Ines Witka

DIE NACHT DER MASKEN

 

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Die Nacht der Masken

Reportage

 

Als ich die Kunstgalerie betrat, wartete Julia bereits auf mich. Neben den gedrungenen Formen der Skulpturen wirkte sie wie ein Model. Wir küssten uns rechts und links auf die Wangen, plauderten über dies und das. Ihre schlanken Finger spielten unablässig mit einer langen Perlenkette. Ich spürte, dass sie mir etwas sagen wollte, und als sie tief Luft holte, beugte ich mich unwillkürlich zu ihr hin.

»Ich habe mit meinem Freund eine geheime Party auf einem Schloss besucht«, flüsterte sie leise in mein Ohr. Dann schaute sie mich erwartungsvoll an. »Ah, ja? Und was war das Geheime daran?« »Alle trugen Masken, ich auch. Dabei habe ich mich gefühlt, als sei ich in den Film Eyes Wide Shut von Stanley Kubrick versetzt worden; in die Szene in der schlossartigen Villa, die man nur mit einem Passwort betreten kann. Kennst du den Film?« Als ich nickte, redete sie schnell und atemlos weiter, ihre Finger drehten unablässig den Perlenstrang: »Die Frauen tragen venezianische Masken und die Männer Mönchskutten über ihren Anzügen. Erinnerst du dich? Ich fand das irre erotisch, wie dieser düstere Zeremonienmeister mitten in einem Kreis von wunderschönen, fast nackten Frauen steht, dann streng auf eine Lady zeigt und sie einem der geladenen Männer zuweist. Reihum.« In ihren Augen glitzerte es: »Eine Maske zu tragen, fand ich ziemlich scharf. Du weißt, dass dich keiner erkennt, du kannst dich einfach treiben lassen. Dann erlebst du Momente, die du sonst nie zulassen würdest.«

»Welche denn?«, fragte ich und versuchte dabei nicht allzu neugierig zu klingen. Sie antwortete nicht gleich, zupfte erst noch an ihrem perfekten Haarschnitt herum: »Hast du schon einmal eine Frau geküsst? Oder anderen beim Vögeln zugesehen?« Als ich mehr erfahren wollte, schüttelte sie den Kopf: »Ich habe eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Wenn es dich interessiert, gehe selber hin. Außerdem bin ich noch verabredet und spät dran.« Dann ging sie auf ihren hochhackigen Pumps davon, und mir war klar, dass sie es genossen hatte, sich mir gegenüber als moderne, erotisch aufgeschlossene Frau zu präsentieren. Julia hatte es geschafft, meine Phantasie war beflügelt, und da ich immer auf der Suche nach interessanten Themen bin, über die ich schreiben kann, startete ich eine Recherche im Internet. Dabei stieß ich auf unendlich viele Erotikpartys und Fetischveranstaltungen. Die Anzahl der möglichen Veranstaltungen grenzte sich auf einige wenige ein, denn ich suchte eine exklusive Party, die auf einem Schloss stattfindet und nicht in einem Swingerclub im Industriegebiet, eine, auf der sich meine Freundin Julia wohlfühlen würde. Als ich über die Nacht der Masken las, dass sie auf einem historischen, herrschaftlichen Schloss in der Mitte von Deutschland stattfinden sollte, dass an diesen Abenden Maskenzwang herrscht und dass die Karten 500 Euro kosten, wusste ich, dass ich Julias geheimnisvolle Party gefunden hatte. Mutig bestellte ich zwei Karten. Obwohl auf der Website versprochen wurde, dass es sich um das erotischste Schloss-Event der Welt handeln sollte, war die eingehende E-Mail sehr sachlich: »Bitte bezahlt innerhalb von drei Tagen. Die Tickets gehen wie immer erst nach Zahlungseingang an Euch raus.« Also überwies ich die 500 Euro und las mich in das Masken-Thema ein.

Als ich zehn Tage später den Umschlag der Eventagentur aufriss, klopfte mein Herz schneller als sonst. Schon die Eintrittskarten waren ein Versprechen, eine junge Frau mit langen Haaren und wohlgeformtem Mund lächelte mich verführerisch an. Ein Verhaltenskodex erklärte die Regeln, die Wegbeschreibung sollte die Paare zu dem verheißungsvollen und bis jetzt geheim gehaltenen Ort führen. Die Verschwiegenheitserklärung lag ebenfalls bei. Nun galt es, meinen Freund Thomas für das Vorhaben zu gewinnen, denn das Schloss der Lust wollte und durfte ich nach den Regeln der Veranstalter nicht allein erkunden. Als er hörte, dass er seine Personalien angeben muss, reagierte er zurückhaltend. Als ich ihm die Internetseite zeigte, staunte er. Und nachdem er gelesen hatte, dass uns dort ein sinnliches Fest, dekadente Ausschweifungen und prickelnde Erotik erwarten würden, zögerte er nicht länger: »Wenn es dir bei deinen Recherchen hilft – warum nicht?« Dabei grinste er.

 

 

Endlich ist es so weit, am letzten Freitag im November steuert Thomas sein BMW Cabrio in der Festkleidung eines Adligen. Die weißen Rüschenmanschetten fallen locker über seine Hände, das passende Spitzenjabot auf der Brust lugt aus dem Ausschnitt seines roten Gehrocks, die ledernen Stulpenstiefel gehen weit über die Knie. Während er zufrieden mit seiner Kleiderwahl ist, hadere ich mit meiner: »Hätte ich dich doch lieber zum Kostümverleiher begleiten und ein sittsames historisches Kleid nehmen sollen? Oder das kurze, dekolletierte silberne Cocktailkleid mit Nahtnylons?« Er schaut kurz zu mir herüber: »Meine Abenteurerin, ich finde dich hinreißend schön.« Je näher wir dem Ziel kommen, desto enger schnürt mich die goldglänzende Korsage ein, der farblich passende Rock scheint mit jedem Kilometer kürzer zu werden. Nervös reibe ich meine glänzenden Beine aneinander: »Egal was uns dort erwartet, wir beobachten nur. Vergiss nicht: Du bist mein zweites Paar Augen und Ohren, denn Aufnahmen darf ich dort keine machen, weder Bild noch Ton.« Thomas legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und streichelt mit dem Daumen die nackte Haut, die über dem glatten Abschluss des halterlosen Strumpfes unter dem Rock hervorblitzt. »Wenn alle Frauen dort so aussehen wie du, wird das aber schwierig mit der Konzentration werden. Vielleicht ist die gesamte Aufmachung der Internetseite aber auch nur ein Marketingtrick, um ein Vier-Gänge-Menü möglichst teuer zu verkaufen.« Unser Ziel, ein Dorf, dessen Hauptattraktion das Schloss ist, liegt in einer dünn besiedelten, waldreichen Gegend. Thomas parkt neben einem Porsche mit Hamburger Kennzeichen, der Sportwagen ist nicht die einzige Edelkarosse, die hier steht. Bevor wir aussteigen, setzen wir unsere Masken auf. Thomas trägt ein schlichtes silbernes Modell und ich ein kunstvoll gearbeitetes Meisterwerk aus Venedig. Voilà, das Spiel kann beginnen, wir sind bereit für die Nacht der Masken!

An Thomas' Arm stöckle ich vorsichtig über das Pflaster, der Wind bauscht meinen langen Samtmantel kurz auf. Fackeln beleuchten das große hölzerne Tor. Vor uns geht ein Pärchen in Wintermänteln. Sie hat ihre Maske mit einem Kranz aus schillernd blauen Federn schon auf, er trägt eine weiße Larve in der Hand. Der Eingang wird von zwei Männern in wattierten Jacken bewacht. Die Masken dienen als Erkennungszeichen, dass wir zu den fünfzig Paaren jenes elitären Zirkels gehören, der die ehemalige Sommerresidenz der großherzoglichen Familie dieser Region heute in ein Lustschloss verwandeln wird. Ob das dem Landgrafen recht wäre? Vielleicht, der Adel hat schon immer gern dekadent gefeiert. Ohne viel zu fragen, öffnen die ›Wachen‹ uns das Tor und zeigen Richtung Hauptturm. Ich gehe hinter Thomas eine schmale Treppe nach oben, die Decke ist so niedrig, dass er den Kopf einziehen muss. Im ersten Raum sitzt eine Frau mit pechschwarzen Haaren in einem roten, tief dekolletierten Abendkleid an einem Tisch, über den eine dunkle Samtdecke gebreitet wurde. Ihr reiche ich unsere Personalausweise und Eintrittskarten. Sie vergleicht die Namen mit der Liste 

 

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Die Interviews

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CLAUDIUS

 

 

Er ist die perfekte Besetzung für den Mann am Klavier. Groß, blond, Anfang dreißig, gut aussehend. Er begleitet den Auftritt der phantasievoll gekleideten und maskierten Gesellschaft mit Klängen von Billy Joel. Mit blauen Augen und smartem Lächeln blickt er ab und zu von den schwarzweißen Tasten auf und sucht die Augen in den verhüllten Gesichtern. Als sich unsere Blicke treffen, ist mir sofort klar, dass ich mit ihm sprechen möchte. In einer seiner Spielpausen treffe ich ihn in der in dezentes Licht getauchten Bar.

 

Mit einem Glas Whisky in der Hand in einem Sessel sitzen, eine exzellente Cohiba-Zigarre rauchen und sich nett unterhalten, das kannst du in jeder guten Lounge. Aber das, was ich zu sehen bekomme, das gibt es in so ungezwungenem Rahmen nur hier. Das ist der ganz besondere Reiz an diesem Engagement. Wenn ich in meinem beruflichen Umfeld, ich bin Rechtsanwalt, ein paar Tage freinehme, um hierherzukommen, erzähle ich die halbe Wahrheit. Meist sage ich, dass ich auf einem Schloss bei einer sehr eleganten Veranstaltung Klavier spiele. Wenn der eine oder andere Kollege Näheres wissen möchte, frage ich einfach: »Kennst du Eyes Wide Shut?« Die meisten antworten: »Ja, klar.«

»So ähnlich ist es dort – und ich, ich bin der Mann am Klavier.« Genau das ist meine Rolle, ich bin Nick Nightingale, der Freund von Bill Harford aus dem Film Eyes Wide Shut oder Nachtigall, der Pianist aus Schnitzlers Traumnovelle. Ich habe sowohl die Traumnovelle als auch den Film erst gelesen beziehungsweise gesehen, nachdem ich schon über ein Jahr hier Klavier gespielt hatte. Aber ich dachte sofort: In der Tat, das ist genau mein Job. Nur dass mir nicht die Augen verbunden werden, ich darf zuschauen. Aber ansonsten ist die Parallele verblüffend, und ich genieße das sehr. Wobei Schnitzler das Treffen viel geheimnisumwobener dargestellt hat als Stanley Kubrick. In seiner Novelle sind die geladenen Gäste Mitglieder eines Geheimzirkels. In gewissem Sinne trifft das auch auf die Gäste der Nacht der Masken zu, das zeigen schon die Eingangskontrollen und das Prozedere, wie man überhaupt an Karten kommt. Auch hier trifft sich eine geschlossene Gesellschaft. Dass man sich für dieses Event nicht noch schnell an der Abendkasse eine Karte kaufen kann, trägt, genau wie das Ambiente, zum exklusiven Ruf dieser Veranstaltung bei. Es ist ein Abend, auf den man sich lange vorbereitet. Dem Besuch geht eine bewusste Entscheidung voraus, so kommt der elitäre Kreis zustande.

Ich weiß nicht, was für eine Musik Nachtigall gespielt hat, ich habe mich für stilvolle Barmusik entschieden. Genau wie dieser fiktive Pianist bin ich durch Zufall in den Zirkel geraten. Meine Exfrau ist gut mit den Veranstaltern Jaqueline und René befreundet. Wir waren bei ihnen privat zum Essen eingeladen. Nach dem Essen habe ich mich ans Klavier im Wohnzimmer gesetzt und gespielt. Sie waren sehr angetan und meinten, sie bräuchten noch einen Pianisten für ihre stilvollen Partys, ›Maskenbälle‹ nannten sie diese. Ohne weiter nachzufragen, habe ich gesagt: »Wenn ihr einen Pianisten braucht, dann bin ich euer Mann.« Das war 2003. Meine damalige Frau wusste wohl etwas mehr darüber, aber ich hatte keinen Schimmer. Als Jaqueline mir dann verraten hat, was sich hinter dem harmlosen Begriff ›Maskenball‹ verbirgt, war ich schon ziemlich aufgeregt. Ich war gerade Mitte zwanzig und hatte bis dahin keine Berührungspunkte zu der BDSM- oder Fetischszene. Für diejenigen, denen es so geht wie mir damals, eine kleine Erklärung des Begriffes BDSM. Es ist die englische Abkürzung für sexuelle Spielarten, die man früher einfach als Sadomasochismus bezeichnet hat: BD steht für ›Bondage and Discipline‹ – Fesslung und Disziplin. DS für ›Dominance and Submission‹, Dominanz und Unterwerfung. SM für ›Sadism and Masochism‹ – die Lust am Zufügen oder Empfangen von Schmerzen. Ich versuchte als Musiker eine professionelle Haltung einzunehmen und sagte: »Ich gehe dahin, mache meinen Job, und das war es.« Da sich Jaqueline meinen Auftritt stilvoll wünschte, habe ich mich für einen Smoking entschieden und mir eine Maske mit aufgedruckten Klaviernoten gekauft, die ich heute noch trage. Bei der ersten Veranstaltung saß ich verschüchtert am Klavier und beobachtete mit großen Augen, wie die maskierten Gäste mir eine Vorstellung gaben. Sie flirteten, streichelten, küssten und liebten sich so, als ob sie in ihren privaten Schlafzimmern wären und nicht in der Bar eines Schlosshotels. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Seitdem bin ich regelmäßig zwei bis drei Mal im Jahr dabei und spiele Klavier. Bin ich zum ersten Abend noch als reiner Dienstleister erschienen, komme ich seitdem auch aus eigener Überzeugung. Da viele Gäste regelmäßig kommen, habe ich schnell einige Besucher näher kennengelernt, und das Team natürlich, das die Partys ausrichtet. Es gibt einen konstanten Kern an Personen, mit denen ich nun seit Jahren gut befreundet bin, und ich freue mich immer, sie wiederzutreffen. Beim Aufbau erzählen wir uns, was jeder die vergangenen Monate über gemacht hat.

 

 

Bei der Nacht der Masken spiele ich in der Bar, bei der Nacht der Leidenschaft bin ich Gast. Wenn alles vorbei ist, beteilige ich mich auch am Abbau, das ist ein schönes Gesamtpaket, das sich für mich über drei bis vier Tage erstreckt. Anfangs war ich bei der Nacht der Leidenschaft nicht dabei, aber nach einer Weile hat sie mich interessiert und ich fragte Jacqueline, ob ich eine Nacht länger bleiben könnte. Das war überhaupt kein Problem. Ich schätze beide Veranstaltungen: An der Nacht der Masken liebe ich die dezente Hintergrundmusik, das Stilvolle, den beinahe förmlichen Ablauf und dass die Masken nicht vor Mitternacht fallen. Die Nacht der Leidenschaft ist lockerer, es sind wesentlich mehr Leute da, es geht ausgelassener und wilder zu. Egal für welche Party man sich entscheidet: Man genießt einfach einen großen Freiraum, innerhalb dessen man sich ausleben kann.

 

 

Seit zwei Jahren habe ich eine neue Freundin, sie ist sechsundzwanzig. Ich habe ihr von der Party genauso erzählt, wie sie mir angetragen wurde, ihr also zunächst nur verraten, dass es ein Maskenball mit eleganter Kleidung sei und dass ich dort Klavier spielen würde. Den Rest werde sie dann schon sehen. Zum Glück hat sie nicht sofort kehrtgemacht, als sie gesehen hat, was ich mit ›der Rest‹ gemeint habe, sondern war begeistert. Seitdem besuchen wir die Partys zusammen – das ist die perfekte Symbiose zwischen Arbeit und phantasievoller Lebensgestaltung im weitesten Sinne. Wenn ich Klavier spiele und sie dabei ist, weiß sie, dass ich letztendlich nur für sie spiele. Das gibt meinem Spiel eine erotische Komponente. Sie liebt das sehr und himmelt mich an. In diesem Gesamtgefüge schätze ich meine Position als ›Mann am Klavier‹ sehr, weil ich einerseits Dienstleister bin, aber andererseits auch aktiv partizipiere. Ich genieße es, am Rand des Geschehens – aber nicht außerhalb – zu sein, den Leuten einen schönen Klangteppich zu bieten, der sie vor dem Essen auf das Kommende einstimmt und danach in Lounge-Atmosphäre den Abend genießen lässt. Teilweise werde ich auch mit in das Geschehen eingebunden. Vor drei Jahren saßen zwei Mädels gegenüber dem Klavier.

Die eine in einem langen, weißen Hermelinmantel, darunter hatte sie fast nichts an, dafür trug sie wunderschöne High Heels. Die andere, ebenfalls sehr gut aussehend, war eher klein und niedlich. Sie schauten mich die ganze Zeit an. Während ich Klavier spiele, lasse ich natürlich meine Blicke auch gern über die Gäste schweifen und merke, wenn ich stark fokussiert werde. Irgendwann kam dann die Frau im Hermelin zu mir herüber und sprach mich an: »Sicher ist dir aufgefallen, dass meine Freundin und ich dich die ganze Zeit beobachten.« »Durchaus, was gibt es denn?« »Zu deinem schönen Klavierspiel habe ich eine Phantasie im Kopf.« »Erzähl doch mal«, forderte ich sie auf, während ich die Finger weiter über die Tasten gleiten ließ. »Die anderen Menschen musst du dir für einen Moment wegdenken. Nur wir beide sind hier, und du sitzt an einem Flügel. Während du für mich Ave Maria spielst, darf ich dir einen blasen.«

Diese Geschichte ist mir in Erinnerung geblieben, denn das sind die Momente, die der Party ihren besonderen Charakter geben. In die Phantasie einer solchen Göttin eingebunden zu werden, war ein sehr sinnliches Erlebnis. Sie war eine Erscheinung. Nicht ihre Nacktheit war das Faszinierende, nackte Frauen sind hier nichts Ungewöhnliches, es war die Kombination aus Optik und Gestus: Da steckten Stil und Eleganz dahinter.

Nicht jede Avance erfolgt so stilvoll und zurückhaltend. Es gibt vereinzelt Damen oder auch Herren, die meinen, dass ich als Pianist zum Inventar gehöre und benutzt werden darf wie alles andere. Das weise ich sehr freundlich, aber bestimmt zurück. Ich kann damit ganz gut umgehen, meine Auftritte hier sind eben mehr als eine normale Dienstleistung. Jede Veranstaltung ist anders, es gibt Partys, die sehr ruhig sind, bei der vorletzten zum Beispiel ging es ausgesprochen gesittet zu. Und dann gibt es Partys, da wird in der Bar bis morgens um sechs gefeiert und ich habe kaum Gelegenheit, eine Pause zu machen, weil die Leute mich immer wieder bitten weiterzuspielen. Natürlich tragen sie auch Musikwünsche an mich heran. Dankenswerterweise habe ich das Talent, aus drei Takten, die mir jemand vorsingt oder summt, das gewünschte Lied zu erkennen. Und alles, was ich kenne, kann ich auch spielen. So erfülle ich im Lauf des Abends viele Musikwünsche, jedoch immer abhängig davon, wie diese an mich herangetragen werden. Diese kleine ›Machtkomponente‹ erhöht den Reiz des Ganzen ungemein.

 

 

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STINA UND JACK

 

 

Die feine Naht auf ihren Seidenstrümpfen verschwindet unter einem kurzen Rock. Die scheinbar endlosen Beine werden durch die 10 Zentimeter hohen Absätze ihrer Pumps noch verlängert. Der sinnlich rot geschminkte Mund und die langen Haare betonen ihre feminine Ausstrahlung. Damit widerspricht sie jeder Vorstellung, die man sich von einer Beamtin im gehobenen Dienst in der Finanzverwaltung macht. Beide sind Anfang vierzig und sportlich schlank. Als typischer Vertriebsmanager im gut sitzenden Anzug und mit kurz geschnittenem Haar übernimmt ihr Mann die Gesprächsführung.

 

JACK: Sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld gelte ich als konservativ. Das ist mir lieber, als wenn man über mich redet: »Holla, der lässt einmal im Monat mit seiner Frau die Puppen tanzen.« Meiner Meinung nach ist es besser, wenn man seine erotischen Vorlieben vom Berufs- und Privatleben trennt. Die meisten in unserem Bekanntenkreis wären überfordert, wenn sie wüssten, was wir so alles anstellen. Ich pflege eher das Image eines Biedermannes, und das ist auch gut so.

STINA: Also, unterschätze nie einen Biedermann! Jack und ich sind verheiratet. Ich bin 41 Jahre alt, mittlerweile auch Mutter. Obwohl wir uns das am Anfang nicht vorstellen konnten, genauso wenig wie dass wir heiraten werden.

JACK: Wenn ich nicht die Frau heiraten möchte, mit der ich so viele Gemeinsamkeiten habe, wen dann?

STINA: Eine dieser Gemeinsamkeiten ist das Thema ›erotische Veranstaltungen‹ damit hatte ich zuvor keine Berührungspunkte, das haben wir für uns entdeckt und entwickelt.

JACK: Jeder von uns hatte vorher eine langjährige Beziehung und ist verheiratet gewesen. Unglücklicherweise gingen die Ehen auseinander. In beiden Fällen, Gott sei Dank, ohne Kinder, die darunter hätten leiden müssen. Beide empfanden wir unsere vorherigen Beziehungen in puncto Sex als ziemlich unbefriedigend. Bevor ich Stina kennenlernte, dachte ich, dass nur der Mann sexuell nicht ausgelastet sein kann, weil die Frau nicht will. Bei Stina war es andersrum, sie wollte mehr Sex als ihr Mann.

STINA: Definitiv, ich musste meinen Exmann fast zum Sex zwingen. Nur mit Mühe bekam ich ihn ab und an dazu. Selbst wenn ich mir was Heißes angezogen hatte, zum Beispiel ein Torselett mit Strapsen dran, musste ich immer damit rechnen, dass er sagte: »Schatz, geh mal zur Seite, meine Lieblingsserie fängt gleich an.« So eine Abfuhr ist für eine Frau wie ein Schlag ins Gesicht. Diese Beziehung hat mich natürlich geprägt, denn wir waren zwölf Jahre zusammen. Danach konnte ich mir nicht mehr vorstellen, dass es Männer gibt, die tatsächlich Sex möchten …

JACK: … und die auf erotische Feinheiten Wert legen. Ich dagegen war schon immer ein Schöngeist und habe ein Auge dafür, wenn eine Frau sexy angezogen ist oder einfach eine erotische Ausstrahlung hat. Genau wie Stina hatte ich mir aber genau die falsche Partnerin für so etwas gesucht. Sexy Kleidung? Das ging schon mal überhaupt nicht! Für meine erste Frau waren Overknee-Stiefel »Fick-mich-Stiefel«. Alle erotischen Themen waren bei ihr verpönt. Mit Stina hingegen konnte ich mich von Anfang an über Erotik unterhalten, auch darüber, dass ich diese Stiefel geil finde.

STINA: Overknees wollte ich schon immer mal probieren, die fand ich sehr interessant. Aber meinem Exmann hätte ich damit nicht kommen dürfen.

JACK: