhnen, ist eine Aufgabe, zu welcher auch der Verfasser dieser Blätter sein Scherflein beizutragen sich berufen fühlt. Möchte es dieser und einigen andern noch vorbehaltenen Darstellungen gelingen, die Deutschen mehr und mehr zu überzeugen, daß bloß das Bedeutende ewig fortwirkt und daß kein Roman so romantisch ist, als die Geschichte selbst.

Neapel im Mai 1832.

Zweites Buch.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.

Drittes Buch.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.

Zweites Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Wir können nun das Folgende kürzer zusammenfassen, Um uns dem eigentlichen Anfangspunkte unserer Erzählung zu nähern. Nur wenige und sehr stürmische Jahre genoß Karl III. seines Triumphs. Ludwig von Valois eroberte Apulien, starb jedoch unverhofft nach der Einnahme von Bisceglia, zum großen Glück seines Gegners. Dieser hatte sich unterdessen mit Urban VI. völlig entzweit. Dem Neffen des letzteren, Namens Butillo, hatte er früherhin Capua, Nocera und Amalfi versprochen, und der Papst kam nun nach Neapel, um den König an seine Zusage zu mahnen. Butillo jedoch, ein Wüstling, war in ein Frauenkloster eingedrungen und hatte dort einer Nonne Gewalt angethan, worauf er, nach den bestehenden Gesetzen, zum Tode verurteilt wurde. Der Papst sprach ihn los, entschuldigte den Vierzigjährigen mit seiner Jugend und bestand auf Abtretung der Fürstentümer, worauf er sich selbst mit seinem Neffen nach Nocera begab. Karl, des Papstes Ränke fürchtend und besorgend, daß er dem Butillo das ganze Reich in die Hände spielen wolle, wünschte ihn außer Landes oder unter seinen Augen in Neapel. Heftige Streitigkeiten entstanden, und Urban belegte Neapel mit dem Interdikt, dem jedoch keine Folge geleistet ward. Nun ließ Karl durch seinen Feldhauptmann, Alberigo da Barbiano, Nocera belagern, und der Papst verfluchte den König täglich dreimal. Ersterm gelang es jedoch, zu entwischen, und in Salern ging er auf genuesischen Schiffen zur See.

Schon früher war in Ungarn König Ludwig gestorben. Er hinterließ zwei Töchter, wovon die eine Polen erhielt, die andere von den Ungarn erwählt wurde, die ihr den Titel »König Maria« gaben. Karl III. jedoch glaubt nähere Ansprüche an das Reich seines Oheims zu besitzen, und kaum ist er des päpstlichen Besuchs entledigt, so begibt er sich jenseits des adriatischen Meers; und da er als schon Bekannter auftritt und den meisten männliche Herrschaft wünschenswert scheint, so findet er großen Anhang und wird in Buda gekrönt. Aber die Königinnen (denn Ludwigs Witwe lebte noch), die zuerst in verstellter Freundlichkeit ihn als Beschützer bewillkommten, verrieten ihn. In ihrer Gegenwart ward er erstochen (1386).

Groß hierüber war die Bestürzung seiner Gemahlin Margarete in Neapel, die sich mit zwei unmündigen Kindern, Ladislaus und Johanna, allein sah. Der französische Anhang erhob sich mächtiger als je, und an die Venetianer, die sie beleidigt hatte, verlor Margarete Durazzo und die Insel Corfu. Bald darauf mußte sie auch Neapel, das von den Häuptern der provençalischen Partei, den Sanseverinen und Otto von Braunschweig erobert wurde, verlassen. Sie zog sich mit ihren Kindern nach Gaeta zurück, wo sie eine Reihe von Jahren verblieb. Ludwig II., Sohn des in Apulien verstorbenen Valois, wurde ins Land entboten. Er schickte einstweilen den Herrn von Montjoie mit einem Heere, den er zum Vicekönig ernannte. Dieser hatte jedoch zu wenig Geschmeidigkeit und entfremdete sich die Barone. Selbst der Braunschweiger, der sich zurückgesetzt fand, spielte den Condottiere und ging später zu der Partei des Ladislaus über. So lange Papst Urban lebte, verhielt sich dieser ebenso feindlich gegen das Haus Durazzo als gegen die Franzosen; als jedoch Bonifaz IX. im Jahre 1389 den apostolischen Thron bestieg, erklärte er sich offen für Ladislaus, da Ludwig II. durch den Gegenpapst belehnt worden war. Dieser letztere starb 1394, und an seiner Stelle wurde in Avignon ein Spanier, Benedikt XIII., gewählt.

Es gehört nicht zu meiner Aufgabe, die wechselnden Kriegsfälle zu beschreiben, die zwischen Ludwig von Valois, der seinen Sitz in Neapel hatte, und dem nun herangewachsenen Ladislaus stattfanden. Ueberdies leiden die Geschichten dieser Epoche an Verworrenheit, da sich an einheimischen und gleichzeitigen Berichterstattern ein großer Mangel zeigt. So viel ist klar, daß die provençalische Partei sich von Jahr zu Jahr verkleinerte und endlich durch den Abfall der mächtigen Sanseverinen den letzten Stoß erhielt. Ladislaus eroberte die Hauptstadt 1400, und Ludwig schiffte sich in Tarent nach Frankreich ein.

Vier Jahre später, durch das Beispiel seines Vaters ungewarnt, machte Ladislaus einen Kriegszug nach Ungarn; doch war ihm der Anhang Sigismunds (Gemahls der Königin Maria und nachmaligen Kaisers) überlegen, und Ladislaus mußte sich zurückziehen. Bloß Zara behielt er und verkaufte es im Jahr 1409 an die Venetianer.

Desto mehr beschäftigten ihn die Angelegenheiten Italiens. Er hatte, wie mehrere Herrscher der damaligen Zeit (vor allen Gian Galeazzo Visconti), den Gedanken gefaßt, sich zum König der ganzen Halbinsel auszuwerfen, ja, die Kaiserkrone schwebte ihm vor, und sein Wahlspruch war: »Aut Caesar aut nihil.« Sein Augenmerk hatte er vorzüglich auf Rom gerichtet, und die Gelegenheit schien günstig. Schon 1404, bei der Wahl Innocenz VII., hatte er sich der Engelsburg bemächtigt, mußte sie aber, als der Papst sich mit den Römern aussöhnte, wieder preisgeben. Auf Innocenz folgte Gregor XII. Da dieser jedoch, trotz des lebhaften Wunsches der ganzen Christenheit, mit dem Gegenpapst Benedikt zu keiner Verständigung gelangen konnte, so versammelten sich 1409 die Kardinäle in Pisa und erwählten einen Kandioten, Alexander V., welchem bald der in damaliger Zeit so berüchtigte Balthasar Coscia, unter dem Namen Johann XXIII., nachfolgte. Deshalb gaben nun aber Gregor und Benedikt ihre Ansprüche keineswegs auf; Ladislaus nahm den erstem in Schutz, eroberte unter diesem Vorwande den größten Teil des Kirchenstaats und drang bis Cortona und Siena vor.

Da kam Ludwig von Valois mit einem Heere noch einmal nach Italien. Im Bündnis mit den Florentinern machte er den Paolo Orsino, des Ladislaus Feldhauptmann, von jenem abtrünnig, und unter dessen Anführung ward Rom im Namen Alexanders erobert. Zwei Jahre später erfolgte die Schlacht bei Roccasecca, in welcher Ladislaus gänzlich geschlagen wurde. Da er jedoch einen Separatfrieden mit den Florentinern schloß und die Genueser, die sich der französischen Herrschaft kurz vorher entzogen (daher den Franzosen sich feindlich zeigten), einen glücklichen Seekrieg für ihn führten, da endlich Ludwig durch gänzlichen Geldmangel gelähmt war, so ward jene Niederlage zum Sieg, und Ludwig ging in die Provence zurück. Johann XXIII. mußte den Frieden mit Geld erkaufen, und dafür verjagte Ladislaus den Papst Gregor, der sich bei ihm niedergelassen, aus seinen Staaten.

Ladislaus jedoch hatte das Geld, nicht den Frieden gewollt. Im Jahr 1413 ließ er seinen Feldhauptmann Sforza in die Mark Ancona einfallen, und den Tartaglia, einen andern Condottiere, schickte er nach Rom, wo er später selbst, unter glänzenden Festen, seinen Einzug hielt. Johann XXIII. hatte sich zuerst nach Florenz, dann nach Bologna zurückgezogen, und da er eines Bundesgenossen bedurfte, so wandte er sich an den Kaiser Sigismund, der damals in Krieg mit den Venetianern verwickelt war. Er wußte den Kaiser, der vor allem das Ende der Kirchenspaltung wünschte, durch den Vorschlag eines allgemeinen Konzils zu gewinnen und traf mit ihm in der Lombardei zusammen. Das Konzil wurde, gegen die Meinung des Papstes, in Costnitz ausgeschrieben. Johann hatte Ursache, seinen voreiligen Schritt zu bereuen; denn bald darauf erfuhr er den Tod seines Feindes, des Königs Ladislaus. Dieser, der in beständigen Ausschweifungen lebte, ward in Perugia durch ein Mädchen vergiftet. Er ließ sich unter großen Schmerzen zuerst nach Rom, dann ins Castel nuovo zu Neapel tragen, wo er im August l414 verschied. Da die Lustseuche in damaliger Zeit noch unbekannt war, so hielt man es für ein künstliches Gift, das der Vater jenes Mädchens, ein Arzt, ans Anstiften der Florentiner, seiner eigenen Tochter beigebracht haben sollte. Ladislaus starb im acht und dreißigsten Jahre seines Alters, der letzte männliche Sproß des Hauses Anjou.

Erstes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Um den Süden Italiens kämpften, in der Auflösungsperiode des römischen Reichs, Griechen, Langobarden und Sarazenen wechselseitig. Ein solches Chaos zu entwirren und die herrlichen Länderstrecken, welche wir gegenwärtig unter dem Namen der beiden Sicilien begreifen, in ein Reich zu vereinigen, war normannischen Abenteurern vorbehalten, Graf Roger, dessen Vater die Insel Sicilien erobert, dessen Oheim den morgenländischen wie den abendländischen Kaiser besiegt hatte, setzte in Palermo im Jahre 1130 die Königskrone auf sein Haupt. Er und seine Vorfahren hatten sich der Päpste, die öfters als Gefangene in ihrer Gewalt und denen sie völlig überlegen waren, zur Bestätigung ihrer Rechte bedient; ja, sie hatten, unscheinbare Förmlichkeiten gering achtend, die eroberten Provinzen als Lehen aus den Händen der Statthalter Christi empfangen wollen. Schwer jedoch büßten die unterworfenen Länder und alle nachfolgenden Könige bis in die späteste Zeit die Gestattung kirchlicher Ansprüche, und in demselben Zeitpunkte, in welchem jene Königreiche gegründet wurden, ward auch der Same zu ihrem Verderben, zu ewigen Kriegen, zu Umwälzungen ohnegleichen ausgestreut.

Vier und sechzig Jahre nach der Krönung Rogers regierten er und sein Stamm. Seine nachgeborene Tochter Konstanze brachte die Krone an das schwäbische Kaiserhaus, nicht ohne blutigen Zwiespalt der Parteien und eine mit Greueln befleckte Eroberung. Zwei und siebzig Jahre, bis zur Schlacht von Benevent, dauerte die Herrschaft der Deutschen. Die Päpste hatten den Bruder des Königs von Frankreich, Karl von Anjou, mit beiden Sicilien belehnt; er kam, die Hohenstaufen unterlagen ihm, und er vertilgte das Geschlecht. Seine Regierung jedoch war verhängnisvoll. Zwei Jahre vor seinem Tode (1282) verlor er Sicilien, das seine Nachfolger vergeblich wieder zu erobern suchten. Verzweifelnd und seinen einzigen Sohn in der Gefangenschaft seiner Todfeinde zurücklassend, starb er.

Glücklicher war die Regierung Karls II., durch zahlreiche Nachkommenschaft gesegnet. Ungarn erbte er durch seine Gemahlin und ließ seinen ältesten Sohn, Karl Martell, der jedoch früh verstarb, zum dortigen König krönen. Ihm folgte in Neapel sein zweiter Sohn Robert, mit Uebergehung Caroberts, des Sohnes Karl Martells. Vier und dreißig Jahre, mit großem Ansehn und als Hort aller Welsen in Italien, herrschte König Robert. Dem raschen Tode Kaiser Heinrichs VII. und der Schwäche Ludwigs des Bayern verdankte er seine Größe. Er mußte jedoch den eigenen Sohn überleben und ernannte zur Nachfolgerin seine Enkelin Johanna, die er mit Andreas, dem Sohne Caroberts von Ungarn, verlobte. Zwei Jahre nach seinem Tode ward Andreas, als Ausländer verhaßt, durch neapolitanische Barone ermordet. Dessen älterer Bruder Ludwig, König von Ungarn und Polen, fällt in Neapel ein, um den Tod des Andreas, den er der Königin aufbürdet, zu rächen. Johanna entflieht nach der Provence, dem Erblande der Anjou, zu Papst Clemens VI., der dort seinen Hof hielt. Ihm verkauft sie aus Geldnot Avignon. Nach Ludwigs Abzug wird sie nach Neapel zurückgerufen, wo sie mild und weise herrscht, die Zügel der Regierung selbst führend, wiewohl sie sich, nach dem Wunsche des Volks, noch dreimal vermählt. Das letzte Mal mit Otto von Braunschweig im Jahre 1376. Dieser hatte sich im nördlichen Italien, durch die Vormundschaft der jungen Fürsten von Monserrat, einen ehrenvollen Namen erworben und war, schon seiner Familie nach, ein Welfe. Aber furchtbare Mißgriffe, die unabsehliches Elend über Neapel brachten, bezeichnen die letzten Regierungsjahre der Königin Johanna; und wenn unsre nachfolgende Erzählung nicht unverständlich bleiben soll, so müssen wir hier die damaligen Zustände Italiens näher betrachten.

Seit 1305 war durch den Einfluß des Königs von Frankreich der Sitz der Päpste in Avignon. Die römischen Provinzen gerieten dadurch in Verfall, und die Sitten der Geistlichkeit verwilderten so sehr, daß der Unwille allgemein ward. Da geschah es im Jahre 1875, während der Regierung Gregor XI., daß die meisten Städte des Kirchenstaates sich empörten, teils die Freiheit wiederherstellten, teils unter die Gewalt kleiner Oberherrn sich schmiegten. Gregor sandte mit einem Söldnerheere den Kardinal von Genf, der sich jedoch unerhörte Grausamkeiten erlaubte. Nun erschien Gregor selbst, starb aber bald, indem er alles in der größten Verwirrung zurückließ. Die Kardinäle, meist Franzosen, versammelten sich im Konklave. Das römische Volk, im stürmischen Anlauf, forderte einen einheimischen Papst. Sie erwählten den Erzbischof von Bari, der den Namen Urban des Sechsten annahm, ein Charakter von unerbittlicher Strenge und herrisch bis zur Unbändigkeit. Den Lebenswandel der Kardinäle zu verbessern, war sein erstes Geschäft, Unzufriedenheit von Seite der letzteren dessen Folge. Die Franzosen sehnten sich nach Avignon zurück; König Karl V. sah einen römischen Papst höchst ungern. Otto von Braunschweig war von seiner Gemahlin an Urban gesandt worden, ihm ihre Unterwürfigkeit zu bezeugen. Allein sei es weil Johanna früher, im Bunde mit den Florentinern, den Aufruhr im Kirchenstaat unterstützt hatte, sei es, weil sie auf Beschränkung der Geistlichkeit antrug und gegen ihren ehemaligen Unterthan höhere Ansprüche für erlaubt hielt, sei es, aus was immer für Ursache, der Papst behandelte den Herzog hochfahrend und beleidigend, ja, er soll geäußert haben, daß er die Königin ins Kloster von S. Clara schicken wolle, um dort zu spinnen. Was Wunder also, wenn Johanna, als die französischen Kardinäle in Fondi, unter dem Vorwand, daß ihre Wahl in Rom durch den Pöbel erzwungen worden sei, den Papst in den Bann thaten und statt seiner den Kardinal von Genf unter dem Namen Clemens VII. erkoren, was Wunder, wenn sie zugleich mit Frankreich dem Gegenpapst huldigte? Bald aber mußte sie ihres Irrtums, den sie mit Krone und Leben bezahlte, gewahr werden. Nicht einmal in Neapel, wo sie ihn festlich empfing, war Clemens imstande, sich zu behaupten; das Volk stand wider ihn auf, und er war gezwungen, sich nach der Provence zu flüchten. Was frommte ihr ein ferner und machtloser Beschützer gegen einen nahen und unversöhnlichen Feind?

Durch Verkauf der Kirchengüter bereitete sich Urban Hilfsmittel, ja, er verwandelte sogar die silbernen und goldenen Geräte, Kelche, Kreuze und Heiligenbilder in klingende Münze. Hierauf wandte er sich an den vermutlichen Thronerben Neapels, Karl von Durazzo; denn Johanna war kinderlos. Dieser, ein Abkömmling Karls II., befand sich lange in Ungarn und that Kriegsdienste bei seinem Oheim, der ihn nach Italien geschickt hatte, um an jenem berühmten Kriege teilzunehmen, in welchem Venedig von den Genuesern so hart bedrängt wurde. Jenen Karl nun berief Urban nach Rom und krönte ihn zum Könige von Neapel im Jahre 1381.

Johanna, die keinen andern Stützpunkt als Frankreich hatte, ernannte Ludwig von Valois zu ihrem Nachfolger und bat ihn um Beistand. Dieser Schritt bereitete dem Lande Jahrhunderte langes Verderben, und brachte es zuletzt in die Hände der Könige von Frankreich und Spanien. Auch gereichte er der Königin nicht zum Heil; denn Ludwig ward durch den Zustand, in welchem sich damals Frankreich befand, und durch den Tod seines Bruders Karl V. abgehalten, ihr schleunige Hilfe zu gewähren. Unterdessen rückte Karl von Durazzo vor. Otto von Braunschweig stellte sich ihm an der Grenze entgegen; doch bei der geteilten Stimmung seines Heeres mußte er sich zurückziehen. Verräter öffneten Karl die Thore von Neapel, die Königin zog sich ins Castel nuovo zurück. Aber die dazu Beauftragten hatten verabsäumt, es mit Lebensmitteln zu versehen. Otto wagte noch eine Schlacht; er ward verwundet und gefangen, das Heer zerstreut, und Johanna kapitulierte. Sechs Tage später kam der Graf von Caserta mit zehn Galeeren aus Frankreich, um die Königin zu entsetzen. Ludwig von Valois bemeisterte sich jedoch der Provence, welche seinen Nachkommen verblieb und nie mehr mit Neapel vereinigt wurde. Im folgenden Jahre sammelte er ein bedeutendes Heer und rückte in Italien ein. Karl III., so nannte sich jetzt der neue König, wandte alles an, um Johanna für sich zu gewinnen. Er vergönnte ihr, mit den Befehlshabern der provençalischen Galeeren zu sprechen, um diese zur Unterwerfung aufzufordern. Aber Nachgiebigkeit lag nicht im Charakter dieser an Geist wie an äußerer Gestalt großartigen, an Herrschaft gewöhnten Frau. Sie erklärte den Provençalen, Karl von Durazzo, von ihr einst mit Wohlthaten überhäuft, sei der schnöde Räuber ihrer Krone, ihr einziger Erbe Ludwig, dem zu gehorchen sie sie feierlichst beschwöre. Sie selbst betrachte sich als tot, und nur ihres Leichenbegängnisses eingedenk zu sein, bitte sie die Getreuen. Hierauf ließ sie der König auf eines seiner Schlösser in der Provinz Basilicata führen und erwürgen. Dies geschah im Jahre 1882. Ihr Leichnam ward nach Neapel gebracht und öffentlich ausgestellt. In Clara liegt sie begraben.


Drittes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

In Neapel ward nun des Verstorbenen Schwester, drei Tage nach dessen Tode, zur Königin ausgerufen. Johanna II., so nannte sie sich, war früher an Wilhelm von Oesterreich, Sohn Leopolds III., vermählt gewesen; nach dem Tode ihres Gemahls, dem sie keine Kinder gebracht hatte, kehrte sie in ihr Vaterland zurück. Bei ihrer Thronbesteigung fuhr sie, die Krone auf dem Haupte, durch die Stadt, ließ Geld unter das Volk streuen, befreite alle, die sich in den Gefängnissen befanden, und verzieh den abgefallenen Baronen, was bei der Durazzischen Partei keine gute Wirkung hervorbrachte. 1

Unverweilt nach ihrem Regierungsantritt erschien Sforza Attendolo an ihrem Hofe, unter den Feldhauptleuten des verblichenen Königs der angesehenste. Da er eine Hauptrolle in der nachfolgenden Erzählung spielt, so gereicht es vielleicht den Lesern zur Aufklärung, aus seiner frühern Geschichte das Wichtigste zu vernehmen. Sforza ist uns zugleich als ein Musterbild des damaligen Condottierencharakters und als Stammvater eines berühmten Fürstengeschlechts merkwürdig.

Jakob Mutius degli Attendoli kam im Jahre 1369 zu Cotignola, einem Städtchen bei Faenza, zur Welt. Seine Familie war begütert und angesehen, ohne vornehm zu sein. Einundzwanzig Kinder hatte seine Mutter geboren, und der strenge Charakter dieser Frau hatte die Knaben frühe an geringe Kost, an Abhärtung und soldatische Uebungen gewöhnt, so daß das Haus der Attendoli eher einem Waffensaale als einem Wohngebäude gleich sah. 2 Da habe nun einmal, so wird erzählt, der junge Mutius, den Kopf voll kriegerischer Träume, im Garten seines Vaters mit dem Karst gearbeitet; aber des bäurischen Geschäfts müde und vom Himmel sich einen Schicksalswink erflehend, habe er die Hacke nach einem hohen Eichbaum geschleudert. Falle sie herab, so solle er seine Feldarbeit fortsetzen, bleibe sie hangen, so sei er zu Kriegsdiensten bestimmt. Die Hacke jedoch blieb in den Zweigen hängen, und der junge Mutius griff zu den Waffen. Von vielen wird diese Geschichte bezweifelt, wiewohl sie von Sforza selbst in einem Witzwort, das man ihm beilegt, anerkannt und von seinen Nachkommen geglaubt wurde. Wie dem auch sei, er entfloh in seinem dreizehnten Jahre mit einem Pferde aus dem väterlichen Hause, und der erste Feldhauptmann, unter welchem er diente, war Boldrino, ein Mann, der eines so großen Rufs bei seinen Truppen genoß, daß diese sogar seinen Leichnam einbalsamierten, auf allen Kriegszügen mit sich führten und jedesmal im Lager ein eignes Zelt für ihn aufschlugen; denn sie hielten auch seine Hülle noch für die beste Gewähr des Siegs.

Später begab sich Sforza unter die ersten Feldherrn seiner Zeit, den Giovanni Acuto, wie er von den Italienern genannt wird 3und den Alberigo da Barbiano, Großkonnetabel von Neapel. Durch letztern erhielt er wegen seiner Hartnäckigkeit bei Gelegenheit einer Beuteverteilung den Beinamen Sforza. Dem erstem eiferte er vor allen andern nach und bewunderte ihn besonders deshalb, weil er, ein Fremdling und aus einer barbarischen Insel stammend, durch Klugheit und Tapferkeit zu so hohen Ehren gelangt war, daß selbst ein Visconte ihm seine Tochter antraute und die florentinische Republik ihn mit Reichtümern überhäufte, ja, nach seinem Tode sein Andenken durch eine Reiterstatue ehrte, welche letztere noch heutzutage im Dom von Florenz vorhanden ist.

In jene Jugendzeit fällt auch Sforzas Freundschaft mit Braecio da Montone aus dem Peruginischen, einem der größten Kriegshelden jener Epoche. Viele Jahre hindurch schienen beide unzertrennlich; Waffen, Pferde und Gefahren waren gemeinschaftlich, selbst Farben und Abzeichen. Wir werden im Laufe dieser Geschichte sehen, wie ein so langdauernder Bund zerrissen ward.

Wir finden sodann Sforza zuerst als Anführer von den Peruginern gewählt, die ihre Freiheit gegen Gian Galeazzo Visconte verteidigten. Die Stadt unterlag; Galeazzo jedoch, der Sforzas Verdienste zu schätzen wußte, nahm ihn in seinen Sold, entließ ihn aber nach kurzer Zeit, weil er ihm als Welse verdächtig schien. Hierauf begab sich dieser zu den Florentinern, welche im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts den Kaiser Ruprecht von der Pfalz nach Italien riefen, um ihnen gegen den Visconte beizustehn. Jenem stellte sich Sforza mit seiner Schar im Paduanischen vor. Der Kaiser bewunderte die schöne Haltung der Truppen, sowie des Anführers Gewandtheit als Reiter, und bemerkend, daß Sforza (auf den Namen seiner Vaterstadt anspielend) eine Quitte im Schilde führte, sagte er ihm: »Ich will dir einen Löwen beilegen, der deinen Apfel hält.« So entstand das Wappen der Sforza. 4

Als im Jahre 1402 Gian Galeazzo, dem sich die Florentiner widersetzten, Bologna eroberte, ward Sforza durch die feige Flucht Tartaglias, der neben ihm eine Schar befehligte, gefangen; Alberigo da Barbiano jedoch, Galeazzos damaliger Feldhauptmann, entließ ihn, und mit dreihundert Reitern, denen man ebenfalls Pferde und Waffen abgenommen, kehrte er zu Fuß über die Apenninen nach Florenz zurück. »Wir haben tapfer gefochten,« sagte er zu den Vorstehern der Republik; »aber das Glück war uns abhold. Gebt uns Pferde und Waffen, und unsere Anstrengungen werden eurem Vertrauen entsprechen.«

Bald nach der Einnahme von Bologna starb der Visconte. Seinem natürlichen Sohne Gabriel (der später in Genua enthauptet wurde) hatte er Pisa hinterlassen. Dieser verkaufte es an die Florentiner; die Pisaner jedoch waren keineswegs damit einverstanden, und es entspann sich ein Krieg, in welchem die seit ältester Zeit so berühmte und als Königin der Meere begrüßte Republik zu Grunde ging. Hier leistete Sforza den Florentinern so wichtige Dienste, daß sie ihm nicht nur die Lorbeerkrone zuerkannten, sondern auch ihm einen Sold von jährlichen 500 Liliendukaten aussetzten. Als hierauf Florenz einige Friedensjahre genoß, trat er in die Dienste des Beherrschers von Ferrara, Nikolaus von Este. Dieser war in einen Krieg mit Ottobono Terzo verwickelt, welcher letztere, früher ein Feldhauptmann Gian Galeazzos, nach dessen Tode sich Parmas bemächtigt hatte. Ottobono, durch Sforza gedrängt, wünschte den Frieden, doch wahrscheinlich nur, damit Nikolaus seine Söldner entlassen und desto wehrloser erscheinen möge. Eine Zusammenkunft beider Fürsten ward verabredet, unterblieb aber, da Nikolaus durch Ottobons Boten gewarnt wurde. Bald darauf fiel Ottobono in die Hände der Sforzesken und wurde von Michael Attendolo niedergestoßen. 5 (1409.) Michael war nämlich früher mit andern Gefährten in Ottobons Gefangenschaft geraten, und dieser hatte sie sämtlich in Ketten legen und den ganzen Winter hindurch jede Nacht nackend ausziehn und mit kaltem Wasser begießen lassen. Einige schreiben Ottobons Tod dem Sforza selbst zu. Wie dem auch sein mag, so viel ist gewiß, daß diese Todesbotschaft von Ottobons Unterthanen mit Jubel aufgenommen wurde. Als sein Leichnam nach Modena gebracht ward, zerriß ihn das Volk, und einige aßen von seinem Fleische.

Nachdem Sforza für die Estenser Parma erobert hatte, kehrte er zu den Florentinern zurück und wohnte noch in demselben Jahre der Einnahme von Rom unter Ludwig von Valois bei. Auch die Schlacht von Roccasecca wurde durch ihn entschieden, und Johann XXIII., in dessen Sold er stand, seit die Florentiner sich mit Ladislaus ausgeglichen, verlieh ihm Cotignola, seine Vaterstadt, worüber Sforza die reinste Freude empfand. Schon früher hatte er sich manche Besitzung erworben. Nikolaus hatte ihm Montecchio, ein Schloß im Parmesanischen, geschenkt, und durch seine erste rechtmäßige Gemahlin, eine Saneserin aus dem berühmten Geschlecht der Salimbeni, besaß er die Stadt Chiusi und einige andere Kastelle in Toscana. 6

Wegen der Beleidigungen und beständigen Nachstellungen des Paolo Orsino verließ Sforza Rom und trat später in den Dienst des Königs Ladislaus, nachdem er sich feierlich vom Papste losgesagt und dessen Sold zurückgewiesen hatte. Johannes war jedoch hierüber so sehr erbittert, daß er ihn, nach damaliger Sitte, am rechten Fuß aufgehenkt malen ließ, zugleich mit einer ehrenrührigen Inschrift, in der ihm seine niedrige Abstammung vorgeworfen ward, 7 Ladislaus empfing ihn freundlich; aber da dieser König die Condottieren, deren er sich nur aus Not bediente, haßte, so mußte Sforza seinen ältesten Sohn Francesco (den er mit einer Beischläferin erzeugt hatte) aus Ferrara, wo er Edelknabe bei dem Estenser war, kommen lassen, und Ladislaus behielt denselben als Geisel, wiewohl er ihn, den damals zwölfjährigen Knaben, zum Grafen von Tricarico ernannte.

Als Ladislaus gestorben war, eilte Sforza nach Rom; doch konnte er die Stadt gegen den allgemeinen Volksaufstand nicht behaupten. Bloß Ostia, Civita Vecchia und die Engelsburg erhielt er im Gehorsam der Königin, zu welcher er sich, wie bereits erwähnt worden, nach Neapel begab. Den Befehl der Truppen im Römischen hatte er dem Micheletto, einem Verwandten, übertragen.

Viertes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

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